Infrastruktur und Lebensraum
Erhaltung der Umwelt
Le dépérissement des forêts constitue la principale menace contre l'environnement; début d'explication scientifique et premières propositions d'ordre politique — Renforcement des choix écologistes dans la vie quotidienne et radicalisation face à des exigences croissantes — Sous la pression de l'opinion publique le parlement approuve la loi sur la protection de l'environnement dans une version moins atténuée — Préparations de mesures internationales de lutte contre les «pluies acides», nouvelles formes de pollution de l'air — L'accroissement inquiétant d'oxyde d'azote exige de nouvelles discussions politiques — Dépôt d'une nouvelle initiative et préparations de révision de la loi concernant la protection des eaux — Extension des plaintes contre le bruit — La disparition des déchets de Seveso devient une affaire publique; entreposage provisoire en Suisse — Campagne des sociétés protectrices de la nature en faveur de la préservation des rives de lacs — Deux monuments suisses entrent dans le répertoire de patrimoine culturel établi par l'UNESCO.
Umweltpolitik
Zeitlich und räumlich gehäuftes, beschleunigtes Absterben von Weiss- und Rottannen sowie von Föhren waren 1983 ein deutliches Zeichen dafür, dass das Waldsterben als gegenwärtig bedeutendste Umweltbedrohung
[1] auch die Schweiz erfasst hat. Besonders in den Kantonen des Mittellandes kannte der Prozess eine dramatische Beschleunigung. Innert Jahresfrist waren 25% der Weisstannen eingegangen und je nach Baumart und Region bis zur Hälfte der Bäume von Krankheiten befallen worden. Auch in einigen Alpentälern musste ein schlechter Zustand bei Schutzwäldern beklagt werden. Ende Jahr waren gesamtschweizerisch 4% der rund 250 Mio Bäume absterbend; weitere 14% waren angeschlagen
[2].
Selbst Sachverständige waren vom Ausmass des
Waldsterbens überrascht
[3]. Erste Ursachenanalysen ergaben mehrheitlich, dass die Krankheit nicht primär auf einen Befall durch Parasiten wie den Borkenkäfer zurückgeführt werden kann. Bekannte und epidemische Infektionserscheinungen erwiesen sich ebensowenig wie grossklimatische Veränderungen als erklärungskräftig. Die Eidgenössische Anstalt für das forstliche Versuchswesen wie auch das Bundesamt für Forstwesen lokalisierten den zentralen Grund in der verschlechterten Luft-, Wasser- und Bodenzusammensetzung und fassten das Waldsterben als Reaktion des Ökosystems auf die veränderten Lebensgrundlagen auf. Die grösste Gefahr wurde in der Destabilisierung des natürlichen Gleichgewichts vermutet, weil diese durch Rückkoppelung verstärkt wird. Von ihr werden in Zukunft nicht nur der Wald, sondern auch die ganze Pflanzen- und Tierwelt sowie die Holzwirtschaft betroffen sein
[4].
An möglichen politischen
Massnahmen gegen das Waldsterben wurden vorerst die Verminderung von Schadstoffen in der Luft, die Erschliessung und Aufforstung geschädigter Wälder sowie eine umfassende wissenschaftliche Beobachtung und Analyse der Krankheitssymptome genannt. Im Nationalrat fand kurz vor Ende der Legislaturperiode eine ausführliche Debatte zum Waldsterben statt, in deren Verlauf nicht weniger als 17 persönliche Vorstösse begründet wurden. Schliesslich wurden Motionen der SVP- und der CVP-Fraktion für eine bessere Erfassung der Wälder respektive eine laufende Berichterstattung über die Schäden überwiesen
[5]. Noch im Berichtsjahr wurde an den Arbeiten für die landesweite Waldbeobachtung unter dem Namen «Sanasilva» begonnen
[6]. Als Antwort auf das beängstigende Phänomen stellte Bundesrat A. Egli ein umfangreiches und abgestimmtes Massnahmenpaket für das folgende Jahr in Aussicht
[7]. Weitergehende Forderungen erhoben die Umweltorganisationen in einem Sofortprogramm zur Rettung des Waldes. An kurzfristigen Massnahmen wurde hier unter anderem verlangt, die Höchstgeschwindigkeiten auf den Strassen auf 100 bzw. 80 km/h zu senken, umweltfreundliche Tarife bei den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fördern, einen «abgasfreien» Bettag einzuführen und aus den Treibstoffzöllen Mittel für den Umweltschutz zur Verfügung zu stellen. Die LdU/EVP-Fraktion veröffentlichte ein «Grün-Buch», in dem sie einen Teil der Forderungen des Sofortprogramms übernahm und insbesondere durch den Vorschlag ergänzte, mit einer eidgenössischen Motorfahrzeugsteuer sei jeder Halter eines Personenwagens zum automatischen Bezug eines Generalabonnements der SBB zu verpflichten. Dadurch würde die verminderte Nutzung des Autos und das Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr forciert. 25 Rechtsprofessoren der Zürcher Universität stellten noch vor Jahresende mit einem Gutachten fest, dringende Schritte zur Rettung des Waldes könnten über das Notrecht eingeleitet werden
[8].
Die Meldungen über den aktuellen Zustand der Umwelt haben zu einer weiteren Politisierung dieses Bereiches geführt. Umfangmässig konnte bei der Gesamtbevölkerung zwar kaum eine Zunahme des generellen Umweltbewusstseins verzeichnet werden: Ahnlich wie vier Jahre zuvor gaben 1983 zwei von drei Schweizern an, der Umweltschutz gehöre zu den dringenden Gegenwartsproblemen
[9]. Dagegen konnten ein spürbarer Druck auf das konkrete Verhalten im Alltag sowie eine Radikalisierung und Verlagerung zu ausserinstitutionellen Aktivitäten festgestellt werden
[10]. Sozialpsychologisch ansetzende Deutungen vermuteten sogar, dass — analog zur «Verteilungsfrage» während den Jahren des Wirtschaftswachstums — nun dem Umweltbewusstsein im Zusammenhang mit der Suche nach alternativen Lebensweisen eine generationenprägende Rolle zukommt
[11].
Hauptpunkt der gesetzgeberischen Tätigkeit auf nationaler Ebene war die Beschlussfassung über das
Umweltschutzgesetz. Damit wurde die seit der Annahme des Umweltschutzartikels im Jahre 1971 bestehende Gesetzeslücke geschlossen
[12]. Gegenüber dem Beschluss der Volkskammer vom Vorjahr widersetzte sich der Ständerat vorerst einer institutionalisierten Verbands-, Behörden- und Gemeindebeschwerdemöglichkeit. Von Unternehmerseite wurde dabei eine mangelnde Legitimierung der bestehenden Umweltorganisationen ins Feld geführt. Vertreter aus Randregionen fochten mit föderalistischen Argumenten gegen Eingriffsrechte nationaler Organisationen
[13]. Die durch das Waldsterben sensibilisierte Offentlichkeit reagierte jedoch heftig auf diesen Versuch, das Umweltschutzgesetz zu verwässern. Zur Sicherung der Beschwerdemöglichkeiten erwogen die Sozialdemokraten, eine Umweltschutzinitiative zu lancieren. Die betroffenen Umweltorganisationen stellten ihrerseits ein Referendum in Aussicht
[14]. Im Differenzbereinigungsverfahren bekräftigte jedoch der Nationalrat seinen früheren Entscheid. Unter Namensaufruf beschloss er mit 141: 38 Stimmen eindrücklich, an den Beschwerderechten festzuhalten, und veranlasste damit den Ständerat zum Nachgeben im letzten strittigen Hauptpunkt
[15].
In den Schlussabstimmungen genehmigten beide Kammern oppositionslos das neue Gesetz. Es fordert den Schutz des Menschen und der Umwelt. Anfallende Schäden sollen durch den Verursacher gedeckt werden. Feste Anlagen werden in Zukunft einer
Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen. Beschwerden können von Umweltverbänden mit einer gewissen Aktivitätsdauer und von verschiedenen Behörden eingereicht werden. — In ersten Gesamtbeurteilungen akzeptierten die Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz (SGU), der Schweizerische Bund für Naturschutz (SNB) und der World Wildlife Fund (WWF) das erreichte Resultat als ein Minimum. Sie kritisierten, dass sich das Gesetz weitgehend auf den Immissionsschutz beschränke. Seine Griffigkeit werde sich in den bundesrätlichen Verordnungen erweisen müssen. Von Arbeitgeberseite wurde das neu geschaffene Instrument als epochemachend gewürdigt. Die ursprünglich bekämpfte Umweltverträglichkeitsklausel wurde als nützliche Präventivmassnahme hervorgehoben. Bedenken blieben dagegen beim Beschwerderecht der Umweltvereinigungen bestehen. Für die folgenden Verordnungen wünschten sie, dass sie vom Prinzip der Verhältnismässigkeit geleitet sein würden
[16].
Luft
Auch in speziellen Bereichen der Umweltproblematik kündigten sich im Berichtsjahr neue Entwicklungen an
[17]. Als bedenkliche Folge der Luftverschmutzung erregte der «
Saure Regen» die öffentliche Aufmerksamkeit. Durch Verbrennung von Öl und Kohle zu Heizzwecken, in der Industrie und im Verkehr wird unter anderem Schwedeldioxid als primärer Schadstoff produziert, der in der Luft durch fotochemische Prozesse umgewandelt wird. Teilweise durch nasse, teilweise durch trockene Ablagerungsprozesse werden die sekundären Schadstoffe aus der Luft ausgeschieden und können als Saurer Regen auf die Erde fallen. Zu den wichtigsten Schäden des Sauren Regens gehören die Übersäuerung von Böden und Gewässern, die Korrosion von Metallen und möglicherweise auch das Waldsterben. Weil der Umwandlungsprozess jedoch nur langsam abläuft, verteilen sich die Emissionen räumlich und sind die Auswirkungen nicht regional beschränkt. Veröffentlichte Schätzungen ergaben, dass ein grosser Teil der Schwefelverbindungen :in den Niederschlägen der Schweiz aus den umliegenden Industriestaaten stammt
[18].
Wirkungsvolle
Bekämpfungsmassnahmen mussten demnach grenzüberschreitend angestrebt werden. Aufgrund einer 1979 abgeschlossenen Konvention zur weiträumigen Bekämpfung des Sauren Regens nahm die UNO-Wirtschaftskommission für Europa Mitte Jahr ihre Arbeit auf. Die Schweiz, welche die Übereinkunft anfangs 1983 ratifiziert hatte, verlangte gemeinsam mit der deutschen Bundesrepublik (BRD), Österreich und den nordischen Staaten eine Reduktion wichtiger Schadstoffe um 30% in den nächsten 10 Jahren. Die Forderung fand jedoch nur in abgeschwächter und nichtverbindlicher Form Aufnahme ins Vertragswerk. Vor allem die Furcht vor Auswirkungen auf die Wirtschaftslage war für die Zurückhaltung in einigen west- und osteuropäischen Delegationen verantwortlich
[19]. Im Nationalrat wurde eine von Doris Morf (sp, ZH) eingereichte Motion zur weiteren Erforschung des Sauren Regens und zur Festlegung verbindlicher Grenzwerte auf bilateralem Wege gutgeheissen
[20].
Umfassend betrachtet konstatierte man in der Schweiz im Jahresvergleich eine deutliche Zunahme der Luftverunreinigung. Besonders besorgniserregend erwies sich die Steigerungsrate bei den zu drei Vierteln vom Autoverkehr produzierten Stickstoffdioxiden. In mehreren Agglomerationen musste ein Überschreiten der empfohlenen Immissionshöchstwerte festgestellt werden, und an verkehrsexponierten Standorten ergaben sich gar Mittelwerte, welche zwei- bis dreimal über den Limiten des Bundesamtes für Umweltschutz (BUS) lagen
[21]. Die politischen Auseinandersetzungen über die Bekämpfungsmassnahmen kreisten um die
Verschärfung der geltenden Abgasvorschriften zur Beschränkung von Schadstoffen und um die Einführung von bleifreiem Benzin. Mehrere Motionen wurden vom Nationalrat angenommen, welche verlangten, dass die Umstellung auf die neue Benzinsorte gefördert oder bis 1986 obligatorisch erklärt werde. Unterstützt wurden sie durch eine im Dezember vom baselländischen Kantonsparlament lancierte Standesinitiative zur Reinhaltung der Luft. Das ohne Gegenstimme verabschiedete Begehren verlangt im wesentlichen, dass in der gleichen Zeitspanne die Abgabe von genügend bleifreiem Benzin eingeführt und der Schwefelgehalt von Dieseltreibstoffen und Heizölen gesenkt werden
[22]. In den publizistischen Debatten wurde dagegen festgestellt, dass kurzfristig keine allgemein akzeptierten Konzepte bestünden. Geteilt waren die Meinungen über die für 1985 geplante weitere Verschärfung der Abgasvorschriften. Im vorübergehenden Stocken der Vorbereitungen zur Einführung von bleifreiem Benzin in der BRD sah Bundesrat Egli jedoch eine Rechtfertigung des schweizerischen Vorgehens. Dieses hatte 1982 den Weg über die Reduktion der Abgase vorgezogen, weil er unabhängiger von gesamteuropäischen Entwicklungen verwirklicht werden kann. Zur Unterstützung der gesetzlichen Schritte lancierte das EDI Ende Jahr eine Kampagne, welche die Bevölkerung auf freiwilliger Basis zur Mithilfe gegen die Luftverschmutzung aufrief
[23].
Gewässerschutz
Auch im Bereich des Gewässerschutzes wurde ein neues Volksbegehren lanciert
[24]. Die «
Initiative zur Rettung unserer Gewässer» betrifft den Schutz der Flüsse und ihrer Uferbereiche. Mit einem detaillierten Verfassungstext will das Initiativkomitee, welches von alt Nationalrat E. Akeret (svp, ZH) präsidiert wird, bauliche Beeinträchtigungen nur noch zulassen, wenn übergeordnete Interessen dies zwingend erfordern. Rein wirtschaftliche Vorteile wären dem Schutzziel unterzuordnen
[25]. Getragen wird das neue Volksbegehren vom Schweizerischen Fischereiverband sowie von acht Umwelt- und Naturschutzorganisationen. Das Echo in den Medien war wohlwollend. So vorteilhaft sich die Bilanz der letzten Jahre beim qualitativen Schutz der Flüsse präsentiere, sowenig erfreulich sei die Lage aus umfassender Perspektive. Einzig aus föderalistischer Sicht wurde angemerkt, bei Annahme des Verfassungsartikels würden die Kantone ihre Wasserhoheit weitgehend verlieren
[26]. Noch vor Jahresende konnte das Initiativkomitee jedoch bekanntgeben, die nötige Unterschriftenzahl für das Volksbegehren sei bereits gesammelt worden
[27].
Das Problem der
Wassernutzung für die Stromproduktion wurde im Frühjahr wieder aktuell. Wegen der rund 40 vorliegenden Projekte für weitere Wasserkraftwerke beauftragte der Bundesrat eine Expertenkommission unter dem Vorsitz von J.-F. Aubert (lp, NE) mit der Revision des Gewässerschutzgesetzes. Erwartet wird eine Präzisierung der gesetzlich verankerten, rechtlich aber unklaren «Restwassermenge»
[28]. Ende Jahr reichte W. Loretan (fdp, AG) im Nationalrat eine weitergehende Motion ein, mit der er einen dringlichen Bundesbeschluss gegen den zusätzlichen Ausbau der Wasserkraftwerke in bereits genutzten Gewässern forderte
[29].
Der
Phosphatgehalt
in den Waschmitteln gehört gleichfalls zu den dauernden Problemen beim Gewässerschutz. Eindämmungsmassnahmen gegen die Übersättigung verschiedener Seen werden seit 1977 getroffen
[30]. Gestützt auf Empfehlungen der Eidgenössischen Gewässerschutzkommission hatte Bundesrat A. Egli das BUS auch mit der Vorbereitung eines Phosphatverbots durch eine Wachsmittelverordnung beauftragt. In der Öffentlichkeit waren die Reaktionen positiv. Nur gegen die für Phosphat empfohlene Alternative NTA (Natriumtriessigsäure) wurden Zweifel geäussert. Das Bundesamt für Gesundheitswesen konnte immerhin Bedenken wegen angeblich krebsfördernder Wirkung ausräumen. Dagegen machten vor allem grössere Waschmittelfabrikanten negative Erfahrungen im Ausland geltend, wonach NTA Schwermetalle löse und Spurenelemente ins Trinkwasser gelangen könnten
[31].
Lärm
Klagen werden immer wieder wegen Belastungen durch den Lärm laut. Juristisch gesehen bestand schon seit der Aufnahme des Umweltartikels in die Verfassung die Möglichkeit einer Lärmbekämpfung durch den Bund. Mit dem neuen Umweltschutzgesetz wurde nun ein vom BUS entwickeltes dreistufiges System von Belastungslimiten eingeführt. Ausgangspunkt bildet eine mittlere Stufe mit sogenannten Immissionsgrenzwerten. Diese werden so festgesetzt, dass die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich gestört wird. Tieferliegende Planungswerte bilden die untere Stufe. Sie werden als Richtschnur für zukünftige Anlagen und neue Bauzonen herangezogen. Eine obere Stufe schliesslich enthält Alarmwerte, welche Anhaltspunkte für die Beurteilung dringlicher Sanierungen geben
[32]. Die Diskussion im Verlaufe des Jahres ergab allerdings, dass das Wohlbefinden auch von subjektiven Präferenzen abhängig ist und nur ungenügend durch allgemeingültige, technisch definierte Limiten erfasst werden kann. Das BUS, die SGU sowie eine Fachtagung im Rahmen der Basler Messe «Pro Aqua — pro Vita 83» stellten die generelle Bekämpfung des Strassenlärms in den Vordergrund, während andere Stimmen Vorbehalte gegen neue Formen des Fliegens äusserten
[33].
Abfälle
1976 hatte sich in der oberitalienischen Stadt Seveso ein Chemieunfall ereignet, bei dem hochgiftiges Dioxin an die Umwelt gelangte. Als Muttergesellschaft der betroffenen Icmesa AG war der Schweizer Chemiekonzern Hoffmann-La Roche verantwortlich für die von schädlichen Abfällen verursachte Umweltkatastrophe
[34]. 1983 wurde die Öffentlichkeit durch die Frage beunruhigt, wo die 41 Fässer mit 215 g Dioxin und rund 2,5 t verseuchter Erde aus Seveso verblieben seien. Zu Jahresanfang mehrten sich die Hinweise, dass die ursprüngliche Version, das Material lagere in einer offiziellen Giftdeponie Europas, nicht stimmte und der genaue Standort den Verantwortlichen nicht bekannt war. Erschreckt durch diesen neuen Skandal tauchten in den Medien einem Schwarzpeterspiel vergleichbar verschiedene Gerüchte über den
Verbleib der Seveso-Fässer auf. Mit dem Vorwurf des Vertrauensbruchs riefen verschiedene in- und ausländische Organisationen zu Boykottmassnahmen gegen die Firma Hoffmann-La Roche auf
[35].
Diese wurde von der Bonner Regierung aufgefordert, die Öffentlichkeit über den Verbleib der Fässer zu informieren. Sie lehnte jedoch die Verantwortung ab und verwies auf die bundesdeutsche Firma Mannesmann, welche sich als Hauptgesellschaft für die ordnungsgemässe Lagerung der Abfälle verpflichtet habe. Später musste der Basler Chemiekonzern jedoch eingestehen, die Beseitigung sei seiner Kontrolle entglitten
[36]. Aus dem Berner Bundeshaus konnte man nach einer Umfrage bei den Kantonen mitteilen, es hätten sich keinerlei Hinweise für eine unbewilligte Lagerung in der Schweiz ergeben. Hingegen befänden sich weitere 133 Fässer mit nur schwach verseuchter Seveso-Erde zu Experimentierzwecken in Dübendorf
[37]. Nur zwei Tage später erfuhr die gespannte europäische Öffentlichkeit, das gesuchte Gift sei in Nordfrankreich gefunden worden. Während eines halben Jahres hätten die Fässer, als Teer deklariert, unbeaufsichtigt in einem alten Schlachthof in Angouilcourt bei Saint-Quentin gestanden
[38].
Von verschiedener Seite wurde nach dieser Entdeckung die moralische Verantwortung der Schweiz für die Übernahme der Zwischenlagerung betont. Die Basler Chemieunternehmungen meldeten, die Verbrennung des Dioxins biete keine grundsätzlichen Schwierigkeiten mehr. Der Bundesrat und die Basler Regierung gaben hierauf die Einwilligung für die vorläufige Lagerung bei der Firma Hoffmann-La Roche
[39]. Unter der Oberaufsicht des BUS begannen unverzüglich die Vorarbeiten für die Entsorgung. Eine für Frühjahr 1984 angekündigte Vernichtung in Basel wurde jedoch noch vor Jahresende abgesagt, da beim Verbrennungsofen der Ciba-Geigy Kapazitätsprobleme auftauchten und die benötigten Bewilligungen der eingesetzten Expertenkommissionen nicht vorlagen
[40].
Abfalldeponien beginnen auch unabhängig von spektakulären Unfällen eine erhöhte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. 1983 wurde erstmals im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Abfallwirtschaft die Zusammensetzung der 2,4 Mio t Abfälle in der Schweiz analysiert. Die Hälfte entfiel auf organische Stoffe wie Holz, Küchen- oder Gartenabfälle, ein Viertel auf Karton und Altpapier. Im Rest waren die Kategorien Kunststoffe, magnetische Metalle und Glas namhaft. Es wurde die Forderung laut, angesichts der Verschwendung von Rohstoffen und Energie den Abfallberg durch dringend nötige Verhaltensänderungen zu verkleinern oder ihn mindestens wiederzuverwerten
[41].
Natur- und Heimatschutz
Der Natur- und Heimatschutz sieht sich weiterhin mit Auswirkungen des Verkehrs und des Tourismus konfrontiert
[42]. Die negativen Folgen des grossen Besucherandrangs auf den Nationalpark bereiteten der Parkverwaltung ernsthafte Sorgen und bewogen sie zu verstärkter Aufklärungsarbeit. Nachdem der Schutz von Seeuferzonen 1982 einige Erfolge erzielt hatte, wurde ausgehend vom Naturschutzzentrum Champ-Pittet (VD) am Neuenburgersee eine nationale Kampagne zum verstärkten Schutz solcher Landschaften lanciert. Die Organisatoren äusserten den Wunsch, dass beim Treffen der europäischen Umweltminister im Frühjahr 1984 die Probleme behandelt werden, die aus den Entwicklungen bei Freizeitaktivitäten und im Verkehrswesen entstanden sind
[43].
Aufnahme ins
UNESCO-Verzeichnis der Weltkulturgüter fanden im Berichtsjahr das Kloster Müstair (GR) sowie der St. Galler Stiftsbezirk. Beiden Sehenswürdigkeiten wurde von der UNO-Kulturorganisation mit «Unvergleichbarkeit» ein Prädikat zugesprochen, das bisher erst 136 Kultur- oder Naturobjekte der Welt erhalten haben. Mit der Begründung, die Berner Altstadt sei zu sehr nur noch eine Kulisse schöner Fassaden, wurde dagegen der dritte schweizerische Vorschlag abgelehnt. Zur besseren Beurteilung des historischen Werts der Berner Bauten wollen die Stadtbehörden jetzt eine neue Dokumentation erstellen
[44].
[1] Allgemeiner Überblick zum Waldsterben: C. Bosch, Die sterbenden Wälder, München 1983. Für die Schweiz: F. A. Schweingruber (Hg.), Eine jahrringanalytische Studie zum Nadelbaumsterben in der Schweiz, Birmensdorf 1983 ; U. Hugentobler / H. Stricker (Hg.), Thurgauer Wald—Waldsterben, Frauenfeld 1983 ; vgl. auch SPJ, 1982, S. 115. Zum möglichen «Treibhauseffekt» infolge Vermehrung von Kohlendioxid als weiterer umfassender Umweltbedrohung vgl. NZZ, 27.4.83; TW, 23.7.83.
[2] H. F. Schwarzenbach, Das Waldsterben als politische Herausforderung, hg. von der Eidg. Anstalt für das forstliche Versuchswesen, Birmensdorf 1983, sowie Das Waldsterben in der Schweiz, Eine Dokumentation des Bundesamtes für Forstwesen, 1984.
[3] Erste Diskussionen unter dem Begriff «Waldsterben» drehten sich um Schäden in der BRD (Vr, 27.5.83; TW, 27.7.83). In den Publikationen zur Bundesfeierspende, welche für den Wald gesammelt wurde, ging man noch von einzelnen gefährdeten Waldgebieten aus (Bund, 14.5.83 ; NZZ, 28.6.83 ; Bundesamt für Forstwesen, Der Wald in der Schweiz, Bern 1983). Erstmals auf schweizerische Verhältnisse angewendet wurde der Begriff «Waldsterben» nach den alarmierenden Berichten von Forstleuten anfangs August (TA, 4.8.83 ; 11.8.83 ; westschweizerische Presse vom 2.9.83).
[4] Ursachenanalysen in der Presse: NZZ, 31.8.83; 2.9.83; 1.10.83; 10.10.83; Vat., 2.9.83; 1.12.83; TA, 16.9.83; 29.10.83; TAM, 40, 15.10.83. Haltung des BR: BaZ, 31.10.83.
[5] Vgl. Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1453 ff. Im StR wurde die SVP-Motion, eingereicht durch StR Gerber (BE), in der gekürzten Fassung des NR ebenfalls überwiesen (Amtl. Bull. StR, 1983, S. 536 ff.). Vgl. BaZ, 24.9.83; Presse vom 5. u. 7.10.83.
[6] Lancierung: NZZ, 7.3.83; 24 Heures, 9.3.83. Laufende Berichte: Suisse, 3.4.83; TA, 9.6.83. Zur Kritik der Messmethoden: Bund, 30.12.83.
[7] TA, 7.10.83; vgl. auch: «Thesen des Bundesamtes für Umweltschutz zum Waldsterben», in Das Waldsterben in der Schweiz, Eine Dokumentation des Bundesamtes für Forstwesen, 1984.
[8] Sofortprogramm der Umweltorganisationen zur Rettung des Waldes, Pressedokumentation, Zürich 1983; vgl. auch SGU-Bulletin, 1984, S. 3 ff. ; NZZ, 29.8.83 ; Vr, 30.8.83 ; TA, 10.9.83 ; 8.10.83 ; LNN, 30.11.83 ; LdU/EVPFraktion der Bundesversammlung, Grün-Buch, Bern 1983; ferner TA, 16.12.83. Gutachten der Zürcher Rechtsprofessoren: NZZ, 21.12.83.
[9] Isopublic, Behandlung wichtiger Probleme durch das Parlament, Zürich 1983; vgl. auch Schweizer Illustrierte, 42, 24.10.83. Für 1979 vgl. Unser Parlament 1979/83 und was das Volk von ihm erwartet, Zürich 1980 (Sep. aus TA).
[10] Schätzungen deuteten darauf hin, dass eine unkonventionelle Umweltvereinigung wie der World Wildlife Fund (WWF) bereits eine grössere Anhängerschaft hinter sich weiss als eine konventionelle Gruppierung wie der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN); vgl. E. Gruner / H. P. Hertig, Der Stimmbürger und die « neue» Politik, Bern 1983, S. 299.
[11] Zum Umweltbewusstsein als neuem Politik-Paradigma: TA, 1.7.83; SP-Information, 150, 26.10.83 sowie W. Mäder, «The Alternative Movement in Switzerland », in A. Sicinski / M. Wemegah (Ed.), Alternative Ways of Life in Contemporary Europe, Tokyo 1983. Konsequenzen für das politische System zeigt P. Knoepfel, Changing local-central relations in environmental policies, Lausanne 1983.
[12] BV-Artikel : SPJ, 1971, S. 119 f. Geschichte des Umweltschutzgesetzes: SPJ, 1979, S. 123 f. ; 1982, S. 113 f. sowie TAM, 22, 11.6.83; Bund, 6.12.83.
[13] Ausgangslage: Bund, 14.6.83; SPJ, 1982, S. 113 ff. Entscheid der StR-Kommission: BaZ, 21.5.83; Presse vom 25.5.83. Begründung: SGT, 8.6.83 (StR Bürgi); NZZ, 14.6.83 (NR Stucky). Kritiken: NZZ, 30.5.83 (SPS); SGT, 9.6.83 (NR Kopp). StR-Debatte : Amtl. Bull. StR, 1983, S. 239 ff.; 251 ff.; 269 ff.; 322 ff.; Presse vom 15.-17.6.83; 23.6.83.
[14] SP-Initiative: Presse vom 12.9.83; vgl. auch unten, Teil III a (Parti socialiste).
[15] NR-Kommission: Bund, 13.9.83. NR-Debatte: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1160 ff.; 1333 ff.; 1554 ff.; Presse vom 22. u. 23.9.83. StR-Kommission: BaZ, 27.9.83; TA, 27.9.83. StR-Debatte: Amtl. Bull. StR, 1983, S. 518 ff.; 584 ff ; Presse vom 30.9.83.
[16] Definitiver Text: BBl, 1983, III, S. 1040 ff.; Bund, 4.10.83. Kommentare: NZZ, 30.9.83; BaZ, 8.10.83 (Umweltorganisationen); wf. Dok., 41, 10.10.83 (Arbeitgeber).
[17] Überblick: NZZ, 10.3.83.
[18] BUS (Bundesamt für Umweltschutz), Saurer Regen, Pressedokumentation, Bern 1983; vgl. auch TLM, 25.4.83; Bund, 16.6.83; 24 Heures, 2.7.83; TA, 4.10.83. Wanderungsbilanz: Bund, 23.6.83; Umweltschutz in der Schweiz, 1984, Nr. I, S. 1 ff.
[19] Ratifizierung des «Übereinkommens über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung»: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 117 f.; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 151 ff.; vgl. NZZ, 1.3.83; 18.3.83. Tagung in Genf: vgl. NZZ, 8.6.83; 15.6.83. Generell zur Implementationsproblematik: P. Knoepfel / H. Weidner, Die Durchsetzbarkeit planerischer Ziele auf dem Gebiet der Luftreinhaltung aus der Sicht der Politikwissenschaft, Lausanne 1983.
[20] Vgl. Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1459 ff.
[21] BUS, Luftbelastung 1982, Bern 1983; vgl. Presse vom 17.9.83.
[22] Motionen der CVP-Fraktion und von NR Graf (svp, ZH) (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1462 ff.) sowie von NR Biderbost (cvp, VS) (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1498 ff. Standesinitiative BL: BaZ, 2.12.83; 6.12.83. Praktisch gleichzeitig überwiesen beide Kammern der eidg. Räte eine weitere Standesinitiative aus GE betreffend den Schutz der Atmosphäre vor Giften (Amtl. Bull. StR, 1983, S. 715; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 144; NZZ, 6.10.83; 16.12.83).
[23] Vgl. SPJ, 1982, S. 116. Stimmen zur Verschärfung der Abgasvorschriften 1985: Schweiz. Vereinigung für Gesundheitstechnik (Vr, 26.8.83; positiv); Reden zum Genfer Automobilsalon (Ww, 8, 2.3.83; negativ). Haltung von BR Egli: LNN, 25.1.83. Sympathiekampagne des EDI: Suisse, 3.12.83; TA, 3.12.83.
[24] Einen Überblick über laufende Probleme und politische Reaktionen gibt NZZ, 20.10.83.
[25] Vgl. Presse vom 30.5.83; BBl, 1983, II, S. 354 ff. Grundlegende Informationen geben T. Winzeler, Erläuternder Bericht zur Volksinitiative zur Rettung unserer Gewässer, Bern 1983; Fischerei-Pachtverband Emmental, Zustand der Gewässer im Emmental, Burgdorf/Langnau 1982 sowie Bund, 24.1.83. Zum generellen Zustand der Fliessgewässer: BUS, Der Zustand der Schweizer Fliessgewässer, Bern 1983.
[26] NZZ, 3.6.83; 6.6.83; TA, 3.6.83; 24 Heures, 3.6.83. Föderalistische Kritik: Vat., 3.6.83.
[28] Unter der « Restwassermenge» versteht man jenen Wasseranteil, der nach einer Stauhaltung oder Ableitung bei einem natürlichen Flusslauf noch vorhanden sein muss. Vgl. TA, 15.2.83. Stand der Arbeiten Ende Jahr: SZ, 28.12.83.
[30] Generell: Vr, 26.7.83; TLM, 29.8.83. Genfersee: TA, 20.1.83; BaZ, 19.2.83; Suisse, 7.7.83; JdG, 6.9.83; 16.10.83. Vierwaldstättersee: LNN, 14.4.83; Vat., 22.4.83. Baldeggersee: TAM, 14, 16.4.83.
[31] Auftrag: Presse vom 10.5.83; vgl. SPJ, 1982, S. 115. Dokumentation zu dieser Frage: BUS, Warchmittelphosphate, Bern 1983. Zur Kontroverse: Bund, 10.5.83; NZZ, 10.5.83; 25.5.83; TA, 13.5.83; TAM, 41, 22.10.83. Phosphatfreies Waschen als Alternative: Arbeitskreis ökologisch Waschen, Wir steigen um auf Seifenflocken, Zürich 1983; vgl. auch TA, 10.5.83.
[32] BBl, 1983, III, S. 1040 ff.; vgl. auch AT, 1.6.83.
[33] Vgl. generell TA, 10.1.83. Strassenverkehrslärm: BUS, Strassenlärmmodell für überbaute Gebiete, Bern 1983. B. Böhlen (Hg.), Lärm — Strassenverkehrslärm, Basel 1983; Plan, 40/1983, Nr. 5, S. 14 ff.; TA, 7.10.83. Fluglärm : TW, 14.9.83 (NR Bircher).
[34] Vgl. SPJ, 1976, S. 116. Chronik seit 1976: Ww, 22, 8.6.83. Erläuterungen über Dioxin: BaZ, 3.5.83.
[35] NZZ, 14.1.83; 5.3.83; TW, 5.3.83; BaZ, 6.3.83. Boykott: Wochen-Zeitung, 15, 22.4.83.
[36] Forderung der BRD-Regierung: BaZ, 6.4.83. Erste Reaktionen der Hoffmann-La Roche: Presse vom 7.-12.4.83. Schweizerische Selbstkritik: BaZ, 13.4.83; 22.4.83; BZ, 14.4.83; NZZ, 18.4.83; Ww, 15, 20.4.83. Zusammenfassend: TAM, 17, 7.5.83. Anklage des EG-Parlaments und des Europarates: BaZ, 15.4.83; 27.4.83; NZZ, 15.4.83. Gesetzgebung der EG: BaZ, 6.5.83.
[37] TA, 4.5.83; 14.5.83; Presse vom 17.5.83.
[38] Presse vom 20.5.83. Parallel zur Suche der Fässer liefen die letzten Vorbereitungen für den Prozess gegen die fünf Hauptverantwortlichen der Icmesa AG, der jedoch zweimal vertagt werden musste (Wochen-Zeitung, 14, 15.4.83; 25, 1.7.83; 38, 30.9.83; Bund, 18.4.83; BaZ, 13.5.83).
[39] Bereitschaft der Basler Chemie: BaZ, 21.5.83. «Moralische Verpflichtung» der Schweiz: Presse vom 17.5.83; NZZ, 18.5.83; 3.6.83; BaZ, 3.6.83. Behördliche Bewilligung: Presse vom 2.6.83. Reaktionen: BaZ, 10.6.83. Transport in die Schweiz: Presse vom 6.6.83.
[40] TA, 7.6.83; BaZ, 15.6.83; 20.7.83; 5.9.83; 26.11.83; Ww, 34, 31.8.83; NZZ, 17.11.83.
[41] Vat., 23.4.83; BaZ, 31.5.83; SGT, 4.6.83; LNN, 20.10.83. Recycling: Vr, 4.5.83; NZZ, 21.5.83; Vat., 4.10.83; Gemeinde und Umweltschutz, hg. von der Aktion Saubere Schweiz, 1983.
[42] Die Volksinitiative zum Schutz der Moore («Rothenthurm-Initiative») wurde oben, Teil I, 3 (Infrastrukturanlagen) behandelt.
[43] Nationalpark: TA, 27.6.83. Sympathie-Kampagne des SBN: BaZ, 18.5.83; TLM, 18.5.83.
[44] TA, 4.8.83; NZZ, 8.8.83; Bund, 11.8.83.