Wirtschaft
Allgemeine Wirtschaftspolitik
Bei steigender Inflation verflachte sich das Wirtschaftswachstum. – Der Bauerverband verstärkte die Reihen der Gegner der Patentgesetzrevision. – Das Parlament stimmte dem indirekten Gegenentwurf zur Preisüberwachungsinitiative zu. – Der Nationalrat befasste sich mit der Revision des Aktienrechtes. Umstritten waren vor allem die Bestimmungen über die vinkulierten Namenaktien.
Konjunkturlage
In den OECD-Staaten bot die Konjunktur sowohl im zeitlichen Verlauf als auch im geografischen Vergleich ein uneinheitliches Bild. Das reale Wirtschaftswachstum sank gemäss ersten Schätzungen gegenüber dem Vorjahr von 3,4% auf 2,8 %. Die Abschwächung erfolgte vor allem in der zweiten Jahreshälfte. Sie war zu einem guten Teil auf die restriktive Geldpolitik der Jahre 1988 und 1989 zurückzuführen, welche verschiedene Notenbanken zur Dämpfung der damaligen Konjunkturüberhitzung betrieben hatten. Der Konflikt in der Region des persischen Golfes und die damit verbundene Verteuerung des Erdöls wirkte sich zwar auf die Inflationsraten, aber noch nicht auf das wirtschaftliche Wachstum aus.
Von der konjunkturellen Abschwächung waren allerdings nicht alle Staaten betroffen. In den USA und Grossbritannien reduzierte sich das Wirtschaftswachstum auf rund 1 % und auch in Frankreich und Italien verlor die Konjunktur an Schwung. Auf der anderen Seite konnten Japan und Westdeutschland (Gebiet der alten BRD) ihr reales Wachstum aufgrund der lebhaften Binnennachfrage noch steigern. Die Arbeitslosigkeit ging im OECD-Raum im Jahresmittel leicht zurück, in der zweiten Jahreshälfte zeichnete sich jedoch eine Trendumkehr ab. Die Teuerung blieb auf einem hohen Niveau und erhielt durch die massiven Preissteigerungen beim Erdöl in der zweiten Jahreshälfte sogar noch zusätzlichen Auftrieb.
Das in den
Entwicklungsländern erzielte reale Wachstum von durchschnittlich gut 2% wurde in Anbetracht des niedrigen Ausgangsniveaus und des starken Bevölkerungswachstums als unbefriedigend bezeichnet. Zudem verlief die Entwicklung regional sehr unterschiedlich. Während im asiatischen Raum und in den erdölexportierenden Ländern überdurchschnittliche Wachstumsraten erzielt wurden, stagnierte die Entwicklung in den Ländern südlich der Sahara und in Lateinamerika
[1].
In der Schweiz hielt die Hochkonjunktur auch 1990 an, aber das reale Wirtschaftswachstum schwächte sich leicht ab. Gemäss ersten Schätzungen nahm das reale Bruttoinlandprodukt noch um 2,6% zu. Die Warenexporte und die Ausrüstungsinvestitionen erreichten die Steigerungsraten des Vorjahres nicht mehr, sie bildeten aber trotzdem die Hauptstützen des Wachstums. Besonders markant fiel die Abschwächung bei den Bauinvestitionen aus, wo sich die hohen Kapitalkosten und die allgemeinen Lohn- und Preissteigerungen im Jahresverlauf immer stärker auswirkten. Mit Ausnahme der laufenden Käufe des Staates und der Sozialversicherungen sowie dem privaten Konsum, welche etwas anstiegen resp. konstant blieben (3,1 % resp. 2,0%), schwächte sich bei allen Komponenten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung das Wachstum ab; die Dienstleistungsexporte bildeten sich sogar leicht zurück. Die Abschwächung akzentuierte sich im letzten Quartal, als Bau und Ausrüstungsinvestitionen, aber auch die Exporte von Gütern und Dienstleistungen die realen Werte der entsprechenden Vorjahresperiode nicht mehr erreichten. Die Zunahme der realen Güter- und Dienstleistungsimporte blieb mit 3,5% ebenfalls unter dem Vorjahreswert, sie übertraf allerdings das Wachstum der Exporte (2,7%).
Nach provisorischen Schätzungen hat sich 1990 der Überschuss der
Ertragsbilanz, welcher 1989 rückläufig war, um 1,3 Mia auf 13,5 Mia Fr. erhöht. Diese Entwicklung hatte ihre Ursache vor allem in der unterschiedlichen Preisentwicklung im Aussenhandel: der erstarkte Franken führte zu grösseren Erlösen bei den Exporten und damit zu einer deutlichen Reduktion des Defizits im Warenverkehr
[2].
Die Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums wirkte sich auf die
Beschäftigungslage noch nicht negativ aus. Im Gegenteil, die Zahl der Beschäftigten stieg mit 1,4% sogar noch etwas stärker als in den vergangenen Jahren. Die Wachstumsrate war in der Industrie etwas höher, im Dienstleistungsbereich etwa gleich gross und im Baugewerbe markant tiefer als im Vorjahr. In der verarbeitenden Produktion erzielte wiederum die Uhrenindustrie ein Spitzenwachstum, während sich der Beschäftigungsabbau in der Textil- und Bekleidungsindustrie fortsetzte. Im Dienstleistungssektor verzeichneten für einmal nicht die Banken und Versicherungen die höchsten Zuwachsraten, sondern der Bereich der sozialen Heime, Institutionen und Kirchen. Die Frauen haben, sowohl prozentual wie auch absolut, stärker zum Beschäftigungszuwachs beigetragen als die Männer. Die neu Beschäftigten rekrutierten sich auch 1990 per saldo aus ausländischen Personen, wobei wiederum vor allem die Zahl der Grenzgänger zunahm. Die Zahl der Arbeitslosen blieb im Jahresdurchschnitt mit 18 133 praktisch konstant, wobei allerdings im 4. Quartal eine deutliche Zunahme festzustellen war. Ihr Anteil am Total der Beschäftigten machte im Jahresmittel 0,7% und im Dezember 0,8% aus
[3].
Der Index der industriellen
Produktion nahm mit 2% etwa gleich stark zu wie im Vorjahr. Die 1989 stagnierende Maschinenindustrie konnte ihre Produktion um 8% steigern. Auf der Verliererseite stand erneut die Textilindustrie. Die
Investitionen wuchsen nur noch um 2,6%, obwohl die Wachstumsrate bei den Ausrüstungsinvestitionen leicht anstieg. Die Verflachungstendenz in der Bauwirtschaft liess sich nicht allein am geringen Wachstum der Bauinvestitionen ablesen, sondern auch an der Stagnation bei Auftragsbestand und -eingang
[4].
Im Tourismus wurden wiederum sehr gute Ergebnisse erzielt, wenn auch die Zuwachsraten unter denjenigen des Vorjahres blieben. Die Zahl der Logiernächte erhöhte sich um 1 %, wobei das Wachstum erneut dem lebhafteren Zuspruch ausländischer, insbesondere amerikanischer Gäste zuzuschreiben war. Von dieser Steigerung profitierte die Hotellerie am meisten. Die Anzahl der Hotelübernachtungen nahm um 1,5% zu und übertraf damit das bisherige Rekordergebnis aus dem Jahr1981
[5].
Die
Teuerung beschleunigte sich weiter. Der Landesindex der Konsumentenpreise erreichte im Oktober mit einem Jahreszuwachs von 6,4% den höchsten Wert seit Dezember 1981. Bis Ende 1990 schwächte sich die Inflation dank einem Rückgang der importierten Teuerung wieder auf 5,3% ab; im Jahresmittel lag der Konsumentenpreisindex um 5,4% über dem Vorjahreswert. Trotz den Erdölpreissteigerungen im Zusammenhang mit der Golfkrise war die Inflationsrate bei den inländischen Waren grösserals bei den Importen (5,8% resp. 4,4%). Uberdurchschnittlich stark erhöhten sich die Mietkosten, bei denen sich der weitere Anstieg der Hypothekarzinsen und der ausgetrocknete Wohnungsmarkt auswirkten. Im internationalen Vergleich der Teuerungsraten lag die Schweiz im Mittelfeld der Industriestaaten. Der Index der Konsumentenpreise stieg etwa gleich stark an wie in der EG insgesamt und in den USA; in Frankreich und Deutschland hingegen waren die Preise um einiges stabiler. Der Teuerungsindex des Grosshandels baute sich im Jahresmittel auf 1,5% ab. Auch hier war die Teuerung weitgehend hausgemacht: der Preisindex der Inlandwaren stieg um 2,3%, derjenige für importierte Erzeugnisse bildete sich vor allem infolge des wieder stärker gewordenen Schweizer Frankens um 0,9% zurück
[6].
Konjunkturpolitik
In Anbetracht der konjunkturellen Überhitzung, der zunehmenden Teuerung und dem Ende 1989 eingetretenen Kursverlust des Schweizer Frankens setzte die Nationalbank ihre
Politik des knappen Geldes fort. Als sich im Jahresverlauf eine Verflachung des Wirtschaftswachstums abzeichnete und sich der Franken von seiner Schwäche wieder erholt hatte, lockerte sie die Zügel etwas, ohne jedoch einen grundlegenden Kurswechsel vorzunehmen. Die bereinigte Notenbankgeldmenge bildete sich gegenüber dem Vorjahr leicht zurück
[7].
Obwohl der geldpolitische Kurs der Nationalbank nach wie vor die Zustimmung des Bundesrates fand, kam es zwischen den beiden Instanzen doch zu einer kleineren Kontroverse über die
Zinspolitik. Eine gewollte Konsequenz der restriktiven Geldmengenpolitik bestand in einer Erhöhung der Zinssätze und damit einer konjunkturdämpfenden Verteuerung der Kredite. Wegen der im Mietrecht vorgesehenen Koppelung der Wohnungsmieten an die Hypothekarzinsen ergab sich daraus allerdings ein starker Anstieg der Mietkosten. Dies führte zu massivem politischem Druck zugunsten von politischen Interventionen auf die Zinspolitik. Der Bundesrat sah sich zum Handeln veranlasst und beantragte, trotz negativer Stellungnahmen der Nationalbank und von Experten, die Hypothekarzinsen für drei Jahre einer konjunkturpolitischen Preisüberwachung zu unterstellen. Der Preisüberwacher hätte demnach die Kompetenz erhalten, Hypothekarzinserhöhungen zu verhindern oder hinauszuzögern. Die bürgerliche Ratsmehrheit entschied sich dann für die mildere Form der wettbewerbspolitischen Kontrolle, welche Interventionen nur bei kartellistischen Absprachen der Banken erlaubt
[8].
Die vor einem Jahr vom EVD eingesetzte Expertenkommission konnte ihren Entwurf zu einem
Stabilitätsgesetz, welches das Gesetz über Krisenbekämpfung und Arbeitsbeschaffung ablösen soll, vorlegen. Der als Rahmengesetz konzipierte Entwurf versucht, den Konjunkturartikel der Bundesverfassung zu konkretisieren
[9].
Strukturpolitik
Die namentlich von der Chemieindustrie geforderte Revision des Patentgesetzes, welche es ermöglichen soll, auch
Erfindungen auf dem Gebiet der Biotechnologie vor nicht autorisierten Nachahmungen zu schützen, war weiterhin sehr umstritten. Die bisher vor allem aus dem links-grünen Lager kommende Kritik am bundesrätlichen Entwurf erhielt Unterstützung vom Schweizerischen Bauernverband. Dieser teilte die Befürchtungen der Entwicklungshilfeorganisationen, dass die Landwirte die Vermehrungsrechte für patentrechtlich geschützte Tiere und Pflanzen mit der Entrichtung von Lizenzgebühren an die grossen Chemiekonzerne erkaufen müssten. In der vorberatenden Nationalratskommission scheiterte ein Rückweisungsantrag der SP nur knapp. Eine neue Situation entstand nach der Sommersession, als der Ständerat einen Gegenvorschlag zur "Beobachter-Initiative" verabschiedet hatte, welcher für die Gentechnologieforschung restriktive Bedingungen aufstellt. Dies veranlasste die Kommission, die Arbeit an der Patentgesetzrevision zurückzustellen, bis der Nationalrat zu diesem Gegenvorschlag Stellung genommen hat
[10].
Nachdem der Vorentwurf für eine
Totalrevision des genau hundertjährigen Markenschutzgesetzes in der Vernehmlassung gut aufgenommen worden war, unterbreitete der Bundesrat im Herbst den Gesetzesentwurf dem Parlament. Die umfassende Reform bringt eine Anpassung an die Veränderungen des Wirtschaftslebens und berücksichtigt die Markenschutzbestimmungen wichtiger anderer Staaten und dabei insbesondere das im Entstehen begriffene neue Markenschutzsystem der EG. Die wohl bedeutendste Neuerung besteht in der
Ausweitung des Markenschutzes auf Anbieter von Dienstleistungen. Banken, Versicherungen, Reisebüros und andere Unternehmen sollen in Zukunft die Erkennungszeichen ihrer Angebote (namentlich grafisch gestaltete Zeichen) unter Schutz stellen können. Neu sollen zusätzlich und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Formen einer Ware oder ihre Verpackung als geschützte Marke hinterlegt werden können. Gegenüber dem Vorentwurf nahm der Bundesrat lediglich eine bedeutende Anderung vor: Bei der Verletzung der Vorschriften über den Herkunftsort eines Gutes wurde auch den Berufs- und Wirtschaftsverbänden (inkl. Konsumentenorganisationen) die Klagelegitimation zuerkannt
[11]..
Beide Ratskammern überwiesen gegen den Widerstand des Bundesrates, der ein Postulat vorgezogen hätte, gleichlautende Motionen von Gadient (svp, GR) und Steinegger (fdp, UR) für eine
Aufstockung des Fonds für Investitionshilfe im Rahmen des Investitionshilfegesetzes für Berggebiete (IHG). Aus diesem Fonds werden zinsgünstige, rückzahlbare Darlehen für Infrastrukturvorhaben gewährt. Der Fonds stellt das wichtigste Instrument der regionalen Strukturpolitik dar; er war ursprünglich mit 500 Mio Fr. dotiert gewesen und infolge der grossen Nachfrage 1985 um 300 Mio Fr. erhöht worden. Die Verabschiedung dieser Motionen geschah vor dem Hintergrund einer Mitteilung der für die Zuteilung der Kredite zuständigen Zentralstelle für regionale Wirtschaftsförderung, dass ihr noch im Lauf des Jahres die Mittel ausgehen würden
[12]..
Wettbewerbspolitik
Der Nationalrat befasste sich in der Herbstsession als Erstrat mit der zweiten
Preisüberwachungsinitiative und dem dazu vom Bundesrat vorgelegten indirekten Gegenvorschlag. Dabei geht es primär um den Einbezug der
Zinsen und der administrierten, d.h. von politischen Behörden festgelegten oder bewilligten Preise in die bestehende Uberwachung der Preise, auf kartellierten oder sonst wettbewerbsschwachen Märkten. Im Vorfeld der Debatte hatten sich die Banken und der Vorort gegen einen Ausbau der Preisüberwachung ausgesprochen. Pikanterweise hatte der Nationalrat unmittelbar vor dieser Beratung einer dringlichen, aber zeitlich befristeten wettbewerbspolitischen Kontrolle der Hypothekarzinsen zugestimmt. Mit diesem Zugeständnis gegenüber den Mietern war die Annahme des Gegenentwurfs bereits vorgespurt. Obwohl sich die vorberatende Kommission nur äusserst knapp für Eintreten auf den Gegenvorschlag ausgesprochen hatte, wurde ein von der SVP, der LP und einer Minderheit der FDP unterstützter Nichteintretensantrag deutlich abgelehnt. In der Detailberatung setzten sich durchwegs die Formulierungen des Bundesrates durch. Da damit die Anliegen der Initiantinnen praktisch vollständig erfüllt waren, erwuchs dem Antrag, die Volksinitiative zur Ablehnung zu empfehlen, auch von seiten der Linken und des LdU keine Opposition
[13]. Der Ständerat schloss sich ohne grosse Diskussion dem Nationalrat an und schuf nur einige unbedeutende Differenzen, welche im Berichtsjahr noch nicht bereinigt worden sind
[14]..
Der Nationalrat befasste sich als Zweitrat mit dem
neuen Konsumenteninformationsgesetz und der Revision der Bestimmungen über Vertragsabschlüsse im Obligationenrecht. Umstritten war bei der ersten Vorlage der Einbezug der Dienstleistungen in die Deklarationspflicht und bei der zweiten ein Widerrufsrecht von bestimmten, ausserhalb von Geschäftslokalen abgeschlossenen Verträgen. Die Mehrheit der SVP lehnte beide von der vorberatenden Kommission vorgeschlagenen Bestimmungen ab; ein Antrag auf Nichteintreten auf die OR-Revision wurde aber — im Gegensatz zum Ständerat — nicht gestellt. In einer Abstimmung unter Namensaufruf setzte sich gegen den Widerstand der SVP, der LP und der Hälfte der freisinnigen Fraktion die Meinung durch, dass eine Deklarationspflicht, d.h. die Angabe von präzisen und vergleichbaren Informationen, nicht nur für Waren, sondern auch für
Dienstleistungsangebote eingeführt werden soll. Bei den Bundessubventionen für die Durchführung von Tests durch Konsumentenschutzorganisationen blieb ein Antrag Nabholz (fdp, ZH), der die "Kann-Formel" durch eine Verpflichtung ersetzen wollte, knapp in der Minderheit. Bei der OR-Revision unterlag der von der SP, dem LdU und einem Teil der Grünen unterstützte Antrag, das
Widerrufsrecht für Vertragsabschlüsse ausserhalb von Geschäftslokalitäten auch bei Versicherungsverträgen zuzulassen
[15]..
Im Ständerat stellte Schmid (cvp, AI) erneut den Antrag, auf die Revision des Vertragsrechts nicht einzutreten. Sein Hauptargument, der Schutz der Konsumenten vor aggressiven Verkaufsmethoden sei mit den neuen Bestimmungen des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG) gewährleistet, vermochte die Ratsmehrheit nicht zu überzeugen. Die Differenzbereinigung verlief problemlos. Insbesondere wurde in deren Verlauf präzisiert, in welchen Fällen ein Widerrufsrecht möglich sein soll: bei Vertragsabschlüssen in Wohnräumen und deren Umgebung, in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf öffentlichen Strassen und Plätzen sowie bei sogenannten Werbeausflugsfahrten
[16].
Der Ständerat, der noch 1986 in der Schlussabstimmung nach langwierigem Differenzbereinigungsverfahren ein Gesetz über das Konsum- und Kleinkreditwesen abgelehnt hatte, behandelte eine von 34 Ratsmitgliedern unterzeichnete Motion Affolter (fdp, SO), welche vom Bundesrat die
Vorlage eines neuen Gesetzesentwurfs verlangt. Dieser soll primär darauf angelegt sein,
Missbräuche im Kleinkreditwesen zu bekämpfen. Nicht zuletzt die Tatsache, dass viele Drogenabhängige ihre Sucht mit Kleinkrediten finanzieren, rufe nach einem solchen Gesetz. Obwohl Bundespräsident Koller auf die Schwierigkeit hinwies, in diesem Bereich einen tragfähigen Kompromiss zu erzielen und deshalb für die Postulatsform plädierte, überwies der Rat den Vorstoss mit 34:4 Stimmen als Motion
[17].
Der Nationalrat lehnte es zum zweiten Mal und damit endgültig ab, auf die vom Ständerat 1988 beschlossene und 1990 nochmals bestätigte Streichung der Bestimmungen über Kleinkredite im Gesetz
über den unlauteren Wettbewerb (UWG) einzutreten. Der Initiant Schönenberger (cvp, SG) hatte seinen Antrag damit begründet, dass nach der Ablehnung des Kleinkreditgesetzes durch das Parlament auch die Bestimmungen über Konsumkredite im UWG gestrichen werden müssten
[18]..
Gesellschaftsrecht
Fünf Jahre nach der Erstberatung und zwei Jahre nach der Behandlung durch den Ständerat machte sich der Nationalrat an die Bereinigung der Differenzen bei der Aktienrechtsrevision. Die SP-Fraktion beantragte vergeblich, auf die noch offenen Artikel nicht einzutreten, sondern sie an den Bundesrat zurückzuweisen, mit der Auflage, eine Lösung zu präsentieren, welche sowohl mit dem EG-Aktienrecht als auch mit den Empfehlungen der Arbeitsgruppe "Finanzplatz Schweiz" der Bundesratsparteien konform ist. Im Zentrum dieser Forderung standen die Vorschriften über die Publizität der Aktiengesellschaften und über die Beschränkungen des Aktienerwerbs (Vinkulierung). Von den Gegnern einer Rückweisung wurde darauf hingewiesen, dass es gelte, die Reform jetzt rasch zum Abschluss zu bringen. Ein eigentliches EG-Aktienrecht existiere ohnehin noch nicht, und das Ziel einer vollständigen Konformität mit den bestehenden EG-Richtlinien zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechtes könne die Schweiz, gleich wie die EG-Staaten, in weiteren Schritten anstreben.
In der Detailberatung war insbesondere die Einschränkung der Übertragung von Namenaktien (Vinkulierung) umstritten. Die Verhandlungen waren geprägt von einer Vielzahl von Anträgen und nahmen eher die Form einer Kommissionssitzung an. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission hatte ihre Meinung seit dem Vorjahr geändert und sprach sich nun gegen das vom Ständerat beschlossene Vinkulierungsverbot für an der Hauptbörse gehandelte Aktien aus. Sie schlug hingegen vor, die zulässigen Gründe für die Nichtanerkennung eines Erwerbers von Namenaktien im Gesetz zu regeln. Nur noch die SP setzte sich für ein vollständiges Vinkulierungsverbot für börsengängige Titel ein. Alle übrigen Antragsteller sahen als kleinsten gemeinsamen Nenner die Möglichkeit einer prozentualen Höchstquote für einzelne Aktionäre vor. Schliesslich setzte sich die Fassung der Kommissionsmehrheit durch, welche zusätzlich zur Quotierung gestattet, Personen auszuschliessen, welche eine Gesellschaft hindern könnten, gesetzlichen Vorschriften zu genügen. Da mit diesen gesetzlichen Vorschriften insbesondere die "Lex Furgler" (Grundstükkerwerb durch Ausländer) und das Bankengesetz gemeint sind, betreffen die zulässigen Ausschlussgründe vorab Ausländer.
In der Frage der Ausübung des sogenannten
Depotstimmrechts ging der Nationalrat über den Entscheid des Ständerats hinaus. Einig waren sich beide Kammern, dass die Depotvertreter — in der Regel die Banken — die Weisungen der Aktionäre einholen müssen. Wenn keine Weisungen vorliegen, will der Nationalrat Stimmenthaltung vorschreiben; die kleine Kammer sah in diesen Fällen Zustimmung zu den Anträgen des Verwaltungsrats vor
[19].
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Im Anschluss an diese Debatte verabschiedete der Nationalrat diskussionlos eine Motion seiner Kommission, welche den Bundesrat auffordert, ein Börsengesetz vorzulegen, welches einen möglichst liberalen Wertpapierhandel garantiert, aber auch Instrumente zur
Abwehr unerwünschter Übernahmen von Gesellschaften enthält
[20].
In der Praxis zeigte sich, dass die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit und des Kapitalmarktes die Wirtschaft selbst veranlassen, zunehmend auf die Vinkulierung von Namenaktien zu verzichten. So haben unter anderen in den letzten beiden Jahren die zwei grössten schweizerischen Konzerne (Nestlé und Ciba-Geigy) ihre Aktienregister für Ausländer geöffnet
[21].
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Weiterführende Literatur
P. Bohley / A. Jans (Hg.), Einführung in die Wirtschafts- und Sozialstatistik der Schweiz, Bern 1990.
Bundesamt für Statistik, Die Revision des Landesindexes der Konsumentenpreise. Grobkonzept, Bern 1990.
T. Cipolat e.a., Informationen über Wirtschaft und Politik. Folgt bald das grosse Schweigen?, Zürich (Gesellschaft für praktische Sozialforschung) 1990.
H. Walker, Verfassung der Wirtschaftspolitik? Ein Beitrag zur Diskussion über die Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung aus erkenntnistheoretischer, ökonomischer und ökonomisch-politischer Perspektive, Freiburg (Diss.) 1990.
Y. Ammann / P. Balastèr / P. Saurer, "Gedanken zur Teuerungsbekämpfung", in Mitteilungsblatt für Konjunkturfragen, 1990, Nr. 3, S. 13 ff.
Zur Geldpolitik siehe Literatur zum Kapitel 4b.
B. Beck, Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Exportindustrie. Eine Beurteilung aufgrund einer Analyse der Marktanteilsentwicklung und der technologischen Konkurrenzposition, Bern 1990.
S. Borner / A. Brunetti / T. Straubhaar, Schweiz AG. Vom Sonderfall zum Sanierungsfall, Zürich 1990.
M. Porter, The competitive advantage of nations, New York 1990 (Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften der USA, Japans, der BRD, Schwedens und der Schweiz).
H. Sieber, "Leitplanken staatlicher Technologieförderung in der Schweiz", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 6, S. 10 ff.
U. Gadient, "Europäische, Integration und schweizerische Regionalpolitik – Chancen und Risiken", in Die Region, 1990, Nr. 4, S. 37 ff.
K. Hug, "Die neuen Perspektiven der Förderung der schweizerischen Regionen aus der Sicht des BIGA-Direktors", in Die Region, 1990, Nr. 4, S. 17 ff.
H. Rütter, "Wirtschaftsfaktor Tourismus", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 12, S. 15 ff.
D. Wachter, Externe Effekte, Umweltschutz und regionale Disparitäten: Begründung und Ausgestaltungsmöglichkeiten einer umweltbezogenen internalisierungsorientierten Regionalpolitik, Zürich (Diss.) 1990.
J. Favre, "Die schweizerische Wettbewerbspolitik aus der Sicht der strukturellen Anpassung", in Mitteilungsblatt für Konjunkturfragen, 1990, Nr. 1, S. 3 ff.
E. Homburger, Kommentar zum Schweizerischen Kartellgesetz (vom 20. Dezember 1985 mit vergleichenden Hinweisen auf die Wettbewerbsrechte der BRD, EG und USA), Zürich 1990.
H. Weck-Hannemann, "Protectionism in direct democracy", in Journal of Institutional and Theoretical Economics, 1990, S. 389 ff.
Brunner, "Neues Konsumentenschutzrecht im revidierten UWG", in Plädoyer, 8/1990, Nr. 5, S. 36 ff.
H. Kelterborn, "Konsumentenschutz in der Schweiz", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 4, S. 13 ff.
B. Stauder, "Schweizerische Produktehaftpflicht im europäischen Umfeld", in Zeitschrift für schweizerisches Recht, 109/1990, I, S. 363 ff.
G. Sutter, "Das UWG im Dienste der Konsumenten", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 4, S. 17 ff.
[1] SNB, Geschäftsbericht, 83/1990, S. 5 f. und 12 ff.
[2] SNB, Geschäftsbericht, 83/1990, S. 25 ff.; SNB, Monatsbericht, 1991, Nr. 5, S. 126 f.; Kommission für Konjunkturfragen, Die Wirtschaftslage, 328. und 329. Mitteilung, Beilage zu Die Volkswirtschaft, 64/1991, Nr. 1 und 4. Siehe auch oben, Teil 1, 2 (Commerce extérieur suisse) und unten, Teil 1, 4b (Geld- und Währungspolitik).
[3] Die Volkswirtschaft, 64/1991, Nr. 4, S. 25 ff. und 10' f. Siehe auch unten, Teil 1, 7a (Arbeitsmarkt) und 7d (Ausländerpolitik).
[4] Die Volkswirtschaft, 64/1991, Nr. 4, S. 4" (Investitionen) und 18* (Produktion). Siehe auch Schweiz. Bankgesellschaft, Branchenspiegel der Schweizer Wirtschaft /990/9/, Zürich 1991.
[5] Die Volkswirtschaft, 64/1991, Nr. 6, S. 32 ff. und 42' f.
[6] SNB, Geschäftsbericht, 83/1990, S. 32 f.; Die Volkswirtschaft, 64/1991, Nr. 2, S. 15* ff.
[7] SNB, Geschäftsbericht, 83/1990, S. 8 ff. und 34 ff.; "Die Geldpolitik der Nationalbank im Jahre 1990 und 1991", in SNB, Quartalsheft, 8/1990, S. 263 ff. Siehe auch unten, Teil 1, 4b (Geld- und Währungspolitik).
[8] Siehe dazu unten, Teil I, 4b (Geld- und Währungspolitik) und 6c (Mietwesen) sowie SNB, Geschäftsbericht, 83/1990, S. 9.
[9] Gesch.ber. 1990, S. 371. Vgl. SPJ 1989, S. 95.
[10] BZ, 24.2.90 (SBV); Bund, 1.5.90; TW, 21.8.90 (NR-Kommission). Zum Vorschlag des BR siehe SPJ 1989, S. 95 f. Vgl. auch TA, 18.8.90. Siehe auch unten, Teil I, 7b (Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin).
[11] BBI, 1991, I, S. 1 ff.; NZZ, 20. l 1. und 22. I I.90; A T, 22.11.90. Zur Vernehmlassung siehe SPJ 1989, S. 96.
[12] Amtl. Bull. SIR, 1990, S. 378 ff.; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1403 ff. Zur Technologiepolitik siehe unten, Teil I, 8a (Recherche).
[13] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1830 ff. Zu Initiative und Gegenvorschlag siehe SPJ 1989, S. 96 f. Vgl. auch wf, Dok., 35, 27.8.90. Zur Hypothekarzinskontrolle siehe oben, Konjunkturpolitik und unten, Teil I, 6c (Mietwesen).
[14] Amtl. Bull. SIR, 1990, S. 1034 ff. und 1067 ff.
[15] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 542 ff.; Presse vom 22.3.90. Zu den Streitigkeiten unter den diversen Interessenorganisationen der Konsumenten siehe unten, Teil IIIb (Andere Interessengruppen).
[16] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 304 ff., 698 und 856; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1394 f., 1772 f. und 1964; BBI, 1990, II1, S. 597 ff. (Konsumenteninformationsgesetz) und 601 ff. (OR-Revision).
[17] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 258 ff.; TA, 23.3.90. Siehe SPJ 1986, S. 72.
[18] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1178 f.; Amtl. Bull. StR, 1990, S. 263 ff. Vgl. SPJ 1989, S. 97.
[19] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1351 ff.; Presse vom 18.9.90; wf, Dok., 12, 19.3.90. Siehe SPJ 1988, S. 95 f. (StR) und 1989, S. 97 f. (NR-Kommission).
[20] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1393. Vgl. dazu auch unten, Teil 1, 4b (Börse).
[21] TA, 22.2. und 24.2.90; SHZ, 21.6.90.