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Grundlagen der Staatsordnung
Föderativer Aufbau
Die Kantonsregierungen bildeten eine neue Konferenz, welche es ihnen erlauben soll, ihre Anliegen gegenüber dem Bundesrat wirksamer zu vertreten. – Volk und Stände stimmten dem Wechsel des Laufentals zum Kanton Basel-Land zu. – Die vom Bundesrat eingesetzte Konsultativkommission veröffentlichte ihre Vorschläge für die Lösung des Jura-Konflikts. Diese wurden von jurassischer Seite begrüsst, von bernischer Seite aber heftig kritisiert.
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen
Der beschleunigte Gang der Gesetzgebungstätigkeit im Zusammenhang mit Eurolex und Swisslex und die daraus entstehenden Vollzugsprobleme hatten bei verschiedenen Kantonsregierungen den Wunsch nach einer effizienteren Interessenvertretung gegenüber dem Bundesrat und der Bundesverwaltung hervorgerufen. Zusätzlich zu dem von der Landesregierung im Rahmen der EWR-Vorbereitung geschaffenen Kontaktgremium gründeten sie am 8. Oktober in Bern eine Konferenz der Kantonsregierungen. Die neue Organisation besteht aus einer Plenarkonferenz, in welche jeder der 26 Kantone und Halbkantone ein Regierungsmitglied abordnen darf, und die mit einem qualifizierten Mehr von 18 Stimmen Beschlüsse fassen und Stellungnahmen abgeben kann. Daneben wird ein "leitender Ausschuss" aus sieben bis neun Regierungsräten gebildet. Im Unterschied zum Kontaktgremium gehört der Bundesrat dieser Organisation nicht an. Er kann jedoch eingeladen werden und die Konferenz um die Traktandierung von Geschäften ersuchen. Die Gründung dieser neue Institution löste nicht nur Freude aus. Der Bundesrat akzeptierte zwar den Beschluss der Kantonsregierungen, sah aber keinen Anlass, sein Kontaktgremium wieder abzuschaffen. Expliziter fiel die Kritik von einigen Ständeräten aus, welche die neue Institution als einen Angriff auf ihre eigene Ratskammer interpretierten [1].
Ebenfalls nicht fachspezifisch ausgerichtet ist die im Juni gegründete Konferenz der Westschweizer Kantone, in der die Regierungspräsidenten sowie ein weiteres Exekutivmitglied aus den vier französischsprachigen Kantonen Genf, Jura, Neuenburg und Waadt sowie den drei sprachlich gemischten Kantonen Bern, Freiburg und, Wallis vertreten sind. In der Deutschschweiz bestehen derartige regionale Regierungspräsidentenkonferenzen schon seit längerer Zeit [2].
Eine Aufwertung der Stellung der Kantone in der Bundespolitik wünscht auch die CVP. Ständerat Cottier (cvp, FR) und Nationalrat Engler (cvp, Al) reichten identische Motionen ein, in denen sie namentlich auch institutionelle Änderungen fordern. So soll beim Kantonsreferendum die heute erforderliche Anzahl von acht beteiligten Kantonen gesenkt werden, damit beispielsweise die sechs mehrheitlich französischsprachigen Kantone eine Volksabstimmung verlangen können, und zusätzlich soll auch ein ähnlich ausgestaltetes Initiativrecht eingeführt werden. Vorgeschlagen wird in den Motionen auch ein Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone bei der Aussenpolitik und die Bildung einer nationalen Regierungskonferenz aus Vertretern des Bundesrates und der Kantonsregierungen [3].
Der Ständerat überwies eine Motion Bloetzer (cvp, VS) für eine verbesserte Koordination zwischen Bundes- und Kantonsverwaltungen bei Entscheidungs- und Bewilligungsverfahren [4].
Die Ablehnung des EWR-Vertrags verstärkte nicht nur in den Kantonen der Westschweiz das Interesse an einer grenzüberschreitenden Politik im Rahmen der Regionen der EU. Eine am Tag nach der EWR-Abstimmung eingereichte Motion Spielmann (pda, GE) verlangte, dass den Kantonen die Möglichkeit gegeben wird, eine Vertretung zu EU-Institutionen zu entsenden, und dass sie Kompetenzen im Rahmen der Beteiligung an Regionalorganisationen der EU erhalten. Eine ähnliche Motion Epiney (cvp, VS) im Nationalrat sowie im Ständerat eine Motion Schäle (fdp, SH) und ein Postulat Onken (sp, TG) legten das Schwergewicht auf die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. In seinen Antworten wies der Bundesrat darauf hin, dass bereits in der heutigen Praxis den Kantonen relativ grosse Kompetenzen zugestanden werden und deshalb eine Änderung von Art. 9 und 10 BV nicht erforderlich sei. So sei zum Beispiel die Mitarbeit der Kantone in grenzüberschreitenden regionalen Organisationen seit 1981 durch ein internationales Abkommen gesichert. Der Ständerat stimmte sowohl der Motion Schüle als auch dem Postulat Onken zu. Im Nationalrat meldeten die SD und die Lega Widerstand an, da sie von derartigen Bestrebungen ein Aufbrechen der Schweiz entlang ihrer Sprachgrenzen befürchten. Trotzdem überwies der Rat die Motionen Spielmann und Epiney in der vom Bundesrat beantragten Postulatsform; diejenige des Ständerats (Schäle) sogar als Motion [5].
Ebenfalls gegen den Widerstand der SD und der Lega hiess der Nationalrat eine bereits 1991 eingereichte Motion Mühlemann (fdp, TG) für eine aktive Unterstützung der Bestrebungen zugunsten der Bildung von grenzüberschreitenden Regionalorganisationen. Die kleine Kammer unterstützte diese Motion ebenfalls [6]. Auch die Ständeräte, welche der Arbeitsgruppe der Grenzkantone zu Frankreich angehören, forderten unter anderem eine direkte Vertretung der Kantone bei der EU und eine verstärkte Unterstützung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch den Bund. Der Bundesrat setzte als Reaktion auf diese Begehren eine interdepartementale Arbeitsgruppe ein, welche einen Bericht über die internationale Zusammenarbeit in den Grenzregionen sowie über die Einbeziehung der Kantone in die Aussenpolitik ausarbeiten soll [7].
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Territorialfragen
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats sprach sich mit 15 gegen 6 Stimmen dafür aus, die im Vorjahr eingereichte parlamentarische Initiative Gysin (fdp, BL) für die Aufwertung von Basel-Land zum Vollkanton zur Annahme zu empfehlen. Sie begründete ihren Entscheid namentlich auch damit, dass von einer Aufwertung der beiden Basler Halbkantone keine Gefährdung des föderalistischen Gleichgewichts zu befürchten sei [8].
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Der Wechsel des bisher bernischen Bezirks Laufen zum Kanton Basel-Land wurde im Berichtsjahr definitiv beschlossen. Der Bundesrat beantragte in seiner Botschaft vom 27. Januar dem Parlament sowie Volk und Ständen, dieser territorialen Veränderung, welche zuvor von den Stimmberechtigten der beiden betroffenen Kantone angenommen worden war, ebenfalls zuzustimmen [9].
Der Ständerat hiess diesen Antrag ohne Gegenstimmen gut. In der Diskussion im Nationalrat gab vor allem die äusserst knappe Mehrheit zu reden, mit der sich 1989 die Laufentaler für Basel-Land entschieden hatten (51,7% zu 48,3%). Ein Nichteintretensantrag Scherrer (edu, BE), der die Forderung nach einer qualifizierten Mehrheit der Betroffenen für Gebietsveränderungen ins Feld führte, wurde abgelehnt. Nicht durchzusetzen vermochte sich auch ein Antrag Seiler (svp, BE), der die Anerkennung des Kantonswechsels davon abhängig machen wollte, dass in der eidgenössischen Abstimmung nicht nur Volk und Stände, sondern auch der betroffene Bezirk zustimmen. Im Gegensatz zu dem etwa beim Bau von Infrastrukturanlagen üblichen Diskurs wandten sich nun vor allem die Vertreter der SP und der Grünen gegen eine derartige "Betroffenheitsdemokratie", während sie für eine Mehrheit der SVP und der FDP in diesem seltenen Fall eines "Heimatwechsels" berechtigt erschien. Die Gegner einer solchen "dreifachen" Mehrheit von Volk, Ständen und betroffenem Bezirk argumentierten zusammen mit Bundesrat Koller im wesentlichen verfassungsrechtlich, indem sie darauf hinwiesen, dass weder in der bernischen noch in der eidgenössischen Verfassung ein derartiges Verfahren vorgesehen sei. In der Schlussabstimmung hiessen die Räte mit 30:2 resp. 112:27 den bundesrätlichen Antrag gut [10].
Die Kampagne zur Volksabstimmung vom 26. September warf keine hohen Wellen. Von den Parteien entschieden sich auf nationaler Ebene ausser den SD, der AP und der EDU alle für die Genehmigung des Kantonswechsels. Weniger eindeutig fielen jedoch die Parolen bei den Parteien der umliegenden Kantone aus. Die Delegierten der bernischen SVP empfahlen mit 147:90 Stimmen bei 76 Enthaltungen die Nein-Parole; mit 131:52 noch deutlicher war die Ablehnung bei der bernischen FDP. Im Kanton Solothurn entschied sich die CVP knapp für ein Ja, während die Freisinnigen die Stimme freigaben; die SVP lehnte ebenso ab wie diejenige des Kantons Aargau. Für Stimmfreigabe plädierten auch die Neuenburger Freisinnigen. Wichtigstes Argument der Befürworter war, dass der Entscheid des Laufentals jetzt sanktioniert werden müsse und diese Region geografisch, wirtschaftlich und kulturell ohnehin zu Basel-Land gehöre. In der Propaganda der Gegner wurde das Hauptgewicht auf die Knappheit der Laufentaler Volksabstimmung gelegt und die Befürchtung artikuliert, dass mit der Anerkennung eines derartigen "Zufallsentscheids" Grenzveränderungen Tür und Tor geöffnet würden [11].
Kantonswechsel Laufental. Abstimmung vom 26. September 1993
Beteiligung: 39,5,%
Ja: 1 188 941 (75,2%) / 20 6/2 Stände
Nein: 392 893 (24,8%) / 0 Stände

Parolen:
Ja: FDP (2*), SP, CVP, SVP (5*), GP, LP, LdU, EVP, PdA.
Nein: AP, SD, EDU.
Stimmfreigabe: Lega.
*Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Das Ergebnis der Volksabstimmung fiel mit einer Dreiviertelmehrheit klar aus. Kein einziger Kanton lehnte den Kantonswechsel ab. Die knappste Zustimmung resultierte in den Kantonen Solothurn (55,6%), Bern (57,2%), Schaffhausen (64,7%) und Basel-Land (66,8%). Im betroffenen Bezirk Laufen selbst stimmten bei einer hohen Beteiligung (rund 90%) 4906 Personen dafür, 4390 dagegen (52,8% zu 47,2%); in 6 der 13 Gemeinden, darunter auch im Bezirkshauptort, überwogen die Gegner [12].
Auf 1. Januar 1994 wurde der Übertritt vollzogen. Die dazu erforderlichen administrativen Vereinbarungen waren vorher von den Regierungen der beiden Kantone ausgehandelt und vom Laufentaler Bezirksrat gutgeheissen worden. Damit wurde der mit dem bernischen Verfassungszusatz aus dem Jahre 1970 eröffnete Weg der Selbstbestimmung der 1815 zum Kanton Bern gestossenen Teile des ehemaligen Fürstbistums Basel abgeschlossen [13].
Der Nationalrat überwies eine Motion Gross (sp, ZH), welche verlangt, dass Kantonswechsel von Gemeinden nur noch die Zustimmung der betroffenen Kantone, hingegen nicht mehr des Bundes bedürfen, als Postulat. Der Bundesrat hatte dazu ausgeführt, dass derartige Neuerungen im Rahmen einer Totalrevision der Bundesverfassung realisiert werden sollten [14].
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Die im Vorjahr aufgetretene Häufung von Gewaltakten gegen bernische Personen und Einrichtungen setzte sich zu Jahresbeginn fort, fand dann aber ein abruptes Ende. Am frühen Morgen des 7. Januars kam es zu einem Bomben-Attentat auf das Haus des antiseparatistischen Berner Grossrats Houriet (fdp) in Courtelary, wobei eine Person verletzt wurde. In der gleichen Nacht explodierte in der Berner Altstadt in einem parkierten Auto eine Bombe, wobei der offenbar mit der Manipulation des Sprengstoffs beschäftigte Wageninsasse ums Leben kam. Beim Verunfallten handelte es sich um einen jungen, der autonomistischen Gruppe Bélier angehörenden Aktivisten. Während die Medien die Gewaltakte verurteilten und zur Besinnung aufriefen, machte das Rassemblement jurassien (RJ) die Behörden und dabei insbesondere das Bundesgericht wegen seines Urteils im Fall Hêche (s.u.) für die Ereignisse verantwortlich. Der Leiter des Bélier, Daniel Pape, stritt wie schon bei früheren Attentaten jegliches Mitwissen oder gar eine Beteiligung seiner Organisation ab und betonte, dass diese nur mit gewaltfreien Mitteln kämpfe [15].
Die Bundesanwaltschaft verhaftete im Laufe der Untersuchung zwei Mitglieder des Béliers und entdeckte nicht zuletzt dank deren Geständnissen mehrere Sprengstoffdepots in den Freibergen (JU) sowie Pläne für weitere Anschläge. Ende Februar verhaftete die Bundespolizei dann auch noch den Chef des Bélier, Daniel Pape, und fand im Keller seines Wohnhauses 50 Handgranaten [16]. Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft dementierte Pape Indiskretionen aus dem EJPD, die besagten, dass er über die Anschläge informiert gewesen sei. Zu den Handgranaten gab er an, dass er sie vor seiner Haustüre gefunden und dann versteckt habe, um zu verhindern, dass jemand sie verwenden könnte. Als Leiter des Bélier trat er zurück [17].
Die jurassische Regierung beschloss, den zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilten Pascal Hêche nicht an den Kanton Bern auszuliefern und ihn seine Strafe unter Aufsicht der jurassischen Vollzugsbehörden absitzen zu lassen. Dieser Entscheid, der dem Bundesgerichtsurteil vom Vorjahr entsprach, trug ihr heftige Kritik des Bélier und des RJ ein, welche einen neuen Prozess forderten. Das jurassische Kantonsparlament beschloss kurz nach dem Strafantritt, auf ein Gnadengesuch Hêches einzutreten und ihm mit dem Argument, dass seine Tat politisch motiviert gewesen sei, die Hälfte der Strafe zu erlassen. Die Berner Regierung bestritt die Kompetenz des jurassischen Parlaments zu dieser Begnadigung; sie verzichtete aber auf eine Beschwerde beim Bundesgericht, da die Erfahrung mit der Initiative "Unir" gezeigt habe, dass sich dieses Parlament ohnehin nicht an Urteile dieser Instanz halten würde [18].
Das "Institut jurassien des sciences, des lettres et des arts", eine Vereinigung von rund 50 aus dem Jura stammenden Persönlichkeiten forderte in einer öffentlichen Erklärung noch vor dem Erscheinen des Berichts Widmer (s.u.) beide Seiten zu einem Dialog auf. Dabei dürfe angesichts der unveränderten Opposition der Mehrheit der Bewohner des Berner Juras nicht eine Vereinigung das Ziel sein, sondern die Förderung einer strukturierten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit. Erst wenn sich aufgrund dieser Aktivitäten die gegenseitigen Vorurteile und Animositäten abgebaut hätten, seien weitere Schritte angebracht [19].
Auch in den Organisationen der Autonomisten gewann die Überzeugung an Boden, dass mit der bisherigen unerbittlichen Konfliktstrategie nie eine Mehrheit unter der Bevölkerung der drei bernischen Bezirke gewonnen werden könne. Gegen den Willen des zu diesem Zeitpunkt schon schwerkranken Roland Béguelin, des Sekretärs des Rassemblement jurassien, beschlossen der Vorstand des RJ und die Leitung der im Berner Jura aktiven Unité jurassienne eine Fusion ihrer beiden Organisationen einzuleiten. Mit dieser neuen Organisation unter dem Namen Mouvement autonomiste jurassien soll nach Ansicht der Promotoren nicht nur die Position der Autonomisten in den bernisch gebliebenen Bezirken gestärkt, sondern auch eine undogmatischere und dialogbereitere Politik eingeleitet werden [20].
Am 13. September, einen Tag nach dem Fest des jurassischen Volkes, verstarb der an Krebs erkrankte Roland Béguelin in seinem 72. Altersjahr. Der aus Tramelan (BE) stammende Béguelin war seit 1950 Redaktor der Wochenzeitschrift "Jura libre" und seit 1952 Generalsekretär des RJ gewesen. Er hatte in diesen Funktionen wesentlichen Anteil am Kampf für die Trennung der drei nordjurassischen Bezirke vom Kanton Bern und an der Gründung des Kantons Juras gehabt. Die Übernahme eines Exekutivamtes im neuen Kanton hatte er jedoch abgelehnt, um sich ganz dem mit unnachgiebiger Härte verfolgten Ziel einer Vereinigung der bernisch gebliebenen südlichen Bezirke mit dem Kanton Jura zu widmen [21].
Im Auftrag der Berner Regierung hatte der Genfer alt Staatsschreiber Dominique Haenni einen Bericht über die Lage der Romands im Kanton Bern verfasst. Neben einer detaillierten Bestandesaufnahme machte der Autor auch einige Vorschläge für die Zukunft der drei französischsprachigen Bezirke. Er empfahl ihnen namentlich, in wirtschaftlichen, kulturellen und auch politischen Fragen vermehrt den grenzüberschreitenden Dialog zu suchen. Dank der daraus entstehenden regionalen Identität könnte auch eine grössere Autonomie innerhalb des Kantons Bern angestrebt werden [22].
Am 7. März präsentierte die im Vorjahr vom Bundesrat eingesetzte Konsultativkommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Zürcher Stadtpräsidenten Widmer (ldu) ihren Bericht. Sie beurteilte darin die Beibehaltung des Status quo als unhaltbar. Geschichtliche, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren würden für eine Vereinigung der drei bernischen Bezirke mit dem Kanton Jura sprechen. Da zur Zeit rund zwei Drittel der betroffenen Bevölkerung des Berner Juras gegen einen Kantonswechsel sind, soll zuerst eine paritätisch zusammengesetzte und von einem neutralen Vorsitzenden präsidierte Kommission mit Mitgliedern aus dem Kanton Jura und dem Berner Jura einen Dialog aufnehmen. Ziel dieser Gespräche wären die Ausarbeitung von Garantien zugunsten des Berner Juras nach einer Vereinigung mit dem Kanton Jura. Diese Vereinbarung würde dann nach spätestens sieben Jahren den Stimmberechtigten beider Regionen getrennt zur Abstimmung vorgelegt und, im Falle einer Annahme durch beide Körperschaften, zur Gründung eines neuen Kantons führen. Sollte sich dieser Weg nicht durchsetzen, wäre für die Kommission die Gründung eines Halbkantons "Jura-Süd" noch vor einem Autonomiestatut im Kanton Bern die nächstbeste Lösung. Im schlechtesten Fall wäre ein Kantonswechsel der Gemeinden mit autonomistischer Mehrheit ins Auge zu fassen. Für die Gemeinden Vellerat und Ederswiler schlägt die Kommission die sofortige Einleitung eines Verfahrens zum Kantonswechsel vor, hingegen soll sich die mehrheitlich separatistische Gemeinde Moutier bis zum Abschluss des angestrebten Dialogs gedulden [23].
Die Reaktionen auf den Bericht Widmer fielen sehr unterschiedlich aus. Die Berner Regierung bekundete ihre Enttäuschung, die berntreuen Organisationen des Berner Juras waren empört. Ihre Hauptkritik richtete sich an die Vorgabe, dass der aufzunehmende Dialog, der an sich begrüssenswert sei, einzig auf das Ziel einer Vereinigung ausgerichtet sein soll. Die Force Démocratique (FD) als wichtigste antiseparatistische Organisation machte die Aufnahme eines Dialogs abhängig vom Verzicht des Kantons Jura auf seine "Annexionsgelüste", wie sie insbesondere im Ausführungsgesetz zur Unir-Initiative zum Ausdruck kämen. Unzufrieden mit dem Bericht waren auch die Behörden der Stadt Biel. Sie kritisierten, dass die Konsequenzen der von der Kommission postulierten Abtrennung des mit der Stadt eng verbundenen Berner Juras für die Zukunft ihrer zweisprachigen Stadt nicht analysiert worden seien. Innert weniger Wochen sammelten die Kritiker des Berichts im Berner Jura und in Biel 20 000 Unterschriften für eine Petition an den Bundesrat mit der Aufforderung, den Empfehlungen des Berichts keine Folge zu leisten [24].
Positiv nahmen die jurassische Regierung, die Behörden der Stadt Moutier und die autonomistischen Organisationen – diese sahen im Bericht den wichtigsten "moralischen Sieg" des Juras seit 1815 – die Ausführungen der Kommission auf und beurteilten sie als realistische Konfliktlösungsvorschläge. Das RJ betonte aber, dass dieser vorgeschlagene Dialog keinesfalls die Begründung einer Kooperation über die bestehenden Kantonsgrenzen zum Ziel haben dürfe, sondern einzig der Vereinigung gewidmet sein müsse [25]. Von den nationalen Parteien kritisierte die FDP den Bericht, während er von der CVP gelobt wurde. Auf lokaler Ebene veröffentlichte die jurassische SP gemeinsam mit der SP und der autonomistischen PSA des Berner Juras eine Stellungnahme, welche die Aufnahme eines Dialogs begrüsst, dabei aber dem von der Kommission Widmer postulierten Ziel einer Vereinigung nicht erste Priorität einräumt [26].
Trotz verschiedentlichem Drängen autonomistischer Organisationen nahm der Bundesrat noch nicht Stellung zum Bericht. Im Dezember kündigte er an, das er auch zu Beginn des Jahres 1994 seine Konsultationen mit den beiden betroffenen Kantonsregierungen fortsetzen wolle. Einig sei man sich in den bisherigen Treffen über die Notwendigkeit eines Dialog geworden, noch nicht aber über Form und Inhalt dieser Gespräche [27].
Wenigstens in einem Punkt ging die Berner Regierung mit den Ratschlägen der Kommission Widmer einig und leitete bereits erste Schritte zu deren Realisierung ein. Sie beschloss, unverzüglich und ohne Vorbedingungen die Grundlagen für den Kantonswechsel der Gemeinde Vellerat zu schaffen, die nach den Plebisziten als einzige gegen ihren Willen beim Kanton Bern bleiben musste. Dabei soll das bisher für Gebietsveränderungen übliche Verfahren mit Abstimmungen in der Gemeinde, dann in den beiden betroffenen Kantonen und schliesslich im Bund eingehalten werden. Ein entsprechendes Gesetz will die Regierung 1994 dem Grossen Rat vorlegen. Im Gegensatz zu früheren diesbezüglichen Vorschlägen verzichtete sie jetzt darauf, das Schicksal von Vellerat mit demjenigen von Ederswiler, der einzigen deutschsprachigen Gemeinde des Kantons Jura, zu verknüpfen. Im November gab die Regierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung. Die Forderung der Gemeinde Vellerat nach einem beschleunigten Verfahren, das auf einem nur vom eidgenössischen Parlament zu genehmigenden Konkordat zwischen den betroffenen Kantonen beruht und auf Volksabstimmungen verzichtet, lehnte sie als nicht bundesrechtskonform ab [28].
Der Berner Grosse Rat verabschiedete in erster Lesung die Vorschläge der Regierung für die Bildung neuer Institutionen zur Wahrung der Interessen der französischsprachigen Bezirke und Biels. Umstritten, und deshalb noch nicht bereinigt blieb die Bestimmung, dass im Regionalrat neben den Grossräten auch die vom Volk gewählten Bezirksstatthalter Einsitz haben sollen [29].
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Weiterführende Literatur
J.-C. Deschamps e a., La région dans le contexte international, Fribourg 1993.
M. Frenkel, "The Communal Basis of Swiss Liberty", in Publius, 23/1993, Nr. 2, S. 61 ff.
T. Haldimann / W. Schenkel / U. Klöti, "Politische Verflechtung und kommunale Handlungsspielräume", in SJPW, 33/1993, Bern (Haupt) 1993, S. 63 ff.
Schweiz. Institut für Auslandforschung (Hg.), Föderalismus – Mittel zur Konfliktbewältigung, Chur 1993.
B. Speiser, Europa am Oberrhein. Der grenzüberschreitende Regionalismus am Beispiel der oberrheinischen Kooperation, Basel (Diss. St. Gallen) 1993.
R. Wertenschlag, "Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen – gesetzgeberische Aspekte", in Gesetzgebung heute, 1993, Nr. 1, S. 87 ff.
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D. Haenni, Les Romands dans le canton de Berne, Carouge 1993.
S. Widmer e.a., Bericht der Konsultativkommission des Bundesrates und der Kantone Bern und Jura, Bern 1993.
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[1] BaZ, 22.1.93; BüZ, 2.4.93; Bund, 28.9.93; Presse vom 9.10.93; NZZ, 7.12.93. Positionen von Ständeräten sowie BR Koller: Amtl. Bull. StR, 1993, S. 387 ff. Vgl. auch die Stellung des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2558 f. sowie LNN, 9.10.93.
[2] LM und BZ, 5.6.93; Lib. 10.12.93. Vgl. dazu auch SPJ 1992, S. 46.
[3] Verhandl. B.vers., 1993, IV, S. 81 f. und 141; NZZ, 20.3.93. Zur Aufwertung der Standesinitiative vgl. oben, Teil I, 1c (Parlament).
[4] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 546 ff.
[5] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 561 und 738 f. (Spielmann), 562 f. und 848 f. (Epiney) sowie 2207 ff. (Schüle); Amtl. Bull. StR, 1993, S. 250 ff. (Onken) und 308 ff. (Schüle).
[6] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 730 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 697 f.
[7] Arbeitsgruppe: 24 Heures, 28.4.93; welsche Presse vom 29.4.93. BR: Gesch.ber. 1993, S. 34.
[8] BaZ, 30.10. und 16.12.93. Siehe SPJ 1992, S. 46 f.
[9] BBl, 1993, I, S. 1029 ff. Vgl. SPJ 1992, S. 49.
[10] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 71 ff. und 580; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1081 ff. und 1451; BBl, 1993, II, S. 874; Presse vom 9.6. und 10.6.93. NR Bonny (fdp, BE) reichte eine Motion ein, welche für Kantonswechsel in Zukunft eine Zweidrittelsmehrheit der Stimmenden des betroffenen Gebiets fordert (Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 67).
[11] Presse vom 20.8.-25.9.93; Bund, 26.8.93 (EDU). Kantonale Parteien: Bund, 18.8.93 (SVP); BaZ, 3.9.93 (FDP-BE und SO); TA, 23.9.93.
[12] BBl, 1994, IV, S. 262 ff.; Presse vom 27.9.93.
[13] NZZ, 30.12.93. Vereinbarungen: BaZ, 11.2. und 1.9.93; NZZ, 23.10.93.
[14] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2518 f. Zur Verfassungsrevision siehe oben, Teil I, 1a (Bundesverfassung)
[15] Presse vom 8.1.93. RJ: Dém. 11.1.93. Bélier: Dém., 9.1.93; Ww, 14.1.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 48.
[16] Dém., 18.1., 19.1., 23.1. (Sprengstoffdepots) und 26.2.93; Presse vom 27.2. (Handgranaten), 1.3. und 2.3.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 48 f.
[17] Presse vom 26.3. und 30.3.93. Zur zukünftigen Strategie des Bélier vgl. auch QJ, 22.6. und 11.9.93. Vgl. auch das Interview mit Pape in WoZ, 9.4.93.
[18] Regierung: Presse vom 6.2.93. Begnadigung: Dém., 19.5.93. Reaktion Berns: Presse vom 12.11.93. Zu "Unir" siehe SPJ 1992, S. 47.
[19] Presse vom 23.3.93.
[20] Suisse, 2.4., 20.5. und 28.5.93; BaZ, 3.4.93; NQ, 22.6.93; BZ, 1.7.93. Siehe auch Jura libre, 11.3.93.
[21] Presse vom 14.9.93 (v.a. NQ, Suisse und TA).
[22] Siehe Lit. Haenni; Berner und Westschweizer Presse vom 6.4.93.
[23] Siehe Lit. Widmer und Presse vom 8.4.93. Vgl. SPJ 1992, S. 47.
[24] Presse vom 8.4.93. Zur Kritik aus dem Berner Jura siehe auch NZZ, 21.4.93. Regierung BE: BZ, 4.5.93. FD: Bund und QJ, 13.9.93. Biel: Bund, 1.5.93. Petition: Bund und Dém., 28.5.93. Vgl. auch die Interpellation Schmied (svp, BE) und das Postulat Aubry (fdp, BE): Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2016 ff. resp. Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 61.
[25] Presse vom 8.4.93. RJ: Dém., 9.4.93; Jura libre, 22.4. und 1.7.93; JQ und NQ, 13.9.93. Moutier: Dém., 13.5. und 14.5.93; QJ, 29.6.93. Unité jurassienne: QJ, 21.6.93. Bélier: QJ, 22.6.93. Regierung: QJ und Suisse, 1.7.93. Vgl. auch die Interpellation Zwahlen (cvp, BE): Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2016 ff.
[26] Presse vom 8.4.93. SP: Dém., 17.4.93.
[27] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2615.
[28] Presse vom 3.7. und 18.11.93. Vellerat: Express und BaZ, 7.8.93; Express, 14.9.93 (Antwort der Berner Regierung). Vgl. SPJ 1989, S. 39 und 1991, S. 52. Zur Gemeinde Ederswiler, die nach dem Wechsel des Laufentals nicht mehr an den Kanton Bern grenzt, siehe BaZ, 17.7.94.
[29] Bund, 14.9.93. Vgl. SPJ 1992, S. 48.
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