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Grundlagen der Staatsordnung
Rechtsordnung
Gegen das vom Parlament beschlossene Antirassismusgesetz wurde das Referendum eingereicht. – Die neue Verfassungsbestimmung über die Erleichterung der Einbürgerung für junge, in der Schweiz aufgewachsene Ausländer fand die Zustimmung des Parlaments. – In mehreren Kantonen wurden Volksinitiativen für das Ausländerstimmrecht abgelehnt. – Die sogenannte innere Sicherheit wurde zu einem dominierenden politischen Thema. – Der Bundesrat schlug schärfere Sanktionen gegen kriminelle Ausländer ohne Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung vor. – Der Ständerat hiess die ergänzenden Massnahmen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens gut. – Volk und Stände nahmen den neuen Verfassungsartikel zur Verhinderung von Missbräuchen im Waffenhandel mit überwältigender Mehrheit an. – Der Ständerat beschloss eine Senkung des zivilrechtlichen Mündigkeitsalters auf 18 Jahre.
Grundrechte
Als Zweitrat stimmte der Ständerat ohne Opposition dem Beitritt der Schweiz zum Internationalen Abkommen von 1965 zur Beseitigung jeglicher Form von Rassendiskriminierung und der dazu erforderlichen Revision des Strafgesetzbuchs zu: In der Schlussabstimmung akzeptierte der Nationalrat dieses neue Antirassismusgesetz bei 13 Gegenstimmen; im Ständerat gab es keine Gegner [1]. Drei verschiedene Referendumskomitees aus dem rechten Lager ergriffen gegen diese Gesetzesrevision das Referendum, welches sie mit insgesamt gut 54 000 Unterschriften einreichten [2].
Die Ständekammer trat auf das im Vorjahr vom Nationalrat im Eilverfahren, d.h. ohne Konsultation des Bundesrates beschlossene Gesetz zur Schaffung einer Ombudsstelle gegen Rassismus nicht ein. Sie forderte aber den Bundesrat mit einem Postulat auf, die Einrichtung einer derartigen Stelle zu überprüfen. Der Nationalrat forderte daraufhin die Schaffung einer Ombudsstelle mit einer Motion, was die kleine Kammer freilich mit dem Argument ablehnte, dass zuerst die Notwendigkeit und die Funktion einer derartigen Institution abzuklären seien [3].
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Nachdem die Schweiz 1992 die Todesstrafe auch in Kriegszeiten aus ihrem Strafrecht gestrichen hatte, beantragte der Bundesrat dem Parlament die Ratifizierung des zweiten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe. Mit dem Beitritt zu diesem Protokoll würde sich die Schweiz in die Reihe derjenigen Staaten stellen, welche sich auch in der internationalen Politik für die vollständige Abschaffung der Todesstrafe einsetzen. Gegen den Widerstand des Neuenburgers Béguin (fdp), der die Ansicht vertrat, dass die Schweiz sich das Recht auf eine Wiedereinführung der Todesstrafe nicht mit der Unterzeichnung von internationalen Verträgen auf alle Zeiten verbauen sollte, stimmte der Ständerat der Ratifizierung zu. Im Nationalrat war die Ratifizierung unbestritten [4].
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Das im Vorjahr beschlossenen Datenschutzgesetz wurde auf den 1. Juli in Kraft gesetzt. Zum Datenschutzbeauftragten wählte der Bundesrat den früheren Preisüberwacher Odilo Guntern, zum Präsidenten der Datenschutzkommission den St. Galler Professor Rainer Schweizer [5].
Eine Arbeitsgruppe der GPK des Nationalrats legte ihren Bericht und ihre Empfehlungen zur Praxis der Telefonabhörung vor. Sie stellte dabei fest, dass das Ausmass der Abhörungen gering ist und sich die Bundesbehörden an den gesetzlichen Rahmen halten. Gleichzeitig kam sie aber zum Schluss, dass dieses Instrument auf die Bekämpfung des organisierten Verbrechens konzentriert werden sollte und der Datenschutz, namentlich für Drittpersonen, auszubauen sei. Mit dem Einverständnis des Bundesrates überwiesen beide Parlamentskammern eine entsprechende Motion [6].
Der Nationalrat stimmte ferner einem Postulat Seiler (cvp, ZH) zu, welches verlangt, dass die nächste Volkszählung nach einem einfacheren Verfahren und unter Berücksichtigung bestehender Erhebungen und Dateien durchzuführen sei [7].
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Bürger- und Stimmrecht
Beide Parlamentskammern hiessen den im Vorjahr vom Bundesrat vorgeschlagenen Verfassungsartikel für eine Erleichterung der Einbürgerung junger Ausländer und Ausländerinnen gut. Gemäss den Ausführungen von Bundesrat Koller im Ständerat ist vorgesehen, dass für in der Schweiz geborene oder in die Schule gegangene Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahren das Verfahren vereinfacht, die vorgeschriebene Wohnsitzdauer in der Einbürgerungsgemeinde verkürzt und die Gebühren reduziert werden sollen. Im Ständerat erwuchs dem Vorschlag keine Gegnerschaft; im Nationalrat opponierten SD/Lega, die AP sowie der Freisinnige Giger (SG). Der neue Verfassungsartikel wurde hier mit 113 zu 19 Stimmen angenommen [8].
Nachdem der Nationalrat im Vorjahr der parlamentarischen Initiative Ducret (cvp, GE) für eine Halbierung der für die Einbürgerung geforderten minimalen Wohnsitzpflicht Folge gegeben hatte, arbeitete eine Kommission einen konkreten Vorschlag aus. Sie schlug vor, die erforderliche Wohnsitzdauer für die ordentliche Einbürgerung von 12 auf 6 Jahre (wovon 3 während der letzten 5 Jahre vor der Gesuchseinreichung) zu halbieren. Dabei sollen aber die zwischen dem 10. und 20. Altersjahr in der Schweiz verbrachten Jahre nicht mehr wie heute doppelt angerechnet werden. Eine bürgerliche Minderheit in der Kommission beantragte hingegen eine Verkürzung auf 8 Jahre unter Beibehaltung der doppelten Anrechnung der Jugendjahre. Die Fristen bei den verschiedenen Formen der erleichterten Einbürgerung möchte die Kommission nicht generell verkürzen, sondern nur für Kinder mit einem schweizerischen Elternteil [9].
Der Nationalrat gab auf Antrag der vorberatenden Kommission und gegen den Widerstand der beiden St. Galler Giger (fdp) und Steinemann (ap) auch einer parlamentarischen Initiative Zisyadis (pda, VD) Folge, welche verlangt hatte, dass sich staatenlose, in der Schweiz geborenen Kinder bereits vor dem 16. Altersjahr einbürgern lassen können [10].
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Das Anliegen der Einführung des Wahl- und Stimmrechts für niedergelassene Ausländer konnte auch im Berichtsjahr keinen Durchbruch verzeichnen. In Genf empfahl das Parlament zwei Volksinitiativen für die Einführung des integralen resp. lediglich des aktiven Stimm- und Wahlrechts zur Ablehnung. Die beiden Begehren wurden vom Volk am 6. Juni resp. am 28. November mit jeweils 71% Nein-Stimmen abgelehnt [11]. Im Kanton Bern beantragte die Regierung immerhin, der 1992 eingereichten Volksinitiative einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen, der die fakultative Einführung auf Gemeindeebene erlaubt. Sie entsprach damit einer vom Parlament im Rahmen der Totalrevision der Verfassung überwiesenen Motion. Im Kanton Zürich folgte das Volk der Empfehlung von Regierung und Parlament und lehnte eine Volksinitiative für das fakultative kommunale Ausländerstimmrecht mit 74% Nein-Stimmen deutlich ab. In Basel-Stadt sprachen sich Regierung und Parlament gegen eine Volksinitiative für das kantonale Ausländerstimmrecht aus [12]. Neue Volksinitiativen für das Ausländerstimmrecht auf kantonaler Ebene resp. für die fakultative gemeindeweise Einführung wurden im Berichtsjahr in den Kantonen Freiburg und Aargau eingereicht. Die im Tessin im Vorjahr lancierte Initiative erreichte die erforderliche Unterschriftenzahl nicht [13].
Auf Bundesebene lehnte der Nationalrat zwei Vorstösse zum Ausländerstimmrecht ab. Zum einen die parlamentarische Initiative Zisyadis (pda, VD) für die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für seit mindestens 10 Jahre ansässige Ausländer, zum anderen aber auch eine Motion der linken Kommissionsminderheit, welche dieses Recht vorerst nur auf Gemeindeebene einführen wollte [14].
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Staatsschutz
Die Geschäftsprüfungsdelegation der beiden GPK veröffentlichte einen Bericht über die Weisungen des EJPD vom 9. September 1992 für die Durchführung des Staatsschutzes. Dabei stellte sie fest, dass insbesondere die Vorschrift, dass sich die Staatsschutzorgane nicht mit der Observierung von verfassungsmässig garantierten Rechten befassen dürfen, zu wenig präzis formuliert ist [15].
Der Bundesrat setzte die vom Parlament im Vorjahr verabschiedeten Rechtsgrundlagen für die Einsicht in die Dossiers der Bundesanwaltschaft in Kraft. Von den 29 000 Fichierten, welche ursprünglich auch Dossiereinsicht verlangt hatten, hielten rund 5000 an ihrem Begehren fest [16].
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Politische Manifestationen
Nach dem Nationalrat befasste sich auch der Ständerat mit dem Extremismusbericht des Bundesrates und nahm von ihm Kenntnis [17].
Die Anschläge gegen bernische Personen und Einrichtungen im Zusammenhang mit dem Jura-Konflikt setzten sich zu Jahresbeginn fort, fanden dann aber ein abruptes Ende. Am frühen Morgen des 7. Januars kam es zu einem Bomben-Attentat auf das Haus des antiseparatistischen Berner Grossrats Houriet (fdp) in Courtelary. In der gleichen Nacht explodierte in der Berner Altstadt in einem parkierten Auto eine Bombe, wobei der offenbar mit der Manipulation des Sprengstoffs beschäftigte Wageninsasse ums Leben kam. Beim Verunfallten handelte es sich um einen jungen, der autonomistischen Gruppe Bélier angehörenden Aktivisten. Die Bundesanwaltschaft verhaftete im Laufe der anschliessenden Untersuchung zwei Mitglieder des Béliers und entdeckte nicht zuletzt dank deren Geständnissen mehrere Sprengstoffdepots in den Freibergen (JU) sowie Pläne für weitere Anschläge [18].
Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es auch im Rahmen von europaweit ausgeführten Aktionen von Kurden gegen türkische Einrichtungen. In Bern, wo kurdische Demonstranten auf das türkische Botschaftsgelände einzudringen versuchten, schossen Botschaftsangestellte in die Menge und verletzten dabei mehrere Demonstranten und einen Polizisten, wobei ein Kurde seinen Schussverletzungen erlag. Da die Türkei auf der diplomatischen Immunität ihrer Botschaftsangestellten beharrte, konnten die Schützen strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden [19]. Im Herbst kam es an verschiedenen Orten in der Schweiz wie auch in Deutschland, Osterreich, Grossbritannien und Dänemark zu weiteren Brandanschlägen gegen türkische Büros, Geschäfte und Vereinslokale. Die Ermittlungsbehörden nahmen an, dass auch hinter diesen Anschlägen die Kommunistische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) stand. Der Bundesrat beschloss, im Gegensatz zu den Regierungen Deutschlands und Frankreichs, auf ein Verbot der PKK einstweilen zu verzichten, diese aber intensiver zu überwachen als bisher, und die diesbezügliche Koordination mit den Polizeibehörden anderer europäischer Staaten zu verstärken [20].
In Zürich räumte die Polizei am 23. November die seit etwa zweieinhalb Jahren von Jugendlichen und sogenannten "Autonomen" besetzten Gebäude der ehemaligen Wohlgroth-Fabrik in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs. Es handelte sich dabei um das grösste zur Zeit in der Schweiz besetzte Areal. Die Räumung lief wider Erwarten ohne grössere Auseinandersetzungen ab. Bei verschiedenen Demonstrationen im Anschluss an die Räumung sowohl in Zürich als auch in anderen Städten entstand dann beträchtlicher Sachschaden; in Zürich wurde ein unbeteiligter Passant von Demonstranten schwer verletzt. Zu einer breiteren Solidarisierung mit den Vertriebenen kam es nicht, und die Manifestationen ebbten rasch ab [21].
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Am häufigsten kam es im Berichtsjahr wie üblich in Zürich zu Demonstrationen. In der Regel handelte es sich aber um kleinere Kundgebungen, an denen jeweils bloss einige hundert Personen teilnahmen. Die weitaus höchste Zahl von Grossdemonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten fanden in der Bundesstadt Bern statt. Wir registrierten im Berichtsjahr insgesamt 28 derartige Kundgebungen (1991: 40) : 12 davon in Bern, 7 in Zürich und 4 in Genf. Die beiden grössten Anlässe wurden im Vorfeld der Volksabstimmung über den Kauf des Kampfflugzeugs F/A-18 durchgeführt. Sowohl die Befürworter als auch die Gegner mobilisierten je ca. 25 000 Demonstranten für ihre Sache. Je 15 000 erschienen ebenfalls in Bern zu Kundgebungen der Gewerkschaften gegen die Arbeitslosigkeit resp. der Kosovo-Albaner gegen die Politik der serbischen Regierung. Proteste gegen sich verschlechternde Arbeitsverhältnisse, die Zustände im ehemaligen Jugoslawien sowie die Forderung für einen unabhängigen Kurdenstaat (alle je 5mal) waren die häufigsten Themen bei den Grossdemonstrationen. Etwas weniger als die Hälfte aller grossen Manifestationen wurden von Ausländern durchgeführt [22].
Nicht nur in der Schweiz gehören Demonstrationen im Zusammenhang mit einer Wahl in die Landesregierung zu den äusserst seltenen Ereignissen. Anlässlich der Ersatzwahl für den sozialdemokratischen Bundesrat Felber demonstrierten Frauen sowohl vor dem Bundeshaus als auch an anderen Orten für die Kandidatin Christiane Brunner [23].
Gegen den Antrag der Regierung und der vorberatenden Kommission beschloss der Zürcher Kantonsrat mit 68 zu 61 Stimmen, die Volksinitiative der Auto-Partei für ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen zur Annahme zu empfehlen. Am 26. September stimmte das Volk mit einer Mehrheit von 71% dem Begehren zu. Ein Vorstoss im Zürcher Parlament, der ein Demonstrationsverbot für Ausländer forderte, fand hingegen nur gerade bei 6 Abgeordneten der SD und der AP Unterstützung [24].
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Strafrecht
Erstmals seit 1988 ist 1992 die Gesamtheit der bei der Polizei angezeigten Verbrechen und Vergehen wieder zurückgegangen. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war eine Abnahme bei den gemeldeten Diebstählen; die angezeigten Gewaltdelikte wie Raub oder Körperverletzung nahmen jedoch weiterhin zu [25]. Die wachsende Angst eines Teils der Bevölkerung, Opfer eines Verbrechens zu werden, liess die öffentliche resp. die innere Sicherheit auch zu einem wichtigen politischen Thema werden. Nach einer recht emotionalen Debatte im Sommer präsentierten im Oktober sowohl die FDP als auch die CVP ihre Thesen und Vorschläge zu dieser Problematik. Bei der Ursachenforschung vermieden beide Parteien Schuldzuweisungen an politische Gegner oder bestimmte Bevölkerungsgruppen. Sie machten für die wachsende Kriminalität eher allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen wie zunehmende Anonymität und Wertewandel verantwortlich. Als Gegenmittel schlugen sie einen Ausbau der Strafverfolgungs- und -vollzugsbehörden vor, was freilich nicht ohne zusätzliches Personal und neue Strafvollzugsanstalten zu bewerkstelligen wäre. Auch Exponenten der SVP äusserten sich in ähnlicher Weise. Bundesrat Koller beauftragte eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe mit der Abklärung der Frage, welche Beiträge das EJPD zur Verbesserung der Situation leisten kann [26]. Wenig Resonanz fand dieses Thema bei der SP, die zwar ebenfalls Vollzugsprobleme konstatierte, sonst aber den Verdacht äusserte, dass dieses Thema von den bürgerlichen Parteien hochgespielt werde, um von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken und um Wählerstimmen zu erobern. Zumindest im lokalen Rahmen wurde ihre Anschuldigung bestätigt, als die Zürcher SVP in Wahlkampfinseraten die "Linken und Netten" für die zunehmende Kriminalität verantwortlich machte [27].
Besondere Vollzugsprobleme zeigten sich im Kanton Zürich. Vor allem als Folge der Konzentration des schweizerischen Drogenmarktes auf die Stadt Zürich waren die Gefängnisse oft dermassen überfüllt, dass die Polizei auf Verhaftungen verzichten musste, oder dass Gefangene, bei denen die Landesverweisung vollzogen werden konnte, vorzeitig entlassen wurden. Der Zürcher Regierungsrat Leuenberger (sp) kündigte gegen Jahresende den Bau von neuen Vollzugsanstalten an. Die von Zürcher Politikern aufgestellte Forderung nach einem Einsatz der Armee im Strafvollzug wurde von EMD-Chef Villiger umgehend und kategorisch abgelehnt [28].
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Aus der schweizerischen Kriminalstatistik ist bekannt, dass unter den Verurteilten die Ausländer überproportional stark vertreten sind. So beträgt ihr Anteil bei den Gewaltdelikten rund 45%. Ein guter Teil dieser Ausländer ist aber gar nicht in der Schweiz wohnhaft. Gemäss einer Auswertung des Bundesamtes für Statistik betrug der Anteil dieser Gruppe am Total aller verurteilten Straftäter im Mittel der Jahre 1987 bis 1991 bei Mord 24% und bei anderen Gewaltdelikten mehr als 10%; bei den Verurteilungen wegen Drogenhandel handelte es sich sogar bei jedem Dritten um einen nicht in der Schweiz wohnenden Ausländer [29].
Das Problem der speziell zur Begehung von Straftaten in die Schweiz einreisenden Kriminellen beschäftigte auch das Parlament. In der Frühjahrssession überwies der Nationalrat eine von 105 Abgeordneten aus allen Fraktionen (mit Ausnahme der GP) unterzeichnete Motion Stamm (fdp, AG) als Postulat. Er lud damit den Bundesrat ein, in bilateralen Verhandlungen zu erreichen, dass verurteilte ausländische Täter ihre Gefängnisstrafe in ihrem Herkunftsland absitzen müssen. Diese Strafverbüssung in der Heimat ist heute an das Einverständnis der Verurteilten gebunden und wird von diesen kaum genutzt [30].
Im Ständerat hatte Monika Weber (ldu, .ZH) eine Motion eingereicht, die vor allem verschärfte Massnahmen gegen kriminelle Asylbewerber resp. gegen Kriminelle, die sich unter den Schutz des Asylverfahrens stellen, forderte. Den Hintergrund für ihre Intervention bildete die Tatsache, dass sich unter den bei den Razzien der Zürcher Polizei verhafteten Drogendealern regelmässig über 40% Asylbewerber befinden. Sie verlangte deshalb die Internierung von Asylbewerbern, gegen welche ein Strafverfahren eröffnet wurde, und die nicht in Untersuchungshaft genommen worden sind. Für rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten Verurteilte forderte sie eine Internierung bis zur Erledigung des Asylgesuchs resp. die Ausschaffungshaft für solche, deren Gesuch bereits abgelehnt worden ist. Zudem sollte die heute auf einen Monat beschränkte Ausschaffungshaft bis zu sechs Monaten verlängert werden können, wenn die Betroffenen die Beschaffung von Ausreisepapieren behindern. In seiner Antwort betonte Bundesrat Koller, dass die Behörden bereits seit 1991 Massnahmen zur Bekämpfung des Missbrauchs des Asylverfahrens getroffen hätten, insbesondere mit der Weisung, Gesuche von straffälligen Bewerbern prioritär zu behandeln. Weitere Verschärfungen, wie etwa die Festsetzung von Aufenthaltrayons oder die in der Motion Weber erwähnten Massnahmen, würden zur Zeit von einer Expertenkommission unter rechtsstaatlichen Aspekten genau abgeklärt. Der Rat folgte seinem Antrag, den Vorstoss in ein Postulat umzuwandeln [31].
Nachdem er im Oktober eine Vernehmlassung durchgeführt hatte, legte der Bundesrat gegen Jahresende dem Parlament seine Vorschläge für einen effizienteren Vollzug von Ausweisungsbeschlüssen gegen kriminelle Ausländer vor. Sie betreffen nur Personen, welche weder über eine Niederlassungs- noch eine Aufenthaltsgenehmigung verfügen. Die Massnahmen richten sich nach Bundesrat Koller namentlich gegen jene, welche das Asylrecht missbrauchen, um unter dessen Schutz im Drogenhandel tätig zu sein. Wichtigstes Element soll wie bisher die prioritäre Bearbeitung der Gesuche von delinquierenden Asylbewerbern bleiben. Damit diese aber während der oft langwierigen Beschaffung von Ausreisepapieren nach einem ablehnenden Bescheid nicht weiterhin im kriminellen Milieu aktiv sein können, ist eine Ausdehnung der Ausschaffungshaft von einem auf sechs Monate vorgesehen. Um die Suche nach Reisedokumenten zu erleichtern, soll die Polizei die Effekten der Asylbewerber durchsuchen können. Erfolgt die Verurteilung bereits vor dem Abschluss des Asylverfahrens, sollen solche Personen bis zum Entscheid in eine "Vorbereitungshaft" von bis zu drei Monaten genommen werden können. Im weiteren sollen die Behörden während der Dauer des Anerkennungsverfahrens einen Aufenthaltsrayon resp. eine Sperrzone für Asylbewerber deklarieren dürfen. Schärfere Massnahmen, wie etwa sofortige Ausschaffung von kriminellen Asylbewerbern oder Nichteintreten auf deren Gesuche kommen hingegen für den Bundesrat aus verfassungs- und völkerrechtlichen Gründen nicht in Frage [32].
Grosses Aufsehen erregte ein Entscheid des Bundesgerichts vom 24. März 1992 im Falle eines seit 1985 in der Schweiz ansässigen und nach einer bedingten Haftentlassung erneut in Untersuchungshaft sitzenden Ausländers. Das oberste Gericht hatte die anlässlich der ersten Verurteilung als Zusatzstrafe verhängte Landesverweisung mit der Begründung aufgeschoben, dass die Chancen einer Resozialisierung in der Schweiz besser seien als im Heimatland des Delinquenten. Eine parlamentarische Initiative Moser (ap, AG) verlangte nun, dass für Ausländer, die wegen bestimmter schwerer Verbrechen zu Zuchthausstrafen verurteilt worden sind, automatisch eine Landesverweisung auf Lebenszeit ausgesprochen wird. Diese Zusatzstrafe ist heute nur bei Wiederholungstätern möglich. Die Ratsmehrheit lehnte die Initiative Moser ab. Im Anschluss an diesen Entscheid überwies der Nationalrat jedoch eine vom Bundesrat und der Ratslinken bekämpfte Motion, welche Änderungen des StGB und des Ausländergesetzes (Anag) verlangt, damit Landesverweisungen, welche von den Gerichten als Zusatzstrafe bei schweren Verbrechen verhängt worden sind, auf jeden Fall vollzogen werden müssen. Für den Ständerat war diese Motion zu undifferenziert, weshalb er sie in ein Postulat umwandelte [33].
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Im Juli gab der Bundesrat den Entwurf einer Expertenkommission für die Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs in die Vernehmlassung. Das Ziel dieser Reform besteht in einer Erweiterung des Katalogs an strafrechtlichen Sanktionen, um den unterschiedlichen Formen der Kriminalität besser gerecht zu werden. Dabei sollen bei den kleinen und mittleren Delikten vermehrt Resozialisierungs- und Verhütungsziele verfolgt werden. Die Experten schlagen vor, auf kurze Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten zu verzichten und diese durch Geldstrafen, oder – mit dem Einverständnis des Verurteilten – durch gemeinnützige Arbeiten zu ersetzen. Da diese kurzen Freiheitsentzüge heute mehr als 80% aller Freiheitsstrafen ausmachen, würde damit auch ein Beitrag zur Entlastung der überfüllten Gefängnisse geleistet. Die Maximaldauer für bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafen möchten die Experten von 18 auf 36 Monate erweitern. Bei schweren Gewaltdelikten soll die Obergrenze von 20 Jahren (d.h. lebenslänglich) beibehalten werden, wobei aber bei der Gefahr von weiteren schweren Taten eine anschliessende Verwahrung angeordnet werden kann. Das Konzept des Verzichts auf kurze Freiheitsstrafen stiess vor allem in der in Strafrechtsfragen repressiveren Westschweiz, vereinzelt aber auch in der Deutschschweiz auf Kritik [34].
Das Parlament befasste sich bereits mit einzelnen Vorschlägen der Expertenkommission. Beide Kammern überwiesen eine unbestrittene Motion Zisyadis (pda, VD) für die Einführung von Gemeinschaftsdiensten als Strafen. Eine vom Nationalrat gutgeheissene Motion Iten (cvp, NW) für eine Ausdehnung der Maximaldauer von bedingten Strafen auf 36 Monate wandelte die kleine Kammer hingegen in ein Postulat um. Dieser Entscheid wurde einerseits damit begründet, dass dieses Anliegen ohnehin bereits von der oben erwähnten Expertenkommission eingebracht worden sei, andererseits machte sich aber auch grundsätzliche Kritik an einer Milderung der Strafbestimmungen bemerkbar [35].
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Als Zweitrat ratifizierte auch der Nationalrat das Übereinkommen des Europarates über die Geldwäscherei und die Einziehung von deliktisch erworbenen Vermögenswerten [36]. Unter den in diesem Abkommen empfohlenen Massnahmen wird auch die Überwachung von verdächtigen Bankkonten erwähnt. Der Nationalrat überwies nun zwei Postulate, welche den Bundesrat einladen, die Schaffung von Rechtsgrundlagen für dieses Instrument zu prüfen [37].
Ende Juni legte der Bundesrat die Botschaft mit den ergänzenden Massnahmen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens vor, welche nach der Vernehmlassung noch einmal von einer Expertengruppe überarbeitet worden waren. Neu soll gemäss dem Entwurf der Begriff der kriminellen Organisation in das Strafgesetz eingeführt werden. Damit würden die Akteure des organisierten Verbrechens auch in denjenigen Fällen zur Rechenschaft gezogen werden, in denen wegen der ausgeklügelten Arbeitsteilung in diesen Organisationen eine direkte Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden kann. Der neue Rechtsbegriff der kriminellen Organisation soll auch einen wirkungsvolleren Zugriff auf deliktisch erworbene Vermögen ermöglichen. In Fällen, wo diese Vermögen nicht mehr vorhanden oder nicht mehr feststellbar sind, sollen die Gerichtsbehörden auch legal erworbene Vermögenswerte von kriminellen Organisationen einziehen dürfen. Als dritte wesentliche Neuerung schlug der Bundesrat eine Lockerung des Bank- resp. Berufsgeheimnisses vor. Danach soll es Personen, welche sich mit Bank- und Finanzgeschäften befassen, explizit erlaubt werden, die Behörden bereits über einen Verdacht auf Geldwäschereigeschäfte zu benachrichtigen. Diese auch von der Bankiervereinigung begrüsste Neuerung wird nicht nur die Aufdeckung von kriminellen Transaktionen erleichtern, sondern soll die Financiers auch aus dem Dilemma zwischen dem Risiko der strafbaren Beteiligung an Geldwäschereigeschäften einerseits und der Verletzung des Berufsgeheimnisses andererseits befreien. Auf eine "Kronzeugenregelung", wie sie zum Beispiel die USA und Italien kennen, möchte der Bundesrat hingegen verzichten. Immerhin sollen Täter, die mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten, mit einer Strafmilderung rechnen können [38].
Der Ständerat stimmte in der Dezembersession den Anträgen des Bundesrats weitgehend zu. Einen Antrag Morniroli (lega, TI) auf Schaffung einer "Kronzeugenregelung" lehnte er deutlich ab [39]. Der Nationalrat überwies ferner ein Postulat der CVP-Fraktion, worin namentlich Mittel und Personal für eine Verbesserung der Koordination zwischen den Organen des Bundes, der Kantone und des Auslands im Kampf gegen das organisierte Verbrechen sowie Rechtsgrundlagen für die verdeckte Fahndung gefordert werden [40].
In seiner Botschaft zu den ergänzenden Massnahmen gegen das organisierte Verbrechen nahm der Bundesrat auch eine Beurteilung der aktuellen Bedeutung des organisierten Verbrechens in der Schweiz vor. Als besonders gefährdet sieht er das Umfeld der Finanzplätze an, wo bereits heute die angebotenen Dienstleistungen von kriminellen Organisationen zum Geldwaschen verwendet werden. Der Grossteil der in den letzten Jahren beschlossenen und neu vorgeschlagenen gesetzlichen Massnahmen richtet sich denn auch gegen derartige Aktivitäten. Erste Anzeichen für das als besonders gefährlich erachtete Eindringen des organisierten Verbrechens in die Unternehmen der legalen Wirtschaft seien hingegen erst im Bereich der kleinen Gastronomiebetriebe und Modeboutiquen feststellbar [41].
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Der Bundesrat schickte im Mai Vorschläge einer Expertenkommission für eine Revision der Regelung des Verfahrens bei der internationalen Rechtshilfe in die Vernehmlassung. Das Ziel einer Beschleunigung des Verfahrens soll insbesondere dadurch erreicht werden, dass die Einsprachemöglichkeiten auf die Schlussverfügung über die Gewährung und den Umfang der Rechtshilfe beschränkt werden. Damit könnte eine jahrelange Blockierung der Ermittlungsarbeit durch Einsprachen auf verschiedenen Stufen, wie dies beispielsweise im Fall des philippinischen Staatschefs Marcos geschehen ist, verhindert werden. Auf eine Zentralisierung des Verfahrens möchten die Experten hingegen verzichten [42].
Im Zusammenhang mit der Aufdeckung von italienischen Schmiergeldskandalen entstand in der Schweiz eine Kontroverse über die Gewährung von internationaler Rechtshilfe in Bestechungsfällen. Voraussetzung für die Gewährung von Auskünften und die Aufhebung des Bankgeheimnisses ist die Strafbarkeit entsprechender Delikte in der Schweiz. Diese ist bei Geldzahlungen an Privatpersonen – dazu gehören auch Politiker, solange sie kein öffentliches Amt innehaben – nicht gegeben. Inwiefern die Bestechung ausländischer Beamter strafbar ist, muss, nach einem Rekurs der Tessiner Staatsanwältin del Ponte, das Bundesgericht entscheiden. Die Beamtenbestechung ist in der Schweiz zwar verboten; die Rekurskammer des Appellationsgerichts des Kantons Tessin hatte jedoch eine Beschwerde von Bankiers gegen die Aufhebung des Bankgeheimnisses mit dem Argument gutgeheissen, dass damit nur die Bestechung schweizerischer Beamter gemeint sei [43].
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Als Erstrat befasste sich der Nationalrat mit den vom Bundesrat 1991 vorgeschlagenen Änderungen des Strafrechts in bezug auf nicht erlaubte Handlungen gegen das Vermögen und auf das Fälschen von Urkunden. In der Eintretensdebatte begrüssten sämtliche Fraktionen diese Rechtsanpassung an die neuen Formen der Wirtschaftskriminalität. In der Detailberatung stimmte der Rat der von der Kommission vorgeschlagenen weniger strengen Bestrafung von Personen, welche ohne Bereicherungsabsichten in ein Computersystem eindringen (sog. Hacking) zu. Einen von Vertretern der SP unterstützten Antrag auf vollständige Straffreiheit für derartige Aktivitäten lehnte er hingegen ab. Mit Stichentscheid des Präsidenten abgelehnt wurde auch ein von der SP, der GP, dem LdU und Teilen der CVP unterstützter Antrag, es dem Richter zu erlauben, bei Bagatelldelikten von einer Strafverfolgung abzusehen (sog. Opportunitätsprinzip). Im übrigen nahm der Rat eine Reihe von Korrekturen am Regierungsentwurf vor, ohne allerdings Wesentliches zu verändern [44]. Der Ständerat stimmte den neuen Bestimmungen in der Wintersession zu, schuf aber doch einige Differenzen zum Nationalrat. Insbesondere nahm er als zusätzlichen strafbaren Tatbestand auch noch das Einschleusen von Viren in Computersysteme sowie die Herstellung und Verbreitung derartiger Programme in das Gesetz auf [45].
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Obwohl damit die Kompetenzen der Kantone zu Lasten des Bundes eingeschränkt werden, stimmte auch der Ständerat dem neuen Verfassungsartikel 40bis zu, welcher den Bund beauftragt, Missbräuche im Waffenhandel zu bekämpfen. Zuvor hatten insbesondere die Freisinnigen Loretan (AG) und Rüesch (SG) vom Bundesrat eine explizite Zusicherung erhalten, dass er nicht beabsichtige, in der Ausführungsgesetzgebung das Recht auf Waffenbesitz grundsätzlich in Frage zu stellen. In der Schlussabstimmung wurde die neue Bundeskompetenz vom Nationalrat gegen drei und vom Ständerat ohne Gegenstimmen verabschiedet [46].
Waffenartikel. Abstimmung vom 26. September 1993

Beteiligung: 39,9%
Ja: 1 539 782 (86,3%) / 20 6/2 Stände
Nein: 245 026 (13,7%) / 0 Stände

Parolen:
Ja: alle Parteien ausser AP, Lega.
Nein: AP, Lega, LP (VD).
Die Volksabstimmung über den neuen Verfassungsartikel fand am 26. September statt. Opposition machte sich während der Kampagne kaum bemerkbar. Die Gesellschaft für freiheitliches Waffenrecht "Pro Tell", an deren Widerstand frühere Versuche zur Einführung einer Bundeskompetenz zur Regelung des Waffenerwerbs gescheitert waren, vermochte zwar dem Verfassungsartikel nichts Positives abzugewinnen, sie kündigte jedoch an, dass sie ihre Kräfte voll auf die Ausgestaltung der Ausführungsgesetzgebung konzentrieren wolle. Nachdem sich von den Parteien nur die AP und die Lega sowie die Liberalen des Kantons Waadt gegen den neuen Verfassungsartikel ausgesprochen hatten, nahm das Volk die neuen Bestimmungen mit mehr als 86%-Ja-Stimmen an [47].
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Die Schaffung neuer Polizeiorgane im Rahmen der Europäischen Union (Schengener Informationssystem, Trevi, Europol) liess bei den schweizerischen Ermittlungsbehörden die Befürchtung aufkommen, vom Informationsaustausch und der aktiven Zusammenarbeit ausgeschlossen zu werden. Im Rahmen einer Interpol-Konferenz brachte deshalb die Schweiz einen Resolutionsentwurf ein, welcher eine möglichst enge Vernetzung dieser neuen europäischen Institutionen mit Interpol verlangt. Die Delegierten aus 40 europäischen Staaten stimmten diesem Antrag zu [48].
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Privatrecht
Im Sinne einer Anpassung an veränderte Lebensgewohnheiten und in Erfüllung diverser parlamentarischer Vorstösse beantragte der Bundesrat die Senkung des zivilrechtlichen Mündigkeits- und Ehefähigkeitsalters von 20 auf 18 Jahre. Im Vergleich zum Vernehmlassungstext nahm der Bundesrat noch einige Änderungen vor. So sprach er sich gegen eine Senkung der Unterhaltspflicht der Eltern für in Ausbildung stehende Kinder aus und schlug auch vor, den Sonderschutz für jugendliche Arbeitnehmer bis zum Erreichen des 20. Altersjahres beizubehalten. Der Forderung nach der Einführung von speziellen Konsumentenschutzvorschriften für mündige, aber noch nicht 20jährige Bürger lehnte er hingegen ab. Der Ständerat verabschiedete die Vorlage bereits in der Sommersession; Opposition erwuchs der Neuerung lediglich von Morniroli (lega, TI) [49].
Der Nationalrat beriet die Vorschläge des Bundesrates für eine Teilrevision des Gesetzes über die Schuldbetreibung und den Konkurs. Nachdem Eintreten unbestritten war, setzten sich in der Detailberatung einige nicht besonders umstrittene Abänderungsanträge der Kommissionsmehrheit durch. Keine Erfolgschancen hatten dagegen die Anträge der Linken. Dabei wurde unter anderem die Forderung, bei der Pfändung nicht mehr auf den Zwangsbedarf, sondern auf ein soziales Existenzminimum, wie es von den Fürsorgeämtern definiert wird, Rücksicht zu nehmen, mit 114 zu 63 Stimmen abgelehnt. Der Ständerat nahm an der umfangreichen Gesetzesrevision ebenfalls eine Vielzahl von kleineren Änderungen vor. Zudem wies er einen Teil der Vorlage an den Bundesrat mit der Auflage zurück, eine Zusatzbotschaft über die Auswirkungen des 1991 ratifizierten Lugano-Abkommens auszuarbeiten [50].
Der Bundesrat setzte seine Bestrebungen für eine Modernisierung des Internationalen Privatprozessrechts fort. Er beantragte dem Parlament die Ratifizierung von vier Haager Übereinkommen zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe im Bereich von Zivil- und Handelssachen. Diese von der Schweiz 1985 unterzeichneten Abkommen sollen bestehende teilweise veraltete Regelungen ablösen [51].
Im April gab der Bundesrat den Vorentwurf für eine Revision des Stiftungsrechts in die Vernehmlassung. Als wesentliche Neuerung sieht er ein ausdrückliches Verbot von Stiftungen mit rein wirtschaftlichem Zweck vor [52].
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Weiterführende Literatur
G. Arzt, "Organisierte Kriminalität. Bemerkungen zum Massnahmenpaket des Bundesrates vom 30. Juni 1993", in Aktuelle juristische Praxis, 1993, S. 1187 ff.
M. Eisner, Alltägliche Gewalt in Schweizer Städten, Zürich 1993.
A. Haefliger, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz. Die Bedeutung der Konvention für die schweizerische Rechtspraxis, Bern 1993.
G. Kreis (Hg.), Staatsschutz in der Schweiz, Bern (Haupt) 1993.
A. Kuhn, Punitivité, politique criminelle et surpeuplement carcéral, ou, comment réduire la population carcérale, Berne (Haupt) 1993.
M. Pieth / D. Freiburghaus, Die Bedeutung des organisierten Verbrechens in der Schweiz, Basel 1993.
Plädoyer (Hg.), Geschlossene Gesellschaft? Macht und Ohnmacht der Justizkritik, Zürich 1993.
T. Poledna, Praxis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) aus schweizerischer Sicht, Zürich 1993.
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[1] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 90 ff., 452 und 579; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1075 ff., 1300 und 1451; BBl, 1993, II, S. 895 f. Zu der ebenfalls vorgesehenen Kommission für Rassismusfragen siehe auch Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2058. Vgl. SPJ 1992, S. 23. Eine Standesinitiative des Kantons Genf aus dem Jahre 1989 für ein Antirassismusgesetz konnte als erfüllt abgeschrieben werden (Amtl. Bull. StR, 1993, S. 101 f.).
[2] BBl, 1993, IV, S. 445 f. Neben je einem von Emil Rahm, Hallau/SH resp. Herbert Meier, Baden/AG repräsentierten Komitee war auch die "Ligue Vaudoise" an der Unterschriftensammlung beteiligt.
[3] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1080; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 101 (Postulat) und 452 ff. (Motion NR).
[4] BBl, 1993, I, S. 995 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 681 ff. und 1130; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2199 und 2589. Vgl. SPJ 1992, S. 24.
[5] SGT, 15.6.93; Bund, 26.6. und 19.8.93. Vgl. SPJ 1992, S. 24.
[6] BBl, 1993, I, S. 1109 ff. und 1136 ff. (Stellung BR); Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1232 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 973 ff.
[7] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1970. Vgl. SPJ 1990, S. 23.
[8] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 663 ff. und 1132; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2346 ff. und 2591; BBl, 1993, IV, S. 564. Vgl. SPJ 1992, S. 24 f.
[9] BBl, 1993, III, S. 1388 ff. Vgl. SPJ 1992, S. 24.
[10] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1944 ff.
[11] JdG, 13.3., 7.6. und 29.11.93. Vgl. auch unten, Teil II, 1b sowie SPJ 1992, S. 25.
[12] BE: Bund, 11.8.93. ZH: TA, 20.4. und 27.9.93. BS: BaZ, 2.6. und 16.9.93.
[13] FR: Lib., 20.3. und 30.6.93. AG: AT, 22.1.93. Tl: CdT, 14.1.93.
[14] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1364 ff. und 1368. Vgl. SPJ 1992, S. 25.
[15] BBl, 1993, II, S. 304 ff. Vgl. SPJ 1992, S. 26 f. Vgl. auch den Bericht über den Staatsschutz der vom BR eingesetzten Expertengruppe (Lit. Kreis sowie Presse vom 12.6.93). Siehe auch Plädoyer, 11/1993, Nr. 6, S. 10 ff.
[16] Bund, 21.2.93; Presse vom 17.2.93; NZZ, 7.4.93. Vgl. SPJ 1992, S. 25 f.
[17] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 86 ff. Vgl. SPJ 1992, S. 27.
[18] Presse vom 8.1.93; Dém., 18.1., 19.1. und 23.1.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 48. Siehe dazu unten, Teil I, 1d (Territorialfragen).
[19] Presse vom 25.6.93; TA, 1.7.93. Siehe dazu auch unten, Teil I, 2 (Relations bilatérales) sowie Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2588 f.
[20] Presse vom 5.11.93; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 994 ff.
[21] Zürcher Presse vom 22.10.-23.12.93; TAM, 30.10.93; WoZ, 3.12.93.
[22] In der folgenden Zusammenstellung sind die Kundgebungen der Gewerkschaften zum 1. Mai, welche in den Grossstädten jeweils einige Tausend Beteiligte aufweisen, nicht erfasst. Belege für die Demonstrationen mit 1000 und mehr Teilnehmenden (in Klammer Anzahl und Thema): Bern: Bund, 1.2. (1500/Tamilen), Bund, 22.2. (8000/Gewerkschaften gegen Arbeitslosigkeit), Presse vom 11.3. (10 000/Frauen für Christiane Brunner), Bund, 15.3. (1500/Mazedonier), Bund, 17.3. (1000/Kurden), Presse vom 29.3. (15 000/Gewerkschaften gegen Arbeitslosigkeit), Presse vom 17.5. (25 000/gegen F/A-18), Presse vom 24.5. (25 000/für F/A-18), Bund, 14.6. (15 000/Kosovo-Albaner), BZ, 28.6. (1500/Kurden), BZ, 5.7. (5000/Kurden), Bund, 8.11. (6000/gegen Schneekanonen-Verbot). Zürich: TA und NZZ, 15.2. (1000/Kurden), TA, 8.3. (8000/Frauen für Brunner), NZZ, 13.4. (2000/Serben gegen Berichterstattung in den Medien), TA, 9.7. (1500/Studierende), TA, 4.10. (2000/für Wohlgroth), NZZ, 15.11. (2700/Gewerkschafter gegen Sozialabbau), TA, 22.11. (1500/für Wohlgroth). Genf: 24 Heures, 9.8. (4000/Bosnier), JdG, 16.8. (1500/Bosnier), JdG, 21.9. (1500/Gewerkschafter gegen bürgerliche National- und Ständeräte), Bund, 6.12. (4000/Bauern gegen GATT). Basel: BaZ, (2000/Frauen für Brunner), BaZ, 22.3. (1500/Kurden), BaZ, 12.7. (1500/Alevitische Türken). Lausanne: JdG, 20.11. (1000/Studierende gegen Sparmassnahmen), 24 Heures, 2.12. (1500/Gewerkschafter). Aesch/BL: BaZ, 11.1. (3500/gegen Anschlag auf Asylbewerberheim). Luzern: Presse vom 7.12. (2000/EWR-Gegner).
[23] Siehe dazu unten, Teil I, 1c (Regierung).
[24] Vermummung: TA, 16.2., 9.9., 18.9. und 27.9.93. Vgl. SPJ 1992, S. 28. Ausländer: TA, 23.2.93.
[25] NZZ, 15.4.93.
[26] FDP: NZZ, 29.10.93; Politische Rundschau, 72/1993, Nr. 4. CVP: Presse vom 1.11.93. SVP: BZ, 13.10.93. Koller: SGT, 29.10.93; BaZ, 28.12.93. Siehe auch A. Koller in Documenta, 1993, Nr. 3, S. 18 ff.
[27] BaZ, 29.10.93; TA, 10.11. und 12.11.93; NZZ, 16.11.93.
[28] Entlassungen: TA, 2.6. und 7.9.93. Bauprogramm: TA, 9.12. und 17.12.93. Militär-Einsatz: SoZ und Sonntags-Blick, 12.12.93; Presse vom 14.12.93. Vgl. zur Belegung der Gefängnisse auch NZZ, 27.12.93 sowie D. Droesch, "Strafvollzug. Es darf gebaut werden", in Plädoyer, 11/1993, Nr. 5, S. 10 ff.
[29] NZZ, 13.3.93; vgl. auch SGT, 15.4.93 sowie TA, 20.7.93 (M. Killias). Siehe auch Lit. Eisner und NZZ, 2.8.93.
[30] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 569 f.
[31] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 668 ff.
[32] BBl, 1994, I, S. 305 ff.; Presse vom 23.12.93. Vgl. dazu auch unten, Teil I, 7d (Flüchtlinge).
[33] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1368 ff. (Initiative) und 1375 ff. (Motion); Amtl. Bull. StR, 1993, S. 972 f. Noch 1986 hatte der NR die Überweisung einer grundsätzlich gleichen Motion Ruf (sd, BE) mit 82:3 Stimmen abgelehnt.
[34] Presse vom 7.7.93. Vgl. dazu auch SPJ 1990, S. 31 sowie Plädoyer, 11/1993, Nr. 5, S. 14 f. Kritik: NQ, 31.8.93; 24 Heures, 1.11.93; BaZ, 6.11.93; Ww, 23.12.93.
[35] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 572 (Zisyadis) resp. 983 (lten); Amtl. Bull. StR, 1993, S. 704 (Zisyadis) resp. 970 ff. (Iten).
[36] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 49 f. Vgl. SPJ 1992, S. 30 sowie NZZ, 30.6.93.
[37] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 51 ff.
[38] BBl, 1993, III, S. 277 ff.; Presse vom 1.7.93. Vgl. SPJ 1992, S. 30.
[39] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 976 ff.
[40] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2533 f.
[41] BBl, 1993, III, S. 282 ff. Der BR stützte sich bei seiner Lagebeurteilung auf eine Untersuchung von Mark Pieth (vgl. dazu auch Lit. Pieth sowie BaZ und Bund, 16.11.93).
[42] Bund, 27.5.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 30 und 119. Siehe zur Amtshilferegelung im revidierten Bankengesetz auch unten, Teil I, 4b (Banken).
[43] SGT, 14.5.93. Vgl. auch die Stellungnahme von BR Koller in NZZ, 4.10.93.
[44] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 922 ff.; vgl. SPJ 1992, S. 30 f. Zur Opposition der SP gegen die Bestrafung des Hackings siehe auch TA, 4.6.93. Im Anschluss an seine Debatte überwies der NR oppositionslos eine Motion, welche die Vorlage eines Bundesgesetzes über die wirtschaftliche Strafrechtspflege in Kriegszeiten verlangt (Amtl. Bull. NR, 1993, S. 957).
[45] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 948 ff. und 962 ff.
[46] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 78 ff. und 232; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 639; BBl, 1993, I, S. 1044. Vgl. SPJ 1992, S. 29. Zuvor hatte der StR noch eine entsprechende Motion Salvioni (fdp, TI) aus dem Jahre 1992 überwiesen (Amtl. Bull. StR, 1993, S. 85).
[47] BBl, 1993, VI, S. 262 ff.; Presse vom 25.8.-25.9.93; NZZ, 14.9.93 (Pro Tell) ; der Schweizerische Schützenverein hatte sich für Stimmfreigabe entschieden (NZZ, 18.9.93).
[48] SGT, 1.4.93; AT, 3.4.93. Siehe dazu auch den Bericht der vom BR eingesetzten Expertenkommission (NZZ, 12.5.93).
[49] BBl, 1993, I, S. 1169 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 659 ff.; Presse vom 18.1.93. Vgl. SPJ 1992, S. 31.
[50] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 628 ff. Siehe auch BBl, 1994, I, S. 1315 ff. Vgl. NZZ, 26.2.93 und SPJ 1991, S. 32. Zum Lugano-Abkommen siehe SPJ 1991, S. 32.
[51] BBl, 1993, III, S. 1261 ff. Vgl. auch SPJ 1990, S. 32.
[52] NZZ und BaZ, 27.4.93.
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