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Sozialpolitik
Bevölkerung und Arbeit
Die definitiven Resultate der Volkszählung 1990 zeigten das Bild einer Schweiz in raschem gesellschaftlichem und kulturellem Wandel. – Als Folge der anhaltenden Konjunkturflaute nahm die Arbeitslosigkeit erneut markant zu und erreichte mit 5,1% der erwerbstätigen Bevölkerung einen neuen Höchststand. – Erstmals seit vielen Jahren mussten die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wieder eine Reallohneinbusse hinnehmen. – Der Bundesrat gab seine Vorschläge für die Aufhebung des Nacht- und Sonntagsarbeitsverbotes für Frauen in der Industrie in die Vernehmlassung. – Das Parlament genehmigte ein neues Mitwirkungsgesetz, welches den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewisse Mitspracherechte bei der Arbeitssicherheit und bei Firmenübernahmen zugesteht.
Bevölkerungsentwicklung
Die definitiven Ergebnisse der Volkszählung von 1990 zeigten das Bild einer Schweiz in raschem gesellschaftlichem und kulturellem Wandel. In den 80er Jahren wurden 530 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg damit um 17,1%. Diejenige der erwerbstätigen Frauen nahm um 192 000 zu. 44,7% aller Frauen arbeiteten teilzeitlich, während es bei den Männern nur 5,2% waren. Fast vier von fünf Frauen waren im Dienstleistungssektor tätig, der kontinuierlich expandierte und zum Zeitpunkt der Volkszählung 63,9% der Arbeitskräfte beschäftigte. Gegenüber 1980 schrumpfte der industrielle Sektor von 39,4% auf 31,8% der Erwerbstätigen.
Der Trend zu mehr und kleineren Haushalten setzte sich ungebrochen fort. Die Zahl der Haushalte wuchs um 392 000 oder 16,0%. 1990 lebte fast in jedem dritten Haushalt eine Person allein, mehrheitlich waren es Frauen. Die steigende Zahl von Rentnern und das Hinausschieben der Familiengründung haben den Anteil der Paarhaushalte ohne Kinder von 22,8 auf 26,6% ansteigen lassen. Mehr als verdoppelt hat sich die Zahl der Konkubinatspaare. Der Anteil der Haushalte von Eltern mit Kindern ging weiter zurück und machte noch 37,5% aus. Die Kinderzahl blieb jedoch mit 1,83 fast konstant. Der Anteil der geschiedenen Personen erhöhte sich dagegen um ein Drittel von 3,2 auf 4,3% der Bevölkerung.
Die Verstädterung der Schweiz ging rasant weiter. Hatten 1980 noch 61,6% der Einwohner in städtischem Umfeld gewohnt, waren es 1990 bereits 68,9%. Sie lebten verteilt auf 48 Agglomerationen und neun isolierte Städte. In den 80er Jahren entstanden 15 neue Agglomerationen vor allem um die rasch wachsenden Kleinzentren des Wallis, des Berner Oberlandes und des St.Galler Rheintals sowie in den Kantonen Aargau und Thurgau. Besonders stark wuchsen die Grossagglomerationen Genf und Lausanne.
Die stärkere Präsenz von Ausländern hat eine neue Vielfalt von Sprachen und Religionen gebracht. Erstmals waren die Nicht-Landessprachen mit 8,9% stärker vertreten als das Italienische, allen voran die slawischen Sprachen — primär Serbokroatisch —, gefolgt von Spanisch, Portugiesisch, Türkisch und Englisch. Bei den Konfessionsgruppen fällt der starke Zuwachs der Mohammedaner auf 150 000 und der ostkirchlichen Religionsgemeinschaften auf 72 000 Angehörige auf [1].
Der vor bald 20 Jahren zur Diskussion von Zukunftsfragen ins Leben gerufene Perspektivstab der Bundesverwaltung, welcher zurzeit unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Couchepin steht, legte dem Bundesrat ein Diskussionspapier vor, welches anhand der im Vorjahr entwickelten Bevölkerungszenarien des Bundesamtes für Statistik (BFS) die Bevölkerungsentwicklung und deren volkswirtschaftliche und ökologische Relevanz für die nächsten 10 bis 15 Jahre thematisierte. Ausgehend von den drei Hauptmerkmalen der künftigen Bevölkerungsentwicklung der Schweiz, nämlich vom Bevölkerungswachstum bis ins Jahr 2010 mit anschliessendem Rückgang, dem stark beschleunigten Prozess der (Über-)Alterung der Bevölkerung sowie der zentralen Rolle, welche die Zuwanderung von Ausländern auch in der künftigen Bevölkerungsentwicklung spielen wird, skizzierte die Arbeitsgruppe zwei mögliche Szenarien für die Zeit nach dem Jahr 2010. Das eine basiert auf der Stagnation und sogar Abnahme der Erwerbstätigen bei zunehmender Zahl der über 65jährigen, das andere auf einer altersstrukturerhaltenden Steigerung des Anteils der Ausländer auf bis zu 40% der Wohnbevölkerung, wenn die durch den Geburtenrückgang bedingten Lücken auf dem Arbeitsmarkt vollumfänglich durch Zuwanderung ausgeglichen würden.
Der Bericht des Perspektivstabes wollte Möglichkeiten aufzeigen, jedoch weder Ziele definieren noch Rezepte anbieten. Das Diskussionspapier ortete vorderhand noch einen gewissen Handlungsspielraum, zumindest solange als die Wanderungsbewegungen zwischen Süd und Nord kontrollierbar und deshalb mittels politischer Massnahmen beeinflussbar bleiben. Sachgerechte Lösungen bedingten aber, dass die Schweizer Bevölkerung bereit sei, sich intensiv mit dem Fremden auseinanderzusetzen und wirtschaftlich-technologische Neuerungen sowie ein Umdenken der Umwelt gegenüber einzuleiten. Zunächst aber einmal müsste die bevölkerungspolitische Problematik bewusst gemacht werden. Der Formulierung und Vermittlung der Probleme sowie möglicher Lösungen komme deshalb eine zentrale Rolle zu [2].
In seinem Länderbericht zuhanden der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung, die 1994 in Kairo stattfinden soll, hielt der Bundesrat fest, dass auch in der Schweiz die Notwendigkeit bestehe, Bevölkerungsfragen bewusster zu thematisieren, der Bund aber keine koordinierte Bevölkerungspolitik verfolge und auch keine bevölkerungspolitischen Massnahmen in Betracht ziehe [3].
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Arbeitswelt
Gemäss einer vom BERI-Institut in Genf durchgeführten Studie weist die Schweiz die zweithöchste Arbeitsproduktivität unter den insgesamt 47 untersuchten Ländern auf. Sie rangiert vor Japan, Belgien, Taiwan, Deutschland und den USA. Nur Singapur verzeichnet bei der Herstellung hochwertiger Industrieerzeugnisse ein noch besseres Ergebnis. Gemäss der Studie sind die industriellen Produktionsverfahren in der Schweiz stark automatisiert. Die hohen Lohn- und Lohnnebenkosten werden dabei durch die gute Ausbildung und Arbeitsmotivation der Mitarbeiter weitgehend ausgeglichen [4].
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Arbeitsmarkt
Eine Motion Bezzola (fdp, GR), welche im Sinn von mehr Flexibilität die Aufhebung der 1989 vom Parlament beschlossenen Unterstellung der Aushilfsausleihe unter das Arbeitsvermittlungsgesetz verlangte, wurde auf Antrag des Bundesrates, der auf bereits stattgefundene administrative Erleichterungen verwies und die Bedeutung des Arbeitnehmerschutzes in jenen Branchen unterstrich, die nicht durch einen Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind, vom Nationalrat in ein Postulat umgewandelt [5].
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Als Folge des anhaltenden Konjunktureinbruchs nahm die Arbeitslosigkeit auch im Berichtsjahr noch einmal markant zu. Die Zahl der Beschäftigten ging in allen vier Quartalen zurück, doch verlangsamte sich die Talfahrt in der zweiten Jahreshälfte. Im Jahresmittel betrug der Arbeitsplatzabbau gegenüber dem Vorjahr 2,6% (1992: 2,2%). 163 135 Personen oder 4,5% der erwerbstätigen Bevölkerung waren im Jahresdurchschnitt arbeitslos. Ende Dezember registrierte das Biga rund 185 000 Personen ohne Arbeit. Die Arbeitslosenquote kletterte damit auf 5,1%. Gemäss Biga waren im Jahresdurchschnitt knapp 30 000 Personen seit über einem Jahr arbeitslos, wobei die Tendenz klar steigend war. Im Jahresmittel glichen sich sowohl die Geschlechter als auch die Altersklassen, welche im Vorjahr noch deutlich unterschiedliche Werte gezeigt hatten, einander an. Durchschnittlich waren 4,7% der Frauen ohne Arbeit gegenüber 4,4% bei den Männern. Die Altersgruppe der 15- bis 24jährigen war mit 4,9% nur noch unwesentlich mehr von Arbeitslosigkeit betroffen als jene der 25- bis 49jährigen mit 4,8%. Einzig die über 50jährigen wiesen mit 3,5% eine wesentlich niedrigere Rate aus. Bedeutend blieben die Unterschiede zwischen Schweizern (3,5%) und Ausländern (7,8%), was auf die Ausländerpolitik der letzten Jahrzehnte zurückgeführt wurde, die in erster Linie unqualifizierte Arbeitskräfte ins Land geholt hatte [6].
Die regionale Verteilung der Arbeitslosigkeit zeigte weiterhin das bekannte Muster. Die niedrigste durchschnittliche Arbeitslosenquote wiesen die Kantone Uri und Appenzell-Innerrhoden mit 1,6% sowie Graubünden mit 1,8% auf. Besonders hoch war die Arbeitslosigkeit im Kanton Tessin (6,3%) sowie in den Westschweizer Kantonen Waadt (6,9%), Wallis (6,5%), Neuenburg (6,3%), Genf (7,2%) und Jura (5,9%). Im zweisprachigen Kanton Freiburg waren 5,0% der erwerbstätigen Bevölkerung ohne Arbeit. Die Deutschschweizer Kantone mit der höchsten Arbeitslosenquote waren Solothurn (4,6%), Schaffhausen (4,3%) und Zürich (4,1%) [7].
Der Beschäftigungsabbau fiel im zweiten Sektor (-4,5%) wesentlich stärker aus als im dritten Sektor (-1,7%). Im Dienstleistungssektor war selektiv sogar eine Zunahme der Arbeitsplätze zu beobachten. In den Bereichen Immobilien, Kultur/Sport/Freizeit, Beratung/Planung sowie Banken wurden neue Stellen geschaffen. Der Handel baute dagegen vor allem am Jahresende vermehrt Arbeitsplätze ab, wobei der Grosshandel stärker betroffen war als der Detailhandel. Im zweiten Sektor erfolgte mit Ausnahme der chemischen Erzeugnisse in allen Bereichen ein Beschäftigungs-Abbau, doch verlangsamte sich der Trend in den beiden wichtigen Bereichen Industrie und Gewerbe und Bauwirtschaft im vierten Quartal deutlich gegenüber dem dritten Quartal [8].
Im Jahresmittel waren 2838 Betriebe und 42 046 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen, was gegenüber 1992 (1894 Betriebe mit 34 020 Erwerbstätigen) eine deutliche Zunahme bedeutet. Ihren Höchststand erreichte die Kurzarbeit im März mit 2 905 462 Ausfallstunden, den tiefsten Wert im August mit 1 131 649 Stunden. Angesichts der Bedeutung der Kurzarbeit wurde im dringlichen Bundesbeschluss über Massnahmen in der Arbeitslosenversicherung die maximale Bezugsdauer der Kurzarbeitsentschädigung von 18 auf 21 Monate angehoben und dem Bundesrat die Kompetenz eingeräumt, diese bei andauernder, erheblicher Arbeitslosigkeit auf zwei Jahre auszudehnen. Bereits auf den 1. Oktober des Berichtsjahres machte der Bundesrat von dieser Kompetenz Gebrauch [9].
Im Berichtsjahr wurde verstärkt Wert auf aktive Präventionsmassnahmen gesetzt. Rund 110 000 Personen kamen in den Genuss von Kursen zur Aus- und Weiterbildung sowie zur Umschulung. Seit der Annahme des dringlichen Bundesbeschlusses kann der Bund auch Programme zur vorübergehenden Beschäftigung von Arbeitslosen anstatt wie bisher zu 50% neu zu 85% und in Ausnahmefällen sogar zu 100% subventionieren. Allerdings zeigte sich, dass es nicht immer einfach war, ein geeignetes Einsatzfeld zu finden, da die Beschäftigungsprogramme nicht die private Wirtschaft konkurrenzieren, nicht normale Verwaltungsarbeiten der Kantone und Gemeinden auf Arbeitslose umlagern und nicht blosse Beschäftigungstherapie sein dürfen. Mit einer Gesamtsumme von rund 140 Mio Fr. wurden im Berichtsjahr Programme für über 12 000 Personen finanziert [10].
Mit einer Motion verpflichtete der Freiburger Nationalrat und CNG-Präsident Fase] (cvp) den Bundesrat, im Rahmen der Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) die Beratung von Arbeitslosen als eigenständiges Instrument in den Katalog der Präventivmassnahmen aufzunehmen. Unter Hinweis auf die angelaufene 2. Revision des AVIG beantragte der Bundesrat Umwandlung in ein Postulat. Der Nationalrat erachtete diesen Aspekt der Prävention jedoch als derart zentral, dass er den Vorstoss in der verbindlichen Form überwies [11]. Der Entwurf zur Revision des AVIG, welchen der Bundesrat Ende Jahr dem Parlament zuleitete, sieht substantielle Verbesserungen im Bereich der Arbeitsvermittlung vor. Das Beratungs- und Vermittlungsangebot der Arbeitsämter soll durch die Gewährung der entsprechenden finanziellen Mittel professionalisiert werden, wobei die Aus- und Weiterbildung des Beratungspersonals und die Möglichkeit zur Einrichtung regionaler Vermittlungsstellen im Vordergrund stehen. Grundsätzlich soll die Stempelpflicht durch ein regelmässig stattfindendes Vermittlungsgespräch ersetzt werden [12].
Einen innovativen Weg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beschritt die Stiftung "Pro Patria". Mit Unterstützung des Bundes und unter der Leitung von alt Nationalrätin Monika Stocker (gp, ZH) bot sie Arbeitslosen – vor allem Frauen und Jugendlichen – Kurse zur selbständigen Unternehmensführung an, um so direkt individuelle Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen [13]. Unterstützt von privatem Sponsoring lancierte auch der Kanton Solothurn ein Starthilfe-Projekt, um aus Arbeitslosen Unternehmer zu machen [14].
Während die Arbeitgeber den Ausweg aus der Arbeitslosigkeit in erster Linie in der Revitalisierung und Deregulierung der Schweizer Wirtschaft sahen, setzte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) vor allem auf Arbeitszeitverkürzungen und permanente Weiterbildung. Der SGB rechnete vor, dass bereits eine Senkung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden 80 000 neue Stellen schaffen würde. Für die Gewerkschaften war dabei erstmals auch ein partieller Lohnabbau nicht mehr tabu, allerdings nur unter der Bedingung, dass sich dies tatsächlich als beschäftigungwirksam erweist, die unteren Einkommen ausgenommen bleiben und der Teuerungsausgleich für alle garantiert ist. Konkrete Vorschläge in diese Richtung machte der Verband des öffentlichen Personals, der eine Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit um zwei Stunden bei gleichzeitiger Lohnkürzung um 2,4% anregte, um so den geplanten Abbau von 12 000 Stellen beim Bund, der SBB und der PTT zu verhindern. Der Schweizerische Kaufmännische Verein verlangte ebenfalls eine massive Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichzeitig garantiertem Mindesteinkommen [15].
Durch die Einführung einer Vorruhestandsregelung wollte der SGB 26 000 Arbeitsplätze schaffen. Mit seinem Modell "Stellentausch" schlug er vor, dass Männer ab 62 und Frauen ab 59 Jahren ihre Arbeitsplätze Erwerbslosen zur Verfügung stellen. Bis zum Eintritt ins AHV-Alter sollten sie von der Arbeitslosenversicherung (ALV) ein Ersatzeinkommen von mindestens 80% des letzten Lohnes erhalten. Die damit entstehenden Nettokosten von rund 680 Mio Fr. wollte der Gewerkschaftsbund gemeinsam durch die ALV, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer tragen lassen. Vorteil dieses Modells wäre, dass ältere Arbeitnehmer den Zeitpunkt ihres Rücktritts selber wählen könnten und der Vorsorgeschutz voll erhalten bliebe [16]. Im Nationalrat reichte die SP-Fraktion eine entsprechende Motion für einen dringlichen Bundesbeschluss ein. Der Vorstoss wurde von Allenspach (fdp, ZH) und Scherrer (ap, BE) bekämpft und seine Diskussion deshalb verschoben [17].
Nationalrätin und SMUV-Gewerkschaftspräsidentin Brunner (sp, GE) nahm das zweite Standbein der SGB-Strategie gegen die Arbeitslosigkeit, die permanente Weiterbildung, in einer Motion auf und verlangte, im Rahmen der Revision des AVIG sei ein Solidaritäts-Weiterbildungsurlaub einzuführen. Die Weiterbildung eines fest Angestellten sollte damit während eines Jahres auf Kosten der Arbeitslosenversicherung finanziert werden, ein Arbeitsloser in der Zwischenzeit bei regulärem Lohn diesen ersetzen. Der Bundesrat war bereit, die Motion als Postulat entgegenzunehmen, doch wurde auch dieses von Allenspach (fdp, ZH) bekämpft und schliesslich – wenn auch nur knapp – abgelehnt [18].
Als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit bezeichneten die Gewerkschaften auch ihre Forderung nach einer Verbesserung der beruflichen Qualifikation der Arbeitnehmenden durch einen alle zwei Jahre stattfindenden bezahlten Bildungsurlaub für alle. Finanziert würde dieses Programm paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit maximal je 0,5 Lohnprozenten. Der SGB verlangte auch Intensivkurse für bildungswillige Erwachsene, insbesondere Arbeitslose, Vorkurse für bildungsschwächere Arbeitslose sowie ein von der Arbeitslosenversicherung bezahltes Nachholen der Grundausbildung für Erwachsene, die mindest zehn Jahre eine Arbeit ohne entsprechenden Berufsschulabschluss verrichtet haben. Dafür sollten primär Gelder der 1990 vom Parlament beschlossenen Weiterbildungsoffensive eingesetzt werden. Eine entsprechende Motion Brunner (sp, GE) wurde auch in der Postulatsform von Allenspach (fdp, ZH) bekämpft, weshalb deren Behandlung verschoben wurde [19].
Erstmals vermochte das Problem der Arbeitslosigkeit grössere Kundgebungen auszulösen. Mitte Februar folgten 8000 Personen dem Aufruf der Vereinigung der Arbeitslosenkomitees und protestierten in Bern gegen die im Bundesbeschluss über Massnahmen in der Arbeitslosenversicherung vorgesehene Taggeldkürzung von 80 auf 70%. Ende März vermochte der SGB 15 000 Menschen auf dem Berner Bundesplatz zu einer Demonstration gegen die Arbeitslosigkeit zu mobilisieren [20].
Ein Komitee gegen Jugendarbeitslosigkeit, zu welchem sich die grossen schweizerischen Jugendverbände zusammenschlossen, machte auf die spezifischen Probleme arbeitsloser Jugendlicher aufmerksam. Sie forderten Bildungs- und Beschäftigungsprogramme, ein Jahr Beschäftigungsgarantie nach der Lehre und eine generelle Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Gemeinsam mit dem Schweizerischen Kaufmännischen Verein organisierte das Komitee Mitte Juni einen nationalen Aktionstag gegen die Jugendarbeitslosigkeit, um eine weitere Bevölkerung auf den politischen und sozialen Zündstoff aufmerksam zu machen, der in der Jugendarbeitslosigkeit liegt. Der Bund ging mit gutem Beispiel voran und offerierte seinen rund 1450 Lehrabgängern eine Praktikumsstelle für eine weiteres Jahr, damit sie Berufserfahrungen sammeln und sich aktiv um eine neue Stelle bewerben können. Dieses Programm wurde auf 8,5 Mio Fr. veranschlagt [21].
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Löhne
Nach Angaben des Biga mussten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Berichtsjahr eine Reallohneinbusse von 0,7% hinnehmen. Die Nominallöhne stiegen um 2,6%, wobei die Frauen (+2,8%) etwas besser gestellt waren als die Männer (+2,5%). Der nominelle Lohnzuwachs für die verarbeitende Produktion fiel mit 2,6% kaum höher aus als für das Baugewerbe und die Dienstleistungen mit je 2,5% [22].
Die Gewerkschaften stiegen mit der Forderung nach mindestens dem vollen Teuerungsausgleich in die traditionellerweise im Herbst stattfindenden Lohnverhandlungen, doch konnte dieser in den meisten Branchen wegen der anhaltend angespannten Wirtschaftslage nicht erreicht werden [23].
Gemäss einer Umfrage der Schweiz. Gesellschaft für praktische Sozialforschung ist die Deregulierung bei der Entlöhnung in der Schweiz bereits weit fortgeschritten. 62% der angefragten Unternehmer gaben an, bei ihnen sei der automatische Teuerungsausgleich abgeschafft. 36% haben im Zeichen der Rezession und der Veränderungen in der Arbeitswelt die Dienstalterkomponenten im Lohn abgebaut. Hingegen sind bei 78% der Firmen Leistungsanteile im Lohn berücksichtigt. 80% der ebenfalls befragten Arbeitnehmer empfinden diese Deregulierung als Lohndrückerei zu ihren Lasten. Allerdings meinten auch 69%, der Leistungsanreiz werde so erhöht. 75% waren der Meinung, die Arbeitsplätze würden dadurch sicherer. Deshalb beurteilte nur jeder dritte Arbeitnehmer die Deregulierung in der Entlöhnung als ausdrücklich negativ [24].
Eine Studie der Handelshochschule St.Gallen (HSG) zeigte, dass Frauen in der Schweiz bezüglich Lohn noch immer benachteiligt sind. Für gleiche Arbeit verdienen weibliche Angestellte im Durchschnitt acht Prozent weniger als Männer. Die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau verstärkt sich mit zunehmender Qualifikation und höherem Alter. Besonders betroffen sind Branchen mit hohem Frauenanteil. Aber auch regionale Unterschiede wurden ausgemacht. Die höchsten Löhne werden laut HSG im zentralen Mittelland (AG, BL, BS, ZH und ZG) ausbezahlt. Im Durchschnitt wird in diesen Kantonen für eine vergleichbare Arbeit 3% mehr Lohn ausgerichtet als im westlichen Mittelland (BE, SO, FR, JU, VD, NE, GE). Auf Platz drei folgt die Ostschweiz (SG, Al, AR, TG, SH, GR) mit durchschnittlich' 5% tieferen Löhnen [25].
Für die Aufhebung des automatischen Teuerungsausgleichs auf den Löhnen der Bundesbeamten siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung). Zur Entwicklung in den Kantonen vgl. unten, Teil II, 5a.
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Arbeitszeit
Ab 1. Januar 1994 werden alle Bediensteten im öffentlichen Verkehr besser für Nachtarbeit entschädigt. Der Bundesrat setzte auf diesen Zeitpunkt eine im Berichtsjahr auch vom Nationalrat genehmigte entsprechende Änderung des Arbeitszeitgesetzes in Kraft. Bis anhin kannte bereits das Personal von SBB und PTT diese Regelung. Für den Dienst zwischen 22 und 6 Uhr werden zusätzliche Zeitzuschläge festgelegt, welche zwischen 5 und 15% der effektiven Arbeitszeit liegen. Der Bundesrat will damit die seiner Ansicht nach erwiesenermassen stärkere körperliche und geistige Belastung durch Tätigkeiten ausserhalb der gewohnten Arbeitszeiten gezielter und gerechter kompensieren [26].
Eine Motion Brunner (sp, GE), welche den Bundesrat verpflichten wollte, die Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz dahingehend zu ändern, dass Arbeitgebern nicht mehr die Möglichkeit zu gewähren sei, in gewissen Fällen Personal für bis zu über 60 Wochenstunden einzusetzen, wurde vom Berner FDP-Nationalrat und Warenhausbesitzer Loeb auch in der vom Bundesrat angeregten Postulatsform bekämpft, weshalb die Diskussion verschoben wurde [27].
Zu Diskussionen um eine generelle Arbeitszeitverkürzung siehe oben (Arbeitsmarkt).
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Mitte Jahr gab der Bundesrat seine Vorschläge für eine Revision des Arbeitsgesetzes mit dem Ziel einer Aufhebung des Nacht- und Sonntagsarbeitsverbotes für Frauen in der Industrie in die Vernehmlassung. Die Arbeits- und Ruhezeiten sollen künftig für Frauen und Männer die gleichen sein. Nur acht Wochen vor und nach der Geburt eines Kindes dürfen Frauen zwischen 20 und 6 Uhr nicht mehr beschäftigt werden. In dieser Zeit haben sie Anspruch auf Versetzung zu einer gleichwertigen Tagesarbeit oder, wenn dies nicht möglich ist, auf eine Fortzahlung von 80% des bisherigen Lohnes. Im Gegenzug soll allen Arbeitnehmern und -nehmerinnen für geleistete Nacht- und Sonntagsarbeit ein Zeitzuschlag in Form von zusätzlicher Freizeit gewährt werden. Alle in der Nacht Arbeitenden sollen zudem das Recht erhalten, sich auf Verlangen medizinisch untersuchen und beraten zu lassen. Wenn sich zeigt, dass ein Arbeitnehmer zur Nachtarbeit untauglich ist, so muss ihm der Arbeitgeber eine ähnliche Tagesarbeit anbieten. Ist dies nicht machbar, sind die gleichen Ansprüche zu gewähren wie im Krankheitsfall [28].
In der Vernehmlassung lehnten nur die SP und die Eidg. Kommission für Frauenfragen die Aufhebung des Nachtarbeitsverbotes im jetzigen Zeitpunkt generell ab. Die SP will ihre Zustimmung erst geben, wenn die Verwirklichung verschiedener Verbesserungen wie Mutterschaftsversicherung und -urlaub gesichert ist. Die Eidg. Frauenkommission begründete ihre Ablehnung mit ungenügenden Schutzmassnahmen für Arbeitende mit Familienpflichten. Die Gewerkschaften akzeptierten die Vorlage nur mit äusserster Zurückhaltung. Der SGB erachtete sie als äussersten Kompromiss und nur unter der Bedingung annehmbar, dass die Situation der in der Nacht Arbeitenden tatsächlich verbessert werde. Ebenfalls ja sagte der CNG, drohte aber im Fall wesentlicher Änderungen am Bundesratsentwurf mit dem Referendum. Mit Blick auf Familienleben und Gesundheit schlug die CVP unter anderem vor, alle drei Jahre zu prüfen, ob ein Unternehmen die Voraussetzungen für eine Nachtarbeitsbewilligung weiterhin erfülle. SVP und FDP erachteten vor allem die vorgesehenen Verbesserungen des Arbeitnehmerschutzes als heikel, da sich dahinter eine Neutralisierung der Flexiblisierungsbestrebungen verstecken könnte, und die Vorgaben allzu sehr in die Sozialpartnerschaft eingriffen. Der Vorort hielt fest, mit der Aufhebung des Frauennachtarbeitsverbots sei ein dringliches Anliegen erfüllt, doch dürfe diese Anpassung nicht Anlass zu zusätzlichen kompensatorischen Massnahmen sein. Auch der Gewerbeverband verlangte eine Lockerung des Verbots ohne neue Auflagen [29].
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Der 1. August wird ab 1994 den arbeitsfreien Feiertagen gleichgestellt. Ende Jahr gab der Bundesrat die entsprechende Verordnung in die Vernehmlassung, nachdem das Volk im September in der Abstimmung über die Initiative der SD (" 1. August-Initiative") einen neuen Bundesfeierartikel in die Verfassung angenommen hatte. Das Problem der Lohnzahlungspflicht soll erst im Gesetz geregelt werden [30].
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Gesamtarbeitsverträge
Im Vorjahr hatte der Nationalrat im Rahmen der EWR-Diskussionen gegen den Willen des Bundesrates, der Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte, eine Motion Fasel (cvp, FR) überwiesen, welche die Vorlage eines Gesetzesentwurfs verlangte, der die Möglichkeiten zur Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen erweitert. Da der aktuelle Anlass nicht mehr gegeben war, lehnte der Ständerat diese Motion ab, unterstrich jedoch, dass für ihn die Revision der Gesetzgebung über die Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen durchaus ein Problem darstellt, das wieder einmal aufgenommen werden muss [31].
Arbeitgeber wie Gewerkschaften stimmten dem neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) in der Maschinenindustrie zu, der für rund 200 000 Arbeitnehmer Gültigkeit hat. Umstritten war auf Gewerkschaftsseite vor allem der neue "Krisenartikel", welcher im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung in Ausnahmefällen und befristet eine Erhöhung der Arbeitszeit auf maximal 45 Stunden bei gleichem Lohn sowie die Stundung oder den Verzicht auf Teile des 13. Monatslohns vorsieht. Die Gewerkschaften erklärten ihr Einlenken mit der Erreichung materieller Fortschritte in anderen Bereichen (14wöchiger Mutterschaftsurlaub, mehr Ferien, Verankerung des Bildungsurlaubs und Ausbau der Mitwirkungsrechte). Seine erste substantielle Anwendung fand der Krisenartikel beim Giesserei- und Stahlkonzern Von-Roll, wo für die Belegschaft des Werkes Gerlafingen (SO) sowie für das gesamte administrative Personal eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 auf 42,5 Stunden vereinbart wurde. Bis Ende Jahr wurden 21 Unternehmungen mit 5500 Arbeitnehmern dem Krisenartikel unterstellt [32].
Die Verhandlungen über eineu Gesamtarbeitsvertrag im Deutschschweizer und Tessiner Pressewesen scheiterten Mitte Jahr, worauf die Journalistenverbände mit Kampfmassnahmen drohten. Ab Anfangs 1994 herrscht auch im Buchhandel ein vertragsloser Zustand, da die Aushandlung eines neuen GAV am Streit um Teuerungsausgleich, Ferien und Mindestlöhne scheiterte [33].
Angesichts der nach wie vor desolaten Auftragslage wollten die Arbeitgeber im Baugewerbe den im Landesmantelvertrag (LMV) vereinbarten automatischen Teuerungsausgleich von 3% nicht mehr gewähren und schlossen eine frühzeitige Kündigung des bis Ende 1994 laufenden LMV nicht aus. Die Gewerkschaften drohten ihrerseits mit dem "grössten Arbeitskonflikt seit den 40er Jahren", wenn die Arbeitgeber die getroffenen Abmachungen nicht einhielten. Die Lage entspannte sich kurz vor Jahresende, als für das Bauhauptgewerbe mit seinen rund 120 000 Beschäftigten eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 2,2% vereinbart wurde [34].
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Erstmals seit 1987 registrierte das Biga keinen kollektiven Arbeitskonflikt mit mindestens eintägiger Dauer. Arbeitsniederlegungen von geringererem Umfang fanden ebenfalls nicht markant öfter statt als in den Vorjahren [35].
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Schutz der Arbeitnehmer
Im Rahmen von Swisslex unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine geringfügige Änderung des Arbeitsgesetzes mit dem Ziel, die Vorschriften über die Gesundheitsvorsorge auf die Bundesverwaltung auszudehnen sowie bestimmte Arbeitnehmerkategorien, beispielsweise Kader und Assistenten, die bisher nicht eingeschlossen waren, neu den Schutzvorschriften des Gesetzes zu unterstellen. Da die Vorlage bereits mit dem Eurolex-Paket verabschiedet worden war, nahm die kleine Kammer die Änderung diskussionslos und einstimmig an. Im Nationalrat setzte sich jedoch vorerst ein Nichteintretensantrag Gros (lp, GE) mit dem Argument durch, diese Revision trage nichts zu der vom Bundesrat angesagten Deregulierung und Revitalisierung der Schweizer Wirtschaft bei. Der Ständerat befand, dies sei nicht der Ort, um eine Grundsatzdebatte zu führen, und hielt an seinem Entscheid fest, worauf ihm der Nationalrat folgte [36].
Die Vorschriften über den Gesundheitsschutz und die Arbeitssicherheit in Unternehmen wurden verschärft. Der Bundesrat setzte auf den 1. Oktober zwei Verordnungen zum Arbeitsgesetz in Kraft, die neben der Industrie neu auch für das Gewerbe und den Dienstleistungssektor gelten. Was die Gesundheitsvorsorge betrifft, so wird erstmals ein Nichtraucherschutz festgeschrieben. Demnach hat der Arbeitgeber im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass die Nichtraucher nicht durch das Rauchen anderer Personen belästigt werden. Ausnahmen sind möglich, so etwa in Restaurants. Bei der Arbeitssicherheit wurden – in Anlehnung an gewerkschaftliche Forderungen – Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz im Visier haben, untersagt. Sofern derartige Instrumente zur Leistungskontrolle eingesetzt werden, dürfen sie die Gesundheit und Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigen. Ausgebaut wurden auch die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer, die inskünftig Anrecht auf gründliche Information über die Risiken eines Arbeitsplatzes haben [37].
Diskussionslos stimmte auch die grosse Kammer als Zweitrat der Ratifizierung des IAO-Übereinkommens Nr. 172 (Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe) zu. Die Schweiz übertrifft die darin geforderten Mindeststandards bei weitem, ratifiziert das Abkommen aber, um damit einen gewissen Druck auf andere Länder insbesondere in der Dritten Welt auszuüben, ebenfalls minimale Arbeitsbedingungen vorzuschreiben [38].
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Im Rahmen von Swisslex stimmten sowohl Stände- wie Nationalrat einer Änderung der obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Arbeitsvertrag zu, wonach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer künftig informiert und angehört werden müssen, wenn sie vom Übergang des Unternehmens auf einen neuen Besitzer betroffen sind oder wenn Massenentlassungen bevorstehen. Zudem wird festgelegt, dass der Käufer eines Betriebes die vom Verkäufer abgeschlossenen Arbeitsverträge übernehmen muss. In beiden Kammern unterlagen Rückweisungs- bzw. Nichteintretensanträge aus den Reihen der LP, welche in dieser Vorlage einen Verstoss gegen die Grundsätze der Revitalisierung und Deregulierung sah. Während der Ständerat in der Detailberatung kaum Änderungen am bundesrätlichen Vorschlag vornahm, erreichte im Nationalrat das rechtsbürgerliche Lager, dass bei Betriebsübernahmen die Einhaltung von Gesamtarbeitsverträgen auf ein Jahr reduziert wurde. Da dies der Praxis in den anderen europäischen Staaten entspricht, schloss sich der Ständerat hier an. Zudem setzte sich in der Differenzbereinigung eine Milderung der Sanktionen für die Nichteinhaltung der Informationspflicht bei Massenentlassungen durch [39].
Diese neuen Bestimmungen des Obligationenrechts wurden ebenfalls im neuen Bundesgesetz über die Information und Mitsprache der Arbeitnehmer in den Betrieben (Mitwirkungsgesetz) festgeschrieben. Dieser Erlass sichert der Arbeitnehmerschaft einen Anspruch auf rechtzeitige und umfassende Information in den für ihre Arbeit entscheidenden Belangen zu. In Betrieben mit mindestens 50 Arbeitnehmenden kann die Belegschaft eine Vertretung bestimmen. Besondere Mitwirkungsrechte hat diese in Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitswesens, beim Betriebsübergang und bei Massentlassungen.
Obgleich das Parlament im Vorjahr die Eurolex-Variante dieses Gesetzes nahezu oppositionslos angenommen hatte, entbrannte nun in beiden Kammern eine Redeschlacht darüber, ob man auf die Botschaft des Bundesrates überhaupt eintreten solle. Die Befürworter des neuen Gesetzes argumentierten, dieses bringe keine revolutionäre Neuerung, sondern fasse nur klärend jene eigentlich selbstverständlichen Mitwirkungsrechte zusammen, welche heute schon von den meisten Schweizer Unternehmen beachtet werden. Die Gegner kritisierten, hier werde erneut über- anstatt dereguliert, und sie äusserten die Befürchtung, dieses Gesetz könnte der 1976 von Volk und Ständen abgelehnten Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene den Weg bahnen. Mit deutlichem Mehr lehnten beide Kammern schliesslich Nichteintretensanträge einer rechtsbürgerlichen Minderheit ihrer jeweiligen Kommissionen ab.
Im Ständerat setzte sich aber ein Antrag Büttiker (fdp, SO) durch, welcher das Gesetz deutlich abschwächen wollte. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, in sechs Kernpunkten Mindeststandards festzuschreiben, welche keinesfalls unterschritten werden dürften, und in den anderen Bereichen eine Abweichung zu Lasten der Arbeitnehmer nur zuzulassen, wenn gesamtarbeitsvertraglich eine gleichwertige Regelung stipuliert wird. Der Vorschlag Büttiker wollte alle Bestimmungen des Gesetzes für Konsenslösungen freigeben und zudem als Verhandlungspartner neben den Gewerkschaften auch die Hausverbände zulassen. Der Nationalrat lehnte diese Änderung mit dem Hinweis ab, von Mindeststandards könnten gar keine gleichwertigen Abweichungen nach unten gefunden werden, worauf sich der Ständerat der grossen Kammer anschloss [40].
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Weiterführende Literatur
D. Grossen, "Aktive arbeitsmarktpolitische Massnahmen", in Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 1, S. 25 ff.
H. Schmid / P. Füglistaler / M. Hohl, Vollbeschäftigungspolitik: Der Wille zum Erfolg, Bern 1993.
G. Sheldon, Konjunkturelle und strukturelle Aspekte des Arbeitsmarktes, Bern 1993 (Bundesamt für Konjunkturfragen, Studie Nr. 16).
Widerspruch, 13/1993, Heft 25 (Heft zum Thema: Arbeitslosigkeit – wirtschaftspolitische Alternativen).
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F. Messani-Laurent, Travailler de nuit et le week-end?: enjeux et prises de position autour du projet de révision de la loi sur le travail, Zurich 1993.
A. Rieger, "Arbeit umverteilen – Arbeitszeit verkürzen", in Widerspruch, 13/1993, Nr. 25, S. 86 ff.
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[1] Bundesamt für Statistik, Volkszählung 1990: Ein Profil der Schweiz, Bern 1993. Siehe dazu auch SPJ 1991, S. 201. Für die ausländische Bevölkerung vgl. unten, Teil I, 7d (Ausländerpolitik).
[2] Presse vom 3.6.93. Vgl. auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2058 f. Siehe ebenfalls SPJ 1992, S. 198 f.
[3] Presse vom 30.11.93. Eine vorbereitende Konferenz unter dem Präsidium von BR Felber fand im März in Genf statt (NZZ, 25.3. und 27.3.93).
[4] Die Volkswirtschaft, 66/1993, Nr. 6, S. 3.
[5] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2145 f.
[6] Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 5, S. 10* und 13*. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1786 f.; Presse vom 5.7. und 22.1.94; Bund, 10.9.93. C. Cornioley, "Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz", in Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 4, S. 51 ff. Im April des Berichtsjahres wurde die Arbeitslosenquote aufgrund der aktiven Bevölkerung gemäss der Volkszählung 1990 revidiert. Die Daten von 1980, die bis anhin verwendet wurden, hatten im Vergleich zur realen Situation zu einer leichten Überschätzung der Arbeitslosenquote geführt (5,0% anstatt neu 4,3%). Siehe dazu C. Cornioley, "Die Revision der Arbeitslosenquote und ihre Auswirkungen", in Die Volkswirtschaft, 66/1993, Nr. 7, S. 52 ff.
[7] Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 5, S. 11*. Die unterschiedliche regionale Ausprägung der Arbeitslosigkeit widerspiegelte sich auch in den Ergebnissen einer Univox-Umfrage zu den vordringlichsten aktuellen Problemen. 25% der Deutschschweizer und 32% der Romands nannten die Arbeitslosigkeit als ihre Hauptsorge. Die eng miteinander verbundenen Bereiche Arbeitslosigkeit, Rezession und Inflation kamen in der Romandie auf 50%, in der Deutschschweiz auf 32% (Bund, 14.8.93).
[8] Die Volkswirtschaft, 67/1994, S. 8*; Presse vom 22.1. und 19.2.94. Die Biga-Zahlen erfassen nur jene Arbeitslosen, die bei den Arbeitsämtern registriert sind: TA, 12.6.93; JdG, 21.7.93; NZZ, 9.11.93; Bund, 28.4.94.
[9] Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 1, S. 13* und Nr. 5, S. 13.; Presse vom 16.9.93. Zu den Massnahmen in der Arbeitslosenversicherung siehe unten, Teil I, 7c (Arbeitslosenversicherung).
[10] Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl, Bull. NR, 1993, S. 169 f., 2026 ff. und 2147 f.; Lit. Grossen; SGT, 3.3.93. Die Ausgaben für die Präventionsmassnahmen betrugen 3,9% der Gesamtausgaben des ALV-Fonds (Gesch.ber. 1993, S. 258).
[11] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1623 f.
[12] Zu Verbesserungen in der Vermittlungs- und Beratungstätigkeit der Arbeitsämter vgl. die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1613 f. Die Ersetzung der Stempelpflicht durch regelmässige Beratungsgespräche verlangten auch zwei angenommene Postulate Dünki (evp, ZH) und Hafner (sp, SH): Amtl. Bull. NR, 1993, S. 171 und 175. Zu weiteren Vorstössen in beiden Kammern sowie generell zu Fragen der Arbeitslosenversicherung siehe unten, Teil I, 7c (Arbeitslosenversicherung). Zu den Konjunkturmassnahmen siehe oben, Teil I, 4 (Konjunkturpolitik).
[13] Presse vom 27.7.93.
[14] Bund, 20.10.93
[15] BaZ, 27.1.93; Bund, 12.2.93; NQ, 16.2. und 22.5.93; SHZ, 18.2. und 25.2.93; TA, 13.3., 22.3. und 19.6.93; Presse vom 24.3.93. Arbeitszeitverkürzungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit waren auch das beherrschende Thema der 1. Mai-Feiern (Presse vom 3.5.93). Bei Umfragen sprachen sich rund 60% der befragten Vollbeschäftigten für eine Reduktion der Arbeitszeit bei entsprechender Lohnkürzung aus, um so einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten (NQ, 7.2.93; TA, 30.4.93). Zu den Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer Arbeitszeitverkürzung siehe auch Biga-Direktor Nordmann (Presse vom 26.11.93).
[16] Presse vom 14.9.93; Cash, 13.11.93.
[17] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2522 ff.
[18] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1624. Einen Wechsel von Vollzeitarbeits- und Weiterbildungsphasen sowie eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit regte auch ein angenommenes Postulat Rebeaud (gp, GE) an: Amtl. Bull. NR, 1993, S. 588 f.
[19] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1959 f.; Presse vom 24.3.93. Grundsätzlich unterstrich jedoch auch die FDP-Fraktion die Bedeutung der Weiterbildung (Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2026 ff. und 2147 f.).
[20] Presse vom 22.2. und 29.3.93.
[21] Presse vom 1.4., 14.6. und 2.10.93. Innerhalb der vom Parlament beschlossenen Ankurbelungsmassnahmen konnte sich eine SP-Forderung nach finanziellen Ausbildungshilfen fürjugendliche Arbeitslose nicht durchsetzen (siehe oben, Teil I, 4, Konjunkturpolitik). Zum Problem der Jugendarbeitslosigkeit siehe auch eine in ein Postulat umgewandelte Motion Cavadini (fdp, TI): Amtl. Bull. NR, 1993, S. 172.
[22] F. Revaz, "Reallohnrückgang im Jahre 1993", in Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 4, S. 47 ff.
[23] Presse vom 7.8., 7.9. und 21.12.93; BaZ, 28.9. und 9.11.93; NQ, 26.10.93; JdG, 5.11.93; NZZ, 3.12.93.
[24] TA, 7.10.93; Presse vom 28.12.93. Zur Forderung der Arbeitgeberorganisationen nach gezieltem Lohnabbau zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Schweiz siehe SoZ, 27.6.93 und Bund, 30.6.93. Das Biga kam nach einer Analyse des Schweizer Arbeitsmarktes zum Ergebnis, dass die von den Arbeitgebern geforderte Anpassung der Löhne an die jeweilige Konjunkturlage bereits besteht: F. Revaz, "Die Flexibilität der Löhne in der Schweiz", in Die Volkswirtschaft, 66/1993, Nr. 10, S. 38 ff.
[25] Presse vom 5.1.93. Die Studie ist das erste Resultat des neuen Schweizerischen Lohninformationssystems (SLIS), das von der HSG ausgearbeitet worden ist. Mit dem SLIS sollen in Zukunft Lohndaten aus der ganzen Schweiz regelmässig erfasst werden. Für eine Untersuchung der Entwicklung der Kadergehälter siehe SHZ, 9.9.93.
[26] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 56 ff. und 641; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 120 und 233; BBl, 1993, I, S. 1051 f. Siehe auch SPJ 1992, S. 204.
[27] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1960 f.
[28] Bund, 26.5.93; Presse vom 29.6.93. Der StR lehnte eine Standesinitiative des Kantons Jura ab, welche ein Verbot jeglicher Ausdehnung der Nachtarbeit verlangte (Amtl. Bull. StR, 1993, S. 933).
[29] BZ, 14.10.93.
[30] Siehe dazu oben, Teil I, 1a (Nationale Identität); NZZ, 24.12.93.
[31] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 208.
[32] Presse vom 22.6., 28.6., 1.7., 21.7., 21.8., 28.8. und 2.11.93; TA, 6.1.94. Dass der SMUV dem Krisenartikel zustimmte, stiess bei anderen Gewerkschaften, so etwa der GBI, auf wenig Verständnis (SoZ, 4.7.93; TA, 11.9.93).
[33] TA, 15.7. (Pressewesen) und 20.11.93 (Buchhandel).
[34] NQ, 13.9. und 14.11.93; TA, 5.11.93.
[35] Tel. Angabe aus dem Biga. Das Biga registriert nur Streiks, die mindestens einen Tag dauern. Zu den kürzeren Arbeitsniederlegungen, wie etwa Warnstreiks, gibt es keine generelle Übersicht.
[36] BBl, 1993, I, S. 868; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 258, 609 und 794; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1314, 1792 f. und 2045; BBl, 1993, Ill, S. 796 f.
[37] AS, 1993, S. 2553 ff. In einer Wegleitung zur Verordnung will das Biga auch auf das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz eingehen (Presse vom 19.8.93).
[38] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 383 f. Siehe auch SPJ 1992, S. 207.
[39] BBl, 1993, S. 880 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 377 ff., 874 ff. und 1131; Amtl. Bull. NR, S. 1708, 1721 ff., 2345 f. und 2590; BBl, 1993, IV, S. 588 ff.
[40] BBl, 1993, I, S. 865 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 601 ff., 913 und 1131; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2150 ff. und 2590; BBl, 1993, IV, S. 592. Trotz Opposition aus Arbeitgeber- und Gewerbekreisen lief die Referendumsfrist ungenutzt ab (Bund, 30.4.93).
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