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Allgemeine Chronik
Landesverteidigung
Volk und Stände lehnten die beiden armeekritischen Volksinitiativen "für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge" und "40 Waffenplätze sind genug" ab. – Der Bundesrat signalisierte seine Bereitschaft, mit WEU und NATO in einen engeren Dialog zu treten. – Im Rahmen des Projekts "Armee 95" stellte der Bundesrat das neue Militärgesetz sowie den revidierten Bundesbeschluss über die Armeeorganisation vor. – Der Militärpflichtersatz für Behinderte soll neu geregelt werden. – Der Bundesrat leitete dem Parlament seine Botschaft zum neuen Zivilschutzgesetz zu.
Landesverteidigung und Gesellschaft
Am 6. Juni lehnten Volk und Stände die beiden Initiativen "für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge" und "40 Waffenplätze sind genug – Umweltschutz auch beim Militär" mit 55,3% bzw. 57,2% Nein-Stimmen deutlich ab. Dieses Ergebnis wurde allgemein als grundsätzliches Ja des Schweizer Volkes zur Armee interpretiert. Dass dem Urnengang grosse gesamtgesellschaftliche wie individuelle Bedeutung beigemessen wurde, zeigte sich an der hohen Stimmbeteiligung von über 55%. Obgleich die beiden Initiativen aus unterschiedlichen Kreisen lanciert worden waren, gelang es den Gegnern, eine Mehrheit der Stimmenden davon zu überzeugen, dass zwischen den beiden Initiativen ein innerer Zusammenhang bestehe, dass beide zu einer bedeutenden Schwächung der Armee führen würden und deshalb als gezielte und konzertierte "Armeeabschaffung auf Raten" anzusehen seien. Mit dieser Argumentation gelang es ihnen, die Abstimmung auch zu einem Plebiszit für oder gegen die militärische Landesverteidigung zu machen [1].
Dabei wurden den beiden Initiativen ursprünglich durchaus gute Erfolgschancen eingeräumt. Die von der "Gruppe für eine Schweiz ohne Armee" (GSoA) lancierte Anti-F/A-18-Initiative war im Vorjahr in der Rekordzeit von zwölf Tagen zustandegekommen. Das Begehren der "Aktionsgemeinschaft zur Rettung von Neuchlen-Anschwilen" (ARNA) erinnerte in seiner Stossrichtung an die fast schon legendäre Rothenthurm-Initiative, die 1987 mit 57,8% der Stimmen angenommen worden war. Bei einer Umfrage im Januar sprachen sich noch 71% der Befragten für die Waffenplatzinitiative aus, und auch die – von Anfang an umstrittenere – Kampfflugzeug-Initiative wurde lediglich von 38% der Befragten klar abgelehnt. Später durchgeführte Umfragen zeigten dann allerdings ein langsames, aber stetes Aufholen der Initiativgegner, bis sich beide Seiten rund eine Woche vor der Abstimmung ungefähr die Waage hielten [2].
Der zwischen Januar und Juni erfolgte Meinungsumschwung ging zweifellos entscheidend auf das Konto der kraftvoll und geschickt geführten Abstimmungskampagne der Initiativgegner. Der Umstand, dass am Wochenende vom 6. Juni allein über diese beiden Initiativen abgestimmt wurde, erwies sich ebenfalls als sehr bedeutsam. Erst mit der Zusammenlegung der beiden Abstimmungen auf das gleiche Datum entwickelte die gegnerische Behauptung von der "Armeeabschaffung auf Raten" ihre volle Sprengkraft. Die pauschale Würdigung im Abstimmungsbüchlein, wonach beide Initiativen "eine zeitgemässe Landesverteidigung" verhinderten, verfestigte diese Sicht der Dinge weiter [3].
Vor allem auf der Gegnerseite wurde der Abstimmungskampf breit organisiert. Eine "Arbeitsgemeinschaft für eine wirksame und friedenssichernde Milizarmee" (AWM), welcher rund zwei Dutzend armeefreundliche Organisationen vom Gewerbeverband über die Wirtschaftsförderung bis hin zum Schweizerischen Schützenverein angehörten, koordinierte das einheitliche Auftreten dieser Interessengruppen. Die Aktivitäten der bürgerlichen Parteien führten deren Generalsekretariate unter der Leitung von SVP-Generalsekretär Max Friedli, welcher auch den Kontakt zum EMD sicherstellte. Daneben bildete sich ein Aktionskomitee "Gegen eine Schweiz ohne Schutz", dem 136 bürgerliche Bundesparlamentarierinnen und -parlamentarier angehörten. Wichtigster Exponent der Gegner im Abstimmungskampf war aber Bundesrat Villiger, der sich an unzähligen Veranstaltungen vehement für eine starke und damit glaubwürdige Armee einsetzte [4].
In Anlehnung an das Stop-the-Army-Festival von 1989 heizte die GSoA den Abstimmungskampf mit einem Polit-Happening auf dem Berner Bundesplatz an, an welchem namhafte Vertreter aus der Schweizer Rock-, Pop- und Kabarettszene teilnahmen, und zu welchem sich Mitte Mai an die 25 000 meist jugendliche Teilnehmer einfanden. Eine Woche später konnte auch die Gegnerseite rund 25 000 Personen zu einer patriotischen Grosskundgebung mobilisieren. Dies erstaunte um so mehr, als die Mehrzahl der Anwesenden zweifellos der sonst eher demonstrationsfeindlichen "schweigenden Mehrheit" zuzuordnen war, und unterstrich erneut den polarisierenden Charakter dieser Abstimmung [5].
In dieser emotional stark aufgeladenen Atmosphäre fiel es den Befürwortern der Initiativen, zu denen neben der GSoA auch die SP, der LdU, die Grünen, die Lega und der SGB gehörten, zunehmend schwerer, ihr Anliegen politisch überzeugend darzustellen. Obgleich sie stets betonten, dass es hier lediglich darum gehe, den Bürgerinnen und Bürgern demokratische Mitbestimmung und der "classe politique" eine Denkpause in zwei heftig umstrittenen Fragen zu ermöglichen, gelang es ihnen immer weniger, sich aus dem Windschatten der Armee-Abschaffungs-Abstimmung von 1989 zu lösen. Vor allem die Moratoriums-Bestimmung in der Kampfflugzeug-Initiative und eine unklare Formulierung in der Waffenplatz-Initiative, welche weite Interpretationsmöglichkeiten über das künftige Schicksal der bestehenden Waffenplätze zuliess, wurden zusehends zum Fallstrick für die beiden Volksbegehren [6].
Eine vom Bundesamt für Statistik (BFS) in Auftrag gegebene Untersuchung, welche rund 2900 Gemeinderesultate mit deren regionalen und lokalen Strukturdaten verband, zeigte, dass noch nie eine Volksabstimmung über Militärfragen die Schweiz derart polarisiert hat. Die kantonalen Abweichungen vom gesamtschweizerischen Ergebnis wurden in der Mehrheit der Kantone gegenüber denjenigen zur Armee-Abschaffungs-Initiative von 1989 grösser, die militärkritischen Kantone also noch kritischer und die militärfreundlichen noch armeefreundlicher [7].
Auch die Vox-Analyse zu diesem Urnengang kam zum Schluss, dass die armeeplebiszitäre Dimension der Abstimmung entscheidend deren Ausgang bestimmt hatte. Die Nachbefragung der Stimmberechtigten ergab, dass es vor allem denjenigen, welche die Initiative ablehnten, um ein grundsätzliches Bekenntnis zur Armee ging. Der Umkehrschluss, wonach die Ja-Stimmenden ein Votum gegen die militärische Landesverteidigung abgegeben hätten, erwies sich hingegen nicht als zwingend. Insgesamt machte die Untersuchung nur etwas mehr als 20% harte Armeegegner aus. Die Analyse des Stimmverhaltens zeigte, dass Bildung oder berufliche Stellung bei diesem Urnengang keinen oder nur geringen Einfluss auf den individuellen Entscheid hatten. Überraschend war hingegen das stark geschlechterspezifische Stimmverhalten. Im Unterschied zur Abstimmung über die Armeeabschaffung vom November 1989 standen die Frauen den beiden armeekritischen Initiativen deutlich positiver gegenüber als die Männer. Ein ähnlicher Unterschied im Stimmverhalten zwischen Mann und Frau war bei der Abstimmung über das Rüstungsreferendum und vor allem bei der Rothenthurm-Initiative beobachtet worden.
Die Polarisierung verlief weitgehend entlang den Trennlinien der (partei)politischen Orientierungen, wie dies auch bei früheren Armeevorlagen der Fall war. Klare Unterschiede im Stimmverhalten ergaben sich auch beim Alter, wo die Kategorie der 30-39jährigen als einzige deutlich zustimmte, während die über 60jährigen beide Initiativen mit über 60% der Stimmen verwarfen. Erneut zeigte sich ein Gegensatz zwischen der städtischen, eher progressiven Schweiz und den konservativeren ländlichen Gegenden. Ebenfalls eine grosse Rolle spielte die Sprachzugehörigkeit. In der Deutschschweiz lag der Anteil der globalen Zustimmung bei 43% resp. 44%, in der Romandie und im Tessin bei 55% bzw. 56%. Zum positiven Resultat in der Westschweiz trugen allerdings vor allem die Kantone Genf und Jura bei, die beide Initiativen deutlich annahmen. Ein differenzierteres Bild zeigten die Kantone Freiburg, Waadt und Neuenburg, welche die Waffenplatz-Initiative annahmen, die Kampfflugzeug-Initiative hingegen – wenn auch weniger deutlich als die Deutschschweiz – verwarfen. Das Wallis lehnte als einziger mehrheitlich welscher Kanton beide Initiativen ab. In der Deutschschweiz stimmten nur gerade die beiden Basel den Initiativen zu [8].
Nach ihrer Abstimmungsniederlage auferlegte sich die GSoA eine "reflexive Phase" und verzichtete in der Folge auf die 1992 angekündigte Lancierung einer Volksinitiative "zur Abschaffung des Zivilschutzes". Die Gruppe will sich in nächster Zeit vor allem auf eine aktivere Friedenspolitik im sicherheitspolitischen Umfeld konzentrieren [9].
Die beiden von der "Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot", der SP und dem Christlichen Friedensdienst lancierten Volksinitiativen "für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik" und "für ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr" kamen mit 105 680 bzw. 108 762 Unterschriften zustande. Die bürgerlichen Bundesratsparteien forderten die SP auf, die beiden Initiativen zurückzuziehen, da die Energien auf die drängenden wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme konzentriert werden müssten, weshalb ein weiteres Kräftemessen in der Armeefrage nicht angebracht sei. Die SP wies das Ansinnen entschieden zurück [10].
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In seiner Antwort auf eine Anfrage Pini (fdp, TI) erklärte der Bundesrat, die Schweiz sei grundsätzlich an der Aufnahme eines sicherheitspolitischen Dialogs mit der Westeuropäischen Union (WEU) bereit. Die dreifach abgestufte WEU-Mitarbeit (Vollmitglieder, assoziierte Mitglieder, Beobachter) sei aber vorderhand den EG- und NATO-Staaten vorbehalten, doch habe die WEU Signale ausgesandt, wonach sie auf einer pragmatischen und informellen Grundlage bereit wäre, mit den Efta-Staaten gemeinsam oder einzeln den Sicherheitsdialog aufzunehmen [11].
Unter dem Schlagwort "Partnerschaft für den Frieden" skizzierte US-Verteidigungsminister Aspin im Oktober ein Modell für eine engere Zusammenarbeit der NATO mit den neutralen Staaten Europas sowie den Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts. Bundesrat Villiger bekundete umgehend lebhaftes Interesse an einem Kooperationsvertrag zwischen der Schweiz und der NATO. Er begründete dies damit, dass das vorgeschlagene Modell eine Zusammenarbeit "à la carte" erlauben würde, bei welcher die Schweiz nicht auf ihre Neutralität verzichten müsste. Bei verschiedenen Gelegenheiten — so etwa auch bei einem Besuch bei seinem österreichischen Amtskollegen in Wien — plädierte Villiger für einen "strukturierten Dialog" der Schweiz mit militärischen Bündnissen wie der WEU oder der NATO, schloss jedoch einen Beitritt in absehbarer Zeit aus neutralitätspolitischen Überlegungen ausdrücklich aus [12].
Zur Diskussion um die Schaffung einer schweizerischen Blauhelm-Truppe siehe oben, Teil I, 2 (Organisations internationales).
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Heikle Fragen zur militärischen Nachrichtenbeschaffung und zur Neutralitätspolitik musste sich Bundesrat Villiger gefallen lassen, als bekannt wurde, dass die Schweiz in den 80er Jahren verschiedentlich Armeepiloten in das durch ein Uno-Embargo isolierte Südafrika entsandt bzw. südafrikanischen Militärpiloten Gastrecht gewährt hatte, um von der Kriegserfahrung dieser Piloten zu profitieren. Die Einsätze erfolgten ohne Absprache mit den damaligen EMD-Chefs und standen im Widerspruch zur offiziellen Aussenpolitik des EDA. Bundesrat Villiger kritisierte das mangelnde politische Gespür der dafür zuständigen Fliegerkommandanten, meinte aber, militärisch und nachrichtendienstlich hätte sich die Aktion vertreten lassen, weshalb seiner Auffassung nach von nachträglichen Sanktionen abzusehen sei. Das EMD versicherte, dass mit den inzwischen veränderten Strukturen des Departements, die der Politik die Priorität vor dem technisch und finanziell Machbaren einräumen, ein derartiges Vorgehen nicht mehr möglich wäre [13].
Die Geschäftsprüfungsdelegation beider Kammern rügte diese Vorkommnisse scharf. Zwar habe der Pilotentausch einem militärischen Bedürfnis entsprochen, doch sei dabei das Primat der Politik verletzt und somit eine zentrale demokratische Anforderung an die Armee missachtet worden. Als besonders gravierend bezeichnete die Delegation den Umstand, dass der Austausch vom damaligen Kommandanten der Flieger- und Flabtruppen im Wissen um seine politische Brisanz den Vorstehern des EMD verschwiegen worden sei. Die Delegation kam zum Schluss, dass das EMD und die Chefs seiner Gruppen die Führung und Kontrolle politisch heikler Aktion besser gewährleisten müssten. Dazu seien die Weisungen über die Abkommandierungen ins Ausland zu ergänzen. Ausserdem empfahl die Delegation, dass der Generalstabschef die nachrichtendienstlichen Aktivitäten vermehrt planen und kontrollieren müsse [14].
Vollumfänglich verteidigte Villiger den ebenfalls in den 80er Jahren stattgefundenen Pilotentausch mit Israel, der nie speziell geheimgehalten worden war. Das Neutralitätsrecht gewähre einem neutralen Staat durchaus Spielraum zur Gestaltung seiner Politik. Für den Bundesrat gehe es deshalb bei militärischen Kontakten zu anderen Ländern immer darum, zwischen der Neutralität und der Optimierung der schweizerischen Verteidigungsanstrengungen eine Interessenabwägung vorzunehmen [15].
Wenig Verständnis zeigte Villiger hingegen gegenüber der ebenfalls erst jetzt bekannt gewordenen Tatsache, dass Werkpiloten des Bundesamtes für Militärflugplätze entgegen einer ausdrücklichen Weisung des damaligen EMD-Chefs Delamuraz auch nach 1985 weiterhin Pilatus-Flugzeuge im Auftrag der Herstellerfirma ins Ausland überflogen. Gegen zwei Werkpiloten des Bundesamtes wurden daraufhin disziplinarische Verweise ausgesprochen [16].
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Unter dem Motto "Armee schützt Lebensraum" lancierte die Gruppe für Ausbildung des EMD eine Kampagne zur Förderung des Umweltbewusstseins bei allen Armeeangehörigen. Seit 1992 enthält das Ausbildungsreglement einen Artikel, der den Umweltschutz erstmals als zentralen Aspekt der Landesverteidigung bezeichnet [17].
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Anfangs September entstand einiger Wirbel, als bekannt wurde, dass die Schweiz künftig auf die Erdkampfeinsätze ihrer Flugwaffe verzichten will. Der Entscheid wurde im Zusammenhang mit der vorzeitigen Liquidierung der Hunter-Kampfflugzeuge gefasst, die bisher für diese Aufgabe vorgesehen waren. Vor dem Ständerat verteidigte Bundesrat Villiger diese Massnahme. Er bekundete dabei den Willen des EMD, der Luftraumverteidigung absolute Priorität einzuräumen, da damit nicht nur Bevölkerung und Objekte geschützt werden, sondern auch die Armee an sich, die dadurch erst die Voraussetzungen für den terrestrischen Einsatz der neuen mechanisierten Verbände erhält [18].
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Ende Oktober inspizierten vier deutsche Offiziere im Rahmen der KSZE die Übungstätigkeit der Schweizer Armee. Dies war die erste Inspektion dieser Art auf schweizerischem Territorium [19].
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Militärorganisation
Anfangs September stellte Bundesrat Villiger das neue Militärgesetz, welches das Gesetz über die Militärorganisation von 1907 ablösen soll, sowie den neuen revidierten Bundesbeschluss über die Armeeorganisation vor. Um die verjüngte, verkleinerte und flexiblere "Armee 95" termingerecht realisieren zu können, leitete die Regierung dem Parlament jedoch nur die dringlichen und unbestrittenen Eckwerte in zwei befristeten Bundesbeschlüssen über Realisierung und Organisation der Armee zu, nämlich die Herabsetzung des Wehrpflichtalters auf 42 Jahre, die Verkürzung der Dienstzeit auf 300 Tage, den Zweijahresrythmus für die Wiederholungskurse, den Sollbestand von höchstens 400 000 Mann, die Aufstellung mechanisierter Brigaden und die Auflösung der bisherigen Grenzbrigaden. Die beiden Bundesbeschlüsse wurden von der kleinen Kammer in der Wintersession ohne Gegenstimme angenommen. Alle möglicherweise referendumsträchtigen Punkte — so etwa die Regelung des Ordnungs-, Friedensförderungs- und Assistenzdienstes, die Schaffung einer Ombudsstelle, der Zwang zum "Weitermachen" oder die Weiterführung der ausserdienstlichen Schiesspflicht — wurden auf später verschoben [20].
Als Vorleistung zum Umbau der "Armee 61" zur "Armee 95" gab das Parlament dem Bundesrat einstimmig die Kompetenz, ab dem 31. Dezember des Berichtsjahres die frühzeitige Entlassung von 200 000 Angehörigen der Armee im Landsturmalter und deren Übertritt in den Zivilschutzdienst gestaffelt vorzunehmen. Ausgenommen von der vorzeitigen Entlassung bleiben Stabs- und Fachoffiziere [21].
Den Angehörigen der "Armee 95" soll auch ein neues Dienstreglement abgegeben werden. Im Oktober gab das EMD seinen 112 Artikel umfassenden Entwurf in eine erste Vernehmlassung. Ziel dieser revidierten Charta ist es, neben den Pflichten auch die Rechte der Wehrmänner zu betonen. Selbständigkeit und Eigenverantwortung werden als unverzichtbare Gegenstücke zu Befehl und Disziplin verstanden [22].
Im Bestreben, die Truppeninformation in der "Armee 95" zu verbessern, hiess das EMD die Leitlinien für ein neues Konzept des Truppeninformationsdienstes (TID) gut, welches vorsieht, dass Kommunikationsschulung fester Bestandteil der Kaderausbildung wird. Die Information der Armeeangehörigen wird zur permanenten Führungsaufgabe erklärt, weshalb die Einheitskommandanten bei ihren Informations- und Kommunikationsaufgaben professionell unterstützt werden sollen. Kernstück der Reform des TID ist ein neu aufzustellender Verband mit Spezialisten aus den Ressorts Dokumentation, Information und Kommunikationsschulung, um so vermehrt ziviles Wissen zu nutzen [23].
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Erstmals wurden an verschiedenen Orten in der Schweiz gemischtgeschlechtliche Rekrutenschulen durchgeführt. In Burgdorf (BE) wurden junge Frauen an der Seite ihrer männlichen Kameraden zu Fahrerinnen für leichte Motorfahrzeuge ausgebildet, in Bülach (ZH) rückten weibliche Übermittlungstruppen ein. Zudem können die MFD-Angehörigen seit dem Berichtsjahr das Tragen einer Waffe beantragen. 50% der diensttuenden Frauen und 90% der Rekrutinnen stellten einen entsprechenden Antrag [24].
In Locarno-Magadino (TI) wurden erstmals Frauen zu einer Militärpiloten-RS inklusive Unteroffiziersschule zugelassen. Die Frauen erhielten innerhalb von 18 Wochen die gleiche Fliegerausbildung auf PC-7-Maschinen wie ihre männlichen Kollegen. Nach einer weiteren Ausbildungsphase werden die Frauen vorerst nur Transporthelikopter fliegen, da sie laut Militärgesetz nicht bei Kampfhandlungen eingesetzt werden dürfen [25].
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In Ausführung einer 1991 von beiden Kammern angenommenen Standesinitiative des Kantons Jura betreffend Abschaffung des Militärpflichtersatzes für Invalide legte der Bundesrat dem Parlament seinen Vorschlag für eine entsprechende Gesetzesrevision vor. Anders als der Initiativtext wollte er die Befreiung jedoch nicht generell gewähren, sondern nur grosszügigere Berechnungskriterien einführen. So sollte der Militärpflichtersatz entfallen, wenn die Einkünfte des Behinderten das betreibungsrechtliche Minimum um nicht mehr als 100% übersteigen (bisher 50%). Für die weiterhin ersatzpflichtigen Behinderten wollte der Bundesrat die Abgabe um die Hälfte reduzieren, das Minimum jedoch von 120 auf 150 Fr. anheben [26].
Die Argumentation des Bundesrates, eine völlige Befreiung der Invaliden würde de facto zur Aufgabe des Militärpflichtersatzes führen, da damit jede Dienstuntauglichkeit im weitesten Sinn als Invalidität qualifiziert werden könnte, stiess bei den Behindertenorganisationen auf Unverständnis. Sie verlangten, dass für die Erlassung des Militärpflichtersatzes nicht eine Einkommenslimite festgesetzt, sondern eine Liste jener Gebrechen erstellt werde, die Anrecht auf Befreiung geben. Schliesslich sei es ja das Militär, welches die Invaliden aufgrund ihrer Behinderung ausgrenze. Stossend sei auch, dass Gruppen wie Parlamentarier, Bahn-, Zoll- und Polizeibeamte, Spital- und Gefängnisverwalter sowie Pfarrer ohne Massgabe ihres Einkommens befreit seien, die Forderung der Behinderten aber mit Verweis auf den Wehr- und Gleichheitsartikel der Verfassung abgeschlagen werde [27].
Der Ständerat schlug einen Mittelweg ein. Er lehnte eine generelle Befreiung, wie sie ein Antrag Plattner (sp, BS) verlangte, zwar ebenfalls ab, wählte als Abgrenzungskriterium jedoch zusätzlich den Bezug einer Invalidenrente oder Hilflosenentschädigung, um sicherzustellen, dass inskünftig nur noch leichter Behinderte in gutsituierten Verhältnissen eine Ersatzabgabe leisten müssen. Für Bund und Kantone würde die neue Regelung jährliche Mindereinnahmen von fünf bis zehn Mio Fr. bedeuten [28].
Linksgerichtete Kreise aus der Romandie — unter ihnen alt Nationalrätin Françoise Pitteloud (sp, VD) und Nationalrat Jean Ziegler (sp, GE) — starteten eine Volksinitiative für "eine Schweiz ohne Militärpflichtersatz". Das Volksbegehren, welches die Unterstützung der GSoA und der Genfer SP geniesst, visiert nicht nur die Behinderten, sondern alle an, die — aus welchen Gründen auch immer — keinen Militär- oder Ersatzdienst leisten, und versteht sich als Beitrag zu einer Entmilitarisierung der Schweiz [29].
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Der Bundesrat berief den St. Galler CVPStänderat Paul Gemperli zum neuen Präsidenten des Rates für Gesamtverteidigung. Er löste alt Ständerat François Jeanneret (lp, NE) an der Spitze dieses 21köpfigen Beratungsorgans zu Fragen der Sicherheitspolitik ab [30].
Primär aus gesundheitlichen Gründen reichte Divisionär Walter Keller, Waffenchef und Direktor des Bundesamtes für Mechanisierte und Leichte Truppen, seinen vorzeitigen Rücktritt ein. In der Vergangenheit hatte Keller verschiedentlich seine Skepsis gegenüber dem Truppenabbau im Rahmen von "Armee 95" ausgedrückt. Der Bundesrat bestimmte Divisionär Claude Weber, bisher Kommandant der Mechanisierten Division 1, zu seinem Nachfolger [31].
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Zeitungsmeldungen, wonach die Armee inskünftig die Rekruten in leistungsfähige und -willige A- und weniger begabte bzw. motivierte B-Soldaten einzuteilen gedenke, wurden vom Ausbildungschef der Armee, Jean-Rodolphe Christen, dementiert. Dennoch will die Armee analog zum zivilen Ausbildungsbereich in Zukunft gute Leistungen besser honorieren und Spezialisten vermehrt fördern. Als Beispiel nannte Christen das Pilotprojekte "Gebirgsspezialisten-RS", welches Ende Winter in Andermatt anlief [32].
Der schwere Handgranatenunfall vom Juli 1992 in einer RS in Luzern, bei dem zwei Korporale das Leben verloren, ist auf menschliches Versagen zurückzuführen. Der militärische Untersuchungsrichter schloss in seinem Schlussbericht technische Defekte aus. Direkt nach dem Unfall hatte der Ausbildungschef der Armee den Einsatz der beiden beteiligten Granaten EUHG 85 (Übungsmunition) und HG 85 (Kriegsmunition) gestoppt und die EUHG 85 erst nach einem Zwischenbericht, welcher einen technischen Defekt mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschloss, wieder freigegeben. Die HG 85 wird aber auch nach Vorliegen des Schlussberichts in der Ausbildung nicht mehr verwendet [33].
Im März ereigneten sich erneut zwei Unfälle mit einer EUHG 85, einer davon mit tödlichem Ausgang für einen WK-Soldaten. Der andere Unfall geschah während eines Theoriekurses für Berufsmilitär. Einer der Teilnehmer manipulierte eine EUHG 85 in der Meinung, es handle sich um ein inaktives Ausstellungsmodell. Der Ausbildungschef der Armee verbot daraufhin die Verwendung der EUHG 85 für die theoretische Ausbildung. Von einem generellen Moratorium für den Einsatz dieser Granate, wie dies die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates diskutiert hatte, wollte er allerdings absehen. Die Kommission für militärische Landesverteidigung stützte den Entscheid des Ausbildungschefs. Auch die Sicherheitspolitische Kommission der grossen Kammer schloss sich schliesslich dieser Sicht der Dinge an [34].
Nach einjährigem Bestehen konnte das "RS-Sorgentelefon" eine erste Bilanz ziehen. Rund 150 Rekruten oder Angehörige ersuchten in diesem Zeitraum um Hilfe und Auskunft. Bei den geschilderten Problemen stand offenbar der Zwang zum "Weitermachen" im Vordergrund. Das Sorgentelefon soll bis zur Errichtung einer Ombudsstelle weitergeführt werden [35].
Die Soldatenkomitees (SK), die während rund 20 Jahren den "direkten Widerstand in der Armee" gefördert hatten, lösten sich mangels Perspektive in ihrer bisherigen Form auf. Die ersten SK wurden zu Beginn der siebziger Jahre gegründet. Ihre Aktivisten trugen "Missstände" in der Armee an die Öffentlichkeit und organisierten Aktionen zum Beispiel für die Fünftagewoche, für mehr Ausgang und gegen den Zwang zum "Weitermachen". Sehr aktiv waren die SK auch zu Beginn der achtziger Jahre. Als zentrales Anliegen wurde nun die Abschaffung des Wachdienstes mit Kampfmunition bezeichnet. Mitte der achtziger Jahre wurde es ruhiger um die SK; schliesslich überlebten nur die Organisationen in Basel, Bern und Zürich [36].
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Rüstung
Für Beschaffungen verschiedenster Art beantragte der Bundesrat dem Parlament 1,947 Mia Fr. Die grössten Brocken waren 205 Radschützenpanzer Piranha (305 Mio Fr.), 200 Militärlieferwagen Duro (288 Mio Fr.), 16 Artilleriegeschütze Bison plus Munition (189 Mio Fr.) sowie 1200 geländegängige Personenwagen (89 Mio Fr.). Mit 286 Mio Fr. soll die Ausrüstung aller Armeeangehöriger mit der neuen Kampfbekleidung weitergeführt werden. 114 Mio Fr. wurden für eine erste Tranche von neuen Ausgangsuniformen vorgesehen. Sie waren ins Rüstungsprogramm aufgenommen worden, um dem Parlament einen Grundsatzentscheid zu ermöglichen. Die Arbeitsgruppe Armeereform hatte einen Verzicht empfohlen. Wie Bundesrat Villiger ausführte, soll mit diesen Beschaffungen die persönliche Ausrüstung der Armeeangehörigen erneuert, die Mobilität und Flexibilität der Armee vergrössert und mit der Beschaffung von Simulatoren die Ausbildung von Infanterie und Fliegerabwehr verbessert und umweltschonender gestaltet werden. Das Rüstungsprogramm 93 sei mit einem Inlandanteil von 80% ausgesprochen beschäftigungswirksam, führte der Chef des EMD aus, und im Rahmen der real um rund 25% gekürzten Rüstungsausgaben finanzierbar. Als Folge der Beschaffung von 34 F/A-18-Kampfflugzeugen werde zudem 1994 kein Rüstungsprogramm vorgelegt [37].
Der Nationalrat stimmte dem Rüstungsprogramm integral und mit deutlichem Mehr zu. Streichungsanträge Maurer (svp, ZH), Hollenstein (gp, SG) und Haering Binder (sp, ZH) bezüglich der Kredite für die Ausgangsuniformen, die Beschaffung von Simulatoren für die Gefechtsausbildung am Sturmgewehr 90 sowie die Einführung des Waffensystems Bison hatten keine Chance. Der Ständerat nahm das Rüstungsprogramm 93 einstimmig an [38].
Im Anschluss an seine Debatte über das Rüstungsprogramm 93 behandelte der Nationalrat eine Motion der SP-Fraktion, die einen dringlichen Bundesbeschluss zur Umstellung der Rüstungsbetriebe auf eine zugleich zivile, soziale und ökologische Produktion forderte. In seiner Antwort lehnte der Bundesrat aus ordnungspolitischen Gründen eine interventionistische grossflächige Rüstungskonversionspolitik ab, sagte aber seine Bereitschaft zu, die mit dem unvermeidlichen Stellenabbau in den Bundesbetrieben verbundenen Härten wo immer möglich zu mildern. Auf seinen Antrag wurde die Motion lediglich als Postulat überwiesen [39].
Ende Jahr orientierte das EMD über die Neustrukturierung der eidgenössischen Munitionsbetriebe. Thun wird demnach Sitz des Managements einer neuen eidgenössischen Munitionsfirma, deren Produktionsstätten sich in Thun, Wimmis, Altdorf und Aubonne befinden. Mit dieser Restrukturierung ist ein weiterer Arbeitsplatzabbau von 300 Stellen in Thun und Altdorf verbunden [40].
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Gleich wie der Nationalrat im Vorjahr lehnte auch die kleine Kammer die GSoAInitiative "für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge" deutlich mit 36 zu 2 Stimmen ab. In Übereinstimmung mit Bundesrat Villiger gelangte die Ratsmehrheit zur Ansicht, es gehe hier nicht eigentlich um die Verhinderung des bereits beschlossenen Kaufes von 34 Kampfflugzeugen vom Typ F/A-18, sondern — über das im Initiativtext enthaltene Flugzeugbeschaffungsmoratorium bis ins Jahr 2000 — um eine eigentliche Selbstentwaffnung der Schweizer Armee. Auch ein Gegenvorschlag Weber (ldu, ZH), die Beschaffung des F/A-18 separat einer Volksabstimmung zu unterstellen, wurde als verkapptes Rüstungsreferendum klar verworfen. Weber hatte ihren Antrag eingebracht, damit das Volk unterscheiden könne zwischen einer Zustimmung oder Ablehnung zum Flugzeugkauf und dem von den Initianten geforderten Moratorium [41].
An einemgemeinsamen Medienauftritt begründeten die Bundesräte Ogi, Villiger und Delamuraz ihre Ablehnung der Volksinitiative mit der internationalen Glaubhaftigkeit der Schweiz sowie mit volkswirtschaftlichen Argumenten. Bundespräsident Ogi bezeichnete die Beschaffung der Flugzeuge als "europäische Pflicht", weil ein Schweizer Luftloch das Vertrauen der Nachbarn in die schweizerische Verteidungsfähigkeit erschüttern würde. Bundesrat Villiger betonte, es gebe keine sinnvolle und günstigere Alternative zum Kauf der F/A-18. Und EVD-Chef Delamuraz wies darauf hin, dass die Schweizer Montage und die mit den USA für die Beschaffung der F/A-18 ausgehandelten Kompensationsgeschäfte 20 000 Mann-Jahre Arbeit in technologisch interessanten Bereichen bringen würden [42].
Neben dem bereits oben erwähnten plebiszitären Schlagwort der "Armeeabschaffung auf Raten" waren die Auswirkungen der Kompensationsgeschäfte auf den krisengeschüttelten Schweizer Arbeitsmarkt denn auch jenes Thema, das von den Gegnern der Initiative ganz besonders hervorgehoben wurde. Auch der Bundesrat, der 1986 in Beantwortung eines Postulates Jaggi (sp, VD) den Kompensationshandel als unzeitgemäss bezeichnet und dessen schrittweisen Abbau befürwortet hatte, schwenkte voll auf diese Linie ein. Das Schweizer Büro der F/A-18-Hersteller organisierte zusammen mit der Gruppe für Rüstungsdienste und den kantonalen Amtern für Wirtschaftsförderung Informationsveranstaltungen über die Auswirkungen der Kompensationsgeschäfte auf den Arbeitsmarkt, was die Initianten als versteckte Abstimmungspropaganda werteten [43].
Von der Kampagne der Gegner immer weiter in die Armeeabschaffer-Ecke gedrängt, bekundeten die gemässigten Befürworter zusehends Mühe, ihr militärpolitisches Anliegen überzeugend vorzutragen. Stimmen von Experten aus Kreisen, die nicht als armeefeindlich bezeichnet werden konnten, welche die Flugzeugbeschaffung aber aus technischen oder finanzpolitischen Motiven oder aus Gründen der fehlenden Eurokompatibilität ablehnten, verhallten ziemlich ungehört. Auch ein überparteiliches Komitee "Ja zur Armee — Ja zu einer Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge" unter dem Präsidium von Ständerat Plattner (sp, BS), den Nationalräten Meier (gp, ZH) und Rebeaud (gp, GE) sowie alt Ständerätin Bührer (sp, SH), welches die für den Flugzeugkauf vorgesehenen 3,5 Mia Fr. lieber in eine andere Art der Luftraumüberwachung und eine moderne bodengestützte Luftabwehr investieren wollte, vermochte kaum in den Abstimmungskampf einzugreifen [44].
Volksinitiative "für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge". Abstimmung vom 6. Juni 1993
Beteiligung: 55,6%
Nein: 1 435 744 (57,2%) / 17 4/2 Stände
Ja: 1 074 661 (42,8%) / 3 2/2 Stände

Parolen:
— Nein: FDP, CVP (1*), SVP, LP, EVP (2*), APS, SD, EDU; Vorort, SGV, SBV, VSA; Auns
— Ja: SPS, GP, LdU (3*), PdA, Lega; SGB
Stimmfreigabe: CNG, Smuv
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Dabei hätte gerade das finanzpolitische Argument ein grosses Mobilisierungspotential gehabt, wie die im Anschluss an die Abstimmung durchgeführte Vox-Analyse nachwies. 55% der Stimmberechtigten, 65% der Nicht-Urnengänger und 91% der Ja-Stimmenden unterstützen die Aussage, angesichts der leeren Bundeskasse könnten die rund 3,5 Mia Fr. für die Beschaffung von 34 Flugzeugen für dringlichere Aufgaben gebraucht werden. Dass dieses Argument sich im Abstimmungskampf nicht stärker durchzusetzen vermochte, wurde auch darauf zurückgeführt, dass die Initiativgegner und vor allem Bundesrat Villiger offenbar erfolgreich mit der Feststellung konterten, die 34 Kampfflieger würden aus dem regulären Budget des EMD bezahlt, weshalb auch bei einer Ablehnung keine Möglichkeit bestehe, die 3,5 Mia Fr. anderen Aufgaben – etwa im Sozialbereich – zuzuführen [45].
Ein Jahr früher als vorgesehen sollen die Hunter-Flugzeuge Ende 1994 stillgelegt und mehrheitlich verschrottet werden. Das EMD begründete die vorzeitige Ausmusterung mit dem nur noch äusserst geringen Kampfwert der Hunter sowie mit finanziellen Überlegungen [46].
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Ende März wurde der letzte der 345 in der Schweiz in Lizenz hergestellten Panzern 87 Leopard termingerecht und billiger als ursprünglich erwartet in Thun dem EMD übergeben. Bei der Abnahme betonte Bundesrat Villiger, damit habe sich der 1984 heftig umstrittene Entscheid für die Lizenzproduktion als richtig herausgestellt. Mit Gesamtkosten von 3,58 Mia Fr. ist das bisher grösste Rüstungsvorhaben der Schweiz rund 800 Mio Fr. günstiger zu stehen gekommen als 1984 budgetiert. Das EMD führte dies auf die mässige Teuerung sowie auf Einsparungen beim Material und beim Risikozuschlag zurück. Bei einem Inlandanteil von 65% arbeiteten über 800 Schweizer Firmen aus allen Landesteilen am Panzer und ungefähr 200 Betriebe am Nachbau der Munition mit. Durch den Lizenzbau und die Kompensationsgeschäfte waren während acht Jahren insgesamt 2000 Arbeitsplätze ausgelastet, wobei die Kompensationsgeschäfte einen Anteil von 600 Stellen hatten [47].
Im Sommer konnte die Gruppe für Rüstungsdienste (GRD) dem Kommando der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen den letzten Super-Puma übergeben. Damit ist die Flotte der grossen Transporthelikopter der Armee vollzählig. Insgesamt stehen jetzt 15 der französischen Maschinen im Einsatz. Sie dienen vorab der Kampfunterstützung, der Versorgung und der Rettung [48].
Bei der Beschaffung eines neuen Militärlieferwagens entschied sich Bundesrat Villiger für das Fahrzeug Duro der Schweizer Firma Bucher-Guyer und beantragte dem Parlament die Beschaffung von 2000 Lieferwagen für einen Gesamtbetrag von 290 Mio Fr. In der Schlussevaluation für die Nachfolge der seit rund 30 Jahren im Einsatz stehenden Fahrzeuge vom Typ Mowag und Unimog S standen sich der für 28 Mio Fr. aus dem EMD-Budget entwickelte Duro und der deutsche Unimog 140 L von Mercedes-Benz gegenüber. Gemäss EMD hätten aus militärischer, technischer und kommerzieller Sicht beide Produkte gewählt werden können. Für den Duro sprach laut Villiger das günstige Preis-/ Leistungsverhältnis, die moderne Konstruktion und die gute Miliztauglichkeit. Der Mehrpreis von 20 Mio Fr. (7,2%) gegenüber dem deutschen Modell sei vertretbar, da der Duro eine um zehn Prozent höhere Nutzlast habe und praktisch wie ein Personenwagen zu fahren sei. Dank den Exportchancen bestehe die Möglichkeit, dass bis zu 15 Mio Fr. der vom Bund aufgebrachten Entwicklungskosten zurückfliessen könnten. Durch den Entscheid für das inländische Produkt können während fünf Jahren 300 bis 400 Arbeitsplätze in allen Landesteilen gesichert werden. Aufgrund der versprochenen Kompensationsgeschäfte wäre der Unimog beschäftigungspolitisch mindestens ebenso interessant gewesen, doch wollte Villiger mit dem Duro-Entscheid bewusst ein Signal für die verunsicherte Schweizer Industrie setzen [49].
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Militärische Bauten
Mit 65,5 Mio Fr. beantragte der Bundesrat dem Parlament die tiefste Investitionssumme für militärische Bauten seit Jahrzehnten. In ihrer Botschaft unterstrich die Landesregierung, das Bauprogramm 1993 entspreche nicht den ausgewiesenen Bedürfnissen, sondern ausschliesslich den im Zuge der Sparmassnahmen mehrfach gekürzten Zahlungskrediten. Der Hauptanteil des neuen Bauprogramms war mit 42,5 Mio Fr. erneut für Ausbildungsbauten reserviert, um den Rückstand bei den sanierungsbedürftigen Kasernenanlagen, Truppenunterkünften und Schiessplätzen weiter zu verringern. Beide Kammern stimmten dem Bauprogramm praktisch diskussionslos zu, wobei aber die Sprecher der jeweiligen Sicherheitskommission vor weiteren Sparübungen im Bereich der militärischen Bauten warnten [50].
Nach Ansicht des Bundesrates bedingt das mit der "Armee 95" vorgesehene Konzept der dynamischen Raumverteidigung eine Überprüfung des während 100 Jahren entstandenen Festungssystems. Deshalb werden in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren 14 000 von 20 000 Bauten aufgegeben, darunter auch die 40 grossen Festungsartillerie-Anlagen. Weil die Liquidierung finanziell aufwendig ist, soll sie etappenweise vorgenommen werden. Weiterhin zu verteidigen sind gemäss Bundesrat die wichtigsten Alpenübergänge. Mit dem Rüstungsprogramm 93 beantragte er deshalb 16 neue Artilleriegeschütze vom Typ Bison für die Festungsbrigaden in St. Maurice, am Gotthard und in Sargans. Für die SP und die Grünen zeugt diese Ausrichtung von überholtem Réduitdenken. Ein entsprechender Streichungsantrag Haering Binder (sp, ZH) wurde im Nationalrat jedoch deutlich abgelehnt, obgleich auch Artillerie-Experten des EMD ihre Skepsis gegenüber dem "Bison" nicht verhehlten [51].
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Auch bei der Initiative "40 Waffenplätze sind genug – Umweltschutz auch beim Militär" erwies sich die generelle Auflage des künftigen Verbots weiterer Waffenplatzbauten als Fallstrick für das konkrete Anliegen des Schutzes der Landschaft von Neuchlen-Anschwilen (SG). Die Initiativgegner behaupteten, mit der Annahme der Initiative würde jede Sanierung eines alten Waffenplatzes in Zukunft ausgeschlossen, womit man der Armee die Grundlage entziehe, ihre Soldaten zeitgemäss auszubilden. Dem hielten die Initianten entgegen, gemäss Initiativtext sollten nur Erweiterungen der bestehenden Waffenplätze verboten werden, worunter eine Ausdehnung des Waffenplatzareals oder eine mit einer stärkeren Belastung der Umwelt verbundene Änderung der Nutzung gemeint sei. Die unpräzise Formulierung des Verbots künftiger Waffenplatzbauten sowie die starke Anlehnung der Initianten an die GSoA während der Abstimmungskampagne erlaubten den Initiativgegnern, auch dieses Begehren als verkappte Schwächung der Armee darzustellen und in die emotionsgeladene Atmosphäre des Abstimmungskampfes über die Flugzeugbeschaffung einzubeziehen [52].
Die mit über 55% Nein-Stimmen erfolgte Ablehnung fiel überraschend klar aus, hatten doch zu Jahresbeginn noch fast zwei Drittel der Stimmberechtigten ihre Sympathie für die Initiative bekundet. Diese konnte zudem recht nahtlos an die erfolgreiche Rothenthurm-Initiative von 1987 anknüpfen. Unter dem Sperrfeuer der bürgerlichen Gegnerschaft verlor sie aber zusehends an Boden und wurde schliesslich nur knapp weniger deutlich als die Flugzeugbeschaffungs-Initiative abgelehnt. Lediglich die fünf Westschweizer Kantone Genf, Waadt, Neuenburg, Freiburg und Jura, das Tessin und die beiden Basler Halbkantone stimmten dem Volksbegehren zu, der Kanton Jura mit 73,3% am deutlichsten, Freiburg mit 50,3% der Stimmen nur ganz knapp. Auffallend war, dass die Ostschweizer Kantone St. Gallen, Thurgau, beide Appenzell und Schaffhausen die Waffenplatz-Initiative – im Gegensatz zur restlichen Deutschschweiz – stärker verwarfen als die Flugzeug-Initiative [53].
Volksinitiative "40 Waffenplätze sind genug – Umweltschutz auch beim Militär". Abstimmung vom 6. Juni 1993
Beteiligung: 55,6%
Nein: 1 390 812 (55,2%) / 14 4/2 Stände
Ja: 1 124 893 (44,8%) / 6 2/2 Stände

Parolen:
Nein: FDP, CVP (1*), SVP, LP, EVP, AP, SD, EDU; Vorort, SGV, SBV, CNG, VSA
Ja: SP, LdU (3*), GP, PdA; SGB
Stimmfreigabe: Lega
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Vox-Analyse dieses Urnenganges zeigte bei den Motiven der Nein-Stimmenden ein deutliches Muster. Für die grosse Mehrheit der Befragten waren armeepolitische und gefühlsmässige, undifferenzierte Beweggründe mit eher armeefreundlichem Charakter ausschlaggebend. Die Behauptung der Initiativgegner, eine Annahme der Initiative würde inskünftig eine sinnvolle Modernisierung der militärischen Ausbildung verhindern, wog dabei schwerer als das Argument, mit dem Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen gelte es dringenden Ersatz für die Kaserne von St. Gallen zu schaffen. Die Begründungspalette der Ja-Stimmenden war mit drei ausgeprägten Motivgruppen etwas breiter als diejenige der Gegnerschaft. Aber auch hier überwogen jene, welche armeepolitische Überlegungen – etwa die Verkleinerung der Armee im Rahmen der Reform "Armee 95" – in den Vordergrund stellten, gefolgt von jenen, die als tendenziell armeekritisch einzustufen sind. Überraschenderweise standen umweltpolitische Motive erst abgeschlagen an dritter Stelle. Anders als seinerzeit bei der Rothenthurm-Initiative war es den Initianten offenbar nicht gelungen, den Natur- und Umweltschutz zu einem zentralen Thema zu machen [54].
Eine Motion Brügger (sp, FR), welche den Bundesrat aufforderte, aus ökologischen Gründen auf den Ausbau des Schiessplatzes Kaisereggalp (BE) zu verzichten, wurde vom Nationalrat abgelehnt. Der Bundesrat argumentierte, es handle sich bei diesem Projekt nicht um einen Ausbau, sondern lediglich um die bessere Erschliessung des Schiessplatzes, wobei nach Möglichkeiten auf die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes Rücksicht genommen werde [55].
Im dritten Anlauf wurde dem geplanten Ausbau des Gebirgsschiessplatzes auf der Wendenalp (Susten, BE) die Umweltverträglichkeit attestiert. Gegen das vom EMD als Minimalvariante bezeichnete Projekt erhoben Natur- und Umweltschützer dennoch Einsprache, da die Wendenalp als wertvolles Brutgebiet von Birkwild und anderen seltenen Vogelarten gilt und eines der wichtigsten Reptilienvorkommen der Schweiz beherbergt [56].
Das EMD will im Hinblick auf das Projekt "Armee 95" fünf der zwölf Militärflugplätze schliessen. Da wie alle Armeebereiche auch die Flugzeugflotte um ein Drittel verkleinert wird, sollen bis Januar 1995 die Kriegsflugplätze in Saanen (BE), Ulrichen (VS), Raron (VS), Ambri (TI) und St. Stephan (BE) aufgehoben werden. Dabei werden insgesamt 29 Arbeitsplätze gestrichen. Das EMD versicherte, Entlassungen würden nach Möglichkeiten durch Umschulung, natürliche Abgänge oder Versetzung vermieden [57].
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Dienstverweigerung
Im Berichtsjahr wurden 409 Dienstverweigerer verurteilt, 34 weniger als 1992. 268 von ihnen konnten ethische Gründe glaubhaft machen. In Anwendung der Barras-Reform wurden 249 davon zu einer Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse verpflichtet und entgingen so einer Gefängnisstrafe, 18 wurden dem waffenlosen Dienst zugeteilt [58].
Der zivile Arbeitsdienst als Ersatz für verweigerten Militärdienst, der aufgrund der Barras-Reform seit dem 15. Juli 1992 möglich ist, wurde allgemein positiv bewertet. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten konnten genügend viele Einsätze angeboten werden. 80% der Arbeitsstellen betrafen den Gesundheits- und Sozialbereich [59].
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Knapp vierzehn Monate nach dem deutlichen Ja des Souveräns zur Einführung eines Zivildienstes und nach einer kurzen Vorvernehmlassung legten die damit betrauten Departemente EVD und EMD einen 84 Artikel umfassenden Entwurf für ein Bundesgesetz über den Zivildienst (ZDG) vor, welches mit der Armeereform 1995 wirksam werden sollte. An der allgemeinen Wehrpflicht wurde festgehalten, so dass es auch inskünftig keine freie Wahl zwischen Wehr- und Zivildienst geben wird. Offen liess der Entwurf noch, ob als Zulassungskriterium alle Gewissensgründe, also auch politische, oder nur ethische Motivationen gelten sollen. Für das Zulassungsverfahren zum Ersatzdienst wurden drei Varianten zur Diskussion gestellt: ein Tatbeweismodell mit summarischer Prüfung der Gründe, ein Modell mit der persönlichen Anhörung jedes Gesuchstellers sowie eine Mischform mit einer Anhörung nur auf Verlangen oder bei einer sich abzeichnenden Ablehnung des Gesuches. Wird einem Gesuch nicht stattgegeben, soll bei einer verwaltungsunabhängigen Rekurskommission Beschwerde geführt werden können. Auch bezüglich der Dauer enthielt der Entwurf zwei Möglichkeiten, nämlich eine Ausdehnung auf das 1,3-oder das 1,5-fache der nicht geleisteten militärischen Ausbildungszeit. Vorgesehen wurde ein Einsatz im Gesundheits- und Sozialbereich, in der Umwelt-, Natur- und Landschaftspflege und im Forstwesen, in der Berglandwirtschaft sowie in der Katastrophenhilfe. Der Vollzug soll föderalistisch geregelt werden. In der Regel soll der Ersatzdienst im Wohnsitzkanton erfolgen; Einsätze in anderen Kantonen oder im Ausland wurden jedoch nicht ausgeschlossen. Offen blieb die Frage, ob der Zivildienst am Stück oder auch in Tranchen soll absolviert werden können [60].
In der Vernehmlassung bestätigte sich das alte Links-/Rechts-Schema in Armeefragen. FDP und SVP wollten nur ethische Gründe für die Zulassung zum Zivildienst gelten lassen und dessen Dauer auf das Anderthalbfache des Militärdienstes festsetzen. Die CVP und der LdU sprachen sich für eine 1,3 fache Dauer aus. Die SP und die Grünen erinnerten daran, dass sie für eine freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst seien, verlangten die grundsätzliche Anerkennung aller Verweigerungsgründe, da jede Prüfung zu Willkür führen müsse, und wollten den Zivildienst auf das 1,2fache des Militärdienstes beschränken. Die Mehrheit der Kantone sprach sich für das Tatbeweismodell und für die anderthalbfache Dauer aus. Einig waren sich die Kantone darin, dass der Bund die gesamten Kosten zu tragen habe, also auch den Verwaltungsaufwand der kantonalen Arbeitsämter [61].
Eine parlamentarische Initiative Carobbio (sp, TI), welche verlangte, der Strafvollzug für Dienstverweigerer sei bis zum Inkrafttreten des Zivildienstgesetzes auszusetzen, wurde vom Nationalrat klar abgelehnt. Die grosse Kammer begründete ihren Entscheid unter anderem mit den Möglichkeiten, welche die 1992 wirksam gewordene Barras-Reform den Dienstverweigerern aus Gewissensgründen gewährt. Zudem liege der Strafvollzug in der Kompetenz der Kantone, weshalb es nicht angezeigt sei, dass der Bund hier eine Vereinheitlichung vorschreibe [62].
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Zivilschutz
Nachdem seine Entwürfe in der Vernehmlassung mehrheitlich positiv aufgenommen worden waren – einzig SP, GP, SGB und Schweizerischer Friedensrat meldeten grundsätzliche Bedenken an –, verabschiedete der Bundesrat im Sommer seine Botschaft zum neuen Zivilschutzgesetz und zum teilrevidierten Schutzbautengesetz. Mit der Vorlage wird das vom Parlament im Vorjahr genehmigte Leitbild für ein effizienteres und kostengünstigeres Schutz-, Rettungs- und Hilfsinstrument bei Notsituationen aller Art in die Tat umgesetzt [63]. Insgesamt fast zwei Mia Fr. billiger – aber dennoch besser aktionsfähig als bisher – soll der Zivilschutz der Zukunft werden. Die geplanten Änderungen lassen sich aber wegen Geldknappheit erst gegen das Jahr 2010 verwirklichen.
Insgesamt wird der neu konzipierte Zivilschutz von einer Hilfsformation im Kriegsfall zu einer Organisation der Katastrophen- und Nothilfe aufgewertet. Das Dienstpflichtalter wird von 60 auf 52 Jahre herabgesetzt. Damit wird der Zivilschutz nicht nur verjüngt, sondern auch um rund ein Drittel verkleinert. Der Sollbestand sinkt von 520 000 auf rund 380 000 Personen. Frauen und niedergelassene Ausländer können freiwillig Dienst leisten. Der Zivilschutz wird künftig auch im grenznahen Ausland eingesetzt werden können. Die Brandbekämpfung, bisher ein wichtiges Element des Zivilschutzes, wird fortan ausschliesslich den rund 60 000 Feuerwehrleuten übertragen, die dafür von der Zivilschutz-Dienstpflicht befreit werden.
Die Ausbildung erhält – vor der persönlichen Ausrüstung des Zivilschutz-Pflichtigen und insbesondere vor dem Schutzraumbau – die erste Priorität. Nach dem Motto "Die richtige Person am richtigen Platz" soll mit einem Einteilungsrapport eine gezieltere Zuteilung der Dienstpflichtigen erreicht werden. Die flexible zeitliche Gestaltung der Wiederholungskurse wird es erlauben, Zivilschützer statt wie bisher jährlich ein bis zwei Tage neu beispielsweise alle fünf Jahre für zehn Tage aufzubieten.
Das gleichzeitig teilrevidierte Schutzbautengesetz sieht eine Lockerung der Baupflicht für Hauseigentümer vor. Zwar wird am Ziel, für jedermann einen Schutzplatz bereitzustellen, festgehalten, doch wird angesichts des heute erreichten Deckungsgrades von 90% künftig bei Um- und Aufbauten sowie bei Nutzungsänderungen auf den Bau von Schutzräumen verzichtet. Auch vom Bau von Notspitälern wird abgesehen, während der Bau von sanitätsdienstlichen Anlagen reduziert wird [64].
In der Wintersession verabschiedete der Ständerat einstimmig sowohl das neue Zivilschutzgesetz wie das revidierte Schutzbautengesetz, ohne am Vorschlag des Bundesrates nennenswerte Änderungen vorzunehmen. Ein Rückweisungsantrag Zimmerli (svp, BE), welcher eine engere Abstimmung zwischen Zivilschutz- und Militärgesetz sowie die Zuweisung der beiden Bereiche ans gleiche Departement erreichen wollte, wurde klar abgelehnt [65].
Eine im Frühjahr im Auftrag des Bundesamtes für Zivilschutz durchgeführte repräsentative Umfrage zeigte, dass zwei Drittel der Befragten – 64% in der Deutschschweiz und 71 % in der Romandie – die stärkere Ausrichtung des Zivilschutzes auf die Katastrophen- und Nothilfe in Friedenszeiten befürworten. 42% der Deutschschweizer und 45% der Romands wussten um die laufenden Reformbemühungen, wobei der Wissensstand auf dem Land etwas besser war als in der Stadt [66].
Nach ihrer Niederlage in der Volksabstimmung vom 6. Juni (s. oben) verzichtete die "Gruppe für eine Schweiz ohne Armee" (GSoA) vorderhand auf ihre 1992 angekündigte Volksinitiative "zur Abschaffung des Zivilschutzes" [67].
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Weiterführende Literatur
Ch. Brunner u. a., Abrüstung als Chance und Herausforderung, Tagung der Volksinitiativen für Abrüstung und für ein Waffenausfuhrverbot, Bern 1993.
F. Christ, Sicherheitspolitik der Schweiz: von der Konzeption 73 zum Bericht 90, Bern (EDMZ) 1993 (auch frz. erschienen).
G. Däniker, "Schweizerische Sicherheitspolitik zwischen Dissuasion und Kooperation", in österreichisches Jahrbuch für internationale Politik, 9/1992, S. 197 ff.
L. Goetschel, Europäische Herausforderung an die Vermittlung der schweizerischen Sicherheitspolitik, Lausanne (IDHEAP) 1993.
J. Hürlimann, "Negative Auswirkungen des Nein zum EWR im weiteren Bereich der Sicherheitspolitik", in Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik, 1993, S. 18 ff.
Th. Köppel, "Gefährdung von Zielen und Strategien der Sicherheitspolitik durch die EWR-Abstimmung", in Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik, 1993, S. 1 ff.
M. Mantovani, "Folgen des EWR-Neins auch im engeren sicherheitspolitischen Bereich", in Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik, 1993, S. 74 fl.
Strategie; Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Festgabe für Gustav Däniker zum 65. Geburtstag, Zürich 1993.
A. Riklin, Bedrohung und Verteidigung im Urteil der Schweizer: Ergebnisse einer Repräsentativ-Befragung, St. Gallen 1993.
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C. Auroi et al., F/A-18: le vrai débat, Genève 1993.
A. Gross / H. Trüb / A. Schmid (Hg.), 6. Juni 93: Kompromiss auch bei der Armee, Zürich 1993.
P. Hug / R. Meier, La reconversion: transformer en emplois civils les postes de travail liés à l'armée, Lausanne 1993.
A. Ladner, Die Volksabstimmung vom 6. Juni 1993 über die Volksinitiativen "für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge" und "40 Waffenplätze sind genug – Umweltschutz auch beim Militär ", Bern (BFS) 1993.
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Arbeitsgruppe Napf, Zum Arbeitsdienst im öffentlichen Interesse: nach der Änderung des Militärstrafgesetzes vom 5. Oktober 1990, Langnau 1992.
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[1] BBl, 1993, II, S. 1433 ff.; Presse vorn 7.6.93. Vgl. SPJ 1990, S. 93 f., 1991, S. 105 f. sowie 1992, S. 97 ff. und 100. Siehe auch unten, Rüstung bzw. Militärische Bauten.
[2] TA, 20.3.93; BZ, 2.4., 16.4., 30.4., 14.5. und 29.5.93.
[3] BZ, 23.3.93; BaZ, 26.3.93. Für die Kontroverse um das "Abstimmungsbüchlein" siehe Bund, 18.5. und 19.5.93.
[4] WoZ, 19.3.93; TA, 20.3. und 10.5.93. Presse vom 23.3. und 20.4.93; NZZ, 6.4., 15.4., 17.4., 22.4. und 28.4.93. Im Februar verschickte das EMD an sämtliche Truppenkommandanten bis hinunter auf Stufe Kompagnie ein Argumentarium gegen die beiden Initiativen, warnte die Offiziere aber vor direkten Abstimmungsempfehlungen (TA, 23.3.93). Zur Rolle des EMD im Abstimmungskampf siehe auch Amtl. Bull. NR, 1993, S. 151 ff., 1463 und 2020 ff.
[5] Presse vom 17.5. und 24.5.93.
[6] Presse vom 20.3.93; Bund und Ww, 22.4.93. Der LdU zeigte sich bei der Flugzeugbeschaffung gespalten. Während sich die Partei für eine Unterstützung der Initiative aussprach, warb Parteipräsidentin Weber öffentlich für eine Ablehnung (NZZ, 19.5.93).
[7] Lit. Ladner; Presse vom 31.7.93.
[8] Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 6. Juni 1993, Adliswil, 1993; Presse vom 7.6.93.
[9] Bund, 9.6.93; TA, 11.6. und 13.9.93; Presse vom 21.6.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 92 f.
[10] BBl, 1993, I, S. 89 f. und 107 f.; Presse vom 2.7.93. Gemäss einem Rechtsgutachten zuhanden des EMD verstösst die Initiative "für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik" gegen die Einheit der Materie (Bund, 1.12.93). Vgl. SPJ 1991, S. 84 und 92.
[11] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1402 f.
[12] Presse vom 6.11.93; NQ und NZZ, 8.11.93; BZ, 10.11.93.
[13] Presse vom 2.4.-6.4.93.
[14] BBl, 1994, I, S. 100 ff.; Presse vom 16.10.93.
[15] Presse vom 7.4. und 8.4.93.
[16] Presse vom 8.4.93; NZZ, 15.10.93. Siehe dazu auch oben, Teil I, 2 (Politique économique extérieure).
[17] Presse vom 15.1.93.
[18] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 1122 ff.; Blick, 6.9.93; NZZ, 7.9.93; Suisse, 8.9.93.
[19] NZZ, 20.10.93.
[20] BBl, 1993, IV, S. 1 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 1107 ff.; Presse vom 9.9. und 17.12.93.
[21] BBl, 1993, I, S. 749 ff. und 1048 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 69 f. und 233; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 469 ff. und 640.
[22] Presse yom 12.10.93.
[23] NZZ, 13.11.93.
[24] NZZ, 2.3.93; CdT, 5.3.93; Presse vom 12.3.93; TA, 15.4.93. Ab 1994 sollen auch gemischte Unteroffiziersschulen eingeführt werden (Bund, 13.5.93).
[25] TA, 15.4.93; NQ, 19.5.93; Presse vom 24.9.93.
[26] BBl, 1993, II, S. 730 ff. Siehe auch SPJ 1991, S. 102 und 256 sowie 1992, S. 95.
[27] Presse vom 18.5.93.
[28] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 775 ff.
[29] BBl, 1993, I, S. 1594.
[30] NZZ, 16.1.93.
[31] NQ, 7.2.93; Bund, 15.6.93.
[32] Presse vom 10.4. und 5.5.93; NZZ, 13.4.93.
[33] Presse vom 10.2.93.
[34] Presse vom 23.3.-27.3.93. SPK-NR: Amtl. Bull. NR, S. 2509 f.
[35] Bund, 23.4.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 95. Im April bekam das "RS-Sorgentelefon" zivile Konkurrenz, als kirchliche Kreise, Jugendorganisationen und Beratungsstellen für Militärverweigerer ein eigenes Kontakttelefon einrichteten (Bund, 9.7.93).
[36] Presse vom 1.11.93.
[37] BBl, 1993, III, S. 1 ff.; Presse vom 24.6.93.
[38] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1509 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 866 ff.; BBl, 1993, IV, S. 602 ff.
[39] Amtl. Bull NR, 1993, S. 1531 ff. und 2610 f.; SHZ, 2.9.93; siehe auch Lit. Hug.
[40] Presse vom 4.12.93.
[41] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 40 ff., 48 ff. und 233; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 640 (Schlussabstimmung). Zu Vorgeschichte und Stossrichtung der Initiative siehe SPJ 1992, S. 97 ff.
[42] Presse vom 23.3.93.
[43] Presse vom 5.2.93; LZ, 28.4.93; NZZ, 30.4.93, Suisse, 4.5.93; SHZ, 6.5.93; BaZ und CdT, 13.5.93; WoZ, 14.5.93; TA, 17.5. und 1.6.93; BZ und NQ, 18.5.93. Für die Abstimmungskampagne siehe auch oben, Grundsatzfragen.
[44] BaZ, 25.3. und 11.5.93; JdG, 31.3.93; NZZ, 1.4. und 6.5.93. Der offizielle Besuch von Elisabeth Rehn, Verteidigungsministerin in der finnischen Regierung, welche 1992 ebenfalls den Kauf von F/A-18-Kampffliegern beschlossen hatte, bot dem BR wertvolle Schützenhilfe im Kampf gegen das Argument, die F/A-18 seien nicht eurokompatibel (Presse vom 31.3.93).
[45] Bund, 5.5., 6.5. und 1.6.93. Als kurz vor der Abstimmung Sparpläne von Bund und Kantonen bei den Sozialversicherungen publik würden, verneinte auch die Vorsteherin des EDI die Möglichkeit, die F/A-18-Kredite direkt zugunsten anderer Bundesaufgaben umzuleiten (TA, 3.6.93).
[46] BaZ, 4.8.93; NZZ, 23.8. und 6.10.93.
[47] Presse vom 20.3.94. Siehe SPJ 1984, S. 56 ff.
[48] Presse vom 30.6.93.
[49] Presse vom 2.3.93.
[50] BBl, 1993, II, S. 1 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 369 . ff.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1505 ff.; BBl, 1993, III, S. 802 ff.
[51] Amt. Bull. NR, 1993, S. 1509 ff.; Bund, 24.6.93; NZZ, 27.8.93; NQ, 30.9.93.
[52] LZ, 17.4.93; Bund, 21.4.93; LNN, 1.5.93; NZZ, 4.5. und 12.5.93; TA, 27.4., 5.5., 7.5. und 18.5.93; BZ, 15.5. und 26.5; SGT, 22.5. und 31.7.93; JdG, 1.6.93; Presse vom 7.6.93. Für die Vorgeschichte und den Inhalt der Initiative siehe SPJ 1990, S. 93 f., 1991, S. 105 f. und 1992, S. 100. Für den Abstimmungskampf siehe oben, Grundsatzfragen.
[53] BBl, 1993, II, S. 1433 ff.; Presse vom 7.6.93.
[54] Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 6. Juni 1993, Adliswil 1993.
[55] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1528 ff.
[56] TW, 6.1.93. Siehe auch Stellungnahme des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 655.
[57] Presse vom 13.11.93.
[58] Presse vom 26.1.94.
[59] Bund, 11.1. und 2.2.93; NZZ, 23.2.93; SGT, 25.5. und 6.10.93; CdT, 28.6.93; BaZ, 22.9.93; LNN, 26.1.94.
[60] Presse vom 27.2. und 6.7.93. Die 1,2-fache Dauer war im ersten Konzept zur Diskussion gestellt worden, dann aber, um die Vorlage nicht zu belasten, wieder aus den Traktanden gefallen. Keine Chance hatte von vornherein die Forderung von SP und Dienstverweigererorganisationen nach einer ungefähr gleich langen Dienstdauer.
[61] NZZ, 23.4.93; JdG und SGT, 3.11.93.
[62] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1928 ff. Die Kantone BS, BE, GE, JU, LU, NE, NW, TI, ZG und ZH gewähren bereits den Strafaufschub bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes: LNN, 8.5.93; BüZ, 16.10.93.
[63] Zu diesem Konzept siehe SPJ 1992, S. 103.
[64] BBl, 1993, III, S. 825 ff. Vernehmlassung: Presse vom 21.4. und 6.7.93. In einem Zusatzbericht bezifferte der BR die bis 2010 möglich werdenden Einsparungen sogar auf 2,3 Mia Fr. (NZZ, 21.10.93). In Anbetracht dieser Vorgaben verabschiedete der NR im Einverständnis mit dem BR diskussionslos eine Motion Baumberger (cvp, ZH), welche den BR ersucht, die bis Ende 1995 laufende Frist für die Ausrüstung der privaten Schutzräume angemessen zu verlängern (Amtl. Bull. NR, 1993, S. 568). Aus formatrechtlichen Gründen (Kompetenz des BR) überwies der StR die Motion lediglich als Postulat (Amtl. Bull. StR, 1993, S. 976).
[65] Amtl. Bull. StR, 1993, 880 ff.
[66] Presse vom 20.7.93.
[67] Baz, 21.7.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 103.
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