Année politique Suisse 1999 : Grundlagen der Staatsordnung
Institutionen und Volksrechte
Der Ständerat lehnte sowohl die „Quoteninitiative“ als auch einen Gegenvorschlag des Nationalrats ab. – Volk und Stände stimmten der Aufhebung der Kantonsklausel bei der Zusammensetzung des Bundesrats deutlich zu. – Die Vereinigte Bundesversammlung wählte die CVP-Mitglieder Ruth Metzler und Joseph Deiss anstelle der zurücktretenden Flavio Cotti und Arnold Koller neu in die Landesregierung. – Der SVP gelang es trotz ihres Erfolgs bei den Nationalratswahlen nicht, die Zauberformel zu sprengen. – Gegen den Widerstand der Linken stimmte das Parlament der von der Regierung beantragten Aufhebung des Beamtenstatus beim Bundespersonal zu. – Die Institution der parlamentarischen Immunität bot sowohl in einem umstrittenen Anwendungsfall (Nationalrat Keller, sd) wie auch generell zu Diskussionen Anlass. – Das Parlament verabschiedete die Justizreform und verzichtete dabei auf die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit. – Der Nationalrat legte sein Veto gegen die Behandlung des Reformpakets Volksrechte ein, das unter anderem eine Erhöhung der Unterschriftenzahl für Initiative und Referendum hätte bringen sollen.
 
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hielt an ihrem im Vorjahr vom Plenum gutgeheissenen Vorhaben fest, der Volksinitiative „für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden“ (Quoteninitiative) einen indirekten Gegenvorschlag entgegen zu setzen. Dieser sah einen obligatorischen Frauenanteil von mindestens 30% auf gemischtgeschlechtlichen Listen für die Nationalratswahl vor. Da sich im Vorjahr der Ständerat geweigert hatte, darauf einzutreten bevor der Nationalrat zur Initiative selbst Stellung genommen hat, legte die Kommission ihr Projekt nun nochmals vor. Allerdings musste sie aus terminlichen Gründen ihr Projekt insofern abändern als es nur noch für die Wahlen 2003 und 2007 Gültigkeit haben soll, nicht aber für die Wahlen vom Herbst 1999 [1].
Im Nationalrat sprachen sich die SP und die Grünen sowohl für die Volksinitiative als auch für die parlamentarische Initiative (Gegenvorschlag) aus. Die CVP und die EVP/LdU-Fraktion unterstützten immerhin noch die parlamentarische Initiative (Listenquoten), während alle anderen Fraktionen beide Vorschläge ablehnten (allerdings empfahl auch die Freisinnige Vallender (AR) im Namen einer Minderheit ihrer Fraktion die Zustimmung zu den Listenquoten). In der Gesamtabstimmung lehnte der Rat die Initiative mit 98:56 Stimmen ab, äusserst knapp sprach er sich anschliessend auch gegen die parlamentarische Initiative aus (76:75). Der Ständerat lehnte die Volksinitiative mit 34:5 Stimmen ab. Die immer noch pendente ursprüngliche parlamentarische Initiative des Nationalrats vom Herbst 1998 für Listenquoten lehnte er mit 25:11 Stimmen ab, worauf auch der Nationalrat dieses Geschäft aus der Traktandenliste strich [2].
 
Regierung
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Wahlen
Am 7. Februar stimmten Volk und Stände mit deutlichem Mehr der Beseitigung der sogenannten Kantonsklausel in der Verfassung für die Zusammensetzung der Landesregierung zu. Nur gerade die Kantone Wallis und Jura lehnten die neue Verfassungsbestimmung ab. In der sehr bescheiden geführten Kampagne bildete sich zwar – als Gegenpol zu dem aus rund 90 nationalen Parlamentariern der Bundesratsparteien gebildeten befürwortenden Komitee – auch ein aus Politikern aller politischer Lager gebildetes Gegenkomitee. Sein Hauptargument war, dass diese Reform nur ein erster Schritt zu einem Abbau der föderalistischen Garantien zugunsten der kleinen Kantone darstelle. Sei dieser Schritt einmal gemacht, würden auch weitere, wie die Übervertretung der bevölkerungsschwachen Kantone im Ständerat und das Ständemehr bei obligatorischen Volksabstimmungen unter Beschuss geraten. Viel Geld für Inserate war aber nicht vorhanden und die Debatten, soweit sie überhaupt stattfanden, verliefen äusserst zahm. Von den politischen Parteien hatten alle die Ja-Parole beschlossen. Immerhin gab es mit der Nein-Parole der SVP des Kantons Zürich auch eine prominente Gegenstimme. Herzensblut vergoss allerdings auch die Zürcher SVP nicht für die Beibehaltung der Kantonsklausel. Gegen die Reform sprachen sich auch die Waadtländer Liberalen und einige Sektionen der FDP und der CVP in der Westschweiz und im Tessin aus [3].
Bundesbeschluss über die Wählbarkeit in den Bundesrat
Abstimmung vom 7. Februar 1999

Beteiligung: 38,0%
Ja: 1 287 081 (74,7%) / 186/2 Stände
Nein: 436 511 (25,3%) / 2 Stände

Parolen:
Ja: SP, FDP (4*), CVP (2*), SVP (6*), LP (1*), LdU, EVP, FP, SD (1*), EDU, PdA; SGB.
Nein: Lega.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Zustimmung fiel mit einem Ja-Anteil von fast 75% klar aus. Mit Ausnahme von Jura und Wallis stimmten alle Kantone zu; in den kleineren (NE, FR, AI, AR, Innerschweiz, GL, GR) sowie im Tessin lag der Ja-Stimmen-Anteil allerdings unter dem Landesmittel. Die grössten Ja-Mehrheiten ergaben sich in Genf, Zürich und Basel-Stadt mit über 80% [4].
Bereits im März bestand für die Bundesversammlung die Möglichkeit, von diesen erweiterten Auswahlmöglichkeiten Gebrauch zu machen; genutzt wurde sie allerdings nicht. Am 13. Januar hatten die beiden christlichdemokratischen Bundesräte Arnold Koller und Flavio Cotti ihre Rücktritte auf Ende April bekannt gegeben. Beide waren 1986 in die Landesregierung gewählt worden. Obwohl beide versicherten, autonom und ohne Druck ihrer Partei zu diesem Entschluss gekommen zu sein, interpretierte ein guter Teil der Medien (und auch die Konkurrenzparteien) diesen Entscheid als geschicktes taktisches Manöver zugunsten der CVP. Damit würde diese Partei, der allenthalben eine Wahlniederlage im Herbst vorausgesagt wurde, positiv ins Gespräch gebracht und zudem ihre beiden Sitze im Bundesrat gegen Ansprüche der nach den Wahlen aller Voraussicht nach wählerstärkeren SVP abgesichert [5].
Der Anspruch der CVP auf die Wiederbesetzung beider Sitze blieb unbestrittenen. Sowohl in den Medien wie auch bei den Parteien war von Anfang an klar, dass unter den Gewählten eine Frau sein sollte. Das von den Medien sofort in Gang gesetzte Kandidatenkarussell sah rasch die St. Galler Regierungsrätin Rita Roos und den Freiburger Nationalrat Joseph Deiss in der Favoritenstellung. Nicht nur, aber doch vor allem aus der Westschweiz wurde die Forderung angemeldet, dass als Nachfolger für den Tessiner Cotti ein Kandidat der lateinischen Schweiz gewählt werden müsse. Dies sei nicht nur für den Zusammenhalt der Schweiz, sondern auch der CVP wichtig. Dass es sich dabei um einen Mann handeln würde, war angesichts des Mangels an geeigneten französisch- resp. italienischsprachigen CVP-Politikerinnen naheliegend. Als mögliche Kandidaten wurden neben Deiss, der zwar deutscher Muttersprache ist, aber als Gemeindepräsident einer französischsprachigen Gemeinde als zweisprachig gilt, der jurassische Regierungs- und ex-Ständerat Jean-François Roth ins Spiel gebracht. Das Tessin wirkte in der Verteidigung „seines“ Sitzes nicht eben überzeugend. Als Grund dafür wurde, neben der objektiven Feststellung, dass die italienische Sprachgruppe keinen Anspruch auf eine permanente Übervertretung im Bundesrat anmelden könne, auch das Interesse der anderen Tessiner Parteien gesehen, die den Weg für spätere eigene Kandidaten nicht verbauen wollten [6].
Als erste Kantonalpartei nominierte die Freiburger CVP mit Joseph Deiss ihren Kandidaten. Mit den Nationalräten Remigio Ratti (TI), Peter Hess (ZG), Albert Durrer (OW), Jean-François Roth (JU) sowie Ständerat Bruno Frick (SZ) wurden von den dafür zuständigen Kantonalsektionen weitere männliche Bewerber angemeldet. Dabei wurde von den Medien die Kandidatur von Parteipräsident Durrer als für die CVP nicht ganz unproblematisch erachtet, da davon ausgegangen werden konnte, dass die Fraktion nicht darum herumkommen würde, neben einer Frau auch ihren Präsidenten zu nominieren, was die Chancen einer „lateinischen“ Kandidatur gefährden würde. Der in den letzten Jahren von vielen Medien als Kronfavorit für einen CVP-Bundesratsposten gehandelte St. Galler Nationalrat Eugen David verzichtete angesichts der beiden aussichtsreichen weiblichen Kandidatinnen aus der Ostschweiz (siehe unten) darauf, sich um eine Nomination zu bewerben [7]. Die Auswahl von weiblichen Kandidatinnen der CVP war nicht ganz ohne Probleme. National bekannte Politikerinnen, wie etwa die Nationalrätinnen Judith Stamm (LU) oder Rosmarie Zapfl (ZH), welche 60 und mehr Jahre zählen, wurden parteiintern als zu alt beurteilt. Von den kantonalen Regierungsrätinnen stellten sich einige, welche auch national über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügen, nicht zur Verfügung (Brigitte Mürner, LU, Elsbeth Schneider, BL). Von ihren Kantonalsektionen als offizielle Kandidatinnen angemeldet wurden schliesslich die Regierungsrätinnen Rita Roos (SG) und Ruth Metzler (AI) [8].
Zur Nachfolge von Arnold Koller präsentierte die CVP-Fraktion Ruth Metzler und Rita Roos, ohne sich für eine der beiden zu entscheiden. Sogar ein Dreierpack mit Parteipräsident Durrer sowie Deiss und Ratti schlug sie für den zweiten Bundesratssitz vor. Die Fraktionen der anderen Bundesratsparteien verzichteten darauf, Empfehlungen für die Wahl abzugeben und der Anspruch der CVP auf die Wiederbesetzung der beiden Sitze wurde weiterhin von keiner Seite in Frage gestellt [9].
Nach einer bisher in der Schweiz bei Bundesratswahlen noch nie gesehenen medialen Kampagne, während welcher die potentiellen Bewerber und Bewerberinnen nicht nur in zahlreichen Presseartikeln vorgestellt wurden, sondern sich auch in diversen Fernsehkanälen in Diskussionssendungen massen [10], fand am 11. März die Wahl durch die Vereinigte Bundesversammlung statt. Zuerst wurde die Nachfolgerin von Koller bestimmt. Im ersten Wahlgang erreichte hinter den beiden offiziellen Kandidatinnen die nicht kandidierende Solothurner Ständerätin Simmen (cvp) 33 Stimmen. Im zweiten Wahlgang lagen die beiden CVP-Kandidatinnen mit je 122 Stimmen gleichauf und im dritten wurde Ruth Metzler mit 126 Stimmen bei einem absoluten Mehr von 123 Stimmen gewählt. Um einiges länger dauerte die Wahl für den Nachfolger von Flavio Cotti. Vom ersten bis zum vierten Wahlgang erhielten nicht die von der CVP-Fraktion empfohlenen Kandidaten Ratti, Durrer und Deiss am meisten Stimmen, sondern Jean-François Roth und Peter Hess. Remigio Ratti schied nach dem dritten, Parteipräsident Durrer nach dem vierten Wahlgang aus. Mit nur einer Stimme Vorsprung (120:119 bei einem absoluten Mehr von 120) setzte sich schliesslich Joseph Deiss gegen Hess durch [11]. Zu Departementsrochaden kam es nicht. Am 1. Mai übernahm Metzler das Justiz- und Deiss das Aussenministerium [12].
Der Wahlsieg der SVP bei den Nationalratswahlen, welcher sie von der viertgrössten zur wählermässig stärksten Partei hatte anwachsen lassen, belebte die sporadisch aufkeimende Diskussion um die Fortführung der sogenannten Zauberformel für die parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung. Unmittelbar nach den Nationalratswahlen verlangten Parteipräsident Maurer (ZH) und Nationalrat Blocher (svp, ZH) einen der beiden CVP-Sitze, da diese nun zur schwächsten Bundesratspartei geworden sei. Diese Forderung wurde von der SVP übernommen; die von der Partei reklamierte Aussprache über eine neue Regierungszusammensetzung stiess aber bei den anderen Bundesratsparteien auf kein Interesse. Die FDP zeigte keine Lust, einen der beiden im Frühjahr frisch gewählten CVP-Vertreter bereits wieder abzuwählen, und auch die SP konnte kein Interesse an der Schwächung der politischen Mitte zugunsten der SVP haben. In der Folge änderte deshalb die SVP ihre Stossrichtung und verlangte einen der beiden SP-Sitze. Mit dieser Forderung konnte sie zwar bei einigen Freisinnigen auf Unterstützung hoffen, provozierte aber auch eine Gegenreaktion bei der SP, welche erklärte, dass bei einer Abwahl eines ihrer beiden Regierungsmitglieder auch das andere zurücktreten würde. Die FDP gestand zwar zu, dass eine rein bürgerliche Regierung nicht ohne Reiz wäre, gab aber zu bedenken, dass die bestehenden Volksrechte die Regierungspolitik lähmen könnten und zudem der SP ihre Oppositionsrolle zu einfach machen würden. Ende November nominierte die SVP-Fraktion ihren Bisherigen Adolf Ogi sowie, als Herausforderer für die beiden Sozialdemokraten, Christoph Blocher. Die CVP-Fraktion sprach sich einstimmig und die FDP-Fraktion bei einigen Gegenstimmen für die Bestätigung der Bisherigen und damit gegen die Wahl von Blocher aus [13].
Am 15. Dezember bestätigte die Vereinigte Bundesversammlung alle amtierenden Bundesräte. Zuerst wurde Adolf Ogi (svp) als Amtsältester mit dem sehr guten Resultat von 191 Stimmen gewählt. Damit waren die Spekulationen erledigt, welche in den Medien über eine eventuelle Wahl des freisinnigen Parteipräsidenten Steinegger (UR) anstelle des von seiner Partei kaum mehr unterstützten Ogi angestellt worden waren. Der an zweiter Stelle zu wählende Kaspar Villiger (fdp) wurde mit 187 Stimmen ebenfalls klar bestätigt. Der als Kandidat gegen die Sozialdemokraten antretende Christoph Blocher unterlag gegen Ruth Dreifuss mit 148:58 Stimmen und gegen Moritz Leuenberger mit 154:58. Blocher hatte also kaum über die Grenzen seiner Partei hinaus Stimmen sammeln können. Nachdem die Sozialdemokraten ihre Schäfchen im Trockenen hatten, waren Vergeltungsaktionen angesagt. Leidtragender war der bei der Linken wegen gewisser wirtschaftsliberaler Aussagen ohnehin wenig beliebte Freisinnige Couchepin, der bei einem absoluten Mehr von 113 Stimmen lediglich deren 124 erzielte. Problemlos verlief dann die Wiederwahl der beiden im Frühjahr gewählten CVP-Regierungsmitglieder. Die von der Linken ebenfalls nicht sonderlich geschätzte Ruth Metzler kam auf 144, Joseph Deiss auf 173 Stimmen. Zum Bundespräsidenten für das Jahr 2000 wurde mit 176 Stimmen Adolf Ogi, zu seinem Vize mit 145 Stimmen Moritz Leuenberger gewählt [14].
Unmittelbar nach der Wahl des Bundesrates erkor das Parlament eine Nachfolgerin für den altershalber zurücktretenden Bundeskanzler François Couchepin (fdp). Die FDP-Fraktion hatte dafür die Chefin der Parlamentsdienste, Annemarie Huber-Hotz, vorgeschlagen, die Fraktionen der SP und der CVP portierten Vizekanzlerin Hanna Muralt Müller (sp) resp. Vizekanzler Achille Casanova (cvp). Gewählt wurde im vierten Wahlgang Annemarie Huber-Hotz mit 152 Stimmen bei einem absoluten Mehr von 120. Auf Casanova entfielen deren 86; Hanna Muralt war nach dem dritten Wahlgang mit 50 Stimmen ausgeschieden [15].
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Regierungsreform
Die Reaktion auf die vom Bundesrat im Vorjahr in die Vernehmlassung gegebenen Vorschläge für eine Regierungsreform fiel eher negativ aus. Die Variante mit einem gestärkten Bundespräsidenten fand bei den grossen Parteien keinen Anklang, da sich dessen Rolle nicht mit dem weiterhin vorgesehenen Kollegialitätsprinzip würde vereinbaren lassen. Einzig der Vorort und der Bauernverband sowie die Grünen und die Schweizer Demokraten sprachen sich dafür aus. Eine zweistufige Regierung mit Bundesräten als Regierungskollegium und ihnen unterstellten Fachministern fand in abgewandelter Form, d.h. mit einer gleichzeitigen Stärkung des Präsidialamtes, zwar bei der FDP Anklang, nicht aber bei der SVP. Die SP und die CVP wie auch der Gewerkschaftsbund und der Gewerbeverband beurteilten dieses Modell zwar grundsätzlich positiv, lehnten jedoch eine Verkleinerung des Bundesrates auf fünf Mitglieder ab [16]. Der Bundesrat beschloss in der Folge, dieses zweistufige Modell weiter zu verfolgen und sich mit den Details einer solchen Regelung, wie z.B. der Frage, ob die Fachminister vom Parlament oder der Regierung zu wählen seien, auseinanderzusetzen [17].
Die SVP, welche beide Vorschläge der Regierung abgelehnt hatte, versuchte vergeblich, ihr Konzept einer Volkswahl des Bundesrats in das Reformkonzept einzubringen. Keine Zustimmung fand auch eine von Nationalrat Schlüer (svp, ZH) eingereichte parlamentarische Initiative für die Einführung eines Referendums, welches es 50 000 Stimmberechtigten erlauben würde, eine Volksabstimmung über die Abwahl eines amtierenden Regierungsmitglieds anzuordnen. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats lehnte diesen Vorstoss mit 17:3 Stimmen ab und verurteilte ihn in ungewohnt scharfen Worten als Teil der „rechtspopulistischen Versuche, das politische System der Schweiz zu destabilisieren“. In der schriftlichen Begründung vermutete sie hinter dem Vorstoss, der in die gleiche Kategorie einzuordnen sei wie die von den selben Kreisen lancierte sogenannte „Maulkorbinitiative“, Bestrebungen zur Schaffung eines plebiszitären Staatskonzepts, in dem „starke Männer“ mit Berufung auf das Volk und unter Umgehung des Parlaments regieren würden. Das Ratsplenum schloss sich dieser Ablehnung diskussionslos an [18].
Die Funktionsfähigkeit der Landesregierung war weiterhin ein Thema parlamentarischer Vorstösse. Mit knappem Mehr gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Loeb (fdp, BE) Folge, welche anregt, dass der Bundesrat in departementübergreifenden Krisensituationen von nationaler Bedeutung einem seiner Mitglieder die Federführung überträgt und, falls er dies unterlässt, vom Parlament dazu aufgefordert werden kann. Die Opposition gegen diesen Entscheid richtete sich primär gegen das damit neu geschaffene Antragsrecht für das Parlament [19]. Der Ständerat überwies eine vom Nationalrat gutgeheissene Motion Müller (fdp, ZH), welche namentlich ein Gesamtkonzept für die Information der Bevölkerung in ausserordentlichen Lagen gefordert hatte, in Postulatsform [20].
Der Nationalrat beschloss auf Antrag seiner Geschäftsprüfungskommission, dass in Zukunft der Bundesrat einen der beiden Vizekanzler zum Regierungssprecher bestimmen soll. Der Bundesrat hatte die gesetzliche Fundierung dieser von ihm bereits ausgeübten Praxis begrüsst [21]. Die grosse Kammer überwies ebenfalls die vom Ständerat im Vorjahr gutgeheissene Motion Respini (cvp, TI) für ein Kommunikationskonzept des Bundes [22].
 
Verwaltung
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Personal
Das neue Bundespersonalgesetz (BPG) wurde 1999 von beiden Räten behandelt; die Differenzbereinigung konnte aber noch nicht abgeschlossen werden. Im Nationalrat beantragten Borel (sp, NE) und Spielmann (pda, GE) Nichteintreten, da die vorgeschlagenen Regelungen ein Ausdruck der grundsätzlich zu bekämpfenden Liberalisierungswelle seien, die letztendlich in einen Abbau der staatlichen Leistungen münden werde. Mit besonderem Nachdruck wandte sich Borel gegen die Einführung eines Leistungslohnsystems. Der Rückweisungsantrag fand nur bei einer Minderheit der SP-Fraktion Unterstützung und wurde mit 119:18 Stimmen abgelehnt. Zuwenig weit ging hingegen das neue Gesetz für Bortoluzzi (svp, ZH). Er verlangte die Rückweisung an die Kommission mit dem Auftrag, einen Entwurf vorzulegen, der dem Bund mehr Freiheit in seiner Personalpolitik gibt. Die Post und die SBB wollte Bortoluzzi ganz aus dem Gesetz herausnehmen und ihnen damit keine über das Obligationenrecht hinausgehende personalpolitischen Verpflichtungen auflasten. Sein Antrag wurde nur von der SVP-Fraktion unterstützt und unterlag mit 111:24 Stimmen.
In der Detailberatung verlangte der Freisinnige Pelli (TI), dass auch bei Betrieben, welche zur Post oder der SBB gehören, das Personal vollumfänglich dem Bundespersonalgesetz unterstellt wird. Der Bundesrat widersetzte sich vergeblich diesem namentlich von der SP unterstützten Antrag, der es seiner Meinung nach den beiden Betrieben praktisch verunmöglichen würde, mit anderen Unternehmen gemeinsame Firmen zu betreiben. Mit 83:80 Stimmen wurde die Forderung angenommen. Zu einer grösseren Debatte führte die Bestimmung, dass für arbeitsrechtliche Fragen, welche nicht durch das Personalgesetz geregelt sind, die Bestimmungen des Obligationenrechts gelten. Die SP bekämpfte diese Version erfolglos. Ihrer Meinung nach würden, angesichts der Konzeption des BPG als Rahmengesetz, viele Bereiche unter diese Klausel fallen, und damit könnten den Besonderheiten der staatlichen Anstellungsbedingungen gegenüber denjenigen der Privatwirtschaft zuwenig Rechnung getragen werden. Eine weitere Niederlage erlitt die Ratslinke bei den Kündigungsbestimmungen. Ihr Streichungsantrag für die Regelung, dass der Bund bei Umstrukturierungen Kündigungen aussprechen kann, wenn dem betroffenen Personal keine zumutbare andere Arbeit angeboten werden kann, unterlag mit 89:68 Stimmen. Bei der Frage der Einführung einer Leistungslohnkomponente unterlag der Streichungsantrag der Linken ebenfalls. Nicht durchsetzen konnte sich aber auch die vor allem von der SVP getragene Forderung, dass die Funktionskomponente maximal 60% betragen dürfe, um ausreichenden Spielraum für die leistungsmässige Differenzierung der Löhne zu erhalten. Konform zur neuen Bundesverfassung, welche eine gesetzliche Begründung für Einschränkungen des Streikrechts verlangt, stimmte der Rat einer Formulierung zu, welche den Bundesrat ermächtigt, in drei Fällen das Streikrecht für bestimmte Personalkategorien aufzuheben oder einzuschränken: bei Gefährdung der Staatssicherheit, bei Beeinträchtigung der Landesversorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sowie zur Wahrung von aussenpolitischen Interessen. Ein von der SVP gefordertes generelles Streikverbot mit Ausnahmeregelungen konnte sich nicht durchsetzen. In der Gesamtabstimmung wurde das neue Gesetz mit 58:21 Stimmen bei 40 Enthaltungen angenommen. Die Gegenstimmen stammten zu zwei Dritteln aus der SVP-Fraktion und zu einem Drittel aus der SP (namentlich von ihren welschen Vertretern) und der PdA. Der Rest der SP wie auch die Grünen enthielten sich der Stimme [23].
Der Ständerat folgte in der Wintersession weitgehend den Beschlüssen der grossen Kammer. In Abweichung vom Nationalrat beschloss er aber, dass der Bundesrat ganze Personalkategorien nicht dem Bundespersonalgesetz, sondern dem Obligationenrecht unterstellen kann. Namentlich erwähnt sind dabei Aushilfspersonal, Praktikanten und im Ausland (z.B. in Botschaften) angestelltes ausländisches Personal. Bisher war dies nur ausnahmsweise in begründeten Einzelfällen möglich. Dabei kam der Rat der Kritik der Linken insofern entgegen, als er dazu anfügte, dass der Bundesrat Mindestvorschriften (z.B. über die im OR nicht geregelten Löhne) für diese Kategorien erlassen kann. In der Gesamtabstimmung votierten 27 Abgeordnete für und 4 gegen das neue Gesetz [24].
Die GPK des Nationalrats veröffentlichte einen ausführlichen Bericht zum Themenkomplex „Nebenbeschäftigung von Beamten und dabei entstehende mögliche Interessenkonflikte“. Konkret waren dabei insbesondere Nebenerwerbstätigkeiten angesprochen, bei welchen ein Beamter sich durch seine im Amt erworbenen Kenntnisse Vorteile verschaffen kann (z.B. ein Steuerinspektor als privater Steuerberater). Sie stellte darin fest, dass die bisherige Praxis abgesehen von Einzelfällen zu keinen Problemen geführt habe. Sie empfahl dem Bundesrat aber trotzdem, die bestehende Regelung in einigen Punkten zu verändern und insbesondere zu präzisieren. So möchte sie beispielsweise das bestehende Verbot, das aber die Bewilligung von Ausnahmen zulässt, durch eine Bestimmung ersetzen, die generell eine Bewilligungspflicht vorsieht [25].
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Pensionskasse
Anfangs März legte der Bundesrat seine Botschaft für ein neues Bundesgesetz über die Pensionskasse des Bundespersonals vor. Darin werden einerseits die Grundsätze für die berufliche Vorsorge des Bundespersonals festgelegt und andererseits die organisatorische Neuausrichtung der Kasse definiert. Bei letzterer geht es primär um die Verselbständigung der bisher als Bundesamt organisierten Kasse in eine eigene Rechtspersönlichkeit. Als leitendes Organ dieser Pensionskasse schlägt der Bundesrat eine Kassenkommission vor. Die Vorsorgeeinrichtung soll in Zukunft auf zuverlässigere finanzielle Grundlagen gestellt werden, indem der Bund als Arbeitgeber seine Beiträge laufend und vollständig entrichten muss und für die verschiedenen Arbeitgeber (Bund, SBB, Post etc.) getrennte Rechnungen geführt werden. Die aus dem bisherigen Teildeckungssystem entstandene und vom Bund in den nächsten Jahren abzubauende Unterdeckung beträgt mit rund zwölf Mia Fr. etwa einen Drittel des Deckungskapitals [26].
Als Erstrat befasste sich in der Wintersession der Nationalrat mit der Vorlage. Eine vom Berner Weyeneth (svp) angeführte Kommissionsminderheit verlangte Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, vom Prinzip des Leistungsprimats (Rentenhöhe gemäss letztem Einkommen) zu dem in der Privatwirtschaft üblichen Beitragsprimat zu wechseln. Nachdem Bundesrat Villiger vor den negativen Folgen gewarnt hatte, welche eine derartige Verschlechterung der Situation der Bundesangestellten auf das Arbeitsklima haben würde, lehnte der Rat den Antrag mit 118:28 Stimmen ab. In der Detailberatung wurde gegen den Widerstand der Linken die Garantie eines automatischen Teuerungsausgleichs auf den Renten gestrichen. In der Gesamtabstimmung verabschiedete der Rat die Vorlage mit 115:1 Stimmen. Bei der SP und der SVP gab es einige Enthaltungen, die Gegenstimme stammte von der SP-Präsidentin Koch (ZH) [27].
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Organisation
Das neue Gesetz über die Meteorologie und Klimatologie fand nun auch im Nationalrat Zustimmung. Nachdem Bundesrätin Dreifuss nochmals versichert hatte, dass die neuen Bestimmungen Gewähr für eine saubere Trennung der Rechnungsführung zwischen hoheitlichen und kommerziellen Aufgaben böten und damit auch keine wettbewerbsverzerrenden Quersubventionen mehr möglich seien, übernahm der Rat weitgehend die Version des Bundesrates. Der Ständerat, der im Vorjahr mit seinem Eintretensentscheid den Nationalrat verpflichtet hatte, sich mit der vom Bundesrat vorgelegten Fassung auseinanderzusetzen, stimmte dem Gesetz zu, ohne eine einzige Differenz zu schaffen [28].
Die im Vorjahr eingeleitete Fusion des BAWI mit dem BWA zum neuen Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) wurde auf den 1. Juli und damit früher als ursprünglich vorgesehen vollzogen. Die Proteste der Gewerkschaften, welche ein eigenständiges Bundesamt für Arbeit gefordert hatten, blieben erfolglos [29].
Nationalrat Comby (fdp, VS) verlangte einmal mehr – diesmal mit einer als Postulat überwiesenen Motion – eine bessere Berücksichtigung der französisch- und italienischsprachigen Regionen bei der Vergabe von Bundesaufträgen. Nötigenfalls seien dazu auch gesetzliche Vorschriften zu erlassen. Der Bundesrat zeigte sich angesichts der auch vom Bund einzuhaltenden internationalen und nationalen Wettbewerbsbestimmungen skeptisch gegenüber gesetzlichen Massnahmen. Er erklärte sich aber zu bestimmten Vorkehrungen bei den als Einkäufer tätigen Diensten bereit. So soll dort vermehrt Personal aus dem nichtdeutschen Sprachraum eingestellt werden und bei den Ausschreibungen über das vorgeschriebene Publizitätsminimum hinausgegangen werden, um möglichst alle potentiellen Anbieter zu erreichen [30]. In der Herbstsession gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Hämmerle (sp, GR) Folge, welche verlangt, dass Post, Swisscom und SBB auf gesetzlichem Wege verpflichtet werden, neue Arbeits- und Ausbildungsplätze auch in Berg- und Randregionen anzubieten und notwendige Abbaumassnahmen nicht einseitig in diesen Regionen durchzuführen. Eine Koalition aus der Linken, der CVP und einigen Freisinnigen (vor allem französisch- und italienischsprachigen) verhalfen diesem Begehren zum Durchbruch. Die Gegner hatten dagegen argumentiert, dass damit die Wettbewerbsposition der anvisierten Betriebe massiv beeinträchtigt würde [31].
 
Parlament
Das Büro des Nationalrats beantragte mit einer parlamentarischen Initiative die Anpassung der seit 1990 unveränderten Fraktionsbeiträge an die seither eingetretene Teuerung. Konkret soll der Grundbeitrag von 58 000 auf 60 000 Fr. und der Beitrag je Mitglied von 10 500 auf 11 000 Fr. erhöht werden. Insgesamt würden damit dem Bund pro Jahr rund 140 000 Fr. Mehrausgaben entstehen. Das Büro erachtete zudem eine Anpassung der Entschädigungen der Parlamentsmitglieder an die Teuerung für angebracht, möchte aber den Antrag erst einreichen, wenn im Jahr 2001 die Haushaltsanierung erfolgreich abgeschlossen ist. Der Nationalrat stimmte dem Antrag diskussionslos und bei nur fünf Gegenstimmen, der Ständerat einstimmig zu. In der Schlussabstimmung wurde die Erhöhung im Nationalrat mit 152 gegen 10 Stimmen aus dem Lager der SVP und der FP und in der kleinen Kammer ohne Gegenstimme gutgeheissen [32].
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Anpassung an die neue Verfassung
Die am 18. April gutgeheissene neue Bundesverfassung brachte einige Neuerungen für den Parlamentsbetrieb, welche nun auf gesetzlicher Ebene nachvollzogen werden mussten. So galt es beispielsweise zu konkretisieren, wer Wahlorgan für die Angestellten der neu auch administrativ dem Parlament unterstellten Dienste der Bundesversammlung ist, oder es musste auf Gesetzesebene der neuen Verfassungsbestimmung Rechnung getragen werden, dass Volksinitiativen nicht nur ganz, sondern auch teilweise für ungültig erklärt werden können. Die SPK-NR unterbreitete dem Plenum eine entsprechende Revision des Geschäftsverkehrsgesetzes sowie einen Bundesbeschluss über die Parlamentsdienste in der Form einer parlamentarischen Initiative. Der Bundesrat war in seiner Stellungnahme damit weitgehend einverstanden. Er verlangte jedoch, dass die Bedingungen, unter welchen die nun dem Parlament unterstellten Parlamentsdienste Dienststellen der Bundesverwaltung für die Erfüllung ihres Auftrags beiziehen können, bereits auf Gesetzes- und nicht erst auf Verordnungsstufe geregelt werden. Konkret forderte er, dass für die Erbringung der Dienstleistung und die Herausgabe von dazugehörenden Akten die Einwilligung des entsprechenden Departementes resp. des Bundesrates erforderlich ist [33].
Diesem Vorschlag der Regierung wurde im Parlament von allen Parteien heftig opponiert. Der Nationalrat beschloss, dass im Konfliktfall nicht der Bundesrat oder der Departementsvorsteher entscheidet, sondern die aus den Präsidenten und Vizepräsidenten beider Räte sowie zwei weiteren Parlamentariern gebildete Verwaltungsdelegation. Bei der Frage der administrativen Organisation der Finanzkommissionen und der Finanzdelegation, deren gemeinsames Sekretariat bisher dem Bundesrat unterstellt war, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei parlamentarischen Kommissionen. Die Staatspolitische Kommission hatte beantragt, dass das Sekretariat dieser Gremien vollständig von der Eidg. Finanzkontrolle zu trennen und in die Parlamentsdienste einzuordnen ist. Im Namen der Finanzkommission opponierte Weyeneth (svp, BE) diesem Vorschlag, weil er zu wenig durchdacht sei und sich auf die Kontrollarbeit kontraproduktiv auswirken werde, da wegen des Fehlens eines eigenständigen Rechnungshofs eine enge Zusammenarbeit zwischen der Finanzkontrolle und den parlamentarischen Gremien erforderlich sei. Mit diesen Argumenten konnte sich Weyeneth deutlich (109:27) durchsetzen.
Der Ständerat schloss sich beim Streit mit dem Bundesrat über die Entscheidkompetenzen beim Beizug von Verwaltungsstellen und der Herausgabe von Dokumenten grundsätzlich der grossen Kammer an. Bei der Wahl des Generalsekretärs der Bundesversammlung schuf er eine kleine Differenz, indem er die Koordinationskonferenz zur Wahlbehörde machte. In der Frage des Sekretariats der Finanzkommission war unbestritten, dass dieses entsprechend den Vorschriften der neuen Verfassung aus dem Bereich des Bundesrats herausgelöst werden muss. Der Rat beschloss, dass sein Sekretär von der Verwaltungsdelegation der Bundesversammlung zu wählen sei. In der Differenzbereinigung stimmte der Nationalrat bei den Wahlkompetenzen für den Sekretär der Finanzkommission und der Finanzdelegation einem Kompromiss zu: Wahlgremium ist die Verwaltungsdelegation, ihr Entscheid muss aber durch die Finanzdelegation bestätigt werden. Im weiteren hielt der Nationalrat zweimal an seinem Entscheid fest, dass der Generalsekretär der Parlamentsdienste vom Plenum zu wählen ist, musste dann allerdings den Beschluss der Einigungskommission akzeptieren, dass, wie vom Ständerat als Kompromiss beschlossen, die Koordinationskonferenz Wahlbehörde ist, deren Entscheid aber von der Vereinigten Bundesversammlung zu bestätigen ist [34].
Mit der neuen Bundesverfassung wurde auch für beide Räte die neue Funktion eines zweiten Vizepräsidenten eingeführt. In ihren Reglementen hielten die Kammern nun fest, dass der erste Vizepräsident das Präsidium vor allem bei repräsentativen Pflichten (gegenüber dem Plenum, der Regierung etc.) entlasten und im Bedarfsfall ersetzen soll, während der zweite Vize diese Hilfsfunktion bei den organisatorischen Aufgaben hat [35].
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Instrumente
Diejenigen Teile einer Motion Stamm (fdp, AG), welche eine wirksamere und raschere Umsetzung von überwiesenen Motionen und Postulaten verlangten, wurden vom Nationalrat in Postulatsform akzeptiert. Abgelehnt wurde hingegen die Forderung, dass derartige Vorstösse analog zu den parlamentarischen Initiativen von einer Parlamentskommission vorgeprüft werden [36]. Zur parlamentarischen Initiative für eine Verbesserung der Vollzugstauglichkeit der Bundespolitik siehe unten, Teil I, 1d (Beziehung zwischen Bund und Kantonen).
Die Anfang 1998 auf Verlangen der SP-Fraktion einberufene Sondersession des Parlaments zum Thema Unternehmenszusammenschlüsse veranlasste Nationalrat Schlüer (svp, ZH) zur Forderung, dass die Voraussetzungen für die Einberufung von Sondersessionen verschärft werden. Das jetzige Quorum von 50 Nationalräten erlaube es einer einzelnen Fraktion, allein aus wahlkampftaktischen Gründen Sondersessionen einzuberufen. Sein Vorschlag, dieses Quorum auf 100 zu erhöhen, wurde jedoch auf Antrag der Staatspolitischen Kommission diskussionslos mit 73:28 Stimmen abgelehnt [37]. Auf Antrag der Tessiner Ratsmitglieder beschloss das Parlament, die Frühjahrssession des Jahres 2001 im Kanton Tessin durchzuführen [38].
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Immunität
1995 war der Ständerat mit seinen Bestrebungen für eine engere Fassung der gesetzlichen Bestimmungen über den Schutz von Parlamentariern und von diesen gewählten Magistratspersonen vor der Strafverfolgung am Veto des Nationalrats gescheitert. Nun unternahm seine Kommission für Rechtsfragen einen neuen Anlauf. Mit einer parlamentarischen Initiative beantragte sie eine restriktivere Bestimmung, indem festgehalten werden soll, dass diese relative Immunität (d.h. das Erfordernis einer Zustimmung des Parlaments zu einer Strafverfolgung) nur dann gewährt wird, wenn die inkriminierte Handlung in „unmittelbarem“ Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit steht. Da allerdings dieser Zusammenhang nicht objektiv definiert werden kann, wird weiterhin das Parlament darüber zu entscheiden haben, ob ein solcher gegeben sei [39]. Gemäss den Ausführungen des Kommissionspräsidenten Zimmerli (svp, BE) anlässlich der Eintretensdebatte wäre ein solcher unmittelbarer Zusammenhang gegeben, wenn die inkriminierte Person sich bei ihren Äusserungen auf Informationen stützt, die sie im Zusammenhang mit ihrer parlamentarischen Tätigkeit erworben hat. Der Ständerat stimmte dieser neuen Regelung zu. Gegen den Kommissionsantrag hatten sich zwei Opponenten mit gegensätzlicher Stossrichtung gestellt: Carlo Schmid (cvp, AI) beantragte Nichteintreten, da eine möglichst weitgefasste relative Immunität für die Meinungsfreiheit der Parlamentarier, die eine andere Rolle als die übrigen Bürger zu erfüllen hätten und deren Äusserungen auch viel kritischer wahrgenommen würden, von grosser Wichtigkeit sei. Im Gegensatz zu ihm plädierte der Freisinnige Marty (TI) für die Abschaffung der relativen Immunität, da dieses Privileg für die Ausübung des Amtes für die meisten Parlamentarier ohnehin nicht relevant sei, da gegen sie nie Strafanzeigen eingereicht würden. Der Nichteintretensantrag Schmid wurde vom Rat mit 28:15 Stimmen abgelehnt. Der Antrag der von Marty vertretenen Minderheit, die Immunität nur noch für Handlungen, die sich direkt auf die amtliche Tätigkeit von Parlamentariern beziehen (also z.B. Reden im Parlament und dessen Ausschüssen) zu gewähren, wurde relativ knapp abgelehnt [40].
Einem einstimmigen Antrag seiner Rechtskommission folgend, beschloss der Nationalrat diskussionslos, auf diesen Entscheid des Ständerats nicht einzutreten. Kommissionssprecher de Dardel (sp, GE) begründete diese Ablehnung einerseits damit, dass diese neuen Bestimmungen noch mehr Interpretationsprobleme schaffen würden als die bisherigen. Andererseits war aus seiner Begründung auch deutlich die Verärgerung über die Haltung der kleinen Kammer im Fall der Immunitätsgewährung für Nationalrat Keller (sd, BL) herauszuhören (siehe dazu gleich anschliessend) [41].
Auf Antrag seiner Kommission lehnte der Ständerat den Entscheid des Nationalrats aus dem Vorjahr ab, die Immunität von Nationalrat Keller (sd, BL) im Fall einer Strafverfolgung wegen Verstosses gegen das Anti-Rassismusgesetz aufzuheben. Die Kommission verurteilte zwar die Äusserungen Kellers, begründete ihren ablehnenden Antrag jedoch damit, dass bei dem hier vorliegenden Fall der relativen Immunität (Keller hatte sein Communiqué als Nationalrat und Parteipräsident gezeichnet) ein gewisser Ermessensspielraum bestehe. Insbesondere könne die Immunität gewährt bleiben, wenn ungenügende Anhaltspunkte für eine Verurteilung vorliegen. Dies war nach Ansicht der Kommission der Fall: Keller habe unmittelbar nach seiner Tat klargestellt, dass sich der Boykottaufruf nicht gegen Juden im allgemeinen richte, sondern gezielt als Gegenmassnahme gegen diejenigen amerikanischen jüdischen Firmen, welche zu einem Boykott der Schweiz aufrufen, gedacht sei. Für den Berner Zimmerli (svp) war diese Argumentation nicht stichhaltig. Da es sich nicht um einen unbedeutenden Fall von Ehrverletzung handle, sondern um die Auslegung eines neuen und unter Menschenrechtsaspekten sehr wichtigen Gesetzes, könne nicht das Parlament in einem summarischen Vorverfahren über die Strafwürdigkeit urteilen. Sein Antrag, die Immunität von Nationalrat Keller aufzuheben, unterlag mit 27:15 Stimmen. Der Nationalrat bestätigte hingegen mit dem praktisch gleichen Stimmenverhältnis wie im Dezember 1998 (96:55) seinen Aufhebungsentscheid. In der Differenzbereinigung hielt die kleine Kammer mit 25:11 Stimmen an ihrem ursprünglichen Entscheid fest, womit das Geschäft aus den Traktanden gestrichen und die Immunität von Keller nicht aufgehoben wurde [42].
 
Gerichte
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Justizreform
Das Parlament beseitigte im Berichtsjahr die letzten Differenzen beim Reformpaket Justizreform. Als erster war der Nationalrat an der Reihe. Bei der Hauptdifferenz, der Einführung einer limitierten Verfassungsgerichtsbarkeit, beantragte die von der SP, der CVP und der FDP-Mehrheit unterstützte Kommissionsmehrheit eine Kompromissformel, welche die im Anwendungsfall zugelassene gerichtliche Überprüfung auf die Konformität mit Grundrechten (anstelle der vom Ständerat beschlossenen Verfassungsmässigkeit) und mit dem direkt anwendbaren Völkerrecht beschränkt hätte. Eine von der SVP und einer Minderheit der FDP gebildete Kommissionsminderheit sprach sich gegen jegliche Verfassungsgerichtsbarkeit aus, während die EVP/LdU-Fraktion die etwas weitere Fassung des Ständerates (Verfassungskonformität) befürwortete. Durchsetzen konnte sich mit 95:56 Stimmen die Version der Kommissionsmehrheit. Bei der Einführung einer Zugangsbeschränkung setzte sich im Sinne eines Kompromisses mehr oder weniger der im Vorjahr von Gross (sp, TG) eingebrachte und damals noch unterlegene Vorschlag durch. Für bestimmte Sachgebiete darf auf gesetzlichem Weg der Zugang zum Bundesgericht ausgeschlossen werden, und bei Auseinandersetzungen, die keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung betreffen, kann eine Streitwertgrenze eingeführt werden. Offensichtlich unbegründete Beschwerden dürfen hingegen nicht ausgeschlossen, sondern müssen mit einem vereinfachten Verfahren beurteilt werden.
Der Ständerat schloss sich dem Kompromiss bei der Verfassungsgerichtsbarkeit an. In der letzten Runde der Differenzbereinigung vollzog dann jedoch der Nationalrat eine Kehrtwende. Die Angst überwog, dass die Reform in der Volksabstimmung wegen dieser umstrittenen Normenkontrolle scheitern könnte und damit auch die unbestrittenen Anliegen – namentlich die Vereinheitlichung des Prozessrechts und die Entlastungsmassnahmen für die Bundesgerichte – nicht verwirklicht würden. Der Vorschlag, entweder dem Volk eine Variantenabstimmung zu präsentieren oder eine Trennung in zwei Teilbeschlüsse durchzuführen, scheiterte am Veto des Ständerats. Auf Antrag seiner Kommissionsmehrheit beschloss der Nationalrat deshalb die Streichung der Verfassungsgerichtsbarkeit in jeglicher Form. In der Einigungskonferenz setzte sich dieses Vorgehen durch, womit der Schlussabstimmung nichts mehr im Wege stand. Diese fiel mit 165:8 resp. 37:0 Stimmen deutlich aus. Die LdU/EVP-Fraktion hatte sich aus Protest gegen den Verzicht auf die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit der Stimme enthalten, und ihr Sprecher, der Berner Zwygart (evp), deponierte eine parlamentarische Initiative für eine Normenkontrolle [43].
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Dringliche Entlastungsmassnahmen
Nach Ansicht der Geschäftsprüfungskommissionen beider Parlamentskammern müssen das Bundsgericht in Lausanne und das Bundesversicherungsgericht in Luzern mit dringlichen Massnahmen entlastet werden. Da die vom Bundesrat geplante Totalrevision des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, welche die Umsetzung des Verfassungsreformpakets Justizreform darstellt, kaum vor dem Jahr 2002 in Kraft treten kann, schlugen sie mit einer parlamentarischen Initiative eine Reihe von politisch unbestrittenen Neuerungen vor, über welche sofort beschlossen werden könnte. Die einzelnen Vorschläge hatten die Kommissionen in enger Zusammenarbeit mit den beiden Gerichten aufgestellt. Der Bundesrat erklärte sich mit diesem Vorgehen und den vorgeschlagenen Sofortmassnahmen grundsätzlich einverstanden. Er betonte, dass die Vorschläge mit dem in seinem Auftrag von Experten ausgearbeiteten Vorentwurf im Einklang stehen würden. Bei einigen Massnahmen würde er aber eine Realisierung im Rahmen der Totalrevision vorziehen, bei einer andern (Erledigung von Prozessen auf dem Zirkularweg), lehnte er den Vorschlag der GPK ab. Diese hatte beantragt, dass Prozesse nicht nur bei Einstimmigkeit der Richter, sondern auch bei Mehrheitsentscheiden auf diese Weise durchgeführt werden können [44].
Der Ständerat befasste sich in der Dezembersession mit diesen Sofortmassnahmen. Die Genferin Brunner (sp) hatte vergeblich beantragt, darauf nicht einzutreten. Diese parlamentarische Initiative sei überflüssig, weil der Bundesrat die rasche Vorlage einer Gesetzesrevision nach der Volksabstimmung über die Verfassungsreform vom März 2000 versprochen habe. In der Detailberatung war lediglich die Sonderregelung beim Vorgehen bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Versicherungsgericht umstritten. In den Augen der Kommissionsmehrheit ist die dort geltende umfassende materielle Prüfungspflicht nicht mehr erforderlich, da in den Kantonen die Sozialversicherungsgerichte als Vorinstanzen gut ausgebaut sind. Gegen den Widerstand der Linken, welche dieses positive Urteil über die Qualität der kantonalen Instanzen in Frage stellte, folgte der Rat auch bei diesem Punkt seiner Kommission [45].
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Urteile
Mit einer Motion schlug Nationalrätin von Felten (gp, BS) vor, dass bei nicht einstimmig gefällten Bundesgerichtsurteilen auch die Minderheitsmeinung (sogenannte dissenting opinion) publiziert werden soll. Diese im angelsächsischen Raum übliche Praxis habe sich bei der Fortentwicklung des Rechts als äusserst nützlich erwiesen. Der Bundesrat lehnte dies ab und verwies darauf, dass bei den öffentlichen Urteilen auch die Gegenposition zu Wort komme und es zudem schweizerische Praxis sei, Urteile umfassend, also auch unter Berücksichtigung von alternativen Auffassungen zu begründen. Der Rat folgte dieser Sichtweise mit knappem Mehr [46].
 
Volksrechte
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Nutzung der Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu sechs mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmungen. Zweimal brachte das Volk den Parlamentsentscheid zu Fall (Mutterschaftsversicherung, Invalidenversicherung), viermal bestätigte es den Beschluss (Raumplanung, Asylgesetz, dringliche Massnahmen im Asylbereich, Drogenabgabe).
Es wurden im Berichtsjahr zwölf Volksinitiativen eingereicht. Abgestimmt wurde über eine Volksinitiative (Hauseigentümer). Diese wurde abgelehnt. Eine weitere wurde zurückgezogen (Mehrwertsteuer und Sport). Damit erhöhte sich auf Ende 1999 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen auf 31 (1998: 21). Neu lanciert wurden 1999 4 Volksinitiativen [47].
Volk und Stände hiessen drei von Regierung und Parlament vorgeschlagene Verfassungsänderung gut (Totalrevision, Kantonsklausel für Bundesratswahl, Transplantationsmedizin). Insgesamt kam es somit zu 10 Volksabstimmungen (1 Initiative, 3 obligatorische und 6 fakultative Referenden). Bei acht dieser Entscheide folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament.
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Reformpaket Volksrechte
Im Berichtsjahr kam die im Rahmen der Verfassungstotalrevision vorgesehene Reform der Volksrechte (Paket B) nach langen Kommissionsberatungen in die Parlamentskammern. Im Nationalrat empfahl die Kommission Nichteintreten, da sich in ihren Reihen keine tragbare Lösung für den von der Regierung beabsichtigten Ausbau der Volksrechte bei gleichzeitiger Erhöhung der erforderlichen Unterschriftenzahlen habe finden lassen. In den Voten der Fraktionssprecher wurde zum Ausdruck gebracht, dass zwar wohl ein Reformbedarf besteht, dieser allerdings je nach Partei mit unterschiedlicher Zielrichtung versehen ist. Mit 134:15 Stimmen beschloss der Nationalrat Nichteintreten. Angesichts dieses klaren Entscheids resignierte die Staatspolitische Kommission des Ständerates und beantragte ebenfalls Nichteintreten. Um zu unterstreichen, dass sie trotzdem einen Reformbedarf sieht, legte sie eine parlamentarische Initiative für „die Beseitigung von Mängeln der Volksrechte“ vor. Der vom Plenum überwiesene Vorstoss ist zwar offen formuliert, in der Begründung werden aber das unklare Vorgehen bei nicht völkerrechtskonformen Volksinitiativen und die geltende Beschränkung des Initiativrechts auf die Verfassungsebene als zu behebende Mängel des aktuellen Systems erwähnt [48].
Im März legte der Bundesrat seine Botschaft zu der 1997 eingereichten Volksinitiative der SP für die Einführung des konstruktiven Referendums (Referendum mit Gegenvorschlag) vor. Er empfahl das Begehren zur Ablehnung. Dabei verzichtete er auch darauf, einen Gegenvorschlag zu formulieren, da er Alternativmöglichkeiten (wie etwa die Möglichkeit, dem Volk Varianten zur Abstimmung vorzulegen) bereits in seinem Entwurf zur Reform der Volksrechte im Rahmen der Verfassungsrevision vorgeschlagen habe. Gegen das konstruktive Referendum brachte er vor allem das Argument vor, dass es zu praktischen abstimmungstechnischen Problemen führen könne, wenn zu einem Beschluss mehrere konstruktive Referenden eingereicht würden. Im Ständerat fand die Volksinitiative nur bei den Abgeordneten der SP Unterstützung. Nicht besser erging es auch einem Kompromissvorschlag Plattner (sp, BS), der das Geschäft an den Bundesrat zurückweisen wollte mit der Auflage, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, der das konstruktive Referendum einführt, aber dessen Schwachstellen (zugelassener Inhalt eines Gegenantrags und Ungültigkeitserklärungen bei Unvereinbarkeit mit geltendem Recht; Vorgehen, wenn mehr als ein derartiges Referendum eingereicht wird) mit präzisen Regelungen zu beheben [49].
Als erste Kammer behandelte der Nationalrat die Volksinitiative „für eine Beschleunigung der direkten Demokratie“. Im Namen der Staatspolitischen Kommission, welche einstimmig deren Ablehnung empfahl, legte Andreas Gross (sp, ZH) noch einmal die wichtigsten Gegenargumente dar, die er bereits vor einem Jahr gegen eine radikale Verkürzung der Fristen vorgebracht hatte: die Funktion der Volksinitiative im schweizerischen politischen System und die bereits vorgenommenen Fristenverkürzungen. Die Fraktionen aller vier Bundesratsparteien, der Grünen und der Liberalen sprachen sich ebenfalls gegen die Initiative aus. Die LdU/EVP-Fraktion hingegen unterstützte einen Antrag Schaller (ldu, ZH), der den Initianten mit einem Gegenvorschlag entgegenkommen wollte; dieser wurde jedoch mit 138:10 Stimmen abgelehnt. Ein Antrag Schaller/Maspoli (lega, TI), die Initiative zur Annahme zu empfehlen, wurde gegen die Stimmen der FP, des LdU und etwa eines Drittels der SVP-Fraktion (darunter die Zürcher Blocher, Frey und Maurer) abgelehnt. Im Ständerat setzte sich niemand für die Annahme des Volksbegehrens ein. In der Schlussabstimmung verabschiedete der Nationalrat die Ablehnungsempfehlung mit 161:29, der Ständerat mit 42:0 Stimmen [50].
Im Juni lancierte ein aus den Parteipräsidenten von SVP, SD und FP und weiteren prominenten Politikern dieser Parteien (u.a. Blocher) gebildetes Komitee eine Volksinitiative „für Volksabstimmungen über Volksinitiativen innert sechs Monaten unter Ausschluss von Bundesrat und Parlament“. Diese verlangt, dass die Bundeskanzlei unmittelbar nach der Einreichung einer ausformulierten Volksinitiative einen Abstimmungstermin innerhalb der nächsten sechs Monate festlegt. Dabei braucht es nicht nur keine formelle Stellungnahme oder Abstimmungsempfehlung des Bundesrates und der Bundesversammlung mehr, sondern das Parlament darf auch keine Gegenvorschläge ausarbeiten. Ersatzlos gestrichen würde gemäss dem Initiativtext auch die Bestimmung, dass die Bundesversammlung eine Volksinitiative wegen Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie oder wegen Widerspruchs zu zwingendem Völker- und Menschenrecht für ungültig erklären muss. In ganzseitigen Inseraten in einer Vielzahl von Zeitungen stellten die Initianten ihren Vorstoss unter dem Titel „Wenn in der Schweiz das Volk spricht, haben die Politiker zu schweigen“ vor. Die Detailhandelskette Denner AG unterstützte das Begehren finanziell und beteiligte sich an der Unterschriftensammlung. Diese von einigen massgeblichen Politikern der Zürcher SVP mitgetragene Initiative war aber auch in SVP-Kreisen nicht unumstritten. So distanzierte sich der Aargauer Ständerat Reimann anlässlich der Debatte über die Beschleunigungsinitiative ausdrücklich davon. Der Bundesrat selbst sah sich veranlasst, in einer Stellungnahme die Stimmberechtigten vor der Unterzeichnung dieser Initiative, welche die schweizerische Demokratie und deren demokratisch legitimierten Institutionen in Frage stelle, zu warnen [51].
Die von einzelnen Personen und Firmen betriebene massive Werbung für Initiativen – gerade die oben dargestellte Initiative bildete ein gutes Beispiel dafür – und bei Volksabstimmungen löste bei Politikern Unbehagen aus. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats empfahl gegen den Widerstand der SVP mit 9:6 Stimmen, einer parlamentarischen Initiative Gross (sp, ZH) Folge zu geben, welche finanzielle Transparenz bei Abstimmungskämpfen fordert. Sie verlangt, dass Beiträge ab 500 Fr. bei der Bundeskanzlei deklariert werden müssen [52].
 
Weiterführende Literatur
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Allgemeines
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Regierung
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Verwaltung
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H.H.
 
[1] BBl, 1999, S. 3113 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 180 f. (Verzicht auf Listenquoten für 1999). Zur ausführlichen Darstellung des Inhalts des Gegenvorschlags siehe SPJ 1998, S. 37 f.1
[2] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 714 ff. , 1399 f. und 1819 f.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 475 ff., 479 ff. und 597; BBl, 1999, S. 5039 f.2
[3] TA, 5.1.99; NZZ, 12.1.99.3
[4] BBl, 1999, S. 2475 f.; Presse vom 8.2.99.4
[5] Presse vom 14.1.99. Zur Widerlegung des Vorwurfs der von der Partei geplanten Aktion siehe LT, 22.1.99. Vgl. auch die Titel der Pressekommentare vom 14.1.99: „Rettungsring für die CVP“ (Bund), „Im Interesse der Partei“ (AZ). Für eine Würdigung der zurücktretenden BR siehe u.a. NZZ, 14.1.99 (Koller) und SGT, 1.5.99 (Cotti).5
[6] Presse vom 15.1.-20.1.99. In der Westschweiz gab es allerdings auch Stimmen für die Wahl von Deutschschweizern. Dabei wurde argumentiert, dass eine Fortsetzung der Übervertretung der lateinischen Schweiz es dem Bundesrat nicht erleichtern würde, die mehrheitlich euroskeptischen Deutschschweizer von der Notwendigkeit eines EU-Beitritts zu überzeugen (vgl. dazu NZZ, 10.2.99).6
[7] BaZ, 20.1.99 (FR); NZZ, 27.1.99 (JU und TI); BZ, 30.1.99 (OW); SGT, 3.2.99 (SZ); Presse vom 4.2.99 (ZG); Bund, 10.2.99 (David). Zur Kritik an Durrers Kandidatur siehe etwa LT und Lib., 30.1.99.7
[8] TA, 21.1. (Mürner) und 26.1.99 (Schneider); So-Blick, 24.1.99; SGT, 13.2 (Metzler) und 14.2.99 (Roos).8
[9] Presse vom 3.3.99 (CVP); NZZ, 10.3.99 (übrige Parteien).9
[10] Vgl. dazu NZZ, 6.3., 16.3. und 22.3.99 sowie Bund, 13.3.99.10
[11] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 619 ff.; Presse vom 12.3.99.11
[12] Presse vom 17.3.99. Zu den dazu in den Medien angestellten Spekulationen siehe AZ und SGT, 13.3.99.12
[13] Presse vom 25.-27.10.99; NZZ, 29.10.99 (FDP); BaZ, 19.11.99 (Forderung nach SP-Sitz); Presse vom 27.11. (SVP-Fraktion), 8.12. (CVP ) und 15.12.99 (FDP). Zu den Parlamentswahlen siehe unten, Teil I, 1e (Eidg. Wahlen).13
[14] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2685 ff.; Presse vom 16.12.99. Zur Regierungspolitik für das Jahr 2000 siehe die Ansprache von Bundespräsidentin Dreifuss in Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2482 ff.14
[15] Presse vom 21.10.99 (Rücktritt); Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2689 f.; Presse vom 16.12.99.15
[16] TA, 28.4.99. Vgl. SPJ 1998, S. 41 f.16
[17] Presse vom 20.8.99.17
[18] NZZ und TA, 16.9.99; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2588 f. Vgl. SPJ 1998, S. 41. Zur „Maulkorbinitiative“ siehe unten, Volksrechte.18
[19] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 180 ff.19
[20] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1320 f.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1201.20
[21] BBl, 1999, S. 2538 f.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 169 ff.; NZZ, 9.3.99. Die Gesetzesänderung basiert auf einer pa.Iv. der GPK aus dem Jahr 1997 (vgl. SPJ 1997, S. 40 f.).21
[22] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 178 ff. Vgl. SPJ 1998, S. 42.22
[23] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2035 ff., 2052 ff., 2080 ff. und 2089 ff.; Presse vom 7.10.99.Vgl. SPJ 1998, S. 42 f.23
[24] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1074 ff. Zu den im Rahmen von Restrukturierungen v.a. bei der SBB, der Post und der Swisscom sowie im VBS vorgenommenen vorzeitigen Pensionierung siehe einen Bericht der GPK-NR (BBl, 2000, S. 1197 ff.).24
[25] BBl, 1999, S. 9734 ff.25
[26] BBl, 1999, S. 5223 ff.; NZZ, 2.3.99. Vgl. auch NZZ, 3.5.99 und SPJ 1998, S. 44.26
[27] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2554 ff. und 2627 ff.; Bund, 22.12.99.27
[28] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 290 ff. und 1398 f.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 566 ff. und 569; BBl, 1999, S. 5106 ff. Vgl. SPJ 1998, S. 44 f.28
[29] TA, 8.3. (Ankündigung) und 6.5.99 (Gewerkschaften); LT, 2.7.99. Vgl. unten, Teil I, 7a (Arbeitswelt) und SPJ 1998, S. 45.29
[30] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 488 f. Siehe dazu auch die Interpellation Cavadini (fdp, TI) in Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2233 ff.30
[31] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1830 ff. Vgl. dazu auch die Interpellationen von Cavadini (fdp, TI) und Grobet (-, GE) in Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2230 ff. und 2282 f. resp. 2232 f. sowie Delalay (cvp, VS) in Amtl. Bull. StR, 1999, S. 773 ff.31
[32] BBl, 1999, S. 4959 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1089 f. und 2297; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 873 f. und 990. Der BR hatte dagegen keine Einwände (BBl, 1999, S. 7759 f.).32
[33] BBl, 1999, S. 4809 ff. und 5979 ff. (BR). Weitere aufgrund der neuen Verfassung notwendig gewordene Gesetzesrevisionen werden, soweit es sich um rein technische oder redaktionelle Anpassungen handelt, hier nicht dargestellt (vgl. dazu die entsprechende Botschaft des BR in BBl, 1999, S. 7922 ff.).33
[34] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1090 ff., 1835 ff., 1859, 2051 f. und 2298 f.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 612 ff., 845 ff., 890, 946 und 991; BBl, 1999, S. 8668 ff.34
[35] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1820 f., 2005 f. und 2297 f.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 868 f., 873 und 990; BBl, 1999, S. 9613 ff. (NR) und 9620 ff. (StR).35
[36] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2190 f. Die SPK der beiden Räte befassen sich im Rahmen der Vorarbeiten zu einer Totalrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes ohnehin mit den Anliegen des Motionärs.36
[37] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 190 f. Zur damaligen Sondersession siehe SPJ 1998, S. 120.37
[38] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 484 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1272 f.; TA, 9.6.99; CdT, 10.6.99; AZ, 11.6.99. Zur letzten auswärtigen Session, die 1993 in Genf stattfand, siehe SPJ 1993, S. 39 f.38
[39] BBl, 2000, S. 646 ff. (Bericht); BBl, 1999, S. 9880 ff. (Zustimmung des BR); SGT, 11.5.99. Vgl. SPJ 1995, S. 37.39
[40] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 808 ff.; Presse vom 29.9.99.40
[41] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2589.41
[42] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 5 ff. und 560 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 639 ff.; Presse vom 2.3.99. Vgl. SPJ 1998, S. 47 f.42
[43] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1011 ff., 2048 ff., 2130 und 2305 f.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 606 ff., 979 f. und 993; BBl, 1999, S. 8633 ff.; Verhandl. B.vers., 1999, VI, Teil I, S. 57 (pa.Iv.). Zur Kehrtwende des NR siehe auch TA, 7.10.99. Vgl. SPJ 1998, S. 48 f.43
[44] BBl, 1999, S. 9518 ff. und 9606 ff. (BR). Zum Expertenprojekt siehe SPJ 1998, S. 49 f.44
[45] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1062 ff.45
[46] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 101 ff.46
[47] Neben der Denner AG, wo dies seit Jahren üblich ist, stellte nun auch der Gewerkschaftsbund für seine Volksinitiativen bezahlte Unterschriftensammler ein (Lib., 14.7.99).47
[48] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1021 ff.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 609 f. und 611 f. (pa.Iv.). Vgl. SPJ 1998, S. 51 f.48
[49] BBl, 1999, S. 2937 ff.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 468 ff. Vgl. SPJ 1997, S. 50.49
[50] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 646 ff. und 2320; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 897 ff. und 997; BBl, 1999, S. 8631 f. Siehe SPJ 1998, S. 52. Zu den Behandlungsfristen siehe auch NZZ, 12.7.99.50
[51] BBl, 1999, S. 4964 ff.; Blick, 11.5.99 und AZ, 21.6.99 (Inserat); TA, 12.5. und 24.6.99 (BR); NLZ, 25.6.99; Blick, 13.7.99 und Presse vom 10.8.99 (Denner-Inserate). SVP-Kritik: Amtl. Bull.StR, 1999, S. 898 (Reimann); TA, 29.6.99. Wegen des Inseratetitels bezeichnete zuerst die NZZ, später dann auch andere Kritiker das Volksbegehren als „Maulkorb-Inititative“ (NZZ, 25.6.99).51
[52] Verhandl. B.vers., 1999, VI, Teil I, S. 45; TA, 13.11.99.52
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