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Wirtschaft
Geld, Währung und Kredit
Das Parlament stimmte einer Erhöhung des Kreditplafonds für Stützungsmassnahmen des IWF zu. – Der neue Währungsartikel scheiterte im Nationalrat an einer unheiligen Allianz zwischen SP und SVP. Erstere war mit den darin formulierten Zielvorgaben für die Nationalbank nicht einverstanden, letztere lehnte die darin enthaltene Grundlage für die Errichtung einer Solidaritätsstiftung ab. – Gegen den Widerstand der Linken verabschiedete das Parlament eine gesetzliche Neudefinition der Kantonalbanken. – Der „Volcker-Ausschuss“ präsentierte seinen Schlussbericht über nachrichtenlose Konten bei Schweizer Banken.
Geld- und Währungspolitik
Die Nationalbank vollzog den letzten Schritt auf dem Weg zur Abkehr vom klassischen Konzept der Geldmengenpolitik mit Angabe einer Zielgrösse für das Geldmengenwachstum. Infolge diverser Veränderungen auf den Finanzmärkten und bei den Zahlungsgebräuchen waren Geldmengenaggregate in den letzten Jahren als Indikator und als Steuerungsinstrumente zusehends unzuverlässig geworden. Die SNB gab bekannt, dass sie in Zukunft ihre Entscheide auf eine Inflationsprognose stützen werde. Als Grundlage dafür soll eine jeweils zu Jahresende erstellte Dreijahresprognose dienen. Weiterhin oberstes Ziel der Geldpolitik bleibt dabei die Preisstabilität, wobei die Nationalbank als obere Stabilitätsgrenze eine Inflationsrate von 2% angab. Bei der Umsetzung werde sie sich am Geldmarktzins  [1] orientieren und nicht mehr an Geldmengenaggregaten. Für das Jahr 2000 plante sie eine leicht restriktivere Politik, um eine allfällige, durch den guten Konjunkturverlauf begünstigte Inflation zu verhindern [2].
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Die auf Jahresbeginn vorgenommene Einführung des Euro als rechtlich eigenständige Währung und die Übergabe der Führung der Geldpolitik von den Notenbanken der elf beteiligten EU-Staaten an die Europäische Zentralbank ging ohne Turbulenzen vor sich. Der reale exportgewichtete Kurs des Schweizerfrankens blieb im Jahresverlauf weitgehend stabil, nahm aber insgesamt leicht ab. Höher bewertet im Vergleich zum Franken wurden vor allem der US$, das englische Pfund und der japanische Yen, im Vergleich zum Euro veränderte sich der Frankenkurs praktisch nicht [3].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament eine Änderung des Beschlusses über die Mitwirkung der Schweiz an internationalen Währungsmassnahmen. Der aufgrund dieses Beschlusses für Stützungsmassnahmen zugunsten anderer Währungen garantierte Kreditplafonds von 1 Mia Fr. soll damit auf 2 Mia Fr. erhöht werden. Die Regierung begründete ihren Antrag mit dem grossen Interesse des Exportlandes Schweiz an stabilen und geordneten Währungsverhältnissen. Effektive Verluste seien der Schweiz aus diesen verzinsbaren Darlehen bisher nicht erwachsen. Als Konsequenz der Globalisierung der Handelsbeziehungen und des Einbezugs neuer Staaten in die Weltwirtschaft sei aber in den letzten Jahren das Risiko von Finanz- und Währungskrisen gewachsen. Ende 1998 hatte die Schweiz Kreditverpflichtungen von knapp 930 Mio Fr. ausstehend, womit der seit 1984 unverändert belassene Plafonds praktisch ausgeschöpft war. Das Parlament verabschiedete den Beschluss in der Sommersession. Im Ständerat erfolgte dies einstimmig. Im Nationalrat wurde zuerst ein von der SVP-Fraktion unterstützter Nichteintretensantrag Schlüer (svp, ZH) mit 109:15 Stimmen abgelehnt. Schlüer hatte angeführt, dass mit einer ständigen Heraufsetzung des Kreditplafonds keine Anreize für die Krisenländer bestehen würden, ihre Finanz- und Währungsprobleme selbst zu lösen. In der Schlussabstimmung votierten neben Abgeordneten der SVP und der FP auch einige Linke gegen den Beschluss [4].
Mit einer Mehrheit von 65:55 Stimmen gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Gysin (sp, BS) Folge, welche in Form einer allgemeinen Anregung verlangt, dass in Zukunft Kapitalaufstockungen des IWF vom Parlament zu genehmigen sind. Im Gegensatz zu Kapitalerhöhungen bei der Weltbank und bei regionalen Entwicklungsbanken werden die IWF-Darlehen nicht mit Budgetmitteln, sondern durch die Nationalbank finanziert und deshalb dem Parlament lediglich zur Kenntnis unterbreitet. Gemäss dem Initianten und einer Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates muss die Politik des IWF, welche mit ihren Entscheiden zunehmend in die Politik von Staaten und Regionen eingreife, vermehrt von demokratischen Gremien kontrolliert werden [5]. Der Nationalrat überwies auch ein Postulat seiner APK, welches dem Bundesrat empfiehlt, sich in den Gremien des IWF dafür einzusetzen, dass bei Währungs- und Finanzkrisen auch die privaten Gläubiger an Sanierungsmassnahmen beteiligt werden [6].
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Bei den Zinssätzen kam es zu einer Trendumkehr. Nachdem sie sich bis ins Frühjahr noch weiter reduziert hatten, nahmen sie vom Sommer an wieder zu. Ausgeprägt war diese Entwicklung bei den Sätzen für längerfristige Anlagen. Die Durchschnittsrendite für eidgenössische Anleihen erhöhte sich vom Mai bis November von 2,6% auf 3,6%. Der sozialpolitisch wichtige Hypothekarzinssatz sank zuerst noch auf 3,75% und erreichte damit den tiefsten Wert seit 41 Jahren. Ab Herbst zeigte die Kurve dann wieder nach oben. Einige Banken erhöhten die variablen Hypothekarzinssätze im Oktober auf 4,25%. Weitgehend parallel dazu entwickelten sich die Geldmarktsätze. Die Geldmarktbuchforderungen des Bundes erreichten im April mit 0,8% einen Tiefststand; im Herbst stiegen sie auf 2,0% an [7].
Die Nettobeanspruchung des schweizerischen Kapitalmarktes war im Berichtsjahr rückläufig. Ausgeprägt war der Rückgang vor allem bei der Mittelbeschaffung inländischer Schuldner [8].
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Mit der Annahme der neuen Bundesverfassung in der Volksabstimmung vom 18. April hiessen Volk und Stände auch den neuen Geld- und Währungsartikel (Art. 99 BV) gut. Die auf den Beginn des Jahres 2000 in Kraft gesetzte Bestimmung löst den Franken von seiner bisherigen verfassungsrechtlichen Bindung an das Gold und verankert die Unabhängigkeit der Nationalbank. Der Auftrag an die Notenbank verpflichtet diese wie bis anhin, dem Gesamtinteresse des Landes zu dienen. Aus der alten Verfassung übernommen wurde auch die Vorschrift, dass die Kantone zu zwei Dritteln am Reingewinn der Nationalbank partizipieren. Eine davon abweichende Regelung für die Verteilung der aus dem Verkauf nicht mehr benötigter Währungsreserven stammenden Gelder ist nicht vorgesehen [9]. Um diese Lücke zu füllen und zudem den Notenbankauftrag zu präzisieren, hatte der Bundesrat im Vorjahr eine Revision dieses Artikels beantragt, welche vom Nationalrat gutgeheissen worden war [10].
Im Berichtsjahr stimmte der Ständerat dem neuen Währungsartikel in der Bundesverfassung ebenfalls zu. Mit 33:3 Stimmen lehnte er einen Antrag Onken (sp, TG) ab, auf die Erwähnung des prioritären Ziels der Preisstabilität zu verzichten. Die Regelung der Verwendung von nicht mehr benötigten Währungsreserven formulierte er statt im Artikel selbst in einer Übergangsbestimmung. Diese besagt, dass die Verwendung auf dem Gesetzesweg geregelt werden muss, und dass bei der Verteilung der jetzt aufgelaufenen nicht mehr benötigten Reserven – nicht aber in zukünftigen Fällen – vom Verteilungsschlüssel von 2:1 zwischen Kantonen und Bund abgewichen werden kann. Der Nationalrat übernahm diese Präzisierung, wobei ein von der SVP und der SP unterstützter Antrag, auch in Zukunft von diesem Verteilschlüssel abweichen zu können, nur ganz knapp unterlag. Die Haltung der SVP und der SP war motiviert von ihren Bestrebungen, auch in späteren Zeiten Mittel der Nationalbank für die Finanzierung der Sozialwerke zu erschliessen; darüber hinaus wollten sie aber auch die Differenzbereinigung mit dem Ständerat torpedieren, um die ganze Vorlage zu verhindern. In der Schlussabstimmung gelang ihnen dies dann: der neue Verfassungsartikel scheiterte am Veto des Nationalrats. Eine Allianz von SP, GP, FP und SVP brachte ihn mit 86:83 Stimmen bei 9 Enthaltungen zu Fall. Die SP begründete ihre Ablehnung mit der ihrer Ansicht nach falschen prioritären Ausrichtung der Geldpolitik auf die Preisstabilität. Für die SVP war das Argument ausschlaggebend, dass mit der Delegation der Regelung der Verwendung der nicht mehr benötigten Goldreserven auf Gesetzesstufe verhindert werde, dass über die Einrichtung einer Solidaritätsstiftung eine obligatorische Volksabstimmung mit Volks- und Ständemehr durchgeführt werden muss. Im Ständerat, wo FDP und CVP über eine komfortable Mehrheit verfügen, war die Schlussabstimmung zuvor bei sechs Gegenstimmen positiv ausgefallen [11].
Im Mai legte der Bundesrat dem Parlament den Entwurf für ein neues Gesetz über die Währung und die Zahlungsmittel vor. Entsprechend der Systematik in der neuen Bundesverfassung werden darin die bisher in eigenen Gesetzen (Nationalbankgesetz und Münzgesetz) geregelten Bereiche in ein einziges zusammengefasst. Dabei werden diejenigen Bestimmungen des Nationalbankgesetzes eliminiert, welche sich auf die mit der neuen Verfassung aufgehobene Goldbindung des Frankens beziehen. Materiell neu ist zudem, dass neben den vom Bund geprägten Münzen und den von der Nationalbank ausgegebenen Banknoten auch Sichtguthaben bei der Nationalbank zu gesetzlichen Zahlungsmitteln werden. Bei letzteren ist die Annahmepflicht allerdings auf Inhaber eines entsprechenden Kontos beschränkt. Das Gesetz regelt im weiteren die Funktionen von Gedenk- und Anlagemünzen sowie die Kompetenzen zu deren Ausgabe. Das neue Gesetz bildet zwar die rechtliche Grundlage für die Veräusserung der nicht mehr benötigten Goldreserven der Nationalbank (rund 1300 Tonnen Gold), es enthält aber keine Bestimmungen bezüglich der Verwendung dieser Mittel [12].
Das Gesetz war in beiden Räten im Grundsatz nicht umstritten. Der Ständerat nahm noch eine Formulierung auf, welche zu einem späteren Zeitpunkt eine Privatisierung der seit 1998 unter dem Namen „Swissmint“ auftretenden Münzprägungsstätte erlauben wird. Eine kleinere Auseinandersetzung gab es bei der Frage, ob die Herstellung und Einfuhr von münzähnlichen Gegenständen bewilligungspflichtig bleiben soll, um Verwechslungen mit offiziellen Münzen zu verhindern. Während der Bundesrat und der Ständerat für eine Aufhebung der Bewilligungspflicht plädierten, wollte der Nationalrat diese Kontrolle beim EFD belassen. Für die Beibehaltung dieser Vorschrift setzten sich vor allem französischsprachige Abgeordnete ein, welche darin eine Sicherheit für die Hersteller von Gedenkmünzen (der grösste schweizerische Hersteller hat seinen Sitz im Kanton Neuenburg) sehen, nicht wegen möglicher Verwechslungsgefahr ihrer Produkte mit Zahlungsmitteln strafrechtlich verfolgt zu werden. Durchgesetzt hat sich schliesslich der Ständerat. Das neue Gesetz wurde vom Parlament in der Dezembersession verabschiedet [13].
Ende August lancierte die SVP die im Vorjahr von Nationalrat Blocher (svp, ZH) angekündigte und von den SVP-Delegierten im April beschlossene Volksinitiative zur Verteilung der von der Nationalbank nicht mehr benötigten Währungsreserven oder derer Erträge. Sie verlangt, dass diese in vollem Umfang in den Ausgleichsfonds der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) zu übertragen sind. Für die am 5. März 1997 vom Bundesrat angekündigte Solidaritätsstiftung würde dabei nichts mehr übrigbleiben [14]. Auch die SP konkretisierte ihre Vorstellungen, was mit diesen Geldern anzufangen sei. Sie ging bei ihren Überlegungen davon aus, dass aus dem Verkauf der nicht mehr benötigten Goldreserven wesentlich mehr als bisher angenommen, nämlich rund 24 Mia Fr. zur Verfügung stehen werden. Davon möchte sie 7 Mia Fr. der Solidaritätsstiftung zuweisen und die restlichen 17 Mia Fr. für die AHV zur Finanzierung des flexiblen Rentenalters verwenden. Die FDP und die CVP stellten sich weiterhin hinter die Idee einer Solidaritätsstiftung, legten sich jedoch bei der Verwendung der restlichen Mittel noch nicht fest [15]. Um ein Absacken des Goldkurses zu vermeiden, verpflichteten sich fünfzehn europäische Notenbanken auf gestaffelte und limitierte Verkäufe von Goldbeständen für die nächsten fünf Jahre, wobei die Verkaufspläne der SNB darin voll berücksichtigt sind und demnach dadurch nicht beeinträchtigt werden [16].
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Banken
Der Nationalrat stimmte als Zweitrat den neuen Regeln für die grenzüberschreitende Aufsicht über Banken, Börsen und Effektenhändler ebenfalls zu. Er verschärfte die Bedingungen, unter denen eine Vor-Ort-Kontrolle von ausländischen Banken in der Schweiz durch ausländische Organe zugelassen ist, um die Bestimmung, dass diese nur Staaten gewährleistet wird, welche Gegenrecht halten. Bundesrat Villiger bekämpfte diese Restriktion vergeblich mit dem Argument, dass diese Gegenrechtsforderung nicht im Interesse der Schweiz liege, welcher es in diesem Zusammenhang primär um eine gute Kontrolle der Vertrauenswürdigkeit der in der Schweiz tätigen ausländischen Banken gehe. Der Nationalrat beschloss zudem, dass diese Vor-Ort-Kontrollen obligatorisch durch die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) begleitet werden müssen. In der Differenzbereinigung strich die kleine Kammer die Gegenrechtsforderung wieder; bezüglich der Begleitung durch die EBK sprach sie sich gegen ein Obligatorium und für einen fakultativen Beizug aus, wenn dies von der betroffenen Bank mit guten Gründen gewünscht wird. Der Nationalrat übernahm in der Folge diese Beschlüsse. In der Schlussabstimmung verabschiedete der Ständerat die Revision einstimmig, der Nationalrat gegen den Widerstand der SP, welcher sich allerdings nicht gegen diese Bestimmungen an sich richtete, sondern gegen die im selben Paket enthaltenen Beschlüsse zu den Kantonalbanken (siehe dazu unten) [17].
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Der Nationalrat befasste sich als Zweitrat mit der Revision des Bundesgesetzes über Banken und Sparkassen und der dabei vorgesehenen Neudefinition der Kantonalbanken. Eintreten war unbestritten. In der Detailberatung beantragten die Sozialdemokraten dann allerdings eine Beibehaltung des Obligatoriums der Staatsgarantie für Kantonalbanken, und sie wollten zudem auch die minimale Kapitalbeteiligung des Kantons von 33% auf 50% erhöhen. Beide, auch von den Grünen unterstützten Forderungen wurden abgelehnt. Nicht besser erging es dem Antrag der SP, die vorgeschriebenen Eigenmittel für international tätige Grossbanken gesetzlich über die international empfohlenen Mindeststandards hinaus festzulegen [18]. Der Nationalrat beschloss, dass auch Kantonalbanken mit voller Staatsgarantie in Zukunft keine Sonderstellung mehr zukommen soll. Damit würden sie nicht nur wie vom Ständerat beschlossen der Aufsicht, sondern ebenfalls der Bewilligungspflicht durch die EBK unterstellt. Konsequenterweise siedelte der Rat auch den Entscheid über eine Liquidation bei der EBK an. Der ursprünglich vorgesehene Rabatt auf den Eigenmitteln für Kantonalbanken mit voller Staatsgarantie wurde aus dem Gesetz gestrichen, soll aber vom Bundesrat auf dem Verordnungsweg gewährt werden können. In der Differenzbereinigung übernahm der Ständerat diese Entscheide und in der Schlussabstimmung verabschiedete er die Revision einstimmig; im Nationalrat erfolgte die Gutheissung gegen den Widerstand der SP [19].
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Rund sechs Monate nach dem grundsätzlichen Vergleich der beiden Schweizer Grossbanken Crédit Suisse und UBS mit den jüdischen Klägern regelten die beiden Seiten auch die Details des Übereinkommens. Die 1,25 Mia US$ sollen an folgende, nicht auf Juden beschränkte Personenkategorien verteilt werden: Anspruchsberechtigte für nachrichtenlose Konten – Personen, deren Vermögenswerte von den Nazis beschlagnahmt worden und zu schweizerischen Institutionen gelangt sind – Zwangsarbeiter in Firmen mit Geschäftbeziehungen zu Schweizer Banken – Zwangsarbeiter in Firmen mit Schweizer Hauptsitz – an der Schweizer Grenze zurückgewiesene und später in Konzentrationslager deportierte Personen. Im Sommer wurde weltweit in Zeitungsinseraten die eventuell Berechtigten aufgerufen, ihre Ansprüche anzumelden. Gleichzeitig wurden auch Personen, die mit dem Vergleich nicht einverstanden sind, und die privatrechtlich gegen Schweizer Institutionen klagen wollen, aufgefordert, sich beim New Yorker Richter Korman zu melden. Knapp 300 Personen machten von dieser „opting out-Klausel“ Gebrauch, während rund 450 000 Forderungen anmeldeten. Kormann erteilte Ende November den Auftrag, einen Verteilplan zu entwerfen [20].
Der mit der Suche nach nachrichtenlosen Konten bei Schweizer Banken beauftragte „Volcker-Ausschuss“ konnte die von internationalen Treuhandfirmen durchgeführte kostspielige Durchforstung der Archive und Kontenlisten abschliessen [21]. Aufgrund von Indiskretionen entstand vor der auf November angekündigten Publikation des Schlussberichts eine Kontroverse in den Medien. Während eine internationale Agentur verbreitete, dass 48 000 nachrichtenlose Konten von Holocaustopfern gefunden worden seien, präzisierten Schweizer Medien, dass in dieser Zahl auch 34 000 geschlossene, also nicht nachrichtenlose Konten enthalten sind. Von den verbleibenden 14 000 habe sich bei 2800 eine Übereinstimmung mit Namen auf der Liste der Holocaustopfer ergeben [22]. Am 6. Dezember präsentierte die Volcker-Kommission in Zürich ihren Schlussbericht. Die Zahlen sahen darin nochmals etwas anders aus. In einem Eliminationsverfahren war die Kommission – d.h. die von ihr beauftragten rund 650 Spezialisten – auf 53 886 Konten mit ungeklärtem Schicksal gestossen, bei welchen ein Zusammenhang mit Holocaust-Opfern nicht ausgeschlossen werden kann [23]. Rund 3200 davon stimmen mit Namen der Holocaustopferliste der Yad Vashem Gedenkstätte in Jerusalem überein und waren bis mindestens 1955 nachrichtenlos. Bei weiteren 7000 stehen zwar die Namen nicht in der Liste, andere Charakteristika (Wohnort in einem Staat der Achsenmächte oder besetzten Gebiet und zehn Jahre Nachrichtenlosigkeit nach Kriegsende) lassen jedoch die Vermutung zu, dass es sich um Holocaustopfer gehandelt haben könnte. Die restlichen 43 000 Konti sind solche, die zwischen 1933 und 1945 von Bewohnern der Staaten der Achsenmächte oder von ihnen besetzten Gebieten eröffnet und seither wieder geschlossen worden sind. Rund 31 000 davon lauteten auf Namen, die auch in der Liste der Holocaustopfer erscheinen; davon war bei rund der Hälfte die Übereinstimmung exakt, bei der anderen Hälfte ungefähr. Die übrigen 12 000 Konti wurden zwischen 1933 und 1945 von Ausländern eröffnet, bei denen sich nicht nachweisen lässt, dass sie aus einem der Staaten der Achsenmächte oder einem besetzten Gebiet stammen und deren Namen nicht mit solchen der Holocaustopferliste übereinstimmen. Über den Wert der Konten der verschiedenen Kategorien machte der Bericht keine konkreten Angaben. Aus den Schätzungen war aber ersichtlich, dass er – auch bei einer Anpassung an heutige Geldwerte und Verzinsung – die von Kritikern der Banken genannten Milliardensummen bei weitem nicht erreicht.
Von den gut 53 000 Konti waren zum Zeitpunkt der Untersuchung nur 2726 noch offen und damit nachrichtenlos; bei den geschlossenen Konti liessen sich grösstenteils (36 000) die Gründe für die Aufhebung nicht mehr rekonstruieren. Im weiteren befinden sich rund 12 000 darunter, bei welchen die Gebühren die Erträge überstiegen haben, und die deshalb in gebührenfreie Sammelkonti überwiesen wurden. Weiterer Abklärung bedürfen diejenigen geschlossenen Konti, welche auf Anweisung der Inhaber an die Behörden anderer Staaten ausbezahlt worden sind, und die 980 Konten, die zugunsten der Bank aufgelöst wurden, ohne dass ersichtlich ist, ob die Bank das Geld in die eigene Tasche gesteckt oder später sich meldenden Berechtigten oder karitativen Organisationen übergeben hat.
Die Volcker-Kommission empfahl der Eidgenössischen Bankenkommission, die Namen von gut 25 000 Kontoinhabern zu publizieren, da sich darunter Holocaustopfer befinden könnten. Es handelt sich dabei um die Konten der beiden ersten oben erwähnten Kategorien und die rund 15 000 inzwischen aufgelösten Konti, bei denen der Name des Inhabers genau mit einem Namen in der Opferliste übereinstimmt. Grundsätzlich stellte die Volcker-Kommission den Banken ein gutes Zeugnis aus. Es hätten sich keine Hinweise auf systematische Veruntreuung von Guthaben von Holocaustopfern, Vernichtung von Akten oder Diskriminierung ihrer Erbberechtigter finden lassen. In Einzelfällen habe es allerdings bei gewissen Banken fragwürdige und unlautere Praktiken gegeben. Insbesondere sei sie auf 49 Fälle gestossen, in denen die Banken den Erben von Opfern ungenügende oder falsche Informationen gegeben hätten [24].
Da auch in Zukunft Probleme mit nachrichtenlosen Konten entstehen können, machte die Bankiervereinigung Vorschläge für eine gesetzliche Regelung mit zusätzlichen brancheninternen Vorschriften. Auf Gesetzesebene soll eine Ablieferung an den Staat oder an eine gemeinnützige Institution nach einer nachrichtenlosen Frist von 30 bis 40 Jahren eingeführt werden. Als nachrichtenlos soll eine Anlage bereits dann gelten, wenn die Inhaber nicht mehr kontaktiert werden können. Derartige Konten sollen von den Banken weiterhin bewirtschaftet werden und alle Akten müssten über die gesetzliche Frist von zehn Jahren hinaus aufbewahrt werden [25].
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Aufgrund eines Ersuchens der nigerianischen Behörden veranlasste das Bundesamt für Polizeiwesen im Oktober die vorsorgliche Blockierung von Konten des 1998 verstorbenen Diktators Sani Abacha und seiner Entourage. Betroffen waren davon Hunderte von Millionen Franken. Die Einreichung eines formellen Rechtshilfegesuchs wurde von den nigerianischen Behörden für Anfang 2000 in Aussicht gestellt. Da aufgrund der Geldwäschereirichtlinien aus dem Jahr 1993 die fahrlässige oder wissentliche Annahme von aus Korruption stammenden Geldern untersagt ist, leitete die Genfer Staatsanwaltschaft auch eine Ermittlung gegen Banken wegen Verdachts auf Geldwäscherei ein [26].
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Versicherungen
Die unter dem Vorsitz des ehemaligen US-Staatssekretärs Lawrence Eagleburger stehende Kommission zur Regelung des Konflikts zwischen jüdischen Organisationen und amerikanischen Versicherungsaufsichtsbehörden einerseits und europäischen Versicherungskonzernen (darunter auch drei schweizerische) andererseits über allfällige während und nach dem zweiten Weltkrieg nicht honorierte Versicherungspolicen von Holocaust-Opfern führte ihre Arbeit weiter. Bei diesen Verhandlungen war vor allem die Bewertung dieser nicht honorierten Versicherungspolicen umstritten [27].
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Weiterführende Literatur
Freitag, Markus, Politik und Währung. Ein internationaler Vergleich, Bern (Diss. rer. pol.; Haupt) 1999.
Hunziker-Ebneter, Antoinette, „Die Schweiz braucht eine eigene Börse“, in Die Volkswirtschaft, 1999, Nr. 9, S. 10-15.
Jeitziner, Bruno, Political Economy of the Swiss National Bank, Heidelberg 1999.
Villiger, Kaspar, „Die Schweiz und der Internationale Währungsfonds“, in Documenta, 1999, Nr. 1, S. 11-15.
Vogt, Nedim e.a. (Hg.), Kommentar zum schweizerischen Kapitalmarktrecht, Basel 1999.
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Egger Tanner, Christine, Die strafrechtliche Erfassung der Geldwäscherei: ein Rechtsvergleich zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland, Zürich (Diss. jur.) 1999.
Independent Committee of Eminent Persons (chairman: Paul A. Volcker), The report on dormant accounts of victims of nazi persecution in Swiss banks, Bern 1999.
Siska, Josef, Die Geldwäscherei und ihre Bekämpfung in Österreich, Deutschland und der Schweiz, Wien 1999.
Thelesklaf, Daniel, „Geldwäscherei: Abwehrdispositiv im Bund“, in Die Volkswirtschaft, 1999, Nr. 2, S. 30-34.
Villiger, Kaspar, „Herausforderungen für den Finanzplatz Schweiz“, in Documenta, 1999, Nr. 3, S. 11-15.
Weill, Pierre, Der Milliarden-Deal. Holocaust-Gelder – wie sich die Schweizer Banken freikauften, Zürich 1999.
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[1] Als Referenzzinssatz, für den die SNB Ziele (Bandbreiten) formuliert, und den sie mit Marktoperationen zu steuern versucht, wählte sie den Dreimonats-Libor (Libor: London Interbank Offered Rate) für Frankenanlagen aus. Auf die Festlegung des Diskontsatzes, dem bisher geldpolitische Signalwirkung zugekommen war, wird die SNB ab Januar 2000 verzichten (SNB, Geschäftssbericht, 92/1999, S. 34 ff.).1
[2] SNB, Geschäftsbericht, 92/1999, S. 33 ff.; BaZ und NZZ, 11.12.99.2
[3] SNB, Geschäftsbericht, 92/1999, S. 16 f. sowie SNB, Statistisches Monatsheft.3
[4] BBl, 1999, S. 2997 ff.; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 489 ff. und 598; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 918 ff. und 1404 f.; BBl, 1999, S. 5118; BaZ, 9.2.99. Vgl. auch SPJ 1998, S. 119.4
[5] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 926 ff.5
[6] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2002.6
[7] SNB, Geschäftsbericht, 92/1999, S. 28 f. Zu den Hypothekarsätzen siehe auch BaZ, 13.4. und 21.10.99.7
[8] SNB, Geschäftsbericht, 92/1999, S.28.8
[9] Vgl. SPJ 1998, S. 120. Zur Volksabstimmung siehe oben, Teil I, 1a (Totalrevision der Bundesverfassung).9
[10] Vgl. SPJ 1998, S. 119 ff. Diese Neuerungen wären über die mit der Totalrevision angestrebte Verfassungsnachführung hinausgegangen.10
[11] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 217 ff. und 598; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1218 ff. und 1402 f.; NZZ, 18.6.99; Presse vom 19.6.99. Zur Solidaritätsstiftung siehe auch oben, Teil I, 1a (Grundfragen) und SPJ 1998, S. 17.11
[12] BBl, 1999, S. 7258 ff. Zum Notenbankartikel in der am 18. April angenommenen neuen Bundesverfassung siehe oben sowie SPJ 1998, S. 120.12
[13] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2026 ff., 2505 ff. und 2679; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1040 ff. und 1204; BBl, 2000, S. 90 ff.13
[14] BBl, 1999, S. 5569 ff.; AZ, 23.4.99; TA, 26.4.99; Bund, 21.8.99. Vgl. SPJ 1998, S. 121. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1a (Grundsatzfragen).14
[15] BZ, 23.4.99.15
[16] SNB, Geschäftsbericht, 92/1999, S. 45; AZ und BaZ, 28.9.99.16
[17] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 203 ff., 425 ff. und 771; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 214 ff., 355 und 366; BBl, 1999, S. 3126 ff. Siehe SPJ 1998, S. 122 f.17
[18] Der NR überwies aber ein Postulat seiner WAK, das vom BR Einflussnahme zugunsten einer Erhöhung dieser internationalen Sätze infolge des angestiegenen Risikos auf den Finanzmärkten verlangt, sowie ein Postualt Raggenbass (cvp, TG), welches vom BR einen Expertenbericht über die gestiegenen Risiken und notwendige Massnahmen fordert (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 223 f. resp. 504). Das für die Festlegung dieser Empfehlungen verantwortliche Gremium, der „Basler Ausschuss für Bankenüberwachung“ der BIZ, veröffentlichte erste Vorschläge für eine Reform des seit 1988 geltenden Regimes (NZZ, 4.6.99).18
[19] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 203 ff. und 771; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 214 ff., 355 und 366; BBl, 1999, S. 3126 ff. Siehe SPJ 1998, S. 123.19
[20] Abschluss: Presse vom 23.1.99; 24h, 28.1. und 11.2.99; NZZ, 3.4.99. Inserate: NZZ, 22.6. und 30.6.99. Opting out: LT, 6.11.99; NZZ, 30.11.99; 24h, 29.12.99. Vgl. SPJ 1998, S. 123 ff. Zum Ablauf und den Hintergründen der Affäre siehe Lit. Weill.20
[21] Die den Banken entstandenen Kosten wurden auf rund 800 Mio Fr. geschätzt (davon 300 Mio Fr. für die externen Revisoren): Bund, 7.12.99.21
[22] LT, 4.9.99; NZZ, 6.9., 7.9. und 10.9.99 (Abdruck der Agenturmeldung); TA, 10.9.99. Kommissionspräsident Volcker wies die Agenturmeldung als unzutreffend zurück (TA, 11.9.99).22
[23] Die früher ermittelten nachrichtenlosen Konti von Holocaustopfern (rund 3000 vor 1970 an Behörden der Schweiz, Ungarns oder Polens überwiesene und knapp 7000 in den neunziger Jahren von den Banken publizierte) sind in diesen Zahlen nicht enthalten.23
[24] Presse vom 7.12.99.24
[25] NZZ, 26.8.99.25
[26] NZZ, 14.12.99.26
[27] TA, 22.6., 3.7., 23.7. und 11.8.99; NZZ, 25.6.99. Vgl. SPJ 1998, S. 127.27
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