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Parteien, Verbände und Interessengruppen
Parteien
Drei Parteien wählten ein neues Präsidium: Bei der FDP folgte der Schaffhauser Gerold Bührer auf den Urner Franz Steinegger. Die Christlichdemokraten bestimmten den Thurgauer Philipp Stähelin zum Nachfolger des Obwaldners Adalbert Durrer. Die Grünen bestellten ein Kopräsidium: An die Stelle des zurücktretenden Ruedi Baumann traten Ruth Genner und Patrice Mugny. – Die CVP und die SVP besetzten ihre Generalsekretariate neu. – An der Richtungsdebatte der SP traten die Unterschiede zwischen dem liberalen und dem gewerkschaftlichen Flügel offen zu Tage. – Die FDP verlor ihre Regierungsratsmandate im Kanton Genf. – Die SVP konnte ihre Vertretung in den Kantonsparlamenten massiv ausbauen und ist nun auch in der Romandie fast überall vertreten.
Parteiensystem
Zu den Sitzanteilen der Parteien auf Exekutiv- und Legislativebene sowie zu den Frauenanteilen vgl. oben, Teil I, 1e (Wahlen) sowie anhang_2001.pdf. Zu den Parolen der Parteien zu den eidgenössischen Volksabstimmungen siehe die Tabelle parolen_2001.pdf. Siehe auch die verschiedenen Sachkapitel.
Gemäss einer politikwissenschaftlichen Untersuchung der Berner Andreas Ladner und Michael Brändle zum schweizerischen Parteiensystem verfügt die FDP mit etwa 1300 Ortsparteien über das dichteste Netz, gefolgt von der CVP mit 1100 Ortssektionen und der SP mit 1050 Lokalparteien. Die SVP umfasste zum Zeitpunkt der Befragung 1010 Sektionen. Nach der Schätzung der Autoren sind rund 300 000 Wahlberechtigte Mitglied einer politischen Partei. Damit liegt die Schweiz mit einem Anteil von 6.4% im europäischen Vergleich über dem Mittel (am höchsten: Österreich 17,7% und Finnland 10%; am niedrigsten: Grossbritannien 1,9% und Frankreich 1,6%). Über die meisten Mitglieder verfügt die FDP (87 000), gefolgt von der CVP (74 000), der SVP (59 000) und der SP (38 000). Bei der SP machen die Mitgliederbeiträge den grössten Teil der Gesamteinnahmen aus (52%). Bei der FDP und der CVP dominieren hingegen die Zuwendungen Dritter (54% resp. 38%). Die SVP weist sämtliche Spendeneinnahmen als freiwillige Zuschüsse von „Parteimitgliedern“ aus (rund 50% der Gesamteinnahmen). Das Gesamtvolumen der Beiträge, die den Schweizer Parteien auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene zur Verfügung stehen, schätzten die Autoren auf über 40 Mio Fr. jährlich (in Wahljahren über 60 Mio). Sie kamen zum Schluss, dass sich das Schweizer Parteiensystem in den nächsten Jahrzehnten verändern werde, zugleich aber auch stabilisierende Merkmale aufweise. Sicher sei, dass der Druck zur Professionalisierung und Zentralisierung weiter zunehme, so dass die Schweiz letztlich nicht um eine staatliche Parteienfinanzierung herumkäme. Besonders den nationalen Generalsekretariaten fehlten die finanziellen Mittel für eine professionelle Bearbeitung politischer Themen. Erschwerend komme hinzu, dass Spenden an politische Parteien seit 2001 nicht mehr von den Steuern abgezogen werden dürfen; vor Inkrafttreten des Steuerharmonisierungsgesetzes waren solche Abzüge in rund der Hälfte aller Kantone erlaubt [1].
Da nach wie vor unklar ist, wie viel Politikerinnen und Politiker für ihren Wahlkampf ausgeben und wer die Abstimmungskampagnen finanziert, schlug der Staatsrechtler und Politikwissenschafter Tiziano Balmelli vor, die Wahlkampfbudgets nach oben zu beschränken, um die Chancengleichheit zu vergrössern und die Gefahr von Bestechung zu verringern. Konkret sollte für jeden Wahlkreis ein Höchstbetrag sowohl für die Kandidierenden als auch für die Parteien im Verhältnis zur Zahl der Stimmberechtigten festgelegt werden. Strenge Sanktionen, z.B. hohe Bussen, der Verlust des politischen Mandats oder der zeitweilige Entzug passiver politischer Rechte sollten Missbräuche verhindern. Weiter forderte Balmelli von den Parteien, ihre Abrechnungen offen zu legen – einzig die Kantone Genf und Tessin kennen gesetzliche Vorschriften, die mehr Transparenz ermöglichen sollen. Öffentliche Mittel als Ersatz für private Spenden seien keine Lösung, sondern würden als Ergänzung gebraucht, wie ein Blick ins Ausland zeige. Die Parteien lehnten diese Vorschläge ab: Ob jemand gewählt werde, hänge nicht in erster Linie vom Budget ab, betonte CVP-Sprecher Paul Felber. SVP-Generalsekretär Jean-Blaise Defago wollte lieber den Markt spielen lassen, während Guido Schommer von der FDP grosse Umsetzungsprobleme sah. SP-Generalsekretär Reto Gamma genügte es, offen zu legen, woher das Geld stamme; damit könnte die Wählerschaft selber entscheiden, ob sie diese Person wählen wolle [2].
Innerhalb von nur einem Jahr besetzten alle vier Bundesratsparteien und die Grünen die meisten Spitzenämter neu. Es fand eine Verlagerung vom Berg ins Tal, vom Land in die Stadt und teilweise von der Zentral- in die Ostschweiz statt: Nachdem im Oktober 2000 die SP Christiane Brunner zur Präsidentin gewählt hatte, folgte im April 2001 die FDP, als Franz Steinegger nach über zwölf Jahren Gerold Bührer das Amt übergab. Einen Monat später wählte die CVP Philipp Stähelin zum Nachfolger von Adalbert Durrer. Im Oktober schliesslich bestimmten die Grünen ein Kopräsidium mit Ruth Genner und Patrice Mugny, das Ruedi Baumann ablöste. In den Generalsekretariaten übernahmen überwiegend Junge die Leitung oder das Amt des Pressesprechers: Im Vorjahr hatten bei der FDP Guido Schommer Johannes Matyassy und bei der SP Reto Gamma Jean-François Steiert als Generalsekretär ersetzt. Im Berichtsjahr folgte bei der SVP Gregor Rutz auf Jean-Blaise Defago und bei der CVP Reto Nause auf Hilmar Gernet. Auch die Parteisprecher wechselten: Bei der FDP ist neu die 32-jährige Barbara Perriard, bei der SVP der 29-jährige Yves Bichsel, bei der CVP die 25-jährige Béatrice Wertli und bei der SP Jean-Philippe Jeannerat (47) zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit [3].
Auffällig war, dass die Bundesratsparteien auch während der Sommerferien Pressekonferenzen organisierten, mit neun Anlässen waren dies dreimal mehr als im Wahljahr 1999. Dieser Aktivismus ist umso bedeutsamer, als im September keine Volksabstimmung stattfand [4].
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Sozialdemokratische Partei (SP)
Im Frühling gab die SP bekannt, dass ihre Rechnung für das Jahr 2000 ein Defizit von rund 430 000 Fr. aufweise und sie auf grossangelegte Kampagnen verzichten müsse. Um die Finanzkrise zu überwinden, erwog sie eine Passivmitgliedschaft, die nicht zur Mitarbeit auf allen Stufen der Partei verpflichtet. Neue Mitglieder sollten durch die Monatszeitung links.ch gewonnen werden, die seit dem Sommer elf mal jährlich in einer Auflage von 50-60 000 Exemplaren erscheint und mit Ausnahme der links-intellektuellen „Roten Revue“ alle bestehenden SP-Mitteilungsblätter ersetzen soll. Eine Benefizgala und eine Auktion waren im Herbst geplant, wurden jedoch wegen der Swissair-Sondersession auf Februar 2002 verschoben [5].
Nach nur einem Jahr gab Ursula Dubois, Zentralsekretärin für Presse und Kommunikation, ihren Rücktritt bekannt. Sie hätte Kommunikationschefin und Chefredaktorin der neuen Mitgliederzeitschrift links.ch werden sollen; das Amt des Pressesprechers wäre an Jean-Philippe Jeannerat gefallen. Interimistisch übernahm SP-Vizepräsident Hans-Jürg Fehr die Chefredaktion von links.ch. Mit Katrin Scheidegger-Ogi erhielt die SP Schweiz erstmals eine stellvertretende Generalsekretärin [6].
An der Delegiertenversammlung von Neuenburg präsentierten die Sozialdemokraten zwölf Thesen zur Bildungsoffensive, mit der sie zur Vereinheitlichung des Bildungsraumes Schweiz aufriefen. Mit 134:74 Stimmen bei 7 Enthaltungen votierten die Anwesenden überraschend deutlich für die Bewaffnung von Armeeangehörigen bei Auslandeinsätzen. Zuvor hatten sich die Genfer, Waadtländer und Tessiner Kantonalparteien gegen diese Revision des Militärgesetzes ausgesprochen. Ein Antrag auf Stimmfreigabe wurde mit Zweidrittelsmehrheit abgelehnt [7]. Auf Druck von Partei und Öffentlichkeit musste die Zürcher Nationalrätin Barbara Haering den anonymen Spender bekannt geben, der ihrem friedenspolitischen Komitee zu Gunsten der Kampagne für die Militärgesetzrevision 100 000 Fr. hatte zukommen lassen. Es stellte sich heraus, dass die Grossbank UBS der FDP 200 000 Fr. zur freien Verfügung übergeben hatte, worauf diese dem linken Pro-Komitee die Hälfte vermachte. Anonymität und Identität der Spenderin führten SP-intern zu intensiven Debatten [8].
Anfangs Mai thematisierte die SP-Fraktion in einer Richtungsdebatte Meinungsverschiedenheiten, aber auch Fragen der Strategie und des internen Arbeitsklimas, die Parteiexponenten angesprochen hatten. Zur Diskussion stand nach der verunglückten Strategie bei der letzten Bundesratswahl auch die Regierungsbeteiligung der Partei und damit verbunden ihr politischer Kurs. Nach ausführlicher Erörterung beschloss die Fraktion, weiterhin eine profiliert linke Politik zu verfolgen und ihre beiden Sitze im Bundesrat zu verteidigen [9].
Nur eine knappe Woche später präsentierten die Berner Nationalrätin Simonetta Sommaruga, der Historiker Tobias Kästli, der Professor für Politikwissenschaft Wolf Linder und der Könizer Gemeindepräsident Henri Huber im sogenannten Gurtenmanifest zehn Thesen für eine neue SP-Politik. Sie forderten unter anderem, die Partei solle ihre Staatsgläubigkeit und Marktskepsis ablegen und die Begrenzung der Zuwanderung akzeptieren. Parteipräsidentin Christiane Brunner bezeichnete das Papier als gute Diskussionsgrundlage, distanzierte sich aber von den Ausführungen über die Sozialpolitik. Der Gewerkschafter und Waadtländer Nationalrat Pierre-Yves Maillard und drei weitere Linkssozialisten warfen den Autoren vor, die Basis zu verraten, welche nichts von der Privatisierung wissen wolle und die Umwandlung der SP in eine vierte bürgerliche Partei zu planen. Welsche Sozialdemokraten unterstrichen, die Betonung linker Positionen habe wenig mit Traditionalismus und überholter Ideologie zu tun, sondern sei eine Überlebensstrategie gegenüber der PdA und der SVP. In einem Grundsatzpapier distanzierten sich prominente SP-Mitglieder vom Gurtenmanifest und forderten eine liberale Ausländerpolitik ohne Einwanderungsbeschränkungen [10].
An der Delegiertenversammlung in Luzern sprachen sich die Anwesenden für die Post-Initiative und die Volksinitiative „Nationalbankgewinne für die AHV“ aus. Erstere bekämpft Abbaupläne der Post, letztere will im Gegensatz zur Gold-Initiative der SVP nicht Reserven, sondern Gewinne der Nationalbank der AHV zugute kommen lassen [11].
Im Oktober beschlossen die Sozialdemokraten an ihrer Delegiertenversammlung in Freiburg mit knappem Mehr Stimmfreigabe für die zweite Armeeabschaffungsinitiative der GSoA; die Geschäftsleitung hatte ein Ja empfohlen. Ausserdem lehnten sie gegen den Willen der Parteileitung das Elektrizitätsmarktgesetz mit einer Zweidrittelsmehrheit ab. Die Parteileitung hatte den Entscheid hinausschieben und die Verordnung abwarten wollen [12].
An ihrer Delegiertenversammlung in Winterthur beschloss die SP die Ja-Parole zum Uno-Beitritt der Schweiz und zur Initiative „für eine kürzere Arbeitszeit“ [13].
In den kantonalen Parlamentswahlen mussten die Sozialdemokraten den Verlust von insgesamt 26 Mandaten hinnehmen: Im Aargau, wo sie bisher die stärkste Kraft waren, verloren sie einen Drittel ihrer Sitze (-12) an die SVP und stellen nur noch die drittgrösste Fraktion. In Freiburg büssten sie sechs, in Neuenburg drei und in Genf zwei Mandate ein. Einzig im Wallis gewannen sie drei Sitze hinzu. In den Regierungsratswahlen konnte die SP ihre Vertretung halten. In Lausanne verzichtete der bisherige SP-Stadtpräsident auf eine erneute Kandidatur und ermöglichte damit, dass erstmals ein Vertreter der Grünen ins Stadtpräsidium gewählt wurde.
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Freisinnig-Demokratische Partei (FDP)
Ende Januar gab Franz Steinegger (UR) seinen Rücktritt als FDP-Präsident bekannt. Er hatte das Amt zwölf Jahre inne gehabt. Der als Favorit gehandelte Hans-Rudolf Merz (AR) verzichtete auf eine Kandidatur. Zum Nachfolger designierte die Parteileitung den Schaffhauser Gerold Bührer. Der 53-jährige Finanzchef der Georg Fischer AG wurde 1991 in den Nationalrat gewählt und zählt zum neoliberalen Wirtschaftsflügel und gesellschaftspolitisch zu den Konservativen. Bührer verlangte einen bürgerlichen Dreierbund mit FDP, SVP und CVP und forderte die CVP auf, sich klar rechts zu positionieren. Am 7. April bestätigte die Delegiertenversammlung in Genf Gerold Bührer als Nachfolger von Parteipräsident Franz Steinegger [14].
Anfangs März trat die Präsidentin der FDP-Frauen, Sibylle Burger-Bono (BE) zurück; ihre Nachfolge trat die Glarner Regierungsrätin Marianne Dürst an [15].
Im Frühjahr wechselte Nationalrat Luzi Stamm (AG), der schon vorher meist mit der SVP gestimmt hatte, von der FDP- in die SVP-Fraktion. Weil der Bündner Regierungsrat Peter Aliesch der passiven Bestechung durch einen griechischen Geschäftsmann verdächtigt wurde, trat er anfangs August aus der FDP aus. Aliesch musste seine Amtsgeschäfte abgeben, behielt jedoch sein Regierungsratsmandat. Der Genfer Staatsrat Gérard Ramseyer stolperte über eine Korruptionsaffäre im Konkurs- und Betreibungsamt und wurde im November abgewählt [16].
Mitte Januar beschlossen die FDP-Delegierten in Olten nach intensiver Diskussion mit 133:98 Stimmen die Nein-Parole zur Initiative „Ja zu Europa“. Die Genfer und die Waadtländer FDP hatten zuvor mit grosser Mehrheit die Initiative zur Annahme empfohlen. Als Kontrapunkt zu der von der SP unterstützten Gesundheitsinitiative, welche die Abschaffung der Kopfprämien fordert, plädierte die FDP in einem Positionspapier für eine Gesundheitsversorgung, die auf den drei Säulen Selbstverantwortung, obligatorische Grundversorgung für das medizinisch Notwendige und fakultative Zusatzversicherung für sogenannte Komfortleistungen beruhen soll. Versichert werden sollten nicht mehr Leistungen, sondern Risiken [17].
Anfang April verabschiedeten die FDP-Delegierten in Genf ein Konzept zum öffentlichen Dienst. Darin verlangte die FDP, die Liberalisierung und Privatisierung weiter voranzutreiben. Der bisherige Service public müsse einem Service au public weichen, der Leistungsstaat dem Gewährleistungsstaat [18].
Zum Sommerbeginn erklärte Parteipräsident Bührer, dass die FDP die Forderung der Automobilverbände nach einer zweiten Tunnelröhre durch den Gotthard unterstütze, weil sie sieben Jahre nach der Annahme der Alpenschutzinitiative die Diskussion um die Beseitigung von Kapazitätsengpässen im Alpenverkehr wieder lancieren wolle [19].
Im Juni führte die FDP in Bern und parallel per Video-Schaltung in Zürich, Basel, Sursee, Freiburg und Neuenburg einen online-Parteitag zum Thema Informations- und Kommunikationsgesellschaft durch, den Interessierte via Internet live mitverfolgen konnten. Der Anlass bildete den Höhepunkt und Abschluss des Pilotprojektes fdp.live-Politik-online, das die Bevölkerung seit Mitte Mai zum politischen Dialog eingeladen hatte [20].
Im Hinblick auf die bundesrätliche Botschaft zur Forschungs- und Technologiepolitik 2004-2008 und die Ausarbeitung eines neuen Hochschulartikels forderte die FDP in einem Positionspapier mehr Autonomie für das Hochschulsystem und eine grosszügige Finanzierung der langfristigen Forschung [21].
An der Delegiertenversammlung in Herisau zog die Mehrheit der Anwesenden den Vorschlag von Gewerbeverbandsdirektor Pierre Triponez und der FDP Frauen für einen 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub dem der Parteileitung vor, die das Modell des Bundesrats unterstützte. Die vom Nationalrat gutgeheissene Finanzspritze des Bundes von jährlich 100 Mio Fr. für familienexterne Betreuungsplätze wurde unter dem Vorbehalt gutgeheissen, dass die auf zehn Jahre befristete Anstossfinanzierung spätestens nach fünf Jahren einer Erfolgskontrolle unterzogen werde [22].
In den kantonalen Parlamentswahlen verlor die FDP in Genf und im Wallis je zwei Sitze und in Solothurn einen Sitz. In Neuenburg und Freiburg konnte sie je ein Mandat hinzugewinnen. Nach 155 Jahren ist die FDP nicht mehr in der Genfer Regierung vertreten.
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Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Im Januar bestätigten die Christlichdemokraten an ihrer Delegiertenversammlung in Bern vorerst nur Parteipräsident Adalbert Durrer sowie die Mitglieder des Vizepräsidiums Rosmarie Zapfl und François Lachat in ihren Funktionen. Während Fraktionschef Jean-Philippe Maître von Amtes wegen Einsitz im Präsidium nahm, sollten die restlichen drei Sitze erst an der nächsten Delegiertenversammlung vom Mai besetzt werden. Viele Kantonalsektionen forderten, die Leitung mit politischen Schwergewichten zu besetzen und die Partei politisch weiter rechts auszurichten, um der SVP Einhalt zu gebieten [23].
Ende Februar gründeten wertkonservative CVP-Parlamentarier um Nationalrat Hans Werner Widrig (SG) und Ständerat Philipp Stähelin (TG) eine neue parlamentarische Untergruppe „Werte und Gesellschaft“, um den Mitte-Links-Kurs der Mehrheit der Fraktion zu korrigieren und um der SVP in den CVP-Stammlanden entgegenzutreten [24].
Mitte März gab Adalbert Durrer überraschend seinen Rücktritt als Parteipräsident und ab Herbst auch als Nationalrat bekannt. Er wechselte anschliessend als PR-Direktor zur Grossbank UBS. Bald wurde die Forderung laut, dass auch die beiden Vizepräsidenten, die wegen ihrer pro-EU Politik kritisiert wurden, neuen Leuten Platz machen müssten. Vom neuen Präsidium wurde verlangt, dass es die verschiedenen Strömungen der Partei vereinen könne [25].
Die für die Nachfolge zuständige Arbeitsgruppe unter der Leitung von Nationalrat Peter Hess nominierte den Thurgauer Ständerat Philipp Stähelin als neuen Präsidenten und schlug die St. Galler Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz, den Tessiner Ständerat Filippo Lombardi und die Präsidentin der CVP Frauen und Nachfolgerin von Brigitte Hauser, Ida Glanzmann, als Mitglieder des CVP-Präsidiums vor. Der Walliser Nationalrat Jean-Michel Cina sollte im Hinblick auf die Erneuerungswahlen 2003 die Verantwortung für die Strategie- und Programmarbeit der Partei übernehmen. Mitte Mai bestätigten die CVP-Delegierten in Wil die neue Leitung und beriefen die Aargauer Nationalrätin Doris Leuthard anstelle von Rosmarie Zapfl ins Vizepräsidium. Damit wurden alle ursprünglich als Favoriten für die Nachfolge Durrers gehandelten Personen in die neue Parteileitung eingebunden [26].
Anfang April gab auch Generalsekretär Hilmar Gernet seinen Rücktritt bekannt, damit die neue Führung eine Person ihrer Wahl bestimmen konnte. Seine Nachfolge trat der protestantische 30-jährige Aargauer Reto Nause an, der durch sein provokatives Politmarketing Aufsehen erregt und Doris Leuthard auf Anhieb in den Nationalrat gebracht hatte. Für die CVP Aargau hatte er den 1991 verlorenen dritten Nationalratsitz zurückerobert und den Wähleranteil von 14% auf 16% gesteigert. Neue Pressesprecherin wurde die 25-jährige Aargauerin Béatrice Wertli; politischer Fraktionssekretär der Genfer Pierre-Antoine Gobet [27].
Überraschend beschlossen die CVP-Delegierten gegen die Empfehlungen von Bundesrat und Parlament und ihres Präsidenten Adalbert Durrer mit 189:148 Stimmen bei drei Enthaltungen die Ja-Parole für die EU-Beitrittsinitiative. Ausser Basel, Bern und Freiburg beschlossen alle übrigen CVP-Kantonalsektionen die Nein-Parole. Nach der Abstimmung gab sich Durrer überzeugt, dass die Ja-Parole der CVP Schweiz zu weiteren Stimmenverlusten an die SVP im Aargau und in Solothurn geführt habe [28].
Mitte März beschloss der CVP-Vorstand, das Referendum gegen die Fristenregelung zu ergreifen. Gleichzeitig beauftragte er die Fraktion, mittels einer parlamentarischen Initiative das CVP-Schutzmodell nochmals ins Gespräch zu bringen. Die CVP Frauen weigerten sich, das Referendum zu unterstützten, wollten sich aber auch nicht dagegen engagieren. Statt den geforderten 50 000 Unterschriften brachte die CVP lediglich 32 000 zustande. Für die Abstimmungskampagne erwog sie eine Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft für den Schutz des ungeborenen Lebens“, die unter anderem von der EVP getragen wurde, distanzierte sich jedoch nicht klar von der aggressiven Kampagne der radikalen Abtreibungsgegner „Hilfe für Mutter und Kind“, was ihr Kritik einbrachte [29].
An der Delegiertenversammlung in Wil befürwortete die überwiegende Mehrheit der CVP die Streichung des Bistumsartikels und hiess die Militärgesetzrevisionen gut [30].
In einem Positionspapier zum Service public sprach sich die CVP dafür aus, dass der Bund die Mehrheit an den Swisscom-Aktien behalten sollte. Noch im Frühling hatte sie für den Verkauf optiert unter der Bedingung, dass der Bund mehr als einen Drittel aller Aktien als „Sperrminorität“ behalte [31].
Ende Juli forderte nach der SVP und der FDP auch die CVP überraschend die Planung einer zweiten Tunnelröhre durch den Gotthard, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Während die Nidwaldner und Schwyzer Christlichdemokraten den Vorstoss begrüssten, stiess er bei den Urnern und Luzernern auf Kritik. Sie monierten, dass die Forderung nicht breiter diskutiert und dass insbesondere Uri als betroffener Kanton zu wenig in die Meinungsbildung miteinbezogen worden war [32].
Anfangs August hielt der für Strategie und Kommunikation zuständige Jean-Michel Cina seiner Partei die übereilten Positionsänderungen der letzten Zeit zum Service public, der zweiten Gotthardröhre und in der Familienpolitik vor. Er forderte, einmal gefasste Standpunkte nicht ohne Not aufzugeben und Änderungen innerparteilich breit abzustützen, damit die CVP für die Wählerinnen und Wähler berechenbar bleibe [33].
Im November schlug die CVP als letzte Bundesratspartei neue Massnahmen für die Reform der Krankenversicherung vor. Die Spitäler müssten von den Kantonen gelöst und zu unabhängigen Unternehmen werden. Die Kantone hingegen sollten die Kassen entlasten, indem sie Einzelfälle von über 100 000 Fr. und die Kosten für die Reduktion der Kinderprämien übernähmen. Der aktuelle Leistungskatalog sei durch eine vom BSV unabhängige Zulassungsbehörde zu überprüfen [34].
Kurz vor Weihnachten präsentierte die CVP ihr Agrar-Leitbild. Sie wehrte sich gegen die Aufhebung der Milchkontingentierung und den Abbau der Marktstützung, da sie die Landwirtschaft als Teil des Service public betrachte. Bei den Direktzahlungen sollten Einkommens- und Vermögensobergrenzen beibehalten werden [35].
In den kantonalen Parlamentswahlen büsste die CVP insgesamt fünf Sitze ein: Während sie im Wallis wieder ihre alte Stärke erlangte und vier Mandate hinzu gewann, musste sie im Aargau fünf und in Solothurn vier Sitze abtreten – in beiden Kantonen zugunsten der SVP. In den Regierungsratswahlen in Genf konnte die CVP einen zusätzlichen Sitz auf Kosten der FDP erringen.
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Schweizerische Volkspartei (SVP)
Im Februar gab Jean-Blaise Defago seinen Rücktritt als Generalsekretär bekannt. Zu seinem Nachfolger bestimmte der leitende Parteiausschuss den 28-jährigen Zürcher Gregor Rutz. Rutz hatte sich prononciert gegen das Antirassismus-Gesetz engagiert und war 1998 von der FDP zur SVP übergetreten. Um Widerstand gegen den Zürcher „Putsch“ zu vermeiden, war der Berner Hermann Weyeneth in die Suche nach einem Nachfolger eingebunden worden. Der 29-jährige Berner Yves Bichsel, seit Januar 2000 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Generalsekretariat tätig, übernahm das Amt des Pressesprechers [36].
Mitte März wählte die Junge SVP in Lugano Salvatore Airò (SG), dessen Vater aus Italien stammt, zum Präsidenten und Nachfolger von Mark Kuster [37].
Im November trat Walter Frey (ZH) überraschend als Fraktionspräsident zurück. Als Nachfolger zog die SVP-Fraktion den Baselbieter Caspar Baader dem Berner Hermann Weyeneth vor [38].
Im Februar gab die SVP bekannt, sie plane eine eigene Wochenzeitung in einer Auflage von 60 000 Exemplaren, die Ende Jahr zum ersten Mal erscheinen solle. Damit wolle sie auch jüngere, noch schlecht ausgerüstete Kantonalsektionen mit Informationen versorgen und ihnen ein Forum für ihre kantonalen politischen Anliegen bieten. Die kantonalen Parteiblätter sollten aufgelöst und durch das neue Organ ersetzt werden. Dass jedoch alle SVP-Mitglieder die geplante Wochenzeitung abonnieren müssten, stiess insbesondere in den Kantonen Bern, Thurgau, Graubünden und Aargau auf heftige Kritik. Daraufhin sistierte die SVP das Projekt [39].
Mitte Oktober gründete die SVP in Neuenburg, dem letzten weissen Flecken auf der SVP-Landkarte, eine Ortssektion. Damit ist sie als einzige Partei in allen 26 Kantonen präsent [40].
Um die junge Kantonalpartei im Hinblick auf die Wahlen zu unterstützen, führte die SVP im Januar erstmals eine Delegiertenversammlung im Wallis durch und beschloss in Martigny die Nein-Parole zur EU-Beitrittsinitiative [41].
Im Vorfeld zur Abstimmung über die EU-Beitrittsinitiative stellte der Aargauer Ständerat Maximilian Reimann im SVP-Pressedienst die provozierende Frage, ob die deutsche und die welsche Schweiz überhaupt noch zusammenpassten. Die Romandie solle sich der EU anschliessen, statt über die sie regelmässig überstimmende Deutschschweiz zu lamentieren. Die SVP-Spitze zeigte sich verärgert, da diese Aussagen der Absicht der SVP schadeten, in der Romandie an Terrain zu gewinnen. Reimann entschuldigte sich später in einem Zeitungsinserat für die Brüskierung. Nationalrat Luzi Stamm (AG) wechselte im Frühjahr von der FDP- in die SVP-Fraktion [42].
Ende April beschlossen die Delegierten auf dem Sarner Landberg (OW) die Nein-Parole zu den beiden Teilrevisionen des Militärgesetzes. Von den rund 30 Votanten hatten sich nur sieben für die Vorlagen eingesetzt; sie wurden zum Teil ausgepfiffen [43]. In der Folge erregte die Abstimmungskampagne mit Särgen, Soldatenfriedhöfen, verunstalteten Schweizerkreuzen und Militärköpfen, die von der AUNS und von einem überparteilichen, von der jungen SVP dominierten Komitee unter der Leitung von SVP-Nationalrat und -Vizepräsident Toni Brunner (SG) geführt wurde, die Gemüter. SVP-Nationalrat Jürg Stahl (ZH) verlangte eine Aussprache über die ganze Inseratenkampagne, da die SVP mit ihren Nationalräten Blocher, Fehr und Schlüer im Stil und personell eng mit der AUNS verbunden sei [44].
Als letzte Partei nach der SP, der CVP und FDP nahm die SVP Stellung zur Familienpolitik. Sie verlangte eine steuerliche und rechtliche Privilegierung der klassischen Familie gegenüber anderen Lebensgemeinschaften. Fristenregelung, staatlich geförderte Krippen und eine Mutterschaftsversicherung lehnte sie ab [45].
In einem Positionspapier zur Integrationspolitik verlangte die SVP, dass nur integriert werden solle, wer sich anpasse. Rechtzeitig zum Nationalfeiertag präsentierte sie ihren Entwurf eines Anforderungsprofils für künftige Schweizerinnen und Schweizer. Als Mindestvoraussetzung für jede Einbürgerung, auch für die erleichterte Einbürgerung von Ehegatten, sollten gute Kenntnisse einer der vier Landessprachen in Wort und Schrift, keinerlei Vorstrafen sowie das selbständige Bestreiten des Lebensunterhalts (Wohnung und Arbeitsstelle) sein. Der Bürgerrechtsmissbrauch durch Scheinehen sei zu bekämpfen [46].
An der Delegiertenversammlung in Gais (AI) lehnten die Delegierten den Entwurf zur Armee XXI ab und verlangten eine grundlegende Neuausrichtung des Reformprojekts. Sie sprachen sich für die Stärkung der Miliz und gegen eine Zweiklassenarmee mit Berufssoldaten aus. Einstimmig verabschiedeten die Anwesenden ausserdem eine Resolution, die sich gegen den Abbau von Grenzkontrollen (Schengen-Abkommen der EU) und die Abschaffung der schweizerischen Waffentradition richtete und sich für die Autonomie der Kantone einsetzte [47].
Ende Oktober empfahl die Delegiertenversammlung der SVP in Freiburg den Stimmberechtigten einhellig, die vier Volksinitiativen vom Dezember abzulehnen und bestätigte das Nein der Parteileitung zur Beteiligung des Bundes an der neuen schweizerischen Luftfahrtgesellschaft. Um Kontroversen zu vermeiden, beschränkten sich die Delegierten bei der Statutenrevision auf Vereinfachungen im Bereich der Kommissionen und die Aufwertung der „SVP Senioren“ zu einer Gruppierung mit Vertretung in den Leitungsorganen [48].
Ende November behandelte die SVP an einem Sonderparteitag in Luzern die UNO-Beitrittsinitiative. Mit ihrem Eintreten für einen Beitritt der Schweiz zur UNO hatte die Bündner Nationalrätin Brigitta Gadient keine Chance. Die SVP-Delegierten lehnten ihn mit 389:44 Stimmen ab [49].
Im September legte die SVP den Forderungskatalog ihrer geplanten Gesundheitsinitiative vor. Die Krankenkasse sollte analog der AHV auf einem Dreisäulenmodell aufgebaut sein mit einer obligatorischen Krankenversicherung, die das Minimum abdeckt, einer erweiterten Krankenversicherung als freiwillige, individuelle Ergänzung und einer Zusatzversicherung. Nicht der Bundesrat, sondern das Parlament solle den Leistungskatalog für die obligatorische und die erweiterte Krankenversicherung festlegen [50].
Die SVP vermochte zum dritten Mal in Folge die Zahl ihrer Parlamentsmandate (+59) zu vergrössern. Im Aargau stellt sie die stärkste Fraktion (+25), in Solothurn führten ihre Gewinne (+14) dazu, dass sich der Kanton von einem Drei- zu einem Vierparteienstaat wandelte. Schliesslich schaffte die SVP den Einzug ins Walliser und ins Genfer Parlament und konnte sich damit definitiv als gesamtschweizerische Partei etablieren. In Neuenburg ist sie als einzigem welschen Kanton – noch – nicht vertreten. Obschon die SVP auf Parlamentsebene massive Gewinne erzielte, blieb ihr der Erfolg in den Exekutivwahlen versagt.
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Liberale Partei (LP)
Die Abstimmungsempfehlungen der LP deckten sich mit jenen der FDP, mit einer Ausnahme: Im Februar stimmten die Liberalen der Volksinitiative „Ja zu Europa“ überraschend deutlich zu – die beiden Kantonalparteien Genf und Waadt hatten die Initiative zuvor nur mit äusserst knappem Mehr angenommen. Basel-Stadt und Wallis beschlossen hingegen die Nein-Parole [51]. Bereits Ende August beschlossen die Liberalen in Genf die Nein-Parole für die Volksinitiative „für eine Kapitalgewinnsteuer“, die im Dezember zur Abstimmung gelangte. Ausserdem verabschiedeten sie eine Resolution, die das Bankgeheimnis als Teil der Privatsphäre erklärte. Mit der Betonung der Bedeutung des Bankgeheimnisses für den Finanzplatz Schweiz wollte die LP Genfer Bankenkreise besänftigen, die sich durch das pro-europäische Engagement der Partei vor den Kopf gestossen fühlten und damit gedroht hatten, die finanziellen Beiträge für die Wahlkampagne der LP in der Rhonestadt zu kürzen [52].
In den kantonalen Parlamentswahlen büsste die LP vier Sitze (3 in Neuenburg und 1 im Wallis) ein. Hingegen konnte sie ihre beiden Exekutivmandate in Neuenburg verteidigen und in Genf ihre Delegation auf Kosten der FDP gar verdoppeln. In Lausanne stellen die Liberalen neu ein Exekutivmitglied.
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Grüne Partei (GP)
Im August kündigte Ruedi Baumann seinen Rücktritt als Parteipräsident auf Ende Oktober an, weil er in Frankreich einen Bio-Landwirtschaftsbetrieb übernahm. Sein Nationalratsmandat wollte er jedoch behalten. Im Vordergrund für seine Nachfolge stand ein Mitglied der Fraktion. Weil die GP eine Ämterkumulation von Fraktionsvorsitz und Parteipräsidium ablehnte, kam eine Kandidatur von Cécile Bühlmann (LU) nicht in Frage. Als Favoriten galten die Mitglieder des Nationalrats Ruth Genner (ZH) und Patrice Mugny (GE). Kurzfristig war nicht klar, ob auch der Berner Grossrat und ehemalige Parteisekretär Bernhard Pulver sich bewerben und die Partei zu einem Richtungsentscheid zwingen würde, da er als liberaler gilt als die beiden Favoriten. An der Delegiertenversammlung vom Oktober wählten die Grünen auf Antrag der Parteileitung ein Kopräsidium mit Patrice Mugny und Ruth Genner; damit wurden sie der Tatsache gerecht, dass die Partei in letzter Zeit in der Romandie hatte Erfolge verbuchen können. Mugny, früherer Chefredaktor beim linkskatholischen Le Courrier, ist politischer Sekretär der Genfer Grünen und Westschweizer Koordinator der Alpen-Initiative. Er hat den Ruf, Themen rasch zu erkennen und zu analysieren und Provokation auch gezielt einzusetzen. In jüngster Zeit setzte er sich vor allem für die Antiglobalisierung und die „Sans-papiers“ ein. Genner, als Lebensmittel-Ingenieurin tätig, war zehn Jahre Zürcher Kantonsrätin und präsidierte die VCS-Sektion. Sie gilt als stille Schafferin mit viel Sachkompetenz [53].
Das Berner Grüne Bündnis und das Demokratische Nidwalden erhielten Beobachterstatus [54].
Anfangs Jahr beschloss der Parteivorstand die Ja-Parole zur Volksinitiative „Ja zu Europa“. Die Baselstädtischen und die Luzerner Grünen hingegen beschlossen Stimmfreigabe, die Berner und die Schaffhauser stimmten für ein Nein, und die übrigen 15 Kantonalparteien schlossen sich der Mutterpartei an. Ebenfalls ein Ja empfahlen die Grünen zur Initiative „Strassen für alle“ [55].
Im März entschied sich die Delegiertenversammlung mit 32:28 Stimmen bei drei Enthaltungen, das Referendum gegen das Elektrizitätsmarktgesetz zu unterstützen. Es ginge in erster Linie darum, den Service public zu bewahren [56].
An ihrer Delegiertenversammlung in Delémont beschlossen die Grünen zweimal die Nein-Parole zu den Militärgesetzrevisionen (Bewaffnung bei Auslandeinsätzen und Ausbildungszusammenarbeit). Für die Vorlagen votierten insbesondere die Berner, dagegen argumentierten Vertreter aus der Romandie. Der Text der Vorlage sei zu schwammig; so sei die Unterstützung von Kriegseinsätzen, die von der NATO geführt würden, nicht ausgeschlossen. Ausserdem ziehe ein Ja weitere Rüstungsbeschaffungen nach sich. Die Befürworter wiesen vergeblich darauf hin, dass es, da Gewalt existiere, bei allem Pazifismus eine Macht brauche, welche Ordnung als Voraussetzung für zivile Entwicklung schaffe. Die Abschaffung des Bistumsartikels wurde gutgeheissen; einen Antrag auf Stimmfreigabe lehnten die Delegierten mit 26:22 Stimmen ab. In einer Resolution beharrten die Grünen auf dem Nachtfahrverbot für Lastwagen und forderten ein LKW-Verbot an staugefährdeten Tagen. Ausserdem verlangten sie die Erhöhung der LSVA auf das Niveau der Brenner-Gebühren, eine LKW-Kontingentierung und eine Kleintransporterabgabe [57].
Im Herbst verurteilte die GP den Terrorismus und den Krieg in Afghanistan. Die Reaktion der USA und ihrer Alliierten sei keine adäquate Reaktion auf die grauenhaften Terrorakte vom 11. September. Parteipräsidentin Genner kritisierte den grünen deutschen Aussenminister Joschka Fischer und bedauerte, das dieser für den Krieg in Afghanistan einstünde. Des weiteren verabschiedeten die Grünen eine Resolution für ein Ausschaffungsmoratorium für Papierlose [58].
In den kantonalen Parlamentswahlen konnten die Grünen ihre Delegation im Aargau, in Genf und in Neuenburg um vier Mandate verstärken, mussten in Solothurn jedoch fünf Verluste hinnehmen, weil sie nur noch in einem Bezirk angetreten waren. Robert Cramer konnte seinen Sitz in der Genfer Regierung verteidigen. Im Lausanner Parlament legten die Grünen auf Kosten der SP vier Sitze zu und stellen mit Daniel Brélaz den Stadtpräsidenten.
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Evangelische Volkspartei (EVP)
Gemäss Parteipräsident Ruedi Aeschbacher (ZH) bewegten sich Teile der FDP und der CVP vermehrt nach rechts, während die SP keine klare, linke Linie mehr verfolge. Die weit verbreitete Orientierungslosigkeit sei für die EVP eine Chance, da sie nach dem Verschwinden des LdU praktisch allein einen klaren Kurs der Mitte verfolge. Dass die EVP sich als Zentrumspartei verstand, zeigte sich auch in ihren Parolen: Während sie zusammen mit den Bürgerlichen die Volksinitiative für tiefere Arzneimittelpreise und die Begehren der GSoA ablehnte sowie die Militärgesetzrevisionen befürwortete, stimmte sie bei der Tempo-30-Initiative, der Energiesteuer und der Kapitalgewinnsteuer mit der SP. Im Frühling beschlossen die Delegierten der EVP die Ja-Parole zur Aufhebung des Bistumsartikels, kritisierten aber die Botschaft des Bundesrates. Ihrer Meinung nach verstosse der Bistumsartikel keineswegs gegen das Völkerrecht, da er die religiöse Freiheit nicht einschränke [59].
Im Dezember gab der Generalsekretär der EVP, Daniel Reuter, seinen Rücktritt auf Ende April 2002 bekannt. Reuter war 1989 ins Parteisekretariat gekommen und seit 1999 auch Sekretär der Evangelischen und Unabhängigen Fraktion der Bundesversammlung gewesen [60].
Die EVP musste in den kantonalen Wahlen keine Verluste hinnehmen. Sie konnte ihre acht Sitze im aargauischen Parlament halten und ihren Wähleranteil sogar leicht steigern.
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Partei der Arbeit (PdA)
Im Gegensatz zur SP, welche die Vorlagen befürwortete, sprach sich die PdA gegen die Militärgesetzrevisionen und die Aufhebung des Bistumsartikels sowie die Volksinitiative „Energie statt Arbeit besteuern“ aus. Zu den Initiativen „für tiefere Arzneimittelpreise“ und „Schweiz ohne Armee“ gab sie hingegen die Ja-Parole heraus, während die SP Stimmfreigabe beschloss.
In den Parlamentswahlen in Genf verlor die PdA sechs ihrer bisher 19 Sitze, in Neuenburg konnte sie ein Mandat hinzugewinnen und stellt nun sieben Abgeordnete. In der Lausanner Stadtregierung wurde ihr Vertreter abgewählt, und in der Legislative musste sie drei ihrer zuvor 13 Mandate abgeben.
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Freiheits-Partei (FP)
Die Kantonalsektion Thurgau der Freiheitspartei wurde aufgelöst; damit ist die FP nur noch in den Kantonen Bern und Aargau vertreten [61]. In den Parlamentswahlen im Aargau verlor sie drei Sitze und verfügt nur noch über einen einzigen Abgeordneten; in Solothurn waren die vier Parlamentsmitglieder im Verlauf der vergangenen Legislaturperiode zur SVP übergetreten. Die Parolen der FP für die eidgenössischen Vorlagen stimmten mit denjenigen der SVP überein.
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Lega dei Ticinesi
Anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Lega dei Ticinesi hielten verschiedene Zeitungen fest, dass sich die Partei von einer Protestbewegung, die frischen Wind in die erstarrte Politik hatte bringen wollen, zu einer Regierungspartei gewandelt habe, die heute eine Allianz mit dem Luganeser Rechtsfreisinn bilde und die sich immer wieder mit Klagen der Strafbehörden konfrontiert sehe. Viele schoben der Lega auch die Schuld an der Verrohung der Tessiner Politik zu. Da ihr der Nachwuchs fehle, sei es um die Zukunft der Lega nicht gut bestellt [62].
Im Februar verwarfen die Tessiner Stimmberechtigten mit überwältigendem Mehr eine kantonale Volksinitiative, die Bildungsgutscheine für Schülerinnen und Schüler von Privatschulen verlangt hatte. Viele Schulen werden von der konservativen katholischen Laienbewegung „Communione e Liberazione“ geführt. Einzig Lega-Chef Bignasca, dessen Sohn eine solche Schule besucht, setzte sich vorbehaltlos für die Privatschulfinanzierung ein [63]. Erneute Anschuldigungen, wonach Bignasca mit Kokain gehandelt habe, erwiesen sich als nicht stichhaltig. Bignasca habe zwar Kokain konsumiert und verschenkt, aber nicht damit gehandelt [64].
Um die im Vergleich zur übrigen Schweiz sehr hohen Krankenkassenprämien zu senken, lancierte die Lega Ende Jahr eine kantonale Volksinitiative zur Einrichtung einer öffentlichen Krankenkasse [65].
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Schweizer Demokraten (SD)
Parteisekretär Alexander Nyffenegger musste sein Amt aufgeben, angeblich, weil er eine ukrainische Nachtclub-Tänzerin geheiratet hatte, kurz bevor deren Aufenthaltsbewilligung abgelaufen war. Als Nachfolgerin war die Berner Stadträtin Lydia Riesen vorgesehen [66].
Bei den Parlamentswahlen im Aargau büssten die SD drei ihrer bisher sieben Mandate ein.
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Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU)
Die Delegierten der EDU wählten an Stelle des zurücktretenden Berner Nationalrats Christian Waber den Ostschweizer Hans Moser zum Parteipräsidenten. Moser war zuerst Mitglied der FDP, dann der EVP gewesen. Als diese die Ja-Parole zum EWR beschloss, gründete er mit Gleichgesinnten die EDU St. Gallen [67].
Weil die EDU im Bistumsartikel einen Garanten für den konfessionellen Frieden in der Schweiz sah, sprach sie sich gegen dessen Aufhebung aus [68]. Bei den Parlamentswahlen im Aargau konnte die EDU ihren 1997 gewonnen Sitz nicht halten.
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Landesring der Unabhängigen (LdU)
Im Kanton Aargau trat der Landesring der Unabhängigen (LdU) nicht mehr zu den Parlamentswahlen an und verlor seine letzten beiden Mandate. Er ist nur noch in den Kantonen Zürich (2 Sitze) und St. Gallen (3 Sitze) vertreten.
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Weiterführende Literatur
Balmelli, Tiziano, Le financement des partis politiques et des campagnes électorales, Fribourg 2001.
Brändle, Michael, Strategien der Förderung politischer Parteien: eine vergleichende Untersuchung der Parteienförderung in der Schweiz, Grossbritannien und den Niederlanden, Bern (Haupt) 2001.
Gfeller, Maria / Jaggi, Marco, Die Schweizer Parteien im Internet: eine Modellstudie, Bern (Institut für Medienwissenschaft der Universität Bern) 2001.
Ladner, Andreas, „Swiss political parties: between persistance and change“, in West European politics, 2001, no 2, S. 123-44.
Ladner, Andreas / Brändle, Michael, Die Schweizer Parteien im Wandel: von Mitgliederparteien zu professionalisierten Wählerorganisationen?, Zürich (seismo) 2001.
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[1] NZZ und SZ, 5.7.01; SHZ, 8.8.01; Lit. Ladner/Brändle.1
[2] CdT und QJ, 12.1.01; NLZ, 13.1.01; BaZ, 30.1.01; Lit. Balmelli.2
[3] LT, 16.3. und 21.3.0; BZ, 17.7.01.3
[4] LT, 31.7.01; TA, 13.8.01.4
[5] Finanzkrise: BZ, 21.4.01; Presse vom 23.4.01. Monatszeitung: BZ, 29.5.01; NZZ, 30.5.01; TA, 21.6.01. Gala: LT und NZZ, 16.10.01; TA, 26.11.01.5
[6] Presse vom 17.4.01; WoZ, 19.4.01; NZZ, 30.5.01 (Dubois). LT, 7.9.01 (Scheidegger-Ogi).6
[7] Presse vom 2.4.01.7
[8] TA, 5.6.01; Bund und TA, 7.6.01.8
[9] Presse vom 5.5. und 7.5.01 (einzelne Stellungnahmen: Strahm: TA, 3.1.01; BZ, 1.5.01; 24h, 4.5.01; Gamma: WoZ, 5.1.01 und TA, 8.1.01; Pierre-Yves Maillard und Andreas Gross: LT, 1.5.01. Kritik an Präsidentin Christiane Brunner nach der massiven Ablehnung der von der SP unterstützten EU-Beitrittsinitiative: Presse vom 6.3.-10.3.01 und SGT, 8.3.01.9
[10] Presse vom 11.5.01; Bund, 12.5.01; Bund und SGT, 2.6.01; TA, 11.7.01 (Autoren des Grundsatzpapiers waren der Zürcher SP-Präsident Koni Loepfe und die Migrationsspezialistin Maria Roselli. Zu den Unterzeichnenden gehörten 17 Mitglieder der eidg. Fraktion, u.a. Cavalli, Fässler, Gross, Goll, Maillard und Thanei sowie rund 100 weitere SP-Mitglieder). 10
[11] Presse vom 25.6.01. 11
[12] Presse vom 8.10.01. 12
[13] Presse vom 10.12.01. 13
[14] Presse vom 6.1., 12.1., 24.-25.1., 7.4. und 9.4.01; AZ, 2.4.01. 14
[15] NZZ, 5.3. und 27.4.01; BüZ, 11.4.01; NLZ, 30.4.01. 15
[16] Stamm: Presse vom 14.3.01. Aliesch: Presse vom 3.8., 7.8. und 11.8.01; BZ, 8.9.01. Ramseyer: LT, 18.7.01; TG, 19.7.01; LT, 9.9.01; TG, 10.9.01. 16
[17] Presse vom 15.1.01. 17
[18] Presse vom 9.4.01. 18
[19] Interview im Bund, 6.6.01. 19
[20] Presse vom 11.5. und 25.6.01. 20
[21] Presse vom 15.8.01. 21
[22] BZ, 24.7.01; Presse vom 20.8.01.22
[23] SoZ, 21.1.01; Presse vom 22.1.01. Zur Besetzung des Präsidiums: SoZ, 14.1.01; NZZ, 17.1.01; SGT, 19.1.01. 23
[24] Lib. und QJ, 1.2.01; Presse vom 6.-8.2. und 19.-26.2.01. Zu den Mitgliedern von „Werte und Gesellschaft“ gehörten aus der grossen Kammer Elvira Bader (SO) als Präsidentin, Toni Eberhard (SZ), Heinrich Estermann (LU), Rudolf Imhof (BL), Josef Leu (LU), Arthur Loepfe (AI), Thérèse Meyer (FR), Hansueli Raggenbass (TG) und Hans Werner Widrig (SG) sowie die Ständeräte Rolf Escher (VS), Bruno Frick (SZ), Hansheiri Inderkum (UR), Carlo Schmid (AI), Marianne Slongo (NW) und Philipp Stähelin (TG). Geplant war, dass die Gruppe 25 bis 30 Mitglieder und damit die halbe Fraktion umfassen würde: Die Gewerbegruppe würde sich anschliessen, ebenfalls die Landwirtschaftsgruppe, welche jedoch als Untergruppe weiter existierte. Bestehen blieben die Gruppen der Lateiner und der Christlich-Sozialen (SGT, 24.2.01). 24
[25] Presse vom 16.3. und 17.3.01. 25
[26] Presse vom 4.4., 10.4. und 18.4.01; BZ, 27.4.01 (Stähelin); Presse vom 2.5. und 14.5.01 (Glanzmann); SGT, 27.2.01; TA, 28.2.01; NLZ und SGT, 30.4.01. 26
[27] Presse vom 7.4. (Gernet) und 27.4.01 (Felber); LT, 12.7.01; BZ, 12.7. und 17.7.01; Presse vom 13.7.01; Lib., 18.7.01 (Nause und Generalsekretariat). 27
[28] SoZ, 21.1.01; Presse vom 22.1.01. Zu den mögliche Folgen des Entscheids für die CVP: Presse vom 23.1. und 6.3.01. 28
[29] Presse vom 17.3.01; AZ, 7.6.01; BZ, 6.7.01; Presse vom 10.7.01; LT, 21.8.01. 29
[30] Presse vom 14.5.01. 30
[31] Presse vom 12.7.01. 31
[32] Presse vom 28.7.01; NLZ und TA, 31.7.01; TA, 10.8.01. 32
[33] BZ, 8.8.01. 33
[34] Presse vom 20.11.01. 34
[35] Presse vom 19.12.01. 35
[36] NZZ, 24.2.01; Presse vom 25.-27.2. und 10.3.01 (Rutz); So-Blick, 4.3.01; NZZ, 19.4.01. 36
[37] Presse vom 19.3.01. 37
[38] Presse vom 6.11. und 9.11.01; Wahl: Presse vom 17.11.01. 38
[39] SoZ, 11.2. und 8.4.01; TA, 15.2.01; LT, 10.4.01; NZZ, 23.3.01; BZ, 27.4. und 30.4.01; LT, 1.5.01; NZZ, 2.5.01. 39
[40] AZ und NZZ, 18.10.01; BaZ, 19.10.01. 40
[41] NZZ, 27.1.01; Presse vom 29.1.01. 41
[42] Reimann: LT, 27.2.01; Presse vom 28.2.01; AZ, 1.3.01; TA, 7.3.01. Stamm: Presse, insbesondere AZ, 14.3.01. 42
[43] Presse vom 30.4.01. 43
[44] BZ, 5.5. und 22.5.01. 44
[45] Presse vom 11.7.01. 45
[46] Presse vom 17.1.01; NZZ, 31.7.01. 46
[47] Presse vom 20.8.01. 47
[48] Presse vom 22.10.01. 48
[49] Presse vom 26.11.01. 49
[50] SoZ, 9.9.01. 50
[51] BaZ, CdT und LT, 5.2.01 (BS: BaZ, 15.2.01; VS: NF, 15.2.01). 51
[52] Presse vom 27.8.01; LT, 12.7.01. 52
[53] TA, 23.2.01; SoZ, 26.8.01; Presse vom 27.8.01; TA, 28.8.01; NZZ, 6.9.01; TA, 7.9.01; Bund und BZ, 11.9.01; BZ, 18.9.01. Pulver: SoZ, 23.9.01; NZZ, 27.9.01; LT und 24h, 28.9.01; LT und TA, 29.9.01. Wahl: SGT, 26.10.01; Presse vom 27.10. und 29.10.01. 53
[54] Bund, 5.5.01; NZZ, 7.5.01; Presse vom 29.10.01. 54
[55] NZZ, 13.1.01; Bund, 14.2.01. 55
[56] NZZ und TA, 12.3.01. 56
[57] NZZ und TA, 7.5.01. 57
[58] Presse vom 29.10.01. 58
[59] NZZ, 15.5. und 27.8.01. 59
[60] NZZ, 4.12.01. 60
[61] LT, 25.4.01. 61
[62] BZ, 16.1.01; BaZ, 17.1.01; TA, 20.1.01; NZZ, 25.1.01. 62
[63] BZ, 16.1.01. Details zur Vorlage vgl. oben, Teil I, 8a (Grundschulen). 63
[64] BZ, 25.4.01; TA, 26.4.01; Presse vom 2.6.01. 64
[65] Baz, 8.12.01. 65
[66] Bund, 23.7.01. 66
[67] SGT, 22.6.01; BZ, 30.7.01. 67
[68] NZZ, 7.5.01.68
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