Parteien, Verbände und Interessengruppen
Verbände und übrige Interessenorganisationen
Prominente Wirtschaftsvertreter kritisierten die SVP und manifestierten ihre Unterstützung für die FDP. – Der Bauernverband zeigte sich besorgt über die im Rahmen der WTO angestrebte Liberalisierung der Agrarmärkte. – Der SMUV und die GBI vereinigten sich mit zwei kleineren Verbänden zur neuen Gewerkschaft UNIA. – Der VCS zerstritt sich in der Frage der Anwendung der Verbandsbeschwerde.
Für die Parolen der Spitzenverbände zu den eidgenössischen Volksabstimmungen siehe die Tabelle
parolen_2004.pdf.
Unternehmer
Nachdem es in den letzten Jahren den Anschein gemacht hatte, dass die bei den Wahlen so erfolgreiche SVP die FDP in ihrer Rolle als wichtigste politische Verbündete der Unternehmer und ihrer Verbände konkurrenzieren könnte, setzte nun eine Gegenbewegung ein. Dazu mag der ruppige Stil der SVP und einzelner ihrer Exponenten insbesondere in ihren politischen Kampagnen bei Volksabstimmungen – etwa bei den beiden Einbürgerungsvorlagen – beigetragen haben. Wichtiger war aber wohl die Opposition der SVP gegen Teile der Bilateralen II mit der EU und gegen die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen mittel- und osteuropäischen EU-Mitglieder, und damit die Gefährdung der gesamten bilateralen Abkommen mit der EU. Organisatorischen Ausdruck fand die wieder stärker gewordene Bindung der Wirtschaft an die FDP in der Gründung eines Vereins „
Freunde der FDP“, dem namhafte Unternehmer (darunter sechs Vorstandsmitglieder des Dachverbandes Economiesuisse) angehören
[1].
Beim
Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) versuchte die SVP ihren traditionell bestehenden Einfluss durch die Wahl eines der ihrigen zum Nachfolger für den zurücktretenden Verbandspräsidenten Hans-Rudolf Früh (fdp, AR) noch zu stärken. Interesse zeigten die beiden Zürcher SVP-Nationalräte Zuppiger, der vom Aargauer Gewerbeverband empfohlen wurde, und Bertoluzzi. Zu einer Nomination und Kampfwahlen kam es aber nicht; die Gewerbekammer (das Parlament des SGV) empfahl einstimmig den bisherigen Vizepräsidenten, Nationalrat Edi Engelberger (fdp, NW), zur Wahl. Diese erfolgte an der Delegiertenversammlung vom 27. Mai in Bern. Der SGV feierte an diesem Kongress auch sein 125-jähriges Bestehen
[2].
Landwirtschaft
Der Schweizerische Bauernverband (SBV) hat im Jahr 2004 in einem breit abgestützten Verfahren ein
Leitbild für die Schweizer Landwirtschaft erarbeitet und verabschiedet. Dieses Leitbild betont die unternehmerische Funktion der Landwirte und Landwirtinnen und stellt ihre Bedeutung für die Entwicklung der ländlichen Regionen in den Vordergrund
[3].
Der SBV äusserte sich im Berichtsjahr mehrmals zu den laufenden
WTO-Verhandlungen und versuchte, auf die Formulierung der schweizerischen Verhandlungsposition Einfluss zu nehmen. Dahinter stand die Befürchtung, dass die Schweiz beim Agrardossier Konzessionen an die grossen Agrarexportländer machen könnte, um als Gegengeschäft den von der Exportwirtschaft und dem Finanzsektor erstrebten weiteren Abbau der Handelsschranken für Industriegüter und Dienstleistungen zu erreichen. Der Bauernverband sprach sich für ein Agrarabkommen aus, das den Eigenheiten der Landwirtschaft in den verschiedenen Staaten Rechnung trägt. Für die Schweiz bedeute dies, dass die Landwirtschaft weiterhin geschützt bleiben müsse, um ihren multifunktionalen Auftrag zu erfüllen, welcher auch das wirtschaftliche Überleben der strukturschwachen ländlichen Räume garantiere. Dass dies nicht heisse, dass jegliche Liberalisierung abgelehnt werde, habe die schweizerische Landwirtschaft mit der Deregulierung bestimmter Bereiche (so etwa des Käsemarktes) im Rahmen der Reformpakete „Agrarpolitik 2002“ und „Agrarpolitik 2007“ bewiesen
[4].
Arbeitnehmer
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) rief zu Jahresbeginn zum
Kampf gegen „Staats- und Sozialabbau“ auf und hatte dabei recht grossen Erfolg. Die von ihm mit Referenden bekämpften Vorlagen (die 11. AHV-Revision und das Steuerpaket) wurden in der Volksabstimmung abgelehnt. Die von der SGB-Gewerkschaft Kommunikation eingereichte Post-Initiative scheiterte allerdings, wenn auch nur hauchdünn
[5]. Im Herbst lancierte der SGB das auch von Travail.Suisse unterstützte Referendum gegen die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten in Bahnhöfen und konnte dieses Anfang 2005 einreichen
[6]. Weniger einig waren sich die Gewerkschaften in ihrer Haltung zur europäischen Integration. Konkret ging es um die
Erweiterung der Personenfreizügigkeit, wie sie im bilateralen Abkommen I festgelegt ist, auf die neuen Mitgliedstaaten der EU. Während sich die Gewerkschaftsspitze bemühte, mit der Andeutung einer Referendumsdrohung möglichst griffige flankierende Massnahmen zur Verhinderung von Lohnkonkurrenz zu erkämpfen, wollte die Tessiner Sektion der neugegründeten UNIA (siehe unten) weiter gehen. Ihr Antrag, das Referendum zu ergreifen, fand am Gründungskongress der UNIA grossen Anklang, konnte sich allerdings nach eindringlichen Warnungen der Gewerkschaftsführer nicht durchsetzen. Nach dem für die Gewerkschaften befriedigenden Ausgang der Parlamentsverhandlungen über die flankierenden Massnahmen verzichtete der SGB definitiv auf die Lancierung eines Referendums. Er drohte aber, dass er die Vorlage in der für 2005 vorgesehenen Volksabstimmung nicht aktiv unterstützen werde, falls sich die Kantone bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen lasch oder zögerlich verhalten würden
[7].
Der
Mitgliederbestand des SGB betrug Ende 2004 382 203; das waren rund 10 000 weniger als im Vorjahr. Diese Einbusse war nahezu vollständig auf die Bereinigung der Mitgliederlisten anlässlich der Fusion von vier Gewerkschaften zur neuen Organisation UNIA (siehe unten) zurückzuführen. Der Frauenanteil erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahr leicht von 22,4% auf 23,2%
[8].
Die beiden grössten Gewerkschaften des SGB, die GBI und der SMUV haben sich im Berichtsjahr zusammen mit den kleineren Verbänden VHTL und Unia zur
neuen Gewerkschaft UNIA zusammengeschlossen. Nachdem im Juni die vier Fusionspartner die Statuten der neuen UNIA genehmigt hatten, fand der Gründungskongress am 15./16. Oktober in Basel statt. Die bisherigen Präsidenten des SMUV und der GBI, Renzo Ambrosetti und Vasco Pedrina, wurden zu Co-Präsidenten der neuen Organisation gewählt. Die UNIA ist mit rund 203 000 Mitgliedern die bei weitem grösste Einzelgewerkschaft des SGB und deckt die Bauwirtschaft, sämtliche Industriebranchen, den Handel und das private Transportgewerbe ab
[9].
Andere Interessenorganisationen
Der rund 270 000 Mitglieder zählende
Hauseigentümerverband wählte am 19. Juni den freisinnigen Solothurner Nationalrat Rudolf Steiner zum neuen Präsidenten. Er trat die Nachfolge von alt-Ständerat Toni Dettling (fdp, SZ) an
[10].
Die aus einem Zusammenschluss von vier Organisationen („Geboren am 7. Dezember“, „Renaissance Suisse-Europe“, „Geboren 1848“ und „Europäische Bewegung Schweiz EBS“) entstandene
Neue Europäische Bewegung Schweiz (Nebs) setzt sich für einen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union ein und zählt rund 5000 Mitglieder. Im Frühjahr wählte sie Nationalrat Yves Christen (fdp, VD) zum neuen Präsidenten. Der bisherige Amtsinhaber Marc Suter (fdp, BE) hatte seinen Rücktritt erklärt, nachdem er 2003 die Wiederwahl in den Nationalrat nicht geschafft hatte
[11].
Auch die wichtigste direkte Gegenspielerin der Nebs, die gegen einen EU-Beitritt kämpfende Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (
AUNS), hatte als Folge der Wahlen 2003 ihren Präsidenten zu ersetzen. An die Stelle des in den Bundesrat gewählten Gründungsmitglieds Christoph Blocher (svp, ZH) wählte sie am 15. Mai den seit 2003 dem Nationalrat angehörenden Schwyzer Pirmin Schwander (svp). Geschäftsführer der rund 43 000 Mitglieder und eingebundene Sympathisanten zählenden Organisation blieb der Zürcher Nationalrat Hans Fehr (svp). Die AUNS-Versammlung bestätigte bei dieser Gelegenheit auch ihren Beschluss aus dem Vorjahr, gegen das Dublin/Schengen-Abkommen aus dem Paket der Bilateralen Verträge II mit der EU das Referendum zu ergreifen
[12].
Das
Beschwerderecht der Umwelt- und Naturschutzverbände bei grossen Bauprojekten kam im Berichtsjahr noch stärker unter Beschuss bürgerlicher und wirtschaftsnaher Politiker. Dieses Recht ist im Natur- und Heimatschutzgesetz sowie im Umweltschutzgesetz enthalten und steht anerkannten Organisationen aus diesen Bereichen zu, die seit mindestens zehn Jahren national tätig sind
[13]. Auslöser für die Verschärfung der seit Jahren dauernden Kontroverse war das Baugesuch für einen Neubau des Fussballstadions Hardturm in Zürich verbunden mit einem neuen Einkaufszentrum. Infolge der von den Bewilligungsbehörden und Gerichten teilweise gutgeheissenen Beschwerden des
Verkehrsclubs der Schweiz (VCS) gegen das vorgesehene Parkplatzangebot und die Zahl der erlaubten Zu- und Wegfahrten des privaten Autoverkehrs drohten Verzögerungen, welche die rechtzeitige Stadioneröffnung für die Fussball-Europameisterschaft 2008 in Frage stellten. Zudem war fraglich, ob angesichts der reduzierten maximal zugelassenen Parkflächen und Verkehrsmengen der von Privaten geplante Bau überhaupt realisiert würde. Die Zürcher Freisinnigen nutzten die Verärgerung breiter Kreise über die unnachgiebige Haltung der VCS-Sektion Zürich
[14] um eine nationale Volksinitiative zu lancieren. Diese verlangt, dass bei Infrastruktur- und Bauprojekten, welche in einer Volks- oder Parlamentsabstimmung genehmigt worden sind, das Verbandsbeschwerderecht aufgehoben wird. Dieses soll nur noch bei Behördeentscheiden (Verwaltung, Exekutive) zur Anwendung kommen. Im Nationalrat reichte zudem der Aargauer Transportunternehmer Giezendanner (svp) eine von 80 Ratsmitgliedern unterzeichnete Motion ein, welche den Ausschluss des VCS vom Verbandsbeschwerderecht fordert, weil dieser nicht rein ideell sondern durch sein Angebot an Reisen, Versicherung etc. auch kommerziell tätig sei
[15].
Die Beschwerden gegen das Hardturmstadion
führten aber auch im VCS selbst zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der von Nationalrätin Teuscher (gp, BE) präsidierten nationalen Leitung und der Co-Geschäftsführerin der Zürcher Kantonalsektion, Gabi Petri. Erstere plädierte für eine gewisse Flexibilität, welche beim Entscheid über die Einreichung resp. den Weiterzug einer Beschwerde auch politische Argumente wie der allgemeine Nutzen und die Beliebtheit eines Projekts berücksichtigt. Begründet wurde diese Rücksichtnahme einerseits mit dem Imageschaden, welche der VCS mit einer unnachgiebigen Haltung bei populären Projekten erleiden könnte, und andererseits auch mit der Gefährdung der Institution des Verbandsbeschwerderechts als Ganzes. Diese Ansicht wurde auch von anderen Umwelt- und Naturschutzverbänden geteilt. Für Petri und ihre Zürcher Sektion hingegen dürfen solche Kriterien keine Rolle spielen, sondern es soll allein die Übereinstimmung des Projekts mit sämtlichen in Gesetzen, Verordnungen und übrigen Bestimmungen festgelegten umweltschutzpolitischen Normen ausschlaggebend sein. Rücke man davon aus politischen Gründen ab, schädige man nicht bloss die Umwelt, sondern setze auch die Glaubwürdigkeit des VCS aufs Spiel. An einer Delegiertenversammlung im Mai konnte sich keine dieser beiden Positionen entscheidend durchsetzen, die Anhänger einer unnachgiebigen Politik waren aber in der Mehrheit
[16].
Weiterführende Literatur
Tschanz, Ernst, 125 Jahre Schweizerischer Gewerbeverband: 1879-2004, Bern (SGV) 2004.
[1]
TA, 23.9.04;
Bund, 8.10.04 (Peter Hasler, Direktor des Arbeitgeber-Verbandes).
[2]
TA, 12.2., 8.3. und 27.5.04;
Bund, 13.2.04;
NZZ, 11.5.04; Presse vom 28.5.04. Zum Jubiläum siehe auch
NZZ, 26.5.04 sowie
Lit. Tschanz.
[3] Schweizerischer Bauernverband,
Tätigkeitsprogramm 2005 des Schweizerischen Bauernverbandes, Brugg.
[4]
QJ, 23.7.04;
NZZ, 12.11.04. Siehe auch oben, Teil I, 4c (Politique agricole).
[5] Presse vom 8.2.04. Siehe dazu die einzelnen Sachkapitel.
[6]
NZZ, 5.11.04. Siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerb).
[7]
Bund, 18.10.04;
NZZ, 22.12.04. Das Referendum wurde dann von den Schweizer Demokraten eingereicht (siehe dazu oben, Teil I, 2, Europe: UE).
[8]
Presseinformation SGB vom 23.4.05.
[9]
TA, 14.6. und 2.10.04;
LT, 12.10.04; Presse vom 16.10. und 18.10.04. Zum VHTL, der lange mit einem Beitritt gezögert hatte, siehe auch
NZZ, 16.10.04. Vgl. auch
SPJ 2003, S. 353.
[11]
TG, 24.1.04;
LT, 19.2.04. Zur Entstehung der Nebs siehe auch
BZ, 4.12.04 sowie
SPJ 2001, S. 308.
[12]
TA, 25.2.04;
Lib., 15.5.04. Zu Schwander siehe
TA, 15.5.04.
[13] Allgemein dazu siehe
TA, 14.12.04. Dieses Beschwerderecht von ideell tätigen Interessenorganisationen gibt es auch im Arbeitsrecht, im Konsumentenschutz, bei der Behindertengleichstellung und in weiteren Bereichen.
[14] Diese hatte trotz der bei den Behörden und Gerichten erzielten Teilerfolge beim nationalen VCS beantragt, die Beschwerde an die nächsthöhere Instanz weiterzuziehen.
[15] Siehe dazu oben, Teil I, 6d (Protection des sites et de la nature). Motion Giezendanner: Mo. 04.3456. Vgl. auch
SPJ 2003, S. 354.
[16]
SGT, 27.4.04;
NZZ, 17.5.04; Presse vom 25.5.04;
Bund und
TA, 26.5.04 (andere Verbände). Zur Gründungsgeschichte des seit 25 Jahren bestehenden VCS siehe
WoZ, 12.8.04.