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Grundlagen der Staatsordnung
Föderativer Aufbau
Die neu eingeführte Bestimmung, dass Konkordate für alle Kantone verbindlich erklärt werden können, geriet in die Kritik. – Acht Kantone der Nordost- und der Zentralschweiz gründeten einen Verein zur besseren Vertretung der Interessen der Grossregion Zürich. – Die Assemblée interjurassienne (AIJ) veröffentlichte ihren lange erwarteten Bericht über Zukunftsszenarien für den Berner Jura.
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen
Mit der neuen Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen war im Jahr 2004 die Verfassungsbestimmung (Art. 48a BV) eingeführt worden, welche es mit einfachem Bundesbeschluss erlaubt, Konkordate zwischen den Kantonen unter bestimmten Bedingungen als allgemeinverbindlich zu erklären. Dies ist allerdings nur in wenigen Aufgabenbereichen möglich und setzt voraus, dass eine qualifizierte Mehrheit der Kantone dem Konkordat beigetreten ist. Dieser Artikel, welcher Kantone verpflichten kann, Gesetzesbestimmungen zu übernehmen, die sie vorher im Parlament oder in einer Volksabstimmung abgelehnt haben, war damals im Nationalrat vor allem von der Linken bekämpft worden. Jetzt kam die Forderung nach seiner ersatzlosen Streichung von der SVP-Fraktion in Form einer parlamentarischen Initiative. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats hatte sich zwar dagegen ausgesprochen. Aber die SPK des Nationalrats beantragte mit klarer Mehrheit (15 zu 2 bei 4 Enthaltungen), dieser Initiative Folge zu geben. Sie argumentierte, dass es dem Prinzip des Föderalismus widerspreche, einzelne Kantone gegen ihren Willen zum Eintritt in ein Konkordat zu zwingen. Zudem sei das Verfahren der Rechtssetzung über Konkordate ohnehin ungenügend demokratisch legitimiert. Dies sei deshalb der Fall, weil die einzelnen Bestimmungen eines Konkordats nicht von einem vom Volk gewählten Parlament, sondern von Konferenzen der kantonalen Regierungen festgelegt werden, und sie von den kantonalen Parlamenten nur noch als Ganzes genehmigt oder abgelehnt werden können. Das Plenum gab der SVP-Initiative mit 80 zu 68 Stimmen Folge; die Opposition kam vor allem von der FDP und den Grünen [1].
Das Problem der fehlenden Mitbestimmungsrechte der Parlamente bei der Ausarbeitung von Konkordaten beschäftigte auch einen Ausschuss aus Parlamentariern der Westschweizer Kantone. Er legte den Entwurf für eine Übereinkunft vor, welche den Einbezug der kantonalen Legislativen bei der Gestaltung von interkantonalen Verträgen ermöglichen soll [2].
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Um die Interessen der Grossregion Zürich besser vertreten zu können und die gemeinde- und kantonsüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern, gründeten acht Kantone und 65 Städte und Gemeinden aus der Nordost- und der Zentralschweiz anfangs Juli den Verein „Metropolitanraum Zürich“. Bei den beteiligten Kantonen handelt es sich um Zürich, Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, Schwyz, Zug, Luzern und Aargau [3].
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Territorialfragen
Am 4. Mai konnte in Moutier (BE) die Assemblée interjurassienne (AIJ) endlich ihren Bericht über Zukunftsszenarien für den Berner Jura veröffentlichen und an die Vorsteherin des EJPD, Eveline Widmer-Schlumpf, übergeben. Dieser Bericht sieht zwei Lösungen vor. Die eine beantragt mit der Formel „Status quo plus“ ein Festhalten an den bestehenden Kantonsgrenzen, aber eine grössere Autonomie des Berner Juras und eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Kanton Jura. Die zweite Variante schlägt eine Fusion des Berner Juras mit dem Kanton Jura und zusätzlich eine radikale Gebietsreform vor, welche die Ortschaften der insgesamt sechs Bezirke (je drei im Norden und im Süden) zu sechs neuen Gemeinden zusammenschliesst. Eine Empfehlung zugunsten eines dieser beiden Modelle gab die AIJ nicht ab. Auf die in einigen Westschweizer Medien und auch vom Neuenburger SP-Regierungsrat Jean Studer propagierte Idee eines grösseren Zusammenschlusses mit dem Kanton Neuenburg ging sie nicht ein. Sie empfahl ferner, die AIJ als Garant für die Fortführung des Dialogs beizubehalten. Sie verzichtete hingegen darauf, konkrete Vorschläge für die Entscheidfindung und deren Ablauf zu machen. Ob und wann Volksabstimmungen zum weiteren Vorgehen durchgeführt werden sollen, liege in der Entscheidungskompetenz der beiden betroffenen Kantonsregierungen. Diese kamen überein, sich innerhalb von sechs Monaten zum Bericht zu äussern [4].
Die Regierung des Kantons Jura und auch dessen Parlament sprachen sich für die Variante einer Fusion mit dem Berner Jura aus und drängten auf die möglichst baldige Durchführung von Volksabstimmungen. Die Berner Regierung gab sich zurückhaltender. Schliesslich sprach sie sich für die Variante „Staus quo plus“ aus. Plebiszite schloss sie nicht aus, wenn solche von den Betroffenen im Berner Jura gewünscht werden. Bevor sie ihre Meinung bekanntgab, hatte sie eine Konsultation bei den politischen Instanzen des Berner Juras und der Stadt Biel durchgeführt. Die Stadt Biel ist von der Frage insbesondere deshalb auch betroffen, weil ihre französischsprachige Minderheit (rund 20 000 Personen) bei einem Ausscheiden des Berner Juras mit seinen mehr als 50 000 Französischsprechenden zu einer marginalen Minderheit im bisher zweisprachigen Kanton Bern würde. Die Stellungnahme der Berner Regierung fand auch im bernischen Grossen Rat Zustimmung und wurde nur von den vier autonomistischen Abgeordneten kritisiert. Im November einigten sich die beiden Kantone und der Bund, dass die AIJ Gelegenheit erhält, ihren Bericht und ihre Vorschläge einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen [5].
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Weiterführende Literatur
Benoit, Anne, Le partage vertical des compétences en tant que garant de l'autonomie des Etats fédérés en droit suisse et en droit américain, Genève (thèse droit Neuchâtel) 2009.
Braun, Dietmar, „Constitutional Change in Switzerland“, in Publius, 2009, S. 314-40 (zum Neuen Finanzausgleich).
Cherix, François, La question romande : enquête sur une Suisse romande entre attentisme et projets, Lausanne 2009.
Fetz, Ursin, Gemeindefusion: unter besonderer Berücksichtigung des Kantons Graubünden, Zürich (Diss. jur.) 2009.
Möckli, Silvano, „Parlamente und die Interkantonalisierung der Politik“, in Parlament, Nr. 3, S. 5-11.
Patelli, Samuele, Le rappresentazioni della marginalità e la marginalità rappresentata : il rapporto fra Ticino e la nazione secondo le percezioni delle elites ticinesi, s.l. (Tesi rer. nat. Friburgo) 2009.
Reist, Pascal, Schweizer Agglomerationen im institutionellen Wandel: ein Beitrag zur Entstehung interkommunaler Kooperationsformen, Bern 2009.
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Vollmert, Andrew, „The reinterpretation of political tradition : the Catholic roots of Jurassian nationalism“, in Nationalism and Ethnic Politics, 2008, S. 395-427.
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[1] AB NR, 2009, S. 1841 f. und Beilage V, 233 ff.; NZZ, 27.1.09. Siehe SPJ 2008, S. 43.
[2] NZZ, 13.2.09; Lib., 12.9.09. Siehe dazu auch Lit. Möckli.
[3] NZZ, 2.7. und 4.7.09; AZ, 4.7.09.
[4] Presse vom 5.5.09.
[5] Stellungnahmen: Bund, 30.5., 18.8., 22.8. und 3.9.09; BaZ, 19.6.09; QJ, 26.6. und 29.10.09; LT, 3.9.09. Informationsveranstaltungen: Bund, 6.11.09.
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