Schaffung einer Solidaritätsstiftung

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Unabhängig von diesem humanitären Fonds regte der Bundesrat am fünften März eine staatliche Solidaritätsstiftung für humanitäre Aufgaben im In- und Ausland an. Das Fondsvermögen soll aus dem Verkauf eines Teils der Goldreserven der Nationalbank (SNB) gebildet werden.

Am 5. März gab Bundespräsident Koller im Namen des Bundesrats vor der Vereinigten Bundesversammlung eine Erklärung zu den in den letzten Jahren aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit der schweizerischen Politik während des Zweiten Weltkriegs ab. Er bekannte sich darin zu einer vorurteilslosen und kritischen Erforschung der damaligen Geschehnisse und Umstände. Dies sei zwar bereits früher geschehen, aber die Ergebnisse dieser Untersuchungen seien nicht immer genügend zur Kenntnis genommen worden. Mit der 1996 erfolgten Einsetzung der internationalen Historikerkommission werde dieser notwendige Prozess nun intensiviert. Koller räumte auch ein, dass das Ziel der Wahrung der Unabhängigkeit des Landes nicht alle damals getroffenen Entscheidungen rechtfertigen könne. Als Schlusspunkt seiner halbstündigen Rede kündigte Koller die Schaffung einer Solidaritätsstiftung an. Diese solle ein Zeichen sein für die "Bekräftigung der humanitären Tradition der Schweiz und der Dankbarkeit für das Verschontwerden von zwei Weltkriegen". Als Zweck dieser Stiftung nannte er die Unterstützung von Opfern "von schwerer Armut, Katastrophen, Genozid, Folter und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen". Die Mittel sollen je zur Hälfte im Inland und im Ausland eingesetzt werden. Finanzielle Beiträge an bedürftige Holocaustopfer schloss Koller nicht aus; er verwies aber darauf, dass diese vor allem auf die rasche Hilfe durch den von den Banken ins Leben gerufenen und auch von der Nationalbank mitgetragenen Spezialfonds angewiesen seien.

Als Finanzierungsinstrument schlug Koller eine teilweise Anpassung der Bewertung der 2600 Tonnen Goldreserven der Nationalbank an die rund viermal höheren Marktpreise vor. Eine Aufwertung auf 60% des Marktpreises würde den Buchwert dieses Goldbestandes von 12 Mia Fr. auf 26 Mia Fr. erhöhen. Gold im Wert der Hälfte dieses Aufwertungsgewinns (7 Mia Fr.), d.h. gut 400 Tonnen, würde dann schrittweise in Wertpapiere umgewandelt und in den Fonds eingelegt, welcher mit dem jährlichen Zinsertrag von rund 350 Mio Fr. humanitäre Aufgaben finanzieren könnte.

Die Reaktion auf Kollers Rede fiel in den in- und ausländischen Medien weitgehend positiv aus; allerdings fehlte es nicht an Bedenken in bezug auf die politische Realisierbarkeit dieser angekündigten Stiftung. Auch die jüdischen Organisationen in den USA und Vertreter der amerikanischen Regierung begrüssten das Projekt. Die Reaktion der jüdischen Organisationen ist freilich vor dem Hintergrund zu sehen, dass wichtige amerikanische Medien reichlich verzerrt über Funktionsweise und Zweck der Stiftung berichtet hatten, indem sie meldeten, dass die Schweiz beabsichtige, Gold im Wert von 7 Mia Fr. an Holocaustopfer zu verteilen. Ein Teil der europäischen Medien kommentierte zudem die Stiftung als Wiedergutmachungsaktion für schweizerisches Fehlverhalten im Zweiten Weltkrieg; eine Interpretation, gegen welche sich Koller in seiner Rede explizit ausgesprochen hatte. In ersten Stellungnahmen signalisierten die FDP, die CVP und die SP gedämpfte Zustimmung zum Vorschlag des Bundesrates, wobei die beiden ersteren allerdings bloss von einer überprüfenswerten Idee sprachen und die SP Vorbehalte in bezug auf den Finanzierungsmodus anmeldete. Für die SVP stellte die Solidaritätsstiftung hingegen ein überstürzter und schlecht vorbereiteter Schritt dar, der zudem falsche Signale an das Ausland aussende und zu neuen Geldforderungen führen werde.

Als engagiertester Gegner dieser Solidaritätsstiftung profilierte sich der Zürcher Nationalrat Blocher (svp). Bereits eine Woche vor deren Ankündigung hatte er in einer Ansprache vor mehr als 1000 Personen seine Sicht der Dinge vorgetragen. Seiner Meinung nach habe die Schweiz als Staat in der damaligen Zeit keine Fehler begangen. Auch die Behörden hätten ihre Hauptaufgabe, die Wahrung der Unabhängigkeit und das Vermeiden der Verwicklung in Kriegshandlungen, erfüllt. Fehler seien zwar gemacht worden, aber nicht vom Staat und seinen Behörden, und schon gar nicht vom Volk als Ganzem, sondern von einzelnen Personen, von Banken und Unternehmen. Dieser historische Teil seiner Rede wurde auch von ihm kritisch gesinnten Medien als einigermassen akzeptabel gewürdigt. Unter heftigen Beschuss geriet er jedoch wegen Äusserungen, in denen er Parallelen zog zwischen der damaligen Bedrohung und der aktuellen Situation der Schweiz als von der Europäischen Union umschlossenes Land. Anlässlich der Mitte März von einer dringlichen Interpellation ausgelösten Debatte im Nationalrat kritisierte Blocher, dass die Solidaritätsstiftung als Wiedergutmachung für angebliche Fehler, welche die Schweiz während des 2. Weltkriegs begangen habe, konzipiert sei und auf jeden Fall im Ausland so interpretiert werde. Da der Staat und das Volk aber keine derartigen Fehler begangen haben, gebe es auch keinen Grund für Entschuldigungen und staatliche Wiedergutmachungszahlungen.

Rund zwei Wochen nach der Ankündigung durch Bundespräsident Koller hielt der Vorsteher des Finanzdepartementes, Bundesrat Villiger, im Nationalrat fest, dass zwar die Idee der Solidaritätsstiftung im Zusammenhang mit den Kritiken an der Schweiz wegen ihres Verhaltens während des Zweiten Weltkriegs entstanden ist. Diese Stiftung werde aber, im Gegensatz zu dem von den Banken initiierten humanitären Fonds, nicht damaligen Opfern helfen, sondern einen Beitrag zur Linderung von Not und zur Verhinderung von gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Gegenwart und in der Zukunft leisten. In ähnlicher Weise äusserte sich der Bundesrat auch in seiner Antwort auf eine am 3. März - also noch vor Kollers Rede - eingereichte und noch nicht abschliessend behandelte Motion Grendelmeier (ldu, ZH), welche eine spezielle Bundesstiftung für Holocaustopfer fordert.

Angesichts der emotionalen Bindung vieler Bürger an die Golddeckung des Frankens und den Risiken, die deshalb in einer Volksabstimmung drohen, beantragte Nationalrat Stucky (fdp, ZG) später ein anderes Finanzierungsmodell. Er schlug im Rahmen der Revision einiger Anlagebestimmungen im Nationalbankgesetz vor, den davon erwarten Zusatzertrag der Nationalbank von rund 400 Mio Fr. pro Jahr für die vom Fonds vorgesehenen Zwecke zu verwenden. Angesichts der ablehnenden Haltung sowohl von Bundesrat Villiger als auch seiner eigenen Fraktion zog er seinen Antrag zurück.

Mitte April lancierte die von Blocher präsidierte Zürcher SVP eine Inserat- und Plakataktion, in welcher die Solidaritätsstiftung als Erpressung bekämpft wurde. Der Präsident der nationalen SVP, Nationalrat Maurer(ZH), hatte sich zuerst grundsätzlich mit der Stiftung einverstanden erklärt. Im Juni kündigte er dann aber an, dass seine Partei diese in der geplanten Form bekämpfen werde. Als Alternative für die Finanzierung über eine Bewirtschaftung eines Teils der Goldreserven schlug die SVP eine Sammlung in der Bevölkerung vor. Ende Juni kündigte Blocher - eingerahmt von heftigen Verbalattacken gegen andere Politiker, Medien- und Kulturschaffende - die Schaffung einer eigenen humanitären Stiftung an, welche vor allem aus grossen Beiträgen von vermögenden Personen gespiesen werden soll. Er erklärte sich bereit, dort eine Million einzubezahlen, wenn sich 200 bis 500 weitere Personen mit ähnlichen Beiträgen daran beteiligen würden. Nachdem das Echo beim angesprochenen Personenkreis unbefriedigend ausgefallen war, eröffnete er die Stiftung mit der von ihm versprochenen Million und rief in Inseraten zu weiteren Spenden auf.

Noch im Frühjahr setzte der Bundesrat zwei von den alt Nationalräten Bremi (fdp, ZH) und Fehr (sp, BE) präsidierte Arbeitsgruppen ein, welche Ende Oktober dem Bundesrat ein konkretes Konzept für die geplante Solidaritätsstiftung vorlegten. Dieses sieht vor, dass das Hauptziel dieser «Stiftung solidarische Schweiz» genannten Institution in der Verbesserung der Zukunftschancen für von Armut oder Gewalt bedrohte Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche, bestehen soll. Unterstützt werden sollen aber nicht Individuen mit Einzelbeiträgen, sondern zu rund 90 Prozent Projekte mit Langzeitwirkung und zu 10 Prozent Institutionen bei Sofortaktionen. Die jährlich zur Verfügung stehenden rund CHF 300 Mio. sollen je hälftig für Projekte im In– und Ausland verwendet werden. Die den Bundesrat in Wirtschaftsfragen beratende Kommission für Konjunkturfragen hielt in einer Stellungnahme fest, dass von einer Höherbewertung der Goldreserven und ihrem teilweisen Verkauf keine negativen Auswirkungen auf die schweizerische Geld– und Währungspolitik zu erwarten seien. Im September wurde ein Komitee zur Unterstützung der Idee der Solidaritätsstiftung gegründet, dem unter anderem Politiker und Politikerinnen aller vier Bundesratsparteien angehören. Im Anschluss an die Präsentation des Stiftungskonzepts Ende Oktober signalisierten SP, FDP, CVP und Grüne ihre Zustimmung, während die SVP skeptisch blieb. Massive Kritik an dem vorgestellten Konzept äusserten hingegen Vertreter diverser internationaler jüdischer Organisationen, da dieses nicht explizit finanzielle Leistungen für Überlebende des Holocaust vorsehe.

Mitte Juni gab der Bundesrat sein Projekt für die Schaffung der im Vorjahr angekündigten Solidaritätsstiftung in die Vernehmlassung. Zum Stiftungszweck hielt er an den 1997 von ihm und der Konzeptgruppe ausgearbeiteten allgemeinen Grundsätzen fest. Im vorgelegten Gesetzesentwurf verzichtete er auf die detaillierte Angabe der einzelnen zu unterstützenden Projekte, da diese Konkretisierung eine Aufgabe des Stiftungsrats sein werde. Er betonte aber nochmals, dass dies kein Fonds zur Zahlung von Beiträgen an Holocaustopfer sein werde, da von diesem nur Projekte, nicht aber Einzelpersonen profitieren könnten. Die Finanzierung soll über die Bewirtschaftung eines Teils (500 der rund 1300 Tonnen) der für die Währungspolitik nicht mehr benötigten Goldreserven der Nationalbank geschehen. Dies würde beim aktuellen Goldpreis einem Stiftungskapital von rund 7 Mia Fr. entsprechen. Die SVP lehnte diese Pläne kategorisch ab und verlangte, das Geld zugunsten der AHV zu verwenden; diese Position wurde auch vom Schweizerischen Gewerbeverband geteilt. Gegen die Stiftung sprachen sich auch die Schweizer Demokraten, die Freiheitspartei und die EDU aus. Die FDP, die CVP und die LP stellten sich grundsätzlich hinter die Solidaritätsstiftung, verlangten aber wie auch der Gewerkschaftsbund und der Vorort eine Konkretisierung der Aufgaben im Gesetz. FDP und CVP vertraten die Ansicht, dass sich die Stiftung auf die Unterstützung von Projekten für Kinder und Jugendliche konzentrieren solle. Die SP, die Grünen und die Hilfswerke, welche die Stiftung ebenfalls guthiessen, begrüssten hingegen die Offenheit bei der Formulierung der möglichen Aufgaben.

Die Errichtung der 1997 vom Bundesrat angekündigten Solidaritätsstiftung kam im Berichtsjahr nicht voran. Die Absicht des Bundesrates, mit einem neuen Währungsartikel eine rechtliche Grundlage für die geplante Sonderverwendung von nicht mehr benötigten Währungsreserven der Nationalbank zu schaffen, scheiterte im Nationalrat an einer unheiligen Allianz zwischen der Linken und der SVP. Die SVP begründete ihren Widerstand mit der Ablehnung der Solidaritätsstiftung, die Linke bekämpfte das im Artikel neu formulierte Ziel der Notenbankpolitik. Der Bundesrat kündigte anschliessend an, dass er bis Ende Jahr abklären wolle, welche anderen Möglichkeiten zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Verwendung dieser Geldmittel bestehen würden. Kurz nach diesem Entscheid lancierte die SVP, die sich seit je gegen die Errichtung der Solidaritätsstiftung ausgesprochen hatte, die im Vorjahr angekündigte Volksinitiative, welche verlangt, dass sämtliche nicht mehr benötigten Goldreserven und deren Erträge in den AHV-Fonds zu fliessen haben.

Die Auseinandersetzung über die Frage, ob mit dem Erlös aus dem Verkauf der nicht mehr benötigten Goldbestände der Nationalbank (SNB) eine Solidaritätsstiftung gegründet werden soll, fand im Berichtsjahr ihren Abschluss. Volk und Stände lehnten die von Bundesrat und Parlament vorgeschlagene Drittelslösung (je ein Drittel der Erträge eines aus den Goldverkäufen alimentierten Fonds an eine Solidaritätsstiftung, an die AHV und an die Kantone) in einer Volksabstimmung ab. Sie sprachen sich aber auch gegen die von der SVP mit einer Volksinitiative geforderte Zuweisung der gesamten Verkaufserträge an die AHV aus.