Revision des Gesetzes über die technischen Handelshemmnisse - Cassis-de-Dijon-Prinzip

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In seiner Antwort auf eine Interpellation Bührer (fdp, SH) erklärte der Bundesrat im Mai, dass er sich vom Cassis-de-Dijon-Prinzip grundsätzlich eine Belebung des Wettbewerbs und Preissenkungen verspreche. Da das Schutzniveau in Bezug auf gesundheitliche Gefahren in den EU-Staaten seiner Ansicht nach ausreichend hoch sei, werde er einen Vorschlag für die – unter Umständen einseitige – Einführung dieses Prinzips für Güter aus der EU vorlegen. In einem im Herbst veröffentlichten Bericht bekräftigte der Bundesrat seine Haltung. Da der Abschluss eines diesbezüglichen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Abkommens mit der EU nicht realistisch sei, wolle er eine partielle, einseitige Anwendung des Casis-de-Dijon-Prinzips für Importe aus der EU anstreben. Durch eine Revision des Gesetzes über die technischen Handelshemmnisse soll dieses Prinzip insbesondere dort Anwendung finden, wo – wie etwa bei den Lebensmitteln – die Vorschriften auch in der EU nicht vollständig harmonisiert sind. Um die Benachteiligung einheimischer Produzenten zu vermeiden, möchte der Bundesrat allerdings grundsätzlich an seiner bisherigen Strategie einer bestmöglichen Harmonisierung der Produktevorschriften mit der EU und der vertraglichen Zusicherung der gegenseitigen Anerkennung festhalten.

Dossier: Cassis-de-Dijon-Prinzip

Die Einführung des so genannten Cassis-de-Dijon-Prinzips (d.h. die volle Anerkennung der Zulassungsprüfungen und Deklarationsvorschriften anderer Länder, auch wenn deren Bestimmungen von den landeseigenen abweichen) im Warenverkehr mit der EU wurde weiterhin gefordert. Angesichts der Widerstände in der EU, ein entsprechendes gegenseitiges Abkommen mit der Schweiz abzuschliessen, machte sich namentlich die FDP stark für eine einseitige Einführung durch die Schweiz. Der Nationalrat überwies wie im Vorjahr der Ständerat die Motion Hess (fdp, OW; 04.3473) für die einseitige Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips für Importe aus der EU, falls mit der EU keine Einigung zustande kommt. Auch die Wettbewerbskommission stellte sich hinter diese Forderung. Ein Teil der Wirtschaft und einige Politiker befürchten allerdings Nachteile für die einheimischen Produzenten, wenn sich diese weiterhin an die schweizerischen Vorschriften aus den Bereichen des Umweltschutzes oder der Konsumenteninformation halten müssen, die Importgüter aber davon befreit sind. So müssen etwa in der Schweiz obligatorische Warnhinweise auf Konsumgütern in den drei Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch angebracht sein, gemäss dem Cassis-de-Dijon-Prinzip könnten aber auch Güter mit bloss einsprachiger Warnbeschriftung importiert werden. In einer verwaltungsinternen Vernehmlassung verlangten Bundesstellen zuerst etwa 130 und in einer zweiten Runde dann noch gut 100 Ausnahmen. Der Nationalrat überwies ein Postulat Baumann (svp, TG; 06.3151), welches vom Bundesrat eine Liste mit allen von der schweizerischen Norm abweichenden EU-Regeln für den Verkauf von Konsumgütern fordert. Im Herbst gab Bundesrätin Leuthard bekannt, dass sie eine Revision des Gesetzes über technische Handelshemmnisse eingeleitet habe, und gegen Jahresende wurde ein Vorentwurf dazu in die Vernehmlassung gegeben. Dieser sieht einerseits als Schutzmassnahmen bei der Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips vor, dass sich inländische Hersteller, die auch für den Export in einen EU-Staat produzieren, in Zukunft für den Verkauf in der Schweiz an den Vorschriften dieses Landes orientieren dürfen. Andererseits sollen einige wenige umwelt- oder gesundheitspolitisch begründete Ausnahmen vom Cassis-de-Dijon-Prinzips gelten.

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Die Vorsteherin des Volkswirtschaftsdepartements, Doris Leuthard, trieb die Vorarbeiten für die Einführung des so genannten Cassis-de-Dijon-Prinzips für Waren aus der EU (d.h. die volle Anerkennung der Zulassungsprüfungen und Deklarationsvorschriften ihrer Herkunftsländer, auch wenn deren Bestimmungen von den schweizerischen abweichen) weiter voran. Gegen Jahresende gab der Bundesrat die Liste der Ausnahmen bekannt, bei denen er von diesem Prinzip der freien Einfuhr abweichen möchte. Insgesamt sind es nicht wie zuerst von der Verwaltung gefordert 128, sondern nur noch 18. Sie betreffen Bereiche, wo das Interesse am Schutz der Umwelt oder der Gesundheit als prioritär eingestuft wurde. So etwa bei den Warnungen vor gesundheitlichen Risiken auf den Zigarettenpäckchen, oder der Kennzeichnung von Eiern, die von Hühnern aus der in der Schweiz nicht erlaubten Käfighaltung stammen. Da diese Hinweise aber nicht mehr in zwei sondern nur noch in einer Amtssprache angegeben werden müssen, würde der Import auch bei diesen Ausnahmen massiv vereinfacht. Ob konsequenterweise auch auf die von Konsumenten und Landwirten verteidigte Herkunftsdeklaration verzichtet werden soll, liess der Bundesrat noch offen.

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Im Sommer veröffentlichte der Bundesrat die Botschaft für die Einführung des so genannten Cassis-de-Dijon-Prinzips für Importe aus der EU. Mit einer Teilrevision des Bundesgesetzes über technische Handelshemmnisse soll die Schweiz autonom, d.h. ohne entsprechendes Gegenrecht durch die EU, Zulassungsprüfungen und Deklarationsvorschriften der Herkunftsländer von Produkten auch dann vollständig anerkennen, wenn deren Bestimmungen von den schweizerischen abweichen. Ziel der Vorlage ist es, den Wettbewerb im schweizerischen Detailhandel zu stärken und damit das im europäischen Vergleich hohe Preisniveau zu senken. Um eine Benachteiligung von inländischen Produzenten zu verhindern, sollen auch diese ihre Waren in der Schweiz verkaufen dürfen, wenn sie bloss den Normen eines EU-Staates, nicht aber den schweizerischen genügen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese Firmen die entsprechenden Güter effektiv auch in einem EU-Staat in den Verkauf bringen. Für Lebensmittelimporte schlug der Bundesrat zudem eine Sonderregelung vor, wie sie auch Deutschland kennt. Neben der Zulassung in der EU oder einem ihrer Mitgliedsstaaten soll zusätzlich eine Bewilligung durch das Bundesamt für Gesundheit verlangt werden. Diese wird dann erteilt, wenn das Produkt die Sicherheit und Gesundheit der Konsumenten nicht gefährdet und bestimmte Minimalanforderungen bezüglich der Produktinformation erfüllt. Die in der Vernehmlassung vorgebrachte Forderung, auch ausländische Zulassungsprüfungen, wie sie insbesondere bei Arzneimitteln vorgeschrieben sind, anzuerkennen, fand beim Bundesrat keine Unterstützung. Immerhin plant er in diesem Bereich eine Vereinfachung des schweizerischen Zulassungsverfahrens. Wie dies von Konsumenten und Landwirten verlangt wurde, muss auch weiterhin die Herkunft von Rohstoffen und Lebensmitteln deklariert werden. Für die Produktinformation reicht gemäss dem Vorschlag des Bundesrates die Beschriftung in einer der drei Amtssprachen. Einzig Warn- und Sicherheitsangaben müssen zwingend auch in Zukunft in der Sprache des Verkaufsorts verfasst sein.

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Der Ständerat befasste sich als erster mit der im Vorjahr vom Bundesrat vorgeschlagenen Einführung des so genannten Cassis-de-Dijon-Prinzips für Importe aus der EU. Es gab im Rat keine grundsätzliche Opposition. In der Detailberatung brachte er noch einige von seiner Kommission vorgeschlagene und auch vom Bundesrat unterstützte Änderungen an. Er verabschiedete das Gesetz über die technischen Handelshemmnisse einstimmig (bei fünf Enthaltungen) und hiess auch das Produktesicherheitsgesetz ohne Gegenstimme gut.

Im Nationalrat gab es sowohl von der SVP als auch von den Grünen Widerstand gegen das Projekt. Ihre gegenseitig unterstützten Nichteintretens- und Rückweisungsanträge scheiterten mit 98 zu 77 resp. 98 zu 78 Stimmen. Für die Grünen stand dabei das Unterlaufen von strengeren schweizerischen Normen, beispielsweise im Umweltschutz, im Vordergrund, bei der SVP die allfällige Benachteiligung schweizerischer Unternehmen. Gemeinsam war beiden die Kritik an der Einseitigkeit der Marktöffnung: Wenn schweizerische Produzenten schon kein entsprechendes Gegenrecht in der EU in Anspruch nehmen können, hätten von der EU zumindest Gegenleistungen in Verhandlungen zu anderen wirtschaftspolitischen Bereichen verlangt werden können. Die vorberatende Kommission hatte allerdings den Bedenken bezüglich Inländerdiskriminierung bereits Rechnung getragen und einen entsprechenden Antrag Baader (svp, BL) angenommen. Zur Verteidigung der Einseitigkeit der Importliberalisierung gab Kommissionssprecher Theiler (fdp, LU) zu bedenken, dass es illusorisch wäre zu glauben, die EU wäre bereit, schweizerische Sicherheitsvorschriften zu anerkennen, wenn diese von EU-Normen abweichen. In der Detailberatung nahm der Nationalrat einen Antrag Scherer (svp, ZG) an, der verlangte, dass bei den Produkteinformationen auch das Herkunftsland angegeben werden muss. Das Produktesicherheitsgesetz nahm der Rat gegen den Widerstand der SVP an.

In der Differenzbereinigung beschloss der Ständerat, dass nur bei Lebensmitteln und Rohstoffen das Herkunftsland angegeben werden muss, hingegen nicht bei verarbeiteten Gütern, wo dieses Kriterium wesentlich komplexer zu handhaben ist. Die grosse Kammer schloss sich dieser Variante an. In der Schlussabstimmung hiess der Ständerat das Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse mit 40 zu 2 Stimmen gut. Im Nationalrat fiel das Ergebnis mit 101 zu 82 Stimmen knapper aus; die SVP hatte geschlossen (bei einer Enthaltung) und die Grünen fast geschlossen (eine Enthaltung und zwei Ja-Stimmen) dagegen votiert. Beim Produktesicherheitsgesetz war im Nationalrat nur die SVP dagegen; der Ständerat war einstimmig dafür. Eine kleine Gruppierung von Landwirten aus der Westschweiz lancierte das Referendum gegen das Gesetz über die technischen Handelshemmnisse. Obwohl sie von der SVP, der GP, den SD, der PdA und der Jungen SVP unterstützt wurden, brachten sie mit rund 46 000 nicht genügend Unterschriften zusammen.

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Das Cassis-de-Dijon-Prinzip, das die Schweiz mit der Revision des Gesetzes über die technischen Handelshemmnisse (THG) mit einseitiger Wirkung eingeführt hatte, blieb auch nach seinem Inkrafttreten Anfang Juli v.a. im Lebensmittelbereich politisch umstritten. SVP- und Landwirtschaftsvertreter im Nationalrat wollten der befürchteten Nivellierung der Lebensmittelqualität nach unten die gesetzliche Grundlage entziehen. Nach dem gescheiterten Referendum gegen das Gesetz und der vergeblichen Opposition gegen die Verordnung zum revidierten THG Ende 2009, verlangten Erich von Siebenthal (svp, BE) und 39 Mitunterzeichnende der SVP und der Lega dei Ticinesi im Dezember 2010 in einer Motion die Streichung des Cassis-de-Dijon-Prinzips aus dem THG. Gleichzeitig lancierte Jacques Bourgeois (fdp, FR) eine Parlamentarische Initiative, welche die Streichung der Lebensmittel aus dem THG forderte und quer durch alle Parteien 86 Mitunterzeichnende fand. Beide Geschäfte standen Ende 2010 noch zur Behandlung im Plenum an. Bis Ende des Jahres hatte das Bundesamt für Gesundheit gemäss einer ersten Zwischenbilanz 21 Gesuche für den Import von Lebensmitteln nach dem Cassis-de-Dijon-Prinzip gutgeheissen und deren 14 abgelehnt. Gegen sechs Entscheide waren beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerden hängig.

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