Der Bundesrat beschloss, die im Vorjahr vom Parlament beschlossene und mit einem Referendum bekämpfte Fristenregelung und die Volksinitiative „Für Mutter und Kind“, die ein rigides Abtreibungsverbot in der Verfassung verankern wollte, gemeinsam und ohne weitere Vorlagen am 2. Juni dem Volk vorzulegen. Mit Ausnahme der EDU lehnten alle Parteien die Volksinitiative ab. Während SP und FDP die Fristenregelung aber geschlossen unterstützten, zeigten sich CVP und SVP gespalten. In beiden Parteien wurde die Fristenregelung von den mehrheitlich männlichen Delegiertenversammlungen abgelehnt, während sowohl die CVP- wie die SVP-Frauen ihr zustimmten. 10 Kantonalsektionen der SVP und sechs der CVP beschlossen die Ja-Parole. Ebenfalls uneinig zeigten sich die Landeskirchen: der Evangelische Kirchenbund (SEK) lehnte die Initiative ab und stimmte der Fristenregelung zu, die katholische Bischofskonferenz (SBK) sprach sich klar gegen die Fristenregelung aus, gab aber keine Empfehlung zur Initiative ab.
Das Abstimmungsergebnis fiel deutlicher aus als erwartet. Mit fast 82% Nein-Stimmen wurde die Initiative förmlich abgeschmettert, und zwar in allen Kantonen. Mit knapp über 30% Ja-Stimmen erzielte sie höchstens im Wallis so etwas wie einen Achtungserfolg. Auch die Kantone Uri, Appenzell Innerrhoden, Obwalden und Schwyz, die 1985 der ähnlichen Initiative „Ja zum Leben“ zugestimmt hatten, lehnten sie mit Nein-Stimmen-Anteilen zwischen 70 und 75% deutlich ab. Positiver als angenommen fiel das Resultat bei der Fristenregelung aus, die mit über 72% Ja-Stimmen gutgeheissen wurde. Im Vergleich zur Abstimmung über die erste „Fristenlösungsinitiative“ (1977) zeigten sich einerseits Parallelen, andererseits manifestierte sich aber auch ein bedeutender gesellschaftlicher Wandel. Jene Kantone, die bereits 25 Jahre zuvor einer Liberalisierung zugestimmt hatten, gehörten auch jetzt zu denen mit den höchsten Ja-Anteilen: Genf (87,8%), Waadt (85%), Neuenburg (85,4%), Basel-Stadt (81,8%), Basel-Landschaft (79,8%), Zürich (77,5%) und Bern (73,5). Am deutlichsten hatten seinerzeit die Innerschweiz und alle katholischen Stände die Initiative verworfen. Davon blieben jetzt nur gerade zwei Kantone übrig (Appenzell Innerrhoden und Wallis). Damit fand der Wandel vor allem in den katholischen Gebieten statt.
Abstimmung vom 2. Juni 2002
Volksinitiative „für Mutter und Kind – für den Schutz des ungeborenen Kindes und für die Hilfe an seine Mutter in Not“
Beteiligung: 41,7%
Ja: 1 578 870 (18,2%) / 0 Stände
Nein: 352 432 (81,8%) / 20 6/2 Stände
Parolen:
– Ja: EDU
– Nein: FDP, SP, CVP, SVP (3*), GP, LP, PdA, CSP; SGB; SEK
– Stimmfreigabe: EVP, SD
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (Schwangerschaftsabbruch)
Beteiligung: 41,8%
Ja: 1 399 545 (72,2 %)
Nein: 540 105 (27,8%) /
Parolen:
– Ja: FDP, SP, GP, LP, PdA, CSP; SGB; SEK
– Nein: CVP (6*), SVP (11*), EVP, EDU; SBK
– Stimmfreigabe: SD
*In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Vox-Analyse der Abstimmung zeigte, dass nicht so sehr die CVP, wie am Abend der Abstimmung immer wieder gesagt, als vielmehr die nationale SVP von ihrer Basis im Stich gelassen wurde. Nur gerade 41% der SVP-Sympathisanten lehnten die Fristenregelung ab, während es bei der CVP immerhin fast zwei Drittel waren. Wenig schmeichelhaft für die CVP-Spitze war aber, dass trotz der Parole vom doppelten Nein 34% ihrer Anhänger der Volksinitiative zustimmten. Diese beiden Feststellungen wurden dahingehend interpretiert, dass das „katholisch-konservative Element“ an der CVP-Basis nach wie vor sehr stark zu sein scheint, auch wenn sich der Abstand zwischen Katholiken und Protestanten gegenüber 1977 verringert hat. Keine signifikanten Unterschiede im Stimmverhalten wurden zwischen den Landesteilen und bei den Merkmalen, Alter und Siedlungsart ausgemacht. Hingegen zeichnete sich eine deutliche Kluft zwischen Stimmenden ab, die sehr religiös sind, und denjenigen, die es weniger oder gar nicht sind. Erstere waren übrigens die einzige sozio-demographische Gruppe, welche die Fristenregelung ablehnte (70% Nein, bei gleichzeitig 63% Ja zur Initiative).
Bundesrätin Metzler nahm den Ausgang des Urnengangs sichtlich zufrieden zur Kenntnis, betonte aber, das klare Ja dürfe nicht als Banalisierung des Schwangerschaftsabbruchs interpretiert werden. Sie erachte das Ja vielmehr als Zustimmung zu einem Weg, dessen wesentliche Elemente die Prävention, Aufklärung und die Unterstützung von Frauen in Notlagen sind. Noch am Abstimmungssonntag rief sie in einem von Bundesrätin Dreifuss mitunterzeichneten Brief die Kantone dazu auf, die verschiedenen Präventions- und Anlaufstellen weiter und wenn möglich stärker zu unterstützen. Die Fristenregelung trat auf den 1. Oktober in Kraft, doch konnten nicht alle Kantone rechtzeitig die notwenigen Vollzugsmassnahmen treffen (Bezeichnung der Spitäler und Praxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden dürfen).