Besserer Schutz für ausländische Opfer von häuslicher Gewalt (Pa.Iv. 21.504)

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Mit 21 zu 2 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) beschloss die SPK-NR im November 2021, eine parlamentarische Initiative einzureichen mit dem Ziel, ausländische Opfer von häuslicher Gewalt besser zu schützen. Nach Auflösung der Ehe- oder Familiengemeinschaft haben Opfer von häuslicher Gewalt auch bei Nichterfüllen anderer Kriterien bereits heute Anrecht auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Konkret soll mittels Änderung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG) nun erreicht werden, dass es für betroffene Personen einfacher wird, den Nachweis zu erbringen, dass sie Opfer häuslicher Gewalt sind. Die geplante Gesetzesanpassung soll somit bewirken, dass Personen nicht aus Angst vor Verlust der Aufenthaltsbewilligung beim gewalttätigen Ehepartner bleiben, nur weil sie den Nachweis von häuslicher Gewalt nicht erbringen können. Mit 8 zu 3 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) gab die SPK-SR der Initiative im Januar 2022 ebenfalls Folge.

Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Im Oktober 2023 präsentierte die SPK-NR in Umsetzung einer eigenen parlamentarischen Initiative ihren Entwurf zur Anpassung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG), mit dem ausländische Opfer von häuslicher Gewalt ausländerrechtlich besser geschützt werden sollen. Um zu verhindern, dass Opfer gewalttätige Beziehungen aufrechterhalten, weil sie die Wegweisung aus der Schweiz fürchten, beantragte die Kommission eine Änderung von Artikel 50 des AIG zur Auflösung der Familiengemeinschaft. Dadurch sollte die bereits bestehende Härtefallregelung, die die Erteilung oder Verlängerung der bisherigen Aufenthaltsbewilligung auch nach der Trennung möglich macht, auf alle von häuslicher Gewalt betroffenen Ausländerinnen und Ausländer ausgedehnt werden. Bis anhin konnten nur ausländische Familienangehörige von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern sowie Personen mit einer Niederlassungsbewilligung von dieser Härtefallregel profitieren. Darüber hinaus sollen neu auch nicht verheiratete Paare mitgemeint sein, sofern sie im Konkubinat oder in einer eingetragenen Partnerschaft leben, ebenso wie die Kinder dieser Personen. Nicht zuletzt soll es auch leichter werden, den Nachweis für das Vorliegen von häuslicher Gewalt zu erbringen, was auch durch eine verstärkte Kohärenz mit dem Opferhilfegesetz gelingen soll.

In der Vernehmlassung war der Entwurf von einem Grossteil der 143 Teilnehmenden befürwortet worden. Viele interessierte Kreise – darunter etwa Amnesty International, verschiedene Hilfswerke und etliche Frauenhäuser – hoben hervor, dass die Gesetzesanpassung mehr Rechtsgleichheit für Gewaltbetroffene sowie einen besseren Opferschutz bringen würde. Etliche Vernehmlassungsteilnehmende betonten ferner, dass das von der Schweiz ratifizierte Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) damit besser eingehalten werden könnte. Sollte die Gesetzesänderung vom Parlament angenommen werden, könnte folglich ein von der Schweiz angebrachter Vorbehalt zur Istanbul-Konvention geprüft und gegebenenfalls gestrichen werden. Die meisten Kantone sowie fünf von sechs stellungnehmenden Parteien (SP, Grüne, EVP, Mitte und FDP) begrüssten den Vorentwurf; einige stellten sich jedoch gegen einzelne Bestandteile daraus. Acht Kantone (AI, AR, BE, NW, OW, SO, TI, ZG) sowie die VKM lehnten es generell ab, dass die Härtefallregelung auch neue Rechtsansprüche schaffe für Personen, die zuvor keinen eigenständigen Rechtsanspruch auf eine ausländerrechtliche Bewilligung hatten, da ihre Bewilligung ursprünglich mittels Ermessensentscheid im Rahmen des Familiennachzugs erteilt worden war. Wenn aus Ermessen in diesen Fällen ein Anspruch würde, widerspräche dies gemäss Vernehmlassungsbericht «der Logik und der Systematik des Ausländerrechts, wonach der nachziehende Ehegatte dem nachgezogenen Gatten nicht mehr Rechte verschaffen könne, als er selbst besitzt». Die Kantone Freiburg und Neuenburg stellten sich nicht generell gegen die Schaffung neuer Rechtsansprüche, sondern lediglich gegen diejenigen bei der Erteilung von Kurzaufenthaltsbewilligungen an Personen, deren Ehegatte über eine Kurzaufenthaltsbewilligung verfügt. Elf Kantone (AG, AI, AR, BE, BS, FR, OW, SO, TG, TI, ZG), die VKM und die FDP störten sich ferner an der Bestimmung, dass die Integrationskriterien bis drei Jahre nach Erteilen der eigenständigen Aufenthaltsbewilligung gemäss Revision des Artikels 50 keinen Einfluss auf die Verlängerung der Bewilligung haben sollen. Die Kommission wollte mit ebendieser Regelung der schwierigen Situation, in der sich die betroffenen Personen befinden, Rechnung tragen. Auch wenn die Integrationskriterien während dieses Zeitraums nicht entscheidungsrelevant seien, sollen sie dennoch geprüft und die Integration bei Bedarf gefördert werden, so die Kommission. Von den sechs stellungnehmenden Parteien stellte sich lediglich die SVP gegen den Entwurf. Sie argumentierte, dass eine Gesetzesrevision aufgrund der bestehenden Rechtsprechung und Verwaltungspraxis weitgehend überflüssig sei. Eine Gesetzesanpassung wie die vorgesehene berge zudem Missbrauchspotential, so die SVP abschliessend.

Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Ende November 2023 zeigte sich der Bundesrat grundsätzlich positiv zum Kommissionsentwurf, der Opfer häuslicher Gewalt ohne Schweizer Pass durch Garantie der Härtefallpraxis im AIG besser schützen wollte. Einzig gegenüber der Einführung einer neuen Bestimmung, gemäss welcher die Integrationskriterien in solchen Fällen während drei Jahren keinen Einfluss auf die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung haben sollen, zeigte sich die Regierung skeptisch. Eine solche Regelung sei überflüssig, da ein bestehender Absatz eines Artikels im AIG bereits Ausnahmen für die Integrationskriterien aufgrund gewichtiger persönlicher Umstände vorsehe.

In der Wintersession 2023 beugte sich der Nationalrat als Erstrat über die Vorlage, zu der ein Nichteintretensantrag einer Minderheit Steinemann (svp, ZH) vorlag. Für die Kommission erläuterten Samira Marti (sp, BL) und Damien Cottier (fdp, NE) noch einmal die Hauptproblematik, die zur Erarbeitung der Vorlage geführt habe. In vielen Fällen häuslicher Gewalt sei der Aufenthaltsstatus des Opfers an denjenigen des Täters gebunden (etwa durch den Familiennachzug), sofern die Ehegemeinschaft nicht bereits mehr als drei Jahre bestünde oder die Opfer noch nicht ausreichend integriert seien. Falls dies nicht zutreffe, müssten die Opfer die ihnen angetane Gewalt im Rahmen eines Mitwirkungsverfahrens als systematisch und eine gewisse Intensität aufweisend nachweisen können, was sich oftmals als schwierig darstelle. Diese Situation führe gemäss Kommission dazu, dass betroffene Personen sich aus Angst vor Verlust des Aufenthaltsrechts nicht vom gewaltausübenden Lebenspartner trennen würden, weswegen der Opferschutz gestärkt werden müsse. Dies zeige auch der Umstand, dass die Schweiz die Istanbul-Konvention aus diesem Grund nur mit Vorbehalt hatte ratifizieren können, so Marti weiter. Gegen die Vorlage stellte sich eine Minderheit Steinemann. Ihr ging die Regelung viel zu weit und sie ortete darin Missbrauchspotential. Der Minderheitsantrag auf Nichteintreten fand jedoch über die geschlossen dafür einstehende SVP-Fraktion hinaus keine Fürsprecherinnen oder Fürsprecher, womit er mit 126 zu 65 Stimmen (1 Enthaltung) gegenüber dem Antrag der Kommissionsmehrheit auf Eintreten unterlag.

In der Detailberatung versuchten weitere durch Barbara Steinemann angeführte Minderheiten, die Vorlage abzuändern. So wollte eine Minderheit die Härtefallregelung nur für Personen einführen, die sich in einer Ehegemeinschaft befanden, während der Kommissionsentwurf eine solche auch für in eingetragener Partnerschaft oder im Konkubinat lebende Opfer häuslicher Gewalt, sowie im Falle der Gewaltausübung an den in der Familiengemeinschaft lebenden Kindern vorsah. Ferner beantragte eine weitere Minderheit Steinemann dem Bundesrat zu folgen und den Absatz zu den Integrationskriterien zu streichen. Im Rat blieben diese Minderheiten jedoch chancenlos, da sie ausserhalb der SVP-Fraktion nicht auf Unterstützung stiessen. Mit 100 zu 93 Stimmen (2 Enthaltungen) lediglich knapp abgelehnt wurde hingegen eine Minderheit Cottier, welche die Kriterien zur Feststellung häuslicher Gewalt etwas enger fassen wollte. Konkret forderte der Minderheitsantrag, dass die Inanspruchnahme einer notwendigen Beratung bei einer ausgewiesenen Fachstelle für häusliche Gewalt, sowie deren Auskünfte und Berichte, nicht als Indizien für das Vorliegen häuslicher Gewalt beigezogen werden dürften. Letztere Minderheit stiess zusätzlich zur SVP-Fraktion auch bei der gesamten FDP-Fraktion auf Zuspruch.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den unveränderten Entwurf unter Opposition der SVP-Fraktion mit 129 zu 65 Stimmen (1 Enthaltung) an, womit das Geschäft an den Ständerat ging.

Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

In der Frühjahrssession 2024 zeigte sich auch der zweitberatende Ständerat gewillt, für Opfer häuslicher Gewalt aus Drittstaaten bei der Frage des Aufenthalts die Härtefallpraxis zu garantieren. Damit solle verhindert werden, dass Opfer häuslicher Gewalt in gewaltsamen Beziehung verharren, da sie – zu einem grossen Teil Frauen – in gewissen Fällen bei der Auflösung einer Ehegemeinschaft mit einem gewaltausübenden Partner um den Verlust ihrer Aufenthaltsberechtigung fürchten müssten, sofern diese an das Aufenthaltsrecht des Partners gekoppelt ist. Mit 32 zu 8 Stimmen (keine Enthaltungen) stimmte der Ständerat dem Entwurf in der Gesamtabstimmung zu. In der Eintretensdebatte hatte sich die Grossmehrheit der Mitglieder der kleinen Kammer bereits gegen einen Minderheitsantrag Friedli (svp, SG) auf Nichteintreten und gegen einen Antrag Stark (svp, TG) auf Rückweisung der Vorlage an die Kommission ausgesprochen. Letzterer wollte die Kommission unter anderem dazu veranlassen zu prüfen, inwiefern diese neue Regelung Missbrauchspotential berge und was gegebenenfalls dagegen unternommen werden müsste.
In der Detailberatung stellte sich der Ständerat in zwei Punkten gegen seine Kommissionsmehrheit und schuf so zwei Differenzen zum Nationalrat: Erstens stimmte er mit 24 zu 16 Stimmen (1 Enthaltung) einem Einzelantrag Rieder (mitte, VS) zu, der die Bestätigung einer auf häusliche Gewalt spezialisierten Fachstelle nicht als möglichen Hinweis für das Vorliegen der häuslichen Gewalt zulassen wollte. Im Nationalrat war ein ähnlicher Antrag einer Minderheit Cottier (fdp, NE) knapp unterlegen. Die Minderheit Cottier wäre indes weniger weit gegangen als der Einzelantrag Rieder. Dieser will ganz auf den Einbezug von Fachstellen verzichten, während die Minderheit Cottier den Hinweis einer solchen Fachstelle zulassen wollte, sofern diese die Notwendigkeit der Betreuung oder Schutzgewährung für das Opfer häuslicher Gewalt hätte bestätigen können. In der ursprünglichen Version der SPK-NR hätte es auch gereicht, wenn die Fachstelle den Hinweis erbracht hätte, dass eine Beratung zu häuslicher Gewalt ohne weitere Interventionen notwendig gewesen sei. Zweitens entschied sich die kleine Kammer mit 24 zu 15 Stimmen (keine Enthaltungen) für die Unterstützung einer Minderheit Friedli, die dem Bundesrat folgen wollte und dafür plädierte, dass die Integrationskriterien auch in den ersten drei Jahren nach Erteilen der Härtefallbewilligung beigezogen werden müssen, um über die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu befinden. Im Nationalrat hatte ebendieser Antrag, vorgetragen durch eine Minderheit Steinemann (svp, ZH), über die Fraktionsgrenzen der SVP hinweg nicht überzeugen können. Der so abgeänderte Entwurf ging somit zur Differenzbereinigung zurück an den Nationalrat.

Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)