IVG-Revision zur Kofinanzierung der intensiven Frühintervention bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen (IFI; BRG 24.066)

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Ende August 2024 präsentierte der Bundesrat seine Botschaft zur Änderung des IVG hinsichtlich der Kostenbeteiligung der IV an der intensiven Frühintervention bei Autismus-Spektrum-Störungen. Die intensive Frühintervention (IFI) ist eine wissenschaftlich breit anerkannte und äusserst effektive Behandlungsmethode für frühkindlichen Autismus, die sich durch einen hohen zeitlichen Aufwand und eine interdisziplinäre Arbeitsweise ihrer Expertinnen und Experten aus Medizin und Pädagogik auszeichnet, erklärte der Bundesrat in seiner Botschaft. Diese interdisziplinäre Arbeitsweise in den Bereichen Medizin und Pädagogik führte jedoch in der Vergangenheit dazu, dass die Zuständigkeiten bei der Finanzierung einer Intervention nicht eindeutig geregelt waren, da innerhalb eines Therapieblocks medizinische und pädagogische Massnahmen schwer zu differenzieren sind, deren Kosten aber von unterschiedlichen Akteuren finanziert werden – Pädagogik von den Kantonen und Medizin von der IV. Deswegen war 2019 vom BSV ein Pilotversuch mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, «ein Modell für die IFI und ein Konzept für die Evaluation und Finanzierung der Interventionen zu entwickeln und zu konkretisieren». Der noch bis Ende 2026 laufende Pilotversuch hatte gezeigt, dass eine Mischfinanzierung zwischen Bund und Kantonen besonders effektiv sei, bei der die IV den Kantonen regelmässig Fallpauschalen entrichtet. Dieses Vorgehen soll nun mit der vorliegenden IVG-Revision gesetzlich verankert werden. Insgesamt werden Kosten von ungefähr CHF 60 Mio. pro Jahr erwartet, von denen die IV maximal 30 Prozent – also ca. CHF 18 Mio. pro Jahr – übernehmen soll. Die restlichen Kosten werden von den Kantonen getragen. Die Kantone sind verantwortlich für die Zusammenarbeit und die Bezahlung der Leistungserbringer der IFI.

Die Vernehmlassung hatte von Ende September bis Ende Dezember 2023 stattgefunden und es waren insgesamt 70 Stellungnahmen eingereicht worden. Der Grossteil der Vernehmlassungsteilnehmenden – darunter 24 Kantone sowie drei Parteien (Mitte, SP und Grüne) – hatte sich mehrheitlich damit einverstanden gezeigt, dass sich die IV durch regelmässige Fallpauschalen an die Kantone an den IFI-Kosten beteiligt. Gegen die Revision hatten sich die Kantone Aargau und Appenzell Innerrhoden ausgesprochen, die unter anderem die «eng umgrenzte Zielgruppe» oder den grossen Aufwand für kleinere Kantone bemängelt hatten, sowie der SGV, der die IV nicht noch mehr in Bedrängnis bringen wollte, da diese bereits finanziell angeschlagen sei. Einige Vernehmlassungsteilnehmende hatten die Befürchtung geäussert, dass es zu einer «Ungleichbehandlung» kommen könnte, wenn die betroffenen Kinder in einem Kanton wohnten, der keine Vereinbarung mit dem BSV abschliesse, wodurch sich das Therapieangebot verkleinere. Auf viel Kritik war die Kostenobergrenze der IV gestossen, die entweder zu tief sei oder grundsätzlich zwischen den Kantonen und dem Bund ausgehandelt werden müsse.

In der Wintersession 2024 nahm sich der Nationalrat als Ersrat der IVG-Änderung bezüglich der intensiven Frühintervention (IFI) bei Autismus-Spektrum-Störungen an, mit der die heute provisorische Finanzierung der IFI durch die IV und die Kantone gesetzlich verankert werden soll. Gemäss Mehrheitssprecher Islam Alijaj (sp, ZH) und Benjamin Roduit (mitte, VS) war die SGK-NR ohne Gegenantrag auf die Vorlage eingetreten und hatte sie in der Gesamtabstimmung mit 17 zu 8 Stimmen angenommen. Die IFI sei ein wissenschaftlich fundierter «Gamechanger hin zu mehr Chancengleichheit», zudem habe sich die geteilte Kostenübernahme zwischen IV und Kantonen im Pilotversuch bewährt, so Islam Alijaj. Stillschweigend trat die grosse Kammer auf den Entwurf ein.
In der Detailberatung debattierte die grosse Kammer über einen Änderungsantrag der Kommissionsmehrheit: Mit 13 zu 11 Stimmen hatte die Kommission einen Artikel präzisiert, der die Verantwortung des Bundesrats bei der Umsetzung der IFI regelt: Demnach soll der Bundesrat die konkreten Ausführungsbestimmungen der IFI vor ihrem Erlass von externen Expertinnen und Experten begutachten lassen. Eine Minderheit um Rémy Wyssmann (svp, SO) sprach sich gegen diese Präzisierung aus, da die Delegationsnorm in der «bundesrätliche[n] Vorlage [...] bereits bestimmt genug» sei. Der Zusatz zögere die Umsetzung unnötig hinaus und sei äusserst kostspielig, so Wyssmann. Auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider sprach sich gegen die Anpassung der Kommissionsmehrheit aus: Wo es die Umsetzung erfordere, arbeite der Bundesrat bereits heute mit Expertinnen und Experten zusammen. Eine grundsätzliche Konsultation sei aber nicht zweckmässig. Die Minderheit Wyssmann blieb in der Folge chancenlos: Sie fand lediglich bei der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und einzelnen Mitgliedern der Mitte- und der FDP-Fraktion Zustimmung; der Nationalrat folgte mit 122 zu 63 Stimmen der Kommissionsmehrheit.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat den Entwurf mit 130 zu 54 Stimmen gut, wobei die überwiegende Mehrheit der SVP-Fraktion den Entwurf ablehnte.

In der Frühjahrssession 2025 befasste sich der Ständerat als Zweitrat mit dem Entwurf des Bundesrates zur IVG-Anpassung, durch welche die heute provisorische Kofinanzierung der intensiven Frühintervention (IFI) bei Autismus-Spektrum-Störungen durch die IV und die Kantone gesetzlich verankert werden soll. Kommissionssprecher Damian Müller (fdp, LU) führte in der kleinen Kammer aus, dass die Kommission einstimmig auf den Entwurf eingetreten sei und den bundesrätlichen Entwurf in der Detailberatung – im Gegensatz zum Nationalrat – ohne Anpassungsvorschläge unterstützt habe. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider habe der Kommission versichert, dass für die konkreten Ausführungsbestimmungen der IFI «Fachexpertinnen und Fachexperten sowieso einbezogen würden», womit der vom Nationalrat ergänzte Passus, der ebendies verlangte, obsolet geworden sei, so Damian Müller. Der Ständerat trat diskussionslos auf den Entwurf ein und nahm diesen anschliessend in der Gesamtabstimmung einstimmig unverändert an, womit er eine Differenz zum Nationalrat schuf.

Noch in der gleichen Session bereinigte der Nationalrat die Differenz: Benjamin Roduit (mitte, VS) erläuterte im Namen der Kommission gegenüber der grossen Kammer, dass sich auch die SGK-NR mit der Erklärung, dass Expertinnen und Experten auch ohne entsprechenden Passus im Gesetz bei der Ausarbeitung des Gesetzes ausreichend konsultiert würden, zufrieden gebe und folglich der ständerätlichen Version beipflichten will. Stillschweigend folgte der Nationalrat diesem Antrag.

In den Schlussabstimmungen am Ende der Frühjahrssession 2025 nahmen beide Kammern den Entwurf zur gesetzlichen Verankerung der Finanzierung der IFI bei Autismus-Spektrum-Störungen an, der Ständerat einstimmig und der Nationalrat mit 128 zu 58 Stimmen (5 Enthaltungen), wobei die Mitglieder der SVP-Fraktion beinahe geschlossen für Ablehnung votierten.