Grundlagen der Staatsordnung
Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
Diminution de l'intérêt à discuter des fondements de la vie publique — La non-réélection du conseiller aux Etats Dillier soulève des problèmes liés à la démocratie directe — La révision totale de la Constitution progresse moins vite que prévue— Plusieurs cantons travaillent à la révision totale de leur constitution — Les préparatifs en vue de la commémoration des 700 ans de la Confédération en 1991 et de l'Exposition nationale en Suisse centrale se poursuivent — La célébration des événements historiques touche peu la conscience populaire.
Hatten in den Vorjahren Jugendunruhen und andere Störungen fast von selber zu Diskussionen über Grundfragen des öffentlichen Lebens geführt, so traten 1982 solche geistige Auseinandersetzungen eher etwas zurück. Vielleicht beanspruchten praktische Aufgaben wie die Suche von Massnahmen gegen die wirtschaftliche Rezession manche Betroffene stärker als bisher und dämpften zugleich ihre Lust nach Debatten über Langfristiges und Prinzipielles. Das Echo blieb denn auch verhältnismässig gering, als vier Autoren in einem Buch «Mehr Demokratie im Föderalismus» forderten und Neuerungen vorschlugen, mit denen sie die Möglichkeiten für Mitsprache und Mitentscheid in der eigentlichen Politik ebenso verbessern wollten wie in Planung, Wirtschaft und Bldung
[1].
Weniger reformfreudige Kreise verwiesen dagegen zum Beispiel auf die Landsgemeinde in Sarnen, die zeige, dass der Bürger durchaus zum Zuge komme. Hier verweigerten nämlich die Obwaldner dem Präsidenten des Ständerates, Jost Dillier (cvp), eine Wiederwahl als Vertreter ihres Halbkantons in Bem. Darob entstand einesteils eine gewisse Betroffenheit mit Andeutungen über die Undankbarkeit des Souveräns, der die harte Arbeit von Spitzenpolitikern nicht gebührend würdige. Doch überwog in den Kommentaren ein gewisser Stolz darauf, dass die direkte Demokratie anscheinend immer noch funktioniere und selbst vor «Grossen» nicht Halt mache
[2].
Totalrevision der Bundesverfassung
Im Frühling sah es aus, als komme die Totalrevision der Bundesverfassung 1982 einen grossen Schritt weiter. Das EJPD unterbreitete nämlich Lösungsvarianten für einige Probleme, welche in der Vernehmlassung besonders umstritten gewesen waren. Die Landesregierung beriet darüber an einer ganztägigen, ausserordentlichen Sitzung im März, entschied aber damals nicht über Sachfragen, sondern erst über das weitere Vorgehen. Bis zu den Sommerferien solle ein bereinigtes Projekt vorliegen, das den Meinungsaustausch im Bundesrat berücksichtige, worauf den Departementen etwa drei Monate für das M:itberichtsverfahren bleiben würden. Noch vor Weihnachten erhalte dann das Parlament einen Verfassungsentwurf samt Botschaft. National- und Ständerat hätten also die Revisionsarbeit zu leisten und nicht ein besonders gewählter Verfassungsrat. Auch wäre sie in einem einzigen Anlauf erfolgt und nicht in mehreren Teilschritten. Bald zeigte es sich jedoch, dass diese
Vorstellungen zu ehrgeizig und zu optimistisch waren. Schon im Mai lehnten es die Spitzen mehrerer Bundesratsparteien bei Gesprächen mit der Landesregierung ab, vor den Wahlen vom Herbst 1983 auf das Geschäft einzutreten. Der Bundesrat nahm deshalb das Thema erst im Dezember wieder auf und besprach Grundsätzliches zum Inhalt der Verfassung. Die Fortsetzung dieser Diskussion ist für das Frühjahr 1983 vorgesehen. Zudem wechselte im Januar 1983 der bisherige Betreuer der Totalrevision, Bundesrat Furgler, vom EJPD ins EVD hinüber. Er hatte sich noch 1982 zu einem Zeitplan bekannt, den er nun nicht einhalten konnte. Danach sollte das Volk 1986 über die neue Bundesverfassung abstimmen, und bei einer Annahme hätte sie 1991 ihre Vorgängerin abgelöst, sozusagen als Geschenk zum 700. Geburtstag der Eidgenossenschaft
[3].
Auch zahlreiche Kantonsverfassungen werden heutigen Gegebenheiten angepasst. So trat im
Aargau anfangs 1982 eine neue Verfassung in Kraft. Dagegen lehnten in
Genf die Stimmbürger und in
Basel-Stadt der Regierungsrat für den jetzigen Zeitpunkt eine Gesamterneuerung ab. In
Graubünden wünschte der Grosse Rat zwar eine Totalrevision, aber nur in der unverbindlichen Form eines Postulates und ohne zeitliche Bindungen. Im Tessin erarbeitete eine Expertenkommission neue Verfassungsartikel, während in
Uri ein Verfassungsrat vorerst «Mängellisten» für das bisher Gültige zusammentrug und in
Glarus ein umfangreicher Kommentar zum bereits früher publizierten Verfassungsprojekt einer vorberatenden Kommission erschien. Die augenfälligsten Fortschritte erreichten 1982 zwei Stände der Nordwestschweiz: Der
Baselbieter Verfassungsrat schickte das Ergebnis seiner Debatten in die Vernehmlassung, an der sich alle Einwohner des Kantons beteiligen können. Der
Solothuner Verfassungsrat hofft, bis Mitte 1984 ungefähr gleich weit zu sein mit seinen Vorarbeiten. Seine Sitzungen wie auch die seiner Kommissionen sind öffentlich. Zudem warb er mit einer populär aufgemachten «Verfassigs-Zytig» in weiten Kreisen für seine Anliegen, was da und dort als staatliche Propaganda kritisiert wurde. Über wichtige Einzelfragen soll im Kanton Solothurn der Souverän Zwischenentscheide fällen, zum Beispiel über die Wünschbarkeit eines Ombudsmannes
[4].
Nationalbewusstsein
Für die Vorplanung der Feiern in der Innerschweiz zum 700jährigen Bestehen der Eidgenossenschaft versprach der Bundesrat einen Beitrag von 325 000 Fr. Nun soll eine rund 60köpfige Kommission «CH 91 », in welcher vor allem der Bund und die Innerschweizer Kantone vertreten sind, bis Ende 1983 eine «Machbarkeitsstudie» erstellen. Dann wird zu entscheiden sein, ob neben Festlichkeiten 1991 auch eine
Landesausstellung stattfinden soll. Nach der Umfrage eines Meinungsforschungsinstitutes würde die Mehrheit der Luzerner und der Unterwaldner das begrüssen
[5].
Einzelne
historische Jubiläen waren bereits 1982 fällig. Sie erinnerten in Luzern an den Zusammenschluss mit den Waldstätten vor 650 Jahren und in Basel-Land an die Trennung von Basel-Stadt 1832 und an die Erhebung zum selbständigen Halbkanton. Das bot Anlass zu Festen, ohne dass dabei die Vergangenheit das Bewusstsein des Publikums nachdrücklich prägte. Weniger willkommen waren Gedénkjahre, die Unbewältigtes und Verdrängtes wieder heraufbeschworen. So setzte man sich ausserhalb Genfs verhältnismässig selten mit den Truppeneinsätzen vom 9. November 1932 auseinander, durch die 13 Personen das Leben verloren, als sie gegen rechtsextreme Gruppen demonstrierten. Sogar in der Rhonestadt selber distanzierten sich Einzelne auch jetzt noch lieber von jener Arbeiterkundgebung als von den Faschisten, gegen welche sie sich gerichtet hatte
[6].
[1] Peter Gilg / Beat Kappeler / Werner Geissberger / Rolf Deppeler, Mehr Demokratie im Föderalismus, Zeitbuchreihe Polis, Bd. 8, Basel 1982.
[2] Presse vom 27.4.82; NZZ, 106, 10.5.82.
[3] Presse vom 29.-31.3.82; Presse vom 27.5.82; NZZ, 291, 14.12.82 und 297, 21.12.82; vgl. SPJ, 1981, S. 10 f.
[4] Vgl. unten, Teil II, 1a; ferner AG: AT, 1, 4.1.82. Genf: JdG, 224, 27.9.82. Basel-Stadt: NZZ, 262, 10.11.82. GR: NZZ, 47, 26.2.82. TI: CdT, 58, 12.3.82; 146, 1.7.82; 214, 18.9.82; 227, 30.9.82. UR: Vat., 24, 30.1.82; 237, 12.10.82; LNN, 48, 27.2.82. GL: NZZ, 174, 30.7.82. Basel-Land: BaZ, 192 und 193, 19. und 20.8.82; Artikelserie über Einzelfragen: BaZ, 200, 28.8.82 bis 285, 6.12.82. Zum Kreis der Vernehmlassung: BaZ, 184, 10.8.82. Solothurn : SZ, 24, 30.1.82; 88, 17.4.82; 228, 30.9.82. Zum Zeitplan: SZ, 97, 28.4.82; zur «Verfassigs-Zytig»: SZ, 239, 13.10.82; 284, 4.12.82; 296, 18.12.82. Öffentliche Sitzungen: SZ, 98, 29.4.82; Ombudsmann: BaZ, 251, 27.10.82. Vgl. SPJ, 1981, S. I1.
[5] LNN, 104, 6.5.82; 247, 23.10.82; Vat., 214, 15.9.82; vgl. SPJ, 1981, S. 12.
[6] Basel-Land: BaZ, 64, 17.3.82. Luzern: Vat., 258, 6.11.82. Genf: 24 Heures, 260, 8.11.82 und 261, 9.11.82; JdG, 246, 22.10.82; 261, 9.11.82; 266, 15.11.82; NZZ, 259, 6.11.82; 260, 8.11.82; BaZ, 262, 9.11.82; Vr, 224, 17.11.82.