Wirtschaft
Geld, Währung und Kredit
Die Nationalbank hielt angesichts der hohen Inflationsrate weiterhin an ihrer relativ restriktiven Geldmengenpolitik fest. — Bei gesamthaft recht stabilen Zinssätzen wurde der Schweizer Franken leicht abgewertet. — Nachdem die Reduktion der Stempelsteuer wegen der Ablehnung des Finanzpakets nicht in Kraft treten konnte, verabschiedete das Parlament unverzüglich eine neue Vorlage; die SP und der Gewerkschaftsbund ergriffen dagegen das Referendum. — Dem Vorentwurf für ein schweizerisches Börsengesetz wurde in der Vernehmlassung grundsätzlich zugestimmt.
Geld- und Währung
Die Nationalbank hatte für 1991 erstmals die angestrebte Expansionsrate der Geldmenge nicht exakt beziffert, sondern angegeben, dass sie ein
mittelfristiges Wachstum der Notenbankgeldmenge von rund 1% im Jahresmittel erreichen wolle. Diese Wachstumsrate ist aus technischen Gründen etwas kleiner als die als optimal erachtete reale Wirtschaftsentwicklung. Die für einen Zeitraum von 3 bis 5 Jahren geltende Zielvorgabe soll es erlauben, weiterhin die Teuerungsbekämpfung als Hauptziel der Geldmengenpolitik zu verfolgen, aber genügend flexibel zu bleiben, um auf kurzfristige Wechselkursstörungen zu reagieren. Für 1992 sah die Nationalbank im Einvernehmen mit dem Bundesrat keinen Anlass für eine Kursänderung
[1].
Nachdem im Vorjahr die Geldmenge geschrumpft war, steuerte die Nationalbank
im Berichtsjahr wieder einen etwas expansiveren Kurs. Im letzten Quartal lag die saisonbereinigte Notenbankgeldmenge um 1,4% über dem Vorjahresstand (1990: -2,6%). Auch die anderen Aggregate expandierten: M1 nahm im gleichen Zeitraum um 0,6%(1990: -1,6%) und M3 um 3,3% (1990: +2,2%) zu. Diese Geldmengenexpansion lag leicht über den mittelfristigen Zielvorgaben, blieb jedoch im internationalen Vergleich gering. Das Wachstum erfolgte nicht gleichmässig: es fand vor allem im ersten Quartal statt, anschliessend zwang der Kursverlust des Schweizer Frankens die Nationalbank wieder zu einem restriktiveren Kurs. Dass die Inflation trotz dieser Politik des knappen Geldes auf ihrem hohen Stand blieb, führte die Nationalbank insbesondere auf zwei Faktoren zurück: den starken Anstieg der Lohnkosten und die witterungsbedingten Preissteigerungen bei den Nahrungsmitteln
[2].
Nach dem Aufschwung im Vorjahr verlor der Schweizer Franken im Berichtsjahr gegenüber den Währungen der wichtigsten Industriestaaten wieder an Wert. Vor allem im Frühjahr, aber auch im Sommer intervenierte die Nationalbank mit Dollarverkäufen zugunsten der eigenen Währung. Die
nominale Abwertung betrug gegenüber dem US-Dollar 7,9% und gegenüber dem japanischen Yen 14,5% (1990: +23% resp. +18%). Im Vergleich zu den vier wichtigsten Währungen des Europäischen Währungssystems EWS machte der Wertverlust zwischen 2,7% und 3,5% aus. Der exportgewichtete nominale Frankenkurs lag zu Jahresende um 5,3% unter dem Vorjahresstand. Der unter Berücksichtigung der Teuerungsentwicklung im In- und Ausland berechnete exportgewichtete reale Frankenwert lag im Dezember 1991 um 3,3% unter dem Vorjahreswert; im Jahresmittel blieb er jedoch praktisch unverändert (+ 0,2%)
[3].
Der Nationalrat befasste sich mit einer parlamentarischen Initiative Hafner (gp, BE), welche verlangte, den
gesetzlich vorgeschriebenen Golddeckungsgrad des Notenumlaufs von derzeit 40% zu senken, die in der Verfassung festgelegte Pflicht der Nationalbank zur Einlösung von Banknoten in Gold aufzuheben, die Nationalbank zu verpflichten, ihren Goldbestand abzubauen und den Verkaufserlös primär zur Rückzahlung der Staatsschulden zu verwenden. Die vorberatende Kommission beantragte, die Initiative namentlich wegen der vorgesehenen Verteilung der Erlöse zur Ablehnung zu empfehlen, einige ihrer Elemente aber in ein Postulat aufzunehmen. Da die Mindestrate der Golddeckung auch nach Meinung von Experten nicht mehr den Erfordernissen der Währungs- und Geldpolitik entspricht, und die Einlösepflicht für Noten — von welcher gemäss BV 396 nur in Kriegszeiten oder bei gestörten Währungsverhältnissen abgewichen werden darf — effektiv vom Bundesrat bereits 1954 aufgehoben worden ist, soll der Bundesrat eine Anpassung dieser Bestimmungen überprüfen. Die Volkskammer folgte diesem Antrag und überwies das Postulat
[4].
Der Nationalrat überwies zudem ein Postulat Weder (ldu, BS), welches den Bundesrat einlädt zu prüfen, ob die im Ausland gelagerten Goldvorräte der Nationalbank in die Schweiz transferiert werden können und ob diese Lagerung im Ausland überhaupt zulässig ist
[5].
Zu dem vom Parlament gutgeheissenen Beitritt der Schweiz zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und zur Weltbank siehe oben, Teil I, 2 (Organisations internationales)
[6].
Nach dem starken Ansteigen in den beiden vorangegangenen Jahren entwickelten sich die schweizerischen
Geldmarktsätze wieder leicht rückläufig. Der Satz für dreimonatige Depots auf dem Eurofrankenmarkt sank im Jahresmittel auf 8,1 % (1990: 8,8%). Auf internationaler Ebene waren keine einheitlichen Tendenzen auszumachen. Der Satz für entsprechende DM-Anlagen stieg etwas an und überholte den schweizerischen wieder, die Zinsen für US-Dollars und englische Pfund reduzierten sich hingegen massiv
[7].
Die Zinsen auf dem
Kapitalmarkt bildeten sich in den ersten fünf Monaten zurück und stiegen dann wieder fast auf den Ausgangswert an. Die Rendite eidgenössischer Obligationen sank von 6,9% anfangs Januar bis 6,3% Ende Mai, stieg dann bis Ende November wieder auf 6,8% und betrug zu Jahresende 6,7%. Die Sparheftzinsen zogen zwar zu Jahresbeginn noch leicht an, blieben dann aber bis Jahresende konstant auf durchschnittlich knapp 5,1 %. Bei den Hypotheken verlief die Entwicklung insgesamt ähnlich: die Althypotheken erhöhten sich bis zum Sommer im Mittel um 0,25 Prozentpunkte auf 6,9% und blieben bis Jahresende auf diesem Stand; der durchschnittliche Satz für Neuhypotheken reduzierte sich im Jahresverlauf von 8,0% auf 7,8%
[8].
Das Parlament räumte die wenigen verbliebenen Differenzen bei der Revision des
Preisüberwachungsgesetzes aus. Die neuen Bestimmungen, welche auch die Zinsen in wettbewerbsschwachen oder kartellierten Märkten der Kontrolle unterstellen, wurden auf den 1. Oktober in Kraft gesetzt
[9].
Die
Beanspruchung des schweizerischen Kapitalmarkts lag mit 48,2 Mia Fr. um 8% unter dem Vorjahresstand (52,5 Mia Fr.). Die Ausgabe von Wertpapieren durch inländische Schuldner ging ebenso zurück wie die Anleihenbeträge ausländischer Emittenten. Da aber die Kreditvergabe ins Ausland anstieg, reduzierte sich der bewilligungspflichtige Kapitalexport nur geringfügig von 43,6 auf 42,5 Mia Fr. Der grösste Teil davon ging in die Industrieländer (rund 89%), zur Hauptsache in die EG-Staaten (32,6%), nach Japan (30,4%) und nach Nordamerika (15,2%). Während der ohnehin sehr geringe Anteil der Entwicklungsländer (Lateinamerika: 0,3%, Afrika (ohne Libyen und Ägypten): 1,2%, Asien und Ozeanien: 2,4%) gesamthaft stagnierte, sank derjenige der mittel- und osteuropäischen Staaten auf 1,1% (1990: 2,1%). An die internationalen Entwicklungsorganisationen gingen 5,2% der Kapitalexporte. Nach der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika durch die UNO und die EG hob die Nationalbank die seit 1980 geltende Plafonierung der Kapitalexporte in dieses Land ebenfalls auf
[10].
Banken
Die Bilanzsumme der 65 in der Statistik der Nationalbank berücksichtigten Banken nahm lediglich um 5% zu. Gemessen an den Reingewinnen war es allerdings ein gutes Jahr. Bei den dem Bankengesetz unterstellten Instituten nahmen sie insgesamt um 15% zu. Überdurchschnittlich erfolgreich operierten die drei
Grossbanken, welche
Rekordgewinne verzeichnen konnten. Die SKA steigerte ihren Reingewinn um 57% auf 848 Mio Fr., der SBV und die SBG legten um 25% resp. 36% zu und übertrafen beide die Milliardengrenze. Für das starke Zunehmen der Erträge waren bei den drei Grossbanken vor allem die Aktivitäten. im Ausland verantwortlich
[11].
Der
Konzentrationsprozess im Bankensektor intensivierte sich 1991. Da die für das Bestehen im verschärften Wettbewerb mitentscheidende moderne. Infrastruktur eine gewisse Mindestgrösse verlangt, waren vom Strukturwandel vor allem die kleineren Banken betroffen. Wegen ihrer geringeren Diversifikationsmöglichkeiten bereiteten auch die markanten Einbussen im Immobiliensektor den Regionalbanken grössere Schwierigkeiten als den Grossbanken. Die Zahl der dem Bankengesetz unterstellten Institute ging nach Angaben der Nationalbank innerhalb eines Jahres von 625 auf 592 zurück, diejenige der Regionalbanken reduzierte sich nach Angaben der Bankenkommission von Anfang 1990 bis Ende 1991 um rund 10%
[12].
So kam es unter anderem zum Zusammenschluss von sieben Regionalbanken aus dem Berner Seeland zur zweitgrössten schweizerischen Regionalbank. Am aufsehenerregendsten war jedoch die
Schliessung der Spar- und Leihkasse Thun (SLT) nach dem Entzug der Bewilligung durch die Eidg. Bankenkommission (EBK). Es handelte sich dabei zwar nicht um die erste und auch nicht um die grösste Bankpleite; zum erstenmal seit Jahrzehnten war es jedoch nicht eine Geschäftsbank oder eine kleine Sparkasse, sondern eine mittelgrosse Regionalbank mit sehr breit gestreuter Kundschaft, welche ihre Schalter schliessen musste. Zudem war diesmal keine der Grossbanken bereit, durch eine Unternehmensübernahme die Kunden vor Schaden zu schützen. Nachdem verschiedene Verkaufsgespräche gescheitert waren, entzog die Bankenkommission der SLT mit sofortiger Wirkung die Bewilligung und setzte eine Liquidatorin ein. Sie begründete diese harte Massnahme mit der Unterkapitalisierung der Bank, den bereits begangenen Verstössen gegen das Bankengesetz und der fehlenden Gewähr für eine zukünftige einwandfreie Geschäftsführung. Das von der SLT angehtfene Bundesgericht stellte sich hinter den Entscheid der EBK
[13].
Die 1984 unter den Banken privatrechtlich vereinbarte Konvention Nr. 18 über die
Auszahlung von Spar- und Gehaltskontoguthaben im Falle der Zwangsliquidation einer Bank garantiert an sich die rasche Auszahlung von bis zu 30 000 Fr. an die einzelnen Gläubiger. Die Schliessung der Spar- und Leihkasse Thun deckte allerdings gewisse Mängel dieser Regelung auf. Zum einen gelangt sie nur nach der Eröffnung von Konkurs- und Stundungsverfahren, nicht aber bei einer blossen Bankenstundung oder — wie in Thun — bei der Schalterschliessung infolge des Bewilligungsentzugs durch die Bankenkommission zur Anwendung. Zum anderen können Kunden mit Kontokorrentkonten (v.a. Gewerbetreibende) davon nicht profitieren, was zur Blockierung von Zahlungen an Angestellte und Lieferanten führen kann. In der Fragestunde des Nationalrats darauf angesprochen, zeigte sich Bundesrat Stich gegenüber der Einführung einer ausgebauten obligatorischen Einlegerversicherung — was namentlich vom EBK-Präsidenten Bodenmann angeregt wurde — skeptisch. Gerade der Zusammenbruch der amerikanischen Sparkassen hätte gemäss Stich die kontraproduktiven Auswirkungen solcher Rückversicherungen, welche die Banken und die Einleger zu allzu risikoreichem Verhalten verleiten würden, aufgedeckt. Stich kündigte an, dass das EFD mit der Bankiervereinigung Gespräche über eine Verbesserung der Privatkonvention Nr. 18 aufnehmen werde
[14].
Nach Ansicht von Nationalrat Eisenring (cvp, ZH) wird das für die banken- und finanzrechtliche Aufsicht zuständige Fachorgan des Bundes, die Eidgenössische Bankenkommission (EBK), den zukünftigen Anforderungen nicht mehr genügen können. Insbesondere die europäische Integration werde an die
Finanzmarktaufsicht Anforderungen stellen, welche nicht mehr von einer nebenamtlichen Expertenkommission und ihrem kleinen Sekretariat bewältigt werden können. Er lud deshalb den Bundesrat mit einer Motion ein, dem Parlament die Schaffung eines Bundesamtes für Banken und Finanzen zu beantragen. Nachdem der Bundesrat betont hatte, dass er im Moment und auch in naher Zukunft keine Notwendigkeit für die Ersetzung der EBK erkennen könne, überwies der Nationalrat den Vorstoss diskussionslos als Postulat
[15]. Zum Nachfolger für den auf Ende 1991 altershalber zurücktretenden Präsidenten der EBK, Hermann Bodenmann, wählte der Bundesrat den Zürcher Wirtschaftsanwalt und früheren FDP-Nationalrat Silvio de Capitani
[16].
Bereits im Vorjahr hatte die Bankenkommission den Banken empfohlen, das sogenannte
Formular B der Sorgfaltspflichtvereinbarung nicht mehr zu akzeptieren. Ihre Absicht, dieses nun auch förmlich zu verbieten, stiess kaum mehr auf Widerstand. Nachdem sich in der Vernehmlassung der Schweizerische Anwaltsverband und die Bankiervereinigung damit einverstanden erklärt hatten, setzte die EBK das Verbot auf den 1. Juli in Kraft. Damit müssen auch Personen, welche Notare und Treuhänder mit der Vermögensverwaltung beauftragen, der Bank ihre Identität preisgeben. Ausnahmen sind nur noch bei einigen genau definierten Geschäften gestattet, welche durch das spezifische Berufsgeheimnis der Anwälte geschützt sind (v.a. Vermögenshinterlegungen bei Erbteilungen)
[17].
Am 23. August unterzeichnete die Schweiz als fünfzehnter Staat die
Konvention des Europarates über die Geldwäscherei. Diese Konvention verbessert namentlich die Grundlagen der internationalen Zusammenarbeit. Die von ihr zudem definierten nationalen Mindeststandards gegen das Waschen von deliktisch erworbenen Geldern und für ihre Konfiskation werden gemäss EJPD vom schweizerischen Recht erfüllt
[18]. Als Ergänzung der Massnahmen gegen die Geldwäscherei stellte der Bundesrat den Entwurf für neue Strafnormen legen das organisierte Verbrechen vor
[19].
Der Streit um die seit mehr als fünf Jahren in der Schweiz blockierten 500 Mio Fr. des
ehemaligen philippinischen Staatschefs Marcos und seiner Familie konnte noch nicht abgeschlossen werden. Zuerst bestätigte das Bundesgericht seinen Entscheid aus dem Vorjahr, dass die philippinischen Behörden bis zum 21. Dezember ein ordentliches Verfahren gegen die Frau des inzwischen verstorbenen Marcos eröffnen müssen, ansonsten die Blockierung aufgehoben werde. Mit dem Entscheid der philippinischen Präsidentin Corazon Aquino, der Witwe Marcos die Wiedereinreise zu erlauben, wurde ein wesentliches Hindernis für die Durchführung dieses Prozesses beseitigt. Am 4. Oktober reichte der philippinische Generalstaatsanwalt Chavez, der im Verlaufe des Jahres im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens weitere Bankdokumente aus der Schweiz erhalten hatte, eine Klageschrift ein. In der Folge ersuchten die philippinischen Behörden die Schweiz um eine Fristerstreckung, um der über die Zulassung der Klage — und damit über die Prozesseröffnung — entscheidenden Amtsstelle genügend Zeit einzuräumen. Der zuständige Zürcher Bezirksanwalt nahm dazu bis zum Jahresende nicht Stellung; obwohl bis zum 21. Dezember der Prozess nicht eröffnet worden war, gab er aber auch die blockierten Konten nicht frei
[20].
Der schweizerische Finanzmarkt hat in den letzten Jahren wesentlich an Attraktivität eingebüsst. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Deregulierungspolitik der meisten westeuropäischen Staaten. Dazu gehörte, namentlich in der EG, neben der Offnung der Finanzmärkte auch der
Abbau von steuerlichen Belastungen auf Finanzmarktgeschäften. Um die Position der Schweiz wieder zu stärken hatte das Parlament im Vorjahr einer Revision des Stempelsteuergesetzes zugestimmt, welche wesentliche steuerliche Wettbewerbsnachteile des schweizerischen Marktes aufhob. Im Sinne eines politischen Kompromisses sollten freilich diese Beschlüsse nur im Rahmen einer gesamten Neuordnung der Bundesfinanzen Gültigkeit erlangen
[21].
Die
Ablehnung der Neuordnung der Bundesfinanzen in der Volksabstimmung vom 2. Juni hatte demnach zur Folge, dass auch die Revision des Stempelsteuergesetzes nicht in Kraft treten konnte. In der Kampagne zu dieser Abstimmung war die teilweise Aufhebung der Stempelsteuer auf Finanzgeschäften an sich nicht bekämpft worden. Dies hatte seinen Grund sicher auch darin, dass die SP als wichtigster potentieller Gegner der Stempelsteuerrevision das Finanzpaket als akzeptablen Kompromiss unterstützte. Eine Befragung nach dem Urnengang ergab, dass die Stempelsteuerreform für die Ablehnung keine Rolle gespielt hatte. Umstritten gewesen war hingegen, zumindest in der Kampagne, die zur Kompensation der erwarteten Einnahmenausfälle vorgesehene Besteuerung der Prämien von Lebensversicherungen
[22].
Nur eine Woche nach dieser Abstimmung reichte Nationalrat Feigenwinter (cvp, BL), der dieses Anliegen bereits früher mit Nachdruck vertreten hatte, eine
neue parlamentarische Initiative für eine
Reform des Stempelsteuergesetzes ein. Die zuständige nationalrätliche Kommission war mit ihm einig, dass der Abbau gewisser Stempelsteuersätze dringlich sei, um ein weiteres Abwandern der davon betroffenen Geschäfte ins Ausland zu stoppen. Da es der Kommission überflüssig erschien, nach den jahrelangen Vorarbeiten noch zusätzliche Abklärungen vorzunehmen, kürzte sie das Verfahren ab und beschloss mit 13 zu 5 Stimmen, dem Parlament ohne Verzug und noch vor der Herbstsession mit einer eigenen parlamentarischen Initiative eine neue Vorlage zu unterbreiten. Diese entsprach — sowohl in bezug auf die Entlastungen als auch in bezug auf die teilweise Kompensation durch neue Abgaben auf inländischen Obligationen und Geldmarktpapieren — weitgehend den Parlamentsbeschlüssen von Ende 1990, enthielt aber noch drei weitere Änderungen. Die Kommission beantragte, der EG-Rechtsentwicklung Rechnung zu tragen und die Stempelabgaben auf Umstrukturierungen und Sitzverlegungen ebenfalls aufzuheben. Im weiteren soll durch die Abschaffung der Emissionssteuer bei der Ausgabe von Anteilen an Anlagefonds ein weiteres Abwandern von Anlagefonds ins Ausland (v.a. nach Luxemburg) verhindert werden. Die Einnahmen aus dieser Abgabe hatten sich, zu einem guten Teil wegen der Konkurrenz durch das steuerfreie Ausland, von 1987 bis 1990 halbiert. Schliesslich forderte die Kommission den Verzicht auf die von den Versicherungsgesellschaften bekämpfte Einführung der Stempelabgabe auf Prämien von Lebensversicherungen
[23].
Der
Bundesrat anerkannte in seiner Stellungnahme im Prinzip die Notwendigkeit eines Abbaus der Stempelabgaben. Von den über den Parlamentsbeschluss von 1990 hinausgehenden Anträgen akzeptierte er die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Fondsanteilen. Die angespannte Lage der Bundesfinanzen bewog ihn aber, den Verzicht auf die Stempelsteuer bei Umstrukturierungen und Sitzverlegungen abzulehnen. Ebenfalls aus Sorge um den Bundeshaushalt beantragte er, zu erwartende Einnahmenausfälle nicht allein durch neue Finanzmarktsteuern für Inländer teilweise auszugleichen, sondern zur Kompensation auch das Versicherungsgeschäft beizuziehen
[24].
Beide Ratskammern berieten und
verabschiedeten die Gesetzesrevision noch in der Herbstsession. Die SP und die GP erklärten sich angesichts der drohenden Löcher in der Bundeskasse grundsätzlich nicht bereit, einem Abbau der Finanzmarktsteuern ohne vollständige Kompensation durch neue Einnahmen zuzustimmen. Gegen ihre Opposition setzten sich aber sämtliche Anträge der Kommissionsmehrheit durch. In der Detailberatung fand ebenfalls ein von der SP, der GP und einem Teil des LdU unterstützter Antrag des Freisinnigen Salvioni (TI) keine Gnade, die Reform erst nach der Verabschiedung von Massnahmen zur vollständigen Kompensation der erwarteten Einnahmenausfälle in Kraft treten zu lassen. Nachdem sich der Ständerat den Beschlüssen der Volkskammer angeschlossen hatte, hiess das Parlament die Revision in den Schlussabstimmungen mit 105:54 resp. 28:4 Stimmen gut
[25].
Nach dieser parlamentarischen Niederlage beschloss die
SP, gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund gegen diese Steuerreform das
Referendum zu ergreifen
[26].
Börse
Die im Vorjahr vom Nationalrat verabschiedete
Motion für ein schweizerisches Börsengesetz, das auch Regelungen zur Verhinderung unerwünschter Unternehmensaufkäufe enthalten soll, fand, gegen die föderalistisch motivierte Opposition des Zürcher Freisinnigen Jagmetti, auch im Ständerat Zustimmung
[27].
Die vom Bundesrat eingesetzte
Expertenkommission für ein Börsengesetz hatte ihren Entwurf bereits im Vorjahr vorlegen können. Nachdem sie auf Wunsch des EFD auch noch eine Pflicht zur Offenlegung von Beteiligungen und die in der oben erwähnten Motion gewünschte Regelung für öffentliche Ubernahmeangebote in den Text aufgenommen hatte, eröffnete das Finanzdepartement im Juni die
Vernehmlassung
[28]. Diese ergab mehrheitlich positive Reaktionen. Sowohl der Grundsatz einer bundesstaatlichen Regelung wie auch die liberale Ausgestaltung des als Rahmengesetz konzipierten Expertenentwurfs fanden weitgehend Zustimmung. Die Nationalbank wünschte allerdings, wie auch die Bankiers und die Börsenbetreiber, ein separates Gesetz für die Bestimmungen über Unternehmensaufkäufe. Grundsätzliche Kritik ertönte nur von der Regierung des Kantons Zürich, welche sich — im Gegensatz zur Zürcher Börse — für die Beibehaltung der bisherigen föderalistischen Lösung einsetzte
[29].
Versicherungen
Der Ständerat hiess als Erstrat des
Abkommen zwischen der EG und der Schweiz über die Schadenversicherung gut
[30].
Weiterführende Literatur
M. Dubois / G. Rich / U. Schwarz, "Währungspolitische Aspekte eines Beitritts der Schweiz zum Internationalen Währungsfonds", in SNB, Quartalsheft, 1991, Nr. 2, S. 177 ff.
H. Hauser / S. Ziegler, Integration der europäischen Kapitalmärkte. Konsequenzen für die schweizerische Geldpolitik, Zürich 1991.
J.-Ch. Lambelet, "Optionen der Geldpolitik", in Die Volkswirtschaft, 64/1991, Nr. 12, S. 15 ff.
M. Lusser, "Die Schweiz und Europa — Gedanken zur Integration aus monetärer Sicht", in SNB, Quartalsheft, 1991, Nr. 1, S. 65 ff.
Ch. Breining / S. Grand / M. Maurer, "Die Annäherung der Schweiz an die EG — Auswirkungen auf den Finanzplatz Schweiz", in SNB, Quartalsheft, 1991, Nr. 3, S. 282 ff.
W. Hermann, "Ziele eines Börsengesetzes", in SNB, Quartalsheft, 1991, Nr. 1, S. 75 ff.
E. Kilgus / Ch. Hirszowicz (Hg.), Der Finanzplatz Schweiz im Spannungsfeld der internationalen Entwicklungen, Zürich 1991.
M. Kroll, Schweizer Banken und die internationale Schuldenkrise, 1982-1990. Reaktionen auf eine Finanzkrise, Bern (Diss. Wirtschaftswiss. Zürich) 1991.
M. Lusser, "Aktuelle Probleme des Finanzplatzes Schweiz", in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 127/1991, S. 291 ff.
Ch. Peter, Aspekte der Insiderstrafnorm, Zürich (Diss. jur.) 1991.
W. Wittmann, "Systemgerechte Besteuerung der Finanzmärkte", in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 127/1991, S. 465 ff.
[1] SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 7 ff.; Presse vom 14.12.91; NZZ, 20.12.91 (G. Rich); "Die Geldpolitik der Nationalbank im Jahre 1992", in SNB, Quartalsheft, 1991, Nr. 4, S. 315. Vgl. SPJ 1990, S. 106.
[2] SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 9 ff. und 34 ff. Vgl. auch oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).
[3] SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 39 f.; SNB, Der Monat, 1992, Nr. 5, S. 82 ff. Zu den Interventionen der SNB gegen den hohen Dollarkurs siehe auch TA, 12.3.91.
[4] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1910 ff.
[5] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 770.
[6] Vgl. auch Lit. Dubois.
[7] SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 38; SNB, Der Monat, 1992, Nr. 5, S. 55 f.
[8] SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 41 f.; SNB, Der Monat, 1992, Nr. 5, S. 59. Zu den Vorschlägen für neue Finanzierungsmodelle im Liegenschaftsmarkt siehe unten, Teil I, 6c (Mietwesen).
[9] Siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerbspolitik).
[10] SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 41 f.
[11] SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 43 ff.; NZZ, 20.6.92. Grossbanken: Presse vom 7.3.92.
[12] SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 46 f. Anzahl Banken: JdG, 4.3.92 (EBK); NZZ, 20.6.92 (SNB). Vgl. dazu auch K. Spremann, "Ein dritter Weg für Regionalbanken", in NZZ, 28.12.91; Bilanz, 1991, Nr. 12, S. 16 ff. (Regionalbanken); Politik und Wirtschaft, 1991, Nr. 11, S. 52 ff. (Kantonalbanken). Zu den Kantonalbanken siehe auch unten, Teil II, 2d.
[13] Seeland: Bund und BZ, 5.7.91; SZ, 19.11.91. SLT: Presse (v.a. Bund und BZ), 4.-12.10., 17.-19.10. (Liquidation), 6.11., 12.11., 23.11. (BG) und 21.12.91 (BG).
[14] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2285 ff.; Bund, 12.10.91; Presse vom 12.12.91 (EBK-Präsident Bodenmann); Bund, 13.12.91 (Banken). Zur gesetzlichen Regelung des Kleinkreditwesens siehe oben, Teil I, 4a (Konsumentenschutz).
[15] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 757 und 1977. Der Vorstoss regt ebenfalls die Ersetzung der Kartellkommission durch ein Bundesamt für Wettbewerb an.
[16] Presse vom 19.12.91. Vgl. auch Presse vom 20.12.91 (Polemik um BR Stichs Kritik an dieser Wahl). Siehe auch NZZ, 24.12.91 (zu Bodenmann) sowie Ww, 26.12.91 und TA, 30.12.91 (zu de Capitani).
[17] Vernehmlassung: NZZ, 28.3.91; Vr, 2.4.91. Inkraftsetztung: Presse vom 4.5.91. Siehe auch SPJ 1990, S. 109.
[18] Presse vom 24.8.91. Vgl. auch SGT, 19.7.91; Bund, 26.7.91; SPJ 1990, S. 109.
[19] Siehe dazu oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[20] NZZ, 12.6. (BG und Aufhebung der Einreisesperre), 5.11. (Klageschrift und Verlängerungsgesuch) und 19.12.91 (Bezirksanwalt). Vgl. auch SPJ 1990, S. 108 f. und NZZ, 23.4.91.
[21] Vgl. SPJ 1990, S. 110 und 127 ff.
[22] Vgl. zur Abstimmung unten, Teil I, 5 (Bundesfinanzordnung). Zu den .Entscheidmotiven siehe Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vorn 2. Juni 1991, Zürich 1991, S. 19 ff.
[23] BBl, 1991, IV, S. 497 ff. Zur alten Vorlage siehe SPJ 1989, S. 102 f. und 1990, S. 110. Zur Abwanderung der Anlagefonds vgl. auch TA, 30.10.91.
[24] BBl, 1991, IV, S. 521 ff.
[25] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1717 ff. und 2040; Amtl. Bull. StR, 1991, S. 853 ff. und 923; BBl, 1991, IV, S. 1584 ff. Vgl. auch wf, Dok., 47, 18.11.91.
[27] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 77 f. Vgl. auch SPJ 1990, S. 111.
[28] Presse vom 4.6.91; NZZ, 8.6. und 13.9.91. Zum Entwurf siehe SPJ 1990, S. 110 f. Vgl. auch SHZ, 4.10.91; NZZ, 8.10., 8.11. sowie 10.12.91.
[29] NZZ, 7.9. (Zürcher Regierung) und 14.9.91 (Börse); TA, 19.9.91 (Bankiers); SNB, Jahresbericht, 84/1991, S. 50 f. Vgl. auch Lit. Hermann (ökonomische Kritik an einer zentralen Regelung).
[30] Siehe dazu oben, Teil I, 2 (Europe/Communauté européenne) sowie SPJ 1990, S. 111.