Année politique Suisse 1995 : Grundlagen der Staatsordnung
Wahlen
Bei den eidgenössischen Wahlen erzielte die SP einen seit Einführung der Proporzwahlen nie mehr erreichten Erdrutschsieg und wurde nach 16 Jahren wieder wählerstärkste Partei. - Zweite Siegerpartei war die SVP, während CVP und FDP Wähleranteile verloren. - Damit ergab sich im Lager der Bundesratsparteien eine Stärkung der extremen Positionen, welche Befürchtungen eines erschwerten Regierens weckte. - Die Zauberformel wurde aber von den Wählern bestätigt, während die Grünen, LdU, EVP und Liberale sowie die populistischen Kräfte am rechten Rand zu den Verlierern gehörten. - Die Frauen erzielten den grössten Mandatszuwachs seit Einführung des Frauenstimmrechts. - Die Wahlbeteiligung erreichte mit 42,3% einen historischen Tiefstand. - Bei den kantonalen Wahlen erzielte die SVP auf Kosten von CVP und FDP grosse Sitzgewinne.
Eidgenössische Wahlen
Für die detaillierten Resultate siehe die Tabellen im Anhang (
anhang_1995.pdf).
Im Wahljahr 1995 erfreuten sich Wahlprognosen nochmals steigender Beliebtheit. Bereits im Frühjahr wurden der SVP, der Freiheits-Partei und der SP Sitzgewinne, den Grünen und der CVP hingegen massive Sitzverluste vorausgesagt. Auch rechnete man insgesamt mit dem Erstarken der Regierungsparteien und Wählerverlusten der kleinen Parteien, die bisher Proteststimmen zu binden vermochten. Allerdings wiesen die Prognostiker auf das stabile Parteiensystem und die durch die direkte Demokratie weniger grosse Wichtigkeit von Wahlen in der Schweiz hin.
Der
Ausgang der Wahlen überraschte deshalb durch das Ausmass der Sitzverschiebungen. Mit insgesamt 15 Sitzgewinnen in beiden Räten zusammen
[2] erzielte die
SP einen
Erdrutschsieg und verzeichnete den grössten Mandatszuwachs einer Partei seit 1919. Die SP gewann allerdings vor allem Sitze auf Kosten der Grünen und der Mitteparteien, womit sich die Machtbalance zwischen dem rechten und dem links-grünen Block nur leicht zugunsten der Linken verändert hat. Die SVP, die aufgrund hoher kantonaler Sitzgewinne als grosse Siegerin gehandelt wurde, bewegte sich mit fünf Sitzgewinnen in beiden Räten zusammen im Rahmen der Erwartungen. Mit nur gerade einem Sitzverlust
[3] konnte sich die als Verliererin gehandelte CVP relativ gut halten; ihr waren bis zu 15 Sitzverluste prognostiziert worden. Dagegen kam es bei den Grünen, die ebenfalls früh zu Verlierern gestempelt worden waren, zur befürchteten Wahlniederlage. Die FDP musste sich mit dem vorausgesagten stagnierenden Resultat zufrieden geben. Die prognostizierte
Erstarkung der Regierungsparteien, verbunden mit der Schwächung kleinerer Parteien, bestätigte sich, wobei durch den in dieser Grössenordnung unvorhergesehenen Sieg der SP auch hier das Ausmass überraschte. Die Freiheits-Partei konnte nicht an ihre Erfolge bei den kantonalen Wahlen anknüpfen und zählte zu den überraschenden Verlierern. Allgemein war den
Frauen in beiden Räten ein gutes Resultat vorausgesagt worden, was sich bestätigte: Während sich ihr Anteil im Nationalrat von 17,5% auf 21,5% erhöhte, was dem höchsten Zuwachs seit Einführung des Frauenwahlrechts 1971 entspricht, verdoppelte sich die Frauenvertretung im Ständerat.
48 Nationalräte und 11 Ständeräte verzichteten auf eine Verteidigung ihres Mandats; die Rücktrittsquote war damit die niedrigste seit 1983
[4]. Die Parteien waren jedoch unterschiedlich betroffen. Die CVP mit 14 demissionierenden National- und drei Ständeräten sowie die FDP mit 12 National- und fünf Ständeräten verzeichneten die höchsten Rücktrittsquoten. Bei der SP demissionierten acht Nationalräte, darunter der in den Bundesrat gewählte Moritz Leuenberger (ZH) sowie einer der drei Ständeräte. Bei den Frauen waren nur fünf der 38 Frauen rücktrittswillig. Damit war die weibliche Rücktrittsquote mit 13% nur halb so hoch wie jene der Männer, von denen 27% ihr Amt nicht weiterführen wollten oder - infolge einer parteiinternen Amtszeitbeschränkung - konnten. Die durchschnittliche Amtsperiode der zurücktretenden Nationalräte betrug knapp 11 Jahre; 10 Nationalräte verzichteten aber bereits nach einer Amtsperiode auf eine erneute Kandidatur, darunter der populäre Pfarrer Ernst Sieber (evp, ZH). Im Ständerat verzichtete der einzige Lega-Vertreter nach nur einer einzigen Amtsperiode auf eine Wiederwahl. In den Kantonen Luzern und Tessin waren gleich beide Standesvertreter neu zu besetzen
[5].
Zu den Demissionierenden gehörten
zahlreiche prominente
Parlamentsangehörige. Mit dem Präsidenten des Schweizer Gewerbeverbandes Hans Rudolf Früh (fdp, AR), dem langjährigen Direktor der Arbeitgeber-Organisationen Heinz Allenspach (fdp, ZH) und Ernst Cincera (fdp, ZH) schieden bekannte Wirtschaftsvertreter aus dem Rat. Edgar Oehler (cvp, SG) und Franz Jäger (ldu, SG) verliessen den Nationalrat nach 24 Jahren, Jäger bereits auf die Sommersession hin. Als weitere Prominente traten etwa alt CVP-Präsidentin Eva Segmüller (SG), SP-Fraktionschefin Ursula Mauch (AG), der verhinderte Bundesrat Francis Matthey (sp, NE), Geneviève Aubry (fdp, BE) und Leni Robert (gp, BE) zurück. Im
Ständerat fielen die Rücktritte von Otto Piller (sp, FR), Gilles Petitpierre (fdp, GE), Ernst Rüesch (fdp, SG) sowie den früheren Ständeratsvorsitzenden Riccardo Jagmetti (fdp, ZH) und Josi Meier (cvp, LU) ins Gewicht
[6].
Die Zahl der Kandidaturen
erreichte 1995 neue Rekordwerte.
2834 Kandidierende, davon 990 Frauen, bewarben sich in den 21 Proporzkantonen um einen Nationalratssitz. Damit betrug die Zunahme der Kandidaturen gegenüber der letzten Wahl 273 Personen oder 10,7%. Fast die Hälfte der Kandidierenden stammte aus den Kantonen Zürich und Bern (805 bzw. 583 Bewerbungen), während der Jura nur gerade 8 Kandidaten zählte. Von den Parteien kandidierten die FDP und die SP in allen 21 Proporzkantonen. Die CVP trat wie vor vier Jahren in Neuenburg und Schaffhausen nicht an, stellte mit 375 Personen aber am meisten Kandidatinnen und Kandidaten. Die SVP und die von den Nichtregierungsparteien am meisten verbreiteten Grünen kandidierten in 16 Kantonen, die Schweizer Demokraten in zwölf. Die erstmals kandidierende Naturgesetz-Partei, welche in 12 Kantonen Listen einreichte, überflügelte sogar die Freiheits-Partei, die es auf 11 Kantone brachte. Die Beteiligung der
Frauen betrug mit 34,9% (1991: 32,6%)
erstmals mehr als ein Drittel. Die meisten
Frauenkandidaturen wies Basel-Stadt mit 50% auf, gefolgt, eher überraschend, vom Kanton Graubünden. Den niedrigsten Anteil an Kandidatinnen wies Schwyz mit 14,3% auf. Neben den 5 Unabhängigen Feministischen Frauenlisten (AG, BS, GR, LU und ZH), die nur Frauen aufstellten, wiesen die Grünen mit 50,7% den höchsten Frauenanteil auf, gefolgt von der SP mit 46,6%. Die bürgerlichen Bundesratsparteien, die einen Kandidatinnenanteil von mindestens einem Drittel angestrebt hatten, erreichten ihre Ziele nur teilweise: Während die CVP einen Frauenanteil von 35,2% erreichte, lag derjenige der FDP bei 29,5%. Die SVP schickte von den Bundesratsparteien mit 20,7% am wenigsten Kandidatinnen ins Rennen. 22 Kandidaten liessen sich auf Listen ausserhalb ihres Wohnsitzkantons setzen. Die Zahl der
Doppelkandidaturen war genau gleich gross wie 1991; 32 Kandidierende liessen sich für beide Kammern aufstellen, darunter 10 amtierende Nationalrätinnen und -räte
[7]. Als schweizerische Premiere war die Kandidatur von acht Auslandschweizern zu verzeichnen
[8].
Parallel zu den Kandidaturen nahm auch die Zahl der Listen nochmals zu:
278 Listen (1991: 248) wurden registriert, obwohl die Unterschriftenzahl, die für die Einreichung einer Liste erforderlich ist, erhöht worden war. Mit je 27 Listen stellten die Kantone Zürich und Bern die grösste Anzahl, der Kanton Jura mit vier die kleinste. In sieben Kantonen setzten Parteien auf geschlechtsgetrennte Listen: Die SP trat mit fünf (BE, FR, GE, TH, SG), die CVP mit drei (AG, SG, VD) und die Grüne Partei mit zwei (SG, TH) getrennten Frauen- und Männerlisten an
[9].
Die Zahl der Listenverbindungen nahm gegenüber 1991 ebenfalls zu:
56 (54)
Listenverbindungen wurden registriert; die Anzahl der Listenunterverbindungen stieg, trotz restriktiveren Bedingungen als bisher, auf 40 (31) an. Erstmals waren keine Unter-unter-Listenverbindungen mehr erlaubt
[10].
SP und Grüne kooperierten intensiv. Die Grünen, die in 16 Kantonen antraten, verbanden ihre Listen ohne Ausnahme mit der SP. Bereits 1991 waren die Grünen eifrige Mitstreiter zur Linken. In Basel-Stadt gingen sie damals allerdings noch mit dem LdU und der EVP eine "Zweckehe" ein. 1995 gingen SP und Grüne - mit Ausnahme der Waadt - ausserdem überall, wo die PdA antrat, eine Listenverbindung mit den Kommunisten ein. Auch von den fünf Unabhängigen Feministischen Frauenlisten gingen mit Ausnahme des Kantons Aargau alle eine Verbindung mit SP und Grünen ein. Das
bürgerliche Lager präsentierte sich punkto Listenverbindungen nicht nur
heterogener als die Linke, sondern auch weniger kompakt als noch vor vier Jahren. Gegenüber 1991 sind die Bündnisse zwischen FDP, CVP und SVP in den Kantonen Zürich und Graubünden geplatzt. Nur noch in Baselland, im Aargau, im Thurgau und in der Waadt (dort zusätzlich mit den Liberalen) marschierten die drei bürgerlichen Bundesratsparteien zusammen. Die FDP ging in sieben Kantonen mit der CVP eine Listenverbindung ein, in je sechs Kantonen mit der SVP und den Liberalen. Letztere marschierten ausser in Zürich überall, wo sie antraten, gemeinsam mit der FDP. Zum Bruch zwischen der FDP und der SVP kam es im Kanton Zürich
[11]. Im Kanton Schaffhausen ging die FDP nicht nur mit der SVP, sondern - erstmals überhaupt - mit der Freiheits-Partei ein Listenbündnis ein. Auffälligstes Merkmal bei den Listenverbindungen der CVP ist, dass sie sich in ihrer Hochburg Freiburg erstmals mit der FDP verbunden hat. In vier Kantonen verband sie sich mit der SVP und in drei Kantonen mit den Liberalen. Zur sogenannten politischen Mitte hielt sie Distanz: Sie verband sich nur gerade in Zürich mit dem LdU und der EVP. Die SVP schliesslich setzte sich in den Kantonen Zürich, Solothurn und Schaffhausen ins selbe Boot mit der Freiheits-Partei. In Luzern und Solothurn sind die Listen zudem mit den Schweizer Demokraten verbunden worden. Diese
Annäherung der SVP an die Rechtsparteien korrespondierte mit der Absetzbewegung von der FDP: 1991 verband die SVP ihre Listen noch in zehn Kantonen mit jenen der Freisinnigen; nunmehr waren es noch sechs. Die Rechtsaussen Freiheits-Partei und Schweizer Demokraten verbanden ihre Listen in sieben Kantonen; im Kanton Aargau gesellte sich noch die Katholische Volkspartei, die sich 1994 von der CVP abgespaltet hatte, dazu. LdU und EVP, die im Nationalrat seit 1979 eine Fraktion bilden, verbanden ihre Listen lediglich in den Kantonen Zürich und Aargau. In Bern und St. Gallen gondelte der Landesring in rot-grünem Fahrwasser mit, während die EVP solo antrat. Im Kanton Baselland traten ebenfalls beide Parteien an, gingen aber weder untereinander noch mit anderen Parteien Listenverbindungen ein
[12].
Gemäss Wahlkampfbeobachtern setzte sich der Trend zur Personalisierung und Entthematisierung im Wahlkampfjahr 1995 fort.
Nicht mehr in erster Linie
Inhalte, sondern Ereignisse, die von einzelnen Personen gezielt geschaffen wurden,
zählten. Mehr denn je fand der Wahlkampf denn auch in den Medien statt, die flexibel auf Ereignisse und ihre Akteure reagieren konnten, während Wahlveranstaltungen und Wahlplakate auf wenig Interesse stiessen. In Anspielung auf die vom Konzept her nicht unumstrittene Fernsehsendung "Arena", die gemäss ihren Kritikern die politische Debatte emotionalisiert, personalisiert und polarisiert, wurde dem Wahlkampf verschiedentlich eine "Arenisierung" vorgeworfen
[13].
Die Solothurner SP provozierte mit ihrem Wahlslogan "
kussecht und vogelfrei" zu Beginn des Wahlkampfs eine breite öffentliche Debatte über den Wahlkampfstil und politische Inhalte. Einer der wichtigsten Schweizer Autoren, Peter Bichsel, warf der Partei "postmoderne Beliebigkeit" vor und warnte, dass eine von den liberalen Grundwerten befreite Politik den Weg für totalitäre Entwicklungen ebnen könnte. Aus Protest gab er seinen Austritt aus der SP bekannt
[14].
Zentrales Ereignis des Wahlkampfs, das sämtliche Wahlkampfkonzepte über den Haufen warf, war aber der am 30. August überraschend bekanntgegebene
Rücktritt von SP-Bundesrat Otto Stich. Damit wurde der Wahlkampf mit einer Personalfrage überlagert, welche Sachfragen weitgehend verdrängte. Auf einen Schlag rückte die SP in den Mittelpunkt des Interesses, und sie nutzte danach während Wochen konsequent die Gelegenheit, sich als diejenige Partei darzustellen, die über eine grosse Anzahl von bundesratsfähigen Köpfen verfügt. Bis zur Wahl von Moritz Leuenberger (ZH) Ende September konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Medien denn auch auf die Bundesratswahlen. Der SP wurde vorgeworfen, einen "Stich-Effekt" inszeniert zu haben
[15].
In den Hintergrund gedrängt wurde dabei insbesondere die SVP, deren von der
Zürcher SVP und ihrem Exponenten Christoph Blocher dominierte konservative Parteiflügel zuvor einmal mehr mit polarisierenden Inseraten die Öffentlichkeit gespalten hatte. So zeigten die "
Stiefel-Inserate" einen die Europäische Union symbolisierenden Stiefel, der auf einen Schweizer Stimmzettel tritt. Den Linken und anderen Europa-Befürwortern warf die Zürcher SVP "Heimatmüdigkeit" vor und meinte damit nicht zuletzt die FDP und die CVP. Andere Inserate karikierten die Europäische Union als Geldschluckerin und beschuldigten EU-befürwortende Parteien, den Schweizer Franken abschaffen zu wollen. Die NZZ boykottierte das "Stiefel-Inserat", da es die EU als Diktatur hinstelle und Assoziationen an Karikaturen aus der Zeit des Nationalsozialismus erwecke. Die Zürcher FDP kündigte aus Protest das traditionelle Wahlbündnis mit der kantonalen SVP. Diese ging daraufhin entgegen dem Wunsch der nationalen SVP-Leitung eine Listenverbindung mit der Freiheits-Partei ein. Auch die Berner SVP distanzierte sich vom Stiefelinserat. Schlagzeilen erhoffte sich die Zürcher SVP auch von ihrer
Kundgebung "Ja zur Schweiz - Nein zum EWR/EU-Beitritt" Ende September in Zürich, die über 10 000 Menschen anzog. Eine von der SP organisierte Gegendemonstration "für eine offene und tolerante Schweiz", an der Bundesrat Stich teilnahm, sowie Gewaltausschreitungen rechter und linker Extremisten fanden bei der Öffentlichkeit dann aber mindestens ebensoviel Aufmerksamkeit und bescherten Christoph Blocher harsche Kritik
[16].
Die Parteien liessen sich ihre Wahlkampagne insgesamt über 15 Mio Fr. kosten (1991: rund 13 Mio Fr.). Während SP, FDP und CVP über ungefähr die selben
finanziellen Mittel - nach eigenen Angaben rund 2,5 Mio Fr. - auf nationaler und kantonaler Ebene verfügten, gab die SVP ihre Mittel mit 2,2 Mio, der LdU mit 2 Mio Fr. an. Die restlichen Parteien hatten nach eigenen Angaben weniger als eine Million zur Verfügung. Die Gesamtkosten des Wahlkampfs wurden von PR-Experten aber auf das doppelte bis sechsfache der Parteiausgaben geschätzt, zumal manche Kandidierende selbst mehrere zehntausend Franken in den Wahlkampf investierten. Insbesondere in Basel, wo der freisinnige Ciba-Werkleiter Johannes R. Randegger eine äusserst aufwendige Eigenwerbung betrieb, gab die Ungleichheit der finanziellen Mittel der Kandidierenden zu Kritik Anlass. Die linken Abgeordneten legten im Grossen Rat Protest ein. In Bern gab der kostspielige Wahlkampf von Gewerbedirektor Pierre Triponez (fdp) zu reden
[17].
Zu den einzelnen Wahlprogrammen der Parteien siehe unten, Teil IIIa.
Die
Europafrage bildete ein wichtiges, wenn nicht das zentrale Sachthema des Wahlkampfs, obwohl die FDP und die CVP sich vor der Wahl auf einen europapolitischen "Burgfrieden" verständigt hatten. Die SP als klare Befürworterin eines Beitritts der Schweiz zur Europäischen Union bis zum Jahr 2000 und die SVP als vehemente Gegnerin bestanden aber auf der Thematisierung dieser Frage, und die Hauptfronten des Wahlkampfs verliefen denn auch zwischen diesen beiden Parteien. Der FDP und der CVP, die in der Europafrage gespalten sind, wurde vorgeworfen, keine klare Stellung zu beziehen
[18].
Vor dem Hintergrund einer stagnierenden Wirtschaft und einer für die Schweiz ungewohnt hohen Arbeitslosigkeit waren ausserdem arbeitsmarkt- und sozialpolitische Fragen Wahlthema. Die SP führte ihren Wahlkampf unter dem Slogan "Die Schweiz muss wieder sozialer werden" und forderte einen weiteren Ausbau des Sozialstaats sowie die gerechtere Verteilung von Arbeit und Wohlstand. Demgegenüber postulierten die bürgerlichen Parteien die Konsolidierung des Sozialstaats sowie Deregulierung und mehr Wettbewerb, um neue Stellen zu schaffen. Gleichzeitig wurden die darbenden Bundesfinanzen thematisiert. Während die Sozialdemokraten neue Steuern vorab für Reiche forderten, schlossen die bürgerlichen Parteien neue Steuern aus.
Die Freiheits-Partei versuchte mit einer aggressiven Inseratekampagne unter dem Motto "Das Boot säuft ab" die Ausländer- und Asylpolitik in der Schweiz zum Thema zu machen. Erneut gegen die
Überfremdung in den Wahlkampf zogen auch die Schweizer Demokraten. Sie lancierten eine neue Volksinitiative, die verlangt, dass nur soviele Ausländer in die Schweiz eingelassen werden wie ausreisen
[20].
Die Sozialdemokratinnen lancierten unter dem Motto "SP-Frauen reden Klartext von A bis Z" eine eigenständige Kampagne und postulierten als Zielsetzung Frauenlisten, eine 50-Prozent-Quote und Spitzenplätze auf den Wahllisten. Die
Frauen der CVP, FDP und SVP führten zwar keinen gemeinsamen Wahlkampf, organisierten aber einen gemeinsamen Auftritt unter dem nicht unumstrittenen Slogan "Hart sein - Frau bleiben" und unterstrichen die partnerschaftliche Ausrichtung bürgerlicher Frauenpolitik
[21].
Gegenüber den Wahlen von 1991 verringerte sich die Wahlbeteiligung nochmals um 3,7 Prozentpunkte auf
42,3%, den
historisch niedrigsten Beteiligungswert seit Einführung des Proporzes. Nur gerade in fünf Kantonen (UR, OW, NW, AR und BS) lag die Wahlbeteiligung gegenüber den Nationalratswahlen 1991 höher. Einen bisher noch in keinem Kanton erreichten Tiefstwert musste mit 17,5% Appenzell-Innerrhoden verzeichnen, während Schaffhausen seinen Spitzenplatz mit 64,4% behielt. Gesamthaft reduzierte sich die Wahlbeteiligung in der Romandie um 4%, in der deutschsprachigen Schweiz um 6%. Drastisch - um 15 Prozentpunkte - sank die traditionell hohe Wahlbeteiligung im Tessin, was damit zusammenhängen dürfte, dass die Protestbewegung Lega dei Ticinesi nicht mehr die selbe Dynamik wie 1991 in die Wahlen einbringen konnte. Erstmals waren auch die
Auslandschweizer zu den eidgenössischen Wahlen zugelassen. Von rund 392 000 wahlberechtigten Auslandschweizern hatten sich 59 868 (15,3%) bei den Gemeinden zur Wahlteilnahme eingeschrieben. Eine Wahlanalyse der Auslandschweizer ist aber insofern schwierig, als nur gerade die Kantone Genf, Luzern und Waadt die Auslandschweizer separat erfassten. In diesen drei Kantonen zusammen unterschieden sich die Auslandschweizer bezüglich Beteiligung und politischen Präferenzen nicht wesentlich von den Einheimischen. Laut einer Stichprobenumfrage der Schweizerischen Depeschenagentur dürfte die durchschnittliche Beteiligung der eingeschriebenen Auslandschweizer rund 38% betragen haben. Erstmals galt in der ganzen Schweiz die Möglichkeit der Briefwahl, die allerdings nicht zum erhofften Anstieg der Wahlbeteiligung geführt hat
[22].
Als
Hauptmotiv für die Wahlabstinenz gaben Nichtwählende die Anonymität und die fehlende oder nicht hinreichende Glaubwürdigkeit der politischen Akteure sowie fehlendes politisches Interesse an. Erst danach folgte das Argument der Komplexität des Wahlsystems. Die Wählenden gaben als Hauptmotiv die Möglichkeit zur Mitbestimmung an. Untervertreten an der Urne waren diejenigen Wählerinnen und Wähler, die sich in der politischen Mitte einordnen. Die städtische und die ländliche Bevölkerung ging ungefähr gleich stark zur Urne. Eine grosse Mehrheit der Wählenden wie auch der Nichtwählenden beurteilte die Wichtigkeit von Wahlen im Vergleich zu Sachabstimmungen klar als zweitrangig
[23].
Rund zwei Drittel der Wählenden nahmen
Listenveränderungen vor, wobei am meisten kumuliert wurde, gefolgt vom Streichen und dem Panaschieren. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien waren gering. Als Hauptgrund für die Wahl oder Nichtwahl eines Kandidaten wurde die Vertretung der Interessen des Wählenden sowie die Persönlichkeit und die bisherigen Leistungen der Kandidaten genannt. Mit deutlichem Abstand folgen die namentliche Bekanntheit und die Parteizugehörigkeit sowie das Geschlecht des Kandidaten
[24].
Für die detaillierten Resultate siehe die Tabellen im Anhang (
anhang_1995.pdf).
Handelte es sich bei den Nationalratswahlen 1991 um eigentliche Protestwahlen, bei denen populistische und rechtsnationalistische Parteien und die Grünen als Sieger hervorgingen, so waren die Nationalratswahlen 1995 durch den
Erfolg der Regierungsparteien geprägt,
als Folge der Stärkung der Flügelparteien SP und SVP. Die SP konnte 13 Mandate
[25] dazugewinnen und erreichte damit einen seit Einführung der Proporzwahl 1919 nie dagewesenen Erdrutschsieg. Seit 1971, als die extreme Rechte zehn Sitze gewann, war es nie mehr zu einer derartigen Verschiebung gekommen. Die SVP konnte vier Mandate zulegen, die FDP eines, während die CVP wider aller pessimistischen Prognosen nur gerade ein Mandat
[26] verlor. Die Medien stuften den Ausgang der Wahlen als widersprüchlich ein: Befürchtungen dominierten, dass die
Polarisierung innerhalb des Regierungslagers zu einer Verhärtung der politischen Auseinandersetzung und einer Erschwerung des Regierens führen würde. Ausserdem wurde auf einen
vertieften Stadt-Land-Graben aufmerksam gemacht, da die SP besonders in den Städten und Agglomerationen, die SVP in den ländlichen Regionen zugelegt hat. Dieser Graben deckt sich in etwa mit demjenigen der Europabefürworter, welche die SP vertritt und der Europagegner, für die sich die SVP stark macht. Entsprechend wurden die Wahlen auch als
Wahlen
im Zeichen Europas gewertet. Sieger seien heute jene, die gestern den Mut hatten, offen zur Europafrage Stellung zu nehmen, lautete der Tenor in den Medien. Dabei schwangen Befürchtungen obenaus, dass mit den Wahlsiegern SP und SVP eine Deblockierung der Europafrage erschwert werde. Von FDP und CVP wurde die vermehrte Übernahme einer Vermittlerrolle verlangt
[27].
Die Nationalratswahlen 1995 haben in der im internationalen Vergleich stabilen Schweizer Parteienlandschaft einige historisch bedeutsame Akzente gesetzt: Mit einem Zuwachs von 3,3% Wähleranteil auf 21,8% wurde die SP erstmals seit 1979 wieder wählerstärkste Partei. Dies geschah auf Kosten der Staatsgründerin FDP, die auf 20,2% Wähleranteil (-0,8%) sank, durch Proporzglück aber trotzdem ein Mandat zulegte. Von teilweise ausgesprochenem Glück profitierte aber auch die SP, denn ihre 13 Sitzgewinne liegen weit über dem, was aufgrund der höheren Wählerstärke erwartet werden konnte. Sie profitierte insbesondere vom homogenen Auftreten der Linken (vgl. oben, Listenverbindungen). Die FDP und die SP verfügen denn mit je sechs auch über die meisten Restmandate. Trotz ihrem massiven Zuwachs um 13 auf 54 Nationalratsmandate, die sie zur stärksten Partei im Nationalrat macht, bleiben die Sozialdemokraten knapp unter dem Spitzenresultat von 1943, als sie 56 Sitze erobert hatten. Ihre neuen Sitze holten sie sich in Zürich, Bern und Basel-Stadt (je zwei) sowie in Zug, Solothurn, St. Gallen, Aargau, Tessin, Genf und Jura; im Kanton Schwyz verloren sie einen Sitz.
Die FDP erzielte je einen Mandatsgewinn in Luzern, Nidwalden, Neuenburg und Genf, verlor aber in Zürich, Baselland und Jura je einen Sitz. Mit neu 16,8% (-1,2%) sank neben der FDP auch die CVP, die sich im Wahlkampf als "Kraft im Zentrum" zu präsentieren versuchte, auf ihren Tiefstwert seit Einführung des Proporzsystems 1919 ab. Sie muss künftig um ihren zweiten Bundesratssitz bangen. In Luzern, Nidwalden, Basel-Stadt, St. Gallen und Genf verlor sie Sitze, war aber in Freiburg, Baselland und Waadt erfolgreich. Die 1994 gegründete Katholische Volkspartei (KVP) war landesweit zwar wenig erfolgreich, ihre Stimmgewinne gingen aber überwiegend zu Lasten der CVP.
Die SVP, die in den letzten Jahren erfolgreich "Protestthemen" der rechten Aussenseiterparteien aufgenommen hatte, konnte sich um 3 Prozentpunkte auf 14,9% verbessern - ein Ergebnis, das sie seit den dreissiger Jahren nicht mehr erreicht hatte - und näherte sich bis auf knapp 2% der CVP an. Zu beachten ist, dass sich die SVP mit fünf neu gegründeten Kantonalparteien (AR, LU, SG, SO und ZG) an den Wahlen beteiligte und damit das gesamtschweizerische Ergebnis der SVP um volle 2% verbesserte. Die SVP brach erfolgreich in traditionelle Innerschweizer CVP-Stammlande ein und gewann Mandate in Luzern, Schwyz, Appenzell-Ausserrhoden und St. Gallen. Weiter gewann sie ein Mandat in Zürich, verlor aber eines in Freiburg. Damit legte der von Christoph Blocher dominierte konservative Parteiflügel der SVP zu, während der liberale Flügel stagnierte. In den drei Kantonen Glarus, Basel-Stadt und Genf ist die SVP nicht mehr angetreten.
Mit einem Wähleranteil von 73,7% (1991: 69,4%) und siebzehn Mandatsgewinnen kommen die Regierungsparteien neu auf 162 Nationalratsmandate, was einer
Bestätigung der Zauberformel, aber immer noch dem drittschlechtesten Ergebnis der Regierungsparteien seit Einführung der Zauberformel 1959 entspricht. Vor vier Jahren hatten die Bundesratsparteien mit 147 Mandaten das schlechteste Resultat seit 1959 erzielt
[29].
Im rot-grünen Lager büsste die Grüne Partei als grösste Verliererin der Nationalratswahlen sechs Mandate ein (-1,1%; neu 5%) und bleibt mit acht Sitzen nur noch im Nationalrat stärkste Nichtregierungspartei. In der Vereinigten Bundesversammlung wurde sie von den Liberalen überholt. Den stärksten Einbruch erlitt die Grüne Partei im Kanton Bern mit drei Sitzverlusten, je einen Sitz verlor sie in Solothurn, Thurgau und Genf. Die
grünen Sitze gingen zumeist an die SP, der von den Wählern in arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Fragen die grössere Kompetenz zugemessen wurde. Weiter dürfte auch die unklare Europahaltung der Grünen Ursache der Wählerverluste sein sowie die Tatsache, dass die GPS in acht Kantonen Konkurrenz durch ein Bündnis erhielt, in dem sich verschiedene kantonale feministische und grün-alternative Gruppierungen zusammengeschlossen hatten (FGA). Diese stehen in der Nachfolge des grün-alternativen Wahlbündnisses von 1991 DACH ("Die andere Schweiz") und holten landesweit 1,5% (1991: 1,3%) der Stimmen. Für diese feministischen und grün-alternativen Gruppierungen ziehen weiterhin eine FraP!-Vertreterin (ZH) sowie neu eine Vertreterin des Grünen Bündnis (BE) in den Nationalrat ein. Im Kanton Genf konnte die
PdA/POP im Rahmen der "Linksallianz" ein Mandat hinzugewinnen und hält neu insgesamt drei Sitze (1,2%; 1991: 0,8%). Im Kanton Waadt konnte sie ihren Wähleranteil von 4,3% auf 8,9% erhöhen. Damit ist die PdA/POP neben der EDU die einzige Nichtregierungspartei, die zulegen konnte
[30].
Während das rot-grüne Lager insgesamt mit acht zusätzlichen Mandaten gestärkt wurde,
schrumpfte das Zentrum weiter: Der LdU verlor in Basel-Stadt und St. Gallen je einen Sitz und sank mit einer Parteistärke von neu 1,8% (2,8%) auf den Tiefstwert seit seiner Gründung im Jahr 1936. Die EVP verfügt nach einem Sitzverlust noch über zwei Mandate und zog mit einem Wähleranteil von ebenfalls 1,8% (1,9%) mit Fraktionspartner LdU gleich. Den
rechten Oppositionsparteien, die bei den letzten Wahlen vom Klima der Verunsicherung profitieren konnten,
grub die SVP das Wasser ab: Die Freiheits-Partei, die ihre Abordnung 1991 auf 8 Mandate vervierfachen konnte, verlor je einen Sitz in Zürich und Bern, gewann aber einen im Thurgau. Sie rutschte von 5,1% auf 4% ab. Die Schweizer Demokraten verloren wie die Freiheits-Partei in Zürich und Bern je ein Mandat (-0,3%; neu 3,1%) und sind mit drei Sitzen nicht mehr in Fraktionsstärke vertreten. Die Tessiner Protestbewegung Lega verlor einen ihrer zwei Sitze (-0,5%), während im Kanton Bern Werner Scherrer den einzigen EDU-Sitz halten konnte. Als einzige der vier Parteien verzeichnete die EDU einen leichten Wählergewinn (+0,3%). Gegenüber 1991 verloren die rechten Oppositionsparteien insgesamt 1,6 Prozentpunkte. Die
Liberalen verloren in Genf, Waadt und Neuenburg je einen Sitz (-0,3%; neu 2,7%). In Bern und Zürich, wo sie zum ersten Mal antraten, erzielten sie nur bescheidene Ergebnisse
[31].
Auf Fraktionsebene ergaben sich neue Zusammenschlüsse: Die
SP nahm neu die drei Vertreter der PdA/Linksallianz und wie 1991 die einzige FraP!-Vertreterin auf. Damit wurde sie mit 58 Mitgliedern
stärkste Fraktion im Nationalrat. Die Grüne Fraktion nahm den bisher der CVP-Fraktion angehörende Hugo Fasel (csp, FR) sowie Franziska Teuscher (BE) vom Grünen Bündnis auf und kommt so auf zehn Mitglieder. Mit dem LdU und der EVP, die zusammen weiterhin eine Fraktion bilden (5 Vertreter), ging die Grüne Partei eine Fraktionsverbindung ein. Der einzig verbliebene Vertreter der Lega, die in der letzten Legislatur eine Fraktion mit den Schweizer Demokraten gebildet hatte, schloss sich mit der Freiheits-Partei zusammen, deren Fraktion somit wieder acht Vertreter zählt. Keine Fraktionsstärke mehr erreichten die Schweizer Demokraten, deren drei Nationalräte keinen Anschluss bei der Freiheits-Partei fanden. Ein Einzelkämpfer bleibt der EDU-Vertreter Werner Scherrer
[32].
Die Zahl der nicht Wiedergewählten lag mit 19 Nationalräten (1991: 14) hoch. Darunter befanden sich prominente Wahlopfer wie Hugo Wick (cvp, BS) und Arthur Züger (sp, ZG). Von der Lega dei Ticinesi wurde der erst im Sommer nachgerückte und in Strafverfahren verwickelte Giuliano Bignasca nicht wiedergewählt. Aufgrund der sechs Sitzverluste ihrer Partei verloren fünf bisherige Grüne, darunter Rosmarie Bär (BE) und Marguerite Misteli (SO), ihr Mandat. Barbara Eberhard-Halter (SG) konnte ihr erst im Sommer von Franz Jäger übernommenes LdU-Mandat nicht halten. Mit sieben (1991: 5) Nationalrätinnen lag der Anteil der abgewählten Frauen einmal mehr höher als derjenige der Männer, was aber auch damit zusammenhängt, dass die Grünen als Partei mit dem höchsten Frauenanteil die grossen Verlierer der Wahlen waren; vier der fünf verlorenen grünen Mandate gehörten Frauen.
Auch viele
kandidierende prominente
Persönlichkeiten schafften den Sprung in den Nationalrat nicht. Der Präventivmediziner Felix Gutzwiller (ZH), der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes Pierre Triponez (BE) und der Präsident der Comptoir Suisse, Antoine Hoefliger (VD),hatten erfolglos für die FDP kandidiert, der Chef des Paraplegikerzentrums Nottwil, Guido A. Zäch (AG), für die CVP und Tour de Suisse-Direktor Hugo Steinegger (BE) sowie Fussballschiedsrichter Kurt Röthlisberger (AG) für die SVP. Der Fernsehprominente Anton Schaller (ZH), der sich für den LdU hatte aufstellen lassen, schaffte die Wahl ebenso wenig wie die Generalsekretäre von CVP, FDP und GP sowie die Generalsekretärin der SVP
[33].
Für die detaillierten Resultate siehe die Tabellen im Anhang (
anhang_1995.pdf).
Im Kanton
Zürich verzichteten die bürgerlichen Parteien CVP und FDP wegen den oben erwähnten "Stiefelinseraten" auf das traditionelle Wahlbündnis mit der SVP. Während die FDP ihren Alleingang mit einem Sitzverlust bezahlte, konnte die CVP ihre beiden Sitze im Zusammenschluss mit den Mitteparteien halten. Die SVP, die eine Listenverbindung mit der Freiheits-Partei eingegangen war, konnte mit einem Mandatsgewinn und einem Stimmenzuwachs von 5,3% (25,5%) ihren Vorsprung auf die anderen bürgerlichen Parteien weiter ausbauen; ihr Exponent Christoph Blocher erzielte mit 126 524 Stimmen die mit Abstand höchste gesamtschweizerische Stimmenzahl. Die Sozialdemokraten, die vom geschlossenen Auftreten der Linken profitierten, machten zwei Sitzgewinne (+4,3%, neu 23,1%) und zogen mit der SVP gleich. Von neun Vertretern schicken sie gleich sechs Frauen, davon fünf neu, in den Nationalrat. Ihren einzigen Sitz halten konnte die Frauenpartei Frap!, während die Freiheits-Partei, die Schweizer Demokraten und die EVP ihre zweiten Sitze verloren
[34].
Im Kanton
Aargau, wo ein 15. Sitz neu zu vergeben war, kandidierte eine Rekordzahl von 218 Personen auf 19 Listen. Das Rennen um den neuen Sitz machte schliesslich die SP, während die restliche parteipolitische Verteilung der Mandate unverändert blieb
[35].
Mit zwei Sitzgewinnen triumphierten die Sozialdemokraten in ihrer einstigen Hochburg
Basel. Sie konnten den freiwerdenden LdU-Sitz gewinnen sowie der CVP ihren einzigen Sitz abnehmen und halten nun mit einem Wähleranteil von 35,5% vier der sechs Nationalratssitze. Dabei profitierte die SP von der gemeinsamen Liste mit den Grünen, Basta (Basels starke Alternative), Solidarität und der neuen PdA. In Baselland hatte FDP-Nationalrat Christian Miesch nach parteiinternen Differenzen eine eigene "Freie Bürgerliche Liste" aufgestellt, die von der ehemals berntreuen FDP Laufental unterstützt wurde. Miesch schaffte die Wiederwahl nicht, nahm der FDP Baselland aber entscheidende Stimmen ab, denn diese verlor ihren zweiten Sitz an die nach vier Jahren nun wiedervertretene CVP. In
Solothurn nahm die SP den Grünen ein Mandat ab
[36].
Im Kanton
Bern, wo wegen der Bevölkerungsentwicklung und der Abtrennung des Laufentals zwei Mandate weniger als vor vier Jahren zu vergeben waren, erlebte die Freie Liste mit dem Verlust von drei der bisher vier Mandate ein eigentliches Debakel. Dabei fiel einerseits der Rücktritt der bisherigen "Wahllokomotive" Leni Robert ins Gewicht, andererseits konkurrenzierte sich die Freie Liste selbst durch die Seniorenliste FL 60 Plus. Einen Sitzgewinn machte aber die zweite grüne Kraft Berns, das Grüne Bündnis, das neu in den Nationalrat einzieht. Die SP gewann gar zwei Mandate hinzu (neu 24,7%). Die Rechtsaussenparteien Schweizer Demokraten und Freiheits-Partei, die bei den letztjährigen Grossratswahlen mit sechs Sitzgewinnen noch die grossen Siegerinnen waren, verloren je einen Sitz, allerdings weitgehend aufgrund von Proporzpech. Die SVP - deren traditionelle Listenverbindung mit der FDP anders als in Zürich problemlos zustande kam - bleibt mit einem Stimmenanteil von 26% die stärkste Kraft im Kanton. Neu ist der Berner Jura anstelle von drei nur noch mit einem Nationalrat, Walter Schmied (svp), vertreten. Im Kanton
Jura büsste die FDP zugunsten der SP ein Mandat ein
[37].
In der
Ostschweiz kam es zu einem Rechtsrutsch. Die erstmals antretende SVP gewann in St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden je einen Sitz und erbte damit in Ausserrhoden den seit 87 Jahren traditionellen linken Sitz, der durch den Rücktritt des parteilosen Herbert Mäder frei geworden war. Mit Dorle Vallender (fdp) entsendet der Halbkanton die erste Frau in den Nationalrat. Im Thurgau konnte die Freiheits-Partei den Grünen einen Sitz abnehmen. In St. Gallen gewannen neben der SVP die SP-Männer einen Sitz, während CVP und LdU je einen verloren. Nationalrat Josef Kühne (cvp), der von seiner Partei wegen Amtszeitbeschränkung nicht mehr aufgestellt worden war, schaffte die Wiederwahl mit einer eigenen Liste CVP Linth
[38].
Auch in der
Zentralschweiz verspürte die
SVP Aufwind. Im Kanton Luzern gewann die erstmals antretende SVP den neuen zehnten Sitz und etablierte sich damit noch vor der SP als dritte Kraft (14,1%), während die CVP von einem Wähleranteil von 48,6% auf 37,3% absackte und einen Sitz an die FDP verlor. In Schwyz konnte die SVP mit einem Erdrutschgewinn von +12,3% (21,5%) der SP, die dieses Mal ohne Listenverbindung mit den Grün-Alternativen ins Rennen gestiegen war, ihren Sitz wegnehmen. In Nidwalden ging eine über 123jährige Tradition zu Ende: der einzige Nationalratssitz ging von der CVP an die FDP, die in Edi Engelberger, Landammann und Präsident des Schweizer Skiverbandes, einen populären Kandidaten hatte. Den hartumkämpften dritten Sitz, der Zug neu zugesprochen worden war, ergatterte die SP mit Hilfe der Sozialistisch-Grünen Alternative (SGA)
[39].
In
Graubünden drehte sich der Wahlkampf um den freigewordenen zweiten SP-Sitz, den Martin Bundi während zwanzig Jahren gehalten hatte. Nachdem die CSP 1991 eine Listenverbindung mit dem linken Spektrum eingegangen war, entschied sie sich für die Wahlen 95 wieder für ein Zusammengehen mit der CVP. Die verärgerte SVP sprengte daraufhin den Bürgerblock CVP/CSP, SVP und FDP; die bürgerlichen Parteien marschierten alleine. Lachende Profiteurin war das geschlossene links-grüne Spektrum, da damit die SP zu einem Restmandat kam. Im
Wallis versuchte die SP mit einem waghalsigen Manöver, einen zweiten Nationalratssitz zu erobern: Sie trat mit zwei getrennten Listen fürs Ober- und Unterwallis an, um auch Personen zu mobilisieren, die bisher Stimmenthaltung übten. SP-Präsident und Oberwalliser Peter Bodenmann wurde trotz des potentiellen Wählerübergewichts der Unterwalliser SP-Liste wiedergewählt; die Sitzverteilung im Wallis blieb allerdings unverändert
[40].
In der
Romandie waren die Liberalen mit drei Sitzverlusten die klaren Verlierer der Wahlen. Zumindest in Genf spielte der "Brunner-Effekt": die neben dem Nationalrat auch in den Ständerat gewählte Christiane Brunner verhalf der SP-Frauenliste gleich zu zwei Sitzgewinnen. Je einen Sitzgewinn machten die PdA/Linksallianz und die FDP, während die Grünen, die CVP und die Liberalen einen Sitz verloren. Damit ist Genf, das sich vor zwei Jahren für eine rein bürgerliche Regierung entschieden hatte, im Nationalrat mehrheitlich durch die Linke vertreten. Erstaunlich stabil blieb die Situation in der Waadt: Nur von den Liberalen verschob sich ein Sitz zur CVP, die im Programmdirektor des ersten Westschweizer Radioprogramms, Jean-Charles Simon, einen populären Kandidaten hatte. In Neuenburg gewann die FDP einen Sitz auf Kosten der Liberalen. In
Freiburg schlossen sich Christlichdemokraten und Freisinnige erstmals seit 139 Jahren zu einer "Entente" zusammen, die sich mit einem Sitzgewinn der CVP auf Kosten der SVP bezahlt machte. Die CSP, die sich nicht in ein grosses links-grünes Bündnis einbinden liess, sondern eine Listenverbindung mit der DSP einging, konnte ihren Sitz halten
[41].
Nach einer vierjährigen Siegesserie musste im
Tessin die Protestbewegung Lega dei Ticinesi ihre erste Niederlage einstecken: der umstrittene Lega-Mitbegründer und Parteipräsident Giuliano Bignasca schaffte die Wiederwahl nicht, womit die Partei eines ihrer beiden Nationalratsmandate verlor. Der Sitz ging an die SP, die zum ersten Mal seit ihrem Zusammenschluss von 1992 als vereinte Partei, in einer Listenverbindung mit der PdA und den Grünen, antrat. Zuvor bestand die Tessiner Linke aus drei getrennten sozialistischen Parteien. Die Bisherige Mimi Lepori Bonetti (cvp) musste ihren Sitz an Parteikollege Remiglio Ratti abgeben
[42].
In sieben Kantonen (AI, GL, GR, OW, SH, UR und VS) kam es zu keinen Sitzverschiebungen.
Die Ständeratswahlen (39 von 46 Sitzen mussten neu besetzt werden) wiederspiegelten in etwa den Ausgang der Nationalratswahlen.
Auch im Ständerat konnten SP
und SVP
zulegen. Die SP gewann im Jura und in Genf je ein Mandat, während die SVP im Kanton Aargau einen zusätzlichen Ständeratssitz holte. Die FDP bleibt mit 17 Sitzen stärkste Partei in der kleinen Kammer, verlor aber im Kanton Jura ein Mandat. Die CVP konnte ihre 16 Mandate mit einem Sitzverlust im Aargau und einem Sitzgewinn im Tessin halten. Die Liberalen (Genf) und die Lega (Tessin) verloren je ein Mandat, womit die Lega nicht mehr im Ständerat vertreten ist. Der LdU konnte seinen einzigen Ständratssitz mit Monika Weber (ZH) verteidigen. Die
Frauen konnten ihre Vertretung von vier auf acht Mandate
verdoppeln. In zehn Kantonen (AR, BE, BL, BS, GL, NE, SH, SO, SZ und TH) wurden die bisherigen Abordnungen wiedergewählt. In den Kantonen Genf und Zürich kam es mit den Doppeln Christiane Brunner (sp)/Françoise Saudan (fdp) und Monika Weber (ldu)/Vreni Spoerry (fdp) erstmals zu rein weiblichen Standesvertretungen; der Genfer Liberale Gilbert Couteau wurde abgewählt. Im Jura kam es gar zu einem "Doppelsturz": An Stelle der beiden wiederkandidierenden Bisherigen Nicolas Carnat (fdp) und Marie-Madeleine Prongué (cvp) wurden Pierre-Alain Gentil (sp) und Pierre Paupe (cvp) gewählt
[44].
In acht Kantonen (AG, FR, LU, TI, UR, VD, VS, ZH) waren
zweite Wahlgänge nötig, wobei es vor allem in den Kantonen Aargau, Waadt und Freiburg zu einem harten Kampf kam. Im Aargau wurde Willy Loretan (fdp) wiedergewählt, während der bisherige SVP-Nationalrat Maximilian Reimann die CVP nach 63 Jahren aus dem Stöckli verdrängen konnte. Josef Bürge (cvp) vermochte trotz offizieller Unterstützung der SP den Sitz des zurücktretenden Hans Jörg Huber nicht zu halten. In der Waadt war es im ersten Wahlgang PdA-Nationalrat Joseph Zisyadis gelungen, 18,5% der Stimmen auf sich zu vereinigen. Obwohl die PdA im zweiten Wahlgang das rot-grüne Ticket Yvette Jaggi (sp) und Daniel Brélaz (grüne) unterstützte, konnte sich dieses gegen den bisherigen Jacques Martin (fdp) und Eric Rochat (lp) nicht durchsetzen. In Freiburg konnte Pierre Aeby den zuvor während 16 Jahren von Otto Piller gehaltenen SP-Sitz verteidigen und sich gegen die Kandidatin von FDP und CVP, Monique Pichonnaz Oggier (fdp), durchsetzen. Damit erlitt die erstmalige CVP-FDP Allianz anders als auf Nationalratsebene Schiffbruch. Dass die Zürcher Nationalrätin Vreni Spoerry (fdp) überhaupt zu einem 2. Wahlgang antreten musste, verdankt sie ihrer unglücklichen und stark kritisierten Rolle beim Versuch der Zürcher FDP, anlässlich der Bundesratswahl die Zauberformel zu sprengen. In Luzern machten Helen Leumann (fdp) und Franz Wicki (cvp) anstelle eines zweiten Wahlgangs das Rennen in stiller Wahl
[45].
Insgesamt sitzen 14 Neugewählte (davon drei bisherige Nationalräte) im Ständerat, nachdem elf keine weitere Amtszeit angestrebt hatten und drei nicht wiedergewählt wurden.
Die Erneuerungsrate der beiden Kammern betrug mit 82
Neugewählten (unter Einbezug der drei Übertritte aus dem National- in den Ständerat) 33,3%.
Der ehemalige SP-Präsident Helmut Hubacher (BS) bleibt ältester und gleichzeitig amtsältester Parlamentarier (69; 32 Dienstjahre). Er hat aber seinen Rücktritt innerhalb der Legislaturperiode 1995-99 angekündigt. Nachdem im Sommer 1994 mit der 34jährigen Brigitta Gadient (svp, GR) die jüngste Parlamentarierin nachgerückt war, gelang bei den diesjährigen Wahlen dem 21jährigen Landwirt Toni Brunner (svp, SG) der Sprung in die Grosse Kammer, der damit nicht nur erster St. Galler SVP-Vertreter, sondern auch
bisher jüngster Volksvertreter wurde. Das Durchschnittsalter im neugewählten Nationalrat blieb mit 50,5 Jahren stabil
[46].
Den
grössten Zuwachs an Interessenvertretern verzeichneten im neuen Parlament laut der Zeitschrift "Facts" die
Gewerkschaften, das Schwergewicht bleibt aber bei der Wirtschaft: Mit dem Sulzer-Finanzchef Erich Müller (fdp, ZH) und Ciba-Werkleiter Johannes Randegger (fdp, BS) wurden aktive Industrievertreter in den Nationalrat gewählt, deren Zahl insgesamt leicht gestiegen ist. Zurückgegangen ist die Zahl der Gewerbetreibenden sowie der Vertreter der Bau-, der Elektro- und der Tourismuslobby. Auch hat die Zahl derjenigen Parlamentarier abgenommen, die im Verwaltungsrat einer Bank oder einer Versicherung sitzen. Der in bezug auf die Bevölkerung klar überproportionale
Einfluss der Bauern bleibt gewahrt: Ihre Vertreterzahl bleibt in ungefähr gleich und erhält mit Marcel Sandoz (fdp, VD), Präsident des Bauernverbandes, und SBV-Direktor Melchior Ehrler (cvp, AG) gewichtige Stimmen. Klar stärker als die Mietervertreter bleiben die Hauseigentümer, während sich Umweltschützer und Autovertreter die Waage halten. Starke Einzellobby bleibt die Kommunikationsbranche; mit dem Herausgeber des "Trumpf Buur" Peter Weigelt (fdp, SG), dem Verleger der "Schweizerzeit" Ulrich Schlüer (svp, ZH) und dem Fernsehmitarbeiter Norbert Hochreutener (cvp, BE) schafften weitere bekannte Medienvertreter den Sprung ins Parlament. Juristische Berufe dominieren weiterhin. Mit der Wahl von Silvia Semadeni (sp, GR), die aus dem Puschlav stammt, sind erstmals seit langem die italienischsprachigen Bündner Südtäler wieder im Parlament vertreten
[47].
Die
Frauen sind im neuen Parlament nochmals stärker vertreten. Im Ständerat beträgt der Frauenanteil neu 17,4%, wobei die FDP mit fünf von acht Vertreterinnen die Mehrheit stellt. Im Nationalrat steigerten die Frauen ihren Anteil um 4 Prozentpunkte von 17,5 auf 21,5% (43; 1991: 35)
[48], was den
grössten Zuwachs seit Einführung des Frauenstimmrechts darstellt. Dabei bestätigte sich für den Nationalrat die seit den achtziger Jahren bestehende parteipolitische Polarisierung der Frauenrepräsentation: 58% der gewählten Frauen gehören einer der rot-grünen Parteien an. Während 35% (19 von 54) der auf SP-Listen Gewählten Frauen sind, stieg der Frauenanteil der FDP um sechs Prozentpunkte auf 18% (8 von 45), die CVP-Frauen verbesserten sich um 3,5% auf 15% (5 von 34). Einen anteilsmässigen Rückschritt von 12% auf 10% (3 von 29) erfuhren die SVP-Frauen
[49]. Weiterhin stammen die meisten gewählten Frauen aus der deutschen Schweiz; der Frauenanteil in der Romandie verbesserte sich aber um 6 Prozentpunkte auf 15%. Zwölf Kantone (1991: 13) sind von keiner Frau im Parlament vertreten. Die
Wahlchancen der Frauen waren bei den Nationalratswahlen immer noch 1,9 mal geringer als jene der Männer
[50].
Wahlen in kantonale Parlamente
Für die detaillierten Resultate siehe die Tabellen im Anhang (
anhang_1995.pdf).
Bei den Gesamterneuerungswahlen in fünf Kantonalparlamente (AI, BL, LU, TI, ZH) kam es zu Sitzverschiebungen, die klare Tendenzen aufzeigen: Die SVP als deutliche Siegerin konnte im bürgerlichen Lager auf Kosten der FDP und der CVP 15 Sitze hinzugewinnen, während sie gleichzeitig den Rechtsaussenparteien den Wind aus den Segeln nahm. Im Kanton Luzern erzielte die SVP, die erstmals zu den Wahlen antrat, mit 11 Sitzgewinnen einen Erdrutschsieg. Die FDP und die CVP verloren in den fünf Kantonen 8 bzw. 9 Sitze, während die Schweizer Demokraten und die Freiheits-Partei je einen Sitz dazugewinnen konnten. Im Kanton Tessin gewann die Lega dei Ticinesi vier Mandate dazu. Die Mitteparteien LdU und EVP konnten - teilweise durch grosses Proporzglück - im Kanton Zürich zusammen sechs Sitze gutmachen. Die SP machte ihre insgesamt vier Sitzgewinne auf Kosten der Grünen, die mit acht Sitzverlusten wie im Vorjahr zu den Verlierern der kantonalen Wahlen gehörten. Die Sitzverschiebungen ereigneten sich damit grösstenteils innerhalb dem bürgerlichen resp. dem Mitte-Links-Block.
Der
Frauenanteil nahm in den Kantonalparlamenten
nur teilweise zu [51]: In den Kantonen Tessin und Baselland stagnierte der Frauenanteil, im Kanton Baselland nahm er durch die Aufstockung des Parlaments sogar ab. In Appenzell Innerrhoden blieb die Anzahl der Parlamentarierinnen ebenfalls konstant, durch die Verkleinerung des Grossen Rates erhöhte sich der Frauenanteil aber prozentual. In Luzern zogen 9, im Kanton Zürich sogar 16 Frauen mehr ins Parlament ein. Insgesamt waren in den fünf Kantonen von 576 gewählten Parlamentsmitgliedern 148 Frauen (25,7%), wobei die SP mit 53 am meisten Frauen in diese kantonalen Legislativen (ohne AI) schickte. Gesamtschweizerisch lag der Frauenanteil in den kantonalen Parlamenten Ende 1995 bei 22,0% (1994: 21%).
Der
Innerrhoder Grosse Rat zählt neu 46 Mitglieder, die bisher einjährige Amtsdauer beträgt neu vier Jahre. Durch die im letzten Jahr an der Landsgemeinde beschlossene Einführung der Gewaltentrennung war die automatische Verbindung von Bezirksrats- und Grossratsmandat aufgehoben und eine Verkleinerung des Rates von 65 auf 46 Sitze beschlossen worden. Neu kommen auf ein Ratsmitglied 300 statt 250 Einwohner. Weiterhin besteht im Parlament kein eigentliches Parteiensystem. Der Frauenanteil erhöhte sich von 7 auf 9 Sitze
[52].
Bei den Wahlen in den neunzigköpfigen Baselbieter Landrat wurde der
rechte Flügel leicht gestärkt. Die SVP und die Schweizer Demokraten gewannen je zwei Sitze, wie auch die SP. Zwei Mandate verlor dafür die FDP, die mit 25 Sitzen, einschliesslich der drei Mandate der Vereinigung Berntreuer Laufentaler (VBL), aber stärkste Partei im Parlament bleibt. Ebenfalls zwei Mandate verloren die CVP und die Grünen, die sich nur Monate zuvor gespalten hatten. Die Liste "Grüne Baselbiet" eroberte noch 4 Sitze, die "Freie Grüne Liste", die sich unter der Führung von Nationalrätin Ruth Gonseth abgetrennt hatte, lediglich zwei. Die EVP verzeichnete als einzige Partei eine unveränderte Sitzzahl. Der LdU, die Freiheits-Partei und die erstmals angetretene Unabhängige Frauenliste gingen leer aus. Der
Frauenanteil stagnierte bei 23 Sitzen und
sank durch die Aufstockung des Landrats im letzten Jahr prozentual von 27,4% auf 25,6%
[53], obwohl das kantonale Gleichstellungsbüro eine aufwendige Kampagne geführt hatte. Mit dem bei seiner Wahl noch nicht ganz 18jährigen Mathias Zoller (cvp) schaffte der jüngste Schweizer den Sprung ins Parlament
[54].
Bei den Wahlen des 170köpfigen Luzerner Grossen Rates erzielte die
erstmals antretende SVP einen
Erdrutschsieg. Sie eroberte auf Kosten der traditionellen bürgerlichen Parteien CVP und FDP 11 Mandate und avancierte damit zum Sammelbecken bürgerlicher Protestwähler, nachdem sie "die bürgerliche Konsenspolitik mit den Linken" pauschal für Finanzmisere und andere Probleme verantwortlich gemacht hatte. Die CVP verlor fünf, die FDP gar sechs Sitze. Die beiden Parteien halten zusammen aber immer noch eine klare Mehrheit der Sitze. Die SVP gewann vor allem in der Stadt Luzern und in den Agglomerationsgemeinden Stimmen. Im linken Block gewann die SP zwei Sitze auf Kosten der Grünen. Die Frauenliste konnte ihren einzigen Sitz verteidigen und insgesamt vermochten die Frauen ihren Anteil im Grossen Rat von 24,7 auf 30% zu erhöhen
[55].
Bei den Tessiner Grossratswahlen kam es zu einem
Rechtsrutsch. Während die FDP als stärkste Fraktion einen Sitz hinzugewann, konnte die Protestpartei Lega dei Ticinesi ihre Sitzzahl im neunzigköpfigen Grossen Rat von 12 auf 16 Mandate erhöhen. Den Sprung in den Rat schaffte ausserdem der neugegründete rechtsbürgerliche Polo della Libertà, der einen Sitz gewann. Rückschläge hinnehmen mussten die beiden Traditionsparteien CVP und SP, die zwei bzw. drei Sitze verloren. Die SP musste damit ihre bisherige Stellung als drittstärkste Fraktion im Parlament an die Lega abgeben. Die im Tessin unbedeutende SVP verlor einen Sitz und stellt damit wie die Grünen und die PdA nur noch einen Grossrat. Der Frauenanteil im Parlament stagnierte bei 14,4%
[56].
Bei den Wahlen in den 180köpfigen Kantonsrat erholte sich die politische Mitte etwas von ihrem vier Jahre zuvor erlittenen Einbruch. Der LdU, der 1991 durch Proporzpech 8 von 10 Sitzen verloren hatte, konnte dieses Mal mit nur unwesentlich mehr Stimmen vier zusätzliche Sitze erobern. Die EVP gewann zwei Sitze, hingegen verlor die CVP mit zwei Mandaten weniger ein weiteres Mal an Wählergunst. Die FDP bleibt mit vier Sitzverlusten (22,5%, 46 Sitze) stärkste Partei, während die SVP drei Sitze dazugewinnen konnte (21,1%, 40 Sitze). Die SP, welche mit neu 21,5% den grössten Wählerzuwachs (+2,2%) verzeichnen konnte, erzielte zwei Sitze mehr (45). Damit kam es zu einer
Nivellierung der drei grossen Parteien. Verlierer sind mit vier Sitzverlusten die Grünen. Die FraP verlor einen ihren zwei Sitze, während rechtsaussen die Schweizer Demokraten einen ihrer vier Sitze an die Freiheits-Partei abgeben mussten. Der Frauenanteil erhöhte sich von 20% auf 28,9%
[57].
Wahlen in kantonale Regierungen
Bei den Wahlen in die Kantonsregierungen kam es parteipolitisch im Tessin und in Zürich zu einer neuen Zusammensetzung: Im Tessin gelang der Lega, in Zürich den Grünen der erstmalige Sprung in die Exekutive. Im Tessin ging der Sitzgewinn der Lega auf Kosten der CVP, die ihren zweiten Sitz verlor. In Zürich, wo ein SP- und ein Ex-LdU-Sitz freigeworden waren, gewann neben den Grünen die SVP einen zweiten Sitz. Von den wiederkandidierenden Regierungsmitgliedern wurden im Berichtsjahr alle bestätigt. Der Frauenanteil in den Exekutiven erhöhte sich weiter: Das Tessin wählte sein erstes weibliches Regierungsmitglied, in Zürich und Obwalden sind neu je zwei Frauen vertreten. Ende Jahr waren von 166 kantonalen Exekutivämtern 19 (11,4%) von Frauen besetzt (1994: 16; 9,6%).
Im Kanton Basel-Land wurden
die fünf Bisherigen klar in ihrem Amt
bestätigt. Elsbeth Schneider (cvp), die erst im vergangenen Jahr als erste Frau in die Regierung gewählt worden war, erzielte dabei das beste Resultat. Die beiden Sozialdemokraten Eduard Belser und Peter Schmid vermochten ihre FDP-Kollegen Hans Fünfschilling und Andreas Koellreuter zu überflügeln. Der SVP-Herausforderer Dieter Voellmin, der den im letzten Jahr an die CVP verlorenen Sitz hätte zurückholen sollen, blieb weit hinter dem fünftplazierten Koellreuter zurück. Die grüne Nationalrätin Ruth Gonseth und Nationalrat Rudolf Keller (sd), der im dritten Anlauf den Sprung in die Exekutive versuchte, wurden noch klarer distanziert
[58].
Die
Zauberformel konnte in Luzern von der SVP
nicht geknackt werden; weiterhin sitzen 4 CVP-, 2 FDP- und 1 SP-Vertreter in der Exekutive. Gleich drei der sieben Regierungssitze waren neu zu besetzen, da Heinrich Zemp (cvp), Josef Egli (cvp) und Erwin Muff (fdp) zurücktraten. FDP und CVP, die mit einer gemeinsamen Liste antraten, konnten ihre sechs Mandate bereits im ersten Wahlgang sichern. Neben den Bisherigen Klaus Fellmann (cvp), Brigitte Mürner (cvp) und Ulrich Fässler (fdp) wurden neu Anton Schwingruber (cvp), Kurt Meyer (cvp) und Max Pfister (fdp) gewählt. Im zweiten Wahlgang konnten die Sozialdemokraten ihren seit 1959 gehaltenen Sitz mit dem Bisherigen Paul Huber verteidigen. Huber, der von der CVP unterstützt wurde, setzte sich mit 72% der Stimmen gegen seinen SVP-Herausforderer Hans Ulrich Bühler durch. Somit konnte Bühler nicht an den Erfolg der SVP bei den Grossratswahlen anknüpfen. Die Luzerner demonstrierten klar, dass sie keine rein bürgerliche Regierung wünschen. Die grüne Nationalrätin Cécile Bühlmann hatte, nachdem sie sich im ersten Wahlgang knapp vor den SVP-Kandidaten plazieren konnte, zugunsten der SP auf einen zweiten Wahlgang verzichtet
[59].
Im Tessin zog erstmals die
Protestbewegung
Lega dei Ticinesi in die Regierung ein, allerdings nicht mit Lega-Mitbegründer und Nationalrat Flavio Maspoli, der ebenfalls kandidiert hatte, sondern mit dem moderater auftretenden Nationalrat Marco Borradori. Die Lega profitierte insbesondere von der schwierigen wirtschaftlichen Situation im Tessin und der "Anti-Bern-Stimmung". Sie gewann den Exekutivsitz auf Kosten der CVP, deren zweiter Sitz durch den Rücktritt von Renzo Respini freigeworden war. Die Nationalrätin Mimi Lepori konnten diesen Sitz nicht verteidigen. Seit 1927 setzt sich die Regierung nun erstmals nicht mehr nur aus Mitgliedern der drei Traditionsparteien FDP, CVP und SP zusammen. Neu und mit Bestresultat gewählt wurde als Nachfolgerin des zurücktretenden Freisinnigen Dick Marty Marina Masoni, womit auch im Tessin
erstmals eine Frau Einsitz in der Exekutive nimmt. Mit der dem rechten FDP-Flügel zuzuordnenden Masoni und dem Lega-Vertreter Borradori kam es in der Regierung, analog zu den Grossratswahlen, zu einem Rechtsrutsch. Giuseppe Buffi (fdp), Alex Pedrazzini (cvp) und Pietro Martinelli (sp) wurden wiedergewählt. Elf Parteien mit insgesamt 38 Kandidaten hatten sich um einen Sitz in der Tessiner Kantonsregierung beworben
[60].
Obwohl gleich zwei Regierungssitze neu zu besetzen waren - die erste Regierungsrätin der Schweiz, Hedi Lang (sp), und Alfred Gilgen (ex-ldu) traten zurück -, erlebte der Kanton Zürich einen für seine Verhältnisse
ruhigen Wahlkampf. Die SVP, die nur ein Jahr zuvor mit ihrer Wahlkampagne zu den Regierungswahlen der Stadt Zürich die ganze Schweiz polarisiert hatte, gab sich dieses Mal moderat. Schon früh war klar, dass die
Entscheidung zwischen drei Frauen fallen würde. Das Rennen machten schliesslich Rita Fuhrer (svp), die vom geschlossenen Auftreten des bürgerlichen Fünfertickets profitierte, und die Parteipräsidentin der Grünen, Nationalrätin Verena Diener. Die SP-Kandidatin Vreni Müller-Hemmi erreichte zwar das absolute Mehr, fiel aber als überzählig aus der Wahl. Die SVP hat damit ihren 1991 an die SP verlorenen zweiten Sitz zurückerobert, während die
Grünen erstmals in der Zürcher Regierung vertreten sind. Die fünf wiederkandidierenden Regierungsräte waren ungefährdet: Das Spitzenresultat erzielte wie vier Jahre zuvor Finanzdirektor Eric Honegger (fdp), gefolgt von Ernst Buschor (cvp), Ernst Homberger (fdp), Moritz Leuenberger (sp) und Hans Hofmann (svp). Keine Chance hatten hingegen LdU-Kandidat Anton Schaller und Ernst Frischknecht (evp). Die Wahlbeteiligung betrug nur gerade 36,7%, obwohl die briefliche Wahl in Zürich kurz zuvor erleichtert worden war
[61].
Ersatzwahlen
Als Ersatz für den zurücktretenden freisinnigen Erziehungsdirektor Hans-Rudolf Striebel wurde der 1994 in den Nationalrat nachgerückte FDP-Mann
Stefan Cornaz mit 60% der abgegebenen Stimmen in den Basler Regierungsrat gewählt. Der Kampf um die Nachfolge war allenfalls parteiintern spannend: Das Vorgehen der freisinnigen Parteiführung, die Cornaz gleichzeitig mit der Rücktrittsmeldung von Striebel vorschlug, wurde von Teilen der anderen bürgerlichen Parteien, insbesondere auch den Frauen, als handstreichartig empfunden. Die SP verzichtete auf eine Gegenkandidatur. Um gegen eine Wahl ohne Auswahl zu protestieren, bildete sich ein überparteilich-linkes Frauenforum mit
13 Gegenkandidatinnen. Diese konnten zwar zusammen 28,4% der gültigen Stimmen auf sich vereinigen, verpassten ihr Ziel eines zweiten Wahlgangs aber klar. Gute 9% der Stimmzettel wurden leer eingelegt
[62].
Im Kanton Obwalden wurde von der Landsgemeinde
Elisabeth Gander (fdp) zur Nachfolgerin des nach sechzehn Jahren zurücktretenden Anton Wolfisberg (fdp) gewählt. Damit hat Obwalden als erster Innerschweizer Kanton eine Frauen-Doppelbesetzung in der Regierung. Die Kandidatur Ganders hatte im Vorfeld der Wahlen zu Turbulenzen geführt: Die Engelberger Liberalen (fdp) kürten anstelle der Engelberger Gemeinderätin Gander den von Wirtschafts- und Tourismuskreisen portierten Mario Amstutz zum Kandidaten. Die kantonale Delegiertenversammlung entschied sich aber für eine Frauenkandidatur
[63].
Erwartungsgemäss wurde der bisherige Nationalrat und einzige Kandidat
Christian Wanner (fdp) als Nachfolger seines Parteikollegen Fritz Schneider in den Solothurner Regierungsrat gewählt. Damit setzt sich dieser weiterhin aus je zwei Vertretern von FDP und CVP sowie einem der SP zusammen. Für Aufsehen sorgte die anschliessende
Departementsneuverteilung: Der im Rahmen des Solothurner Kantonalbank-Debakels stark kritisierte Peter Hänggi (cvp) musste das Finanzdepartement an den neugewählten Wanner abtreten. Auch der bisherige Volkswirtschaftsvorsteher Thomas Wallner (cvp) musste auf Mehrheitsentscheid der Regierung hin das Departement wechseln
[64].
Weil Moritz Leuenberger (sp) im September als Nachfolger von Otto Stich in den Bundesrat gewählt wurde, mussten die Zürcher nur ein halbes Jahr nach den kantonalen Regierungsratswahlen nochmals an die Urne gehen. Die
Bürgerlichen
machten der SP ihre seit 1899 bestehende
Regierungsbeteiligung streitig mit dem Argument, dass die SP-Kandidatin Vreni Müller-Hemmi keine geeignete Persönlichkeit für den Regierungsrat sei. Ohne Absprache mit der Zürcher FDP schlug die von Christoph Blocher angeführte SVP die freisinnige Nationalrätin Vreni Spoerry als bürgerliche Kandidatin vor; diese stellte sich aber nicht zur Verfügung. Die Bürgerlichen kürten deshalb den weitgehend unbekannten Rolf Gerber (svp) zu ihrem Kandidaten, der gegen die im Frühling bei den Gesamterneuerungswahlen als überzählig ausgeschiedene Müller-Hemmi antrat. Beide Kandidaten verpassten im ersten Wahlgang das absolute Mehr, Gerber erzielte aber rund 3000 Stimmen mehr als die auch von den Mitteparteien CVP, LdU und EVP unterstützte Sozialdemokratin. Diese erklärte deshalb ihren Verzicht auf eine weitere Kandidatur. Die nächsten Wahlen um den verwaisten Regierungsratssitz werden im Januar 1996 stattfinden
[65].
Kommunale Wahlen
Für die detaillierten Resultate siehe die Tabellen im Anhang (
anhang_1995.pdf).
Von den acht grössten Städten (exklusive Basel) wählte Genf eine neue Regierung und ein neues Parlament; in Lausanne und St. Gallen fanden Regierungsersatzwahlen statt. Zu einer neuen Parteienzusammensetzung kam es nur in Lausanne, wo die PdA die Liberalen aus der Regierung verdrängen konnte. Die Frauen konnten auf kommunaler Ebene nur bedingt Terrain gutmachen. Der Frauenanteil in den städtischen Regierungen sank von 29,6% (1994) auf 27,8%. Auf Parlamentsebene legten die Frauen leicht, von 33,6% auf 33,9%, zu.
In der fünfköpfigen Genfer Stadtregierung (Conseil administratif)
behält die
rot-grüne Koalition ihre 1991 eroberte
Mehrheit. Damit konnte diese an den Erfolg der einen Monat zuvor abgehaltenen Stadtratswahlen anknüpfen. Die drei amtierenden Vertreter der rot-grünen Koalition, Jacqueline Burnand (sp), André Hediger (pda) und Alain Vaissade (gp) erhielten am meisten Stimmen, Michel Rossetti (fdp) erreichte das viertbeste Resultat. Nicht mehr zur Wahl gestellt hatte sich Madeleine Rossi (lp), die Liberalen vermochten aber mit einem knappen Vorsprung von 111 Stimmen ihren nicht sehr bekannten Kandidaten Pierre Muller durchzubringen. Die CVP konnte ihren vor vier Jahren an die Grünen verlorenen Sitz mit dem ehemaligen Staatsrat Dominique Föllmi nicht zurückerobern
[66].
Vier Jahre lang waren sich im Stadtparlament mit der bürgerlichen Entente und der linken Alternative zwei genau gleich grosse Blöcke gegenübergestanden. Neu erreichte die
Linke mit 44 von 80 Sitzen
erstmals in der Nachkriegszeit die Mehrheit. Verschiedentlich wurde der in dieser Höhe nicht erwartete Erfolg als Absage an die seit 1993 rein bürgerliche Genfer Kantonsregierung interpretiert. Die Sozialisten und die Linksallianz (PdA, Solidarités und unabhängige Sozialisten) stellen im linken Block mit je 18 Vertretern nun gleich grosse Fraktionen; die SP konnte drei, die Linksallianz vier Sitze zulegen. Die Grünen als dritte Kraft der linken Alternative bezahlten mit drei Sitzverlusten allerdings einen Teil der Zeche. Auf bürgerlicher Seite verloren die Liberalen als stärkste Fraktion im Stadtparlament zwei Sitze (neu 19), während FDP und CVP je einen Sitz verloren. Die Frauenvertretung beträgt neu 37,5% (35,0%)
[67].
In der Lausanner Stadtregierung nimmt erstmals seit 1949 wieder ein
Kommunist Einsitz. PdA-Mitglied
Bernard Métraux wurde als Ersatz für den liberalen Polizeidirektor Jean-Claude Rosset gewählt, der wegen einer Steueraffäre zurücktreten musste. Die Niederlage des liberalen Kandidaten Philippe Vuillemin ist einerseits im Licht dieses Skandals zu sehen, andererseits konnten sich Liberale und FDP lange nicht auf einen Kandidaten einigen. Die
Liberalen sind nun
erstmals seit 1893 nicht mehr in der Exekutive vertreten. Mit der Wahl Métraux wurde die links-grüne Mehrheit in der Lausanner Regierung noch verstärkt: diese setzt sich neu aus drei Sozialdemokraten, einem Grünen, einem Kommmunisten und zwei Freisinnigen zusammen
[68].
Die FDP behält ihren zweiten Sitz im fünfköpfigen St. Galler Stadtrat. Bei der Ersatzwahl für die zurücktretende Helen Kaspar konnte
Liana Ruckstuhl den FDP-Sitz mit 62,7% der Stimmen halten. Der Gegenkandidatin und grünen Nationalrätin Pia Hollenstein gelang es zwar, das links-grüne Spektrum zu sammeln, sie unterlag aber mit 35,2% der Stimmen. Damit bleibt die Parteienzusammensetzung in der St. Galler Exekutive (2 FDP, 2 CVP, 1 SP) unverändert
[69].
Weiterführende Literatur
"Bericht an den Nationalrat über die Nationalratswahlen für die 45. Legislaturperiode" in BBl, 1995, IV, S. 1389 ff.
Eidg. Kommission für Frauenfragen, Die Kandidatinnen in den Medien - Geschlechtsspezifische Medienanalyse zu den eidgenössischen Wahlen 1995, Bern (EDMZ) 1996.
P. Farago, Wahlen 95. Zusammensetzung und politische Orientierungen der Wählerschaft an den eidgenössischen Wahlen, Bern/Genf/Zürich 1996 (Reihe selects, swiss electoral studies).
R.W. Jackman / R.A. Miller, "Voter turnout in industrial democracies during the 1980s", in Comparative Political Studies, 27/1995, S. 467 ff.
G. Kupper, "Proportionalitätsprobleme bei Nationalratswahlen", in Beiheft zur Zeitschrift für schweizerisches Recht, Basel 1995.
C. Longchamp et al., Hin zur Tripolarität im Parteiensystem der Schweiz. Eine Erstanalyse der Nationalratswahlen vom 22. Oktober 1995, Bern 1995.
C. Longchamp et al., Durch neue Strategien zum Wahlerfolg. Grundlagen-Studie zur Kampagne 95 der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Bern 1995.
SDA / SRG, Dokumentation Eidgenössische Wahlen 1995, Bern/Zürich 1995.
A. Serna, Selektionseffekte bei der Kandidatenauswahl: Bedeutung und Konsequenzen: eine ökonomische Analyse der "Märkte für Politiker", Zürich 1994.
W. Seitz, Nationalratswahlen 1995. Der Wandel der Parteienlandschaft seit 1971, Bern (BSF) 1995.
W. Seitz, Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1995. Entwicklung seit 1971, Bern (BSF) 1995.
B. Steppacher, "Stabilität und tektonische Verschiebungen in der Schweiz. Eidgenössische Wahlen im Schatten Europas", in Auslandsinformationen. Konrad Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin bei Bonn 1995.
A. H. Trechsel, Clivages en Suisse. Analyse des impacts relatifs des clivages sur l'électorat suisse lors des élections fédérales, Genève 1995.
Amt für Statistik Luzern, Grossratswahlen 1995: statistische Analyse, Luzern 1995.
A. Ghiringhelli, Il cittadino e il voto. Materiali sull'evoluzione dei sistemi elettorali nel Cantone Ticino, 1803-1990, Locarno 1995.
J. Meyer, Droit et pratique des élections communales vaudoises, Neuchâtel 1995.
[2] Inkl. dem Sitz des partito socialista unitario (TI), der 1991 noch nicht der SP zugezählt wurde.2
[3] Ausgehend von einer Zuordnung, die den Sitz der Alliance jurassienne (BE) 1991 nicht zur CVP zählte.3
[4] Der Sitz des verstorbenen Ulrich Blatter (cvp, OW) war seit April verwaist.4
[6]
Lib., 3.10.95;
CdT, 14.10.95. Zu J. Meier siehe H. Girnet et al.,
Josi J. Meier - Dank- und Denkschrift, Hitzkirch 1995.6
[7]
Lit. SDA/SRG. Doppelkandidaturen Amtierender: Bodenmann (sp, VS), Bortoluzzi (svp, ZH), Brunner (sp, GE), Goll (frap, ZH), Misteli (gp, SO), Reimann (svp, AG), Spoerry (fdp, ZH), Strahm (sp, BE), Steffen (sd, ZH) und Zisyadis (pda, VD).7
[8] Vgl. dazu auch unten, Teil I, 2 (Suisses à l'étranger).8
[9]
Lit. SDA/SRG;
TA, 6.10.95.9
[10]
Lit. SDA/SRG. Zu den gesetzlichen Massnahmen zur Beschränkung der Anzahl der Listen resp. -verbindungen siehe
SPJ 1994, S. 42.10
[11] Siehe dazu weiter unten.11
[12]
NZZ, 6.10.95;
BüZ, 10.10.95.12
[13]
TA, 24.8. und 14.10.95;
LZ, 7.10.95;
Bund, 19.10.95;
Link, Magazin des Publikumsrates DRS, Nr. 12, 1995, S. 2 ff. Siehe auch
Lit. Rickenbacher. Gemäss einer Befragung von Wählenden nahmen im Wahlkampf die elektronischen Medien den wichtigsten Platz ein, gefolgt von der Presse. Die politische Werbung (Inserate und Werbesendungen) war von untergeordneter Bedeutung (
Lit. Farago).13
[14]
TA, 5.7. und 13.7.95;
WoZ, 7.7.95.14
[15]
BZ, 11.10.95;
SoZ, 24.9.95. Zu den Bundesratswahlen siehe oben, Teil I, 1c (Regierung).15
[16] Stiefeltritt:
NZZ, 12.6.95;
TA, 15.6. und 29.6.95. SVP Bern:
Bund und
BZ, 28.6.95. SVP Schweiz:
TA, 29.6.95. FDP Zürich:
TA, 29.6.95;
Ww, 6.7.95. Die Zürcher FDP wählte auch für den Ständeratswahlkampf den Alleingang und unterstützte den SVP-Kandidaten Bortoluzzi nicht (
AT, 16.6.95). Vgl. auch "Der europäische Stiefeltritt", in
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.7.95. Anti-EU-Kundgebung: Presse vom 24.9.95. Siehe auch oben, Teil I, 1b (Politische Manifestationen). Die SVP Schweiz wie auch etwa die Berner Sektion distanzierten sich von der Veranstaltung.16
[17]
Lit. SDA/SRG. Zum Wahlkampf Randegger:
SGT, 22.9.95;
Blick, 27.9.95.17
[18] Presse vom 28.4. und 8.5.95.18
[20] FP:
NZZ, 28.8.95;
TA, 11.10.95. SD:
BüZ, 4.9.95.20
[21] SP-Frauen: Presse vom 20.5.95. Bürgerliche Frauen:
NZZ, 31.5.95.21
[22]
Lit. SDA/SRG. Auslandschweizer:
BaZ, 15.11.95.22
[25] Inkl. dem Sitz des Partito socialista unitario (TI), der 1991 noch nicht der SP zugezählt wurde.25
[26] Ausgehend von einer Zuordnung, die den Sitz der Alliance Jurassienne (BE) 1991 nicht zur CVP zählte.26
[27] Nationalratswahlen vom 22.10.95:
BBl, 1995, IV, S. 1389 ff. Presse vom 23.10. und 24.10.95;
NZZ, 25.10.95.27
[29]
NZZ, 25.10.95;
Lit. SDA/SRG und
Lit. Longchamp. Zur Diskussion um die Zauberformel im Vorfeld der Wahlen siehe oben, Teil I, 1c (Regierung).29
[30]
Lit. SDA/SRG und
Lit. Steppacher. Die 1992 gegründete Naturgesetz-Partei, die eine Politik auf der Grundlage der transzendentalen Meditation propagiert, erreichte im Kanton Uri mit 0,9% den höchsten Wähleranteil.30
[31]
Lit. Seitz;
NZZ, 4.12.95.31
[32] Presse vom 6.12.95. Zur gemeinsamen Fraktion der SP und der Kommunisten siehe auch unten, Teil IIIa (SP).32
[33]
Bund, 18.9.95;
LZ, 24.10.95.33
[34]
TA und
NZZ, 24.10.95;
Ww, 26.12.95. Zur Zürcher FDP siehe auch unten, Teil IIIa (FDP).34
[35]
AT, 23.10. und 24.10.95.35
[36]
Bund, 12.10.95;
BaZ, 24.10.95. Zu Miesch vgl. auch
BaZ, 27.4.95;
TA, 17.7.95.36
[37]
Bund,
BZ und
TW, 24.10.95;
Bund, 15.11.95. Ein Vorstoss im Berner Grossrat, der die Prüfung einer Verfassungsänderung forderte, wonach der Berner Jura künftig mit mindestens zwei Sitzen im Nationalrat vertreten sein müsse, wurde von der Berner Regierung mit der Begründung abgelehnt, dass die heutige Vertretung rein mathematisch als angemessen erachtet werden könne. Zuvor hatte alt Bundesrat und Präsident der Assemblée Interjurassienne René Felber das Wahlergebnis für den Berner Jura als ziemlich gravierend taxiert (
BZ und
Bund, 17.1.96).37
[38]
SGT, 23.10. und 1.11.95.38
[39]
LNN, 23.10.95;
NZZ, 24.10.95. LU:
LZ, 25.10.95.39
[40] GR:
BüZ, 23.10.95. VS:
NF, 23.10.95. Zu Bodenmann-Poker:
Bund, 12.7.95.40
[41]
TdG und
NF, 23.10. und 24.10.95.41
[42]
CdT, 24.10.95;
NZZ, 28.10.95. Ein Wahlrekurs der Lega wegen durchscheinenden Wahlzetteln wurde vom Staatsrat zurückgewiesen.42
[44] Presse vom 23.10.95.44
[45] Zu den 2. Wahlgängen: Für LU (stille Wahl) siehe Presse vom 27.10.95; für VS Presse vom 30.10.95; für VD Presse vom 6.11.95: für FR und TI Presse vom 13.11.95; für AG, UR und ZH Presse vom 27.11.95. Zu Spoerry siehe auch oben, Teil I, 1c (Regierung).45
[47]
BüZ, 23.10.95 (Semadeni);
SGT, 24.10.95;
Facts, 26.10.95.47
[48] Mit der Wahl von Nationalrätin Vreni Spoerry in den Ständerat reduzierte sich diese Zahl auf 42, da für sie ein Mann nachrückte.48
[49] Zum Protestaustritt von SVP-Generalsekretärin Myrtha Welti aus der SVP Bern siehe unten, Teil IIIa (SVP).49
[50]
Lit. Seitz;
TA und
LZ, 24.10.95. Zu den Wahlchancen: Nur 4,3% der Kandidatinnen, aber 8,5% der Kandidaten schafften den Sprung in den NR.50
[51] Der Vergleich basiert auf den kantonalen Wahlen 1991. Später ins Parlament nachrutschende bzw. zurücktretende Frauen wurden nicht berücksichtigt.51
[52] 1. Wahlgang vom 7.5.95:
NZZ, 8.5.95. Zweiter Wahlgang vom 28.5.95:
SGT und
NZZ, 29.5.95. Zu der Verfassungsreform von AI siehe auch
SPJ 1994, S. 18.52
[53] 1994 war der Landrat um 6 zusätzliche Sitze für das neu von Bern zu BL stossende Laufental aufgestockt worden. Siehe dazu
SPJ 1994, S. 51.53
[54] Wahlen vom 20.2.95:
BaZ und
NZZ, 21.2.95.54
[55] Wahlen vom 2.4.95:
LNN,
LZ und
NZZ, 4.4.95. Wahlkampf der SVP:
BZ, 28.3.95.55
[56] Wahlen vom 2.4.95:
CdT und
NZZ, 5.4.95.56
[57] Wahlen vom 2.4.95:
NZZ,
TA und
LNN, 4.4.95.57
[58] Wahlen vom 19.2.95: Presse vom 20.2.95. Wahlkampf:
BaZ, 13.1. und 3.2.95.58
[59] 1. Wahlgang vom 2.4.95:
LZ,
LNN und
NZZ, 3.4.95. 2. Wahlgang vom 7.5.95:
LZ und
LNN, 8.5.95. Wahlkampf:
LZ, 22.4.95.59
[60] Wahlen vom 2.4.95: Presse vom 3.4. und 4.4.95. Wahlkampf:
CdT und
LNN, 1.4.95.60
[61] Wahlen vom 2.4.95:
NZZ und
TA, 3.4.95. Wahlkampf:
TA, 28.3.95;
LNN, 30.3.95.61
[62] Ersatzwahlen vom 21.5.95:
BaZ und
NZZ, 22.5.95. Wahlkampf:
BaZ, 28.2., 4.3., 27.3. und 28.3.95. Letzte Gesamterneuerungswahlen siehe
SPJ 1992, S. 54.62
[63] Landsgemeinde vom 30.4.95:
LZ und
LNN, 1.5.95. Wahlkampf:
BZ, 28.4.95. Zu Gander siehe auch
TA, 27.4.95. Letzte Gesamterneuerungswahlen siehe
SPJ 1994, S. 54.63
[64] Ersatzwahl vom 22.10.95: Presse vom 23.10.95. Departementsverteilung:
BZ, 31.10.95. Letzte Gesamterneuerungswahlen siehe
SPJ 1993, S. 57.64
[65] Ersatzwahl vom 26.11.95: Presse vom 27.11. und 28.11.95. Kandidatenkür:
TA, 24.10.95;
LNN, 27.10.95.65
[66] Stadtratswahlen vom 7.5.95: Presse vom 8.5.95.66
[67] Stadtparlamentswahlen vom 2.4.95: Presse vom 3.4.95.67
[68] Ersatzwahlen vom 12.3.95: Presse vom 13.3.95. Letzte Gesamterneuerungswahlen siehe
SPJ 1993, S. 59.68
[69] Ersatzwahlen vom 25.6.95:
SGT und
NZZ, 26.6.95. Letzte Gesamterneuerungswahlen siehe
SPJ 1992, S. 56 f.69
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