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Sozialpolitik
Sozialversicherungen
Der Bundesrat leitete dem Parlament seine Vorschläge für die 11. AHV- und die 1. BVG-Revision zu. – Die beiden Volksinitiativen „für eine Flexibilisierung der AHV – gegen die Erhöhung des Rentenalters der Frauen“ und „für ein flexibles Rentenalter ab 62 für Frau und Mann“ wurden an der Urne verworfen. – Bundesrat und Nationalrat lehnten die Volksinitiative der SP „Gesundheit muss bezahlbar bleiben“ ab. – Die erste Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes konnte abgeschlossen werden; die Regierung präsentierte ihre Botschaft zur 2. Teilrevision. – Beide Kammern nahmen eine Motion für eine aus Geldern der Arbeitgeber und der Erwerbsersatzordnung finanzierte Mutterschaftsversicherung an.
Allgemeine Fragen
Im Rahmen der Legislaturplanung 1999-2003 wollte die vorberatende Kommission des Ständerates den Bundesrat mit einer Richtlinienmotion verpflichten, einen Bericht auszuarbeiten, in welchem er Modelle und Szenarien zur langfristigen Zukunftssicherung der Sozialwerke darlegt. Eine Vorgabe sollte dabei mindestens die Konstanthaltung der Soziallastquote sein. Der Bundesrat wies auf bereits geleistete Vorarbeiten hin (Drei-Säulen-Bericht, Berichte IDA-FiSo 1 und 2) und beantragte erfolgreich Umwandlung in ein Postulat [1].
In der Herbstsession konnte nach langen Vorarbeiten – die auslösende parlamentarische Initiative von alt Ständerätin Josi Meier (cvp, LU) war 1985 eingereicht worden – der Allgemeine Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom Parlament verabschiedet werden. Der ATSG stärkt die Stellung der Versicherten in verschiedener Hinsicht. Verfahren und Begriffe wurden vereinheitlicht und Gerichtsentscheide ins Gesetz aufgenommen, was die Rechtssicherheit erhöht. Alle allgemein gültigen Bestimmungen sind im ATSG zusammengefasst, während die Besonderheiten der einzelnen Sozialversicherungszweige weiterhin in den Einzelgesetzen geregelt bleiben. Als wichtigste materielle Änderung bringt der ATSG in allen Sozialversicherungen ein vereinfachtes Einspracheverfahren. Allerdings umfasst das neue Regelwerk weder die berufliche Vorsorge noch die Zusatzversicherungen im Krankenversicherungsbereich [2].
Wegen unklarer Formulierung gab der Nationalrat einer parlamentarische Initiative Jaquet (pda, VD), die unter anderem eine einheitliche Anlaufstelle für Sozialversicherungsfragen verlangte, keine Folge, überwies jedoch einstimmig ein diesbezügliches Postulat seiner Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) [3].
Auf Antrag des Bundesrates fügte das Parlament in sämtlichen Sozialversicherungsgesetzen Bestimmungen über den Datenschutz ein. Das Mitte 1993 in Kraft gesetzte Datenschutzgesetz, welches verlangt, dass in alle relevanten Einzelgesetze datenschutzrechtliche Regelungen aufgenommen werden, hätte den Gesetzgeber eigentlich verpflichtet, diese innerhalb von fünf Jahren zu verabschieden; die Frist war dann bis Ende 2000 verlängert worden [4]. Da die Zeit nicht reichte, um im medizinischen Bereich alle notwendigen Abklärungen vorzunehmen, überwies der Nationalrat ein Postulat seiner Rechtskommission, welches den Bundesrat bittet, in Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten dem Parlament einen umfassenden, alle Sozialversicherungszweige umfassenden Bericht über Regelungslücken im medizinischen Datenschutz vorzulegen [5].
Im Vorjahr hatte die SGK des Nationalrates festgestellt, dass die Zahlungsausstände und Beitragsverluste bei den Sozialversicherungen infolge von Insolvenzen und Konkursen in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Die von der SGK angehörten Sozialpartner hatten einhellig erklärt, die Anfang 1997 erfolgte Abschaffung des Konkursprivilegs für Sozialversicherungen im Schuldenbetreibungs- und Konkursrecht sei mitverantwortlich für diese negative Entwicklung. Die Kommission hatte daraufhin eine parlamentarische Initiative eingereicht mit dem Ziel, rasch auf diese Änderung zurückzukommen und die Beiträge an die Sozialversicherungen wieder in die zweite Klasse der Gläubigerforderungen aufzunehmen. Im Einvernehmen mit dem Bundesrat stimmten beide Kammern dieser Wiederherstellung der alten Regelung zu [6].
Der Nationalrat lehnte mit 72 zu 61 Stimmen eine Standesinitiative des Kantons Aargau ab, welche die Unentgeltlichkeit von Beschwerdeverfahren im Sozialversicherungsbereich aufheben wollte. Der Kanton Aargau hatte damit der steigenden Flut von Rekursen begegnen wollen. Der Rat folgte aber der Argumentation seiner Kommission, wonach Rechtsuchende gerade im Bereich der Kranken-, Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung besonders verletzlich sind und deshalb eines besonderen Schutzes bedürfen [7].
Zur Legislaturplanung 1999-2003 reichte die vorberatende Kommission des Nationalrates eine Richtlinienmotion ein, in der sie verlangte, der Bundesrat solle den eidgenössischen Räten einen Bericht vorlegen, der die sozialen und ökonomischen Auswirkungen verschiedener Modelle eines existenzsichernden Grundeinkommens (negative Einkommenssteuer, garantiertes Minimaleinkommen, existenzsichernde Ergänzungsleistungen usw.) darlegt und aufzeigt, inwieweit sie geeignet sind, den wachsenden Disparitäten in der Gesellschaft entgegen zu wirken. Der Bundesrat beantragte, die Motion abzulehnen. Er machte geltend, er sei bereits mehrmals gebeten worden, mögliche Formen eines garantierten Mindesteinkommens zu prüfen und sei dabei immer wieder zum Schluss gelangt, die angeregten Modelle könnten die tatsächlich existierenden Probleme gewisser Bevölkerungsgruppen nicht lösen, resp. würden negative Anreize für die Arbeitsmotivation bewirken. Im Einverständnis mit der Kommission wurde der Vorstoss ganz knapp (mit 91 zu 90 Stimmen) wenigstens als Postulat überwiesen [8].
In seiner Botschaft zur 11. AHV-Revision (siehe unten) präsentierte der Bundesrat die Perspektiven der Sozialversicherungen bis ins Jahr 2025. Der Bedarf aller Sozialwerke, auch jener, die nicht zumindest teilweise über Bundesmittel finanziert werden, steigt von heute 83 Mia Fr. pro Jahr auf 129 Mia Fr. Knapp die Hälfte davon kann durch das Wirtschaftswachstum und die damit verbundenen Mehreinnahmen aufgefangen werden. Es bleibt aber ein Zusatzbedarf von 26 Mia Fr., was 8,9 Mehrwertsteuerprozentpunkten entspricht. Allein die AHV wird 2025 fast doppelt so viel kosten wie heute; ihr Mehrbedarf steigt bis 2010 um 1,2 Mehrwertsteuer-Äquivalente, und zwischen 2010 und 2025, wenn die „Babyboom-Generation“ ins Rentenalter kommt, um weitere 3,1%. Neben der AHV tragen vor allem die Gesundheitskosten zum steigenden Finanzierungsbedarf bei. Der Bundesrat geht davon aus, dass sie bis 2003 2% pro Jahr zunehmen werden. Danach prognostiziert er eine jährliche Erhöhung um 1,2% bis 2010 und anschliessend um 0,5%. An einer Medienkonferenz machte BSV-Direktor Piller klar, dass die Zukunft des Sozialstaates nicht von den publizierten Zahlen abhängt, sondern von politischen Entscheiden [9].
Der Nationalrat überwies im Rahmen der Legislaturplanung 1999-2003 eine Richtlinienmotion, welche den Bundesrat beauftragen wollte, einen Bericht vorzulegen, in dem die kurz- (2010), mittel- (2015) und langfristigen (2050) Perspektiven der Alterssicherung in der Schweiz dargelegt werden. Dieser Bericht sollte zukunftsfähige Modelle der Alterssicherung mit Vor- und Nachteilen aufzeigen, einschliesslich möglicher Finanzierungsvarianten. Der Bundesrat verwies darauf, dass er im Anschluss an die Verabschiedung der Botschaft zur 11. AHV-Revision das EDI beauftragt habe, ein Forschungsprogramm vorzubereiten, um Grundlagen für die 12. AHV-Revision zu erarbeiten (siehe unten). Er vertrat die Ansicht, die mit dem Forschungsprogramm anvisierte Zeitperspektive bis ins Jahr 2025 sei realistisch. Für die Jahrzehnte danach seien zwar Trends erkennbar (beispielsweise beim Alterslastquotienten), doch seien gerade in wirtschaftlicher Hinsicht viele unvorhersehbare Entwicklungen möglich, weshalb es nicht sinnvoll wäre, personelle und finanzielle Ressourcen in die Erforschung von Hypothesen einzubinden. Aus diesem Grund beantragte er Umwandlung der Motion in ein Postulat, scheiterte aber mit 170 zu 3 Stimmen klar. Der Ständerat zeigte mehr Verständnis für die Einwände des Bundesrates und begnügte sich mit einem Postulat [10].
Gemäss OECD und Weltbank ist die Schweiz mit dem heutigen Konzept von obligatorischer Vorsorge in Verbindung mit freiwilliger privater Ersparnisbildung sowie mit den bereits getroffenen Vorkehren zu deren Absicherung gut gerüstet, um den Herausforderungen der demographischen Alterung der Gesellschaft zu begegnen. Insbesondere die Mischfinanzierung der Alterssicherung (Umlageverfahren in der AHV / Kapitaldeckungsverfahren in der beruflichen Vorsorge), gepaart mit dem Instrument der Ergänzungsleistungen, bildet nach Ansicht der beiden Wirtschaftsorganisationen ein geradezu ideales Modell zur Bekämpfung der Altersarmut, ohne dass dabei der Generationenvertrag und die öffentliche Hand über Gebühr belastet werden [11].
An einem Sonderparteitag verlangte die SVP eine radikale Neuausrichtung in der Sozialpolitik. Die Finanzierung der Sozialwerke müsse ohne neue Steuern und mit tieferen Lohnprozenten sichergestellt werden. Langfristig will die SVP die Sozialausgaben auf das Niveau von 1990 senken. Dabei sollen auch die Erhöhung des Rentenalters auf 68 Jahre und das Kapitaldeckungsverfahren für die AHV geprüft werden. Das Thesenpapier wurde von den Delegierten einstimmig angenommen [12]. Nachdem diese Vorschläge auch innerhalb der Klientel der SVP Bestürzung ausgelöst hatten, präsentierte die Partei im Mai neue Vorschläge zur Sicherung der staatlichen Sozialwerke (AHV/IV/EO und Arbeitslosenversicherung). Durch Sparanstrengungen soll die AHV ohne Rentenkürzungen und ohne Steuererhöhungen auskommen. Mit Ausnahme der vollständigen Überführung des überschüssigen Nationalbankgoldes in den AHV-Fonds (siehe unten) brachten die neuen Thesen nichts, was nicht schon vom Bundesrat mit der 11. AHV-Initiative vorgeschlagen wird (Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre, Angleichung der Witwen- an die Witwerrente, Teuerungsanpassung nur alle drei Jahre). In der IV ortete die SVP ein grosses Missbrauchspotential und verlangte eine Untersuchung. Bei den Arbeitslosen will die Partei Leistungen abbauen, beispielsweise durch eine Karenzfrist von 30 Tagen vor Bezug eines Taggeldes [13].
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Bei Erträgen von insgesamt 37,561 Mia Fr. und Aufwendungen von 37,120 Mia Fr. schloss die Rechnung von AHV/IV und EO für das Jahr 2000 mit einem Überschuss von 441 Mio Fr. ab. Das Budget hatte einen Fehlbetrag von 1,15 Mia ausgewiesen; im Vorjahr hatte das Defizit 766 Mio Fr. betragen. Die Einnahmen der AHV wuchsen gegenüber dem Vorjahr um 5,8% auf 28,79 Mia Fr., die Ausgaben beliefen sich auf 27,72 Mia Fr. Daraus resultierte ein Überschuss von 1,07 Mia Fr. Im Vorjahr hatte die AHV noch ein Defizit von 179 Mio Fr. hinnehmen müssen. Das gute Ergebnis wurde der positiven wirtschaftlichen Entwicklung zugeschrieben, die sowohl bei den Beiträgen wie bei den Erträgen aus der Mehrwertsteuer (1,836 Mia Fr.) zu in diesem Ausmass nicht erwarteten Mehreinnahmen führte. Mit 22,72 Mia Fr. entsprach das Vermögen der AHV 82% einer Jahresausgabe (1999: 79%). Die IV blieb demgegenüber auch im Jahr 2000 defizitär. Ihr Fehlbetrag erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr gar von 799 Mio Fr. auf 820 Mio Fr. Die Gesamtschuld der IV beträgt 2,305 Mia Fr. [14].
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Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV)
Der Ständerat behandelte in der Frühjahrssession die Revision der freiwilligen AHV für Auslandschweizerinnen und -schweizer. Dieses im Vergleich zur obligatorischen AHV „Mini-Sozialwerk“ mit nur gerade 54 000 Versicherten ist seit seiner Einführung chronisch defizitär. Der Bundesrat hatte bereits mehrmals vergeblich die Auflösung beantragt, war aber immer am Parlament gescheitert, das die Solidarität mit den Schweizer Kolonien im Ausland höher wertete als finanzielle Überlegungen. Da sich mit dem Inkrafttreten der bilateralen Verträge mit der Europäischen Union auch alle EU-Bürgerinnen und -Bürger diesem Versicherungszweig hätten anschliessen können, drängte sich eine Revision auf. Hinsichtlich der Einschränkung des Versichertenkreises unterstützte der Ständerat die Vorschläge des Bundesrates. Danach sollten in Zukunft nur noch Personen der freiwilligen Versicherung beitreten können, die während fünf Jahren in der Schweiz versichert waren und nun in einem Land ohne Sozialversicherungsabkommen mit der Schweiz leben. Bezüglich der Höhe des Mindestbeitrags wollte er hingegen weiter gehen als die Landesregierung. Der jährliche Minimalbeitrag sollte auf den dreifachen Mindestbeitrag der obligatorischen Versicherung festgelegt werden (heute 324 Fr.); der Bundesrat hatte lediglich eine Verdoppelung vorgeschlagen [15]. Weil nicht alle Staaten mit einem Sozialversicherungsabkommen mit der Schweiz (rund 30 Länder plus die Staaten der EU und der EFTA) eine gleichwertige Altersvorsorge anbieten, beschloss der Nationalrat, dass sich alle Personen weiter sollten versichern können, die unmittelbar vor ihrem Beitritt fünf Jahre der obligatorischen AHV unterstellt waren und jetzt in einem Nicht-EU-Staat wohnen. Aus Rücksicht auf viele ältere Schweizer Kolonien insbesondere in Südamerika, die zum Teil in prekären finanziellen Verhältnissen leben, und auf die Mitarbeiter karitativer Organisationen im Ausland, die nur über geringe Einkommen verfügen, begnügte er sich mit der Verdoppelung des Mindestbeitragssatzes. In diesem Punkt stimmte der Ständerat diskussionslos zu. Nachdem er sich aber von der Verwaltung hatte bestätigen lassen, dass der UNO-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eine Ungleichbehandlung von EU- und Nicht-EU-Bürgern zulässt, beschränkte er den Versichertenkreis auf Schweizer- und EU-Bürgerinnen und -Bürger, die während mindestens fünf Jahren in der Schweiz der AHV unterstellt waren und nun in einem Nicht-EU-Staat leben. Hier schloss sich ihm der Nationalrat an [16].
Im Vorfeld der Beratung der 11. AHV-Revision verabschiedete die SGK des Nationalrates eine parlamentarische Initiative, wonach künftig der vollständige Ertrag aller für die AHV erhobenen Mehrwertsteuerprozente – also auch jener des 1999 eingeführten „Demographieprozents“ – vollumfänglich dem AHV-Fonds zugute kommen müssen. In seiner Stellungnahme beharrte der Bundesrat darauf, dass weiterhin 17% dieser Einnahmen in die Bundeskasse fliessen sollen. Er begründete dies damit, dass die Höhe des Bundesbeitrages an die AHV (rund 17% deren Gesamtausgaben) ebenfalls durch die demographische Entwicklung beeinflusst werde. Das Plenum des Nationalrates war jedoch anderer Meinung. Mit 124 zu 34 Stimmen bei 15 Enthaltungen gab es, gegen den Willen der FDP und der LP, der parlamentarischen Initiative Folge [17]. Unter dem Eindruck der beschwörenden Worte des Finanzministers lehnte es der Ständerat (trotz gegenteiligem Antrag seiner Kommission) jedoch mit 23 zu 18 Stimmen ab, auf die Vorlage einzutreten. Der Nationalrat beharrte mit 101 zu 57 Stimmen auf seinem ersten Beschluss. Die kleine Kammer liess sich von diesem klaren Entscheid zwar etwas verunsichern, aber nicht umstimmen: mit Stichentscheid der Präsidentin bestätigte sie ihren Nichteintretensentscheid, weshalb der Vorstoss von der Traktandenliste gestrichen wurde [18].
Ende Oktober reichte die SVP ihre Volksinitiative „Überschüssige Goldreserven in den AHV-Fonds“ mit 125 372 gültigen Unterschriften ein. Die Initiative verlangt, dass die Erträge aus den 1300 Tonnen Gold, welche die Nationalbank für ihre Geld- und Währungspolitik nicht mehr benötigt, der AHV zugute kommen. Laut SVP stünden bei der Annahme der Initiative der AHV Goldreserven von rund 20 Mia Fr. zur Verfügung; daraus liesse sich ein jährlicher Erlös von 1,5 bis 2 Mia Fr. erzielen [19]. Der Bundesrat möchte 500 Tonnen Gold für die Solidaritätsstiftung reservieren und die restlichen 800 Tonnen vorerst alternativ für den Schuldenabbau oder für eine Bildungsinitiative einsetzen. Später sollen seiner Auffassung nach mit den Erträgen Härten aus der 11. AHV-Revision abgefedert werden (siehe unten) [20].
Eine neue Finanzierungsquelle will ein „Komitee sichere AHV“ um Nationalrat Rechsteiner (sp, BS), alt Bundesrat Tschudi und alt SP-Präsident Hubacher mit der Bewirtschaftung des Reingewinns der Nationalbank und mit der Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer erschliessen, deren Erlös vollumfänglich in den AHV-Fonds fliessen soll [21]. Die SP zeigte sich zuerst etwas verärgert über das Vorprellen der „Basler Connection“, musste dann aber zugeben, dass damit der Partei die Möglichkeit gegeben wurde, sich gegenüber den Sozialabbauplänen der SVP (siehe oben) als Hüterin des Sozialstaats zu profilieren. Die bereits im Sommer klar gesetzte neue Parteipräsidentin und Ständerätin Brunner (GE) versprach ihre Unterstützung bei der Lancierung einer diesbezüglichen Volksinitiative [22].
Mit einem stillschweigend überwiesenen Postulat bat die SVP-Fraktion den Bundesrat, Möglichkeiten für eine Frühpensionierung von körperlich Schwerstarbeit verrichtenden Erwerbstätigen zu prüfen [23]. Eine Motion Berger (fdp, NE), die verlangte, eine flexible Pensionierung ohne Leistungseinbusse sei nach 44 Beitragsjahren zu ermöglichen, da Personen, die früh in die Erwerbstätigkeit einsteigen, auch häufig jene sind, welche die härteste körperliche Arbeit verrichten, wurde hingegen vom Ständerat selbst in der vom Bundesrat angeregten Postulatsform aufgrund eines Antrags Spoerry (fdp, ZH) mit 19 zu 13 Stimmen abgelehnt. Spoerry argumentierte, der Vorschlag sei sowohl ausbildungs- wie frauenfeindlich. Bundesrätin Dreifuss konnte eine gewisse Sympathie für das Anliegen nicht verhehlen, verwies aber darauf, dass es in der Vernehmlassung zur 11. AHV-Revision mehrheitlich abgelehnt worden war, weshalb der Bundesrat diesen Weg in nächster Zukunft nicht weiter beschreiten möchte [24].
Am 1. April 2000 trat das neue Spielbankengesetz in Kraft. Das Gesetz ist für die AHV von Bedeutung, weil der Ertrag aus der Besteuerung der Casinos zweckgebunden der AHV zugute kommt. Nach einer gewissen Anlaufzeit wird mit einem Zufluss in den AHV-Fonds von mindestens 150 Mio Fr. pro Jahr gerechnet [25].
Die eidgenössischen Räte hiessen die von ihren Geschäftprüfungskommissionen empfohlene Änderung der Anlagevorschriften des AHV-Ausgleichsfonds im dringlichen Verfahren gut. Damit wird es dem Verwaltungsrat des Fonds möglich sein, auch Anlagen in ausländischen Aktien zu tätigen [26].
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Im Nachgang zur 10. AHV-Revision, wo im Gegenzug zum Rentensplitting sowie den Betreuungs- und Erziehungsgutschriften das ordentliche Rentenalter der Frauen von 62 auf 64 Jahre angehoben worden war, hatten einerseits der Schweizerische Kaufmännische Verein (SKV) und die Angestelltenverbände, andererseits die Grüne Partei je eine Volksinitiative mit dem Ziel eingereicht, diese Erhöhung rückgängig zu machen resp. sowohl Frauen wie Männern das flexible Rentenalter ab 62 Jahren ohne finanzielle Einbusse zu ermöglichen. Bundesrat und Parlament hatten 1998 sowohl die Initiative „für eine Flexibilisierung der AHV – gegen die Erhöhung des Rentenalters der Frauen“ (SKV und Angestelltenverbände) wie auch jene der Grünen („für ein flexibles Rentenalter ab 62 für Frau und Mann“) ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfohlen [27].
In den Wochen vor der Volksabstimmung über diese beiden Initiativen, welche am 26. November stattfand, wurde mit den gleichen Argumenten wie schon im Parlament gefochten. Das bürgerliche Komitee gegen die AHV-Initiativen, dem 156 eidgenössische Parlamentarierinnen und Parlamentarier angehörten, warnte vor den „verheerenden finanziellen Folgen für die Zukunft dieses Sozialwerks“. Die Befürworter erklärten dagegen, die von den Bürgerlichen beschworenen Katastrophenszenarien seien auf dem Hintergrund der Konjunkturflaute der letzten Jahre zu sehen; der wirtschaftliche Wiederaufschwung habe bereits im Vorjahr zu einem bedeutend besseren Rechnungsabschluss geführt als erwartet, und für das laufende Jahr seien bereits wieder schwarze Zahlen absehbar. Eine flexible Ruhestandsrente ab 62 Jahren entspreche den Realitäten des Arbeitsmarktes, da heute jede 5. Person über 60 freiwillig oder gezwungenermassen aus dem Erwerbsleben ausscheidet; es sei ein Akt der Solidarität der Einkommensstärkeren und Gesunden mit den Schlechtergestellten und könne finanziell verkraftet werden [28].
Angesichts der geschlossenen bürgerlichen Opposition erreichten die beiden Initiativen mit 39,5% (SKV) resp. 46,0% (GP) Ja-Stimmen einen Achtungserfolg. Die Initiative der GP wurde von sämtlichen Kantonen der Romandie und dem Tessin angenommen, bei jener des SKV stellte sich der Kanton Wallis auf die ablehnende Seite der Deutschschweiz. Das relativ knappe Nein der Initiative der GP werteten sowohl die Gewinner als auch die Verlierer als Signal für eine Flexibilisierung des Rentenalters. Allerdings waren sich die Kontrahenten weiterhin nicht einig über den Weg: die bürgerlichen Parteien verlangten nach wie vor eine kostenneutrale Lösung, das links-grüne Lager eine sozialverträgliche. Der Bundesrat zeigte sich besorgt über den erneut zu Tage getretenen „Röstigraben“ in sozialpolitischen Fragen [29].
Volksinitiative „für eine Flexibilisierung der AHV – gegen die Erhöhung des Rentenalters der Frauen“
Abstimmung vom 26. November 2000

Beteiligung: 41,7%
Ja: 756 337 (39,5%) / 6 Stände
Nein: 1 159 794 (60,5%) / 14 6/2 Stände

Parolen:
Ja: SP, EVP, CSP, GP, Lega; SGB, CNG, VSA.
Nein: FDP, CVP, SVP, LP, SD, EDU, FPS, KVP; Economiesuisse, SGV, SBV.
Die Vox-Analyse dieses Urnengangs zeigte ein altbekanntes Muster. Eine Mehrheit der Befragten hätte sich zwar gerne für eine Flexibilisierung des Rentenalters ausgesprochen und die Erhöhung des Rentenalters der Frauen rückgängig gemacht, lehnte die Initiativen jedoch ab, weil die Kostenfrage ungelöst schien. Unklar blieb auch nach dieser Untersuchung, weshalb die Flexibilisierungsinitiative des Kaufmännischen Vereins mit 39,5% Ja klar schlechter abschnitt als jene der Grünen mit 46% Zustimmung. Es wurde vermutet, dass letztlich der eindeutigere Titel den Ausschlag gegeben hatte, resp. der Vorschlag der Grünen, auch nur eine vorgezogene Teilrente beziehen zu können. Insgesamt nahmen Stimmende aus der lateinischen Schweiz sowie Bürgerinnen und Bürger mit einer links-grünen politischen Ausrichtung die Initiativen deutlich an. Deutschschweizer und Bürgerliche, Rechtskonservative sowie Stimmende ohne Parteiaffinität verwarfen sie hingegen. Personen im Rentenalter lehnten sie überdurchschnittlich ab [30].
Volksinitiative „für ein flexibles Rentenalter ab 62 für Frau und Mann“
Abstimmung vom 26. November 2000

Beteiligung: 42,0%
Ja: 885 772 (46,0%) / 7 Stände
Nein:1 038 985 (54,0%) 13 6/2 Stände

Parolen:
Ja: SP, EVP, CSP, GP, Lega; SGB, CNG, VSA.
Nein: FDP, CVP, SVP, LP, SD, EDU, FPS, KVP; Economiesuisse, SGV, SBV.
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Nach mehrmaliger Verschiebung leitete der Bundesrat Anfang Februar dem Parlament seine Botschaft zur 11. AHV-Revision zu. Die Vorlage stützte sich auf das 1998 einer Vernehmlassung unterzogene erste Projekt, auf die Zwischenentscheide des Bundesrates von Ende März 1999 sowie auf eine neue Gesamtschau zur Weiterentwicklung der Sozialversicherungen bis zum Jahr 2025 (siehe oben). Im Zentrum der Revision stehen die finanzielle Konsolidierung sowie die Anpassung an neue gesellschaftliche Realitäten. Durch Sparmassnahmen und Mehreinnahmen soll die AHV/IV-Rechnung um rund 1,2 Mia Fr. pro Jahr entlastet werden. Als Zusatzfinanzierung möchte der Bundesrat die Mehrwertsteuer ab 2003 um 1,5 Prozentpunkte erhöhen (1% für die IV, 0,5% für die AHV). Wenn die Reserven des AHV-Ausgleichsfonds unter die Schwelle von 70% einer Jahresausgabe sinken, soll zur Ergänzung des bereits 1999 eingeführten „Demographieprozents“ ein weiterer halber Prozentpunkt zu Gunsten der AHV erhoben werden. Weitere Mehreinnahmen ergeben sich durch die Heraufsetzung des Beitragssatzes der Selbstständigerwerbenden und durch die Aufhebung des Freibetrags für erwerbstätige Rentnerinnen und Rentner. Einsparungen entfallen auf die Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters der Frauen von 64 auf 65 Jahre, die schrittweisen Einschränkung des Anspruchs auf eine Witwenrente sowie auf den von zwei auf drei Jahre verlangsamten Teuerungsausgleich auf den Renten. Die rund 400 Mio Fr., die sich aus den Einsparungen durch das höhere Frauenrentenalter ergeben, werden für die Finanzierung eines sozial verträglich ausgestalteten flexiblen Altersrücktritts verwendet. Bis zuletzt hatte sich Bundesrätin Dreifuss für 600 Mio Fr. eingesetzt. Einige Wochen später vertrat der Bundesrat in seiner Botschaft zur Verwendung der überschüssigen Goldreserven der Nationalbank die Meinung, dass ein Teil davon zur sozialen Abfederung der 11. AHV-Revision im Bereich Rentenalter und Witwenrente eingesetzt werden könnte. Einen entsprechenden Antrag stellte er aber nicht, da es in einem ersten Schritt darum gehe, den legalen Rahmen für die Solidaritätsstiftung zu schaffen.
Die Vorschläge fanden in keinem parteipolitischen oder sozialpartnerschaftlichen Lager Zustimmung. Arbeitgeber- und Gewerbeverband lehnten sowohl die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes als auch Zusatzleistungen für tiefere Einkommen beim flexiblen Altersrücktritt ab. Die FDP erklärte, sie würde der Flexibilisierung nur zustimmen, wenn diese kostenneutral ausgestaltet werde, während sich die SVP grundsätzlich dagegen stemmte. Gleich wie die FDP verlangte auch die CVP eine Gesamtschau sämtlicher Sozialversicherungen; nur wenn diese vorliege, sei sie überhaupt bereit, auf die Vorlage einzutreten. Ganz anders reagierte die SP. Sie sprach von einem schwer wiegenden Sozialabbau, der vor allem die Frauen treffe. Der SGB bezeichnete die Vorlage als unausgewogen; sie bringe nur den Ärmsten und den Reichsten etwas, den Normalverdienenden aber wenig bis nichts. Der CNG erachtete die Vorlage als generelle Demontage der AHV und drohte offen mit dem Referendum [31].
Im Frühjahr nahm die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates die Beratung dieser Vorlage auf. Sie verlangte vom BSV eine Reihe von Zusatzberichten zu den gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten der Revision sowie zur Koordination mit der 1. BVG-Revision (siehe unten). Mehr wissen wollte sie insbesondere über die finanzielle Entwicklung der AHV, die Situation der Frauen, die wirtschaftliche Bedeutung der Witwen- und Witwerrente sowie die Lage der über 60-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt. Auskunft verlangte sie auch darüber, ob das Leistungsprofil des BVG dem Verfassungsauftrag (Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung) noch entspricht [32]. Beim Ausbau der Finanzierung über Mehrwertsteuerprozente folgte die SGK grundsätzlich dem Bundesrat, lehnte es aber ab, gleichzeitig mit dieser Vorlage auch die Finanzierung der IV zu regeln. Sie bekräftigte zudem ihren Willen, die Einnahmen aus den für die AHV bestimmten Mehrwertsteuerprozenten vollumfänglich dieser zukommen zu lassen (siehe oben) [33]. Den Vorschlag, den Beitragssatz der Selbstständigerwerbenden von 7,8 auf 8,1% zu erhöhen und den Freibetrag für Rentner aufzuheben, hiess sie trotz Opposition aus Gewerbekreisen gut. Andere Weichenstellungen als der Bundesrat nahm sie dagegen bei den Witwenrenten vor, welche sie weniger stark abbauen wollte. Nach dem Modell der Kommission soll eine Witwe einen unbefristeten Rentenanspruch haben, wenn sie über 45 Jahre alt ist, bevor das jüngste Kind das 18. Altersjahr vollendet hat; der Bundesrat hatte die Altersgrenze bei 50 Jahren angesetzt. Für die laufenden Renten beschloss die SGK die volle Besitzstandsgarantie; der Bundesrat hatte lediglich eine Schonfrist von drei Jahren vorgesehen. Damit niemand durch die Maschen fällt, sollen nach dem Vorschlag der Kommission Witwen und Witwer in prekären finanziellen Verhältnissen Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben – unabhängig davon, ob sie eine Verwitwetenrente beziehen oder nicht. Aus Rücksicht auf die anstehende Volksabstimmung über die beiden Rentenalterinitiativen (siehe oben) beschloss die SGK, die Frage des flexiblen Rentenalters erst im kommenden Jahr zu behandeln [34].
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Um die notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen für die Arbeiten an der 12. AHV-Revision zu erhalten, beantragte der Bundesrat dem Parlament die Mittel für ein mehrjähriges Forschungsprogramm zur längerfristigen Sicherung der Altersvorsorge. Prioritär behandelt werden darin die Flexibilisierung des Altersrücktritts, die Partizipation insbesondere der Frauen und der älteren Arbeitnehmenden am Arbeitsmarkt sowie der längerfristige Finanzierungsbedarf der AHV und mögliche Finanzierungsquellen. Geringere Priorität räumte der Bundesrat Fragen nach der Absicherung nicht-traditioneller Erwerbs- und Familienbiographien, der Bedeutung der Aus- und Weiterbildung für die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer sowie nach in- und ausländischen Erfahrungen mit vorzeitiger Teilpensionierung ein. Nicht weiter verfolgen wollte er das Thema der Langzeitpflege, das nur punktuell mit der Alterssicherung als solcher in Beziehung steht, und zu dem heute die Daten weitgehend fehlen [35].
Die Vertreter der bürgerlichen Parteien im Nationalrat, die mehrmals lautstark besseres Grundlagenmaterial zur Vorbereitung wichtiger sozialpolitischer Entscheide verlangt hatten, wehrten sich, weil „die AHV-relevanten Zahlen seit den IDA-FiSo-Berichten bekannt sind“ (Bangerter, fdp, BE) gegen die im Hinblick auf das Forschungsprogramm vom Bundesrat im Budget 2001 beantragten Kredite für das BFS und das BSV. Bundesrat Villiger anerkannte, dass mit IDA-FiSo 1 und 2 einiges gemacht worden sei, verwies aber darauf, dass es hier nicht nur um die Finanzierung der AHV gehe, sondern um weitere Erkenntnisse vor allem in Bezug auf den Umgang mit einer alternden Gesellschaft. Beim BFS setzte sich ein Antrag der Präsidentin der nationalrätlichen SGK Dormann (cvp, LU) vorderhand durch, den vom Bundesrat verlangten Kredit nicht zu kürzen. Sie verwies darauf, dass die SGK zu Beginn ihrer Beratung der 11. AHV-Revision einstimmig eine Motion verabschiedet habe, die den Bundesrat beauftragen will, eine Versichertenstatistik aufzubauen, die mittel- und langfristig Auskunft über die soziale Absicherung der Bevölkerung bzw. über die Bedarfslage und die sozialen Risiken in der Schweiz gibt. Nach wie vor fehlten statistische Grundlagen zur Altersvorsorge der aktiven Bevölkerung nach Branche, Alter, Familienform und Lebenssituation, ebenso flächendeckende Angaben zur Einkommenssituation der Rentnerinnen und Rentner. Das Parlament könne nicht immer wieder die Bereitstellung von Datenmaterial verlangen, wenn es nicht bereit sei, dem BFS die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Ihr Antrag setzte sich mit 100 zu 71 Stimmen gegen den Kürzungsantrag der Finanzkommission durch. Hingegen obsiegte die Kommissionsmehrheit mit ihrem Kürzungsantrag beim Kredit des BSV für Dienstleistungen Dritter im Bereich der Forschung mit 99 zu 68 Stimmen [36].
Im Ständerat fand dann ein Entscheid mit umgekehrten Vorzeichen statt. Weil Bundesrat Villiger nun die Ansicht vertrat, das BFS könne auch mit einem auf mehrere Jahre verteilten Kredit seine Aufgaben – wenn wohl auch verzögert – wahrnehmen, stimmte die kleine Kammer der Kürzung zu. Beim BSV beschloss sie aber, dem ursprünglichen Antrag des Bundesrates zu folgen, da es nicht nur um Forschungen zur AHV, sondern auch zur IV, wo die starke Zunahme der Rentner einen Erklärungsbedarf ausweise, sowie zur Krankenversicherung gehe [37]. Beim Kredit des BFS stimmte der Nationalrat stillschweigend dem Ständerat zu, bei jenem des BSV mit 88 zu 58 Stimmen [38].
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Invalidenversicherung (IV)
Nachdem im Vorjahr der 1. Teil der 4. IV-Revision wegen der geplanten Abschaffung der Viertelsrenten an der Urne mit fast 70% Nein-Stimmen deutlich Schiffbruch erlitten hatte, setzte der Bundesrat erneut zur finanziellen Sanierung dieses Versicherungszweiges an, der in den letzten Jahren drastisch in die roten Zahlen abgerutscht ist. Im neuen Gesetzesvorschlag, der Ende Juni in die Vernehmlassung ging, wurden die Viertelsrenten nicht mehr angetastet; abgeschafft werden sollen hingegen die Zusatzrenten für Ehegatten sowie die Härtefallrenten; Behinderte in schwierigen finanziellen Verhältnissen sollen stattdessen einen erleichterten Zugang zu Ergänzungsleistungen erhalten. Zudem möchte der Bundesrat neu Assistenzbeiträge ausrichten können, die es Behinderten ermöglichen sollen, anstatt in einem Heim zu Hause betreut und gepflegt zu werden. Durch das neue System wird die Autonomie und Eigenverantwortung der Behinderten gestärkt, da die Entschädigung direkt an sie ausbezahlt wird, weshalb sie die Art ihrer Betreuung wählen können. Neu organisiert werden soll auch die ärztliche Abklärung. In der Regel führen heute die behandelnden Ärztinnen und Ärzte die Untersuchungen im Hinblick auf eine IV-Rente durch. Wegen der in den letzten Jahren stark gestiegenen Zunahme von IV-Renten hatte der Bundesrat bereits mehrfach angeregt, spezielle regionale ärztliche Dienste unter Aufsicht des BSV dafür einzusetzen, war dabei aber am Widerstand des Parlaments gescheitert [39].
Die SVP-Fraktion verlangte mit einer Motion, Wege aufzuzeigen, wie durch Anpassungen im IV-Gesetz und im Arbeitsrecht die Wiedereingliederung von IV-Rentnerinnen und -Rentnern in den Arbeitsprozess erleichtert werden kann. Der Bundesrat erinnerte daran, dass in der IV seit jeher der Grundsatz „Eingliederung vor Rente“ gelte und verwies auf die Vorarbeiten zur 4. IV-Revision. Auf seinen Antrag wurde der Vorstoss nur als Postulat überwiesen [40].
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Berufliche Vorsorge
Am 1. März verabschiedete der Bundesrat die seit langem erwartete Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (1. BVG-Revision) zuhanden des Parlaments. Die Revision dient der finanziellen Konsolidierung und einer optimalen Durchführung. Ferner stellt sie die Koordination mit den Massnahmen der 11. AHV-Revision her. Hauptpunkte der bundesrätlichen Botschaft sind die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre, die Einführung eines flexiblen Rentenalters (mit versicherungstechnischer Kürzung ohne soziale Abfederung), die Senkung des Umwandlungssatzes zur Sicherstellung der Renten bei verlängerter Lebenserwartung unter gleichzeitiger Erhöhung der Altersgutschriften, die Begrenzung des überobligatorisch versicherbaren Lohnes auf das Fünffache des oberen Grenzbetrags des Obligatoriums, die Einführung einer Witwerrente sowie eine Verbesserung der paritätischen Mitbestimmung der Arbeitnehmenden. Die Teuerungsanpassung der laufenden Renten soll nicht zwingend vorgeschrieben, die Entscheide jedoch transparenter ausgestaltet werden. Die vom Bundesrat anfänglich noch als wünschenswert bezeichneten sozialpolitischen Anliegen (Besserstellung von Teilzeitarbeitenden und von Personen mit niedrigem Einkommen) waren aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse nicht mehr in der Vorlage enthalten [41].
Fachleute bemängelten, auch mit dieser Revision werde die Transparenz für die Versicherten noch zu wenig ausgebaut. Der Pensionskassenverband kritisierte die Begrenzung des versicherbaren Einkommens. Auf den überobligatorischen Bereich der Pensionskassen entfallen über 30 Mia Fr., 5 Mia mehr als die ganze AHV beansprucht. Dies veranlasste Nationalrat und CNG-Präsident Fasel (csp, FR) zu verlangen, der überobligatorische Teil der 2. Säule („Goldgrube für Gutverdienende“ und „Tummelplatz für Steueroptimierer“) müsse redimensioniert werden und die freiwerdenden Gelder über die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV abgeschöpft werden. Mit einem Abbau des überobligatorischen Teils um 10% könnte die Ruhestandsrente 62 in der AHV problemlos finanziert werden [42].
Der Nationalrat verlängerte stillschweigend die Frist für die Umsetzung einer 1998 angenommenen parlamentarischen Initiative Zapfl (cvp, ZH), die eine Anpassung des Koordinationsabzugs an den Beschäftigungsgrad verlangt; dieses sozialpolitische Anliegen, bleibt also auf der Tagesordnung [43]. Der Ständerat lehnte hingegen mit 17 zu 11 Stimmen eine Motion Berger (fdp, NE) für eine tiefere Eintrittsschwelle in die Pensionskassen auf Antrag des Bundesrates ab. Bundesrätin Dreifuss verwies auf das diesbezügliche negative Ergebnis der Vernehmlassung. Sie sprach sich auch gegen eine Umwandlung in ein Postulat aus, da die nötigen Abklärungen getroffen worden seien für ein Problem, das in gleichstellungs- und sozialpolitischer Hinsicht tatsächlich bestehe. Sie meinte lakonisch, der Bundesrat habe getan, was er habe tun können, und es sei nun am Parlament, hier allenfalls eine andere politische Weichenstellung vorzunehmen [44].
Der Bundesrat änderte die Vorschriften im Bereich der Vermögensanlage der Vorsorgeeinrichtungen. Damit wird eine grössere Flexibilität der Anlagen bei gleichzeitiger Verstärkung der Sicherheit erreicht. Den Pensionskassen wird so ermöglicht, weiterhin eine aktive Rolle im Markt zu spielen, ihre Anlagen zu optimieren und gleichzeitig die Sicherung des Vorsorgezwecks nicht aus den Augen zu lassen [45].
Eine Motion Spielmann (pda, GE), die für die Weiterführung der Säule 3a nach Erreichen des Pensionsalters steuerliche Erleichterungen verlangte wie sie für den Leistungsaufschub bei Freizügigkeitseinrichtungen der beruflichen Vorsorge zugelassen sind, wurde auf Antrag des Bundesrates lediglich als Postulat überwiesen [46].
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Krankenversicherung
Zusammen mit der Vereinigung der niederländischen Hausärzte konnte Bundesrätin Dreifuss Anfang September den Carl-Bertelsmann-Preis für vorbildliche Leistungen im Gesundheitswesen entgegen nehmen. Die deutsche Stiftung, die alljährlich innovative Konzepte für gesellschaftliche Probleme auszeichnet, erachtete das neue Schweizer KVG von 1996 als vorbildlich. Grundlage für den Entscheid der Jury bildete eine umfassende vergleichende Länderstudie zwischen den Gesundheitssystemen in Dänemark, Deutschland, Finnland, Grossbritannien, den Niederlanden, der Schweiz und den USA nach Kriterien wie Versorgungssicherheit, Steuerungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. Am KVG lobte die Studie vor allem die Einführung von sozialverträglich ausgestalteten Wettbewerbselementen. Positiv hervorgehoben wurden auch die Integration von ambulantem und stationärem Sektor, das Dienstleistungsverständnis von Medizinalpersonen und Krankenkassen sowie das differenzierte Leistungsangebot [47].
Im Rahmen der Legislaturplanung 1999-2003 nahm der Nationalrat eine Richtlinienmotion an, die den Bundesrat beauftragen wollte, aufgrund der Erfahrungen mit dem neuen Krankenversicherungsgesetz (KVG) eine Wirkungsanalyse vorzulegen. Der Bericht sollte insbesondere Varianten für den zukünftigen Systemumbau resp. -ausbau enthalten (einschliesslich Modelle der Finanzierung des ambulanten und stationären Bereiches, der Prämienentlastung von privaten Haushalten sowie der Zukunft der obligatorischen Grund- und der freiwilligen Zusatzversicherungen). Der Nationalrat befand, die Ausführungen des Bundesrates zu den Legislaturzielen könne nicht befriedigen, da einerseits festgestellt werde, dass in den nächsten Jahren die Krankenversicherung die höchsten Kostensteigerungen von allen Sozialversicherungen aufweisen wird, andererseits grundsätzlich das bestehende System beibehalten werden solle. Der Bundesrat verwies auf bereits durchgeführte resp. in Ausarbeitung befindliche Evaluationen des KVG und beantragte Umwandlung der Motion in ein Postulat, unterlag jedoch mit 177 zu 2 Stimmen. Der Ständerat nahm den Vorstoss hingegen lediglich als Postulat an [48].
Mitte Jahr stellte das BSV drei weitere Studien im Rahmen des Programms Wirkungsanalyse des KVG vor. Eine erste Studie zeigte, dass das KVG bisher nicht wirksam zur Kostendämpfung beigetragen hat; die jährliche Zuwachsrate der Gesundheitskosten veränderte sich seit 1996 nicht signifikant im Vergleich zu den Jahren vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes. Zugenommen hat hingegen die Belastung der Privathaushalte. Die zweite Studie wies nach, dass eine höhere Ärzte- und Apothekendichte mit einem höheren Prämienniveau einhergeht. Am meisten zu Diskussionen Anlass gab die dritte Studie, welche den Risikoausgleich unter den Kassen als mangelhaft einschätzte. Die beiden gewählten Kriterien (Alter und Geschlecht) könnten höchstens fünf Prozent der Kostenunterschiede erklären. Wenn man das Kriterium einer Hospitalisierung im Vorjahr als zusätzlichen Faktor einbeziehen würde, könnte die Erklärungskraft auf über zehn Prozent gesteigert werden. Einzelne Krankenkassen und Parlamentarier hatten bereits 1998 eine Anpassung des Risikoausgleichs in diesem Sinn verlangt. Der Bundesrat hatte sie damals mit Hinweis auf die anstehende erste Teilrevision des KVG vertröstet, die Anregungen dort aber nicht aufgenommen [49].
Keine Chance hatte im Ständerat eine Standesinitiative des Kantons Genf, welche verlangte, die Krankenkassen seien zu verpflichten, gesamtschweizerisch einheitliche Kostenrechnungen vorzulegen, die insbesondere Auskunft geben sollten über die jährlichen Kosten je Kanton und Leistungserbringer sowie ihre Reserven pro Kanton und versicherte Person. Damit sollte insbesondere der Risikoausgleich transparenter gestaltet werden. Auf fast einstimmigen Antrag seiner Kommission gab der Rat dieser Initiative keine Folge [50].
Da mit dem Inkrafttreten der bilateralen Verträge mit der EU neue Personenkategorien dem KVG unterstellt werden, hatte der Bundesrat im Vorjahr dem Parlament beantragt, dass auch diesen und ihren Familienangehörigen Prämienverbilligungen ausgerichtet werden, wenn sie in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Die Räte hatten im Grundsatz zugestimmt, die vom Bundesrat vorgeschlagene Durchführung durch die Kantone hingegen abgelehnt. Ende Mai präsentierte die Regierung eine differenziertere Regelung. Für Versicherte mit einem aktuellen Anknüpfungspunkt an einen Kanton (z.B. Grenzgänger) ist ein kantonales Verfahren vorgesehen, bei dem der Bund zwei Drittel und die Kantone einen Drittel der Verbilligung übernehmen. Für Personen ohne bestehende Bindung an einen Kanton (z.B. in einem EU-Staat lebende Bezüger einer AHV Rente, die weiterhin in der Schweiz krankenversichert sind) schlug der Bundesrat ein Bundesverfahren sowohl für die Durchführung wie für die Übernahme der Kosten vor. Diese Anpassung an das Abkommen über die Personenfreizügigkeit wird zu jährlichen Mehrkosten von schätzungsweise 60-90 Mio Fr. führen. Die maximalen Kosten ergeben sich unter der Annahme, dass alle Versicherte mit Wohnsitz in einem EU-Staat sich der schweizerischen Krankenversicherung anschliessen. Da die Versicherungskonditionen in einzelnen Nachbarländern aber günstiger sind als in der Schweiz, ist anzunehmen, dass zahlreiche Personen in ihren Wohnsitzstaaten versichert bleiben wollen, weshalb die Kosten eher an der unteren Grenze liegen dürften [51]. Das Parlament brachte erneut Bedenken bezüglich der Durchführbarkeit des Vollzugs im Informations- und Kontrollbereich vor, akzeptierte aber schliesslich die bundesrätlichen Vorschläge oppositionslos [52]. Der Nationalrat nahm allerdings ein Postulat seiner SGK an, welches den Bundesrat bittet, zwei Jahre nach der Einführung der Prämienverbilligung für Personen in den EU-Staaten einen Bericht vorzulegen, der über die Auswirkungen dieser KVG-Revision Aufschluss gibt [53].
Im Nachgang an den Rückzug der Krankenkasse Visana aus der Grundversicherung in acht Kantonen hatten fünf Ostschweizer Kantone (Thurgau, beide Appenzell, Glarus und Graubünden) bei den eidgenössischen Räten je eine gleichlautende Standesinitiative eingereicht. Danach sollte der Versicherer bei einem Kassenwechsel eines Versicherten die anteiligen Reserven und die durch die abwandernden Personen nicht beanspruchten anteiligen Rückstellungen dem neuen Versicherer weitergeben – und zwar rückwirkend ab dem 1. Juli 1998. Das Konkordat der Krankenversicherer (KSK) sprach sich gegen die Initiativen aus, da sie zu enormen Zusatzkosten führen und kleinere Versicherungen benachteiligen würden [54]. Der Ständerat folgte einstimmig dieser Einschätzung, verwies auf die im Rahmen der 1. Teilrevision des KVG bereits gefassten Beschlüsse und gab den Standesinitiativen keine Folge [55].
Der Bundesrat verbot den Krankenkassen, ihren Versicherten im Gegenzug zu höheren Franchisen derart grosse Prämienrabatte zu gewähren, dass diese je nach Gesundheitszustand die gewählte Franchise mehr als nur aufwiegen können. Der Solidaritätsaspekt (Personen mit gesundheitlichen Problemen können von dieser Entlastung nicht profitieren) wurde mit dieser Weisung höher gewertet als der volkswirtschaftliche Nutzen (Personen mit hohen Franchisen beziehen erfahrungsgemäss weniger Leistungen). Von den Bundesratsparteien kritisierte einzig die SVP diesen Entscheid als „Staatsinterventionismus“ und verlangte, die Krankenkassen sollten frei über die Höhe der Prämienreduktionen bestimmen können [56].
Befindet der Bundesrat aufgrund eines Rekurses über Tarife oder kantonale Spitallisten, kann sein Entscheid nicht ans Eidgenössische Versicherungsgericht (EVK) weiter gezogen werden. Dieses trat in einem neuen Grundsatzentscheid nicht auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Schweizer Paraplegiker-Zentrums Nottwil (LU) ein, das keinen Eingang in die Zürcher Spitalliste gefunden hatte und dagegen vergeblich beim Bundesrat interveniert hatte. Das EVG kam zum Schluss, der bundesrätliche Entscheid sei auf Grund der einschlägigen Verfahrensnormen (KVG und Bundesrechtspflegegesetz) abschliessend. Damit sei die Zuständigkeit einer Gerichtsinstanz auch nicht auf dem Umweg über eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung oder Lückenfüllung zu begründen [57]. Genau dies fanden aber mehrere Parlamentarier völlig unbefriedigend, da das für Beschwerden zuständige EJPD für deren Behandlung oft sehr lange braucht und zudem, da mit der Gesundheitspolitik wenig vertraut, Entscheide fällt, die nur schwierig nachvollziehbar sind. Im Vorjahr hatte das EJPD der Beschwerde von Privatspitälern in den Kantonen St. Gallen und Basel-Stadt stattgegeben, denen die Kantonsregierung wegen nicht ausgewiesenen Bedarfs die Aufnahme in die Spitalliste verweigert hatte. Der Entscheid war kritisiert worden, weil er die Bemühungen des EDI für eine konsequente Spitalplanung unterlaufe [58]. Im Berichtsjahr nahm der Ständerat eine Empfehlung Plattner (sp, BS) an, die den BR bittet, diesbezüglich koordinierter vorzugehen [59]. Weitergehende Forderungen wurden im Nationalrat gestellt. Mit einer parlamentarischen Initiative wollte Vallender (fdp, AR) erreichen, dass Rekurse im Krankenversicherungsbereich ganz den Gerichten (kantonales Schiedsgericht, eidg. Versicherungsgericht) übertragen werden. Da die Initiative ausformuliert war und in den Details nicht den Vorstellungen des Nationalrates entsprach, wurde dem Vorstoss keine Folge gegeben. Weil der Rat die grundsätzlichen Bedenken der Initiantin aber durchaus teilte, überwies er ein Postulat seiner SGK, mit welchem er den Bundesrat auffordert, die Einsetzung einer unabhängigen Rekurskommission zu prüfen [60].
Im Vorjahr hatte es der Ständerat abgelehnt, die Asylsuchenden vom Risikoausgleich zwischen den Krankenkassen auszunehmen; mit einer Motion hatte er den Bundesrat verpflichtet, andere Lösungen für das tatsächlich bestehende Problem auszuarbeiten. Der Nationalrat übernahm diese beiden Beschlüsse diskussionslos [61] Die drei grossen Kassen, mit denen die meisten Kantone Rahmenverträge für Asylbewerber abgeschlossen hatten (Helsana, CSS und Concordia), kündigten die Verträge vorsorglich. Als Kompromisslösung schlugen die Versicherer vor, Bund und Kantone sollten einen Teil der Defizite übernehmen (rund 40 Mio Fr.), die den Kassen aus den Rahmenverträgen entstehen, was die kantonalen Gesundheits- und Sozialdirektoren jedoch rundweg ablehnten. Das BSV und das Bundesamt für Flüchtlinge regten ihrerseits an, die freie Arztwahl der Flüchtlinge einzuschränken, um so Kosten zu sparen [62].
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Obschon sich die Spirale der Gesundheitskosten wegen der nichteinkommensabhängigen Prämien vor allem für die weniger bemittelten Versicherten weiter dreht, will der Bundesrat das heutige Krankenversicherungssystem nicht umkrempeln. Seine bereits im Vorjahr angekündigten Absage an die Volksinitiative der SP „Gesundheit muss bezahlbar bleiben“ („Gesundheitsinitiative“) begründete er in seiner diesbezüglichen Botschaft ans Parlament.Die Initiative, möchte von den starren Kopfprämien, die einzigartig in Europa sind, abkommen und verlangt eine Mischfinanzierung über Mehrwertsteuerprozente sowie über einkommens- und vermögensabhängige Prämien. Zur besseren Kostenkontrolle schlägt sie weiter die Verschiebung von Kompetenzen von den Kantonen auf den Bund vor, so etwa bei der Spitalplanung, der Festsetzung von Preisen und Tarifen sowie bei der Zulassung von Leistungserbringern. Aus Sicht des Bundesrates ist die Initiative jedoch mit einer ganzen Reihe von Mängeln behaftet. Die neue Finanzierung bereite nicht nur enorme Schwierigkeiten bei der Umsetzung, sie setze auch falsche Anreize. Durch den Wegfall von Franchise und Selbstbeteiligung würde das Kostenbewusstsein der Patienten vermindert. Ein Wettbewerb unter den Krankenkassen über die Prämien wäre nicht mehr möglich. Der soziale Ausgleich sei zudem über den Ausbau der bedarfsgerechten individuellen Prämienverbilligungen besser zu erreichen.
In dieser Botschaft präsentierte der Bundesrat erstmals eine Gesamtschau der sozialen Krankenversicherung und zog eine Bilanz zu den drei Hauptzielen des neuen KVG (Verstärkung der Solidarität, Eindämmung der Kosten und Sicherstellung einer qualitativ hochstehenden Versorgung). Er kam dabei zum Schluss, dass das KVG einen vorzüglichen und umfassenden Versicherungsschutz bei gesamthaft betrachtet tragbaren Prämien garantiert. Dass gewisse Ziele noch nicht optimal erfüllt werden konnten, sei nicht dem geltenden System, sondern vor allem den Kantonen anzulasten. Mängel ortete er namentlich bei der je nach Kanton unterschiedlichen Ausrichtung der Prämienverbilligungen an Personen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Verbesserungen können nach Auffassung des Bundesrates mit Teilrevisionen des KVG sowie mit dem Neuen Finanzausgleich zwischen dem Bund und den Kantonen erreicht werden [63].
Erwartungsgemäss fand die SP-Initiative bei der bürgerlichen Mehrheit im Nationalrat keine Unterstützung. SP-Fraktionschef Cavalli (TI) legte einleitend dar, dass es eine Illusion sei zu glauben, ein vom Angebot bestimmter Markt könne die Kosten nach wettbewerbspolitischen Grundsätzen regeln. Die Abkehr von den Kopfprämien würde zur grössten finanziellen Entlastung führen, die man in der Schweiz je für Familien mit mittleren Einkommen vorgeschlagen habe. Die Sprecher von FDP, CVP, SVP und LP widersprachen dem und rechneten vor, dass eine Verlagerung auf die Mehrwertsteuer keineswegs sozial sei. Im Gegenteil: Eine – gemäss Initiativtext nach oben offene – Erhöhung dieser Konsumsteuer treffe am härtesten junge Familien. Man gaukle einen Sinkflug der Prämien vor, tatsächlich aber würde der Bevölkerung das Geld via indirekte Steuern aus der Tasche gezogen, warnte der Aargauer CVP-Vertreter Zäch. Ins gleiche Horn stiess der Zürcher Freisinnige Gutzwiller. Nicht zentralistische Planwirtschaft führe zur Genesung des Krankenversicherungssystems, sondern die konsequente Umsetzung wettbewerblicher Anreize. Als prioritär erachtete er die umfassende Reform der Spitalfinanzierung, die Aufhebung des Vertragszwangs zwischen Kassen und Leistungsanbietern und eine wirkungsorientierte Überprüfung der Grundversicherungsleistungen. Die Initiative wurde mit 91 gegen 55 Stimmen deutlich abgelehnt. Ein Antrag des Tessiner CVP-Vertreters Robbiani, die Vorlage zwecks Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags an die Kommission zurückzuweisen, der die Unterstützung von Bundesrätin Dreifuss fand, wurde ebenfalls – wenn auch bedeutend knapper – mit 79 zu 62 Stimmen verworfen [64].
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Bei der gegenüber dem Ständerat strittigen Frage des „tiers garant“ oder „tiers „payant“ schloss sich der Nationalrat der kleinen Kammer an. Damit bleibt es dabei, dass die Versicherten grundsätzlich Schuldner der Leistungserbringer bleiben und die Vergütung bei den Krankenkassen einfordern müssen. Für die übrigen nach den Beratungen des Vorjahres noch verbliebenen Differenzen (Zulassungsbeschränkungen für ambulante Leistungserbringer, Befreiung einzelner Präventionsmassnahmen von der Franchise) siehe oben, Teil I, 7b (Prävention und Medizinalpersonen) [65].
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Im September leitete der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft zu dieser zweiten Teilrevision zu. Sie betrifft in erster Linie die Spitalfinanzierung und eine geringfügige Lockerung des Kontrahierungszwangs (siehe oben, Teil I, 7b, Spitäler und Medizinalpersonen). Als Beitrag zur Kostendämpfung will der Bundesrat sämtliche Krankenkassen verpflichten, alternative Versicherungsmodelle (HMO, Hausarztmodell) anzubieten. Das Konkordat der Krankenkassen bezweifelte die Umsetzbarkeit dieses Vorschlags; insbesondere kleinere Kassen in abgelegenen Gebieten könnten kaum die dafür notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellen [66]. Auf Widerstand stiess auch die neu vorgesehene Bestimmung, wonach künftig die Gemeinden die von ihren Einwohnern den Krankenkassen geschuldeten Prämien vorstrecken und nachher selber versuchen sollen, das Geld einzutreiben. Dagegen protestierte die Städteinitiative „Ja zur sozialen Sicherung“ mit dem Hinweis auf den unverhältnismässigen administrativen Aufwand, umso mehr, die Prämien der Bezügerinnen und Bezüger von Sozialhilfeleistungen in den meisten Fällen direkt von den Sozialdiensten der Gemeinde bezahlt werden, um Leistungsverweigerungen der Kassen zu vermeiden [67].
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Zusammen mit elf anderen Behandlungen und Untersuchungen wurden Mitte Jahr die Kosten für die Heroinabgabe in den Katalog der von den Krankenkassen zu bezahlenden Pflichtleistungen aufgenommen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich das Volk in der Abstimmung vom Juni 1999 explizit für die ärztliche Verschreibung von Heroin ausgesprochen hat. Die Neuregelung umfasst alle medizinischen Leistungen, die in Zusammenhang mit der Abgabe von Heroin sowie dem bereits heute kassenpflichtigen Methadon resp. Buprenorphin (wie Methadon ein Ersatzstoff, jedoch mit kleinerem Suchtpotential) anfallen. Alle weiteren Begleitmassnahmen wie soziale Hilfe, Wohnungs- oder Arbeitsvermittlung sind davon getrennt und verursachen den Krankenkassen keine zusätzlichen Kosten [68]. Diese Ausdehnung des Leistungskatalogs rief umgehend die SVP auf den Plan. Sie erklärte, wenn Bundesrätin Dreifuss weiterhin einer derart „kostentreibende“ Politik nachgehe, müsse man sich überlegen, dem EDI das Dossier zu entziehen und es entweder dem EJPD resp. dem Gesamtbundesrat oder dem Parlament zuzuweisen [69]. Für ihre Entscheide fand Dreifuss hingegen die Unterstützung der restlichen Bundesratsparteien. Bei den traditionellen Von-Wattenwyl-Gesprächen im November wurde sie aber aufgefordert, zukünftig die politischen Konsultationen zu intensivieren, wenn es um Leistungen von grösserer Tragweite geht. Dabei wurde insbesondere an Präparate oder Behandlungen gedacht, die einen Wertestreit auslösen oder einen grösseren Kostenschub zur Folge haben könnten [70].
Nicht behandelt werden konnten im Berichtsjahr zwei Postulate, welche die paradoxe Situation thematisierten, dass die Krankenkassen heute die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch übernehmen, jene für die Prävention aber nicht. Nationalrätin Dormann (cvp, LU) wollte den Bundesrat verpflichten, ärztlich verordnete Verhütungsmittel in den Grundleistungskatalog aufzunehmen, Nationalrätin Maury Pasquier (sp, GE) erhob die gleiche Forderung für die freiwillige Sterilisation. Beide Parlamentarierinnen stellten fest, dass – abgesehen von ethischen Überlegungen – Präventionsanstrengungen die Krankenversicherung letztlich weniger kosten als die Abdeckung eines Schwangerschaftsabbruchs resp. einer Geburt, ganz zu schweigen von den sozialen Kosten einer nicht gewollten oder nicht verantwortbaren Schwangerschaft. Obgleich der Bundesrat bereit war, beide Postulate entgegen zu nehmen, wurden sie von Abgeordneten der SVP bekämpft – jenes von Dormann von Haller (BE), jenes von Maury Pasquier von Bortoluzzi (ZH) – und damit vorderhand einem Beschluss des Rates entzogen [71]. Noch weniger Erfolg hatte eine Motion Maury Pasquier zur Rückerstattung der Leistungen von Podologen für die Fusspflege bei Diabetikern. Bundesrat Dreifuss erklärte, ihr Departement habe diese Frage bereits geprüft und negativ entschieden, da diese Dienstleistung vom Pflegepersonal in Spitälern und Heimen sowie den Spitex-Diensten angeboten werde; ein Grundsatz des KVG sei es, keine neuen Berufsgruppen zur sozialen Krankenversicherung zuzulassen, wenn eine Leistung schon von einer anderen anerkannten Berufsgruppe erbracht wird. Die Motion wurde mit 62 zu 41 Stimmen abgelehnt [72]. Ebenfalls verworfen wurde eine Motion Gysin (sp, BS), die verlangte, die Krankentransporte sollten vollumfänglich (und nicht wie heute in der Regel zu 50%) von der Grundversicherung übernommen werden. Gysin dachte dabei vor allem an schwerst kranke Langzeitpatienten, die mehrmals wöchentlich eine nicht zu Hause durchführbare Behandlung (Bestrahlung, Dialyse usw.) benötigen. Bundesrätin Dreifuss erinnerte daran, dass diese Frage bei der Einführung des neuen KVG geprüft worden sei, angesichts der schwierigen Überprüfbarkeit aber nicht Eingang ins Gesetz gefunden habe [73].
In Erwartung des Inkrafttretens des Bundesgesetzes über die künstliche Fortpflanzung auf den 1.1.2001 stellte sich auch die Frage, ob die Befruchtung im Reagenzglas, die pro Zyklus zwischen 5000 und 8000 Fr. kostet, kassenpflichtig werden soll. Die eidgenössische Leistungskommission, die zuhanden des EDI Empfehlungen für die Kassenpflicht von Medikamenten und Behandlungen abgibt, entscheid im Grundsatz bereits, dass die In-vitro-Fertilisation darunter fallen soll, konnte sich aber noch nicht über das Ausmass und die Bedingungen einigen [74].
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Unfallversicherung
Mit 91 zu 41 Stimmen nahm der Nationalrat – ausgehend von einer parlamentarische Initiative Raggenbass (cvp, TG) – eine Änderung des Unfallversicherungsgesetzes an. Demnach kann ein Anspruch auf eine Rente der Unfallversicherung erst bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 10% entstehen. Mit der Gesetzesänderung wurde die während fünfzig Jahren geübte Praxis wiederhergestellt, die 1996 durch einen Entscheid des Eidg. Versicherungsgerichtes umgestossen worden war. Der Ständerat stimmte der Änderung ebenfalls zu [75].
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Mutterschaftsversicherung
Nach Ablehnung der Mutterschaftsversicherung in der Volksabstimmung vom 13. Juni 1999 war eine Reihe parlamentarischer Vorstösse mit Vorschlägen für Ersatzlösungen eingereicht worden. Insbesondere freisinnige Politikerinnen machten sich für eine Regelung stark, die im Obligationenrecht die Lohnfortzahlung für den im Arbeitsrecht verankerten achtwöchigen Mutterschaftsurlaub festschreiben wollte. Das Parlament fand diese Vorschläge aber allzu bescheiden. Der Nationalrat lehnte in der Sommersession nach kurzer Diskussion eine diesbezügliche parlamentarische Initiative Egerszegi (fdp, AG) mit 99 zu 75 Stimmen ab. Stattdessen nahm er mit 114 zu 62 Stimmen eine Motion seiner SGK an, die einen vierzehnwöchigen bezahlten Mutterschaftsurlaub verlangte. Zur Lohnfortzahlung während der ersten acht Wochen sollen die Arbeitgeber durch eine obligationenrechtliche Regelung verpflichtet werden; für die nächsten sechs Wochen sieht die Motion eine Abgeltung über die Erwerbsersatzordnung vor, an welche die erwerbstätigen Frauen Beiträge bezahlen, obgleich sie normalerweise keinen Militärdienst leisten. Da die Motion die konkrete Ausgestaltung der Lohnfortzahlung zwischen der 8. und der 14. Woche der Mutterschaft dem Bundesrat überlassen möchte, hatte dieser vergeblich Umwandlung in ein Postulat beantragt, um die noch offenen Fragen eingehender prüfen zu können [76].
Der Ständerat zeigte sich vorerst weniger grosszügig. Einstimmig überwies er in der Herbstsession eine Motion Spoerry (fdp, ZH), nach welcher bloss die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber während des achtwöchigen Arbeitsverbots vorgeschrieben werden sollte. Zwei Standesinitiativen der Kantone Genf und Jura sowie einer parlamentarische Initiative Brunner (sp, GE), die einen vierzehnwöchigen, vom Arbeitgeber bezahlten Mutterschaftsurlaub verlangten, wurde hingegen keine Folge gegeben, ebenso wenig wie einer parlamentarischen Initiative Beerli (fdp, BE), die während 14 Wochen eine Grundentschädigung zu Lasten der Erwerbsersatzordnung anregte. Im Anschluss an die Debatte verkündete Bundesrätin Metzler, dass ihr Departement bis Anfang 2001 im Auftrag des Bundesrates eine Vorlage ausarbeite, welche ebenfalls eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber vorsehe. Die Dauer der Fortzahlung werde voraussichtlich nach Dienstalter abgestuft sein [77]. Möglicherweise war es diese Drohung eines allein von den Arbeitgebern finanzierten Mutterschaftsurlaubs von mehr als acht Wochen, die den Ständerat in der Wintersession veranlasste, mit 24 zu 17 Stimmen die Motion des Nationalrates mit ihrem Modell einer Mischfinanzierung anzunehmen. Gleichzeitig überwies er ein Postulat seiner SGK mit der Bitte um einen Bericht über die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten einer Mutterschaftsversicherung. Drei Standesinitiativen der Kantone Freiburg, Genf und Neuenburg, die verlangten, die Schweiz solle das ILO-Abkommen 103 über den Mutterschutz ratifizieren, wurde mangels gesetzlicher Grundlage keine Folge gegeben [78].
Wie Nationalrätin Teuscher (gp, BE) beim Elternurlaub (siehe unten, Teil I, 7d, Familienpolitik) wollte ihre Ratskollegin Fehr (sp, ZH) den Bund verpflichten, als Arbeitgeber Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft zu übernehmen. Mit einer Motion verlangte sie, das Bundespersonalgesetz so anzupassen, dass – wenn ein Bundesangestellter Vater wird – der Bund die Hälfte der Kosten für den Mutterschaftsurlaub der Frau übernimmt. Damit sollte der Bund ein Beispiel dafür setzen, dass mangels einer echten Mutterschaftsversicherung die Kosten für den Mutterschaftsurlaub hälftig zwischen den Arbeitgebern beider Elternteile übernommen werden sollten, um eine Diskriminierung der Frauen im gebärfähigen Alter auf dem Arbeitsmarkt zu vermeiden. Der Bundesrat machte geltend, der Vorschlag wäre in der Praxis kaum durchführbar, weshalb er erfolgreich Umwandlung in ein Postulat beantragte [79].
Als erster Kanton wird Genf eine kantonale Mutterschaftsversicherung einführen. Der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierte Mutterschaftsurlaub wird 16 Wochen dauern und Müttern, die seit mindestens drei Monaten im Kanton arbeiten, ein Einkommen von 80% des letzten Lohnes garantieren. Diese Lösung wurde sowohl von den linken wie den rechten Parteien sowie der Kantonsregierung unterstützt und Mitte Dezember vom Grossen Rat angenommen. Die Neuregelung tritt auf den 1. Juli 2001 in Kraft [80].
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Arbeitslosenversicherung
Nach Kenntnisnahme der Vernehmlassungsergebnisse leitete der Bundesrat im Februar seine Vorlage zu einer Teilrevision der Arbeitslosenversicherung (ALV) den eidgenössischen Räten zu. Ziel dieser technischen Revision ist eine Optimierung im Leistungs- und Kostenbereich. An die Stelle der bisherigen Auflage eines Mindestangebots an Beschäftigungs- und Weiterbildungsprogrammen treten Leistungs- und Wirkungsvereinbarungen mit den Kantonen. Diese „Minirevision“ wurde von beiden Kammern diskussionslos angenommen [81].
Gleichzeitig nahm der Bundesrat eine grössere Revision des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung (AVIG) in Angriff, welche die langfristige Finanzierung der ALV sicherstellen soll. Entsprechende Vorschläge gingen im September in die Vernehmlassung. Mit dem Auslaufen der Notmassnahmen für die Rückzahlung der Schulden der ALV (Ende 2003) soll der Beitragssatz wieder auf zwei Lohnprozente für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zurückgefahren werden, Löhne zwischen 106 800 (maximaler versicherter Verdienst) und 267 000 Fr. bleiben aber weiterhin mit einem Prozent belastet (Deplafonierung). Damit eine über einen Konjunkturzyklus ausgeglichene Rechnung der Versicherung möglich wird, sollen sich der Bund und die Kantone fest an den Kosten der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren und der arbeitsmarktlichen Massnahmen beteiligen. Die Belastung von Bund und Kantonen wird dadurch im Vergleich zu heute nur wenig erhöht. Die Mindestbeitragszeit für die Geltendmachung von Ansprüchen soll von sechs auf zwölf Monate erhöht und die Entschädigungsdauer von 520 auf 400 Tage gekürzt werden, wobei für ältere Arbeitnehmer sowie IV- und UV-Rentner die heutige Dauer belassen werden soll. Weitergehenden Forderungen bürgerlicher Politiker (degressiv abgestufte Taggelder, schärfere Zumutbarkeitsregeln, längere Wartezeiten für den Bezug von Taggeldern, Aufteilung der ALV in eine obligatorische Grundversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung) erteilte der Bundesrat eine Absage, da sie in den meisten Fällen nur die Sozialhilfe belasten würden. Bundesrat Couchepin bezeichnete die Vorlage als ausgewogen und den Anliegen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber Rechnung tragend. Diese Einschätzung wurde durch die gleichmässig verteilte Unzufriedenheit der Sozialpartner bestätigt. Der Arbeitgeberverband zeigte sich „schockiert“ ob der Absicht des Bundesrates, eine „Reichtumssteuer“ einzuführen („Solidaritätsbeitrag“ der höheren Einkommen), die Gewerkschaften stuften diesen als zu niedrig ein und kritisierten, mit den Leistungskürzungen bitte der Bundesrat die „Schwächsten der Gesellschaft zusätzlich zur Kasse“ [82].
Da die ALV 1999 aufgrund des Rückgangs der Arbeitslosigkeit wieder schwarze Zahlen geschrieben hatte, ging das vom Bundesrat vorgeschlagene Tempo zur Rückkehr zum alten Beitragssatz von 2% der Finanzkommission des Nationalrates zu gemächlich. Mit einer mit 98 zu 66 Stimmen vom Plenum gutgeheissenen Motion wollte er den Bundesrat beauftragen, bereits auf Anfang 2003 das dritte Lohnprozent abzuschaffen. Der Ständerat war aber anderer Meinung. Mit 21 zu 10 Stimmen lehnte er die Motion ab. Er befand, die ALV solle zuerst Reserven bilden können, um längerfristig gegen Krisen gewappnet zu sein [83].
Nach der grossen Kammer im Vorjahr überwies auch der Ständerat gegen den Willen des Bundesrates eine Motion der Wirtschaftskommission des Nationalrates, die eine Änderung des AVIG zur Erleichterung der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit verlangt. Es geht dabei insbesondere um die Ausdehnung des Instruments der Bürgschaften. Nur als Postulat angenommen wurde eine ebenfalls vom Nationalrat gutgeheissene Motion der SP-Fraktion für eine von Bund und Kantonen unterstützte Nachholbildungsoffensive für Erwachsene [84].
Mit mehreren Vorstössen strebten Vertreter der SVP eine Einschränkung beim Bezug von Arbeitslosentaggeldern an. Eine Motion Baumann (TG) verlangte, dass Versicherte vor einer Erziehungsperiode (Erwerbsunterbruch wegen Betreuung von Kleinkindern) mindestens sechs Monate eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausgeübt haben müssen, um überhaupt in den Genuss von Taggeldern zu kommen. Ein Postulat Hasler (AG) wollte den Bezug zudem von ausreichenden Kenntnissen einer Landessprache abhängig machen. Beide Vorstösse waren 1998 von Vertretern der SP und der GP als frauen- und fremdenfeindlich bezeichnet und bekämpft worden. Mit Einverständnis des Bundesrates, der in diesem Bereich tatsächlich ein Missbrauchspotential ortete, wurden nun beide Vorstösse angenommen, die Motion mit 79 zu 62 Stimmen, das Postulat mit 83 zu 55 Stimmen. Unterstützung erhielten sie vom St. Galler CVP-Vertreter Widrig, der in einer Motion eine diesbezügliche Gesetzesänderung verlangte. Da der Bundesrat auf die Vorarbeiten für eine umfassende Revision des AVIG verwies, wurde dieser Vorstoss lediglich als Postulat überwiesen. Der Ständerat nahm die Motion Baumann ebenfalls an [85].
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Weiterführende Literatur
Aspects de la sécurité sociale, 2000, Nr. 2 (Schwerpunktthema „Le revenu minimum d’insertion vaudois“).
Berra, Jacques, La structure des systèmes de sécurité sociale: étude de droit comparé, Genève (thèse) 2000.
Bucher, Silvia, Soziale Sicherheit, beitragsunabhängige Sonderleistungen und soziale Vergünstigungen. Eine europarechtliche Untersuchung mit Blick auf schweizerische Ergänzungsleistungen und Arbeitslosenhilfen, Freiburg (Diss.) 2000.
Carnazzi, Sara, Demographische Entwicklung, zukünftige Erwerbsbevölkerung und Rentenverhalten in der Schweiz, Freiburg (Diss.) 2000.
Greber, Pierre-Yves, „La sécurité sociale face aux mutations actuelles du travail“, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 2000, S. 391-407.
Imhof, Edgar, „Das bilaterale Abkommen über den freien Personenverkehr und die Soziale Sicherheit“, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 2000, S. 22-55.
Kappeler, Beat, Quelles politiques sociales? Les politiques sociales en Suisse et à l’étranger : leurs techniques, leurs effets, leur éthique et les défis futurs, Soleure 1999.
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[1] AB SR, 2000, S. 379. Zu der seit 1998 wieder sinkenden Soziallast- und Sozialleistungsquote, die stark auf konjunkturelle Schwankungen reagiert, siehe CHSS, 2001, S. 313 ff. Für weitere Forderungen nach einer Senkung der Staats- und Steuerquote siehe oben, Teil I, 5 (Direkte Steuern.1
[2] AB SR, 2000, S. 171 ff., 513 f. und 723; AB NR, 2000, S. 649 ff., 967 f. und 1210. Siehe SPJ 1999, S. 265.2
[3] AB NR, 2000, S. 837.3
[4] BBl, 2000, S. 255 ff.; AB SR, 2000, S. 191 ff., 386 f. und 478; AB NR, 2000, S. 639 ff. und 852 f.4
[5] AB NR, 2000, S. 649. Siehe oben, Teil I, 7b (Allgemeine Fragen).5
[6] AB NR, 1999, S. 2430 ff. und 2000, S. 368 und 464; AB SR, 2000, S. 110 und 229.6
[7] AB NR, 2000, S. 1315 ff. Zu der von den GPK beider Räte verlangten Entlastung des Bundesgerichtes und des Eidg. Versicherungsgerichtes siehe oben, Teil I, 1c (Gerichte).7
[8] AB NR, 2000, S. 803 ff. Die interkantonale Sozialdirektorenkonferenz empfahl den Kantonen, die Gewährung eines sozialen Existenzminimums gesetzlich zu verankern (CHSS, 2000, S. 335 ff.).8
[9] BBl, 2000, S. 1869 ff.; Presse vom 5.2.00. Zu den Perspektiven der Sozialpolitik an der Schwelle des 21. Jahrhunderts führte der BR im April eine Aussprache durch (CHSS, 2000, S. 300 ff.). Das vom EDI vorbereitete Aussprachepapier ist im Volltext auf der Homepage des BSV zugänglich: www.bsv.admin.ch. Für eine Übersicht über die im Bereich der Sozialversicherungen geplanten Revisionen siehe CHSS, 2000, S. 306 ff.9
[10] AB NR, 2000, S. 803 ff.; AB SR, 2000, S. 655. 10
[11] Lit. OECD; Queisser, Monika / Vittas, Dimitri, „Das schweizerische Vorsorgesystem aus der Sicht der Weltbank: Triumph des gesunden Menschenverstands?“, in CHSS, 2000, S. 195 ff. 11
[12] Presse vom 6.3.-10.3.00. Bundespräsident Ogi distanzierte sich vehement von diesen Beschlüssen seiner Partei und meinte, es gehe nicht an, das Solidaritätswerk der AHV mutwillig zu zerstören (NZZ, 7.3.00); im gleichen Sinn äusserten sich auch die SVP-Kantonalsektionen GR und BE (BüZ und NZZ, 8.3.00). Siehe zu diesen Diskussionen auch CHSS, 2000, S. 108 ff. (Schwerpunktthema „Neoliberalismus und Sozialstaat“). 12
[13] Presse vom 9.5.00. 13
[14] Presse vom 17.3.01. Zur generellen Trendumkehr bei den Sozialversicherungsfinanzen siehe CHSS, 2000, S. 215 ff. Vgl. SPJ 1999, S. 269. 14
[15] AB SR, 2000, S. 95 ff. Siehe SPJ 1999, S. 269 f. Da ihn die Defizite der Auslandschweizer-AHV, die auch mit der Änderung bestehen bleiben, beunruhigten, verabschiedete der SR ein Postulat seiner SGK, das anregt, mittelfristig die Einführung einer selbständigen Versicherung (allenfalls mit einem angemessenen Solidaritätsbeitrag) zu prüfen (a.a.O., S. 101). 15
[16] AB NR, 2000, S. 630 ff., 832 und 852; AB SR, 2000, S. 385 und 477; CHSS, 2000, S. 324 f. 16
[17] AB NR, 2000, S. 872 ff. Der Anteil des Bundes am „Demographieprozent“ hatte schon bei dessen Beratung Anlass zu Diskussionen gegeben (SPJ 1998, S. 260). 17
[18] AB SR, 2000, S. 761 ff. und 892 ff.; AB NR, 2000, S. 1414 ff. 18
[19] BBl, 2000, S. 5912 f. 19
[20] BBl, 2000, S. 3979 ff. Zum Nationalbankgold und der Solidaritätsstiftung siehe auch oben, Teil I, 1a (Grundfragen). 20
[21] Presse vom 10.4. und 12.4.00. 21
[22] BaZ, 8.7.00. 22
[23] AB NR, 2000, S. 1197. 23
[24] AB SR, 2000, S. 522 ff. Auch die SP und die Gewerkschaften favorisieren ein Modell, das sich an den Beitragsjahren orientiert, da damit die je nach Branche unterschiedlichen Abnützungserscheinungen der Arbeitnehmer mitberücksichtigt werden könnten (SoZ, 27.8.00; LT, 28.8.00; Presse vom 29.8.00). Siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitswelt). 24
[25] CHSS, 2000, S. 45. Siehe dazu oben, Teil I, 4a (Strukturpolitik). 25
[26] BBl, 2000, S. 3971 ff.; AB NR, 2000, S. 871 f. und 1207; AB SR, 2000, S. 194 (Motion GPK), 522 und 720; Presse vom 6.6.00. Siehe SPJ 1999, S. 270. 26
[27] SPJ 1998, S. 258. 27
[28] Presse vom 16.5. und 26.9.-25.11.00. Nach Ansicht von BR Dreifuss waren in diesem Zahlenstreit die Annahmen der Gegner zu pessimistisch, weil sie die Sparanstrengungen der 11. AHV-Revision nicht berücksichtigten, jene der Befürworter jedoch insofern zu optimistisch, als sie auf der momentanen konjunkturellen Erholung basierten sowie auf Sparmassnahmen, die das Parlament noch gar nicht beschlossen habe (Presse vom 18.10.00). 28
[29] BBl, 2001, S. 1141 ff.; Presse vom 27.11.00. 29
[30] Sidler, Andreas et al., Analyse der eidg. Abstimmung vom 26. November 2000, VOX Nr. 72, Zürich 2001. 30
[31] BBl, 2000, S.1865 ff. (11. AHV-Revision) und 3979 ff. (Goldreserven); CHSS, 2000, S. 5 ff.; Presse vom 3.2.00. Siehe SPJ 1999, S. 270 f. 31
[32] NZZ, 11.4.00. Die Zusatzberichte finden sich auf der Homepage des BSV: www.bsv.admin.ch. 32
[33] Presse vom 20.5.00. FDP-Parteipräsident Steinegger sprach sich für eine generelle Erhöhung des Rentenalters auf 66 oder 67 Jahre aus anstatt einer Anhebung der Mehrwertsteuer (Presse vom 18.7.00). Er nahm damit Überlegungen der beiden freisinnigen Bundesräte Villiger und Couchepin auf, die bereits im Vorjahr ein Pensionsalter „65 plus“ zur Diskussion gestellt hatten (SGT, 19.7.00). Die welschen Freisinnigen distanzierten sich von den Aussagen Steineggers, die sie als für ihre Wählerschaft verunsichernd bezeichneten (LT, 20.7.00). 33
[34] Bund, 6.5.00; Presse vom 8.9., 27.10., 9.11. und 11.11.00. Gegen einen Abbau bei den Witwenrenten wehrten sich nach der SP auch die Frauenorganisationen der bürgerlichen Parteien FDP und CVP, die fanden, eine gänzliche Abkehr vom Versorgerprinzip beim Aufbau der Altersvorsorge sei nicht reif, solange es nicht bessere Strukturen für die Erwerbstätigkeit von Müttern (insbesondere ausserhäusliche Kinderbetreuung) gebe (Bund, 6.5.00). NR Egerszegi (fdp, AG) regte an, die Witwer- und Witwenrenten analog zu den EL nur noch finanzschwachen Personen und nicht mehr nach dem Gieskannenprinzip auszurichten (AZ, 18.8.00). 34
[35] Presse vom 13.4. und 5.12.00. Für mehr Details zum Forschungsprogramm siehe CHSS, 2000, S. 316 f. sowie die Homepage des BSV: www.bsv.admin.ch. Da die Eckdaten des Forschungsprogramms und dessen Ausrichtung auf den Zeithorizont 2025 in der Herbstsession bereits bekannt waren, wurde eine Motion der SVP-Fraktion, die ein Konzept zur Sicherung der Altersvorsorge über das Jahr 2010 hinaus verlangte, nur als Postulat überwiesen (AB NR, 2000, S. 1192). 35
[36] AB NR, 2000, S. 1256 ff. Motion SGK: Geschäft 00.3421. 36
[37] AB SR, 2000, S. 829 f. 37
[38] AB NR, 2000, S. 1407 ff. 38
[39] CHSS, 2000, S. 176 ff. (Schwerpunktthema 4. IV-Revision); Presse vom 19.5. und 29.6.00. Vgl. SPJ 1999, S. 271 f. Zur Assistenzentschädigung siehe CHSS, 2000, S. 48 ff. 39
[40] AB NR, 2000, S. 1191. Der SR überwies stillschweigend ein Postulat David (cvp, SG), das den BR zu prüfen ersucht, weshalb in den letzten Jahren die Häufigkeit von psychisch resp. psychosomatisch bedingten Invaliditäten stark zugenommen hat (AB SR, 2000, S. 526). 40
[41] BBl, 2000, S. 2637 ff.; CHSS, 2000, S. 70 ff.; Presse vom 2.3.00. Siehe SPJ 1999, S. 273. 41
[42] Bund, 11.3.00; NZZ, 22.4.00; Presse vom 5.5.00. 42
[43] AB NR, 2000, S. 654. Siehe SPJ 1998, S. 228. Zu den Auswirkungen des Koordinationsabzugs für Personen mit niedrigen Einkommen resp. mit mehreren Arbeitgebern siehe TA, 31.1.00. 4
[44] AB SR, 2000, S. 524 f. 44
[45] CHSS, 2000, S. 142 f. Eine Motion Hochreutener (cvp, BE), die verlangte, dass die Bilanzen einer Pensionskasse auch von einem Anlagespezialisten überprüft werden, wurde auf Antrag des BR nur als Postulat verabschiedet (AB NR, 2000, S. 376). 45
[46] AB NR, 2000, S. 840. 46
[47] Böcken, Jan e.a. (Hg.), Reformen im Gesundheitswesen, Ergebnisse der internationalen Recherche, Gütersloh (D) 2000; CHSS, 2000, S. 286 f.; Presse vom 7.9.00. 47
[48] AB NR, 2000, S. 803 ff.; AB SR, 2000, S. 655. 48
[49] Presse vom 17.6.00; NZZ, 21.7.00. Siehe SPJ 1998, S. 265. Die Studie zum Risikoausgleich regte an, ein über Steuern finanzierter Hochrisikopool solle die Kosten für die zwei oder vier Prozent teuersten Versicherten übernehmen (CHSS, 2000, S. 149 ff.). Eine Motion des 1999 nicht wiedergewählten Berner SVP-Nationalrats und Interessenvertreters der Krankenkasse „Visana“, Rychen, neben den Faktoren Alter und Geschlecht seien auch die Gesundheitskosten der Versicherten in den letzten zwei Jahren für den Risikoausgleich zu berücksichtigen, wurde auf Antrag des Bundesrates nur als Postulat angenommen (AB NR, 2000, S. 370. Siehe SPJ 1999, S. 277 f.). Zum Funktionieren des Risikoausgleichs siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation der SVP-Fraktion in AB NR, 2000, S. 1608. 49
[50] AB SR, 2000, S. 880. 50
[51] BBl, 2000, S. 4083 ff. 51
[52] AB SR, 2000, S. 514 ff., 589 und 720; AB NR, 2000, S. 968 ff. und 1207. 52
[53] AB NR, 2000, S. 974. 53
[54] Presse vom 10.3.00. Zum „Visana-Entscheid“ und den gesetzgeberischen Konsequenzen siehe SPJ 1998, S. 267 f. und 1999, S. 277. 54
[55] AB SR, 2000, S. 879 f. 55
[56] CHSS, 2000, S. 82 ff.; Presse vom 24.2. und 14.9.00. 56
[57] NZZ, 18.7.00. 57
[58] SPJ 1999, S. 247. 58
[59] AB SR, 2000, S. 48 ff. 59
[60] AB NR, 2000, S. 832 f. 60
[61] AB NR, 2000, S. 364. Siehe SPJ 1999, S. 274.61
[62] LT, 14.10.00. 62
[63] BBl, 2000, S. 4267 ff.; Presse vom 2.6.00. Mit diesem Entscheid desavouierte der BR Kollegin Dreifuss, welche im Vorjahr vor der Presse die Auffassung vertreten hatte, die Kopfprämien seien sozialpolitisch an ihre Limiten gelangt (SPJ 1999, S. 275). Zum Umstand, dass die KK-Prämien den Mittelstand weiterhin überproportional belasten, siehe a.a.O., S. 274. 63
[64] AB NR, 2000, S. 1501 ff., 1507 ff. und 1547 ff. Zu weiteren Volksinitiativen im Bereich Gesundheitspolitik siehe oben, Teil I, 7b (Spitäler und Medikamente). 64
[65] AB NR, 2000, S. 62 ff.; CHSS, 2000, S. 158 ff. (Übersicht über die Teilrevision). Siehe SPJ 1999, S. 277. 65
[66] BBl, 2001, S. 741 ff.; Presse vom 19.9.00. 66
[67] BZ, 6.12.00. Das KSK schätzte, dass bei den Kassen Betreibungen von rund 300 Mio Fr. für ausstehende Prämienzählungen offen sind (BZ, 28.8.00). 67
[68] Presse vom 11.7. und 16.9.00. Das BSV nahm an, dass die zwölf neuen Leistungen weniger als ein halbes Prozent Prämienanstieg bewirken werden, die Heroinabgabe gar nur Promille. Siehe SPJ 1999, S. 256 ff. NR Heim (cvp, SO) reichte eine von 70 Parlamentariern aus CVP, FDP und SVP mitunterzeichnete Motion auf Rückgängigmachung des Heroinentscheids ein (Geschäft 00.3459). Die Krankenkassen kündigten ebenfalls an, sie würden alle rechtlichen und politischen Mittel ausschöpfen, um die Kassenpflicht der Heroinabgabe abzuwenden (Bund, 4.8.00). 68
[69] Presse vom 11.7. und 18.7.00; AZ, 4.10.00. Eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH) aus dem Jahr 1998, in welcher er u.a. eine Einschränkung des Grundversicherungspakets verlangte, wurde vom NR in der Frühjahrssession mit 71:67 Stimmen verworfen (AB NR, 2000, S. 371 ff.). Die Überweisung eines Postulats der FDP-Fraktion zur Überprüfung des Grundleistungskatalogs scheiterte vorderhand am Widerstand von NR Gross (sp, TG): a.a.O., S. 451. Gegen den Willen des BR, der für Abschreibung plädierte, wurde mit 91:39 Stimmen ein Postulat Guisan (fdp, VD) angenommen, das den BR auffordert abzuklären, wie vielversprechende neueste Medikamente, die noch nicht kassenzulässig sind, abgegolten werden können (a.a.O., S. 368 f.). 69
[70] Presse vom 11.11.00. Da Heroin für seine Kassenzulässigkeit vom IKS anerkannt werden muss, was sich im Berichtsjahr verzögerte, rechnet das BSV erst für 2002 mit der Vergütung durch die Krankenkassen (Presse vom 16.9.00). 70
[71] AB NR, 2000, S. 1197 f. 71
[72] AB NR, 2000, S. 374. 72
[73] AB NR, 2000, S. 370 f. 73
[74] TA, 20.7.00; Bund, 29.12.00. 74
[75] BBl, 2000, S. 1320 ff. und 1330 ff. (BR); AB NR, 2000, S. 366 f. und 1611; AB SR, 2000, S. 877 und 941. Siehe SPJ 1998, S. 269. 75
[76] AB NR, 2000, S. 834 ff. Siehe SPJ 1999, S. 278 ff. 76
[77] AB SR, 2000, S. 498 ff. 77
[78] AB SR, 2000, S. 901 ff. Zum ILO-Abkommen siehe auch die Antwort des BR auf eine diesbezügliche Interpellation der SP-Fraktion (AB NR, 2000, S. 1204). Die Ablehnung wurde auch mit dem Argument begründet, dass die ILO im Juni eine neue Konvention für den Mutterschutz verabschiedet habe, womit die Konvention 103 obsolet geworden sei. Zum neuen Abkommen siehe BaZ, 16.6.00. 78
[79] AB NR, 2000, S. 1077 f. 79
[80] TG, 22.3., 31.3. und 29.8.00; LT, 3.7.00; TA, 28.11.00; Presse vom 15.12. und 16.12.00; Ww, 21.12.00. Der Grosse Rat des Kantons VS nahm eine Motion an, mit welcher die Regierung beauftragt wird, eine aus Mitteln der öffentlichen Hand finanzierte Mutterschaftsversicherung einzuführen (LT, 10.2.00; 24h, 5.4.00). 80
[81] BBl, 2000, S. 1673 ff.; AB NR, 2000, S. 681 ff. und 854; AB SR, 2000, S. 258 und 479. Diese Revision weist in die gleiche Richtung wie die Vereinbarung 2000, welche Bund und Kantone im Interesse eines wirkungsorientierten Vollzugs der ALV abschlossen. Ziel ist eine Effizienzsteigerung der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) im Hinblick auf eine rasche und dauerhafte Wiedereingliederung der Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt . Den Kantonen werden nicht mehr einfach die Vollzugskosten des Avig ersetzt, sondern mit einem Bonus-/Malussystem auch die damit erzielten Wirkungen (insbesondere Verkürzung des Taggeldbezugs) berücksichtigt. Siehe dazu: Robert, Geneviève, „Für eine wirkungsorientierte Arbeitslosenversicherung“, in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 4, S. 52-55. 81
[82] Presse vom 10.6. und 19.9.00; TA und TG, 11.12.00. Eine Reduktion bei den Taggeldern, die in der Volksabstimmung von 1997 deutlich verworfen wurde, lehnte Wirtschaftsminister Couchepin ab, da sie zu gravierenden sozialen Problemen führen könnte. (Presse vom 3.1.00). Siehe SPJ 1997, S. 273 f. Das Seco prüfte Vorschläge, von Unternehmen und Branchen, die eine „Hire and Fire“-Politik betreiben, höhere Beiträge an die ALV zu verlangen, nahm diese dann aber nicht in die Vernehmlassungsvorlage auf; in Skandinavien und in einzelnen Staaten der USA hat man mit differenzierten Beiträgen gute Erfahrungen gemacht (SHZ, 29.3.00). 82
[83] AB NR, 2000, S. 515; AB SR, 2000, S. 338. Vgl. SPJ 1999, S. 281. Als im Sommer die Arbeitslosenquote erstmals seit 1992 unter 2% fiel, stellte Bundesrat Couchepin in Aussicht, das dritte Lohnprozent bereits Mitte 2003 zu streichen (Presse vom 10.6.00). Im Vernehmlassungsentwurf zur ALV-Revision war dann wieder die Rede von Ende 2003 (Presse vom 19.9.00). 83
[84] AB NR, 1999, S. 1171; AB SR, 2000, S. 127 f. Siehe SPJ 1999, S. 234. 84
[85] AB NR, 2000, S. 475 ff.; AB SR, 2000, S. 868. Das Eidg. Versicherungsgericht entschied, die ALV-Verordnung sowie die entsprechende Weisung, wonach eine Erziehungsperiode mindestens 18 Monate innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist zum Bezug von Arbeitslosentaggeldern dauern müsse, um einen Anspruch zu eröffnen, sei gesetzeswidrig, da das Avig keine Mindestdauer für die Erziehungspause nennt; das BWA (heute Seco, Direktion für Arbeit) hatte die Auffassung vertreten, Erziehungszeiten dürften aus finanzpolitischen Überlegungen und wegen der Missbrauchsgefahr nur sehr zurückhatend angerechnet werden (NZZ, 29.2.00). 85
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