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Grundlagen der Staatsordnung
Föderativer Aufbau
Volk und Stände stimmten der neuen Aufgaben- und Lastenverteilung (NFA) zwischen Bund und Kantonen deutlich zu. – Der bernische Grosse Rat verabschiedete das Sonderstatut für den Berner Jura; das jurassische Parlament unterstützte gegen den Antrag der Kantonsregierung eine Volksinitiative für die Vereinigung des Kantons mit dem Berner Jura.
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen
Mit der neuen Bundesverfassung von 1999 wurde die Vorschrift, dass Verträge der Kantone unter sich oder mit dem Ausland vom Bundesrat genehmigt werden müssen, durch eine Informationspflicht ersetzt, wobei neu nicht nur der Bund, sondern auch die anderen Kantone in Kenntnis zu setzen sind. Der Bundesrat schlug Ende 2004 eine Teilrevision des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vor, um den gesetzlichen Rahmen an diese Neuerung anzupassen. Dabei soll insbesondere auch festgelegt werden, in welcher Form die Kantone zu informieren sind, und wie diese und der Bundesrat allfällige Einwände vorbringen können [1].
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Am 28. November hiessen Volk und Stände die „Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen“ (NFA) bei einer niedrigen Beteiligung von 36,9% deutlich gut. Mit Befriedigung wurde zur Kenntnis genommen, dass der absolut grösste Nettozahler, der Kanton Zürich, der Reform ebenfalls zugestimmt hatte. Ein sehr klares Nein gab es hingegen in Zug, dem relativ, d.h. pro Kopf der Bevölkerung, grössten Nettozahler, der zudem infolge der NFA mit einer starken Erhöhung seiner Beiträge an den Finanzausgleich rechnen musste. In der Abstimmungskampagne waren im Wesentlichen zwei Konfliktlinien auszumachen: einerseits diejenige zwischen Links und Rechts in der Frage, ob die Kantone in der Lage und Willens sein würden, die ihnen vollständig übertragenen Aufgaben im Bereich der Behindertenpolitik zu übernehmen. Die SP, und mit ihr die meisten Interessenorganisationen der Behinderten, hatten dies bereits während der Parlamentsdebatte bezweifelt und in der Folge die Nein-Parole ausgegeben. Die zweite Konfliktlinie wurde von der Einstellung zum Prinzip des Finanzausgleichs an sich geprägt. Hier bekämpfte die Zürcher SVP die NFA mit dem Argument, dass der Finanzausgleich die wirtschaftlich und finanzpolitisch erfolgreichen Kantone (insbesondere Zürich) bestrafe und die ineffizienten und verschwenderischen Kantone (namentlich Bern) belohne. Mit dieser Polemik blieb die zürcherische SVP aber weitgehend allein; die nationale SVP empfahl, wie auch die beiden anderen bürgerlichen Regierungsparteien ein Ja. Nicht in Frage gestellt wurden im Vorfeld der Abstimmung die Grundsätze des föderalistischen Staatsaufbaus, also die Verteilung der Aufgaben auf Bund und Kantone gemäss dem Subsidiaritätsprinzip. Die Nachbefragung der Stimmenden zeigte, dass die Einstellung zu diesem Staatsaufbau auch keine Rolle bei der Entscheidung gespielt hatte [2].
NFA
Abstimmung vom 28. November 2004

Beteiligung: 36,9%
Ja: 1 104 565 (64,4%) / 18 5/2 Stände
Nein: 611 331 (35,6%) / 2 ½ Stände

Parolen:
Ja:, FDP (1*), CVP (2*), SVP (6*), LP, EVP, EDU, Lega; Economiesuisse, SGV, SBV, ZSAO.
Nein: SP (9*), GP, PdA (1*), CSP; SGB, Travail.Suisse.
— Stimmfreigabe: SD.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
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Das im Vorjahr eingereichte Kantonsreferendum gegen das Steuerentlastungsprogramm des Bundes war erfolgreich. Das Volk lehnte am 16. Mai das Steuerpaket deutlich ab, in keinem einzigen Kanton ergab sich eine Ja-Mehrheit [3].
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Das Parlament ratifizierte im Berichtsjahr die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung. Wie bereits in der Vernehmlassung bei den Kantonen war sowohl im Nationalrat als auch im Ständerat die grundsätzliche Frage umstritten, ob der Bund überhaupt berechtigt sei, mittels internationaler Verträge in die Organisationsautonomie der Kantone einzugreifen. Die Befürworter der Charta machten geltend, dass bei Bestimmungen, die materiell einen Eingriff in die Kantonskompetenzen bringen würden (z.B. bei der geforderten vermehrten Zahlung von nicht zweckgebundenen Subventionen an die Gemeinden) die Schweiz einen Vorbehalt bezüglich ihrer Verbindlichkeit gemacht hat. Nichteintretensanträge von Schlüer (svp, ZH), unterstützt von der SVP-Fraktion, im Nationalrat, und Schmid (cvp, AI) im Ständerrat wurden mit 120 zu 38 resp. 26 zu 11 Stimmen klar abgelehnt [4].
Die Idee, kleine und mittlere Gemeinden zu fusionieren, hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Mitverantwortlich dafür waren einerseits finanzielle Gründe, indem es kleinen Gemeinden oft kaum mehr möglich war, die heute an sie gestellten Anforderungen in Bezug auf Dienstleistungen und Verwaltungstätigkeiten zu erfüllen. Andererseits erwies es sich aber auch als zunehmend schwieriger, kommunale politische Ämter zu besetzen. Federführend waren in dieser Bewegung seit einigen Jahren die Kantone Freiburg und Tessin, welche über besonders viele Klein- und Kleinstgemeinden verfügen [5]. In der Deutschschweiz waren Gemeindefusionen bisher in Luzern am häufigsten. Im Kanton Jura beschloss das Parlament im Berichtsjahr, fusionswilligen Gemeinden finanzielle Anreize anzubieten. Im Kanton Bern gab die Regierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung [6].
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Territorialfragen
Wie von Parlament und Regierung empfohlen, lehnten die Stimmberechtigten des Kantons Basel-Land drei Volksinitiativen für eine Neuregelung der Zusammenarbeit mit Basel-Stadt ab. Diejenige der SVP, welche eine Einschränkung der Zusammenarbeit zur Folge gehabt hätte, vereinigte 26% Ja-Stimmen auf sich, diejenigen, welche eine gemeinsame Spitalverwaltung resp. eine Fusion der Polizei- und Feuerwehrorganisation verlangten, deren 33% resp. 31%. Diese beiden letzteren Volksbegehren waren auch in Basel-Stadt eingereicht worden, wo sie vom Volk mit sehr klaren Mehrheiten angenommen wurden (85% resp. 84%). Eine dritte Volksinitiative aus dem Paket für eine engere Zusammenarbeit, sie verlangt für die beiden Kantone ein einheitliches Bildungssystem, kam in Basel-Land noch nicht zur Abstimmung. Die Kantonsregierung war im Frühjahr von ihrer ursprünglich ablehnenden Haltung abgerückt, und der Landrat hatte auf ihren Antrag die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags beschlossen. Dieser soll, wie bereits früher von einer Standesinitiative von Basel-Land gefordert, eine nationale Bildungsharmonisierung zum Ziel haben [7].
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Die im Vorjahr vom Mouvement autonomiste jurassien (MAJ) im Kanton Jura eingereichte Volksinitiative für eine Vereinigung des bernischen Juras mit dem Kanton Jura wurde von der Kantonsregierung als dem Bundesrecht widersprechend beurteilt. Sie beantragte dem Parlament, sie für ungültig zu erklären. Dieses sprach sich aber bei nur vier Gegenstimmen (aus der FDP) und vier Enthaltungen (aus CVP und SVP) gegen diesen Regierungsantrag aus. Nach den Verfahrensregeln der jurassischen Verfassung muss nun die Regierung oder das Parlament ein Gesetz zur Realisierung dieses Initiativziels (Bildung eines neue Kantons) ausarbeiten [8]. Noch bevor das jurassische Parlament seinen Entscheid gefällt hatte, ergriff die Assemblée interjurassienne (AIJ) die Initiative. Die paritätisch aus Vertretern des Kantons Jura und des Berner Juras zusammengesetzte Kommission beschloss einstimmig, eine Studie zu erarbeiten, welche darstellt, wie ein aus den drei bernischen und den drei jurassischen Bezirken gebildeter neuer Kanton konkret aussehen könnte. Als Reaktion auf die Annahme der Volksinitiative des MAJ durch das jurassische Parlament beschloss die AIJ im Dezember wiederum einstimmig, ihre Arbeit an dieser Studie vorläufig zu sistieren. Bevor sie diese wieder aufnehme sei abzuklären, wie sie ihr Mandat – die gemeinsame Suche nach einer Lösung des Jurakonflikts – weiter wahrnehmen könne, nachdem sich der Kanton Jura entschlossen habe, wieder auf den Weg einer unilateralen Konfliktlösung zurück zu kehren [9].
Der bernische Grosse Rat hiess im Mai das von der Regierung im März vorgelegte Sonderstatut für den Berner Jura unverändert gut, nachdem auch für die Vertretung der Interessen der französischsprechenden Bevölkerung des Bezirks Biel eine zufrieden stellende Lösung ausserhalb der neuen Strukturen für den Berner Jura hatte gefunden werden können. Gegen das Sonderstatut stimmten die separatistischen Abgeordneten des Berner Juras sowie Parlamentarier aus dem Oberland. Letztere wollten mit ihrer Ablehnung darauf hinweisen, dass sie für ihre Region ebenfalls eine Sonderstellung wünschten [10].
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Weiterführende Literatur
Bochsler, Daniel e.a., Die Schweizer Kantone unter der Lupe: Behörden, Personal, Finanzen, Bern 2004.
Freitag, Markus / Vatter, Adrian, „Föderalismus und staatliche Verschuldung: ein makro-quantitativer Vergleich“, in Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2004, Nr. 2, 175-90.
Horber-Papazian, Katia, L’intervention des communes dans les politiques publiques, s.l. (thèse EPF Lausanne) 2004.
Schmid, Karl, Kommunalpolitik – die reizvolle Herausforderung: Ein Leitfaden für die Praxis, Aarau 2004.
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Buser, Heinz e.a. (Hg.), Beschlüsse, Bilanzen, Bilder: Dokumente zum Kantonswechsel des Laufentals 1970-2003, Liestal 2004.
Hauser, Claude, L’aventure du Jura, Lausanne 2004.
Pichard, Alain, La question jurassienne: avant et après la naissance du 23e Canton suisse, Lausanne 2004.
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[1] BBl, 2004, S. 7103 ff.
[2] BBl, 2005, S. 951 ff.; Pressse vom 29.11.04; Hirter, Hans / Linder, Wolf, Analyse der eidgenössischen Volksabstimmung vom 28. November 2004, VOX Nr. 85, Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und gfs.bern, Bern 2005. Vgl. SPJ 2003, S. 43 f. sowie unten, Teil I, 5 (Finanzausgleich).
[3] Siehe dazu unten, Teil I, 5 (Direkte Steuern). Vgl. SPJ 2003, S. 44 und 130 f.
[4] AB NR, 2004, S. 937 ff. und 2094; AB SR, 2004, S. 628 ff. Vgl. SPJ 2003, S. 44.
[5] Im Tessin zählt die Hälfte der Gemeinden weniger als 500 Einwohner, deren 40 sogar weniger als 100 (vgl. dazu NZZ, 5.2.04).
[6] Luzern: NLZ, 28.6. und 14.10.04. Jura: LT, 21.10.04. Bern: Bund, 13.8.04.
[7] BaZ, 12.2., 20.2. (Parlament) und 17.5.04 (Volksabstimmung). Zur Bildungsinitiative siehe NZZ, 14.1.04. Vgl. SPJ 2002, S. 253 (Standesinitiative) und 2003, S. 44 f.
[8] Bund, 10.5.04 (Regierung); LT, 18.6.04; NZZ und QJ, 18.11.04 (Parlament). Vgl. SPJ 2003, S. 45.
[9] LT, 30.6.04; QJ, 17.9.04; Bund und QJ, 21.12.04. Ein Treffen von BR Blocher mit Vertretern der Kantonsregierungen von Bern und Jura hatte offenbar den Weg für den Entscheid geebnet, ein eigenes Projekt auszuarbeiten (LT, 18.6.04; QJ, 24.6.04).
[10] Bund, 19.3. und 17.6.04; LT und QJ, 17.6. und 14.9.04. Zum Inhalt des Statuts siehe SPJ 2003, S. 45.
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