Zwei Tage nach dem Ständerat machte sich auch der Nationalrat an die Beratung des Voranschlags der Eidgenossenschaft 2024 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2025–2027. Jacques Nicolet (svp, VD) und Anna Giacometti (fdp, GR) stellten das Budget im Namen der Mehrheit der FK-NR vor. Das vom Bundesrat vorgeschlagene Budget wies einen strukturellen Überschuss und somit einen Handlungsspielraum von CHF 18.3 Mio. auf und war damit schuldenbremsenkonform. Von den über 70 Änderungsanträgen, die in der Kommission diskutiert worden waren, hatten nur wenige eine Mehrheit in der Kommission gefunden. Mit diesen Mehrheitsanträgen würde das Budget noch einen strukturellen Überschuss von CHF 12.4 Mio. aufweisen. Der Nationalrat nahm in der Folge verschiedene Änderungen vor, wobei er am Schluss nur durch einen Kniff ein schuldenbremsekonformes Budget vorlegen konnte.
In der Eintretensdebatte wurde das Budget aus verschiedenen politischen Blickwinkeln beleuchtet. Lars Guggisberg (svp, BE) warnte vor einer düsteren finanziellen Lage und kritisierte die «verantwortungslose Ausgabenpolitik», die zur aktuellen Situation geführt habe. Markus Ritter (mitte, SG) betonte die Notwendigkeit, die Ausgabendisziplin zu wahren und den Bundeshaushalt wieder in Richtung struktureller Überschüsse zu bringen. Alex Farinelli (fdp, TI) hob die Unverzichtbarkeit der Schuldenbremse hervor und forderte, dass zukünftig jede neue Ausgabe kompensiert werden müsse. Martin Bäumle (glp, ZH) hob hervor, dass die Schuldenbremse zentral für eine solide Finanzpolitik sei, und erklärte, dass seine Fraktion nur einem Budget zustimmen werde, das den Ausgabenplafond einhalte und ihre Prioritäten ausreichend berücksichtige. Auf der anderen Seite kritisierte Felix Wettstein (gp, SO) die Kürzungen bei der Sozialhilfe für geflüchtete Personen und betonte die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen Finanzpolitik, die auch auf soziale Bedürfnisse eingehe. Laurence Fehlmann Rielle (sp, GE) bedauerte die Kürzungen in Bereichen wie Entwicklungshilfe und Bildung, während gleichzeitig die Armeeaufwendungen erhöht würden. Aufgrund des engen Handlungsspielraums bat Finanzministerin Karin Keller-Sutter den Rat schliesslich, bei Mehrausgaben jeweils für eine Gegenfinanzierung zu sorgen, da ansonsten die Schuldenbremse nicht eingehalten werden könne.
In der Detailberatung zum ersten Block der Ausgaben im Eigenbereich des Bundes diskutierte der Nationalrat insbesondere mehrere Minderheitsanträge auf Kürzungen. So forderte eine Minderheit Strupler (svp, TG) eine Reduktion um CHF 2.2 Mio. bei den laufenden Ausgaben der Bundesversammlung und damit eine Zustimmung zum Entwurf des Ständerates. Strupler argumentierte, dass diese Kürzung ein Zeichen für Haushaltsdisziplin setzen würde, während die Kommissionsmehrheit betonte, dass die Ratsmitglieder bereits auf einen Teuerungsausgleich verzichtet hätten und damit ihren Beitrag zum Sparen bereits leisteten. In der Abstimmung folgte der Rat mit 93 zu 93 Stimmen (1 Enthaltung) und Stichentscheid durch Ratspräsident Eric Nussbaumer (sp, BL) knapp seiner Kommissionsmehrheit und damit dem Entwurf des Bundesrates, womit er eine erste Differenz zum Erstrat schuf. Unterstützung für den Minderheitsantrag kam dabei von Mitgliedern der SVP- und FDP-Fraktionen. Eine weitere Differenz schuf der Nationalrat, indem er fast einstimmig mit 185 zu 2 Stimmen der Mehrheit der FK-NR folgte und das Globalbudget der Parlamentsdienste um CHF 1 Mio. kürzte, indem er die geplante Ausweitung der Bundeshausbewachung strich. Eine weitere Differenz zum Ständerat schuf der Nationalrat schliesslich, indem er mit 115 zu 73 Stimmen (3 Enthaltungen) einen Minderheitsantrag Schilliger (fdp, LU) annahm, der einen Verzicht auf zusätzliche Stellen beim Bundesamt für Umwelt und somit eine Einsparung von CHF 1.8 Mio. forderte. Erfolglos hatte Anna Giacometti für die Kommissionsmehrheit argumentiert, dass ohne diese zusätzlichen Stellen wichtige Parlamentsaufträge, wie etwa ein Frühwarnsystem für Trockenheit und die Modernisierung der Abwasserreinigungsanlagen, nicht umgesetzt werden könnten. Zur Annahme des Kürzungsantrages der Minderheit hatte die Unterstützung durch Mitglieder der FDP-, SVP- und Mitte-Fraktionen geführt.
Erfolglos blieben in diesem Block hingegen unter anderem Anträge für eine Kürzung um CHF 320'000 bei den Entschädigungen für Parlamentssessionen, Kommissionen und Delegationen und um CHF 32'000 bei den Bundesratsgehältern (Minderheiten Strupler) sowie für einen Verzicht auf die Querschnittskürzungen um 1,5 Prozent bei Bundesgericht und Bundesverwaltungsgericht (Minderheiten Gysi; sp, SG).
Im zweiten Block «Landwirtschaft, Standortförderung und Steuern» wurden insbesondere die Ausgaben für die Landwirtschaft und die Regionalpolitik intensiv diskutiert. Der vom Bundesrat vorgesehene Betrag zur Unterstützung des Zuckerrübenanbaus reiche nicht aus, um die gesetzlich vorgesehenen Einzelkulturbeiträge vollständig auszuzahlen, sodass später ein Nachtragskredit erforderlich wäre, zeigte sich eine Minderheit Ritter überzeugt. Deshalb beantragte sie eine Erhöhung um CHF 4 Mio., was gegenüber dem Entwurf des Ständerats einer zusätzlichen Erhöhung um CHF 2 Mio. entsprach. Der Nationalrat folgte diesem Antrag mit 97 zu 91 Stimmen (3 Enthaltungen); die ablehnenden Stimmen stammten aus allen Fraktionen mit Ausnahme der SVP. Hingegen folgte der Nationalrat dem Ständerat jeweils auf Antrag der Kommissionsmehrheit bei der Erhöhung der Zulagen zur Förderung von Schweizer Weinen, bei den Herdenschutzmassnahmen sowie beim Verzicht auf die Kürzungen bei den Direktzahlungen an die Landwirtschaft. Minderheitsanträge, die weitere Kürzungen oder Aufstockungen der Direktzahlungen vorsahen, fanden jedoch keine Mehrheit.
Eine weitere Differenz zum Erstrat entstand beim Fonds für Regionalentwicklung, wo der Nationalrat der Mehrheit der FK-NR folgte und eine Kürzung um CHF 25 Mio. beschloss. Laut Kommissionssprecher Jacques Nicolet habe die Finanzverwaltung bestätigt, dass die Einsparung die Liquidität des Fonds nicht beeinträchtige und die geplanten Projekte dennoch finanziert werden könnten. Weiter sei der Budgetrahmen für den Schweizer Tourismus bereits in der Sommersession erhöht worden, weshalb dieser im Budget reduziert werden solle, um eine doppelte Erhöhung zu vermeiden. Der Nationalrat stimmte diesem Antrag der Finanzkommission stillschweigend zu. Zudem schuf der Nationalrat eine Differenz bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung: Die Kommissionsmehrheit beantragte, die Ausgaben um CHF 2.1 Mio. zu erhöhen, um neue Stellen im Bereich der Mehrwertsteuererhebung zu schaffen. Aufgrund des Personalmangels hätten viele Kontrollen nicht durchgeführt werden können. Von mehr Kontrollen erhoffte sich die Kommissionsmehrheit zusätzliche Steuereinnahmen. Einstimmig unterstützte der Nationalrat diesen Vorschlag der Kommission.
Im dritten Block zu den Themen «Sicherheit und Verkehr» schuf der Nationalrat keine Differenzen zum Erstrat. Er folgte dem Ständerat betreffend Aufstockung beim Bundesamt für Polizei zum Schutz der Jüdinnen und Juden in der Schweiz (+CHF 2.5 Mio.). Dieser Minderheitsantrag wurde deutlich mit 132 zu 60 Stimmen (1 Enthaltung) angenommen; einzig die SVP-Fraktion sprach sich dagegen aus. Mit 98 zu 95 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) folgte die grosse Kammer einer Minderheit Wyss (sp, BS) und somit dem Ständerat bei der Erhöhung des Budgets des regionalen Personenverkehrs (+CHF 55 Mio.). Die Kommissionsmehrheit und mit ihr die SVP-, die Mehrheit der FDP- sowie Teile der Mitte-Fraktion wollten dem Bundesrat zustimmen, der aufgrund mehrmaliger Erhöhungen in der Vergangenheit keine weitere Erhöhung im regionalen Personenverkehr vorgesehen hatte. Abgelehnt wurden ferner Kürzungsanträge bei der Einlage in den Bahninfrastrukturfonds, beim Kapitalzuschuss an die SBB (Minderheiten Nicolet und Strupler) und im Armeebereich (Minderheiten Andrey (gp, FR), Wyss und Trede (gp, BE)) sowie ein Antrag auf Erhöhung des Armeebudgets im Finanzplan (Minderheit Tuena (svp, ZH)).
Eine Differenz zum Erstrat entstand im vierten Block zu den Beziehungen zum Ausland und zur Migration. So setzte sich ein Einzelantrag Zuberbühler (svp, AR), der eine Streichung des Unterstützungsbeitrages an das Hilfswerk UNRWA in der Höhe von CHF 20 Mio. forderte, mit 116 zu 78 Stimmen durch. Für den Antrag stimmten die SVP- sowie Mehrheiten der FDP- und der Mitte-Fraktion. Ferner verhinderte der Nationalrat eine potenzielle weitere Differenz zum Erstrat, indem er einem Minderheitsantrag Ritter folgte, der den Kredit für die Darlehen und Beteiligungen für Entwicklungsländer im Vergleich zum Bundesrat um CHF 10 Mio. kürzen wollte, was zuvor bereits der Ständerat getan hatte. Ansonsten lagen in diesem Block verschiedene Minderheitenanträge von linker und rechter Ratsseite für Budgetaufstockungen beziehungsweise -kürzungen vor, die jedoch allesamt erfolglos blieben – darunter etwa eine Aufstockung des Budgets des EDA für humanitäre Aktionen zugunsten des Engagements in Subsahara-Afrika und der Mena-Region (Minderheit Friedl; sp, SG) und eine Aufstockung der Entwicklungszusammenarbeit zugunsten der Ukraine (Minderheit Wettstein) sowie auf der anderen Seite eine Reduktion der Beiträge an multilaterale Organisationen, an die Entwicklungszusammenarbeit der Länder des Ostens und des Schweizer Beitrags an EU-Mitgliedstaaten (Minderheiten Guggisberg).
Im fünften Block zu Bildung, Forschung, Kultur, Familie und Gleichstellung folgte der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit und somit dem Ständerat, indem er auf die Streichung der Finanzierung der Präventionskampagne gegen Gewalt im Umfang von CHF 1.5 Mio. verzichtete. Diese Kampagne wird vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann durchgeführt, wie von mehreren überwiesenen Motionen von Parlamentarierinnen unterschiedlicher Fraktionen gefordert worden war. Mit 100 zu 88 Stimmen (4 Enthaltungen) setzte sich die Kommissionsmehrheit gegen einen Minderheitsantrag Götte (svp, SG) durch, der eine Zustimmung zum Entwurf des Bundesrates und somit die Streichung der CHF 1.5 Mio. forderte. Die ablehnenden Stimmen kamen vorwiegend aus den Reihen der SVP- und der FDP-Fraktion. Auch in den Bereichen des Bundesamts für Kultur und des WBF schuf der Nationalrat keine Differenzen zum Ständerat: Er lehnte sämtliche Minderheitsanträge, die den Verzicht auf vorgesehene Kürzungen respektive den Ausbau der Mittel forderten, ab – darunter einen Antrag der Minderheit Schneider Schüttel (sp, FR) zur Rücknahme der Kürzung von 2 Prozent bei der Leseförderung, einen Minderheitsantrag Fehlmann Rielle zum Verzicht auf die Kürzungen bei den ETH-Beiträgen sowie einen Einzelantrag Aebischer (sp, BE) zur Erhöhung des Beitrags für die Literaturförderung. Beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) folgte der Nationalrat ebenfalls dem Erstrat und wies drei Minderheitsanträge Guggisberg ab, die eine Halbierung der Stipendien für ausländische Studierende, eine Umverteilung der Beiträge von den Sozial- und Geisteswissenschaften hin zur Berufsbildung sowie eine Stabilisierung der Beiträge zur «Internationalen Mobilität Bildung» zum Ziel hatten.
Mit den mahnenden Worten der Kommissionssprechenden, dass nach den Beratungen zu den Blöcken eins bis und mit fünf nun ein strukturelles Defizit von CHF 17.5 Mio. bestünde, machte sich der Nationalrat an die Beratung des sechsten Blocks zu Umwelt und Energie. Hier schuf er nur eine Differenz zum Erstrat: Beim Bundesamt für Umwelt nahm er den Minderheitsantrag Wettstein mit 102 zu 92 Stimmen an, der eine Erhöhung des Betrags zugunsten der Naturpärke der Schweiz um CHF 540'000 gegenüber dem bundesrätlichen Entwurf und dem Ständerat forderte. Dies sei erforderlich, damit die Naturpärke sowie die beiden Biosphärenregionen in der Schweiz Planungssicherheit hätten. Abgelehnt wurde der Antrag von der FDP- und der SVP-Fraktion. Erfolglos blieben hingegen Anträge für einen Verzicht auf die Erhöhung bei der Pflanzen- und Tierzucht (Minderheit Schillinger), für eine Erhöhung des Budgets der Prüfstelle für Pflanzenschutzmittel (Minderheiten Wettstein) sowie für eine Plafonierung der Beiträge an Energie Schweiz (Minderheit Nicolet).
Nach der Beratung der sechs Blöcke lag ein strukturelles Defizit von CHF 18 Mio. vor, weshalb ein Ordnungsantrag Bregy (mitte, VS) forderte, auf den Budgetposten zum regionalen Personenverkehr zurückzukommen, da dieser Posten von beiden Räten im Vergleich zum bundesrätlichen Entwurf stark erhöht worden war (+CHF 55 Mio.). Nach Annahme des Ordnungsantrages beantragte Philipp Matthias Bregy, CHF 18 Mio. weniger in den Bahninfrastrukturfonds einzuspeisen, womit die Schuldenbremse eingehalten werden könnte. Dies sei zwar keine schöne, jedoch die einzige Lösung, da zu diesem Zeitpunkt der Beratungen die Möglichkeit einer Kreditsperre, wie sie der Ständerat eingesetzt hatte, nicht möglich sei, so Bregy. Zudem sei eine solche Kürzung in Anbetracht des Gesamtvolumens des Fonds von CHF 5.9 Mrd. vertretbar. Trotz kritischer Voten insbesondere von linker Seite, wonach die Behebung des Defizits in der Kommission und nicht hier angegangen werden sollte, stimmte der Nationalrat der beantragten Kürzung der Einlage in den Bahninfrastrukturfonds mit 129 zu 62 (1 Enthaltung) zu. Mit 79 zu 75 Stimmen (bei 40 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den Voranschlag 2024 in der Folge knapp an. Abgelehnt wurde er von der geschlossen stimmenden SP-Fraktion, von der beinahe geschlossen stimmenden Grünen-Fraktion sowie von der Hälfte der SVP-Fraktion; die Enthaltungen stammten von einem Mitglied der Grünen und mehrheitlich von Mitgliedern der SVP. Den Bundesbeschluss Ib über die Planungsgrössen im Voranschlag für das Jahr 2024, den Bundesbeschluss III über die Entnahmen aus dem Bahninfrastrukturfonds für das Jahr 2024 und den Bundesbeschluss IV über die Entnahmen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2024 hiess der Nationalrat jeweils deutlich gut.
Dossier: Bundeshaushalt 2024: Voranschlag und Staatsrechnung