Berufs- statt Milizparlament (Pa. Iv. 10.434)

Eine letztlich abgelehnte parlamentarische Initiative Widmer (sp, LU) führte zu einer eigentlichen Nabelschau im Nationalrat. Die Initiative hätte zum Ziel gehabt, dass für das Schweizer Milizparlament Strukturen geschaffen würden, mit denen ein Berufsparlament möglich würde. Der Initiant vertreten durch Tschümperlin (sp, SZ) brachte vor, dass es in beiden Kammern kaum mehr Milizpolitiker gebe und dass sich das Parlament schleichend zu einem Berufsparlament wandle. Der Umstand, dass aufgrund der zeitlichen Belastung ein politisches Mandat nicht mit allen Berufstätigkeiten vereinbar sei, sei stossend. Ein Berufsparlament würde der Entwicklung entgegen wirken, dass praktisch nur noch Führungskräfte und selbständig Erwerbende im Milizparlament Einsitz nehmen könnten. Die Kommissionsmehrheit sah die Vorteile eines Milizparlamentes jedoch als erwiesen an: Miliz lasse auch einen freiwilligen Rücktritt oder eine unfreiwillige Abwahl problemlos zu. Im Gegensatz zu Berufsparlamenten könne man so die Zeit auf Politik und nicht auf die eigene Wiederwahl verwenden. Die Mehrheit der grossen Kammer folgte dieser Argumentation und gab der Initiative mit 38 zu 124 Stimmen keine Folge.

Neuer Sitzungsrhythmus im Parlament (Pa.Iv. 11.453)

Dossier: Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf

Eine parlamentarische Initiative Galladé (sp, ZH) verlangte einen neuen Sessionsrhythmus, der die Vereinbarkeit des Parlamentsmandates mit Beruf, Familie und Aus- bzw. Weiterbildung verbessere. Die Miliztauglichkeit werde aufgrund unregelmässiger und wenig berechenbarer Sitzungszeiten strapaziert. Es seien Modelle auszuarbeiten, die auf einem regelmässigeren Rhythmus aufbauten – die Initiantin schlug als Beispiel wöchentliche Plenums- und Kommissionssitzungen jeweils von Montag bis Mittwoch vor. Die Mehrheit der staatspolitischen Kommission empfahl dem Nationalrat, der Initiative keine Folge zu geben, da es nicht möglich sei, ein Modell zu finden, das den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen der Parlamentarierinnen und Parlamentarier gerecht würde. Eine Kommissionsminderheit wies allerdings darauf hin, dass das heutige System vielen Personen ein Parlamentsmandat verunmögliche, da dieses nicht mit der privaten oder beruflichen Situation vereinbar sei. Die Initiative könnte deshalb auch zu einer verbesserten Repräsentativität des Parlaments führen. Dieses Argument verfing im Rat allerdings nur bei links-grün: die geschlossenen GP, GLP und SP-Fraktionen standen mit ihren 69 Stimmen gegen die 89 bürgerlichen Stimmen auf verlorenem Posten.

Grenzen des Milizsystems

Der im Berichtsjahr angekündigte Rücktritt von Peter Spuhler (svp, TG) und der längere gesundheitsbedingte Ausfall von Natalie Rickli (svp, ZH) lösten eine Debatte über die Grenzen des Milizsystems aus. Spuhler kündigte an, aufgrund seiner hauptberuflichen Belastung keine Zeit mehr für die nationale Politik zu haben und Rickli musste sich aufgrund eines Burnouts behandeln lassen. Auf der einen Seite wurde moniert, dass aufgrund des hohen Zeitaufwands und der hohen Entschädigung für nationale Mandate das Milizsystem sowieso ein Mythos sei. Auf der anderen Seite wurde argumentiert, dass das halbprofessionelle Parlament zur Schweiz gehöre und wesentlich effizienter sei als ein Berufsparlament. Darüber hinaus seien Milizparlamentarier unabhängiger von Partei- und Verbandsinteressen.

Erhöhung des Sessionsrhythmus (Pa.Iv. 13.410)

Dossier: Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf

Die Idee eines neuen Sessionsrhythmus war wie bereits im Vorjahr ein Thema. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates empfahl jedoch eine im Berichtjahr eingereichte parlamentarische Initiative Feri (sp, AG) zur Ablehnung. Durch häufigere, dafür aber kürzere Sessionen versprach sich Feri eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik. Sie nahm damit die bereits im Vorjahr aufgrund verschiedener gesundheitlicher Probleme und Rücktritte einiger Parlamentarier angefachte Diskussion um die Machbarkeit des Milizsystems wieder auf.

Der Nationalrat folgte mit 105 zu 63 Stimmen seiner SPK und gab der parlamentarischen Initiative Feri (sp, AG) keine Folge, die eine Erhöhung des Sessionsrhythmus gefordert hätte, z.B. alle zwei Monate Session während zwei Wochen. Dies würde nicht nur der veränderten Zusammensetzung des Parlaments, in dem immer mehr auch Erziehende sitzen, sondern auch den beruflichen Verpflichtungen neben dem Parlamentsmandat besser Rechnung tragen – so die Begründung für den Vorstoss. Die SPK wollte dieser Argumentation nicht folgen. Das jetzige System mit vier dreiwöchigen Sitzungen hätte sich über Jahrhunderte bewährt. Es gäbe sehr unterschiedliche berufliche und familiäre Situationen, denen man so oder so nicht allen gerecht werden könne. Das Begehren erhielt zwar ausser aus der SVP- und der BDP-Fraktion aus allen Fraktionen einige Sympathiestimmen, nur die SP-Fraktion sprach sich aber geschlossen dafür aus.

Miliz- vs. Berufsparlament - eine Frage der Entschädigung?

Die Diskussion um ein Miliz- vs. Berufsparlament wurde im Berichtsjahr angeheizt durch Berechnungen der durchschnittlichen Entschädigung der Parlamentarier einerseits und durch die Resultate einer bereits 2010 erschienenen Studie zum Professionalisierungsgrad der Politikerinnen und Politiker im Bundeshaus andererseits. Im Schnitt erhält ein Mitglied der grossen Kammer CHF 138‘108. In der kleinen Kammer beläuft sich die Entschädigung auf durchschnittlich CHF 155‘571. Dies entspricht einem mittleren Kaderlohn und im Prinzip ist ein Parlamentarier nicht auf weitere Einkünfte angewiesen, die er etwa aufgrund seines Berufes, dem er als Milizpolitiker nachgeht, zusätzlich erhält. Die erwähnte Studie hatte bei den Parlamentariern den Arbeitsaufwand erfragt, den sie für ihr politisches Mandat erbringen. Wer mehr als zwei Drittel seiner Arbeitszeit für die Arbeit im National- oder Ständerat opfert, gilt dabei als Vollzeit- oder Berufspolitiker. Die Studie weist für das Jahr 2007 einen Anteil von 28,4% aller Nationalräte aus, die dieser Kategorie zugeordnet werden können. Im Ständerat beträgt der Anteil gar 57,6%. Die Studie spricht in der Folge von Scheinmiliz: die Arbeitspensen entsprechen zwar mehrheitlich einem Berufsparlament, die Strukturen sind aber nach wie vor auf ein Milizparlament ausgerichtet. Ein 2012 erschienener Beitrag der Universität Lausanne zeigt auf, dass die Professionalisierung im Schweizer Parlament in den letzten 100 Jahren zugenommen hat, dass das Milizsystem aber in den Köpfen nach wie vor sehr stark verankert ist. Noch einmal angeheizt wurde die Diskussion im Mai nach dem Rücktritt von Christoph Blocher (svp, ZH). Der ehemalige Bundesrat äusserte sich nicht nur abfällig über den Parlamentsbetrieb, sondern forderte auch eine drastische Kürzung der Entschädigungen, um den Milizcharakter des Parlaments wieder zu stärken. Die auf diese Forderung folgende Kritik von links machte darauf aufmerksam, dass es zutiefst undemokratisch sei, wenn nur noch Reiche ein Parlamentsmandat annehmen könnten, weil nur diese sich dies leisten könnten. Die SVP hielt die Idee allerdings bis zum Jahresende am Köcheln.

Probleme des Milizsystems in den Gemeinden (Mo. 14.3904)

Ein Problem vor allem der kleinen und mittleren Gemeinden ist die Rekrutierung von politischem Personal. Kaum jemand will sich noch für ein kommunales Milizamt engagieren. Es müssen externe Geschäftsführer angestellt, Bürgerinnen und Bürger mittels Wahlzwang zu Ämtern überredet oder die Verwaltung gar dem Kanton anvertraut werden. Mitte Oktober regte der Schweizerische Gemeindeverband deshalb mit einem Vorschlag für bessere Anreizstrukturen eine Diskussion an. Entschädigungen für Milizämter sollen von der Steuer befreit werden. Ähnlich wie bei der Feuerwehr soll der Sold für ehrenamtlich tätige kommunale Milizpolitikerinnen und Milizpolitiker steuerfrei werden. Die Idee wurde auch von Jean-Pierre Grin (svp, VD) im Parlament als Postulat (14.3831) deponiert. Der Vorschlag steht allerdings in Anbetracht der Forderungen, die Spesen von nationalen Parlamentariern zu besteuern, etwas quer in der Landschaft. Ebenfalls auf die Stärkung des kommunalen Milizsystems zielt eine noch nicht behandelte Motion Bulliard-Marbach (cvp, FR). Sie fordert den Bundesrat auf, ein öffentlich zugängliches Bildungsangebot für kommunale Behördenmitglieder zu schaffen, mit dem Steuerung und Führung auf lokaler Ebene geschult werden können. Ideen für das Überleben des Milizgedankens auf kommunaler Ebene stossen in der Regel zumindest in der interessierten Öffentlichkeit auf Anklang. Tatsächlich klagen fast zwei Drittel aller Schweizer Gemeinden über Schwierigkeiten, genügend Personal für Milizämter zu finden. Als Gründe für das schwächer werdende bürgergesellschaftliche Engagement wurden neben der zunehmend knappen Zeit neben Beruf und Familie und der sinkenden Wertschätzung gegenüber politischen Amtsträgerinnen und Amtsträgern auch die Effizienzdiskussionen im Rahmen von New Public Management der 1990er Jahre genannt. Dort habe eine Entpolitisierung der Gemeindebelange stattgefunden, was zu einem fatalen Bedeutungsverlust lokaler Politik, einer Abnahme der Betätigung politischer Parteien als wichtige Rekrutierungsnetzwerke und einem sinkenden Willen geführt habe, sich für kommunale Belange zu engagieren. Es gab zudem Stimmen, die vor dem Trend warnten, der Gemeindeverwaltung mehr Aufgaben zu übertragen und den Gemeindepolitikern nur noch operative Tätigkeiten zu überlassen. Dies würde der Entpolitisierung und der Entdemokratisierung lokaler Politik weiter Vorschub leisten.

Die beiden 2014 eingereichten Vorstösse zur Schaffung von Anreizen für die Besetzung kommunaler Ämter – die Motion von Christine Bulliard-Marbach (cvp, FR) und das Postulat von Jean-Pierre Grin (svp, VD; 14.3831) – wurden vom Bundesrat beide zur Ablehnung empfohlen. Die Regierung anerkennt zwar, dass das Milizprinzip eine tragende Säule des politischen Systems der Schweiz sei. Auch sei sie sich der Probleme bewusst, die viele Gemeinden bei der Besetzung von Gemeindeämtern mit geeigneten Personen hätten. Allerdings ist der Bundesrat auch der Ansicht, dass es die Aufgabe der Kantone und Gemeinden sei, diesen Problemen zu begegnen. Er verwies dabei auch auf die geplanten Massnahmen des Gemeindeverbandes, der Weiterbildungsangebote sowie eine Plattform für Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer anbieten möchte. Verschiedene Untersuchungen machten Anfang 2015 weiter auf die Probleme des Milizsystems aufmerksam. In der Presse wurde der Umstand diskutiert, dass zwar immer mehr Kandidierende zu den nationalen Wahlen anträten, es in den Gemeinden aber kaum mehr Wettbewerb gebe, weil sich nicht genügend Personen zur Wahl stellten. Dies habe sicherlich auch damit zu tun, dass die "classe politique" häufig Verunglimpfungen ausgesetzt sei. Verschiedene Beiträge in einem vom Zentrum für Demokratie Aarau herausgegebenen Sammelband empfehlen Gebietsreformen, um den Problemen des Milizprinzips Herr zu werden. Fusionen würden zwar mit einer Abnahme der Beteiligung einhergehen - so zeigt eine Analyse der Gebietsreformen im Kanton Tessin - die Bevölkerung habe aber wieder eine Auswahl an Kandidierenden. Gemeindepolitik dürfe nicht einfach zu professioneller Dienstleistung verkommen, sie eine weitere Analyse. Das sei eine Fehlannahme der New-Public-Management-Idee der 1990er Jahre gewesen, die zu einer De-Politisierung geführt habe. Man müsse deshalb eine Revitalisierung durch mehr intensive und öffentlich ausgetragene Kontroversen anstreben.

Dans une motion déposée en 2014, la députée Bulliard-Marbach (pdc, FR) souhaite renforcer le système de milice au niveau communal. Pour cela, elle demande au Conseil fédéral de soutenir l'offre mise à disposition des miliciens en terme de formations et d'informations. Elle fait remarquer que, depuis le dépôt de la motion, l'Association des Communes Suisses a collaboré avec Economiesuisse – l'organisation se montrant intéressée par ces questions – en organisant, entre autres, en 2016, une conférence sur la thématique des jeunes dans la fonction exécutive communale, ainsi qu'une page web commune à but informatif. Christine Bulliard-Marbach souligne toutefois qu'un soutien de la part de la Confédération est nécessaire afin d'assurer et de solidifier le principe de milice.
Simonetta Sommaruga, au nom du Conseil fédéral, admet qu'il est difficile de trouver des personnes motivées pour exercer les fonctions communales, alors même qu'il s'agit – selon celle qui a été à l'exécutif de la commune de Köniz – de la plus belle fonction politique qu'offre le pays. Malgré tout, elle estime que la tâche consistant à mettre en place des stratégies permettant d'assurer le maintien du système de milice dans les fonctions communales est dévolue aux communes. La conseillère fédérale tient également à préciser que le Conseil fédéral se réjouit de la collaboration entre l'Association des Communes Suisses et Economiesuisse – une collaboration qui est justement un signe que les communes peuvent trouver des solutions par elles-mêmes.
La chambre basse, suivant l'avis du Conseil fédéral, rejette donc cette motion par 115 voix contre 67 et 12 abstentions, les voix pour provenant essentiellement des rangs du Parti démocrate chrétien et du Parti socialiste.

Lösungen zur Krise des kommunalen Milizsystems

In einer im Januar 2015 veröffentlichten Untersuchung trug die liberale Denkfabrik "Avenir Suisse" die Probleme des Milizsystems zusammen und machte Vorschläge zur Überwindung der Krise, in welcher die Idee des ehrenamtlichen politischen Engagements als bedeutendes Element des politischen Systems der Schweiz stecke. Die Idee, dass politische Ämter nebenberuflich ausgeübt werden, verkomme zu einer Fiktion. Vielmehr nehme die Anzahl Berufspolitiker und Berufspolitikerinnen nicht nur im nationalen Parlament laufend zu. War früher ein politisches Amt wichtiges Sprungbrett für eine wirtschaftliche Karriere, werde es heute eher als Zeitvergeudung betrachtet. Eine Mehrheit der Gemeinden bekundete schliesslich grosse Mühe, ihre politischen Ämter zu besetzen. Als mögliche Lösung dieser Probleme schlug Avenir Suisse einen obligatorischen Bürgerdienst vor: Alle Bürgerinnen und Bürger zwischen 20 und 70 Jahren müssten 200 Diensttage zu Gunsten der Allgemeinheit leisten. Dazu zählten militärische Dienstleistungen, Einsätze in der Feuerwehr und im Sozialwesen, aber eben auch die nebenamtliche politische Betätigung. Mit dem Pflichtdienst könnten die Vorteile des Milizsystems erhalten werden – insbesondere die Verhinderung einer Zweiteilung in abgehobene politische Elite und passive Bevölkerung, von Avenir Suisse als "Zuschauerdemokratie" bezeichnet. Die Milizidee sei nach wie vor positiv besetzt, aber individuelles Engagement lasse sich ohne Zwang nicht mehr fördern.
Andere Schlüsse zog eine Untersuchung der Gemeindeexekutiven im Kanton Aargau durch das Zentrum für Demokratie in Aarau. Zwar zeigten sich auch im Kanton Aargau Schwierigkeiten hinsichtlich der Rekrutierung von Exekutivmitgliedern, allerdings treffe dies für grössere Gemeinden in geringerem Umfang zu. Im Gegenteil zu Avenir Suisse empfiehlt die Aarauer Studie, die Idee der unbezahlten Ehrenamtlichkeit aufzugeben, die Exekutivämter stärker zu professionalisieren und sie auf strategische Aufgaben zu konzentrieren. Operative Aufgaben sollten hingegen einem Geschäftsführer überlassen werden. Unbezahlte Fronarbeit, die zudem auf Kosten einer beruflichen Karriere gehe, befriedige niemanden. Im Gegenteil führe das Festhalten am unbezahlten Milizprinzip eher zu Misstrauen gegenüber Milizpolitikerinnen und Milizpolitikern, wenn diese mehr Entlohnung forderten oder wenn sich nur noch zu einem Amt überredete Rentner zur Verfügung stellten. Empfohlen wird von den Aarauer Forschenden auch, dass Milizämter in Kombination mit Weiterbildungsmöglichkeiten stärker als berufliche Qualifikation und persönliche Entwicklung genutzt werden können. Unabdingbar – so weitere kritische Stimmen zum Beitrag von Avenir Suisse – sei auch ein Ende der Verunglimpfung von Politikerinnen und Politikern als "classe politique".
Mitte Juni trugen auch der Arbeitgeberverband und Economiesuisse mit einem Appell zugunsten des Milizprinzips zur Diskussion bei. Der Rückzug der Wirtschaft aus der Politik sei keine gute Entwicklung – so der Präsident von Economiesuisse, Heinz Karrer. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Milizprinzips als mögliche Brücke zwischen Politik und Wirtschaft müsse wieder geschärft werden. Der Appell wurde von rund 200 Unternehmen unterstützt, die ihre Kader und Mitarbeitenden ermuntern wollen, sich vermehrt politisch zu engagieren. Flexible Arbeitszeitmodelle, zusätzliche Ferientage oder administrativer Support seien Hilfsmittel, die dazu eingesetzt werden könnten.
Ein Postulat von Jean-Pierre Grin (svp, VD), das die Möglichkeit von steuerlichen Erleichterungen für Arbeit im öffentlichen Dienst prüfen will – Grin hebt explizit die Arbeit in kommunalen Exekutiven hervor –, wurde im Nationalrat noch nicht diskutiert. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats.

Stärkung des Milizgedanken (Pa. Iv. 14.473)

Dossier: Entschädigung von Parlamentsmitgliedern

Die von Christoph Blocher (svp, ZH) bei seinem Rücktritt aus dem Nationalrat geforderte drastische Kürzung bei den Kosten des Parlaments und der Entlohnung von Parlamentsmitgliedern fand noch Ende 2014 Niederschlag in zwei von der SVP eingereichten parlamentarischen Initiativen. So forderte Toni Brunner (svp, SG) unter dem pathetischen Titel "Milizdienst am Vaterland" (Pa. Iv. 14.473) eine Stärkung des Milizgedankens und verglich das Engagement eines Parlamentsmitglieds mit jenem eines Militärdienstleistenden. Wie Letzterer sollen Parlamentarierinnen und Parlamentarier keinen Lohn oder Spesen vom Staat erhalten, sondern einen Erwerbsersatz über den Arbeitgeber. Damit werde der zunehmenden Entkoppelung von Politik und Zivilgesellschaft und der Entwicklung hin zu einem Berufsparlament Einhalt geboten. Mit 16 zu 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen empfahl die Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-NR) der Initiative nicht Folge zu geben, weil damit die Qualität des Ratsbetriebes entscheidend geschwächt würde. Die Halbierung der momentanen Parlamentarierentschädigung, zu der der Vorstoss führen würde, sei keine angemessene Entlohnung für den hohen Zeitaufwand der anspruchsvollen Parlamentstätigkeit. Zudem würde die vorgeschlagene Regelung dazu führen, dass für die gleiche Arbeit im Parlament unterschiedliche Löhne bezahlt würden, je nachdem, welcher Arbeit man nachgehen würde. Dies würde aber einen Teil der Bevölkerung von vornherein von einem Mandat ausschliessen. In der Wintersession folgte eine deutliche Mehrheit des Nationalrates mit 120 zu 66 Stimmen diesen Argumenten und versenkte den Vorschlag. Das gleiche Schicksal ereilte auch den zweiten Vorstoss, allerdings aus anderen Gründen: Die ebenfalls Ende 2014 von Pierre Rusconi (svp, TI) eingereichte parlamentarische Initiative, mit welcher die Schlussabstimmungen, zwecks Kostenersparnissen in der Höhe von rund CHF 160'000 pro Session, von Freitag auf Donnerstagnachmittag hätten verschoben werden sollen (Pa. Iv. 14.469), wurde abgeschrieben, weil Rusconi bei den Nationalratswahlen im Herbst 2015 nicht wiedergewählt worden und aus dem Rat ausgeschieden war.

Diskussionen um das Milizsystem

Die Diskussionen um das Milizsystem hielten auch 2015 an. Laut einer Studie von Avenir Suisse hat in den letzten Jahren das zivilbürgerliche Engagement stark abgenommen und zwar nicht nur in Vereinen, sondern auch in der Politik. Da diese immer komplexer und anspruchsvoller werde, finde man auf nationaler Ebene praktisch keine Milizpolitikerinnen und -politiker mehr; auf kantonaler Ebene nehme die Professionalisierung ebenfalls zu: Mehr als die Hälfte der kantonalen Politikerinnen und Politiker würden mehr als 10 Stunden pro Woche für die politische Arbeit aufwenden. Am meisten mit dem abnehmenden Engagement zu kämpfen habe die kommunale Ebene, wo vor allem in den Kleinstgemeinden kaum noch politischer Wettbewerb herrsche. Der Think-Tank schlug als Gegenmassnahme einen obligatorischen, allgemeinen Bürgerdienst vor – laut der Zeitung Le Temps scheine allerdings sogar Avenir Suisse «peu convaincu» vom eigenen Vorschlag zu sein: Auf Rückfrage der Zeitung habe nämlich sogar der Direktor von Avenir Suisse, Gerhard Schwarz, zugegeben, dass das Hauptproblem, nämlich die Erosion von Werten wie Bürgersinn oder Solidarität, auch mit einem Bürgerdienst wohl kaum zu lösen sei.
Weiter angeheizt wurde die Diskussion um den «Mythos» Milizparlament bzw. die Frage, ob sich politische Arbeit überhaupt noch in Teilzeitpensen bewältigen lasse (Tages-Anzeiger), durch den Rücktritt von Alec von Graffenried (gp, BE) aus dem Nationalrat. Als Grund für die Niederlegung seines Mandats gab der Berner Politiker an, das politische Amt, seinen Beruf, seine Verbandstätigkeit und Zeit mit seiner Familie nicht mehr unter einen Hut zu bringen.
Im Juli versuchte schliesslich auch Economiesuisse eine Lanze für das Milizparlament zu brechen. Es gebe leider immer weniger Unternehmer in Bundesbern, die aber als solche wichtige ökonomische Inputs liefern könnten. Der Verband appellierte deshalb an Unternehmen, das mittlere und obere Kader bei der politischen Arbeit zu unterstützen. Das Milizsystem als Pfeiler des Erfolgs der Schweiz könne so wieder gestärkt werden, gab etwa Heinz Karrer der Tribune de Genève zu Protokoll.

Réduire l'imposition du revenu provenant du travail de milice au sein des exécutifs communaux (po. 14.3831)

Le conseiller national vaudois Jean-Pierre Grin (udc, VD) demande au Conseil fédéral, par l'intermédiaire d'un postulat, d'étudier la possibilité de réduire l'imposition du revenu provenant du travail de milice au sein des exécutifs communaux. Le député UDC veut ainsi mettre en place un système encourageant les personnes à s'engager dans cette fonction communale. Il rappelle qu'un tel système a été mis en place pour les sapeurs-pompiers, différenciant donc l'activité principale de l'activité publique en ce qui concerne la fiscalisation des revenus.
Tout en reconnaissant qu'il est aujourd'hui de plus en plus difficile de trouver des personnes voulant s'engager dans l'exécutif communal, le conseiller fédéral Ueli Maurer a tenu à rappeler que les indemnisations au niveau communal sont, en règle générale, très faibles et qu'une réduction de l'imposition n'aurait donc pas beaucoup d'effet. Il ajoute qu'il serait difficile de décider par la suite d'une ligne déterminant quel service rendu à la collectivité pourrait profiter d'un allégement fiscal ou non, laissant la porte ouverte à d'autres demandes. Comme proposé par le Conseil fédéral, le conseil National rejette par une très large majorité le postulat Grin, par 168 contre 14 et 4 absentions.

Rettung des Milizparlaments (Pa. Iv. 15.491)

Nichts weniger als die Rettung des Milizsystems forderte Hans Grunder (bdp, BE) mittels zweier parlamentarischer Initiativen. Das Milizsystem gerate unter Druck und das Parlament verkomme schleichend zu einem Berufsparlament – so der Initiant. Dabei sichere nur ein Milizparlament Praxis- und Bürgernähe und werde den Gegebenheiten von Gesellschaft und Wirtschaft in einmaliger Weise gerecht. Damit der Entwicklung, die immer mehr Berufspolitiker hervorbringe, Einhalt geboten werden könne, schlug der Berner BDP-Nationalrat einerseits eine Amtszeitbeschränkung vor (Pa.Iv. 15.492). Wenn man wisse, dass die Zeit im Parlament begrenzt ist, müsse man sich vor, während und nach dem nationalen Mandat beruflich orientieren, was wiederum gewährleiste, dass Berufsleute Parlamentarierinnen und Parlamentarier würden. Als Obergrenze wurden 12 Jahre vorgeschlagen. Der von Grunder selber als „Zwillingsinitiative" bezeichnete zweite Vorstoss verlangte andererseits eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf sechs Jahre (Pa.Iv. 15.491). Damit würde die Politik versachlicht und miliztauglicher gemacht, weil die Parlamentsmitglieder nicht permanent teuren und aufwändigen Wahlkampf betreiben müssten. Zugleich würde dadurch die Bereitschaft steigen, neben einem Beruf auch ein Parlamentsmandat ausüben zu wollen.
Die SPK-NR lehnte Ende 2016 beide Anliegen ab. Mit 16 zu 4 Stimmen und dem Argument, dass eine mehrmalige Wiederwahl und somit die Länge der Amtszeit eines Parlamentsmitglieds den Wählerinnen und Wählern und den Parteien – z.B. mit parteiinternen Amtszeitbeschränkungen – selber zu überlassen sei, wurde für den Vorschlag für eine Amtszeitbeschränkung kein Folge geben empfohlen. Zudem zeigten international vergleichende Studien, dass die Mandatszeit in der Schweiz im Schnitt eher kurz sei. Der zweite Vorschlag erhielt mit 8 gegen 14 Stimmen zwar mehr Unterstützung in der Kommission, aber auch für ihn wurde beantragt, keine Folge zu geben. Hier wurde mit der „demokratiepolitischen Wirkung" argumentiert. Wahlen seien für Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, korrigierend in die politische Zusammensetzung einzugreifen. Sei die Legislaturperiode zu lang, würden Meinungsumschwünge in der Bevölkerung nur mit Verspätung im Parlament neu repräsentiert. Zudem sei eine Verlängerung kaum geeignet, um die Arbeitsbelastung zu senken. Es sei in einer Demokratie von Nöten, dass sich Mandatsträgerinnen und Mandatsträger über verschiedene Medienkanäle ihren Wählerinnen und Wählern präsentierten und die eigenen Entscheide erklärten. Permanenter Wahlkampf würde sich also auch bei sechsjähriger Amtsperiode ergeben.

Die von Hans Grunder (bdp, BE) selber als „Zwillingsinitiativen" bezeichneten parlamentarischen Initiativen wurden in der Sommersession im Nationalrat gemeinsam behandelt. Mit einer Amtszeitbeschränkung (Pa.Iv. 15.492) und einer Verlängerung der Amtsperiode (Pa.Iv. 15.491) wollte der Berner BDP-Abgeordnete zur Rettung des Milizsystems beitragen. Wenn Parlamentarierinnen und Parlamentarier wüssten, dass sie nur für eine bestimmte Zeit im Amt seien, würden sie den Bezug zu ihrem Beruf, den sie nach dem Mandat wieder ausführen müssten, nicht verlieren. Die Verlängerung des Mandats würde zudem dem permanenten Wahlkampf Einhalt gebieten.
In der Ratsdebatte wurde dem Anliegen durchaus Sympathie entgegengebracht. In der Tat sei eine Entwicklung hin zu einem Berufsparlament zu beobachten und es sei immer schwieriger, Amt, Beruf und Wahlkampf unter einen Hut zu bringen. Mit den Forderungen könne aber das Milizsystem nicht gestärkt werden. Sie würden vielmehr die Rechte von Wählerinnen und Wählern beschneiden: Mit Amtszeitbeschränkung würde die Auswahl verkleinert und die Amtszeitverlängerung würde dazu führen, dass gesellschaftliche Meinungsumschwünge nicht mehr so rasch via Wahlen im Parlament abgebildet werden könnten. Die Schwächung des Milizsystems und der permanente Wahlkampf sei vielmehr hausgemacht – so etwa Kommissionssprecher Jauslin (fdp, AG). Die Arbeitsbelastung steige vor allem auch deshalb, weil immer mehr Vorstösse eingereicht würden. Zudem könne man die wachsende Medienarbeit auch selber beeinflussen, wenn man nicht zu jedem Thema vor die Kamera trete.
Mit 59 zu 128 Stimmen (keine Enthaltung) wurde der Idee zur Verlängerung der Amtsperiode etwas mehr Sympathie zuteil als der Forderung für eine Amtszeitbeschränkung, der mit 31 zu 144 Stimmen (bei 12 Enthaltungen) ebenfalls keine Folge gegeben wurde. Die Unterstützung kam beide Male von der SP und der BDP. Eine Verlängerung der Amtsperiode begrüssten zusätzlich auch die Grünen.

Vereinbarkeit von Familie und Parlament (Po. 17.3210)

Dossier: Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf
Dossier: Frauenanteil im Parlament

Mittels Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Parlament wollte Cédric Wermuth (sp, AG) das Milizsystem stärken. Vor allem für jüngere Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit Kindern im vorschul- oder schulpflichtigen Alter sei es schwierig, Familien- und Parlamentsarbeit unter einen Hut zu bringen. Die Kinderbetreuung bleibe vor allem während den Sessionen in den meisten Fällen dem familiären Umfeld, der Partnerin oder dem Partner vorbehalten. Das sei nicht nur stossend, sondern mit ein Grund, weshalb so wenig Frauen im Parlament vertreten seien. Die ungleichen Chancen würden das Milizsystem diskreditieren und im schlimmsten Fall sogar dazu führen, dass auf politisches Engagement verzichtet wird.
Das Büro-NR, das bei Annahme des Postulats Verbesserungsmöglichkeiten hätte vorschlagen sollen, verwies in seiner ausführlichen Stellungnahme auf zahlreiche Vorstösse, mit denen bereits früher eine Anpassung des Sitzungsrhythmus oder der Sitzungszeiten verlangt worden war, die aber allesamt vom Rat selber abgelehnt worden seien. Einzig das Postulat Teuscher habe 2007 dazu geführt, dass die Sessionen – soweit möglich – den Schulferien angepasst worden seien. Weil die Familien- und Wohnsituation der Nationalrätinnen und Nationalräte sehr unterschiedlich sei, würde eine Änderung der Sessionsorganisation immer auch individuelle Nachteile schaffen. Dass eine Änderung einen hohen administrativen Aufwand und hohe Kosten bedeuten und zudem nur einem Teil der Rätinnen und Räte Vorteile bringen würde, komme erschwerend hinzu. Das Büro beantragte entsprechend die Ablehnung des Postulats, wogegen sich eine GP/SP-Minderheit wehren wollte.
Das Thema wurde von den Medien bereits im Vorfeld der Debatte dankbar aufgenommen und im Rat wurde das Postulat entsprechend ausführlich diskutiert. Cédric Wermuth versuchte, für seine Idee Werbung zu machen, indem er auf die Bedeutung von Traditionen hinwies. Diese seien wichtig, müssten aber den gesellschaftlichen Realitäten angepasst werden. Dass die Ratsmitglieder sehr unterschiedliche Ansichten über Tradition und Anpassungen haben, zeigte sich dann im deutlichen links-bürgerlichen Graben bei der Abstimmung über den Vorstoss. Die geschlossenen SP-, GP- und GLP-Fraktionen standen einem fast geschlossen Nein stimmenden bürgerlichen Block gegenüber. Abweichlerinnen und Abweichler gab es lediglich bei der CVP (3), der FDP (1) und der BDP (2). Die insgesamt 65 befürwortenden Stimmen unterlagen freilich den 123 Nein-Stimmen deutlich (1 Enthaltung) und der Vorstoss wurde entsprechen versenkt.

Diskussionen zum Milizsystem 2016 / 2017

Die Diskussionen um das Milizsystem wurden Anfang 2016 durch eine Ankündigung von Christoph Blocher, eine Initiative zur Abschaffung des Berufsparlaments lancieren zu wollen, neu entfacht. Massnahmen gegen die «Classe politique» hätten im Parlament keine Chance, deshalb wolle er ein Volksbegehren lancieren, mit dem die Bezüge der Parlamentsmitglieder gekürzt werden sollten. Ein Pauschalsalär – Blocher forderte CHF 50'000 – solle die verschiedenen Vergütungen zwischen CHF 120'000 und 150'000 ersetzen. Die Forderung, die Blocher bereits kurz nach seinem Rücktritt aus dem Nationalrat gestellt hatte, wolle er als Privatmann realisieren.
In den Medien wurden Parlamentsmitglieder zum Vorschlag befragt: Während Roland Büchel (svp, SG) die Idee unterstützte und darauf hinwies, dass im Parlament Leute sitzen müssten, die daneben arbeiten und «im realen Leben verankert sind», gab Sebastian Frehner (svp, BS) zu bedenken, dass mit der Lohnsenkung auch der Arbeitsaufwand gesenkt werden müsste. Elisabeth Schneider-Schneiter (cvp, BL) hingegen hielt in Anbetracht von Aufwand und Ertrag die momentane Entschädigung für angemessen und Beat Jans (sp, BS) warnte, dass er mit weniger Entschädigung und weniger Zeit eine Vorlage wohl nicht mehr genau prüfen könne. Im Gegensatz zu Peter Keller (svp, NW), der vor immer mehr «verkappten Berufspolitikern» warnte, die durch Annahme von Mandaten nicht nur den Milizgedanken untergruben, sondern sich dadurch auch abhängig machten, hielt Jacqueline Badran (sp, ZH) eine genügende Entschädigung von Parlamentsmitgliedern für die eigentliche Bedingung politischer Unabhängigkeit. Ansonsten müsste man sich entweder in den Sold der Wirtschaft begeben oder sonst könnten sich nur noch Reiche wählen lassen.
Die Medien zitierten zudem verschiedene Studien, die zeigten, dass das Milizparlament «längst ein Mythos» sei, da es aufgrund der Komplexität der Geschäfte kaum mehr möglich sei, nebenamtlich Politikerin oder Politiker zu sein. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich ein sehr kostengünstiges Parlament habe. Eine neue, Ende 2016 erschienene Studie aus Lausanne (Pilotti 2017) zeigte, dass im Zeitraum von 1910 bis 2016 sowohl eine Professionalisierung des Parlaments als auch eine zunehmende Demokratisierung der Rekrutierung der Mitglieder im Sinne einer Öffnung für neue soziale Schichten stattgefunden hat.
Diskutiert wurde auch die gesellschaftliche Unterstützung der Milizidee: Das Milizsystem sei auch deshalb unter Druck, weil es zwar überall gelobt werde, aber die Milizarbeit vor allem auch auf lokaler Ebene kaum honoriert werde. Immer weniger Menschen seien bereit, politische Freiwilligenarbeit zu übernehmen. Dies werde zudem von den meisten Arbeitgebern auch nicht sonderlich unterstützt. Gefordert wurden etwa flexible Arbeitszeiten oder die Möglichkeit für Home-Office.

Diskussionen zum Milizsystem 2018 / 2019

«Le grand mythe du parlement de milice» betitelte die Zeitung Le Temps die Diskussion um eine Studie, mit der Arbeitsbelastung und Einkommen von Parlamentsmitgliedern untersucht wurden. Im Schnitt wende ein Parlamentsmitglied 50 Prozent seiner Zeit für Parlaments- und Kommissionssitzungen auf, Vor- und Nachbereitung inklusive. Rechne man die wichtigen ausserparlamentarischen Kontakte – etwa Medien- und Öffentlichkeitsarbeit – hinzu, komme man auf einen Beschäftigungsgrad von rund 80 Prozent für einen National- und 70 Prozent für einen Ständerat. Hierfür beziehe das durchschnittliche Parlamentsmitglied, je nachdem, ob es eine Mitarbeitende oder einen Mitarbeitenden beschäftige, zwischen CHF 63'000 und CHF 92'200 pro Jahr (inklusive Spesen aber exklusive allfälliger Mandate von Interessenorganisationen). Um zu zeigen, wie wenig diese Situation noch mit einem «Milizparlament» zu tun habe, in welchem man einen Fuss im Stall oder im Büro und den anderen unter der Bundeshauskuppel habe, beleuchtete Le Temps die Geschichte des Schweizer Parlaments. Bis in die 1960er Jahre hätten Parlamentsmitglieder ausser Reisespesen und Sitzungsgelder keine Entschädigungen erhalten. Erst mit der Mirage-Affäre sei ein Jahreslohn von CHF 3'000 eingeführt worden. Dieser sei ständig angehoben worden, hätte aber bis weit in die 1990er Jahre kaum gereicht, um davon leben zu können. Seither könne man aber eine stete Professionalisierung beobachten und es gebe immer mehr Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die neben ihrem Mandat keiner bezahlten Arbeit mehr nachgingen.

Nicht nur im Parlament verschwinde der Milizgedanke, sondern auch in der Gesellschaft. So wurde in einigen Medien der Vorschlag von Avenir Suisse für einen allgemeinen Bürgerdienst kommentiert. Das Milizsystem sei wegen mangelnder Teilnahme bedroht, kommentierte etwa die Aargauer Zeitung. Freiwilligenarbeit rangiere vor allem im öffentlichen Dienst «hinter der Selbstverwirklichung, dem beruflichen Vorwärtsstrampeln und dem Freizeitvergnügen». Die geringe Wertschätzung für politische Arbeit aber auch die gestiegenen Ansprüche im Arbeitsleben trügen das ihre dazu bei. Bei global tätigen Firmen und mit zunehmender internationaler Vernetzung nehme das Verständnis für das Milizsystem ab, befand auch der Tages-Anzeiger, der über die Mühen von Lokalpolitikerinnen und -politikern, bei ihren Arbeitgebern Unterstützung für ihr politisches Amt zu erhalten, berichtete. Das führe aber auch dazu, dass viele Parlamente vor allem von Mandatsträgerinnen und -trägern mit flexiblen Jobs besetzt seien. Die «überdurchschnittlich vielen Geschäftsführerinnen und selbständigen Juristen» seien aber kein Abbild der Bevölkerung. Im St. Galler Tagblatt wurde vorgeschlagen, vermehrt nicht-berufstätige Frauen zu rekrutieren, die, «wenn sie 50 sind [...] und die Kinder ausgezogen [...], Zeit für neue Aufgaben» hätten.

Auch der Gemeindeverband, der 2019 zum «Jahr der Milizarbeit» ausgerufen hatte, löste Diskussionen um das Thema aus. Eine in diesem Kontext entstandene Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur bemühte sich insbesondere Reformvorschläge gegen die zunehmenden Schwierigkeiten von Gemeinden, politisches Personal zu rekrutieren, aufzuzeigen. Die Studie machte in einer Befragung einiges Potenzial bei Jugendlichen aus. Rund 20 Prozent der jungen Erwachsenen wären grundsätzlich interessiert, ein Amt zu übernehmen, seien aber ein «blinder Fleck» in der Kommunikation der Gemeinden, wenn es um das Anwerben von Kandidierenden für politische Mandate gehe. Die Studie empfahl 80 Massnahmen, mit denen junge Erwachsene zu politischem Engagement bewegt werden könnten. In einem vom Gemeindeverband lancierten Ideenwettbewerb wurden zudem zahlreiche Vorschläge eingereicht, mit denen politische Ämter auf lokaler Ebene attraktiver gemacht werden könnten: Erwerbsersatz für Gemeinderäte, Anrechenbarkeit eines Milizamtes an die Wehrpflicht, den Zivildienst oder die Ausbildung sowie die Gewährung von Steuerabzügen waren Ideen, mit denen laut Gemeindeverband vor allem eine Debatte angestossen werden sollte.

Eine breit angelegte Studie der Universität Bern analysierte zwar eine sehr breite Unterstützung des Milizsystems, die quasi zur DNA der Schweiz gehöre, so die NZZ, trotzdem bröckle es «an allen Ecken und Enden». Die Studie schlug zwei Massnahmen vor, um «das Milizland Schweiz nachhaltig zu stärken», wie das St. Galler Tagblatt zusammenfasste: Mehr Wertschätzung für Freiwilligenarbeit als kurzfristige und eine Stärkung der politischen Bildung an der Volksschule als längerfristige Massnahme. Die junge Generation müsse für die Bedeutung des Milizsystems stärker sensibilisiert werden – so das Fazit der Studie.