«Konstruktives Referendum». Volksinitiative (BRG 99.021)

Im Herbst lancierte die SP die Volksinitiative „Mehr Rechte für das Volk dank dem Referendum mit Gegenvorschlag“, welche die Einführung des sog. konstruktiven Referendums verlangt. Der neue Verfassungsartikel sieht vor, dass zusätzlich zum bisherigen Referendum auch noch ein ebenfalls 50'000 Unterschriften erforderndes Referendum mit einem konkreten Gegenvorschlag zu einem Gesetz oder einem allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss eingereicht werden kann. Voraussetzung dazu ist allerdings, dass der Gegenvorschlag bereits in einer der beiden Parlamentskammern beantragt worden ist, und dort bei mindestens 5% der Ratsmitglieder Unterstützung fand. Das Verfahren bei der Volksabstimmung wäre analog zu demjenigen bei einer Volksinitiative mit einem Gegenvorschlag (doppeltes Ja möglich, Stichfrage für den Fall, dass beide angenommen werden); mehrere sich konkurrierende Referenden würden einander zuerst in Eventualabstimmungen gegenübergestellt. (Zur Einführung des konstruktiven Referendums im Kanton Bern siehe hier.)

Die SPS konnte ihre Volksinitiative „mehr Rechte für das Volk dank dem Referendum mit Gegenvorschlag“, welche die Einführung des sogenannten konstruktiven Referendums verlangt, im März mit 123'205 gültigen Unterschriften einreichen. Im Kanton Bern, der diese Form des Referendums 1993 als erster Kanton eingeführt hat, wurde davon erstmals Gebrauch gemacht. Das Volk stimmte dem Parlamentsbeschluss zu einer Steuergesetzrevision zu und lehnte den Gegenvorschlag der FDP ab.

Im März legte der Bundesrat seine Botschaft zu der 1997 eingereichten Volksinitiative der SP für die Einführung des konstruktiven Referendums (Referendum mit Gegenvorschlag) vor. Er empfahl das Begehren zur Ablehnung. Dabei verzichtete er auch darauf, einen Gegenvorschlag zu formulieren, da er Alternativmöglichkeiten (wie etwa die Möglichkeit, dem Volk Varianten zur Abstimmung vorzulegen) bereits in seinem Entwurf zur Reform der Volksrechte im Rahmen der Verfassungsrevision vorgeschlagen habe. Gegen das konstruktive Referendum brachte er vor allem das Argument vor, dass es zu praktischen abstimmungstechnischen Problemen führen könne, wenn zu einem Beschluss mehrere konstruktive Referenden eingereicht würden. Im Ständerat fand die Volksinitiative nur bei den Abgeordneten der SP Unterstützung. Nicht besser erging es auch einem Kompromissvorschlag Plattner (sp, BS), der das Geschäft an den Bundesrat zurückweisen wollte mit der Auflage, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, der das konstruktive Referendum einführt, aber dessen Schwachstellen (zugelassener Inhalt eines Gegenantrags und Ungültigkeitserklärungen bei Unvereinbarkeit mit geltendem Recht; Vorgehen, wenn mehr als ein derartiges Referendum eingereicht wird) mit präzisen Regelungen zu beheben.

Nach dem Stände- lehnte auch der Nationalrat die 1997 eingereichten Volksinitiative der SP für die Einführung des konstruktiven Referendums (Referendum mit Gegenvorschlag) ab. Dafür stimmten neben der SP auch die Grünen und die EVP. Die Ratsmehrheit begründete ihre Ablehnung namentlich mit dem Argument, dass mit der Möglichkeit, einzelne Elemente aus einer Gesamtvorlage herauszupflücken, die Bemühungen der Regierung und des Parlaments um optimale Kompromisslösungen vereitelt würden. Damit würde auch die Funktion des Parlaments entwertet.

In der Kampagne zur anschliessenden Volksabstimmung betonten die Befürworter vor allem die Praktikabilität ihres Vorschlags, der in den Kantonen Bern und Nidwalden, wo dieses Recht existiert, noch nie zu Problemen geführt habe. Die Gegner warnten vor «Rosinenpickerei». Eine breite Diskussion über die Volksrechte vermochte die Initiative jedoch nicht auszulösen.

In der Volksabstimmung vom 24. September sprachen sich nur gut ein Drittel der Stimmenden für das Begehren aus. In der französischsprachigen Schweiz war die Ablehnung etwas weniger deutlich und im Tessin schnitt die Initiative mit 43 Prozent Ja am besten ab. Gemäss der Vox-Analyse hatte die politische Linke mehrheitlich zugestimmt. Obwohl es sich um eine SP-Initiative gehandelt hatte, waren die Sympathisanten der SP in ihrer Meinung hälftig geteilt. Praktisch einhellig erfolgte die Ablehnung durch Personen, welche der FDP nahestehen.


Abstimmung vom 24. September 2000
Volksinitiative «Mehr Rechte für das Volk dank dem Referendum mit Gegenvorschlag»

Beteiligung: 44.8%
Ja: 676'776 (34.1%) / 0 Stände
Nein: 1'308'030 (65.9%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
– Ja: SP, GP, EVP, PdA, Lega; SGB, CNG.
– Nein: FDP, CVP, SVP, LP, SD , EDU, CSP; Economiesuisse (Vorort), SGV, SBV.

«Für Beschleunigung der direkten Demokratie». Volksinitiative (BRG 98.065)

Dossier: Vorstösse für eine schnellere Behandlung von Volksinitiativen

Parallel zu seiner Volksinitiative für tiefere Medikamentenpreise lancierte der Chef der Detailhandelskette Denner AG, Karl Schweri, im August eine Volksinitiative für eine „Beschleunigung der direkten Demokratie“. Diese verlangt, dass die Volksabstimmung über ausformulierte Volksinitiativen spätestens zwölf Monate nach deren Einreichung stattfinden muss. Falls die Bundesversammlung einen Gegenvorschlag ausarbeitet, kann diese Frist mit dem Einverständnis des Initiativkomitees um ein Jahr verlängert werden. Nach nur vier Monaten Sammeltätigkeit - zu einem guten Teil durch entlöhnte Unterschriftensammler - konnte dieses Volksbegehren eingereicht werden. (Zu der im Berichtsjahr in Kraft getretenen Bestimmung, dass eine Volksinitiative spätestens 9 Monate nach der Schlussabstimmung im Parlament dem Volk vorgelegt werden muss, siehe hier.)

Weniger als ein Jahr nach der Einreichung der Volksinitiative „für eine Beschleunigung der direkten Demokratie“ legte der Bundesrat seine Stellungnahme dazu vor. Er beantragte, das Begehren Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Die verlangte Frist von höchstens einem Jahr von der Einreichung einer Volksinitiative bis zur Volksabstimmung sei für eine gründliche Beurteilung durch Regierung und Parlament und eine seriöse Meinungsbildung in der Bevölkerung zu kurz.

Als erste Kammer behandelte der Nationalrat die Volksinitiative „für eine Beschleunigung der direkten Demokratie“. Im Namen der Staatspolitischen Kommission, welche einstimmig deren Ablehnung empfahl, legte Andreas Gross (sp, ZH) noch einmal die wichtigsten Gegenargumente dar, die er bereits vor einem Jahr gegen eine radikale Verkürzung der Fristen vorgebracht hatte: die Funktion der Volksinitiative im schweizerischen politischen System und die bereits vorgenommenen Fristenverkürzungen. Die Fraktionen aller vier Bundesratsparteien, der Grünen und der Liberalen sprachen sich ebenfalls gegen die Initiative aus. Die LdU/EVP-Fraktion hingegen unterstützte einen Antrag Schaller (ldu, ZH), der den Initianten mit einem Gegenvorschlag entgegenkommen wollte; dieser wurde jedoch mit 138:10 Stimmen abgelehnt. Ein Antrag Schaller/Maspoli (lega, TI), die Initiative zur Annahme zu empfehlen, wurde gegen die Stimmen der FP, des LdU und etwa eines Drittels der SVP-Fraktion (darunter die Zürcher Blocher, Frey und Maurer) abgelehnt. Im Ständerat setzte sich niemand für die Annahme des Volksbegehrens ein. In der Schlussabstimmung verabschiedete der Nationalrat die Ablehnungsempfehlung mit 161:29, der Ständerat mit 42:0 Stimmen.

Am 12. März verwarfen die Stimmberechtigten die Volksinitiative für eine Beschleunigung der direkten Demokratie deutlich. Diese von der Detailhandelskette Denner AG stammende Initiative hatte gefordert, dass Volksinitiativen spätestens ein Jahr nach ihrer Einreichung dem Volk zum Entscheid vorgelegt werden müssen. Das Begehren wurde in der Kampagne von den Rechtsaussenparteien FP, SD und Lega unterstützt. In ihren grossflächigen Inseraten appellierten die Initianten vor allem an Ressentiments gegen angeblich faule Bundesbeamte, welche die Anliegen des Volkes auf die lange Bank schieben würden. Die nationale Delegiertenversammlung der SVP hatte, gegen den Willen des Vorstands und der Fraktion, ebenfalls die Ja-Parole ausgegeben, allerdings nur mit 201 zu 151 Stimmen. Zehn mehrheitlich dem traditionellen SVP-Flügel zuzuordnende Kantonalsektionen (AG, AR, BE, BL, GE, GL, GR, SH, TG, VD) empfahlen jedoch Ablehnung, und der Vorsitzende der Berner SVP, Nationalrat Weyeneth, übernahm das Präsidium des Kontra-Komitees. Im Gegensatz zu den Befürwortern der Initiative standen den Gegnern praktisch keine Mittel für bezahlte Werbung zur Verfügung. Hingegen empfahlen alle wichtigen Tageszeitungen in ihren redaktionellen Kommentaren ein Nein. Die Ablehnung der Initiative fiel mit einem Anteil von 70 Prozent deutlich aus. Kein einziger Kanton hatte zugestimmt. Am besten schnitt sie im Tessin mit einem Ja-Anteil von 39 Prozent ab, am schlechtesten im Wallis mit 24 Prozent . Gemäss der Vox-Analyse sprach sich auch eine knappe Mehrheit der SVP-Sympathisanten dagegen aus. Bei Personen, welche der Regierung eher misstrauen, war der Ja-Anteil zwar überdurchschnittlich, zu einer Annahme reichte es aber auch bei ihnen nicht.


Volksinitiative für eine «Beschleunigung der direkten Demokratie»
Abstimmung vom 12. März 2000

Beteiligung: 42.1%
Ja: 573'038 (30.0%) / 0 Stände
Nein: 1'336'916 (70.0%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
– Ja: SVP (10*), FP, SD, Lega.
– Nein: SP, FDP, CVP, LP, GP, EVP, EDU, CSP, PdA; Economiesuisse (Vorort), SGV, SGB, CNG.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Beseitigung von Mängeln der Volksrechte (Pa.Iv. 99.436)

Die damit befassten Subkommissionen der beider Räte (SPK-NR und SPK-SR) beschlossen, wie die im Sommer 1999 gescheiterten Pläne des Bundesrats für eine Reform der Volksrechte weiter verfolgt werden sollen. Auf die für das damalige Scheitern verantwortliche Erhöhung der Unterschriftenzahl für Initiative und Referendum soll ebenso verzichtet werden wie auf eine Verkürzung der Sammelfristen. Festhalten möchte man jedoch an der Einführung einer «allgemeinen Volksinitiative». Damit könnte eine Forderung in allgemeiner Form eingebracht werden, über die genaue Formulierung und die Frage, ob das Anliegen auf Gesetzes- oder Verfassungsstufe zu behandeln sei, würde dann das Parlament entscheiden.

Die SPK-SR konkretisierte ihre früher geäusserte Absicht, wenigstens die kaum umstrittenen Anliegen aus dem im Rahmen der Verfassungstotalrevision gescheiterten «Reformpaket Volksrechte» weiter zu verfolgen. Mit einer parlamentarischen Initiative beantragte sie die Einführung der «allgemeinen Volksinitiative», deren Ziele auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe realisiert werden können. Ist das Parlament mit der als Anregung formulierten allgemeinen Initiative einverstanden, arbeitet es eine entsprechende Vorlage auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe aus, welche dann dem obligatorischen resp. bei einem Gesetz dem fakultativen Referendum unterstellt ist. Sind die Initianten mit der Umsetzung ihrer Idee durch das Parlament nicht zufrieden, sollen sie sich beim Bundesgericht beschweren dürfen. Lehnt die Bundesversammlung die Initiative ab, findet darüber eine Volksabstimmung statt. Im Unterschied zum ursprünglichen Vorschlag des Bundesrats soll es dem Parlament aber in diesem Fall erlaubt sein, einer allgemeinen Initiative noch vor dem Volksentscheid einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Damit könnte verhindert werden, dass sich die Stimmberechtigten zweimal (zuerst zur Initiative und später dann noch zum Gegenvorschlag) an die Urne begeben müssen. Als zweite Neuerung schlug die SPK eine Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums auf alle Abkommen vor, die wichtige rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Gesetzen verpflichten. Bisher waren nur Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, welche eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Die SPK des Ständerats, welche ja seinerzeit einer Heraufsetzung der Unterschriftenzahl zugestimmt hatte, wollte auch jetzt nicht ganz auf die Erschwerung des Initiativrechts verzichten. Sie beantragte eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen von achtzehn auf zwölf Monate.

Der Bundesrat war grundsätzlich mit diesen Neuerungen einverstanden. Er unterstützte aber einen Antrag der Kommissionsminderheit (SPK), dass analog zum Referendumsrecht auch eine Volksinitiative (inkl. die neue allgemeine Volksinitiative) von acht Kantonen eingereicht werden kann. Bei der Unterschriftenzahl vertrat er ebenfalls eine etwas andere Position als die SPKSPK: Damit das neue Instrument der allgemeinen Volksinitiative auch benutzt wird, soll es mit einer Unterschriftenzahl von bloss 70'000 attraktiver sein als die normale Volksinitiative. Parallel dazu beantragte er, die für ein Referendum erforderliche Unterschriftenzahl auf 70'000 heraufsetzen.

Der Ständerat beriet die Vorlage in der Herbstsession. Er stimmte der Einführung der allgemeinen Volksinitiative zu. Hingegen sprach er sich knapp gegen eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen auf zwölf Monate aus; die erforderliche Unterschriftenzahl wurde gemäss dem Antrag der SPK auch für die allgemeine Volksinitiative auf 100'000 festgelegt. Der Bundesrat vermochte sich mit seinem Antrag durchzusetzen, neu auch den Kantonen das Recht auf die Einreichung einer Volksinitiative zu erteilen. Erfolgreich war der Bundesrat ebenfalls mit seinem Antrag, dass bei völkerrechtlichen Verträgen, welche zwingende Rechtsreformen verlangen, die einzelnen Revisionen im Sinne einer Paketlösung dem Referendum entzogen werden können; dem fakultativen Referendum unterstellt wäre dann nur noch der Vertrag an sich. Die Möglichkeit, dass das Parlament einer allgemeinen Volksinitiative sofort einen Gegenvorschlag gegenüberstellen und gleichzeitig mit der Initiative dem Volk unterbreiten kann, wurde in dem Sinne präzisiert, dass dies nur bei vom Parlament abgelehnten Volksinitiativen möglich sein soll.

Der Nationalrat behandelte als Zweitrat die Verfassungsänderungen zur Einführung der «allgemeinen Volksinitiative» und zur Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums auf alle Abkommen, die wichtige rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Gesetzen verpflichten. Die vom Ständerat vor einem Jahr neu in das Reformpaket aufgenommene Kantonsinitiative, die von acht Kantonen eingereicht werden kann, wurde vom Nationalrat mit 86 zu 60 Stimmen gestrichen. Die SVP-Fraktion beantragte erfolglos, auf die allgemeine Volksinitiative zu verzichten, da damit das sonst bei Volksinitiativen verlangte Ständemehr umgangen werden kann (wenn das Parlament eine Umsetzung auf Gesetzesebene beschliesst). Keinen Erfolg hatte auch die SP, die zusammen mit dem Bundesrat für eine Unterschriftenzahl von 70'000 statt 100'000 plädierte. Gescheitert ist die SP auch mit ihrem Versuch, das als «Mini-Reform» charakterisierte Vorhaben doch noch etwas auszupolstern: der Nationalrat lehnte sowohl die Einführung der ausformulierten Gesetzesinitiative, wie sie in allen Kantonen ausser dem Jura besteht, als auch das neue Instrument der Volksmotion für die Aussenpolitik ab. Mit letzterem hätten 10'000 Stimmberechtigte dem Parlament beantragen können, den Bundesrat zu beauftragen, in internationalen Gremien bestimmte Anliegen zu vertreten. In der Gesamtabstimmung stimmte die Linke der Reform der Volksrechte gleichwohl zu. Im Gegensatz dazu lehnten die SVP und die Liberalen die Vorlage geschlossen ab.

In der zweiten Runde der Differenzbereinigung verzichtete der Ständerat knapp (19 zu 16 Stimmen) auf die Kantonsinitiative. In der Schlussabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 102 zu 67 Stimmen an. Die Hauptopposition kam aus der SP-Fraktion. Diese hatte aus Protest gegen die ihrer Ansicht nach zu hohe Unterschriftenzahl für die allgemeine Volksinitiative (100'000) Nein gestimmt. Dagegen gestimmt hatten auch die Liberalen, während sich die Grünen der Stimme enthielten; im Ständerat gab es sieben Gegenstimmen.

Die Volksabstimmung über die Verfassungsänderungen zur Einführung der «allgemeinen Volksinitiative» und zur Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums fand am 9. Februar statt. Die Kampagne vermochte keine hohen Wellen zu werfen. Von der SP und der GP wurde die Vorlage wie bereits im Parlament bekämpft, da sie die Ausgestaltung der allgemeinen Volksinitiative mit den verlangten 100'000 Unterschriften als zu wenig attraktiv betrachteten. Das bürgerliche Lager war gespalten: Die FDP und die CVP empfahlen zwar Zustimmung, Parlamentarier aus ihren Reihen wirkten aber auch beim Kontra-Komitee mit und einige Kantonalsektionen der FDP gaben die Nein-Parole aus. Die SVP und die Liberalen lehnten die Reform ab, wobei ihr Hauptargument die potentielle Umgehung des Ständemehrs bei der Umsetzung einer Initiative auf Gesetzesebene war.


Bundesbeschluss über den Ausbau der Volksrechte
Abstimmung vom 9. Februar 2003

Beteiligung: 29%
Ja: 934'005 (70.4%) / 20 6/2 Stände
Nein: 393'638 (29.6%) / 0 Stände

Parolen:
– Ja: FDP (6*), CVP, SD, FP, EDU; SBV.
– Nein: SP (1*), SVP (4*), LP, GP, EVP; SGB.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Bei einer sehr niedrigen Stimmbeteiligung von 29 Prozent stimmte das Volk der Reform der Volksrechte mit einem Ja-Stimmenanteil von 70 Prozent deutlich zu. In allen Kantonen wurde die Reform angenommen: am deutlichsten in Freiburg mit 77 Prozent, am schwächsten in Schaffhausen mit 56 Prozent. Die Vox-Analyse ergab, dass der Vorlage von den Stimmberechtigten keine grosse Bedeutung zugemessen worden war. Unterschiede im Stimmverhalten gab es kaum; insbesondere hatten die Linke und die SVP ihre eigene Anhängerschaft mit ihrer Nein-Parole nicht zu überzeugen vermocht. Zur niedrigen Stimmbeteiligung (sie war bisher nur zweimal noch schlechter gewesen) hatte auch beigetragen, dass neben dieser Vorlage nur noch eine kaum bestrittene Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) zur Abstimmung kam.

Einführung der allgemeinen Volksinitiative. Bundesgesetz (BRG 06.053)

Der Ende 2004 in die Vernehmlassung gegebene Vorentwurf für die legislative Umsetzung der allgemeinen Volksinitiative stiess auf wenig Verständnis. Er sei viel zu kompliziert, ja sogar unverständlich. Dies hat seinen Grund vor allem in den vielen Kombinationen und Konstellationen der Entscheidfindung, die bei diesem neuen Volksrecht auftreten können.

Die Vernehmlassung über den Vorentwurf für die legislative Umsetzung der 2003 in die Verfassung aufgenommenen allgemeinen Volksinitiative war mehrheitlich negativ ausgefallen. Trotzdem legte der Bundesrat im Mai dem Parlament seinen Vorschlag für entsprechende Teilrevisionen von Bundesgesetzen vor. Die Vielzahl der bei der Behandlung einer derartigen Initiative möglichen Entscheidungsschritte, welche durch das System von zwei gleich berechtigten Parlamentskammern noch komplexer werden, erlaubte es dem Bundesrat nicht, die Vorlage gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf wesentlich zu vereinfachen. Nachdem sich die SPK des Nationalrats davon hatte überzeugen lassen, dass eine einfachere Lösung nicht möglich ist, beschloss sie mit 13 zu 11 Stimmen, Nichteintreten zu beantragen. Gleichzeitig einigte sie sich mit der SPK des Ständerats darauf, eine Vorlage zur Aufhebung des Verfassungsartikels über diese allgemeine Volksinitiative vorzubereiten. Der Nationalrat folgte der Mehrheit seiner Kommission und entschied sich mit 136 zu 13 Stimmen für Nichteintreten.

Die Umsetzung der 2003 in die Verfassung aufgenommenen allgemeinen Volksinitiative ist gescheitert. Als Zweitrat beschloss auch der Ständerat Nichteintreten auf den Vorschlag des Bundesrats. Die SPK des Nationalrats gab in der Folge den Vorschlag zur Aufhebung des Verfassungsartikels über diese allgemeine Volksinitiative in die Vernehmlassung (Pa.Iv. 06.458).

Fakultatives Staatsvertragsreferendum. Parallelismus von staatsvertraglicher und innerstaatlicher Rechtsetzung (Mo. 04.3203)

Dossier: Obligatorisches Referendum für Staatsverträge?

Der Nationalrat hatte im Vorjahr eine Motion überwiesen, welche eine 2003 eingeführte Verfassungsbestimmung (BV) konkretisiert. Sie fordert, dass Staatsverträge mit «wichtigen» rechtsetzenden Normen oder mit Bestimmungen, deren Umsetzung eine Gesetzesrevision verlangt, dem fakultativen Referendum unterstellt werden. Demnach sollen die gleichen Grundsätze gelten wie bei der innerstaatlichen Gesetzgebung: Als wichtig gilt ein Rechtsetzungsakt dann, wenn er nicht an die Exekutive delegiert ist (wie z.B. eine Verordnung). Der Ständerat hiess diese Motion im Berichtsjahr ebenfalls gut, nahm allerdings eine auch vom Bundesrat gewünschte Präzisierung vor. Seiner Meinung nach seien Staatsverträge nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen, wenn sie nicht wesentliche neue Rechtsetzungsakte beinhalten, sondern nur die Fortsetzung früherer, vor der Ausweitung des Staatsvertragsreferendums im Jahre 2003 eingeführter Bestimmungen zur Folge haben. Gegen den Widerstand der SVP schloss sich der Nationalrat dieser Präzisierung des Motionstextes an; noch im gleichen Jahr riecht die SVP eine parlamentarische Initiative für eine Ausweitung des Staatsvertragsreferendum ein (Pa.Iv. 05.426).

Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative (Pa.Iv. 06.458)

Nachdem sich in einer Vernehmlassung fast niemand für die konkrete Umsetzung der 2003 in die Verfassung aufgenommenen allgemeinen Volksinitiative ausgesprochen hatte und sich auch die Räte nicht begeistert gezeigt hatten, beantragte die SPK des Nationalrats die Streichung dieser Verfassungsbestimmung. Der auch vom Bundesrat unterstützte Antrag hat die Rechtsform einer parlamentarischen Initiative und muss, da es sich um eine Verfassungsänderung handelt, sowohl vom Parlament als auch von Volk und Ständen genehmigt werden. Der Nationalrat stimmte dem Verzicht auf die allgemeinen Volksinitiative bei einer Gegenstimme (Lustenberger, cvp, LU) zu; der Ständerat bei einer Enthaltung. Lustenberger begründete seine Opposition damit, dass er als damaliges SPK-Kommissionsmitglied an der Entstehung dieses Instruments beteiligt gewesen war und von ihm immer noch überzeugt sei.

In der Volksabstimmung vom 27. September waren Volk und Stände damit einverstanden, auf die 2003 in die Verfassung aufgenommene allgemeine Volksinitiative wieder zu verzichten. Eine Kampagne fand nicht statt; gegen die Streichung ausgesprochen hatten sich nur die Lega und die PdA. Das Resultat fiel mit einem Ja-Stimmenanteil von 67,9 Prozent (1'307'237 Ja gegen 618'664) und keinem einzigen ablehnenden Kanton deutlich aus.


Abstimmung vom 27. September 2009
«Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative»

Beteiligung: 40.4%
Ja: 1'307'237 (67.9%) / 20 6/2 Stände
Nein: 618'664 (32.1%) / 0 Stände

Parolen:
– Ja: SVP, SP, FDP (1)*, CVP (2)*, GP (1)*, EVP, BDP, GLP, CSP, EDU (1)*, FPS, SD; SGV, SBV, Travail.Suisse.
– Nein: Lega, PdA.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die VOX-Analyse zur Abstimmung über die allgemeine Volksinitiative vom 27. September 2009 zeigte für die Abstimmung, die praktisch ohne vorgängige Kampagne durchgeführt worden war, wenig verwunderliche Resultate. Mehr als 50 Prozent der Teilnehmenden konnten keine substantielle Antwort auf die Frage geben, worum es bei der Abstimmung überhaupt ging. Politische Merkmale, also die Parteiensympathie oder die Links-Rechts-Verortung, spielten keine Rolle für den Abstimmungsentscheid. Allerdings zeigte sich das Regierungsvertrauen als erklärungskräftig. Die Autoren der VOX-Studie führten dies darauf zurück, dass in Ermangelung anderer «Elitesignale» die Empfehlung des Bundesrats als einzige «Entscheidhilfe bei der Meinungsbildung» gedient habe. Eine weitere Stütze für diese Schlussfolgerung dürfte die «aussergewöhnlich hohe Zahl» von Befragten sein, die ihren Stimmentscheid mit der Empfehlung von Parlament und Regierung begründeten. Dass die Befragten vergleichsweise schlecht informiert waren, zeigte sich mitunter daran, dass mehr als ein Fünftel der befragten Nein-Stimmenden nicht mehr wussten, weshalb sie Nein gestimmt hatten, und dass sehr viele Befragte die vorgelegten Argumente nicht bewerten konnten (also mit «weiss nicht» antworteten). Die Autorenschaft der VOX-Analyse fasste zusammen, «dass infolge eines hohen Desinteresses und eines fehlenden Abstimmungskampfes die StimmbürgerInnen vom Entscheidmaterial überfordert waren».