Aufklärung über allfällige Vermögenswerte von Nazi-Opfern auf Schweizerbanken (Mo. 95.3257)

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Grosses internationales Aufsehen erregte die Kampagne jüdischer Stellen für neue Nachforschungen nach Vermögen, welche von Naziopfern bei Schweizer Banken deponiert worden waren und seither als herrenlos gelten, sei es, weil keine erbberechtigten Rechtsnachfolger mehr vorhanden sind, sei es, weil diese keine Kenntnis von den Einlagen haben. In einer vom Bund veranlassten ersten Suchaktion waren in den 60er Jahren von den Banken knapp CHF 10 Mio. aufgefunden und an die Berechtigten bzw., falls solche nicht ausfindig gemacht werden konnten, an Organisationen ausbezahlt worden. Jüdische Organisationen in Israel und in den USA behaupteten jetzt, dass auch heute noch Beträge in der Höhe mehrerer Mrd. Franken auf den Schweizer Banken liegen müssen. Ständerat Plattner (sp, BS) forderte mit einer ursprünglich von Piller (sp, FR) eingereichten Motion politische Massnahmen, um diese Suche wiederaufzunehmen und Banken sowie weitere Vermögensverwalter zu verpflichten, offenbar herrenlose Vermögen einer zentralen Stelle zu melden. Diese soll berechtigte Eigentümer feststellen und – falls die Suche zu keinem Ergebnis führt – die gemeinnützige Verwendung der Gelder verfügen.

Die Banken hatten in der Zwischenzeit auch gehandelt und freiwillige Richtlinien für die Behandlung «nachrichtenloser» Vermögen beschlossen. Als wichtigstes Instrument wurde eine zentrale Anlaufstelle für Nachforschungen geschaffen, welcher die Banken auf Anfrage Auskunft geben müssen. Die Banken wurden zudem verpflichtet, diejenigen Vermögen (Konti, Depots und Safes) zu kennzeichnen und zu sperren, bei denen sie seit zehn Jahren keine Nachrichten von den Eigentümern erhalten haben; eine Meldepflicht besteht aber weiterhin nicht. Während der Bundesrat bei der Behandlung der Motion Plattner (sp, BS; Mo. 95.3257) dafür plädierte, zuerst einmal die Auswirkungen dieser Standesregeln abzuwarten, kritisierte Plattner das Fehlen einer Meldepflicht sowie den Nichteinbezug von anderen Vermögensverwaltern und beharrte auf seiner Motion. Diese wurde vom Ständerat mit sechs zu vier Stimmen abgelehnt. Eine erste Suchaktion im Herbst hatte bei 51 Banken insgesamt 775 «ruhende» Konten zu Tage gefördert, die vor 1945 angelegt worden waren. Vom Gesamtwert von CHF 38.7 Mio. entfiel aber nur ein Teil auf jüdische Einleger.

Im April tauchte erstmals die Idee eines Fonds auf. Vertreten wurde sie von dem auf die Erforschung der Geschichte der Juden in der Schweiz spezialisierten Berner Historiker Jacques Picard. Er begründete seinen Vorschlag damit, dass es nach mehr als 50 Jahren unmöglich sein werde, alle individuellen Ansprüche befriedigend abzuklären. Deshalb solle zusätzlich auch ein substantieller Kollektivfonds eingerichtet werden, aus dem arme jüdische Gemeinden in Osteuropa, bedürftige Nachkommen von Holocaust-Opfern, aber auch Erinnerungsstätten und Forschungsinstitute zum Antisemitismus unterstützt werden könnten. Später nahm der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) diese Idee auf und präzisierte, dass diese Stiftung einerseits aus definitiv erbenlosen nachrichtenlosen Vermögen und andererseits aus den Gewinnen, welche die Nationalbank (SNB) aus dem Goldgeschäft mit den Nazis erzielt hatte, gespiesen werden sollte. Im November forderte der englische Labour-Abgeordnete Granville Janner – der ebenfalls eine jüdische Organisation vertritt – die Schweiz auf, nicht bis zum Vorliegen des Berichts der Historikerkommission zuzuwarten, sondern als Zeichen der Wiedergutmachung rasch einen Fonds zur Entschädigung von Nazi-Opfern einzurichten. Am Rande eines Hearings vor dem Bankenausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses im Dezember tauchte die Idee eines Fonds – wie bei Janner mit dem spezifischen Zweck der Entschädigung von Holocaust-Opfern – erneut auf. Der Vorsitzende des WJC, Edgar Bronfman, und Senator D'Amato regten an, dass die Schweiz mit der Einrichtung eines solchen Fonds ein Zeichen für ihren guten Willen setzen könnte. In Gesprächen angetönt wurde dabei eine Summe von USD 250 Mio. Ein Postulat der freisinnigen Nationalrätin Nabholz (ZH) nahm die Idee eines Fonds auf und schlug vor, ihn aus den nicht beanspruchten nachrichtenlosen Vermögen zu bilden. Der Bundesrat gab bekannt, dass er – zumindest in naher Zukunft – auf diese Forderung nicht eintreten wolle und es für besser halte, zuerst Forschungsergebnisse der eingesetzten Expertenkommission abzuwarten. Bundespräsident Delamuraz bestätigte diese Haltung in einem Zeitungsinterview zum Jahresende und bezeichnete die diesbezüglichen Forderungen der amerikanischen jüdischen Organisationen als Erpressung und Lösegeldforderung.

Die Forderung von jüdischen Organisationen, dem Vorsitzenden des Bankenausschusses des US-Senats, D'Amato, und auch von der amerikanischen Regierung nach Aufklärung über allfällige Vermögenswerte von Nazi-Opfern bei Schweizer Banken intensivierte sich und erfuhr gleichzeitig eine Ausweitung auf sämtliche Finanztransaktionen vor, während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Immerhin stand die Schweiz nicht mehr ganz allein im Kreuzfeuer der Kritik, da die interessierten Organisationen und Personen ankündigten, dass sie ihre Suche nach verschwundenen Guthaben auch auf andere Staaten (namentlich Norwegen, Schweden und Frankreich) ausdehnen wollten. Englische und amerikanische Medien konzentrierten aber ihre massiven Angriffe weiterhin auf die Schweiz. Einige gingen so weit, sie als Nation von damals wie heute skrupellosen und uneinsichtigen Kriegsprofiteuren, ja sogar als verkappte Verbündete der deutschen Nazis zu charakterisieren. Um der schweizerischen Position im publizistischen Trommelfeuer aus den USA und Grossbritannien einigermassen Gehör zu verschaffen, aber auch um das direkte Gespräch mit den Protagonisten zu suchen, ernannte Bundesrat Cotti Ende Oktober den Diplomaten Thomas Borer zum Leiter einer speziellen Task-Force. Borer vertrat die Schweiz denn auch an einem Hearing vor dem Bankenausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses im Dezember, an welchem Senator D'Amato die Schweiz im allgemeinen und die im Jahresverlauf beschlossenen Massnahmen zur Abklärung von Vorwürfen und Klagen im Speziellen wieder massiv angriff und, gemeinsam mit Kongressabgeordneten und dem World Jewish Congress (WJC), die Kooperationsbereitschaft der Schweiz und ihrer Banken in Zweifel zog.

Laufend wurden, namentlich von D'Amato, an Pressekonferenzen neue, auf angeblich bisher geheime Dokumente gestützte Enthüllungen präsentiert. Bei einem Teil davon handelte es sich um unüberprüfte Vermutungen in zeitgenössischen Berichten der amerikanischen Geheimdienste (z. B. Bankkonto für die Tantiemen für Hitlers «Mein Kampf»). Der grösste Teil betraf aber Tatbestände, welche bereits vor Jahrzehnten im schweizerischen Parlament diskutiert worden waren (z. B. Washingtoner Abkommen, Nachrichtenlose Konten und diesbezüglicher Vertrag mit Polen) und oft auch nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen untersucht, sondern auch in den Massenmedien dargestellt worden waren (Flüchtlingspolitik, SNB) und zum Teil sogar Eingang in die schweizerischen Schulbücher gefunden hatten. Dies gilt zum Beispiel auch für den vom britischen Aussenministerium im September veröffentlichten Bericht über das von den Nazis vor allem bei den Nationalbanken eroberter Staaten geraubte Gold, dessen Kauf durch die Nationalbanken der Schweiz und anderer neutraler Staaten sowie dessen teilweise Auslieferung an die Siegermächte nach dem Krieg. Verwirrung stiftete dieser Bericht allerdings insofern, als darin US-Dollars mit Schweizer Franken verwechselt worden waren. Die in den Washingtoner Verhandlungen von 1946 von einem schweizerischen Delegationsmitglied genannte Summe von CHF 550 Mio., von der die Schweiz gemäss dem Washingtoner Abkommen rund die Hälfte an die Alliierten abtrat, wurde dadurch auf USD 550 Mio. oder CHF 2.2 Mrd. vergrössert. Dies führte vor allem in den britischen Medien zu neuen Anschuldigungen, dass die Schweiz nach dem Krieg die Alliierten belogen habe und immer noch grosse Mengen (CHF 1.7 Mrd. in damaligem oder CHF sieben Mrd. in heutigem Wert) von geraubtem Gold horte. Gestützt auf diese Information verlangte Senator D'Amato erfolglos vom US-Aussenminister Warren, Druck auf die Schweiz zur Neuaushandlung des Washingtoner Vertrags von 1946 auszuüben. Das englische Aussenministerium musste später seine Verwechslung eingestehen.

Eine Motion der FDP-Fraktion kümmerte sich um die Verwendung der im Rahmen der Suchaktion des Volcker-Komitees eruierten Vermögen. Sie schlug vor, dass diese bei Wahrung der individuellen Ansprüche der Berechtigten in einen Fonds des Bundes eingelegt werden sollen. Die nicht an Berechtigte auszahlbaren Gelder sollen humanitären Organisationen, deren Tätigkeit im Zusammenhang mit Nazi-Opfern steht, zugute kommen. Unter Verweis auf den im Februar auf Initiative der Grossbanken ins Leben gerufenen «humanitären Fonds für die Opfer des Holocaust», in den diese Gelder eventuell einfliessen könnten, beantragte der Bundesrat die Umwandlung in ein Postulat. Der Nationalrat folgte diesem Antrag.

Trotz der Gründung eines humanitären Fonds und den Bemühungen zur Auffindung von Erbberechtigten von Konten liessen sich einige amerikanische Behörden nicht von ihren Boykottplänen gegen schweizerische Banken abbringen. US-Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat, die amerikanische Botschafterin in der Schweiz, Madeleine Kunin, und andere Vertreter des US-Aussenministeriums rieten mehrmals von derartigen Massnahmen ab. Namentlich Eizenstat betonte, dass diese angesichts der von den Schweizer Behörden und den Banken unternommenen Anstrengungen nicht nur überflüssig, sondern auch kontraproduktiv seien. Anfangs Februar beschloss der Bundesstaat New York, keine kurzfristigen Finanzanlagen mehr über Schweizer Banken abzuwickeln; dieser Beschluss wurde allerdings nach der Schaffung des humanitären Fonds wieder rückgängig gemacht. Im Herbst schloss der ranghöchste Finanzbeamte der Stadt New York, Alan Hevesi, die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) von einem Bankenkonsortium zur Zeichnung einer städtischen Anleihe aus. Hevesi begründete seinen Entscheid mit der unkooperativen Haltung der SBG bei der Suche nach nachrichtenlosen Vermögen, welche sich insbesondere bei der durch Meili aufgedeckten Aktenzerstörung manifestiert habe. Mit denselben Argumenten beschloss kurz darauf auch der Bundesstaat Massachusetts, die SGB zu boykottieren. Bereits zu Jahresbeginn hatte ein Parlamentarier der Stadt New York beantragt, die dort ansässigen Schweizer Banken bei der Vermögensverwaltung nicht mehr zu berücksichtigen, bis die Schweizer Regierung einen Fonds für Holocaust-Opfer gebildet habe. Im Oktober gab der höchste Finanzbeamte (Schatzmeister) des Bundesstaates Kalifornien, Matt Fong, bekannt, dass er die Geschäfte mit schweizerischen Banken seit dem Sommer schrittweise abgebaut habe und diese Banken solange boykottieren werde, bis sie vollständige Transparenz über die nachrichtenlosen Vermögen geschaffen hätten. Kurz nach dieser Bekanntgabe schlossen sich die Finanzchefs der Staaten New York und Illinois diesem Boykott an. Im Dezember suspendierte Fong diese Massnahme für drei Monate.

Auf Einladung von Hevesi diskutierten anfangs Dezember in New York mehrere hundert Finanzbeamte von Kommunen und staatlichen Pensionskassen über Massnahmen gegen Schweizer Banken. Nicht zuletzt auf Anraten des Jüdischen Weltkongresses (WJC) empfahl Hevesi, alle Boykottmassnahmen für drei Monate zu suspendieren. Diese Aktionen hatten zwar für die Banken bisher nur geringe finanzielle Auswirkungen, wirkten sich aber imageschädigend aus. Die US-Behörden sicherten der Schweiz zu, abzuklären, ob sich diese Massnahmen regionaler Behörden mit den Bestimmungen der WTO über die nichtdiskriminierende Submission von öffentlichen Aufträgen vereinbaren lassen; auch das Bundesamt für Aussenwirtschaft unternahm diesbezügliche Abklärungen. Der Bundesrat selbst gab bekannt, dass er einstweilen nicht die WTO-Behörden anrufen, sondern bilateral bei der US-Regierung intervenieren werde. In seiner Antwort auf eine Interpellation Tschuppert (fdp, LU) lehnte er den als Gegenmassnahme vorgeschlagenen Verzicht auf Rüstungskäufe in den USA ab.

Am 18. März debattierte der Nationalrat über die nachrichtenlosen Guthaben. Anlass dazu bot eine Reihe von parlamentarischen Vorstössen. Mit einem vom Nationalrat überwiesenen Postulat verlangte die Freisinnige Nabholz (ZH) gesetzgeberische Massnahmen, um in Zukunft zu verhindern, dass nachrichtenlose Konten während Jahrzehnten bei den Banken bleiben. Gemäss Nabholz könnte nach dem Beispiel anderer Länder nach einer bestimmten Frist eine Übergabe der Vermögen und der dazugehörenden Akten an den Staat vorgeschrieben werden. Ansprüche wären dann nicht mehr an die Banken, sondern an den Staat zu richten. Die zuständige Bundesstelle hätte nach Berechtigten zu suchen, und nach einer festgelegten Zeitspanne würden die nicht eingeforderten Vermögen an den Staat fallen. Der Ständerat überwies ebenfalls in der Frühlingssession eine Motion Plattner (Mo. 96.3610; sp, BS) mit ähnlichem Inhalt wie das Postulat Nabholz, welche dann auch im Nationalrat Zustimmung fand. Der Unterschied zum Postulat Nabholz besteht darin, dass erstens die Motion nicht nur Bankeinlagen, sondern auch bei anderen Treuhändern deponierte Vermögen betrifft, und zweitens diese nicht an eine Bundesstelle abgeliefert, sondern dort nur gemeldet werden sollen. Etwas weniger weit ging Rechsteiner (sp, SG), der mit einer von beiden Räten überwiesenen Motion (Mo. 96.3606) lediglich eine Meldepflicht für während einer längeren Zeit nachrichtenlos gebliebene Guthaben einführen wollte, ohne den Staat aber zu Nachforschungen zu verpflichten. Bundesrat Villiger kündigte im Herbst vor dem Ständerat an, dass der Bundesrat das EJPD beauftragt habe, eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten. In einer später eingereichten und in der Herbstsession vom Nationalrat überwiesenen Motion (Mo. 97.3306) forderte Rechsteiner den Bundesrat in allgemeiner Form auf, neue Rechtsgrundlagen für die Behandlung nachrichtenloser Vermögenswerte vorzuschlagen.

In seiner Antwort auf Interpellationen der freisinnigen Fraktion im Nationalrat resp. von Beerli (fdp, BE; Ip. 98.3116) und Marty (fdp, TI) im Ständerat nahm der Bundesrat im Frühjahr zu den Boykottdrohungen amerikanischer Finanzbehörden gegen Schweizer Banken und andere Unternehmen Stellung. Er wies darauf hin, dass er in einer gemeinsamen Erklärung mit der US-Regierung vom 26. März die Drohungen als ungerechtfertigt und kontraproduktiv verurteilt hatte. Er stellte im weiteren fest, dass sowohl seine Vertreter als auch die US-Regierung die betreffenden amerikanischen Gemeinden und Gliedstaaten über die WTO-Widrigkeit ihrer Sanktionsdrohungen unterrichtet hätten. Da diese das Ende 1997 ausgesprochene Moratorium am 26. März – nach einer Erklärung der Grossbanken, unter Umständen einer Globalentschädigung zuzustimmen – stillschweigend erneuert hätten, verzichte er aber vorläufig auf eine Klage bei der WTO. Die von der FDP angeregten Gegenmassnahmen gegen US-Firmen für den Fall, dass die Boykottdrohungen realisiert würden, lehnte er jedoch als untaugliche Mittel zur Durchsetzung politischer Anliegen ab.

Bereits im Frühjahr, als sich ein Globalabkommen zwischen den jüdischen Organisationen und den Sammelklägern einerseits und den Schweizer Grossbanken andererseits abzuzeichnen begann, hatten Bundesrat und Nationalbank (SNB) erklärt, dass sie, entgegen den Forderungen der amerikanischen Kläger, keine Veranlassung sähen, sich an diesem Abkommen zu beteiligen. Erste konkretere Verhandlungen über diese Globalentschädigung – an denen spätestens ab Juli auch US-Unterstaatssekretär Eizenstat mitwirkte – fanden im April statt. Im Juni machten die Banken ein erstes Angebot von USD 600 Mio. publik, das von den jüdischen Organisationen sogleich als absolut ungenügend zurückgewiesen wurde. Diese forderten eine Summe USD 1.5 Mrd. und gaben zu verstehen, dass damit für sie auch die «moralische Schuld» der Schweiz und der Nationalbank getilgt wären.

Ganz auf Eis gelegt waren die Boykotte allerdings nicht. Im Mai beschloss das Parlament des US-Staates New Jersey ein Gesetz, das die staatlichen Behörden zu einem Boykott schweizerischer Banken verpflichtet; die ursprünglich geplanten Sperren gegen andere schweizerische Unternehmen wurden hingegen fallengelassen (der Senat als Zweitkammer brauchte wegen des Abschlusses einer Globallösung im August das Gesetz nicht mehr zu beraten). Anfangs Juli, als die Verhandlungen mit den Banken über eine Globallösung ins Stocken gerieten, sprach sich der vom New Yorker Finanzchef Alan Hevesi formierte Ausschuss für eine Aufhebung des Moratoriums aus und gab damit den staatlichen Behörden freie Hand für die Ergreifung von Boykottmassnahmen. Unmittelbar nach diesem Entscheid gaben weitere Finanzchefs von Bundesstaaten und Gemeinden ihre Boykottpläne bekannt, die bis zum Abschluss einer Vereinbarung stufenweise gesteigert werden sollten und z.B. im Falle der Stadt New York auf alle schweizerischen Firmen ausgedehnt worden wären. Bundespräsident Cotti forderte darauf US-Präsidenten Clinton in einem «persönlichen Brief» auf, sich gegen diese angedrohten Massnahmen einzusetzen.

Als sich die beiden Seiten bei weiteren Verhandlungen anfangs Juli nicht einigen konnten, erhöhte die amerikanische Seite den Druck mit der oben dargestellten Wiederbelebung der Boykottdrohungen. Die Banken blieben vorerst bei ihrem Angebot und die Verhandlungen gingen, begleitet von viel an das breite Publikum gerichtete Rhetorik und Polemik von seiten der amerikanischen Organisationen und Anwälte weiter. Nach zähen Verhandlungen unter dem Vorsitz von Edward Korman, des für die Sammelklagen gegen die UBS (als Nachfolgerin des SBV und der SGB) und die Crédit Suisse (SKA) zuständigen New Yorker Richters, kam es am 12. August zu einer Einigung. Die Beteiligten unterzeichneten ein Abkommen, welches die beiden Grossbanken zur Bezahlung von USD 1.32 Mrd. in vier über drei Jahre verteilte Raten verpflichtet. Diese Summe setzt sich zusammen aus einer Pauschalzahlung von 850 Mio. (wobei die Banken auf Solidaritätsbeiträge der Schweizer Industrie hoffen) und die bereits geleistete Einlage in den Spezialfonds für Holocaustopfer (70 Mio.). Eingeschlossen sind aber auch die Gelder, die im Rahmen der Suchaktion des Volker-Komitees aufgespürt werden. Dieser Betrag wird inkl. Zinsen und Entschädigungen auf rund USD 400 Mio. geschätzt. Explizit eingeschlossen in diesem Vergleich der Banken mit den jüdischen Organisationen und den Anwälten der Sammelkläger sind sämtliche Forderungen gegenüber den Schweizer Behörden, der Nationalbank und der Wirtschaft mit Ausnahme der Versicherungsgesellschaften. Ebenfalls in diesem Betrag enthalten sind sämtliche Anwaltskosten der Kläger.

Gemäss einem Bundesbeschluss von 1962 hatten schweizerische Vermögensverwalter Konten zu melden, die seit Kriegsende nachrichtenlos geblieben waren und bei denen man aufgrund der Namen und des Wohnorts vermuten konnte, dass ihre Inhaber während des Zweiten Weltkriegs Opfer rassistischer, politischer oder anderer Verfolgung geworden waren. Für einen Teil der aufgrund dieses Beschlusses ermittelten Vermögen konnten damals keine Anspruchsberechtigten gefunden werden. Dieser Rest von rund CHF drei Mio. war in den siebziger Jahren an den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und an die Schweizerische Zentralstelle für Flüchtlingshilfe (SFH) überwiesen worden. Da in jener Zeit die Suche nach Berechtigten nicht sehr intensiv vorgenommen worden war (im kommunistischen Mittel- und Osteuropa verzichtet man gar auf Nachforschungen, um eventuelle Erben nicht Repressalien auszusetzen), beschloss der Bundesrat jetzt, heute noch eruierbare Berechtigte zu entschädigen. Er publizierte dazu eine Liste mit den Namen und Adressen der seinerzeit nicht ermittelten Konteninhaber und richtete Informations- und Meldestellen ein.