Aufklärung über allfällige Vermögenswerte von Nazi–Opfern auf Schweizerbanken (Mo. 95.3257)

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Grosses internationales Aufsehen erregte die Kampagne jüdischer Stellen für neue Nachforschungen nach Vermögen, welche von Naziopfern bei Schweizer Banken deponiert worden waren und seither als herrenlos gelten, sei es, weil keine erbberechtigten Rechtsnachfolger mehr vorhanden sind, sei es, weil diese keine Kenntnis von den Einlagen haben. In einer vom Bund veranlassten ersten Suchaktion waren in den 60er Jahren von den Banken knapp CHF 10 Mio. aufgefunden und an die Berechtigten bzw., falls solche nicht ausfindig gemacht werden konnten, an Organisationen ausbezahlt worden. Jüdische Organisationen in Israel und in den USA behaupteten jetzt, dass auch heute noch Beträge in der Höhe mehrerer Mia Fr. auf den Schweizer Banken liegen müssen. Ständerat Plattner (sp, BS) forderte mit einer ursprünglich von Piller (sp, FR) eingereichten Motion politische Massnahmen, um diese Suche wiederaufzunehmen und Banken sowie weitere Vermögensverwalter zu verpflichten, offenbar herrenlose Vermögen einer zentralen Stelle zu melden. Diese soll berechtigte Eigentümer feststellen und – falls die Suche zu keinem Ergebnis führt – die gemeinnützige Verwendung der Gelder verfügen.

Dossier: Nachrichtenlose Konten von Naziopfern auf Schweizer Banken

Die Banken hatten in der Zwischenzeit auch gehandelt und freiwillige Richtlinien für die Behandlung «nachrichtenloser» Vermögen beschlossen. Als wichtigstes Instrument wurde eine zentrale Anlaufstelle für Nachforschungen geschaffen, welcher die Banken auf Anfrage Auskunft geben müssen. Die Banken wurden zudem verpflichtet, diejenigen Vermögen (Konti, Depots und Safes) zu kennzeichnen und zu sperren, bei denen sie seit zehn Jahren keine Nachrichten von den Eigentümern erhalten haben; eine Meldepflicht besteht aber weiterhin nicht. Während der Bundesrat bei der Behandlung der Motion Plattner dafür plädierte, zuerst einmal die Auswirkungen dieser Standesregeln abzuwarten, kritisierte Plattner das Fehlen einer Meldepflicht sowie den Nichteinbezug von anderen Vermögensverwaltern und beharrte auf seiner Motion. Diese wurde vom Ständerat mit 6:4 Stimmen abgelehnt.

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Mit der Schaffung von rechtlichen Grundlagen für die Tätigkeit dieser Historikerkommission und ihrem Auftrag befasste sich die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats. Sie übernahm im Mai eine im März 1995 eingereichte parlamentarische Initiative Grendelmeier (ldu, ZH) und legte Ende August eine eigene parlamentarische Initiative für einen Bundesbeschluss vor. Dieser umreisst den Umfang der Untersuchung (Rolle des Finanzplatzes Schweiz während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg) und räumt rechtliche Hindernisse für die Arbeit der vom Bundesrat eingesetzten Experten aus dem Wege. Die Kommission beantragte darin einen grundsätzlichen Vorrang der Aufklärungsarbeiten vor Geheimhaltungspflichten von staatlichen Behörden, Banken, Versicherungen, Anwälten, Treuhändern und anderen juristischen und natürlichen Personen. Diese sollen zudem verpflichtet werden, den Experten Akteneinsicht zu gewähren und Vermögenswerte von Opfern des Nationalsozialismus zu deklarieren. Die Vernichtung oder das Verstecken von für die Untersuchung dienlichen Akten ist ihnen untersagt. Der Beschluss regelt aber auch die Geheimhaltungspflichten der Experten. Sie unterstehen – insbesondere was die durch Aufhebung des Bankgeheimnisses erhaltenen Informationen betrifft – dem Amtsgeheimnis, über die Publikation von Untersuchungsmaterialien verfügt allein der Bundesrat. Dieser wiederum ist verpflichtet, den vollständigen Untersuchungsbericht der Historikerkommission zu veröffentlichen. Der Bundesrat, dessen im Mai eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe mit der Nationalratskommission eng zusammengearbeitet hatte, erklärte sich mit diesen Vorschlägen einverstanden.

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Im Februar veröffentlichte die Schweizerische Bankiervereinigung die ersten Ergebnisse einer Umfrage über vor 1945 eröffnete Konten und Depots, welche seit mindestens zehn Jahren nachrichtenlos sind. Dabei wurden im Gegensatz zu den Abklärungen von 1962 die nachrichtenlosen Konten sämtlicher ausländischer Kunden, und nicht nur diejenigen von wahrscheinlichen Opfern antisemitischer oder rassistischer Verfolgung erfasst. Festgestellt wurden 775 Konten oder Depots im Werte von knapp CHF 40 Mio. Die jüdischen Organisationen in den USA – welche auch schon von versteckten Milliardenbeträgen gesprochen hatten – kritisierten diese Erhebung als unhaltbar. Parallel dazu liefen die vom Ombudsman der Bankiervereinigung koordinierten Nachforschungen nach den Erbberechtigten von nachrichtenlosen Konten. Dieser veröffentlichte gegen Jahresende einen ersten Zwischenbericht. Von den zwischen 1. Januar und 30. September bei ihm eingegangenen rund 1'000 Auskunftsbegehren stammten etwa 70 Prozent von Angehörigen von Nazi–Opfern. Unter den bisher abgeklärten knapp 900 Anfragen stiess man in elf Fällen auf bestehende nachrichtenlose Konten. Dreimal betraf es Vermögenswerte von Holocaust–Opfern, in zwei weiteren Fällen handelte es sich um Guthaben von Personen aus Rumänien, die während des Kriegs enteignet worden waren, und deren Nachfahren sich unter dem kommunistischen Regime nicht um das Erbe kümmern konnten. Der Gesamtwert dieser fünf Guthaben belief sich auf CHF 11'000. Die kleine Ausbeute dieser Suchaktion wurde auch mit der Effizienz der 1962 durchgeführten ersten Erhebung begründet.

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Laufend wurden, namentlich von D'Amato, an Pressekonferenzen neue, auf angeblich bisher geheime Dokumente gestützte Enthüllungen präsentiert. Bei einem Teil davon handelte es sich um unüberprüfte Vermutungen in zeitgenössischen Berichten der amerikanischen Geheimdienste (z.B. Bankkonto für die Tantiemen für Hitlers «Mein Kampf»). Der grösste Teil betraf aber Tatbestände, welche bereits vor Jahrzehnten im schweizerischen Parlament diskutiert worden waren (z.B. Washingtoner Abkommen, nachrichtenlose Konten und diesbezüglicher Vertrag mit Polen) und oft auch nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen untersucht, sondern auch in den Massenmedien dargestellt worden waren (Flüchtlingspolitik, Goldhandel der Nationalbank) und zum Teil sogar Eingang in die schweizerischen Schulbücher gefunden hatten. Dies gilt zum Beispiel auch für den vom britischen Aussenministerium im September veröffentlichten Bericht über das von den Nazis vor allem bei den Nationalbanken eroberter Staaten geraubte Gold, dessen Kauf durch die Nationalbanken der Schweiz und anderer neutraler Staaten sowie dessen teilweise Auslieferung an die Siegermächte nach dem Krieg. Verwirrung stiftete dieser Bericht allerdings insofern, als darin US-Dollars mit Schweizer Franken verwechselt worden waren. Die in den Washingtoner Verhandlungen von 1946 von einem schweizerischen Delegationsmitglied genannte Summe von CHF 550 Mio., von der die Schweiz gemäss dem Washingtoner Abkommen rund die Hälfte an die Alliierten abtrat, wurde dadurch auf USD 550 Mio. oder CHF 2.2 Mia. vergrössert. Dies führte vor allem in den britischen Medien zu neuen Anschuldigungen, dass die Schweiz nach dem Krieg die Alliierten belogen habe und immer noch grosse Mengen (CHF 1.7 Mia. in damaligem oder CHF 7 Mia. in heutigem Wert) von geraubtem Gold horte. Gestützt auf diese Information verlangte Senator D'Amato erfolglos vom US-Aussenminister Warren, Druck auf die Schweiz zur Neuaushandlung des Washingtoner Vertrags von 1946 auszuüben. Das englische Aussenministerium musste später seine Verwechslung eingestehen.

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In New York reichten im Oktober Rechtsanwälte im Namen von Überlebenden des Holocaust eine Gemeinschaftsklage (sogenannte class action) mit einer Schadenersatzklage von USD 20 Mia. gegen die Gesamtheit der Schweizer Banken ein. Die Anklage lautet auf Unterschlagung von Guthaben von Holocaust–Opfern und Mittäterschaft bei den Raubzügen der deutschen Nazis. Kurz darauf doppelte ein zweites Anwaltsteam mit einer identischen Klage gegen die drei schweizerischen Grossbanken vor demselben Gericht nach. Einer der beteiligten Anwälte rief Ende November in New York zu einem Boykott der Schweizer Banken auf, der bis zum Abschluss der angestrengten Prozesse dauern soll. Der Jüdische Weltkongress (WJC) stellte sich nicht hinter diesen Aufruf; er gab lediglich bekannt, dass er sich Massnahmen vorbehalte, um Druck auf die Banken auszuüben.

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Im April tauchte erstmals die Idee eines Fonds auf. Vertreten wurde sie von dem auf die Erforschung der Geschichte der Juden in der Schweiz spezialisierten Berner Historiker Jacques Picard. Er begründete seinen Vorschlag damit, dass es nach mehr als 50 Jahren unmöglich sein werde, alle individuellen Ansprüche befriedigend abzuklären. Deshalb solle zusätzlich auch ein substantieller Kollektivfonds eingerichtet werden, aus dem arme jüdische Gemeinden in Osteuropa, bedürftige Nachkommen von Holocaust-Opfern, aber auch Erinnerungsstätten und Forschungsinstitute zum Antisemitismus unterstützt werden könnten. Später nahm der Schweizerische Israelitische Gemeindebund diese Idee auf und präzisierte, dass diese Stiftung einerseits aus definitiv erbenlosen nachrichtenlosen Vermögen und andererseits aus den Gewinnen, welche die Nationalbank aus dem Goldgeschäft mit den Nazis erzielt hatte, gespiesen werden sollte. Im November forderte der englische Labour–Abgeordnete Granville Janner – der ebenfalls eine jüdische Organisation vertritt – die Schweiz auf, nicht bis zum Vorliegen des Berichts der Historikerkommission zuzuwarten, sondern als Zeichen der Wiedergutmachung rasch einen Fonds zur Entschädigung von Nazi–Opfern einzurichten. Am Rande eines Hearings vor dem Bankenausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses im Dezember tauchte die Idee eines Fonds – wie bei Janner mit dem spezifischen Zweck der Entschädigung von Holocaust–Opfern – erneut auf. Der Vorsitzende des WJC, Edgar Bronfman, und Senator D'Amato regten an, dass die Schweiz mit der Einrichtung eines solchen Fonds ein Zeichen für ihren guten Willen setzen könnte. In Gesprächen angetönt wurde dabei eine Summe von USD 250 Mio. Ein Postulat der freisinnigen Nationalrätin Nabholz (ZH) nahm die Idee eines Fonds auf und schlug vor, ihn aus den nicht beanspruchten nachrichtenlosen Vermögen zu bilden. Der Bundesrat gab bekannt, dass er – zumindest in naher Zukunft – auf diese Forderung nicht eintreten wolle und es für besser halte, zuerst Forschungsergebnisse der eingesetzten Expertenkommission abzuwarten. Bundespräsident Delamuraz bestätigte diese Haltung in einem Zeitungsinterview zum Jahresende und bezeichnete die diesbezüglichen Forderungen der amerikanischen jüdischen Organisationen als Erpressung und Lösegeldforderung.

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Im Anschluss an ein Hearing zu dieser Frage vor dem von Alfonse D'Amato präsidierten Bankenausschuss des amerikanischen Senats einigten sich die Schweizerische Bankiervereinigung, die World Jewish Restitution Organization (WJRO) und der World Jewish Congress (WJC) – letzterer hatte die Banken zuvor wegen ihres «einseitigen» Vorprellens bei der Suche nach nachrichtenlosen Konten heftig kritisiert –, auf ein gemeinsames Vorgehen. In einem am 2. Mai unterzeichneten «Memorandum of Understanding» beschlossen sie die Einsetzung eines paritätisch zusammengesetzten unabhängigen Komitees zur Abklärung von nachrichtenlosen Vermögenswerten bei Schweizer Banken. Zum Vorsitzenden wurde Paul A. Volcker, ehemaliger Präsident des US–Federal–Reserve–Board, gewählt. Dabei wurde auch ausgemacht, dass dieses Komitee internationale Revisionsfirmen beauftragen wird, das von der Bankiervereinigung auf den 1. Januar eingeführte neue System zur Suche nach nachrichtenlosen Konten zu kontrollieren. Diese Revisionsfirmen wurden im November bestimmt. Die Eidg. Bankenkommission gab ihrerseits die Anweisung, dass die bankengesetzlich vorgeschriebenen Revisionsstellen überprüfen müssen, ob die Banken das neue Suchsystem korrekt anwenden. Der Nationalrat beauftragte den Bundesrat, ihm jährlich über den Stand dieser Ermittlungen Bericht zu erstatten. Im erwähnten «Memorandum of Understanding» ersuchten die beteiligten Parteien zudem den Bundesrat, abzuklären, ob Vermögenswerte, welche Holocaust–Opfern geraubt wurden, den Weg in die Schweiz gefunden haben. Der Bundesrat sicherte seine Mithilfe bei der Abklärung dieser Frage zu.

Dossier: Nachrichtenlose Konten von Naziopfern auf Schweizer Banken

Die Forderung von jüdischen Organisationen, dem Vorsitzenden des Bankenausschusses des US-Senats, D'Amato, und auch von der amerikanischen Regierung nach Aufklärung über allfällige Vermögenswerte von Nazi-Opfern bei Schweizer Banken intensivierte sich und erfuhr gleichzeitig eine Ausweitung auf sämtliche Finanztransaktionen vor, während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Immerhin stand die Schweiz nicht mehr ganz allein im Kreuzfeuer der Kritik, da die interessierten Organisationen und Personen ankündigten, dass sie ihre Suche nach verschwundenen Guthaben auch auf andere Staaten (namentlich Norwegen, Schweden und Frankreich) ausdehnen wollten. Englische und amerikanische Medien konzentrierten aber ihre massiven Angriffe weiterhin auf die Schweiz. Einige gingen so weit, sie als Nation von damals wie heute skrupellosen und uneinsichtigen Kriegsprofiteuren, ja sogar als verkappte Verbündete der deutschen Nazis zu charakterisieren. Um der schweizerischen Position im publizistischen Trommelfeuer aus den USA und Grossbritannien einigermassen Gehör zu verschaffen, aber auch um das direkte Gespräch mit den Protagonisten zu suchen, ernannte Bundesrat Cotti Ende Oktober den Diplomaten Thomas Borer zum Leiter einer speziellen Task-Force. Borer vertrat die Schweiz denn auch an einem Hearing vor dem Bankenausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses im Dezember, an welchem Senator D'Amato die Schweiz im allgemeinen und die im Jahresverlauf beschlossenen Massnahmen zur Abklärung von Vorwürfen und Klagen im speziellen wieder massiv angriff und, gemeinsam mit Kongressabgeordneten und dem World Jewish Congress (WJC), die Kooperationsbereitschaft der Schweiz und ihrer Banken in Zweifel zog.

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Der Nationalrat verabschiedete den Bundesbeschluss in der Herbstsession ohne Gegenstimme. Von allen Fraktionen wurde die Notwendigkeit einer lückenlosen Aufklärung der Vergangenheit betont. Eine solche liege – namentlich nach den zum Teil sehr undifferenzierten Anschuldigungen aus den USA und Grossbritannien – sowohl im Interesse des Landes als auch der Banken und der übrigen Wirtschaft. Während Rechsteiner (SG) als Sprecher der SP–Fraktion den Druck aus dem Ausland vorbehaltlos begrüsste, machte der Sprecher der FDP (Suter, BE), darauf aufmerksam, dass dahinter auch ganz konkrete Wirtschaftsinteressen des New Yorker bzw. Londoner Finanzplatzes gegen die im Rahmen der Globalisierung verstärkte Konkurrenz aus der Schweiz stecken dürften. Diese Kontroverse tauchte auch in den Fraktionserklärungen vor der Schlussabstimmung noch einmal auf, als Rechsteiner diesen Beschluss als Startpunkt für eine Debatte über den aktuellen Finanzplatz Schweiz bezeichnete. Dieser Verweis der SP auf Gegenwartsprobleme wurde – mit Hinweis auf den Streit um die Vermögen des philippinischen Ex–Staatschefs Marcos und des zairischen Präsidenten Mobutu – übrigens auch in der Eintretensdebatte im Ständerat von Plattner (sp, BS) und den CVP-Vertretern Schmid (AI) und Frick (SZ) gemacht. Nationalrat Ziegler (sp, GE) reichte unmittelbar nach der Debatte eine Motion für die Aufhebung der staatlich sanktionierten Verschwiegenheitspflicht der Bankangestellten (sogenanntes Bankgeheimnis) ein.

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Im Ständerat war Eintreten ebenfalls unbestritten. Sämtliche Redner betonten die innen– und aussenpolitische Notwendigkeit einer gründlichen Aufklärung auch der negativen Aspekte der schweizerischen Politik im 2. Weltkrieg. Einige Sprecher nutzten die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass die oft diffamierenden Attacken gegen die Schweiz wohl weniger massiv ausgefallen wären, wenn diese besser in internationale Organisationen (namentlich UNO und EU) integriert wäre (so etwa die CVP–Vertreter Cottier (FR) und Gemperli (SG)). Der Rat stimmte dem Beschluss ebenfalls einstimmig zu, nahm in der Detailberatung aber einige Änderungen vor. Die wichtigste betraf die Anonymisierung von Personendaten im Bericht, wenn überwiegende Interessen lebender Personen betroffen sind. Auf Antrag der Kommissionsmehrheit beschloss der Rat, dass der Entscheid des Bundesrates über die Anonymisierung vor einem Richter einklagbar sein müsse, wie es Art. 6 der Menschenrechtskonvention verlangt. Für den Nationalrat war diese Argumentation jedoch nicht überzeugend, da es ja nicht um eine rechtliche Untersuchung gehe, sondern um einen historischen Bericht. Er befürchtete insbesondere, dass mit diesem ausgebauten Persönlichkeitsschutz versucht werden könnte, die Veröffentlichung des Berichtes mit Gerichtsverfahren ungebührlich in die Länge zu ziehen. Aus dem gleichem Grund fügte er auch noch die explizite Bestimmung ein, dass das Bundesgesetz über den Datenschutz – welches Betroffenen unter Umständen ein Einsichtsrecht vor der Publikation hätte einräumen können – nicht anwendbar ist. Diese Entscheide wurden schliesslich auch von der kleinen Kammer übernommen. Der Beschluss wurde für dringlich erklärt und am 13. Dezember von beiden Räten einstimmig verabschiedet. Am 19. Dezember ernannte der Bundesrat die von Jean-François Bergier geleitete neunköpfige internationale Expertenkommission (5 Schweizer, 4 Ausländer), welche acht Historiker und einen Juristen umfasst.

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Grundsätzlich gilt es, in der Diskussion drei Arten von Vermögenswerten auseinanderzuhalten: Die von Deutschland in den eroberten Staaten (insbesondere Belgien und Holland) beschlagnahmten Goldreserven der Nationalbanken (sogenanntes Raubgold), die von Deutschland oder den nationalsozialistischen Organisationen geraubten oder unter Zwang angeeigneten Vermögenswerte der Opfer des Holocaust (Raubgut) und die bei den Banken deponierten Guthaben von Holocaust-Opfern (nachrichtenlose Konten).

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Die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) gab der Tätigkeit der Treuhandfirmen, welche das von Paul A. Volcker präsidierte unabhängige Komitee zur Abklärung von nachrichtenlosen Vermögen bei Schweizer Banken eingesetzt hatte, eine klare rechtliche Grundlage. Sie beschloss, diese Kontrollen als ausserordentliche Revision zu deklarieren. Damit erhielten diese Firmen freien Zugang zu allen relevanten Akten, sind aber dem Bankgeheimnis unterstellt. Die EBK sicherte sich damit selbst Zugang zu den Revisionsberichten und kann bei nichtkooperativen Banken die Aktenoffenlegung erzwingen.

Dossier: Nachrichtenlose Konten von Naziopfern auf Schweizer Banken

Eine Motion der FDP–Fraktion kümmerte sich um die Verwendung der im Rahmen der Suchaktion des Volcker–Komitees eruierten Vermögen. Sie schlug vor, dass diese bei Wahrung der individuellen Ansprüche der Berechtigten in einen Fonds des Bundes eingelegt werden sollen. Die nicht an Berechtigte auszahlbaren Gelder sollen humanitären Organisationen, deren Tätigkeit im Zusammenhang mit Nazi–Opfern steht, zugute kommen. Unter Verweis auf den im Februar auf Initiative der Grossbanken ins Leben gerufenen «humanitären Fonds für die Opfer des Holocaust», in den diese Gelder eventuell einfliessen könnten, beantragte der Bundesrat die Umwandlung in ein Postulat. Der Nationalrat folgte diesem Antrag.

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Anfangs Jahr kündigten die schweizerischen Grossbanken an, dass sie einen «humanitären Fonds für die Opfer des Holocaust» schaffen wollen und dafür CHF 100 Mio. auf ein Sperrkonto bei der Nationalbank einzahlen werden. Der Bundesrat verabschiedete am 27. Februar eine in Zusammenarbeit mit den Gebern und den Vertretern der Empfänger (d.h. den jüdischen Organisationen) ausgearbeitete Verordnung, welche er auf den 1. März in Kraft setzte. Diese regelt die Zusammensetzung der Fondsleitung, die Aufsicht und die Verwendung der Gelder. Der Fondsleitung gehören vier schweizerische und drei von der World Jewish Restitution Organization vorgeschlagene ausländische Mitglieder an, darunter auch der Präsident des Jüdischen Weltkongresses WJC, Edgar Bronfman, der sich als einer der unversöhnlichsten Kritiker der Schweiz profiliert hatte. Vorsitzender ist der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, Rolf Bloch.

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An diesem Hilfsfonds beteiligte sich – neben Banken, Industrie und Versicherungen – auch die Nationalbank mit einer Einlage von 100 Mio Fr. Der Betrag basiert auf der Annahme, dass die Nationalbank während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Goldgeschäften einen Gewinn von rund 20 Mio Fr. erzielt hat; gemessen an der seitherigen Entwicklung des Goldpreises entspricht dies rund 100 Mio Fr. Die Leitung der SNB betonte, dass dieser freiwillige Beitrag Ausdruck des Mitgefühls mit den Opfern des Holocaust sei. Er dürfe aber keinesfalls als Schuldanerkennung gewertet werden. Der Bundesrat hatte im Einvernehmen mit der Nationalbankleitung beschlossen, diese Zahlung vom Parlament in einem besonderen Bundesbeschluss absegnen zu lassen. Der Nationalrat stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass der vom Bundesrat gewünschte Beschluss nicht in seine Kompetenz falle. Die Nationalbank solle selbst über die Massnahmen entscheiden, welche sie für die Wiederherstellung ihres guten Rufs erforderlich findet. Kommissionssprecher Suter (fdp, BE) gab zudem zu bedenken, dass ein derartiger dem Referendum unterstellter Beschluss zu unerwünschten Verzögerungen bei der Auszahlung der Gelder an betagte und hilfsbedürftige Holocaust–Überlebende führen könnte. Obwohl die Rechtsprofessoren Zimmerli (svp, BE) und Rhinow (fdp, BL) die Ansicht des Bundesrates verteidigten, dass es für diese Zahlung einer besonderen Rechtsgrundlage bedürfe, schloss sich der Ständerat dem Nichteintretensbeschluss der grossen Kammer an. Nachdem am 30. Oktober der Bankrat der SNB die Einlage bewilligt hatte, konnte der Vorsitzende des Fonds, Rolf Bloch, bekanntgeben, dass dieser mit Zinsen auf CHF 272 Mio. angewachsen war. Die drei Grossbanken hatten gleich wie die Nationalbank CHF 100 Mio. gespendet, die übrigen Banken 20 Mio und die Industrie und die Versicherungen je CHF 25 Mio.

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Die Banken setzten ihre Bemühungen zur Auffindung von Erbberechtigten von nachrichtenlosen Konten fort. In einem Zwischenbericht gab der seit Anfang 1996 als zentrale Kontakt– und Auskunftstelle fungierende Bankenombudsmann bekannt, dass sich bis zum 2. Juni 1997 5'000 Anfrager an seine Stelle gewandt und knapp 2'400 das ausgefüllte Suchformular eingeschickt hatten, rund ein Drittel davon aus den USA. In 28 Fällen konnten die Banken aufgrund dieser Informationen nachrichtenlose Konten mit einem Gesamtbetrag von CHF 17 Mio. zuordnen. Neun davon, im Wert von CHF 10 Mio., betrafen jüdische Opfer.

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Auf Einladung von Hevesi diskutierten anfangs Dezember in New York mehrere hundert Finanzbeamte von Kommunen und staatlichen Pensionskassen über Massnahmen gegen Schweizer Banken. Nicht zuletzt auf Anraten des Jüdischen Weltkongresses (WJC) empfahl Hevesi, alle Boykottmassnahmen für drei Monate zu suspendieren. Diese Aktionen hatten zwar für die Banken bisher nur geringe finanzielle Auswirkungen, wirkten sich aber imageschädigend aus. Die US–Behörden sicherten der Schweiz zu, abzuklären, ob sich diese Massnahmen regionaler Behörden mit den Bestimmungen der WTO über die nichtdiskriminierende Submission von öffentlichen Aufträgen vereinbaren lassen; auch das Bundesamt für Aussenwirtschaft unternahm diesbezügliche Abklärungen. Der Bundesrat selbst gab bekannt, dass er einstweilen nicht die WTO–Behörden anrufen, sondern bilateral bei der US–Regierung intervenieren werde. In seiner Antwort auf eine Interpellation Tschuppert (fdp, LU) lehnte er den als Gegenmassnahme vorgeschlagenen Verzicht auf Rüstungskäufe in den USA ab.

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Um derartigen Missverständnissen zu begegnen, machten die Banken vor der am 29. Oktober erfolgten Publikation der nächsten Listen weltweit in 120 Zeitungen in grossen Anzeigen auf ihre bisher unternommenen Anstrengungen aufmerksam. Eine dieser neuen Listen enthielt die in der ersten Liste nicht berücksichtigten Sparhefte von Ausländern (rund 3'700 Namen mit Vermögen von rund CHF 6 Mio.), eine zweite alle Vermögenswerte von Schweizern sowie von Personen, bei denen bei der Kontoeröffnung der Wohnort nicht bekannt war. Diese zweite Liste war bei weitem die umfangreichste, umfasste sie doch etwa 10'000 Namen mit Guthaben von insgesamt rund CHF 12 Mio. Zwar ermittelt, aber nicht in diesem letzten Verzeichnis publiziert wurden die Namen von rund 64'000 Schweizer Kontoinhabern mit Guthaben von weniger als CHF 100 Die in den Listen publizierten Konten enthielten meist nur Kleinbeträge; insgesamt waren es rund CHF 80 Mio.

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Um die Suche nach Erbberechtigten voranzutreiben, ergriffen die Banken zusätzliche, recht spektakuläre Massnahmen. In mehrseitigen Zeitungsinseraten veröffentlichten sie weltweit mehrere Listen mit Namen von Inhabern von nachrichtenlosen Bankeinlagen. Es handelte sich dabei um Konten, Depots oder Sparhefte, welche vor dem Ende des 2. Weltkriegs eröffnet worden waren, und deren Besitzer oder Rechtsnachfolger sich seit diesem Zeitpunkt nicht mehr gemeldet haben. Eine erste, am 23. Juli publizierte Liste betraf ausländische Kunden. Sie enthielt 1'872 Namen von Ausländern, denen Konten und Wertschriftendepots mit Guthaben von rund CHF 61 Mio. gehören; rund 90 Prozent dieses Wertes entfallen auf die zehn grössten Konten. Bei einigen datierten die letzten Kundenkontakte aus dem letzten Jahrhundert. Gleichzeitig richteten die Banken Auskunftstellen ein, wo Interessierte nähere Angaben erhielten oder Formulare zur Einreichung von Ansprüchen beziehen konnten. Unangenehm für die Banken war, dass der angegebene Betrag um gut CHF 20 Mio. höher lag als die Summe, die sie eineinhalb Jahre zuvor angegeben hatten. Verantwortlich dafür war hauptsächlich eine Grossbank, welche die zusätzlichen Funde mit Problemen in der Datenverarbeitungsanlage begründete. Gemäss ersten Durchsichten enthält diese Liste nur einen kleinen Teil an Personen mit jüdischen Namen, wovon zudem nur wenige ihren Wohnsitz in Osteuropa hatten. Hingegen fanden sich in den Listen auch einige Kuriositäten, welche als Nachweis für den sorgsamen Umgang der Banken mit den anvertrauten Geldern angesehen werden können. So etwa ein Konto auf einen Betrag von CHF 12.80, das der russische Revolutionär Lenin 1917 anlässlich seines Zürcher Aufenthalts angelegt und offenbar nie aufgelöst hatte. Trotzdem fiel die Reaktion eines Teils der Weltöffentlichkeit zu dieser Aktion sehr negativ aus. Ein Grund dafür war, dass einige Kommentatoren irrtümlicherweise davon ausgingen, dass es sich bei den fast 2'000 Namen um Holocaustopfer handelte, deren Konten bisher von den Banken verschwiegen worden seien.

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Trotz der Gründung eines humanitären Fonds und den Bemühungen zur Auffindung von Erbberechtigten von Konten liessen sich einige amerikanische Behörden nicht von ihren Boykottplänen gegen schweizerische Banken abbringen. US–Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat, die amerikanische Botschafterin in der Schweiz, Madeleine Kunin, und andere Vertreter des US–Aussenministeriums rieten mehrmals von derartigen Massnahmen ab. Namentlich Eizenstat betonte, dass diese angesichts der von den Schweizer Behörden und den Banken unternommenen Anstrengungen nicht nur überflüssig, sondern auch kontraproduktiv seien. Anfangs Februar beschloss der Bundesstaat New York, keine kurzfristigen Finanzanlagen mehr über Schweizer Banken abzuwickeln; dieser Beschluss wurde allerdings nach der Schaffung des humanitären Fonds wieder rückgängig gemacht. Im Herbst schloss der ranghöchste Finanzbeamte der Stadt New York, Alan Hevesi, die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) von einem Bankenkonsortium zur Zeichnung einer städtischen Anleihe aus. Hevesi begründete seinen Entscheid mit der unkooperativen Haltung der SBG bei der Suche nach nachrichtenlosen Vermögen, welche sich insbesondere bei der durch Meili aufgedeckten Aktenzerstörung manifestiert habe. Mit denselben Argumenten beschloss kurz darauf auch der Bundesstaat Massachusetts, die SGB zu boykottieren. Bereits zu Jahresbeginn hatte ein Parlamentarier der Stadt New York beantragt, die dort ansässigen Schweizer Banken bei der Vermögensverwaltung nicht mehr zu berücksichtigen, bis die Schweizer Regierung einen Fonds für Holocaust–Opfer gebildet habe. Im Oktober gab der höchste Finanzbeamte (Schatzmeister) des Bundesstaates Kalifornien, Matt Fong, bekannt, dass er die Geschäfte mit schweizerischen Banken seit dem Sommer schrittweise abgebaut habe und diese Banken solange boykottieren werde, bis sie vollständige Transparenz über die nachrichtenlosen Vermögen geschaffen hätten. Kurz nach dieser Bekanntgabe schlossen sich die Finanzchefs der Staaten New York und Illinois diesem Boykott an. Im Dezember suspendierte Fong diese Massnahme für drei Monate.

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Zu den im Vorjahr in New York eingereichten Sammelklagen im Namen von Holocaust–Opfern gegen Schweizer Banken gesellte sich im Januar eine dritte, die im Namen des World Council of Orthodox Jewish Communities deponiert wurde. Ihre Forderung bezieht sich vor allem auf Vermögenswerte von jüdischen Gemeinden, welche von den Deutschen während des Kriegs beschlagnahmt und nach Ansicht der Kläger bei schweizerischen Banken deponiert worden waren. Der New Yorker Bundesbezirksrichter Edward Korman verfügte im April, dass die drei Sammelklagen zusammen zu behandeln seien; die an den Klagen beteiligten Anwälte reichten im Juli neue Klageschriften ein, die sich nur noch auf die drei schweizerischen Grossbanken bezogen. Ende Juli führte Korman ein erstes Hearing zu den Klagen durch. Er fällte dabei noch keinen Entscheid über die Frage der Zuständigkeit. Gegen Jahresende lancierte Elan Steinberg vom Jüdischen Weltkongress (WJC) die Idee, die Sammelklagen mit einer globalen Vergleichszahlung der Banken in einen Opferfonds für Überlebende des Holocaust und ihre Nachkommen zu beenden. Die Klägeranwälte sprachen sich freilich dagegen aus und wiesen darauf hin, dass der WJC nicht an den Sammelklagen beteiligt ist.

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Am 18. März debattierte der Nationalrat über die nachrichtenlosen Guthaben. Anlass dazu bot eine Reihe von parlamentarischen Vorstössen. Mit einem vom Nationalrat überwiesenen Postulat verlangte die Freisinnige Nabholz (ZH) gesetzgeberische Massnahmen, um in Zukunft zu verhindern, dass nachrichtenlose Konten während Jahrzehnten bei den Banken bleiben. Gemäss Nabholz könnte nach dem Beispiel anderer Länder nach einer bestimmten Frist eine Übergabe der Vermögen und der dazugehörenden Akten an den Staat vorgeschrieben werden. Ansprüche wären dann nicht mehr an die Banken, sondern an den Staat zu richten. Die zuständige Bundesstelle hätte nach Berechtigten zu suchen, und nach einer festgelegten Zeitspanne würden die nicht eingeforderten Vermögen an den Staat fallen. Der Ständerat überwies ebenfalls in der Frühlingssession eine Motion Plattner (Mo. 96.3610) (sp, BS) mit ähnlichem Inhalt wie das Postulat Nabholz (Po. 96.3574), welche dann auch im Nationalrat Zustimmung fand. Der Unterschied zum Postulat Nabholz besteht darin, dass erstens die Motion nicht nur Bankeinlagen, sondern auch bei anderen Treuhändern deponierte Vermögen betrifft, und zweitens diese nicht an eine Bundesstelle abgeliefert, sondern dort nur gemeldet werden sollen. Etwas weniger weit ging Rechsteiner (sp, SG), der mit einer von beiden Räten überwiesenen Motion lediglich eine Meldepflicht für während einer längeren Zeit nachrichtenlos gebliebene Guthaben einführen wollte, ohne den Staat aber zu Nachforschungen zu verpflichten. Bundesrat Villiger kündigte im Herbst vor dem Ständerat an, dass der Bundesrat das EJPD beauftragt habe, eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten. In einer später eingereichten und in der Herbstsession vom Nationalrat überwiesenen Motion forderte Rechsteiner den Bundesrat in allgemeiner Form auf, neue Rechtsgrundlagen für die Behandlung nachrichtenloser Vermögenswerte vorzuschlagen.

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Anfang Juli beschloss die Kommission, eine erste Tranche von CHF 17 Mio. für bedürftige Holocaust-Überlebende und ihre Nachkommen in Osteuropa freizugeben. Nachdem die jüdischen Organisationen eine provisorische Liste mit den Namen von 28'000 bedürftigen Holocaust-Opfern aus Osteuropa eingereicht hatten, konnten die ersten Auszahlungen am 18. November in Riga (Lettland) vorgenommen werden. Vier Personen erhielten je einen Check über USD 400, weitere USD 600 soll diesen betagten Überlebenden des Holocaust, die bisher vergeblich für die Ausrichtung einer Rente durch Deutschland gekämpft hatten, später ausbezahlt werden. Im Dezember erhielten auch die ersten nichtjüdischen Überlebenden aus deutschen Konzentrationslagern Geld aus dem Fonds. Es handelte sich dabei um Albaner, die aus politischen Gründen von den Nazis verfolgt und von Deutschland bisher ebenfalls nicht entschädigt worden waren.

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In seiner Antwort auf Interpellationen der freisinnigen Fraktion im Nationalrat resp. von Beerli (Ip. 98.3116) (fdp, BE) und Marty (fdp, TI) im Ständerat nahm der Bundesrat im Frühjahr zu den Boykottdrohungen amerikanischer Finanzbehörden gegen Schweizer Banken und andere Unternehmen Stellung. Er wies darauf hin, dass er in einer gemeinsamen Erklärung mit der US-Regierung vom 26. März die Drohungen als ungerechtfertigt und kontraproduktiv verurteilt hatte. Er stellte im weiteren fest, dass sowohl seine Vertreter als auch die US-Regierung die betreffenden amerikanischen Gemeinden und Gliedstaaten über die WTO-Widrigkeit ihrer Sanktionsdrohungen unterrichtet hätten. Da diese das Ende 1997 ausgesprochene Moratorium am 26. März – nach einer Erklärung der Grossbanken, unter Umständen einer Globalentschädigung zuzustimmen – stillschweigend erneuert hätten, verzichte er aber vorläufig auf eine Klage bei der WTO. Die von der FDP angeregten Gegenmassnahmen gegen US-Firmen für den Fall, dass die Boykottdrohungen realisiert würden, lehnte er jedoch als untaugliche Mittel zur Durchsetzung politischer Anliegen ab.

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Bereits im Frühjahr, als sich ein Globalabkommen zwischen den jüdischen Organisationen und den Sammelklägern einerseits und den Schweizer Grossbanken andererseits abzuzeichnen begann, hatten Bundesrat und Nationalbank erklärt, dass sie, entgegen den Forderungen der amerikanischen Kläger, keine Veranlassung sähen, sich an diesem Abkommen zu beteiligen. Erste konkretere Verhandlungen über diese Globalentschädigung – an denen spätestens ab Juli auch US-Unterstaatssekretär Eizenstat mitwirkte – fanden im April statt. Im Juni machten die Banken ein erstes Angebot von USD 600 Mio. publik, das von den jüdischen Organisationen sogleich als absolut ungenügend zurückgewiesen wurde. Diese forderten eine Summe USD 1.5 Mia. und gaben zu verstehen, dass damit für sie auch die «moralische Schuld» der Schweiz und der Nationalbank getilgt wären.

Dossier: Nachrichtenlose Konten von Naziopfern auf Schweizer Banken

Ganz auf Eis gelegt waren die Boykotte allerdings nicht. Im Mai beschloss das Parlament des US-Staates New Jersey ein Gesetz, das die staatlichen Behörden zu einem Boykott schweizerischer Banken verpflichtet; die ursprünglich geplanten Sperren gegen andere schweizerische Unternehmen wurden hingegen fallengelassen (der Senat als Zweitkammer brauchte wegen des Abschlusses einer Globallösung im August das Gesetz nicht mehr zu beraten). Anfangs Juli, als die Verhandlungen mit den Banken über eine Globallösung ins Stocken gerieten, sprach sich der vom New Yorker Finanzchef Alan Hevesi formierte Ausschuss für eine Aufhebung des Moratoriums aus und gab damit den staatlichen Behörden freie Hand für die Ergreifung von Boykottmassnahmen. Unmittelbar nach diesem Entscheid gaben weitere Finanzchefs von Bundesstaaten und Gemeinden ihre Boykottpläne bekannt, die bis zum Abschluss einer Vereinbarung stufenweise gesteigert werden sollten und z.B. im Falle der Stadt New York auf alle schweizerischen Firmen ausgedehnt worden wären. Bundespräsident Cotti forderte darauf US-Präsidenten Clinton in einem „persönlichen Brief“ auf, sich gegen diese angedrohten Massnahmen einzusetzen.

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Als sich die beiden Seiten bei weiteren Verhandlungen anfangs Juli nicht einigen konnten, erhöhte die amerikanische Seite den Druck mit der oben dargestellten Wiederbelebung der Boykottdrohungen. Die Banken blieben vorerst bei ihrem Angebot und die Verhandlungen gingen, begleitet von viel an das breite Publikum gerichtete Rhetorik und Polemik von seiten der amerikanischen Organisationen und Anwälte weiter. Nach zähen Verhandlungen unter dem Vorsitz von Edward Korman, des für die Sammelklagen gegen die UBS (als Nachfolgerin des SBV und der SGB) und die Crédit Suisse zuständigen New Yorker Richters, kam es am 12. August zu einer Einigung. Die Beteiligten unterzeichneten ein Abkommen, welches die beiden Grossbanken zur Bezahlung von USD 1.32 Mia. in vier über drei Jahre verteilte Raten verpflichtet. Diese Summe setzt sich zusammen aus einer Pauschalzahlung von 850 Mio. (wobei die Banken auf Solidaritätsbeiträge der Schweizer Industrie hoffen) und die bereits geleistete Einlage in den Spezialfonds für Holocaustopfer (70 Mio.). Eingeschlossen sind aber auch die Gelder, die im Rahmen der Suchaktion des Volker-Komitees (siehe oben) aufgespürt werden. Dieser Betrag wird inkl. Zinsen und Entschädigungen auf rund USD 400 Mio. geschätzt. Explizit eingeschlossen in diesem Vergleich der Banken mit den jüdischen Organisationen und den Anwälten der Sammelkläger sind sämtliche Forderungen gegenüber den Schweizer Behörden, der Nationalbank und der Wirtschaft mit Ausnahme der Versicherungsgesellschaften. Ebenfalls in diesem Betrag enthalten sind sämtliche Anwaltskosten der Kläger.

Dossier: Nachrichtenlose Konten von Naziopfern auf Schweizer Banken

Den Vorschlag der Grossbanken, dass sich neben der Industrie auch die Nationalbank an der Globalentschädigung beteiligen solle, lehnte nicht nur diese, sondern auch sämtliche politischen Parteien kategorisch ab. Parlamentarier der SP und der Grünen regten im Nationalrat mit Interpellationen an, es den Banken zu verbieten, die Auslagen für diese Globallösung von ihrem steuerbaren Reingewinn abzuziehen. Der Bundesrat lehnte dieses Ansinnen als illegal und auch von der Sache her nicht gerechtfertigt ab.

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Gemäss einem Bundesbeschluss von 1962 hatten schweizerische Vermögensverwalter Konten zu melden, die seit Kriegsende nachrichtenlos geblieben waren und bei denen man aufgrund der Namen und des Wohnorts vermuten konnte, dass ihre Inhaber während des 2. Weltkriegs Opfer rassistischer, politischer oder anderer Verfolgung geworden waren. Für einen Teil der aufgrund dieses Beschlusses ermittelten Vermögen konnten damals keine Anspruchsberechtigten gefunden werden. Dieser Rest von rund CHF 3 Mio. war in den siebziger Jahren an den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund und an die Schweizerische Zentralstelle für Flüchtlingshilfe überwiesen worden. Da in jener Zeit die Suche nach Berechtigten nicht sehr intensiv vorgenommen worden war (im kommunistischen Mittel- und Osteuropa verzichtet man gar auf Nachforschungen, um eventuelle Erben nicht Repressalien auszusetzen), beschloss der Bundesrat jetzt, heute noch eruierbare Berechtigte zu entschädigen. Er publizierte dazu eine Liste mit den Namen und Adressen der seinerzeit nicht ermittelten Konteninhaber und richtete Informations- und Meldestellen ein.

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