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Grundlagen der Staatsordnung
Rechtsordnung
Bei der Revision der Bestimmungen des Strafgesetzbuchs betreffend strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie rückten Fragen der Diskriminierung der Frau in den Mittelpunkt. Der Ständerat stimmte zwar der rechtlichen Verfolgung von Gewaltdarstellungen und harter Pornografie zu, er weigerte sich aber, die Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand zu anerkennen.
Grundrechte
Als Zweitrat stimmte auch der Ständerat der Ratifikation der Zusatzprotokolle Nr. 6, 7 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu, wobei er sich der Meinung der Volkskammer anschloss, dass die Protokolle Nr. 6 und 7 dem fakultativen Staatsvertragsreferendum zu unterstellen seien. Ein Nichteintretensantrag des Freisinnigen Hefti (GL), für den die Unterzeichnung dieser euroäischen Grundrechtsgarantien ein nicht akzeptabler Souveränitätsverlust für die Schweiz bedeuten würde, wurde mit 27:8 Stimmen abgelehnt. Die Referendumsfrist verlief ungenutzt, da der Versuch der Nationalen Aktion scheiterte, Bündnispartner für die Unterschriftensammlung gegen das von ihr bekämpfte Protokoll Nr. 6, welches ein Verbot der Todesstrafe in Friedenszeiten beinhaltet, zu finden [1].
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Obwohl die Verbesserung des Schutzes des Individuums vor der missbräuchlichen Verwendung von persönlichen Daten durch die Verwaltung und die Wirtschaft seit längerer Zeit als dringlich eingestuft wird, schreiten die Arbeiten an einem Datenschutzgesetz nur sehr langsam voran. Die Arbeitsgruppe, die im Anschluss an die 1984 durchgeführte Vernehmlassung mit der Überarbeitung des Expertenentwurfs beauftragt worden war, reichte im Februar ihren Vorschlag beim EJPD ein. Das Ergebnis vermochte offenbar noch nicht zu überzeugen: gemäss Bundesrätin Kopp ist der Entwurf zu kompliziert ausgefallen und bedarf deshalb der verwaltungsinternen Bearbeitung. Die Veröffentlichung der Botschaft wurde auf den Sommer 1988 angekündigt [2].
Die langsame Gangart bei der Ausarbeitung von Datenschutzbestimmungen auf Bundesebene war mit ein Grund dafür, dass der Bundesrat im Berichtsjahr in einer Botschaft eine Revision des aus dem Jahre 1860 stammenden Bundesgesetzes über die eidgenössische Volkszählung beantragte. Ursprünglich war bei dieser Revision lediglich vorgesehen gewesen, dem Bundesrat die Kompetenz einzuräumen, das genaue Datum der alle zehn Jahre durchzuführenden Volkszählung festzulegen. Dahinter stand die Absicht, die für Dezember 1990 vorgesehene Volkszählung um ein Jahr vorzuziehen und damit zu gewährleisten, dass bei Beginn der Vorbereitung der Nationalratswahlen 1991 die neue Sitzzuteilung an die Kantone aufgrund der Zählungsergebnisse bekannt ist. In der 1987 durchgeführten Vernehmlassung hatten insbesondere die politischen Parteien eine umfassendere Revision verlangt und die gesetzliche Verankerung des Datenschutzes als vorrangiges Problem der Volkszählung bezeichnet. Die in der BRD gemachten Erfahrungen hatten zudem gezeigt, dass Boykottbewegungen gute Erfolgsaussichten haben und eine geplante Volkszählung verhindern können. Der Bundesrat trug diesen Forderungen und Befürchtungen Rechnung, indem er die Bestimmung aufnahm, dass die Daten nur zu statistischen Zwecken verwendet werden dürfen und alle Befrager dem Amtsgeheimnis unterstehen. Damit würde zum Beispiel die heutige Praxis, wonach Gemeinden ihre Einwohnerkontrolle mit den Volkszählungsergebnissen à jour bringen, verboten. Das Gesetz will zudem dem Bundesrat die Kompetenz zu detaillierten Ausführungsbestimmungen in bezug auf den Schutz der Volkszählungsdaten einräumen. Um eine allfällige Boykottbewegung zu verhindern, soll andererseits die Auskunftsverweigerung mit Busse geahndet werden können. In ersten Pressekommentaren wurde die Aufnahme von Datenschutzbestimmungen in das Revisionsvorhaben zwar grundsätzlich begrüsst, die Blankovollmacht für die Regierung und damit das Fehlen von präzisen Vorschriften aber als ungenügend beurteilt [3].
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Bürgerrecht und Stimmrecht
Die Ausländerorganisationen in der Schweiz bekräftigten im Vorfeld der Wahlen ihre Forderung nach der Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Ausländer, ohne damit aber ein vernehmbares Echo auszulösen. Immerhin führten Petitionen für politische Rechte der Ausländer auf Gemeindeebene in verschiedenen Zürcher Orten dazu, dass in der kantonalen SP Diskussionen über die Lancierung einer Volksinitiative stattfanden [4].
Die Integration der Jugendlichen in den politischen Prozess durch die Senkung des Stimmrechtalters auf 18 Jahre hat auf Kantonsebene deutlich schlechtere Chancen als auf Gemeindeebene. Im Berichtsjahr waren es die Thurgauer Stimmberechtigten, welche gegen Regierung und Parlament eine entsprechende Anderung des kantonalen Stimmrechts ablehnten. Demgegenüber machten in Luzern, wo 1986 das Volk mit knappem Mehr die fakultative gemeindeweise Einführung gutgeheissen hatte, innerhalb eines halben Jahres 92 von 107 Gemeinden von diesem Recht Gebrauch [5].
In Appenzell Ausserrhoden führten die Frauen ihren Kampf um die politische Gleichberechtigung unverdrossen weiter. Im Sinne einer Demonstration hielten sie parallel zur offiziellen Männerveranstaltung in Hundwil eine eigene Landsgemeinde in Trogen ab. Im Anschluss an die eidgenössischen Wahlen reichten 54 Frauen und die Kantonalsektion des Landesrings beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde dagegen ein, dass Ständerat Schoch (fdp) unter Ausschluss der Frauen gewählt worden war. Die Kantonsregierung setzte ihrerseits eine Kommission ein, welche — voraussichtlich zuhanden der Landsgemeinde von 1989 — Vorschläge für die Beseitigung der bestehenden Diskriminierungen ausarbeiten soll [6].
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Der Bundesrat legte, nach weitgehend positiven Reaktionen in der Vernehmlassung, seinen Vorschlag für die zweite Etappe der Revision des Bürgerrechtsgesetzes vor. Im wesentlichen geht es dabei um die geschlechtsneutrale Regelung des Erwerbs des Schweizer Bürgerrechts, wobei insbesondere die automatische Einbürgerung von Frauen durch Heirat abgeschafft werden soll. Gemäss dem neuen Gesetz sollen in Zukunft Frauen und Männer individuell Einbürgerungsanträge stellen können. Für Ehepaare mit gemischter Staatsbürgerschaft ist für den ausländischen Teil ein erleichtertes Verfahren vorgesehen, welches nach fünf Jahren Wohnsitz und drei Jahren Ehe eingeleitet werden kann. Komplementär zu dieser Revision beantragte die Regierung eine Anpassung des Bundesgesetzes über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern. Diese hat zum Ziel, ausländischen Personen mit schweizerischen Ehegatten eine Aufenthaltsbewilligung zu garantieren [7].
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Öffentliche Ordnung
Unter den vielen Kundgebungen, die auch in diesem Jahr wieder durchgeführt wurden, fanden die Ereignisse, welche sich im Frühjahr und im Spätherbst in der Stadt Bern abgespielt haben, besonderes Interesse. Die Organisationen der Kernkraftgegner hatten für den 25. April zu einer grossen nationalen Kundgebung zum Gedenken des zweiten Jahrestags der KKW-Katastrophe in Tschernobyl (UdSSR) aufgerufen. Gegen die von den Organisatoren vorgesehene Umzugsroute durch die Marktgasse legten die Stadtbehörden ihr Veto ein. Sie begründeten ihren Entscheid in erster Linie damit, dass dadurch der öffentliche Verkehr zur Berner Frühjahrsmesse BEA massiv beeinträchtigt würde. Als ein guter Teil der rund 10 000 Demonstranten versuchte, sich über dieses Verbot hinwegzusetzen, eskalierte die zuerst friedliche Kundgebung zur Strassenschlacht. Die Polizei, welche den Auftrag hatte, den Demonstranten den Zugang zur Marktgasse zu verwehren, setzte massiv Tränengas und Gummikugelgeschosse ein. Über den Sinn und die Verhältnismässigkeit des polizeilichen Vorgehens, das von der Stadtexkutive uneingeschränkt gedeckt wurde, entbrannten in der Folge heftige Kontroversen, die auch im Stadtparlament und vor dem Richter ausgetragen wurden. Einen besonderen Akzent erhielt die Auseinandersetzung dadurch, dass sich die sozialdemokratische Gemeinderätin Gret Haller nachträglich von ihren Regierungskollegen distanzierte. Einige Wochen später hielten die Kernenergiegegner in Bern eine weitere grosse Demonstration ab, ohne dass es zu neuen Zwischenfällen kam [8].
Gegen Jahresende war Bern erneut Schauplatz zum Teil heftiger Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Ausgangspunkt war diesmal allerdings nicht eine nationale Kundgebung, sondern ein lokales Phänomen: auf einem unbebauten Grundstück am Ufer der Aare hatte sich seit zweieinhalb Jahren eine Gruppe von mehrheitlich jugendlichen Aussenseitern niedergelassen und dort – nachdem sie vorgängig aus besetzten Häusern vertrieben worden waren – ein Zelt- und Hüttendorf aufgebaut, dem sie den Namen Zaffaraya gaben. Während die Zaffarayaner und ihre Sympathisanten darin einen wichtigen Freiraum für die Erprobung neuer Lebensformen sahen, drängten ein Teil der Öffentlichkeit und die bürgerlichen Parteien auf eine Beendigung dieses Experimentes. Die vorgebrachten Argumente richteten sich weniger gegen das Experiment an sich. Kritisiert wurde vielmehr, dass die – mehrheitlich bürgerliche – Exekutive nicht gegen die Besetzung einer städtischen Liegenschaft und die Missachtung von kantonalen Planungs- und Baugesetzen einschritt. Nach erfolglosen Verhandlungen und verschiedenen Ultimaten vollzog die Polizei am Morgen des 17. November gewaltsam die Räumung des Areals. Dies war das Fanal zu einer wahren Solidarisierungswelle mit den Zaffarayanern. Sozialarbeiter traten in den Streik und Mittelschüler blieben als Zeichen des Protests dem Unterricht fern. Auf den Strassen im Stadtzentrum fanden während Tagen Kundgebungen statt, die den Feierabendverkehr lahmlegten und immer mehr Demonstranten zu mobilisieren vermochten. Ihren Höhepunkt fand diese Protestwelle in einer Demonstration mit rund 10 000 Teilnehmenden. Obwohl keine dieser Demonstrationen bewilligt war, griff die Polizei in der Regel nicht ein und beschränkte sich auf Verkehrsumleitungen. Aber auch auf seiten der Manifestanten war das Bemühen um Gewaltlosigkeit nicht zu übersehen, so dass sich Sachbeschädigungen im Rahmen hielten. Wenn auch das Ausmass der Protestwelle überraschend war, so kam diese Neuauflage der "Bewegung" der frühen achtziger Jahre nicht ganz aus heiterem Himmel. Noch vor der Räumung des Hüttendorfs waren Personen aus der alternativen Kulturszene mit spektakulären Aktionen an die Öffentlichkeit getreten, um auf das Fehlen von geeigneten Räumen für Veranstaltungen hinzuweisen. Nach einem nicht bewilligten Fest in der alten Reithalle, welche während der Jugendbewegung als autonomes Jugendzentrum gedient hatte und dann von den Behörden geschlossen worden war, erlaubte der Gemeinderat deren provisorische Wiedereröffnung [9].
Neben diesen beiden die öffentliche Meinung polarisierenden Ereignissen traten die übrigen Demonstrationen etwas in den Hintergrund. Sie waren zwar auch in diesem Jahr zahlreich, vermochten aber nirgends mehr als 2–3 000 Personen zu mobilisieren. Hauptsächliche Themen bildeten weiterhin die Asylpolitik und die Kernenergie. In der Westschweiz gingen zudem vermehrt auch die Arbeiter auf die Strasse, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen [10].
Die Anschläge, welche im Jahr 1984 die Stadt Winterthur in Atem gehalten hatten, sind gerichtlich immer noch nicht bewältigt. Das kantonale Kassationsgericht hob das ausschliesslich auf Indizien basierende Urteil von 1986 gegen einen der beiden Hauptangeklagten wieder auf und wies den Fall zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück [11]. In den Kantonen Bern und Jura kam es im Herbst zu einer Serie von Sprengstoff- und Brandanschlägen, zu denen sich ein "Front de libération du Jura" bekannte. Wir treten auf diese Ereignisse im Zusammenhang mit der Jurafrage ein [12].
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Im Vorjahr hatte die "Wochen-Zeitung" behauptet, dass in der Stadt Zürich getarnte Polizisten (sogenannte V-Leute), die zur Überwachung von linken politischen Gruppen eingesetzt waren, selbst zu Straftaten aufgerufen und sich daran beteiligt hätten. Obwohl einer der Beschuldigten zugab, beim Legen einer Bombenattrappe vor dem Büro eines lateinamerikanischen Generalkonsuls dabei gewesen zu sein, stellte die Bezirksanwaltschaft das Verfahren wegen Amtsmissbrauch ein. Sie begründete ihren Entscheid damit, dass bei dieser Aktion der Straftatbestand der Schreckung der Bevölkerung nicht erfüllt gewesen sei, und dass der V-Mann dank seinem Mitmachen das Legen einer richtigen Bombe verhindert habe. Die Angelegenheit hatte auch ein parlamentarisches Nachspiel in den Räten von Stadt und Kanton, doch fand die Linke, unterstützt von einem Teil der Grünen, keine Mehrheiten für den Verzicht oder zumindest die parlamentarische Kontrolle des Einsatzes von V-Leuten im Bereich des Staatsschutzes [13].
Die kantonalen Polizeidirektoren kamen auf ihren Beschluss aus dem Vorjahr betreffend der Verwendung der völkerrechtlich geächteten Hohlspitzmunition zurück. Diese äusserst wirksamen, jedoch grosse Wunden verursachenden Geschosse sollen nun doch in einigen genau definierten Fällen von der Polizei eingesetzt werden dürfen [14].
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Strafrecht
Die Ständekammer behandelte als Erstrat die Revision der Bestimmungen über strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie. Sie stimmte der vom Bundesrat vorgeschlagenen Strafbarkeit der Herstellung, Einfuhr und Verbreitung von Darstellungen grausamer Handlungen und sogenannt harter Pornografie zu. Ein Antrag der Kommissionsmehrheit, das Zeigen derartiger Erzeugnisse zumindest im engen Bekanntenkreis nicht zu ahnden, blieb ohne Erfolg. Wesentlich mehr zu reden gab die Ansetzung der Schutzaltersgrenze, das heisst des Alters, von dem an Jugendliche geschlechtliche Handlungen mit anderen Personen ausüben dürfen. Gegen eine Senkung der zur Zeit auf 16 Jahre fixierten Grenze wurde ins Feld geführt, dass die Jugendlichen heute zwar die geschlechtliche Reife früher erlangen, dass aber in der Regel die geistige Reife zum selbständigen Entscheid in Sexualfragen noch nicht vorhanden sei. Für die Befürworter einer Senkung ging es primär darum, den veränderten Verhältnissen in der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Der Liberale Aubert (NE) wies in seinem befürwortenden Votum darauf hin, dass sich das Schutzalter 16 auf keine Tradition berufen könne, habe es doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in fast allen Kantonen zwischen 12 und 15 Jahren gelegen. Der Antrag des Bundesrates, die Altersgrenze auf 16 Jahren zu belassen, wurde mit 20:15 Stimmen gutgeheissen. Die Eidg. Jugendkommission hatte in diesem Zusammenhang gefordert, dass der Zweck des Schutzalters nicht eine Kriminalisierung der Jugendlichen sein dürfe, sondern dazu dienen soll, Kinder vor der sexuellen Verführung durch Erwachsene zu schützen. Der Ständerat nahm diese Argumentation auf und beschloss, dass bei Jugendlichen bis zum 20. Altersjahr von der Strafverfolgung abgesehen werden kann.
Fast noch mehr beachtet als die Schutzaltersproblematik wurde der Entscheid des Ständerats zur Frage, ob die Vergewaltigung in der Ehe weiterhin straffrei bleiben soll. Bereits der Vorschlag der Regierung, gegen den Rat der Expertenkommission an dieser Bestimmung festzuhalten, hatte zu heftigen Protesten von Frauenorganisationen geführt. Die meisten Gegner einer Änderung führten Schwierigkeiten bei der Beweisermittlung ins Feld. In einigen dieser Voten klang aber auch an, dass es hier nicht allein um eine ermittlungstechnische Frage geht, sondern grundsätzlich das Verhältnis zwischen Mann und Frau angesprochen ist. Für die weiblichen Abgeordneten war dieser grundsätzliche Charakter der Auseinandersetzung klar: unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit setzten sie sich ausnahmslos für die Strafbarkeit ein. Die Straffreiheit bedeute nichts anderes, erklärte Ständerätin Bührer (sp, SH), als dass das geltende Recht dem Mann mit dem Trauschein zugleich die sexuelle Verfügungsgewalt über seine Ehefrau zubillige. Obwohl einige Männer eingestanden, im Verlauf der Debatte ihre Meinung geändert zu haben, lehnte der Rat den Vorschlag, die Vergewaltigung in der Ehe auf Antrag zu bestrafen, mit 22:9 Stimmen deutlich ab. Immerhin stimmte die Ständekammer der Kompromissformel von Josi Meyer (cvp, LU) zu, die Vergewaltigung in getrennten Ehen als strafbar zu erklären. Die Privilegierung von Männern, welche ihre Ehefrau vergewaltigen, findet in der öffentlichen Meinung im Gegensatz zum Ständerat wenig Verständnis. Eine Umfrage ergab, dass 62% für und nur 20% gegen die Strafbarkeit plädieren. Dabei zeigten sich kaum Einstellungsunterschiede zwischen Frauen und Männern, hingegen liess sich ein Gesinnungswandel feststellen, hat sich doch die Gruppe der Befürworter einer Straflosigkeit innerhalb von zwei Jahren nahezu halbiert [15].
Es gilt heute, zumindest unter Experten, nahezu unbestritten die Meinung, dass die Bekämpfung der Kriminalität besser mit präventiven Massnahmen, denn mit strafrechtlichen Sanktionen geschehen soll. Die Entwürfe zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs (inkl. Jugendstrafrecht) sind denn auch von diesem Geist geprägt, legen sie doch ein Schwergewicht darauf, bei leichteren Vergehen auf den Freiheitsentzug als Strafe zu verzichten. Der Bundesrat setzte im Berichtsjahr eine Expertenkommission mit der Aufgabe ein, diese 1986 präsentierten Entwürfe weiter zu bearbeiten. Die Stossrichtung der Revision, welche als Nebeneffekt eine Entlastung der Strafvollzugsanstalten bringen kann, wird auch von seiten der Kantone unterstützt. Eine vom Basler Grossen Rat eingereichte entsprechende Standesinitiative überwies der Ständerat an den Bundesrat [16].
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Da sich namentlich bei der Bekämpfung der internationalen Drogenkriminalität gezeigt hatte, dass die Spuren der Hintermänner sich oft im Gewirr von Geldtransaktionen verlieren, soll die sogenannte Geldwäscherei in Zukunft verboten werden. Eine Expertenkommission unter der Leitung des ehemaligen Tessiner Staatsanwalts Bernasconi hatte einen entsprechenden Vorschlag ausgearbeitet, der im Berichtsjahr in die Vernehmlassung gegeben wurde. Es ist vorgesehen, diese neue Rechtsnorm in die sich zur Zeit im vorparlamentarischen Stadium befindende Revision der Bestimmungen über strafbare Handlungen gegen das Vermögen und gegen Urkundenfälschung einzubauen [17].
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Beide Parlamentskammern genehmigten diskussions- und oppositionslos das Europaratsabkommen betreffend die Überstellung von verurteilten Personen in ihren Heimatstaat. Ausländische Gefangene erhalten damit die Option, die Freiheitsstrafe in ihrem eigenen Kulturraum zu verbüssen, was sich auf ihre Resozialisierung positiv auswirken könnte [18].
Grosses Aufsehen erregte die Aktion des Gefangenen Walter Stürm in der Strafanstalt Regensberg (ZH) gegen das ihm wegen Fluchtgefahr auferlegte besondere Haftregime. Er verstand seinen mehr als 16 Wochen dauernden Hungerstreik nicht nur als persönlichen Widerstand, sondern als Protest gegen die Einzel- oder Isolationshaft im allgemeinen. Sympathisanten unterstützten ihn mit Demonstrationen sowie der Besetzung sowohl des Hauses der kantonalen Justizdirektorin Lang (sp) als auch des SP-Parteisekretariats in Zürich. Die Sozialdemokraten gerieten damit in eine unangenehme Situation, indem sie zwar ihrer Regierungsrätin im Fall Stürm den Rücken stärkten, sich im Kantonsrat aber zusammen mit der übrigen Linken für den generellen Verzicht auf langandauernde Einzelhaft einsetzten [19].
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Privatrecht
In einem mühsamen Differenzbereinigungsverfahren gelang es dem Parlament, die Totalrevision des Gesetzes über das Internationale Privatrecht zum Abschluss zu bringen. Nach der Behandlung in beiden Räten waren in dieser komplizierten gesetzgeberischen Materie 129 Differenzen entstanden; nach der ersten Bereinigung durch den Ständerat waren noch deren 64 verblieben. Die beiden wichtigsten Streitpunkte wurden im Sinne des Nationalrats ausgeräumt: sowohl die Bestimmungen über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit als auch diejenigen über Konsumentenverträge, welche die kleine Kammer zuerst gestrichen hatte, figurieren nun doch im neuen Gesetz [20].
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Weiterführende Literatur
Zur Notwendigkeit des Datenschutzes im Bereich der staatlichen Verwaltung sowie zur Geschichte des Datenschutzgesetzes: B. Lempen, Informatique et Démocratie, Lausanne 1987.
Strafbarkeit der Pornografie (im Zusammenhang mit der Strafrechtsreform): D. Limacher, "Pornographie. Die öffentliche Regelung persönlicher Verkehrsformen", in Frauenfragen, 10/1987, Nr. 3, S. 62 ff.; L.A. Minelli, "Das Recht auf Zugang zu Pornographie", in Schweiz. Juristen-Zeitung, 83/1987, S. 182 f. Die Debatte um die Sexualstrafrechtsreform, und dabei insbesondere die Frage der Vergewaltigung in der Ehe, bot einer Gruppe von Juristinnen Anlass zur Vorstellung eines feministisch orientierten Alternativentwurfs: B. Fischer u.a., Was heisst hier Vergewaltigung, Zürich 1987. Eine (männliche) Kritik an der Tendenz zu einer "Verrechtlichung der Sexualbeziehungen" erschien in Plädoyer, 5/1987, Nr. 5, S. 27 f. Meinungsumfrage zur Vergewaltigung in der Ehe: A. Godenzi / A. Helminger, Vergewaltigung in der Ehe, Umfrage, Zürich 1987.
Expertenbericht zur Reform der Strafmassbestimmungen: H. Schultz, Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils und des Dritten Buches, ‚Einführung und Anwendung des Gesetzes' des Schweizer Strafgesetzbuchs, Bern 1987.
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[1] Amtl. Bull. StR, 1987, S. 24 ff. und 169; Amtl. Bull. NR, 1987, S. 552; BBl, 1987, I, S. 1018 ff.; TA, 6.4.87. Zum Inhalt der Zusatzprotokolle vgl. SPJ, 1986, S. 14 f.
[2] Amtl. Bull. NR, 1987, S. 770; SoZ, 14.4.87; SPJ, 1986, S. 15.
[3] BBl, 1988, I, S. 149 ff.; NZZ, 16.4. und 5.6.87 (Vernehmlassung der Parteien); AT, 23.5.87; TA, 25.5.87 (BRD); Bund, 29.10.87. Siehe auch W. Haug, "Die Entwicklung der Volkszählung", in NZZ, 15.4.87.
[4] BaZ, 30.9.87; TA, 31.8. und 26.11.87; Vr, 23.11.87.
[5] Thurgau: NZZ, 23.2.87. Luzern: Vat., 13.2. und 6.4.87. Siehe auch unten, Teil II, 1b und SPJ, 1986, S. 15.
[6] Frauenlandsgemeinde: TA, 25.4. und 27.4.87. Beschwerde: TA, 25.1 1.87. Kommission: SGT, 6.5., 17.6. und 9.12.87. Siehe auch SPJ, 1986, S. 15.
[7] BBl, 1987, III, S. 293 ff. Siehe auch SPJ, 1986, S. 16.
[8] Bund, 18.4., 23.-28.4., 1.5., 8.5., 9.6. und 30.10.; BZ, 23.-28.4., 9.6. und 11.11.87; Presse vom 27.4.und 9.6.87.
[9] Bund, 26.10., 16.11., 18.-23.11., 11.12. und 14.12.87; Presse vom 18.-23.11.87; WoZ, 30.10.87; TAM, 14.11.87. Vgl. auch unten, Teil I, 8b (Kultur).
[10] Demonstrationen mit mehr als 1000 Beteiligten: Kernkraft: Genf (zweimal, Suisse, 28.6.87; JdG, 13.11.87) / Asylpolitik und gegen Fremdenfeindlichkeit: Bern (BZ, 14.2.87), Genf (JdG, 30.3.87), Langenthal (Bund, 30.11.87) / PTT-Angestellte: Genf (JdG, 1 3.2.87) / Bauarbeiter: Genf (24 Heures, 26.3.87).
[11] TA, 20.7.87; vgl. SPJ, 1986, S. 16.
[12] Siehe unten, Teil I, 1d (Jurafrage).
[13] TA, 22.5., 2.6., 18.8., 3.9. und 10.9.87; WoZ, 27.5.87; SPJ, 1986, S. 16.
[14] Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1523 f.; SPJ, 1986, S. 17 (Anm. 16).
[15] Amtl. Bull. StR, 1987, S. 356 ff.; NZZ, 15.10.87. Vgl. auch SPJ, 1985, S. 16 f. und 1986, S. 17; Ww, 19.2.87; Plädoyer, 5/1987, Nr. 4, S. 11 ff. (Interview mit M. Killias). Vgl. auch Lit.
[16] NZZ, 10.3.87; SPJ, 1986, S. 18. Standesinitiative: BaZ, 13.6.87; Amtl. Bull. StR, 1987, S. 641 ff.
[17] Presse vom 25.2.87; SPJ, 1986, S. 18. Vgl. auch unten, Teil I, 4b (Banken).
[18] Amtl. Bull. StR, 1987, S. 23 f.; Amtl. Bull. NR, 1987, S. 934 f.; SPJ, 1986, S. 18.
[19] TA, 15.4., 26.5. und 1.9.87; NZZ, 18.5., 27.5., 1.6. und 23.6.87; WoZ, 15.5., 22.5. und 12.6.87.
[20] Amtl. Bull. StR, 1987, S. 210 ff., 506 ff. und 685; Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1064 ff. und 1894; BBl, 1988, I, S. 5 ff.; vgl. SPJ, 1985, S. 18 und 1986, S. 18; TA, 3.4.87.
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