Grundlagen der Staatsordnung
Rechtsordnung
Der Bundesrat legte nach langen Vorarbeiten die Botschaft zu einem Datenschutzgesetz vor. — Die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Drogenhandel deckten Geldwäschereigeschäfte grossen Stils auf. Dies führte zu einer Beschleunigung der Arbeiten an einer entsprechenden Gesetzgebung.
Grundrechte
Das Parlament ratifizierte ohne Gegenstimme das Europäische Abkommen zur Verhütung der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Dieses Abkommen stellt eine Ergänzung zu dem in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgehaltenen allgemeinen Verbot der Folter und dem von der Schweiz 1986 ratifizierten internationalen Übereinkommen gegen die Folter dar. Es enthält als wesentlichste Bestimmung die Schaffung eines Überwachungsausschusses, welchem ein Inspektionsrecht zuerkannt wird
[1].
Eine erfolgreiche Klage (Fall Belilos) vor dem Europäischen Gerichtshof in Strassburg gegen die Schweiz wegen Verletzung von Artikel 6.1 der EMRK (Garantie eines gerechten Prozesses) erregte grosses Aufsehen und gab verschiedenen Politikern Gelegenheit, ihre vor allem föderalistischen Einwände gegen internationale Abkommen, welche zwangsläufig die kantonale Autonomie einschränken, vorzubringen. Materiell war es beim Strassburger Urteil darum gegangen, ob durch Verwaltungsstellen (z.B. Polizeirichter) verhängte Ordnungsbussen von den unabhängigen richterlichen Rekursinstanzen lediglich formal oder auch inhaltlich behandelt werden müssen. Das Gericht entschied sich für letzteres und hielt damit implizit die Schweiz an, nichtkonforme kantonale Verfahrensbestimmungen bei Ordnungsbussen wegen geringfügiger Vergehen entsprechend anzupassen. Dieses Urteil setzte sich über den Vorbehalt hinweg, den die Schweiz bei der Unterzeichnung der EMRK in bezug auf die letztinstanzliche richterliche Überprüfung von Urteilen gemacht hatte.
Der Ärger über diesen Richterspruch konkretisierte sich in einem Postulat, worin Ständerat Danioth (cvp, UR) den Bundesrat unter anderem aufforderte, die Kündigung der EMRK durch die Schweiz vorzubereiten, wenn trotz des erwähnten Vorbehalts die Kantone zu einer Anpassung ihrer Prozessordnungen verpflichtet würden. Nur äusserst knapp (16:15) lehnten die Kantonsvertreter diesen von Bundesrätin Kopp bekämpften Teil des Vorstosses ab
[2]. Der Bundesrat erwartet von den Kantonen, dass sie im Bereich des Strafrechts ihre Prozessordnungen an das Urteil anpassen. Beim Zivilrecht soll hingegen die bloss formale Überprüfung weiterhin zugelassen sein; die Landesregierung deponierte zu diesem Zweck in Strassburg eine Präzisierung des schweizerischen Vorbehaltes zu Artikel 6.1 der EMRK
[3].
Mehr als vier Jahre nach der Vernehmlassung legte der Bundesrat den
Entwurf für ein Datenschutzgesetz vor. In der Zwischenzeit war der Vorentwurf von einer Expertengruppe und verwaltungsintern weiter bearbeitet und auch vereinfacht worden. Trotz den von der Wirtschaft vorgebrachten Einwänden hielt der Bundesrat an einem Einheitsgesetz fest, welches den Datenschutz sowohl im staatlichen als auch im privaten Bereich regelt. Abgesehen von einigen gemeinsamen Grundsätzen werden jedoch für die beiden Bereiche unterschiedliche Vorschriften aufgestellt
[4].
Zu den allgemein gültigen Prinzipien zählt die – allerdings eingeschränkte – Auskunftspflicht der Datenbankinhaber gegenüber Einzelpersonen. Der Bundesrat schlägt vor, dass der Inhaber einer Datensammlung Auskunft geben muss über die Existenz, den Inhalt, den Zweck und die Weitergabe an Dritte der über eine Person vorhandenen Daten. Die Auskunft kann jedoch verweigert oder eingeschränkt werden, wenn Gesetze, Argumente des Staatsschutzes oder der Strafverfolgung gegen eine Bekanntgabe der Daten sprechen. Damit dieses Auskunftsrecht wirkungsvoll ausgeübt werden kann, soll ein Register geführt werden. Darin müssen sämtliche von Bundesstellen geführte Datensammlungen sowie diejenigen von Privaten, welche unter dem Aspekt des Datenschutzes besonders heikel sind, verzeichnet sein
[5].
Der Entwurf stellt detaillierte Vorschriften über die Beschaffung, Bearbeitung und Weitergabe von personenbezogenen Daten durch die Bundesorgane auf. Dabei kann allerdings der Bundesrat für den Bereich des Staatsschutzes und der militärischen Sicherheit Ausnahmen bewilligen. Für den privaten Bereich beschränken sich die Bestimmungen demgegenüber auf eine zum Teil beispielhafte Präzisierung und Konkretisierung des Persönlichkeitsschutzes im Zivilgesetzbuch (Art. 28 – 28f)
[6].
Die Einhaltung des Gesetzes soll durch einen Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten überwacht werden. Dieser kann Abklärungen vornehmen und Empfehlungen abgeben, hat aber kein Entscheidungsrecht. Diese Kompetenz kommt laut Entwurf der ebenfalls neu zu schaffenden Eidgenössischen Datenschutzkommission zu, deren Urteile an das Bundesgericht weitergezogen werden können
[7].
Als Ergänzung zum neuen Datenschutzgesetz schlägt der Bundesrat zudem Teilrevisionen des Obligationenrechts (Bearbeitung von Personendaten durch den Arbeitgeber), des Strafgesetzbuches (ärztliches Berufsgeheimnis), des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (polizeiliche und richterliche Ermittlungen) und des internationalen Rechtshilfegesetzes (Datenaustausch mit der INTERPOL) vor. Im Bereich der medizinischen Forschung soll die Weitergabe von nicht anonymisierten Daten zu wissenschaftlichen Zwecken und damit ein Abweichen vom ärztlichen Berufsgeheimnis durch eine vom Bundesrat einzusetzende Sachverständigenkommission bewilligt werden können. Diese Erlaubnis ist allerdings an gewisse Auflagen gebunden. So muss neben bestimmten qualitativen Anforderungen an die Forschung die zumindest stillschweigende Einwilligung des Patienten vorliegen. Im'Bereich des Strafverfahrens findet das Datenschutzgesetz gemäss Entwurf keine Anwendung. Es ist deshalb vorgesehen, das Strafprozessrecht um neue Bestimmungen über die Erhebung, Berichtigung, Weitergabe und Vernichtung von besonders schützenswerten Personendaten zu ergänzen
[8].
Während die Beurteilung durch die Medien recht günstig ausfiel, wurde von links und rechts Kritik geäussert. Die «Demokratischen Juristinnen und Juristen» und die «Wochenzeitung» beanstandeten die Ausnahmeregelungen für den Staatsschutz und die polizeilichen Ermittlungen. Der Gewerbeverband und der «Verband der Wirtschaftsauskunftsdateien der Schweiz» befürchteten demgegenüber eine übermässige Beschränkung der Geschäftsinteressen von privaten Firmen. Der Vorort anerkannte, dass der Bundesrat einigen Einwänden der Wirtschaft zum Vernehmlassungsentwurf Rechnung getragen hatte, stellte aber für die Parlamentsdebatte weitere Abänderungsanträge für den privaten Bereich in Aussicht
[9].
Bis zur Durchführung der nächsten
Volkszählung dürfte das neue Datenschutzgesetz noch nicht in Kraft sein. Der Bundesrat hatte deshalb 1987 dem Parlament eine Revision des fast 120 Jahre alten Gesetzes über die eidgenössische Volkszählung vorgelegt. Neben Sanktionsbestimmungen bei Auskunftsverweigerung sollten der Exekutive Vollmachten zum Erlass von spezifischen Datenschutzbestimmungen eingeräumt werden. Zudem sah der Entwurf vor, dass der Erhebungstermin nicht mehr zwingend auf den 1. Dezember eines neuen Jahrzehnts fallen muss. Diese letzte Anderung sollte es erlauben, die nächste Volkszählung soweit vorzuziehen, dass ihre Ergebnisse für die Sitzzuteilung an die Kantone für die Nationalratswahl von 1991 verwendet werden können. Dieser letzte Punkt wurde vom Parlament abgelehnt: Der Nationalrat war der Meinung, dass nur mit einem Beibehalten des starren 10-Jahresrhythmus die direkte Vergleichbarkeit mit früheren Ergebnissen gewährleistet sei. Dieses Argument, das von den Statistikern nicht geteilt wird, sei höher einzuschätzen, als eine Neuverteilung der Nationalratsmandate. Der Ständerat fügte sich — nicht aus Überzeugung, sondern aus Zeitdruck — im Differenzbereinigungsverfahren dieser Ansicht. Die Bestrafung der Auskunftsverweigerung wurde von den linken und grünen Parteien erfolglos bekämpft. Das Parlament konkretisierte jedoch diese Bestimmungen gegenüber dem Entwurf sowie auch die Vorschriften bezüglich Datenschutz
[10].
Bereits sind allerdings
Boykottaufrufe gegen die Volkszählung angesagt: die im Rat unterlegene GPS, die Jungsozialisten und weitere linke und grüne Organisationen stellten — wegen der ihrer Ansicht nach ungenügenden Datenschutzbestimmungen — eine entsprechende Kampagne in Aussicht. Im Berichtsjahr machte eine Aktivistengruppe, welche Datenerhebungen und Statistiken grundsätzlich als ein Herrschaftsinstrument des Staates bezeichnet, von sich reden. Sie rief zu einem Boykott gegen den vom Bund in Auftrag gegebenen Mikrozensus (Repräsentativerhebung) auf und zerstörte Datenbänder anlässlich einer Besetzung des Soziologischen Instituts der Universität Zürich
[11].
Bürgerrecht und Stimmrecht
Im Kanton Appenzell Ausserrhoden soll 1989 an der Landsgemeinde ein fünfter Versuch zur Einführung des integralen Stimm- und Wahlrechts für
Frauen unternommen werden. Im Berichtsjahr nahm die Regierung Kenntnis von einem Bericht einer 1987 eingesetzten Kommission, die sich auch mit dem Problem der Fortführung der Landsgemeinde mit Frauenbeteiligung auseinandergesetzt hatte. Gestützt auf diesen Bericht sprach sich die Exekutive zum ersten Mal geschlossen und vorbehaltlos für die Gleichberechtigung der Frauen aus. Das Parlament folgte dem Regierungsantrag und beschloss mit 51:3 Stimmen (bei vier Enthaltungen), der Landsgemeinde vom Frühjahr 1989 die Einführung des kantonalen Frauenstimmund wahlrechts mit einer zustimmenden Empfehlung zum Entscheid vorzulegen. Aus vorwiegend taktischen Gründen soll hingegen erst zu einem späteren Zeitpunkt über die Fortführung der Landsgemeinde beschlossen werden
[12]. Das Bundesgericht vermied es, sich inhaltlich mit dem Appenzeller Stimmrechtsproblem zu befassen. Da nicht alle kantonalen Rechtsmittel ausgeschöpft worden seien, trat es auf eine im Vorjahr eingereichte Beschwerde gegen den Ausschluss der Frauen von der Ständeratswahl von 1987 nicht ein
[13].
In Baselstadt stimmte der Souverän der Senkung des Stimmrechtsalters auf
18 Jahre knapp zu. Damit gilt diese Regelung in elf Kantonen: Baselstadt, Baselland, Genf, Glarus, Jura, Neuenburg, Nid- und Obwalden, Schwyz, Waadt und Zug. Nach negativen Volksabstimmungen zur kantonalen Einführung des Stimmrechtsalters 18 soll in der Ostschweiz nach dem Vorbild anderer Kantone zuerst eine Senkung des Wahlrechtsalters auf freiwilliger Basis in den Gemeinden ermöglicht werden. In Graubünden, St. Gallen und Thurgau sprachen sich die Kantonsparlamente für entsprechende Verfassungsänderungen aus. Im Kanton Bern, wo diese Möglichkeit seit 1983 besteht, korrigierten die Städte Bern und Biel ihre ablehnenden Entscheide aus dem Jahr 1984 und stimmten in einem zweiten Anlauf dem Stimmrechtsalter 18 zu
[14].
Die Organisationen der
Ausländer setzten ihre im Vorjahr gestartete Kampagne zur Erlangung des Stimm- und Wahlrechts fort, ohne dass ihre Petitionen bisher konkrete Ergebnisse gezeitigt hätten. Immerhin erhielten sie für ihr Anliegen politische Unterstützung: In Zürich beauftragte der Parteitag der Sozialdemokraten den Vorstand mit der Ausarbeitung einer entsprechenden kantonalen Volksinitiative, über deren Lancierung spätestens 1990 entschieden werden soll. In Neuenburg, wo die ausländischen Niedergelassenen in Gemeindeangelegenheiten bereits stimm- und wahlberechtigt sind, forderten diese mit einer Petition die Wählbarkeit in kommunale Amter. Die SP unterstützte dieses Begehren zum Teil und schlug im Grossen Rat vor, dass – analog zur Regelung im Kanton Jura – die Niedergelassenen zumindest für die Gemeindeparlamente wählbar sein sollen
[15].
Der Ständerat stimmte der
zweiten Etappe der Bürgerrechtsrevision in der vom Bundesrat vorgeschlagenen Fassung zu. Nachdem in einer ersten Etappe das Bürgerrecht von Kindern aus gemischtnationalen Ehen neu geregelt worden war, ging es nun um den Erwerb des Bürgerrechts und dabei insbesondere um die Aufhebung der automatischen Einbürgerung von Ehefrauen von Schweizern
[16].
Öffentliche Ordnung
Im Zusammenhang mit der Wohnungsknappheit kam es – vor allem in den Grossstädten – zu einer Reihe von Hausbesetzungen und kleineren Demonstrationen. Trotz der angespannten Lage vermochte dieses Thema aber nur gerade einmal (in Genf) mehr als 1000 Personen auf die Strasse zu locken. Insgesamt registrierten wir im Berichtsjahr 18 Kundgebungen mit mehr als 1000 Beteiligten: je fünf davon fanden in Basel und Genf statt, je drei in Bern und Zürich sowie je eine in Baden und Lausanne. Dominierendes Thema bei diesen grossen Demonstrationen waren aussen- und asylpolitische Fragen (acht). Neben den traditionellen 1. Mai-Kundgebungen der Gewerkschaften, die in dieser Zusammenstellung nicht erfasst sind, kam es in drei weiteren Fällen zu grösseren Demonstrationen der Arbeiter: In Lausanne und Zürich forderten 1500 resp. 4000 PTT-Angestellte bessere Arbeitsbedingungen, in Baden manifestierten 1500 Personen gegen Entlassungen bei der ABB (ehemals BBC).
Vier grössere Kundgebungen sind dem Bereich
Jugend- und Kulturpolitik zuzuordnen, wovon deren drei in Basel und eine in Bern stattfanden
[17]. Darunter fällt auch die mit 5 000 Teilnehmenden grösste Kundgebung des Berichtsjahres, die sich gegen die Räumung des Areals der alten Stadtgärtnerei in Basel richtete. In der Rheinstadt ergaben sich im Berichtsjahr eine ähnliche Situation und ähnliche Auseinandersetzungen wie 1987 in Bern im Zusammenhang mit dem Zaffaraya. Auch hier hatten sich mehrheitlich Jugendliche auf einem städtischen Grundstück eingerichtet und einen Freiraum zur Erprobung alternativer Lebens- und Kulturformen beansprucht. Etwa einen Monat nachdem sich das Volk in einer Abstimmung für eine andere Nutzung des Geländes ausgesprochen hatte, liess die Regierung die alte Stadtgärtnerei räumen. In der folgenden Nacht kam es rund um das Gelände und im Stadtzentrum zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Wie zuvor in Bern führte dies auch in Basel zu zum Teil in der Öffentlichkeit ausgetragenen Differenzen innerhalb der Regierung über Notwendigkeit und Durchführung der Polizeieinsätze
[18].
Strafrecht
Die Kommission des Nationalrats konnte 1988 ihre anfangs des Jahres aufgenommenen Beratungen über die Revision der Bestimmungen über strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie nicht abschliessen. In den besonders umstrittenen Fragen Schutzalter, Pornographie und Vergewaltigung sind noch keine Entscheide gefällt worden
[19]. In der Zwischenzeit setzten verschiedene Frauenorganisationen ihre Kampagne gegen die 1987 vom Ständerat verabschiedete Fassung fort. Ihre Kritik richtet sich dabei insbesondere gegen die Beibehaltung der
Straffreiheit für die Vergewaltigung in der Ehe. Eine Delegiertenversammlung der OFRA protestierte aber auch gegen die mit der Unterscheidung zwischen erlaubter weicher und verbotener harter Pornographie angestrebte Liberalisierung im Bereich der Darstellung von sexuellen Handlungen. Ihrer Meinung nach hat die Unantastbarkeit der Würde und Integrität der Frauen im Zentrum der Sexualstrafrechtsreform zu stehen
[20].
Ein wesentliches Anliegen der geplanten Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs besteht gemäss den vorliegenden Vorentwürfen von Prof. Schultz in einer
stärkeren Betonung des Ziels der Resozialisierung gegenüber dem Vergeltungsund Abschreckungsprinzip. Vorgesehen ist dabei namentlich der Verzicht auf kurze Freiheitsstrafen zugunsten von sozial abgestuften Tagesbussen und gemeinnütziger Arbeit. Der Bericht der 1987 vom Bundesrat eingesetzten Expertenkommission wird für Ende 1990 erwartet. Nach dem Ständerat überwies nun auch der Nationalrat eine baselstädtische Standesinitiative, welche diese Reformbestrebungen unterstützt
[21].
Nach Probeversuchen gab der Bundesrat grünes Licht für das Führen einer schweizerischen
Strafvollzugsstatistik. Damit ist es zum erstenmal möglich, genaue Zahlen über die Rückfälligkeit von Delinquenten anzugeben. Erste Ergebnisse zeigten, dass diese recht hoch ist, wurden doch von den 1982 aus dem Strafvollzug Entlassenen rund die Hälfte (49%) innerhalb von fünf Jahren erneut zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Statistik für das Jahr 1987 gibt im weitern an, dass die kurzen Freiheitsstrafen von maximal drei Monaten mit einem Anteil von 79% aller Fälle deutlich dominieren. Die häufigsten Delikte bestanden in Verstössen gegen das Strassenverkehrsgesetz (insbesondere Trunkenheit am Steuer) mit einem Anteil von 43%, Vermögensdelikten (27%) und Verurteilungen aufgrund des Betäubungsmittelgesetzes (14%). Die Frauen waren unter den 10 580 Personen, die 1987 eine Freiheitsstrafe antreten mussten, immer noch deutlich untervertreten (5%). Der Anteil der Ausländer entsprach mit 15% demjenigen an der strafmündigen Wohnbevölkerung
[22].
In der Frage der Strafbarkeit der Geldwäscherei haben
die Tagesaktualitäten zu einer Beschleunigung der Gesetzgebungstätigkeit geführt. Nach der grundsätzlich positiv ausgefallenen Vernehmlassung zur Revision des Vermögensstrafrechts hatte der Bundesrat im Februar das EJPD beauftragt, eine Vorlage auszuarbeiten. In diese sollte auch ein Artikel über die Entgegennahme von illegal erworbenen Geldern (sog. Geldwäscherei) eingebaut werden. Im Zusammenhang mit der Verhaftung von Drogengrosshändlern durch die Untersuchungsbehörden des Kantons Tessin wurde im Herbst der bisher grösste Fall von Geldwäscherei publik. Im Rahmen dieser "
Libanon-Connection" genannten Aktivitäten sollen rund 1,5 Mia Fr. auf verschiedenen Wegen aus dem Nahen Osten zwecks Spurenverwischung in die Schweiz transferiert worden sein. Bereits drei Wochen nach dem Bekanntwerden der Affäre beschloss der Bundesrat auf Antrag der Vorsteherin des EJPD, E. Kopp, die Gesetzgebung über die Geldwäscherei aus dem Revisionspaket des Vermögensstrafrechts herauszunehmen und, dringlich zu behandeln. Die unverzüglich eingesetzte Expertenkommission soll bis zum Frühjahr 1988 einen entsprechenden Entwurf ausarbeiten. Neben der eigentlichen Strafnorm soll dieser auch Bestimmungen über die Beschlagnahmung von Geldern und Vermögenswerten, die aus diesen Geschäften stammen, enthalten
[23]. Zum genauen Inhalt der vorgesehenen Bestimmungen und den Auseinandersetzungen darüber, sowie zu der durch die Aufdeckung der "Libanon-Connection" ausgelösten Regierungskrise, welche zum Rücktritt der Justizministerin Kopp führen sollte, informieren wir an anderer Stelle
[24].
Zivilrecht
Im September fand in Lugano eine
diplomatische Konferenz der Vertreter der EG- und EFTA-Staaten zur Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts statt. Das dabei abgeschlossene Übereinkommen stellt insbesondere Grundsätze über den Gerichtsort und die gegenseitige Urteilsanerkennung im Zivil- und Handelsrecht auf
[25].
Weiterführende Literatur
W. Kälin, "Die Menschenrechtspolitik der Schweiz", in SJPW, 28/1988, S. 185 ff. D. Thürer, "Neuere Entwicklungen im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention", in Schweiz. Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, 89/1988 S. 377 ff.
P. Müller, "Die Grundzüge des Entwurfs für ein schweizerisches Datenschutzgesetz. Insbesondere im Vergleich mit den Regelungen in den Nachbarstaaten", in Schweiz. Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, 89/1988, S. 425 ff.
R.J. Schweizer / B. Lehmann, Informatik- und Datenschutzrecht, Loseblattsammlung in zwei Ordnern, Zürich 1988 (1. Lieferung).
J.-P. Walter, La protection de la personnalité lors du traitement de données à des fins statistiques, Fribourg 1988.
P. Bernasconi, Finanzunterwelt. Gegen Wirtschaftskriminalität und organisiertes Verbrechen, Zürich 1988.
G. Jenny / W. Kälin (Hg.), Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen. Festgabe zum schweizerischen Juristentag 1988, Bern 1988.
J. Schuh (Hg.), Jugend und Delinquenz, Grüsch 1988.
K. Siehr, "Vom alten zum neuen IPR. Literaturspiegel der Jahre 1978-1988", in Zeitschrift für Schweizerisches Recht, NF, 107/1988, S. .635 ff. und 108/1989, S. 107 ff.
[1] BBl, 1988, Il, S. 897 ff.; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1415 ff.; Amtl. Bull. SIR, 1988, S. 611 ff. Zum internationalen Übereinkommen siehe SPJ 1985, S. 14 und 1986, S. 15.
[2] Urteil und Kommentar dazu: Plädoyer, 6/1988, Nr. 4, S. 19 f. und 30 ff. Vgl. ferner NZZ, 30.4.88; Bund, 7.5.88 und Presse vom 28.9.88. Postulat: Amtl. Bull. StR, 1988, S. 554 ff.
[3] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 557; AS, 1988, S. 1264. Zum ursprünglichen Vorbehalt siehe AS, 1974, S. 2173. Vgl. auch unten, Teil I, 2 (Droits de l'homme).
[4] BBl, 1988, II, S. 413 ff. (Botschaft vom 23.3.88). Vgl. auch SPJ 1985, S. 15, 1986, S. 15 und 1987, S. 19.
[5] BBl, 1988, II, S. 438 ff.
[6] BBl, 1988, II, S. 458 ff.
[7] BBl, 1988, II, S. 478 ff.
[8] BBl, 1988, II, S. 488 ff.
[9] Presse vom 24.3.88; Plädoyer, 6/1988, Nr. 2, S. 7 f.; WoZ, 30.5.88; NZZ, 14.6.88; SHZ, 31.7.88. SHIV (Vorort), Jahresbericht, 118/1987-88, S. 128.
[10] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 315 ff., 409 ff., 668 ff. und 971; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 285 ff., 335 und 425; AS, 1988, S. 1912 ff. und 1915 ff (Verordnung).
[11] WoZ, 6.5. und 1.7.88; TA, 15.6.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 19 f.
[12] SGT, 23.6. und 25.10.88; Appenzeller Zeitung, 13.8., 15-20.8. und 23.8.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 20.
[13] SGT, 5.5.88; vgl. SPJ 1987, S. 20.
[14] BS: BaZ, 13.6.88. GR: BüZ, 2.12.88. SG und TG: NZZ, 20.12.88. Bern und Biel: Bund, 13.6. und 26.9.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 20.
[15] Zürich: Vr, 11.3. und 4.7.88; TA, 23.3.88; SPJ 1987, S. 20. Neuenburg: FAN, 14.4. und 22.7.88.
[16] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 191 ff. Siehe auch SPJ 1987, S. 20 f.
[17] Belege für Demonstrationen mit 1000 und mehr Teilnehmenden (in Klammer Anzahl Teilnehmende / Thema): Genf: JdG, 7.3. (2 000 / Asylpolitik), 29.4. (1000 / Tschernobyl), 20.6. (1000 / Südafrika), 7.11. (2000 / Wohnen), 21.11.88 (2000 / Superphénix); Basel: BaZ, 18.1. (1500 / Asylpolitik), 16.5., 22.6. und 27.6. (1500, 2000 und 5000 / alte Stadtgärtnerei), 12.9.88 (1000 / Kurden); Bern: Bund, 30.5. (1000 / AJZ), 29.8. (1000 / Rumänien), 26.9.88 (2000 / Jürg Weiss); Zürich: TA, 8.7.88 (4000 / PTT-Personal), NZZ, 12.9. (1500 / Türkei), 28.1 1.88 (1000 / Kosowo, Jugoslawien); Lausanne: 24 Heures, 11.3.88 (1500 / PTT-Personal); Baden: AT, 18.4.88 (1500 / BBC-Personal).
[18] BaZ, 16.5., 22.-24.6. und 27.6.88. Siehe auch unten, Teil I, 8b (Kultur).
[19] Bund, 7.1.88; NZZ, 3.5., 18.8. und 8.9.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 22 f.
[20] SGT, 30.6.88; NZZ, 12.8.88; TA, 26.8.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 23, sowie unten, Teil I, 8c (Medienpolitische Grundfragen).
[21] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1906 ff.; NZZ, 3.5.87; LNN, 9.11.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 23.
[22] TA, 11.6.88; NZZ, 12.7.88.
[23] NZZ, 4.2.88; TA, 4.11. und 29.11.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 23 f. und 105 sowie die Debatte im Nationalrat vom 15.12.88 (Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1871 ff.).
[24] Vgl. unten, Teil I, 1c (Regierung) und 4b (Banken).
[25] NZZ, 13.9. und 17.9.88.