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Sozialpolitik
Sozialversicherungen
Im Bereich der Sozialversicherungen wurden drei neue Volksinitiativen lanciert. – Der Bundesrat verabschiedete seine Entwürfe zur 10. AHV-Revision und für eine Totalrevision der Militärversicherung. – Die Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes wurde von beiden Kammern angenommen. – Die von der Landesregierung eingesetzte Expertenkommission stellte ihre Vorschläge für eine Totalrevision des Krankenversicherungsgesetzes vor.
Grundsatzfragen
Das schweizerische Sozialversicherungswerk befindet sich in einer Phase tiefgreifenden Umbruchs. Die äusseren Anzeichen dafür sind mehrere hängige Volksinitiativen (AHV/IV, berufliche Vorsorge und Krankenkassen). Parallel dazu laufen vom Bund in die Wege geleitete Revisionsarbeiten in den Bereichen AHV, berufliche Vorsorge (BVG), Krankenversicherung, Militärversicherung und Arbeitslosenversicherung. Doch nicht nur Teilbereiche der Sozialversicherung werden in Frage gestellt. Selbst am Grundkonzept der Altersvorsorge, dem 3-Säulen-Prinzip und dessen Finanzierung über Lohnbestandteile, wird immer spürbarer gerüttelt [1].
Von den bürgerlichen Parteien äusserte sich nur die SVP zu grundsätzlichen Fragen. Unter dem Titel "Sozialstaat Schweiz" umschrieb sie ihre kurz- und mittelfristigen Zielsetzungen zur Sozialpolitik. Dabei mochte sie ihren Ständeräten, die im Vorjahr den bis anhin von der PdA propagierten Begriff einer "Volkspension" wieder ins Gespräch gebracht hatten, nicht folgen. Die Partei vertrat die Ansicht, der Ausbau der sozialen Sicherheit sei grundsätzlich abgeschlossen, und sie warnte vor unbedachten und fragwürdigen Experimenten. Sektoriellen und qualitativen Verbesserungen des Bestehenden wollte sie sich nicht verschliessen, doch legte sie grossen Wert auf den Grundsatz der Kostenneutralität und der Subsidiarität zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden [2] .
Anderer Ansicht waren die Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Wie bereits 1989 angekündigt, lancierten SP und SGB eine gemeinsame Volksinitiative "zum Ausbau von AHV und IV". Grundidee dieses Volksbegehrens ist es, die Gewichte von der zweiten Säule (BVG) zur ersten Säule (AHV/IV) hin zu verschieben, ohne gleich zur Volkspension überzugehen. Die heute auf die Existenzsicherung ausgerichtete AHV soll für sich allein und ohne die berufliche Vorsorge den Hauptbeitrag zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit auf der Basis der gewohnten Lebenshaltung leisten.
Die weiteren Schwerpunkte der Initiative sind: Aufstockung aller AHV/IV-Renten unter besonderer Berücksichtigung der niederen Einkommen, geschlechts- und zivilstandsunabhängige Renten, Erziehungs- und Betreuungsgutschriften sowie Rentenalter 62 für Frauen und Männer. Die zweite Säule würde um das reduziert, was der Ausbau der ersten erbringt. Ausdrücklich in der Verfassung verankern will die Initiative die Freizügigkeit beim Wechsel einer Pensionskasse.
Nach Auffassung der Initianten würden sich die Ausgaben für die erste Säule um 7,5 auf 29,9 Mia Fr. erhöhen. Bund und Kantone sollten davon 25 anstatt wie heute 20% übernehmen, und der gemeinsame Beitrag von Arbeitnehmern und Arbeitgebern würde sich um 1,6 auf 11,2 Lohnprozente erhöhen. Die Einsparungen bei der zweiten Säule wurden auf mindestens 2,3 Mia Fr. beziffert. Diese Zahlen wollten allerdings die Vertreter der Pensionskassen nicht gelten lassen, und sie sagten der Initiative schon vor deren Lancierung den Kampf an [3].
Gemäss den Ergebnissen einer Univox-Umfrage, scheint die Stimmung für das Anliegen der Initianten nicht ungünstig iu sein. So sprachen sich rund zwei Drittel der Befragten für einen AHV-Ausbau aus und nur gerade ein knappes Viertel dagegen. Unabhängig von Geschlecht, Alter, Lebensstandard, Sprachregion, Parteisympathie oder Wohngegend waren sich praktisch alle Befragten darin einig, dass die AHV-Renten nicht existenzsichernd sind [4].
Der Gedanke einer teilweisen Verlagerung von der zweiten zur ersten Säule ist auch für den Bundesrat nicht abwegig. Bereits im Mai beauftragte er fünf Experten, das in der Bundesverfassung verankerte Dreisäulenkonzept zu überprüfen. Neben Fragen der Finanzierung und Gewichtung von AHV/IV und BVG sollen auch die Möglichkeiten einer Einführung eines garantierten Mindesteinkommens (GME) und die Auswirkungen des europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auf die schweizerischen Sozialversicherungen in die Überlegungen einbezogen werden [5]. In seiner Stellungnahme zu einem überwiesenen Postulat Günter (ldu, BE) versprach der Bundesrat, dem Parlament spätestens mit seiner Botschaft zur Revision des BVG einen Strategiebericht Sozialversicherung und Altersvorsorge vorzulegen, der explizit auf das Verhältnis zwischen der 1. und 2. Säule eingehen wird [6].
Nicht nur für eine Umlagerung, sondern für einen radikalen Kurswechsel in der Sozialpolitik plädierte die Grüne Partei. Vom Phänomen der neuen Armut ausgehend und mit dem Hinweis darauf, eine primär über Lohnprozente finanzierte soziale Absicherung entspreche nicht mehr den heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten mit ihrer hohen Rate von alleinerziehenden Müttern, ausgesteuerten Arbeitslosen und Menschen mit unterbrochener Berufslaufbahn, forderte sie die Einführung eines gesellschaftlich garantierten Mindesteinkommens (GME), welches das ungenügende und administrativ komplizierte Dreisäulensystem ablösen sollte. Finanzieren möchte sie das neue Modell über eine Besteuerung der gesamten Wirtschaftskraft, also beispielsweise auch über Umsatzsteuern oder ökologische Lenkungsabgaben [7]. Der Idee eines GME wurde von einer Univox-Umfrage wenig Rückhalt in der Bevölkerung bescheinigt: Nur gerade 22% der Befragten sprachen sich dafür aus. 62% lehnten sie ab und 17% hatten keine Meinung. Am ehesten fand sie noch Anklang in der Westschweiz (35%), bei den SP-Sympathisanten (33%) und den unter 40-jährigen (29%) [8].
Einen – wenn auch sehr wesentlichen – Teilaspekt des Sozialversicherungsrechts griff die PdA auf, indem sie eine Volksinitiative für die Gleichstellung der Geschlechter in den Sozialversicherungen lancierte [9] .
In Anbetracht der veränderten Verhältnisse in Europa wurde eine Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta erneut in die Diskussion gebracht. Die Grüne Fraktion reichte eine entsprechende Motion ein. In Beantwortung einer Interpellation Pini (fdp, TI) erklärte der Bundesrat aber, im gegenwärtigen Zeitpunkt mehr an einem Abschluss der EWR-Verhandlungen interessiert zu sein, denn an einer Charta, welche die EG selber noch nicht unterzeichnet habe. Welche Auswirkungen ein EWR-Beitritt für die Sozialpolitik der Schweiz haben würde, ist offenbar auch dem Bundesrat noch nicht klar. In seinem Ende Jahr erschienen zweiten Integrationsbericht bemerkte er ziemlich ratlos, die finanziellen Kosten des EG-Rechts bei der sozialen Sicherheit könnten kaum beziffert werden, seien aber beträchtlich [10].
Durch eine 1989 als Postulat überwiesene Motion der GPK des Nationalrates dazu aufgefordert, legte der Bundesrat einen Bundesbeschluss betreffend die Sozialversicherungsansprüche der Schweizer der ehemaligen belgischen Kolonien Kongo und Ruanda-Urundi vor, welchem beide Räte einstimmig zustimmten. In Ermangelung eines gegenseitigen Abkommens beharrt Belgien darauf, die Rentenansprüche der ehemaligen Kongo-Schweizer auf dem Stand von 1960, dem Datum der Unabhängigkeit, einzufrieren. Die Angelegenheit war auch Gegenstand der schweizerisch-belgischen Gespräche anlässlich des Staatsbesuchs König Baudouins 1989 in der Schweiz, doch konnte selbst im persönlichen Kontakt keine Einigung erzielt werden. Durch die Annahme des Bundesbeschlusses kann nun den Betroffenen eine pauschale, einmalige Abfindung ausbezahlt werden; der dafür vorgesehene Verpflichtungskredit beträgt 25 Mio Fr. [11]..
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Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV)
Die Finanzierung der AHV durch das Umlageverfahren bringt es mit sich, dass das finanzielle Gleichgewicht der AHV wesentlich von der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung abhängt. Mit grossem Interesse wurde deshalb der 1989 in Auftrag gegebene zweite Demographiebericht des Bundesrates zur Kenntnis genommen. Die darin berechneten Szenarien lassen erwarten, dass die günstige Situation der AHV noch bis in die Mitte der 90er Jahre andauern dürfte. Die Jahre zwischen 1995 und 2005 könnten dann aber zu einer Umbruchphase für die AHV werden, doch sind aufgrund der sich nur relativ langsam ändernden Altersquotienten und der bestehenden Finanzierungsreserven noch keine grösseren Schwierigkeiten zu erwarten.
Ein eigentlicher Wendepunkt zeichnet sich um das Jahr 2005 ab. Die Zahl der Rentner wächst dann deutlich rascher, da die nach 1940 geborenen, geburtenstarken Jahrgänge rentenberechtigt werden. Als Folge der niedrigen Geburtenhäufigkeit eben jener Generation stagnieren andererseits die Bestände der beitragspflichtigen Bevölkerung und beginnen schliesslich zu sinken. Gleichzeitig erreichen die ausländischen Rentenansprüche erstmals das Niveau der Beitragszahlungen des ausländischen Bevölkerungsteils. Die Jahre 2005 bis 2015 könnten sich für die AHV deshalb als besonders kritisch erweisen. Ungefähr um 2035 wird sich der Alterslastquotient auf hohem Niveau stabilisieren, da auch die ins Rentenalter eintretenden Generationen wieder kleiner werden.
Abschliessend hielt der Bericht jedoch fest, Wirtschaftswachstum und Produktivitätsfortschritt, die Formel des Mischindexes sowie die Mitfinanzierung der öffentlichen Hand würden den Entscheidungsträgern auch in Zukunft einen nicht zu unterschätzenden Handlungsspielraum lassen [12]..
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Dieser zweite Demographiebericht war – in gekürzter Form – Bestandteil der Botschaft des Bundesrates zur 10. AHV-Revision, welche der zuständige Departementsvorsteher Cotti im März der Öffentlichkeit vorstellte. Vor allem von Frauenseite waren grosse Erwartungen in diese Revision gesetzt worden, die den Verfassungsauftrag der Gleichstellung der Geschlechter umsetzen sollte. Beträchtlich war dann aber die Enttäuschung, als feststand, dass zwar punktuelle Verbesserungen zugunsten der Frauen Eingang in den Gesetzesvorschlag gefunden hatten (Besserstellung der geschiedenen Frauen und der alleinerziehenden Mütter, geschlechtsunabhängiger Anspruch von Mann und Frau bei der Ehepaarrente), dass aber die wichtigsten Forderungen der Frauen (zivilstandsunabhängige Renten, Einkommenssplitting, Erziehungs- und Betreuungsgutschriften, flexibles Rentenalter für Frauen, Angleichung des Rentenalters Mann/ Frau) nicht berücksichtigt worden waren.
Aus Kostengründen will der Bundesrat am Rentenalter 65 für Männer festhalten, doch soll ihnen generell ab 62 Jahren der flexible Altersrücktritt offenstehen, allerdings mit einer Kürzung der Rente um 6,8% pro Jahr Vorbezug. Damit sich nicht nur Wohlhabende einen früheren Ruhestand leisten können, soll der vorzeitige Bezug von Ergänzungsleistungen möglich werden. Bessergestellt werden auch die Witwer, die neu eine Witwerrente erhalten, allerdings nur dann, wenn sie Kinder unter 18 Jahren zu versorgen haben.
Bundesrat Cotti unterstrich besonders die gezielte Anhebung der Renten für die Versicherten mit niedrigem Einkommen. 112 000 Ehepaar- und 358 000 Einzelrenten würden heraufgesetzt, was einer Besserstellung von mehr als der Hälfte allerRentenbezüger entsprechen würde. Mit der vorgesehenen Finanzierung dieser Verbesserungen (Abweichung von der früher anvisierten Kostenneutralität, Erhöhung des Beitragssatzes der Selbständigerwerbenden) zog sich die Landesregierung allerdings umgehend den Zorn der Gewerbekreise zu.
Beobachter waren allgemein der Ansicht, dem Bundesrat sei mit dieser Revision kein sozialpolitischer Wurf gelungen; diese 10. Anpassung – deren Inkrafttreten 1994 erfolgen könnte – trage bereits den Kern einer 11. Revision in sich. In Beantwortung einer dringlichen Interpellation Reimann (sp, BE) gab der Vorsteher des EDI selber zu, dass in dieser Revision die grossen Probleme noch nicht angepackt worden seien. Und auch die Parteien zeigten sich – wenn auch aus verschiedenen Gründen – mit Ausnahme der CVP alles andere als zufrieden.
Die bürgerlichen Parteien, die Arbeitgeberorganisationen und der Gewerbeverband übten recht harsche Kritik am Abgehen von der Kostenneutralität und an der Beibehaltung des tieferen Rentenalters für die Frauen. Die verhältnismässig geringfügigen Änderungen und Neuerungen rechtfertigten die hohen Mehrausgaben nicht, teilte die FDP mit. Auch die SVP war der Ansicht, der vorgesehene Leistungsausbau sei angesichts der Mehrkosten nicht zu verantworten. Und der Gewerbeverband drohte gar offen mit dem Referendum, falls das Parlament die Beitragserhöhungen für die Selbständigerwerbenden gutheissen sollte.
Die SP, die Gewerkschaften und die Grünen begrüssten zwar die angestrebte Besserstellung der Rentner mit geringem Einkommen, bedauerten aber, dass der Bundesrat die gebotene Gelegenheit zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter verpasst habe, und wiesen darauf hin, dass auch mit den angestrebten Verbesserungen das Problem der existenzsichernden Renten weiterhin ungelöst bleibe [13].
Am meisten Widerstand erwuchs dem Gesetzesvorschlag aber wie erwartet von Frauenseite. Eine Arbeitsgruppe, welcher sieben der repräsentativsten Frauenverbände angehörten, legte auf einer Pressekonferenz dar, weshalb sie der 10. AHVRevision den Kampf ansagen und eventuell auch vor einem Referendum nicht zurückschrecken wolle. Ihre Hauptforderung war die einer zivilstandsunabhängigen AHV mit Betreuungsbonus [14].
Trotz divergierender Ansichten beschloss die zuständige Ständeratskommission auf die Vorlage einzutreten. Ein Rückweisungsantrag der SP-Vertreter, die das gleiche Rentenalter für Mann und Frau und das Rentensplitting verlangten, scheiterte klar. Die Kommission übernahm in der Folge die Vorschläge des Bundesrates nahezu vollständig. Als einzige wichtige Anderung gegenüber dem bundesrätlichen Entwurf lehnte sie eine Erhöhung des Beitragssatzes für die Selbständigerwerbenden ab [15].
Im Parlament wurden mehrere Eingaben zur 10. AHV-Revision eingereicht mit dem Ziel, durch Verbesserungen bei der Beitragsleistung höhere Renten zu erreichen. Die beiden Zürcher Freisinnigen Spoerry und Allenspach wollten so die Alimente geschiedener Frauen und die AHVBeiträge erwerbstätiger Personen im Rentenalter in die Berechnung der Renten einbeziehen, während die Grüne Fraktion Betreuungsgutschriften für die unentgeltliche Pflege von Angehörigen verlangte. Alle drei Vorstösse wurden als Postulat überwiesen [16]..
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Weil die EL immer wichtiger geworden seien und durch die 10. AHV-Revision voraussichtlich noch mehr Bedeutung erhalten werden, forderte Ständerat Hänsenberger (fdp, BE) den Bundesrat in einer Motion auf, die verfassungsmässige Grundlage der EL neu zu fassen. Der Vorstoss wurde gegen den Willen des Bundesrates in der verbindlichen Form überwiesen [17].
Nur als Postulat überwiesen wurde eine Motion Keller (cvp, AG), welche eine Verbesserung der Ergänzungsleistungen und eine einheitliche zehnjährige Karenzfrist für Ausländer und Flüchtlinge verlangte [18]..
Nach ihrem deutlichen Scheitern in der vorberatenden Kommission wurde die parlamentarische Initiative Spielmann (pda, GE), welche für 1989 die Ausrichtung einer 13. AHV/IV-Rente gefordert hatte, ebenfalls im Plenum abgelehnt. Hingegen überwies der Rat ein Postulat der Kommission, mit welchem der Bundesrat aufgefordert wurde, zu prüfen, ob ab 1991 den EL-Bezügern jährlich zusätzlich eine 13. Ergänzungsleistung ausgerichtet werden könnte [19] .
Der Rat lehnte ebenfalls eine weitere parlamentarische Initiative Spielmann, welche punktuelle Verbesserungen für die Bezüger von EL verlangte, mit dem Hinweis darauf ab, dass eine wesentliche Forderung des Initianten (Aufhebung des Selbstbehalts bei Krankheitskosten) bereits realisiert sei, dass andere Elemente der Initiative (Anderung der Berechnung des massgeblichen Einkommens) zu Ungleichheiten zwischen Rentnern führen würde. Im Anschluss an dieses Geschäft überwies der Rat auf Antrag der Kommission ein Postulat für eine bessere Information der Rentner und Rentnerinnen über ihre Ansprüche [20].
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Seit der 9. AHV-Revision gilt, dass die AHV/IV-Renten nur alle zwei Jahre der Teuerung angepasst werden, es sei denn, diese betrage im Zwischenjahr mehr als 8%. Als im Laufe des Sommers klar wurde, dass die Preissteigerungen zwar nicht den erforderlichen Prozentsatz, aber doch ein hohes Niveau erreichen würden, mehrten sich die Stimmen, die ausser Turnus den Teuerungsausgleich für 1991 wollten. Den Auftakt machte Ende August der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) mit einem Brief an den Bundesrat. In den Räten erhielt das Anliegen Unterstützung in Form von zwei gleichlautenden Motionen Piller (sp, FR) und Reimann (sp, BE), die den jährlichen Teuerungsausgleich verlangten und die beide in der Wintersession als Postulat überwiesen wurden [21]..
Als klar war, dass auch die bürgerlichen Parteien einen Teuerungsausgleich bereits per 1.1.1991 unterstützen würden, beschloss der Bundesrat, dem Parlament noch vor Jahresende zu beantragen, den AHV/IV-Rentnern 1991 eine Zulage zu gewähren, die im April und August 1991 in zwei Raten ausbezahlt werden und dem Stand der Teuerung (Landesindex der Konsumentenpreise) vom Monat Dezember 1990 entsprechen soll. Die Kosten wurden auf rund 1,2 Mia Fr. geschätzt, wovon rund 1135 Mio zulasten der Sozialversicherungen gehen, der Rest zulasten des Bundesbudgets 1991. Ende Oktober legte der Bundesrat die entsprechende Botschaft vor, in der Wintersession stimmten die Räte der Vorlage einstimmig zu. Gleichzeitig lehnten sie eine Standesinitiative des Kantons Jura ab, die eine einheitliche Erhöhung aller AHV/IV-Renten und eine Überprüfung der Minimalrenten verlangt hatte [22]..
Ebenfalls noch vor Ablauf des Jahres legte der Bundesrat eine Botschaft für die Revision von Art. 33ter des AHV-Gesetzes vor. Für die Rentenanpassung will die Regierung am Grundsatz der Zweijährigkeit festhalten, doch soll mit einer flexiblen Ausnahmeregelung — Leistungsanpassung bei einer Jahresteuerung von mindestens 4% — die Vornahme einer einjährigen Anpassung erleichtert werden. Für die Berechnung der Rentenerhöhungen wird weiterhin am Mischindex festgehalten, bei dem sowohl der Landesindex der Konsumentenpreise wie die Biga-Lohnstatistik berücksichtigt werden. Im Sinn einer weiteren Harmonisierung der Sozialversicherungen sollen künftig auch die Renten der Unfallversicherung und die Hinterlassenen- und Invalidenrenten der obligatorischen beruflichen Vorsorge im gleichen Zeitpunkt wie die AHV/IV-Renten der Inflation angepasst werden, wobei hier allerdings nur auf den Preisindex abgestellt wird.
Nach Auskunft des Bundesrates ist durch diese Neuerung mit einer jährlichen Mehrbelastung für die AHV von 110 Mio Fr. zu rechnen, wobei 19 Mio auf den Bund, 3 Mio auf die Kantone und der Rest auf die Betriebsrechnung der AHV entfallen. Auf Beitragserhöhungen wird verzichtet [23]. Dass die betroffenen Sozialwerke dies momentan verkraften können, zeigte ihr Rechnungsabschluss für 1990: Dank guter Wirtschaftslage konnten die AHV, die IV und die Erwerbsersatzordnung (EO) ihren Überschuss auf 2,5 Mia Fr. steigern [24].
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Invalidenversicherung
Bei der Beratung der Reorganisation der Invalidenversicherung im Rahmen des zweiten Paketes der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen schloss sich die Mehrheit des Nationalrates der Argumentation von Bundes- und Ständerat an und lehnte den Antrag der Minderheit für die Schaffung regionaler anstatt kantonaler IV-Stellen sowie einer eigenen IV-Stelle für das Bundespersonal ab [25]..
Die Invalidenverbände brachten verschiedentlich ihre Vorbehalte gegenüber der IV vor. Sie verlangten feinere Rentenabstufungen, eine kräftige Aufstockung der Invalidenrenten sowie vermehrte Leistungen für die berufliche und soziale Integration der Behinderten [26].
Deutliche Kritik erfuhr die IV von Frauenseite. Nachdem sie sich in früheren Jahren bereits mit der AHV und dem BVG befasst hatte, nahm die Eidg. Kommission für Frauenfragen nun die Situation der Frau in der IV unter die Lupe. Ihre Bestandesaufnahme ergab, dass in der Regel Frauen in der IV doppelt benachteiligt werden, zum einen in ihrem Status als Frau, indem die Berechnung der IV zivilstandsabhängig erfolgt und von einem traditionellen Rollenverständnis ausgeht, zum anderen durch die gesetzliche Definition der Invalidität als Einkommenseinbusse, die dazu führt, dass Hausarbeit nicht wirtschaftlich bewertet und der Doppelbelastung der Frauen keine Rechnung getragen wird. Sie unterbreitete dem Bundesrat deshalb eine Reihe von Revisionsvorschlägen [27].
Die unterschiedliche Rentenbemessung für Frauen und Männer war auch Anlass für ein vom Nationalrat überwiesenes Postulat Danuser (sp, TG), welches den Bundesrat auffordert, die Verordnung über die IV dahingehend abzuändern, dass der Einkommensvergleich nur mehr im Erwerbsteil erfolgt, dass eine Frau also – gleich wie dies heute für Männer der Fall ist – weiterhin ihre Rente erhält, wenn sie sich aufgrund von Haushaltpflichten aus dem Erwerbsleben zurückzieht [28].
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Berufliche Vorsorge
Indem es erstmals eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau direkt beseitigte, fällte das Eidg. Versicherungsgericht in Luzern einen Entscheid mit Signalwirkung. Es wurde erkannt, dass eine kantonalrechtliche Ordnung, wonach einerseits der Anspruch auf Witwerrente nur besteht, wenn der Witwer während der Ehe auf den Verdienst der Ehefrau angewiesen war und er nachher nicht voll erwerbsfähig ist, währenddem anderseits der Anspruch auf Witwenrente allein durch den Tod des Ehemannes begründet wird, eine geschlechtsspezifische Unterscheidung darstellt, die sich weder mit biologischen noch mit funktionalen Verschiedenheiten der Geschlechter rechtfertigen lässt und daher gegen Art. 4 Abs. 2 BV verstösst [29].
Im Rahmen ihrer grundsätzlichen Überlegungen zur Alterspolitik und zum Verhältnis zwischen 1. und 2. Säule reichte die Grüne Fraktion eine parlamentarische Initiative mit der Forderung ein, das BVG sei dahingehend zu ändern respektive zu ergänzen, dass aus den Kapitalien der 2. Säule jährlich ein Solidaritätspromille in einem Fonds geäufnet werden muss, aus dem generelle Einrichtungen der Alters- und Hochbetagtenbetreuung unterstützt werden können [30].
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Der von Bundespräsident Koller für die zweite Jahreshälfte als indirekter Gegenvorschlag zur 1989 eingereichten Volksinitiative "für eine volle Freizügigkeit in der beruflichen Vorsorge" in Aussicht gestellte Gesetzesentwurf verzögerte sich bis anfangs 1991 [31]..
Primär aus formalen Gründen gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Cavadini (fdp, TI), welche als Übergangslösung eine sofortige Herabsetzung der im OR festgehaltenen Fristen für den vor- und überobligatorischen Bereich verlangte,. keine Folge. Da er aber mit dem Initianten dèr Auffassung war, eine rasche Verbesserung der Freizügigkeitsregelung sei dringend, überwies er ein Postulat der vorberatenden Kommission, mit welchem der Bundesrat eingeladen wird, möglichst rasch Bericht und Antrag für eine Revision des BVG und der OR-Artikel vorzulegen [32] .
Auch ohne gesetzliche Verankerung wurden bei der Lockerung der 'goldenen Fesseln' Erfolge erzielt. Schätzungsweise rund 300 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen heute bereits in den Genuss der 'vollen' Freizügigkeit. Das sind rund 10% der in der 2. Säule Versicherten. Mindestens 150 000 erhalten bei einem Stellenwechsel von ihrer bisherigen Kasse mehr Geld als ihnen gemäss heute gültiger Regelung mitgegeben werden müsste [33] .
Die Eidg. Versicherungskasse (EVK) bot ein neues Freizügigkeitsabkommen (Abkommen 90) an, welches die 1970 mit Pensionskassen öffentlicher Verwaltungen und Institutionen abgeschlossene Vereinbarung ablöst. Mit dem Beitritt zum neuen Abkommen verpflichten sich die Pensionskassen, beim Ubertritt eines Versicherten in eine andere Abkommenskasse dieser den gleichen Betrag zu überweisen, den sie verlangen müsste, wollte sie einem gleichaltrigen Eintretenden die selben Anwartschaften garantieren. Die EVK führte so eine Regelung ein, die der von der BVG-Kommission favorisierten Lösung des "Barwerts der erworbenen Ansprüche" entspricht [34].
Zu hohe Einkaufssummen werden immer wieder dafür verantwortlich gemacht, dass der Bund Mühe hat, Kaderleute aus der Privatwirtschaft zu rekrutieren. Obgleich Bundesrat Stich anhand konkreter Zahlen das Problem relativierte und sich gegen einen verbindlichen Auftrag aussprach, überwies der Ständerat eine Motion Rüesch (fdp, SG), welche die Regierung beauftragt, die kassenrechtlichen Barrieren weiter zu beseitigen [35] .
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War es 1989 die Freizügigkeit, so stand im Berichtsjahr die Angleichung der BVG-Renten an die Teuerung im Mittelpunkt der Diskussionen. Die Pensionskassen haben in dieser Frage weitgehend freie Hand.
Das Gesetz schreibt lediglich vor, dass die BVG-Hinterlassenen- und Invalidenrenten erstmals nach einer Laufzeit von drei Jahren der Preisentwicklung angepasst werden müssen. Bei den Altersrenten soll der Ausgleich "im Rahmen der finanziellen Mittel" erfolgen. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass diese Regelung angesichts der hohen Teuerung der letzen Jahre nicht unproblematisch ist, doch möchte er die Frage des Teuerungsausgleichs nicht vorgezogen, sondern erst im Paket der ersten Revision des BVG behandeln, die 1995 abgeschlossen sein muss [36] .
So lange aber wollen viele Rentner nicht mehr warten. Auf Anregung der Grauen Panther Basel lancierte der Schweizerische Rentnerverband deshalb im März eine Volksinitiative "für einen vollen Teuerungsausgleich bei laufenden Renten der beruflichen Vorsorge". Die Initiative ist in der Form der allgemeinen Anregung gehalten, legt aber gewisse Grundsätze fest. So müssten die Altersrenten alle Jahre der Preisentwicklung angepasst werden, und der obligatorische Teuerungsausgleich sollte nicht nur für den obligatorischen, sondern auch für den vor- und überobligatorischen Teil gelten. Die Initianten vertraten die Ansicht, dass ihr Begehren ohne weitere Lohnabgaben allein aufgrund der Zins- und Ertragsgewinne der Pensionskassen realisiert werden könnte [37] .
Unterstützung fand das Anliegen der Rentner auch im Parlament. Die beiden Zürcher Abgeordneten Weber und Dünki reichten im jeweiligen Rat ähnlichlautende Motionen ein, die eine Änderung des BVG im Sinne einer Verpflichtung zur Gewährung des Teuerungsausgleichs auf allen Renten verlangen. Da Bundesrat Cotti versicherte, dass dies eines der Hauptziele der künftigen Revision des BVG sein werde, überwies die kleine Kammer die Motion nur als Postulat [38] ..
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Vor allem freisinnige und liberale Kreise setzten sich dafür ein, dass die 1989 beschlossenen Beschränkungen der Anlagemöglichkeiten der Pensionskassen im Bodenmarkt wieder rückgängig gemacht werden, da sie ihrer Meinung nach zu einem Einbruch im Wohnungsbau geführt hätten. Sowohl die freisinnige wie die liberale Fraktion reichten entsprechende Motionen ein. Im Ständerat wurde letztere als Motion Reymond (lps, VD) in der Wintersession gegen den ausdrücklichen Willen des Bundesrates, der diese Einschätzung der Lage bestritt mit 26 zu 9 Stimmen überwiesen [39] ..
Einstimmig hiess der Ständerat eine parlamentarischen Initiative Kündig (cvp, ZG) gut, die den Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum mit Mitteln der beruflichen. Vorsorge erleichtern will. Im Nationalrat erwuchs einer gleichlautenden Initiative Spoerry (fdp, ZH) Opposition der SP und der Grünen. Diese argumentierten, es bestehe die Gefahr eines Zielkonflikts zwischen Wohneigentumsförderung und Alterssicherung, und der Rückgriff auf die einem Versicherten individuell zustehenden Gelder ermögliche es nur älteren und gutverdienenden Arbeitnehmern, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Trotz dieser Bedenken, die auch bei einigen bürgerlichen Politikern Unbehagen auslösten, wurde der Initiative mit deutlichem Mehr Folge gegeben. Da für die zweite Jahreshälfte 1991 eine einschlägige Botschaft des Bundesrates zu erwarten ist, wurde die gesetzgeberische Arbeit an der Initiative allerdings bis dahin sistiert [40] .
Die rot-grüne Minderheit im Nationalrat möchte die Pensionskassengelder ebenfalls zur Förderung des Wohnungsbaus heranziehen, allerdings nur in beschränktem Mass und primär zur Gewährung von günstigen Hypothekardarlehen sowohl für selbstbewohntes Eigentum als auch für den allgemeinen Wohnungsbau. In diese Richtung zielten drei eingereichte Vorstösse, von denen ein Postulat Longet (sp, GE) im Berichtsjahr überwiesen wurde. Eine von Ständerat Zimmerli (svp, BE) eingereichte Motion möchte ebenfalls einen Teil des Vorsorgekapitals zumindest vorübergehend zur Entlastung des überhitzten Hypothekarmarktes einsetzen [41] .
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Krankenversicherung
Sechs Jahre nach dem Nationalrat schrieb auch der Ständerat eine Standesinitiative des Kantons Waadt von 1968 ab, welche die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung auf Bundesebene angeregt hatte [42]..
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In der Frühjahrssession beschloss der Ständerat auf die Weiterverfolgung seines materiellen Gegenvorschlags zur Volksinitiative "für eine finanziell tragbare Krankenversicherung" zu verzichten und auf den nationalrätlichen Kompromissvorschlag einzuschwenken. Einstimmig hiess die kleine Kammer die Erhöhung der Bundesbeiträge an die Krankenkassen um jährlich rund 300 Mio auf 1,3 Mia Fr. von 1990 bis 1994 gut. Das Konkordat der Schweizerischen Krankenkassen (KSK), welches die Initiative eingereicht hatte, war mit diesem indirekten Gegenvorschlag nicht zufrieden und zog ihr Begehren nicht zurück [43].
Aufgrund dieses Finanzierungsbeschlusses konnte der Bundesrat zwei Pakete von Verordnungsänderungen verabschieden, mit denen neue Leitplanken bis zum Inkrafttreten eines revidierten Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (KUVG) gesetzt werden sollen. Rückwirkend auf den 1.1.1990 und für einen Zeitraum von fünf Jahren wurde so eine Neuverteilung der Bundeszuschüsse an die Krankenkassen vorgenommen. Die Einteilung der erwachsenen Versicherten in verschiedene Altersgruppen mit abgestuften Zuschüssen ermöglicht eine Verlagerung der Subventionierung hin zur älteren Generation. Zudem verfügte der Bundesrat, dass ab 1.1.1992 innerhalb einer bestimmten Region die höchste Prämie einer Kasse nicht mehr das Dreifache, sondern nur noch das Doppelte der niedrigsten Prämie für Erwachsene betragen darf [44].
Im Sinn weitergehender Massnahmen zur Kosteneindämmung setzte der Bundesrat im Dezember die Jahresfranchise für Versicherte auf neu 150 Fr. fest, die traditionelle Quartalsfranchise von zuletzt 50 Fr. wurde abgeschafft, der Selbstbehalt von 10% des die Franchise übersteigenden Betrags beibehalten. Im Bereich der Kollektivversicherungen verfügte er, dass die Versicherten auch bei alters- oder invaliditätsbedingtem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sowie bei Arbeitslosigkeit weiterhin mit ihren Familienangehörigen dem Kollektivvertrag angehören können. Weiter wurden die Beitragsunterschiede zwischen den einzelnen Regionalstufen und den Eintrittsaltersgruppen gleichmässiger auf alle Versicherten einer Kasse verteilt und festgehalten, dass die Prämien der Kollektivversicherung die Minimalprämien der Einzelversicherung nicht unterschreiten dürfen [45].
Weiter als die Regierung, nämlich bis zum Verbot der Kollektivversicherungen und der Einführung eines Lastenausgleichs zwischen den Krankenkassen, wollte eine Motion Reimann (sp, BE) gehen. Dem hielt der Bundesrat entgegen, dass eine Revision des KUVG in Gange sei und es ihm nicht opportun erscheine, einzelne Teile aus dem Gesamtpaket herauszubrechen. Die grosse Kammer folgte dieser Argumentation und überwies die Motion als Postulat [46].
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Der Überbrückungsvorschlag des Nationalrates war auch deshalb zustande gekommen, weil im Spätsommer 1989 bekannt geworden war, dass der Bundesrat eine Expertenkommission eingesetzt hatte mit dem Auftrag, aufgrund verschiedener Vorgaben Vorschläge zu einer Totalrevision des KUVG auszuarbeiten [47]..
Die von Ständerat Otto Schoch (fdp, AR) geleitete Kommission präsentierte ihren Gesetzesentwurf Mitte Dezember der 0ffentlichkeit. Sie befürwortete eine obligatorische Krankenpflegeversicherung für die gesamte Bevölkerung, gleiche Prämien für Mann und Frau, für Junge und Alte, völlige Freizügigkeit für alle Versicherten und einen Lastenausgleich zwischen den einzelnen Kassen.
Im Bereich der Leistungen schlug die Kommission Verbesserungen für die Versicherten vor: Die Beschränkung der Leistungsdauer für Spitalpflegeaufenthalte — heute 720 Tage — sollte entfallen, Hauskrankenpflege, Prävention und Zahnbehandlungen im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen neu von den Kassen vergütet werden. Trotz Ausbau der Leistungen erachtete die Kommission ihren Gesetzesentwurf als Beitrag zur Kostendämpfung, da die Versicherten durch grössere Transparenz bei den Abrechnungen, einen auf 15% angehobenen Selbstbehalt und das Angebot alternativer Versicherungsformen (HMO) verantwortungsbewusster werden sollten. Im Gegenzug müssten sich die Anbieter — in erster Linie Ärzte und Spitäler — einer Kontrolle der Wirtschaftlichkeit ihrer Leistungen unterziehen.
Nach den Vorstellungen der Kommission soll die Krankenversicherung weiterhin durch Kopfprämien und Beiträge der öffentlichen Hand finanziert werden. Die Bundessubventionen sollen neu zu einem Drittel für Mutterschaftsleistungen und den Ausgleich der höheren Betagten-Kosten eingesetzt werden und zu zwei Dritteln für individuelle Prämienverbilligungen für Personen, deren Familienprämie einen bestimmten prozentualen Anteil ihres Einkommens und Vermögens übersteigt. Im Vordergrund der Diskussionen stand hier ein Prozentsatz von 7%, was heissen würde, dass über die Hälfte der Bevölkerung in den Genuss dieser Subventionen käme. Damit könnten auch sozial Schwächere die durch den Leistungsausbau notwendig werdende Erhöhung der Prämien um durchschnittlich 24% für Männer und 12% für Frauen verkraften.
Die Vorschläge der Kommission Schoch wurden von den Parteien recht freundlich aufgenommen. Für die FDP gingen die angestrebten Reformen in die richtige Richtung, auch wenn die relativ beschränkte Kostenkontrolle zu einem weiteren Anstieg der Gesundheitskosten führen werde. Die CVP begrüsste mit Blick auf den Solidaritätsgedanken das Obligatorium sowie die gezielte Prämienverbilligung durch den Bund. Dem Obligatorium skeptisch gegenüber stand hingegen die SVP, welche zudem bemängelte, kostendämpfende Elemente seien zu wenig berücksichtigt worden. Mit ihrer Kritik befand sie sich auf derselben Linie wie der Gewerbe- und der Arbeitgeber-Verband.
SP und Gewerkschaftsbund zeigten sich erfreut über die Einführung des Obligatoriums und die angestrebten Prämienentlastungen für einkommensschwache Personen. Sie bedauerten aber, dass mit der vorgeschlagenen Erhöhung des Selbstbehalts die Kostenfolgen erneut auf die Versicherten überwälzt würden und verlangten weitergehende gezielte Prämienverbilligungen. Zudem erinnerten sie daran, dass eine von ihnen 1986 eingereichte Volksinitiative "für eine gesunde Krankenversicherung", welche unter anderem die Kopfprämien durch Lohnprozente ersetzen will, nach wie vor hängig ist.
Bundesrat Cotti zeigte sich ebenfalls zufrieden mit der Arbeit der Kommission Schoch. Er kündigte an, dass ein Revisionsentwurf im Februar 1991 in die Vernehmlassung gehen soll. Die definitive Vorlage will der Bundesrat spätestens im Herbst 1991 präsentieren, also noch vor der Abstimmung über die beiden hängigen Krankenkassen-Initiativen [48].
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Mutterschaftsversicherung
Die Kommission für soziale Sicherheit des Nationalrats gab bekannt, dass sie dem Plenum bei der Behandlung der Standesinitiative des Kantons Genf das gleiche Vorgehen empfehlen will, wie es der Ständerat wählte, nämlich die Umwandlung in ein Postulat, mit welchem der Bundesrat aufgefordert wird, den Räten darüber Bericht zu erstatten, wie unverzüglich ein Entwurf für eine von der Krankenversicherung unabhängige Mutterschaftsversicherung ausgearbeitet werden könne [49].
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Unfallversicherung
Die Behandlung einer 1988 eingereichten Motion Eisenring zur Unterstellung der Suva unter die Parlamentskontrolle wurde wegen der Opposition der Nationalräte Allenspach (fdp, ZH) und Reimann (sp, BE) verschoben. Im Oktober wurde sie, da seit zwei Jahren hängig, abgeschrieben [50].
In erster Linie aus Gründen der Arbeitssicherheit verlangte der Solothurner SP-Nationalrat Leuenberger in einer ebenfalls von Allenspach bekämpften Motion ein Unfallversicherungs-Obligatorium für Selbständigerwerbende [51]..
Der Nationalrat überwies ein Postulat Blatter (cvp, 0W), welches den Bundesrat beauftragt zu prüfen, wie das geltende Unfallversicherungsgesetz dahingehend ergänzt werden könnte, dass bei einem tödlichen Arbeitsunfall den Eltern oder Grosseltern des Opfers in Härtefällen eine Entschädigung ausbezahlt werden kann [52] .
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Militärversicherung
Ende Juni verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft für eine Totalrevision der Militärversicherung. Hauptziele der Revision sind eine vermehrte Harmonisierung mit den übrigen Sozialversicherungen und Verbesserungen im Leistungsbereich. Insbesondere wird der Verdienstausfall künftig im Ausmass von einheitlich 95% ausgeglichen (statt wie bisher je nach Familienlasten). Dazu kommen Ehegatten- und Waisenrenten auch für den Fall, dass der Tod in keinem Zusammenhang mit dem versicherten Leiden steht, die Hinterbliebenenrente der AHV aber wegen des Erwerbsunterbruchs ungenügend ist. Weiter schlägt der Bundesrat eine Ausdehnung der Eingliederungs- und Umschulungsmassnahmen und verbesserte Leistungen an Selbständigerwerbende vor.
Der Geltungsbereich der Militärversicherung wird sodann ausgedehnt, namentlich auf Teilnehmer an friedenserhaltenden Aktionen des Bundes und an Einsätzen des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps. Auch zeitlich schlug der Bundesrat eine Erweiterung des Geltungsbereiches vor. Der Versicherungsschutz soll während des persönlichen Urlaubs nicht mehr ruhen und ebenfalls für Informationsanlässe zur Aushebung gelten.
Trotz den zahlreichen Leistungsverbesserungen werden Bund und Kantone durch diese Totalrevision finanziell nicht zusätzlich belastet. Der Mehraufwand — anfänglich rund 7,8 Mio und nach Ablauf der Übergangsregelung ungefähr 13,6 Mio Fr. — wird durch die Reduktion der Altersrente auf 50% des versicherten Einkommens und durch den Verzicht auf die Steuerfreiheit bei neuen Leistungen ausgeglichen [53] .
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Erwerbsersatzordnung
Die Erwerbsersatzordnung (EO) konnte ihren fünfzigsten Geburtstag feiern. Aufgrund seiner Kriegsvollmachten hatte der Bundesrat auf den 1. Februar 1940 die Lohnersatzordnung eingeführt, dank der erneute soziale Spannungen vermieden werden konnten [54] .
In der Sommersession behandelte der Nationalrat eine Petition, welche eine Revision des EOG und des OR in dem Sinn verlangte, dass in Fällen, in denen ein Mann nicht erwerbstätig ist und minderjährige Kinder betreut, seine Frau während seines Militärdienstes ihrer Arbeit fernbleiben kann und dennoch ihren Lohn im gleichen Umfang weiterbezieht, wie sie ihn erhielte, wenn sie als Mann Militärdienst leistete. Der Rat gab der Petition keine Folge, überwies aber ein Postulat seiner Petitions- und Gewährleistungskommission, mit welcher der Bundesrat beauftragt wird, im Rahmen des EOG die Einführung einer Zulage für Erziehunsgaufgaben zu prüfen. Der Ständerat gab der Petition ebenfalls keine Folge, verwies aber, in zustimmendem Sinn, ausdrücklich auf das Postulat des Nationalrates [55] .
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Arbeitslosenversicherung
Mit der von beiden Kammern angenommenen Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes strebt der Bundesrat eine Vereinfachung des Vollzugs im Leistungsbereich sowie die Aufwertung der Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung an. Der letzte Punkt gab in beiden Räten viel zu reden. Gemäss dem bundesrätlichen Vorschlag soll die Schlechtwetterentschädigung nur da zum Tragen kommen, wo witterungsbedingt bereits bestehende Kundenaufträge nicht ausgeführt werden können, zum Beispiel in der Bau- und Forstwirtschaft, während durch Schneemangel verursachte Kundenausfälle in den Wintersportorten nur als Härtefälle im Rahmen der Kurzarbeitsentschädigung zu gelten hätten.
Gegen diese Auffassung opponierten im Ständerat Vertreter der Berggebiete. Sie verlangten den Einbezug der Touristikbetriebe in die Schlechtwetterentschädigung, welche im Gegensatz zur Entschädigung bei Kurzarbeit zeitlich unbegrenzt ausgerichtet wird und geringere Karenzfristen kennt. Sie setzten sich zwar nicht durch, erreichten aber immerhin, dass der Ständerat ein Postulat überwies, mit welchem der Bundesrat eingeladen wird, eine Schlechtwetterentschädigung für Skischulen, Seilbahnen und Skilifte sowie für Berg- und Pistenrestaurants zumindest in der Verordnung vorzusehen. Im Nationalrat wollte eine Koalition aus FDP, SP und Grünen die witterungsbedingten Einkommenseinbussen der Tourismusbranche gar von der Kurzarbeitsentschädigung ausnehmen, doch stimmte die Ratsmehrheit für den Vorschlag des Bundesrates.
Anlass zu Diskussionen gab auch die vorgesehene Degression bei den Taggeldzahlungen. Im Ständerat setzten sich die Sozialdemokraten mit Unterstützung des christlichsozialen Flügels der CVP dafür ein, dass auf eine Kürzung der Taggelder nach dem 85. bezw. dem 170. Tag verzichtet werde, da dies einer Bestrafung der Arbeitslosigkeit gleichkomme. Im Nationalrat wurde dieser Antrag von der SP, den Grünen, dem LdU und Teilen der CVP unterstützt. Beide Räte folgten aber schliesslich Bundesrat Delamuraz, für den die Degression einen Anreiz zur effizienteren Arbeitssuche darstellt, und der versicherte, dass in Härtefällen und bei Arbeitnehmern über 45 Jahren die Taggelder nicht gekürzt würden.
Keine Chance hatte auch ein Antrag Reimann (sp, BE) auf eine generelle Erstrekkung der Bezugsdauer. Beide Räte beschlossen aber, die für Härtefälle vorgesehene Höchstzahl der Taggelder von 250 auf 300 anzuheben. Eine Standesinitiative des Kantons Neuenburg, welche 500 Tage verlangte, um die durch Krisenhilfe an ausgesteuerte Arbeitslose stark geforderten Gemeinden etwas zu entlasten, wurde in beiden Räten abgelehnt [56].
Das Eidg. Versicherungsgericht hob zwei Bestimmungen der Arbeitslosenversicherungsverordnung über die Vermittlungsfähigkeit von Teilzeitbeschäftigten als gesetzeswidrig auf. Laut EVG gilt eine versicherte Person auch dann als vermittlungsfähig und hat somit ein Recht auf Arbeitslosenentschädigung, wenn sie bereit ist, eine Beschäftigung von mindestens 20% einer Vollbeschäftigung anzunehmen, statt der von der Verordnung vorgeschrieben 50%. Zudem dürfen einer vor der Arbeitslosigkeit teilzeitbeschäftigten Person die Leistungen nicht verwehrt werden, wenn sie sich weigert, eine volle Stelle anzunehmen [57].
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Weiterführende Literatur
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[1] Bund, 7.5.90, TA, 9.5.90; SHZ, 10.5.90. Im Hinblick auf die hier anstehenden Probleme und die Anpassungen, die eine Annäherung an Europa mit sich bringen wird, wurde das BA für Sozialversicherung (BSV) einer gründlichen Reorganisation und Straffung unterzogen (ZAK, 1990, S. 169 ff.). Ein von NR Allenspach (fdp, ZH) eingereichtes Postulat ersucht den BR, die Gesamtkonzeption der sozialen Sicherheit zu überprüfen (Verhandl. B. vers., 1990, V, S. 66). Siehe dazu auch Lit. Allenspach.
[2] BaZ und NZZ, 28.2.90; siehe auch SPJ 1989, S. 204. Das starre Festhalten am Prinzip der Kostenneutralität stiess sogar in bürgerlichen Kreisen auf einiges Unverständnis. Mit dem Hinweis darauf, dass die Quote der Soziallast in der Schweiz, gemessen am Bruttoinlandprodukt, nur gerade 20% ausmacht und damit rund 60% unter dem Durchschnitt vergleichbarer Industrieländer des Westens liegt, wurden die Ausserungen der SVP als etwas voreilig kritisiert (SHZ, 8.3.90).
[3] BBl, 1990, I, S. 1740 ff.; Presse vom 13.1.90 (Bereinigung des Initiativtextes); Presse vom 9.5.90 (Haltung der Pensionskassen); Presse vom 30.4.90 (SP); Bund und TW, 15.5.90 (SGB); Presse vom 14.8.90 (Lancierung); siehe auch SPJ 1989, S. 204. Die PdA, die in der vorbereitenden Expertengruppe mitgearbeitet hatte, wurde aus dem Initiativkomitee wieder 'ausgeladen', da es, so der neue SP-Präsident Bodenmann, hier um die Profilierung einer politischen Bewegung gehe, und er den Eindruck habe, dass die PdA ohnehin von der Bildfläche verschwinden werde (WoZ, 3.8.90; VO, 9.8., 23.8. und 30.8.90).
[4] TA, 24.2.90.
[5] Gesch.ber. 1990, S. 19; Bund, 7.5.90; NZZ, 9.5.90; SHZ, 10.5.90; Suisse, 15.9.90.
[6] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 708. Für eine aufgrund der neuen Arbeitsmarktbedingungen notwendige Neuorientierung der staatlichen Sozialwerke plädierte auch eine an der Universität St. Gallen erstellte Studie: siehe Lit. Ackermann; Presse vom 30.10.90.
[7] Presse vom 17.1.90. Mit einem Postulat will die Grüne Fraktion den BR auffordern, umgehend die Einführung des GME prüfen zu lassen (Verhandl. B.vers.,1990, IV, S. 56).
[8] TA, 30.10.90.
[9] BBI, 1990, III, S. 174.
[10] Verhandl. B. vers., 1990, IV, S. 56; Amtl. BulL NR, 1990, S. 911; Informationsbericht des Bundesrates über die Stellung der Schweiz im europäischen Integrationsprozess vom 26. November 1990, S. 37. Siehe auch SPJ 1984, S. 48, und 1987, S. 69 (Ablehnung der Europäischen Sozialcharta im Parlament).
[11] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 885 ff.; BBI, 1990, 11, S. 1513 ff. und 111, 1776 ff.; Amtl. Bull NR, 1990, S. 2298 f. und 2497; Amtl. Bull. StR, 1990, S. 834 ff. und 1102. Siehe auch SPJ 1989, S. 70 und Presse vom 25.10. und 26.10.89 (Staatsbesuch des belgischen Königs).
[12] Presse vom 19.4.90; SHZ, 10.5.90; ZAK, 1990, S. 218 ff.; siehe dazu auch SPJ 1989, S. 184. Ob das vom BR angenommene jährliche Wirtschaftswachstum von rund zwei Prozent auch tatsächlich realistisch sei, wurde von Experten zum Teil angezweifelt (Bund, 7.5.90).
[13] BBl, 1990, II, S. I ff.; Presse vom 17.3.90; "Die Anträge des Bundesrates zur 10. AHV-Revision", ZAK, 1990, S. 154 ff. und 189 f. Vgl. auch BR Cotti in Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1574 und 1583 f.
[14] Presse vom 19.10.90; SZ, 31.12.90 (Interview Cotti); Lit. Haller. Eine Motion Haller (sp, BE), welche die Einführung zivilstandsunabhängiger Renten verlangte, wurde, da seit zwei Jahren unbehandelt, abgeschrieben (Verhandl. B.vers.,1990, IV, S. 88).
[15] NZZ, 19.10. und 26.10.90.
[16] Amtl. Bull., 1990, S. 1259 f. (Postulat Spoerry), 1261 (Postulat Allenspach) und 1252 (Motion Grüne Fraktion). Ebenfalls im Rahmen der 10. AHVRevision reichte die Grüne Fraktion eine weitere Motion ein, die verlangt, dass pflegebedürftigen Betagten, die zu Hause betreut werden und die so einen Heim- oder Spitalaufenthalt vermeiden können, ein angemessenes Taggeld ausbezahlt wird (Verhandl. B. vers., 1990, IV, S. 56).
[17] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 1061 f. Siehe dazu auch "Statistik der Bezüger von Ergänzungsleistungen", ZAK, 1990, S. 367 ff.
[18] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1254 f.; Aktiv, 1990, Nr. 7, S. 4.
[19] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1574 f. Siehe auch SPJ 1989, S. 205. Die Ausrichtung einer 13. AHV/IVRente verlangte auch eine Petition aus dem Tessin, welche mit 25 000 Unterschriften an den BR eingereicht wurde (Suisse, 3.9.90).
[20] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1576 ff. Siehe auch SPJ 1989, S. 205.
[21] TW, 31.8.90; NZZ, 4.9., 15.9., 18.9.90. Ausführungen Cottis zu den Intentionen des BR: Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1583 ff. Motion Piller: Amtl. Bull. StR, 1990, S. 1060. Motion Reimann: Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2420.
[22] Parteien: BZ, 18.9.90. Entscheid BR: Presse vom 25.9.90. Vorlage: BBI, 1990, III, S. 919 ff. und 1779 f.; Amtl. Bull. StR, S. 866 ff. und 1103; Der NR weigerte sich, in diesem Zusammenhang das Postulat seiner Kommission für eine 13. EL abzuschreiben: Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2176 ff. und 2498.
[23] BBl, 1991, 1, S. 217 ff. Die Berechnungen des BR gehen von den 1990 geltenden Bestimmungen aus, tragen der 10. AH V-Revision also noch keine Rechnung und beruhen auf den Rechnungsergebnissen von 1989.
[24] Die AHV/IV-Rentenanpassung, die schliesslich 6,6% betrug, ist in diesen Zahlen bereits eingerechnet (Bund, 9.3.91).
[25] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1798. Siehe auch SPJ 1989, S. 205.
[26] NZZ, 21.5. und 1.11.90. Siehe dazu auch F. Cotti, "La situation des invalides", in Documenta, 1990, Nr. 2, S. 8 ff.
[27] "Vorschläge der eidg. Kommission für Frauenfragen für eine Gleichstellung der Frauen in der IV", in Frauenfragen, 1990, Nr. 2, S. 11 ff.
[28] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 705 f.
[29] Presse vom 25.10.90; Bund, 27.10.90. Für weitere Urteile des EVG im Bereich BVG siehe: TA, 27.1. (Fusionen von Pensionskassen) und 2.2.90 (Klagerecht der Gewerkschaften); NZZ, 9.11.90 (Leistungskumulationen).
[30] Die vorberatende Kommission beschloss, dieser Motion ein offener formuliertes Postulat gegenüberzustellen (Verhandl. B. vers., 1990, V, S. 30). Zur Haltung der Grünen und ganz allgemein zur Diskussion über das Verhältnis AHV/IV-BVG siehe oben, Grundsatzfragen.
[31] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 486; Bund, 22.10.90; BZ, 21.12.90; Presse vom 8.1.91. Siehe auch SPJ 1989, S. 106 f. Zur allgemeinen Diskussion über die Freizügigkeit siehe SHZ, 8.2., 15.2. und 8.3.90. Eine Studie der Universität Bern zeigte, dass die heute vorliegenden fünf Freizügigkeitsmodelle von den Kassen finanziell verkraftet werden könnten und die Kosten in den allermeisten Fällen weniger als ein Lohnprozent betragen würden (BZ, 17.4.90).
[32] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1645 ff. Siehe auch SPJ 1989, S. 206.
[33] Bund, 22.10.90; BZ, 21.12.90.
[34] NZZ, 12.1.90. Siehe auch SPJ 1989, S. 207.
[35] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 739 ff.
[36] TA, 10.2.90. Auf Anfang 1991 wurden die seit 1987 laufenden Hinterlassenen- und Invalidenrenten erstmals der Teuerung angepasst und um 11,9% erhöht (NZZ, 24.10.90). Zu den laufenden Arbeiten in der Verwaltung siehe ZAK, 1990, S. 297.
[37] BBI, 1990, I, S. 1552 f.; NZZ und TW, 27.3.90.
[38] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 1062 f.; Verhandl. B.vers., 1990, V, S. 84.
[39] Verhandl. B.vers., 1990, V, S. 56 und 59 f. Eine Kommission des NR unterstützte diese Forderung ebenfalls mit einer Motion (ibid., S. 64). Amtl. Bull. SIR, 1045 ff. Siehe auch oben, Teil I, 6 c (Raumplanung) und SPJ 1989, S. 160 f. und 207 f.
[40] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 113 ff.; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 661 ff.; NZZ, 26.1.90; TA, 22.3.90; BZ und TW, 24.3.90. Im Gegensatz zum Erstrat lehnte der StR eine allgemein gehaltene Motion Müller (Idu, AG) zur Anlagepolitik der Pensionskassen ab (Amtl. Bull. StR, 1990, S. 119 f.). Zu dieser Motion und zur Initiative Spoerry/Kündig siehe auch SPJ 1989, S. 165 und 208.
[41] Verhandl. B.vers., 1990, V, S. 104 (Motion Leuenberger, sp, ZH), 133 (Postulat Weder, Idu, BS) und 150 (Motion Zimmerli); Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1262 (Postulat Longet). Mit dem Zusammenhang zwischen Pensionskassen und Wohnungsbau befasst sich auch eine Ende Jahr, eingereichte Motion Vollmer (sp, BE), welche eine Anderung der Bewertungsvorschriften im BVG verlangt, die einerseits die Bildung angemessener stiller Reserven ermöglichen, andererseits aber verhindern soll, dass die Neubewertung auf die Mietzinse durchschlagen kann (Verhandl. B.vers., 1990, V, S. 132).
[42] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 177.
[43] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 172 ff. und 275; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 757 f.; BBI, 1990, I, S. 1594 f.; Presse vom 16.3.90; NZZ, 24.3.90 und Bund, 16.6.90 (KSK). Siehe auch SPJ 1989, S. 209.
[44] AS, 1990, S. 1673 ff.; Presse vom 18.10.90.
[45] AS, 1991, S. 17 ff. und 606 ff.; Bund und NZZ, 4.12.90; TA, 31.12.90.
[46] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1897 f.
[47] Siehe SPJ 1989, S. 209 f. Weil er den Vorschlägen dieser Kommission nicht vorgreifen wollte, nahm der StR von einer Petition, die eine Einführung des Krankenkassenobligatoriums verlangte, zwar Kenntnis, gab ihr aber keine Folge (Amtl. Bull. StR, 1990, S. 178). Im NR konnte ein Postulat Dormann (cvp, LU), das die Einführung einer obligatorischen Taggeldversicherung für Arbeitnehmer anregte, nicht überwiesen werden, da es von NR Allenspach (fdp, ZH) bekämpft wurde (Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2432).
[48] Presse vom 18.12.90. Die LPS hatte sich bereits anlässlich ihres Kongresses im September für die Einführung des Krankenkassen-Obligatoriums und für eine separate Mutterschaftsversicherung ausgesprochen (Suisse, 9.9.90; Opinion libérale, 1990, Nr. 31, S. 5 ff.). Baselstadt, mit seiner OKK seit Jahrzehnten Pionier im schweizerischen Krankenkassenwesen, gab sich in einer Volksabstimmung ein neues Krankenversicherungsgesetz, welches die wichtigsten Vorschläge der Kommission Schoch (Obligatorium, Prämiengleichheit für Frauen und Männer, Lastenausgleich zwischen den Kassen) festschreibt (BaZ, 23.3. und 2.4.90).
[49] NZZ, 7.9.90.
[50] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 681 f.; Verhandl. B.vers., 1990, IV, S. 85.
[51] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2421 f.
[52] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2431 f.
[53] BBl, 1990, III, S. 201 ff. Siehe dazu auch SPJ 1989, S. 211.
[54] NZZ, 23.1.90.
[55] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1246 f.; Amtl. Bull. StR, 1990, S. 848 ff. Siehe dazu auch SPJ 1989, S. 211.
[56] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 67 ff., 699 und 857. Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1407 ff., 1431 ff. und 1966; BBI, 1990, III, S. 590 ff. Vgl. SPJ 1989, S. 212. Aufgrund der geltenden Bestimmungen über die Kurzarbeitsentschädigung richtete der Bund erstmals Entschädigungen an jene Betriebe der Berg- und Tourismusregionen aus, die ihren Betrieb wegen akuten Schneemangels vollständig stillegen mussten. Diese Massnahme war allerdings nicht unumstritten (Presse vom 18.1.90; NZZ, 22.1.90; SGT, 23.1.90; BüZ, 24.1.90).
[57] JdG und NZZ, 26.1.90.
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