Sozialpolitik
Sozialversicherungen
Die künftige Finanzierbarkeit der Sozialwerke stand weiterhin im Zentrum der Diskussionen. - Die 10. AHV-Revision wurde in der Volksabstimmung angenommen, die Volksinitiative "zum Ausbau von AHV und IV" hingegen abgelehnt. - Die Volksinitiative der SP und der Gewerkschaften "für die 10. AHV-Revision ohne Erhöhung des Rentenalters" kam zustande. - Der Vorentwurf für die 3. Revision des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen ging in die Vernehmlassung. - Bei der Mutterschaftsversicherung schlugen Frauen der vier Bundesratsparteien neue Modelle vor. - Die zweite Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes konnte verabschiedet werden. - Die 6. Revision des Bundesgesetzes über die Erwerbsersatzordnung wurde in die Vernehmlassung gegeben.
Grundsatzfragen
Anfangs März fand in Kopenhagen die
UNO-Gipfelkonferenz zur sozialen Entwicklung statt. Der Sozialgipfel verstand sich als Anschluss an den Umweltgipfel von Rio (1992), die Menschenrechtskonferenz von Wien (1993) und die Konferenz zur Bevölkerungsentwicklung in Kairo (1994). Zum Abschluss der Tagung verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs, Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung verstärkt zu bekämpfen. Auf ein verbindliches Modell des sozialen Ausgleichs und der raschen Entschuldung der Dritten Welt vermochte sich die Staatengemeinschaft jedoch nicht zu einigen. In ihrer Rede vor dem Plenum hob die Leiterin der Schweizer Delegation, Bundesrätin Dreifuss, die Bedeutung der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hervor, deren Aufgabe es nun sei, die Regierungen mit konkreten Zielen zu konfrontieren. Sie stellte auch eine Überprüfung der schweizerischen Entwicklungspolitik in Aussicht, welche die in Kopenhagen gewonnenen Einsichten umsetzen soll
[1].
In Ausführung einer 1993 sehr knapp angenommenen parlamentarischen Initiative der SP-Fraktion erarbeitete die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates einen Entwurf für einen Bundesbeschluss, welcher die Ratifizierung der
Europäischen Sozialcharta ermöglichen soll. Eine Mehrheit der Kommission vertrat die Meinung, dass die Schweiz sechs der insgesamt sieben zum harten Kern der Charta gehörenden Artikel erfüllen kann. Eine Minderheit fand dagegen, dass die schweizerische Rechtsordnung nicht einmal in fünf Punkten dem Abkommen entspricht, weshalb eine Ratifizierung nicht möglich sei. Umstritten waren insbesondere das uneingeschränkte Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Massnahmen, was auch das Beamtenstreikrecht einschliessen würde, und die Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsstaaten im Bereich de sozialen Sicherheit. Klar war allen Beteiligten, dass die Schweiz angesichts der heutigen Rechtslage die Bestimmungen zum Schutz der Wanderarbeiter nicht übernehmen könnte, da sie den Familiennachzug der ausländischen Arbeitnehmer nach wie vor nur beschränkt zulässt
[2].
Mit einer parlamentarischen Initiative verlangte Nationalrat Zisyadis (pda, VD), dass ein
gesamtschweizerisches Sozialbudget erstellt wird, welches Auskunft über sämtliche Tätigkeiten der Sozialpolitik gibt und alle diesbezüglichen Leistungen und ihre Kosten sowie deren Finanzierung erfasst. Die vorberatende Kommission war zwar ebenfalls der Ansicht, dass statistisch abgesicherte Sozialdaten als Planungsinstrument und Entscheidungsgrundlage unentbehrlich zur Erhöhung der Effizienz und zur Schaffung eines lückenlosen und flexiblen Systems der sozialen Sicherheit sind. Sie befand aber, es sei unangemessen, diese Frage, die sich im Grunde auf die Ausgestaltung des Jahresprogramms des Bundesamtes für Statistik bezieht, mit dem Mittel der parlamentarischen Initiative auf dem Gesetzesweg zu regeln. Sie beantragte hingegen, dem Bundesrat solle mit einem Postulat zur Kenntnis gebracht werden, dass das Parlament die Erstellung eines Sozialbudgets für notwendig und wichtig erachtet; dazu gehört auch die Schliessung noch bestehender statistischer Datenlücken. Der Initiant war mit diesem Vorgehen einverstanden und zog seinen Vorstoss zurück, worauf das Postulat stillschweigend überwiesen wurde
[3].
Von der Rechtslehre als ungeschriebenes Grundrecht anerkannt, wird das
Recht auf Existenzsicherung möglicherweise neu in der Verfassung (Art. 48 BV) verankert werden. Im Auftrag der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit schickte der Bundesrat eine entsprechende Vorlage in die
Vernehmlassung. Gemäss Vorentwurf soll jede Person in Notlagen Anspruch auf soviel Sozialhilfe haben, wie sie für ein menschenwürdiges Leben braucht. Die Sozialhilfe soll als "Netz unter dem Netz" dienen, dort wo der Schutz der Sozialversicherungen gegen abschliessend definierte Risiken oder Ereignisse wie Tod, Unfall, Krankheit, Invalidität oder das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze nicht zum Tragen kommt, wo aber andere Formen von Bedürftigkeit auftreten können, beispielsweise als Folge von Langzeitarbeitslosigkeit oder aufgrund fehlender Alimentenzahlungen. In der Vernehmlassung lehnten die meisten Kantone, die Wirtschaftsverbände, FDP und SVP eine Verankerung des Grundrechts auf Existenzsicherung in der Verfassung ab und sprachen sich für die heutige föderale Regelung aus, die sich bewährt habe. Befürwortet wurde der Vorschlag hingegen von der CVP und der SP sowie von den Hilfswerken
[4].
In einem Leitentscheid anerkannte das
Bundesgericht erstmals ausdrücklich ein
ungeschriebenes Verfassungsrecht auf ein Minimum an staatlicher Fürsorge, das aus der persönlichen Freiheit und aus der Menschenwürde abgeleitet wird. Auch wer durch sämtliche sozialen Sicherheitsnetze gefallen ist, soll keine Bettelexistenz führen müssen. Praktisch bedeutsam wird die Anerkennung dieses Grundrechtes vorwiegend in Ausnahmefällen, in denen die zahlreichen Gesetze von Bund, Kantonen und Gemeinden den Notbedarf einer Person nicht decken. Das Urteil wurde von drei Staatenlosen erfochten, denen der Kanton Bern aufgrund ihrer prekären fremdenpolizeilichen Situation Fürsorgeleistungen verweigert hatte
[5].
Mit einem Positionspapier setzte sich die
Caritas Schweiz gegen das im Vorjahr von Arbeitgeberseite verlangte Moratorium im Bereich der Sozialversicherungen ein. Auch für die Hilfsorganisation sind Reformen im Bereich der sozialen Sicherheit notwendig, doch sollten sich diese an der Vision einer solidarischen Gesellschaft orientieren. Die Caritas wies nach, dass der oft zur Diskussion gestellte
Sozialabbau tatsächlich stattfindet, indem beispielsweise Arbeitslose seit 1994 deutliche Einkommenseinbussen in Kauf nehmen müssen. Das Hilfswerk widersprach auch den oft von Wirtschaftszweigen vorgertragenen Argumenten, wonach die Kosten des Sozialstaates in der Schweiz zu hoch ausfielen und die Finanzierung über Lohnprozente angesichts der internationalen Konkurrenz nicht tragbar sei. Anhand von OECD-Zahlen belegte das Positionspapier, dass die Schweiz, was die Belastung mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen betrifft, im internationalen Vergleich gut dasteht und in der für die Standortattraktivität viel entscheidenderen Frage der Arbeitsproduktivität und der sozialen Stabilität sogar eine Spitzenposition einnimmt. Von diesen Feststellungen ausgehend verlangte die Caritas die
Einführung eines garantierten Grundeinkommens für alle, wobei sie sich für das Modell der Ergänzungsleistungen aussprach, welches ihrer Ansicht nach effizient ist und die individuellen materiellen Verhältnisse berücksichtigt. Finanziert werden soll das garantierte Mindesteinkommen laut Caritas über Zuschläge bei der Mehrwertsteuer oder über ökologische Lenkungsabgaben
[6].
Ende Jahr publizierten 19 hochkarätige Wirtschaftsfachleute um den ehemaligen Diplomaten und ABB-Kopräsidenten David de Pury ein
"Weissbuch", in welchem sie nicht nur eine weitestgehende Deregulierung im Wirtschaftsgeschehen, sondern auch eine völlige Neukonzeption der sozialen Sicherheit postulierten. Deren Leistungen sollten nur noch nach streng gehandhabten
Bedürfnisklauseln ausgerichtet werden. Insbesondere plädierten sie für eine Aufhebung der beruflichen Vorsorge und für eine AHV, die lediglich das Existenzminimum sichern würde. Die Beibehaltung des bisherigen Lebensstandards im Alter - nach heutiger Auffassung in erster Linie Aufgabe der 2. Säule - sollte hingegen rein der privaten Vorsorge, d.h. allein den Arbeitnehmern überlassen bleiben. Privatisieren wollten die Unternehmer auch die Arbeitslosenversicherung, obgleich die Privatversicherer angesichts der nicht kalkulierbaren Risiken bereits vor Jahren diese Idee abgelehnt hatten
[7].
Diese für die politische Linke und die Gewerkschaften völlig indiskutablen Vorschläge, welche sie als Rückfall ins urkapitalistische 19. Jahrhundert und als letztlich wirtschaftsfeindlich taxierten, da damit der soziale Friede - einer der Haupttrümpfe des Wirtschaftsstandortes Schweiz - vergiftet würde, stiessen auch bei den Vertretern der bedeutendsten Wirtschaftspartei, der FDP,
mehrheitlich auf Ablehnung. Insbesondere distanzierten sich deren Vertreter in der Landesregierung, die Bundesräte Delamuraz und Villiger, ganz dezidiert vom Gedankengut, dass dem "Weissbuch" zugrunde liegt, obgleich auch sie einräumten, dass ein weiterer Ausbau der Sozialpolitik nur mit der grössten Zurückhaltung angegangen werden dürfe
[8].
Im Spätsommer leitete der Bundesrat dem Parlament seinen Entwurf für einen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss zu, welcher ihm die Kompetenz geben soll, mit internationalen Organisationen Abkommen über den
Status der internationalen Beamten schweizerischer Nationalität hinsichtlich der schweizerischen Sozialversicherungen (AHV/IV/EO und ALV) abzuschliessen. Die Bestimmung der Schweiz, wonach diese Funktionäre obligatorisch den schweizerischen Sozialversicherungen angeschlossen bleiben (es sei denn, sie würden ein entsprechendes Gesuch stellen), hatte in vielen Fällen - da sie automatisch auch der Pensionskasse der jeweiligen Organisation unterstellt wurden - zu einer unzumutbaren Doppelbelastung geführt. Durch eine Ergänzung der Sitzabkommen, welche durch einen Briefwechsel zwischen dem Bundesrat und den in der Schweiz niedergelassenen internationalen Organisationen vorgenommen wurde, einigte man sich nun darauf, dass diese Beamten nur noch auf freiwilliger Basis den schweizerischen Sozialversicherungen angegliedert werden, wobei sie wählen können, ob sie allen Zweigen oder nur der ALV beitreten wollen. Dieser Bundesbeschluss wurde vom Ständerat diskussionslos und einstimmig angenommen
[9].
Die Sozialwerke AHV/IV und EO rutschten erstmals seit 16 Jahren in die roten Zahlen. Die Gesamteinnahmen beliefen sich auf rund 31 855 Mio Fr. (+2,9% gegenüber dem Vorjahr), die Ausgaben auf ca. 31 950 Mio Fr. (+4,5%), was zu einem Defizit von 95 Mio Fr. führte. Der Ausgleichsfonds der AHV nannte als Grund für das Ungleichgewicht, das allein von der IV verursacht wurde, vorab die schwache Wirtschaftslage.
Die Erträge der AHV nahmen um 2,4% auf 24,5 Mia Fr. zu, wobei sich die Beiträge von Versicherten und Arbeitgebern um 1,8% bzw. 340 Mio Fr. erhöhten. In der IV stiegen die Einnahmen wegen höherer Beitragssätze um 12,3% auf 6,4 Mia Fr. Da im Gegenzug der Beitragssatz für die EO gesenkt wurde, führte dies dort zu Mindereinnahmen um 32% auf 860 Mio Fr. Die Bundesbeiträge an die AHV und IV sanken auch 1995 linear um fünf Prozent. Laut Ausgleichsfonds hatte dies bei der AHV 215 Mio Fr. und bei der IV 130 Mio Fr. Mindereinnahmen zur Folge. Die Zinseinnahmen stiegen auf 1,2 Mia Fr. Die Ausgaben der AHV nahmen wegen des höheren Rentnerbestandes und der Rentenanpassung um 4,9% auf 24,5 Mia Fr. zu. In der IV erhöhten sich die Ausgaben aus den gleichen Gründen um 6,7% auf 6,8 Mia Fr. Die EO-Ausgaben konnten dank den reduzierten Diensttagen auf 621 Mio Fr. gesenkt werden. Ende Jahr betrug das Vermögen der drei Sozialwerke rund 27 Mia Fr. Das Kapitalkonto der AHV wuchs lediglich noch um 9 Mio Fr. auf 23 836 Mio Fr. Dies entspricht 97,3% der laufenden Jahresausgabe. Laut AHV-Gesetz darf das AHV-Vermögen in der Regel nicht unter 100% einer Jahresausgabe sinken.
Diese Zahlen, die sich bereits in der zweiten Hälfte des Berichtsjahres abzeichneten, gaben jenen Stimmen vor allem aus Arbeitgeberkreisen Auftrieb, die schon seit einiger Zeit Bundesrätin
Dreifuss angriffen und ihr unterstellten, sie beschönige die finanziellen Perspektiven der Sozialwerke. Vorab ihre bei der Präsentation des Drei-Säulen-Berichts (s. unten) gemachte und später in einer Fernsehsendung wiederholte Äusserung, für die Sicherung der AHV brauche es ab dem Jahr 2005 neben dem bereits vorgesehenen Mehrwertsteuerprozent noch einmal
Mehreinnahmen im Umfang von einem bis zwei Mehrwertsteuerprozenten bzw. von 1,3 Lohnprozenten, warf im bürgerlichen Lager hohe Wellen, da die Sozialministerin noch 1994 in ihrem "offenen Brief" erklärt hatte, bis mindestens ins Jahr 2000 würde der AHV-Fonds weiter geäufnet, weshalb mittelfristig kein Anlass zur Sorge bestehe. Bei den Erneuerungswahlen in den Bundesrat erzielte Dreifuss das schlechteste Ergebnis des Siebnerkollegiums, was sowohl Beobachter wie sie selber als Ausdruck einer wachsenden Polarisierung in der Sozialpolitik werteten
[11].
Der Bundesrat nahm im Oktober den
Drei-Säulen-Bericht des EDI zur Kenntnis. Der Bericht zeigt die Möglichkeiten der zukünftigen Entwicklung im Bereich der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (AHI) auf. Angesichts der bereits eingetroffenen und noch zu erwartenden sozio-ökonomischen Veränderungen kommt er zum Schluss, dass an der bestehenden Drei-Säulen-Konzeption grundsätzlich festzuhalten sei und
keine grösseren Gewichtsverschiebungen zwischen den einzelnen Säulen vorgenommen werden sollten. Gleichzeitig wurden jedoch einzelne Anpassungen zur Optimierung des AHI-Systems vorgeschlagen. Der Bericht behandelte die finanziellen Auswirkungen der skizzierten Lösungen nicht im Detail. Dies soll die vom Bundesrat im Vorjahr eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe (IDA FiSo) tun, welche im Mai ihre Arbeit aufnahm. Politisch brisantester Punkt des Berichts war die Feststellung, dass die erste Säule (AHV/IV) nach wie vor nicht existenzsichernd ist, wie es die Verfassung verlangt, weshalb eine Neufassung des Verfassungsziels im Sinn einer "Zielhierarchie" vorgeschlagen wurde, bei der die Existenzsicherung zur Aufgabe aller drei Säulen sowie nötigenfalls der Ergänzungsleistungen wird. Diese sollen definitiv in der Verfassung verankert werden
[12].
Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
Die 1990 von SP und SGB eingereichte
Volksinitiative "zum Ausbau von AHV und IV", welche eine Verlagerung von der 2. Säule (Pensionskasse) auf die 1. Säule (AHV) und die Einführung einer Vorruhestandsregelung ab 62 Jahren verlangte, wurde von Volk und Ständen
klar abgelehnt. Die stärkste Zustimmung fand die Vorlage im den Kanton Tessin mit über 43% der Stimmen, gefolgt von den Kantonen der Romandie, die - mit Ausnahme des Wallis - einen Ja-Anteil von über 30% aufwiesen. Die geringste Unterstützung - mit deutlich weniger als 20% der Stimmen - wurde in den beiden Appenzell und in Unterwalden registriert. Das gesamthaft negative Ergebnis war im Vorfeld der Abstimmung allgemein erwartet worden. Auch wenn, wie die Vox-Analyse zu diesem Urnengang zeigte, eine Mehrheit der Stimmenden der Meinung war, dass mit 62 eine Pensionierung ohne materielle Einbusse möglich sein sollte, überwogen doch die finanzpolitischen Bedenken gegenüber dieser Lösung
[13].
Volksinitiative "zum Ausbau von AHV und IV"
Abstimmung vom 25. Juni 1995
: 40,3%
Nein: 1 307 302 (73,4%) / 20 6/2 Stände
Ja: 499 266 (27,6%) / 0 Stände
Parolen:
- Nein: FDP, CVP, SVP, LP, LdU, EVP, FP, SD, EDU; Vorort, SGV, SBV, Pensionskassenverbände
- Ja: SP, GP (1*), PdA; SGB
- Stimmfreigabe: Lega; CNG
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Beim Sanierungsprogramm 1994 der Bundesfinanzen hatte der Bundesrat beantragt, beim Teuerungsausgleich der AHV-Renten künftig auf den
Mischindex zu verzichten, der sowohl die kaufkrafterhaltende Preis- wie die (zumindest bisher) dynamisierende Lohnentwicklung in Betracht zieht. Gegen den Willen der für die AHV zuständigen Vorsteherin des EDI hatte er angeregt, den Teuerungausgleich nur noch auf die Preisentwicklung abzustellen, was dem Bund Einsparungen von 26 Mio Fr im Jahr 1996 und von 90 Mio Fr. ab dem Jahr 1997 eingebracht hätte. Gleichzeitig wollte die Landesregierung den
Beitragssatz der Selbständigerwerbenden von 7,8 auf 8,4 Einkommensprozente anheben und damit jenem der Unselbständigerwerbenden angleichen
[14].
In der parlamentarischen Debatte wurde in beiden Kammern und quer durch alle Parteien festgestellt, dass die Sozialversicherungen ein viel zu sensibler Bereich seien, um in einem Schnellverfahren und im Rahmen von Sanierungsmassnahmen grundlegend verändert zu werden. Die künftige Finanzierung der AHV sei im wesentlichen Gegenstand der anlaufenden 11. Revision, weshalb die jetzt vom Bundesrat gemachten Vorschläge dort fundiert diskutiert werden sollten. Da die parlamentarischen Beratungen in der Januar- resp. der Frühjahrssession stattfanden, fielen neben generellen sozialpolitischen Bedenken auch abstimmungsbezogene Überlegungen ins Gewicht. Angesichts der für den Frühsommer anstehenden Referendumsabstimmung zur 10. AHV-Revision wollte man diese Vorlage nicht durch eine Verunsicherung der Rentner und des Gewerbes belasten.
Aus diesen Gründe wurde die Aufhebung des Mischindexes mit deutlicher Mehrheit und die Angleichung des Beitragssatzes der Selbständigerwerbenden an jenen der Arbeitnehmer knapp
abgelehnt. Gegen den Widerstand der Linken und der Grünen stimmte das Parlament hingegen einer
Beitragskürzung des Bundes an die AHV für das Jahr 1996 von 17,5% auf 17% zu, obgleich selbst Finanzminister Otto Stich diese Kürzung nach der Ablehnung der Beitragserhöhung für die Selbständigerwerbenden für nicht mehr sinnvoll hielt
[15].
Von der Öffentlichkeit vorerst kaum bemerkt, trat auf den 1. Januar des Berichtsjahres der mit dem revidierten Gesetz über die Bundessteuer eingeführte Grundsatz in Kraft, wonach die
AHV-Renten zu 100% und nicht wie bisher bloss zu 80% zu versteuern sind. Von Nationalrat Zisyadis darauf angesprochen, begründete der Bundesrat die Massnahme damit, dass ja auch die während des Erwerbslebens entrichteten Beiträge vollumfänglich vom steuerbaren Einkommen abgesetzt werden können, weshalb er keinen Grund sehe, auf die Änderung zurückzukommen
[16].
In der Januarsession bemängelte Ständerat Frick (cvp, SZ) mit einer Motion, dass die 1990 getroffene Regelung, wonach die AHV die von Belgien verweigerten
Rentenansprüche von Auslandschweizern aus den ehemaligen belgischen Kolonien Kongo und Ruanda-Urundi übernimmt, in rund 30 Härtefällen an der zu starr festgesetzten Altersgrenze gescheitert sei, weshalb er vom Bundesrat die Vorlage eines abgeänderten Bundesbeschlusses verlangte. Da dieser zusagte, die Angelegenheit noch einmal eingehend prüfen zu wollen, erklärte sich der Motionär mit der Umwandlung in ein Postulat einverstanden
[17]. Die Landesregierung hielt Wort und leitete dem Parlament bereits im Mai die entsprechenden Bundesbeschlüsse zu, welche von beiden Kammern praktisch einstimmig angenommen wurden
[18].
Nach dem Nationalrat nahm auch der Ständerat mit Zustimmung des Bundesrates diskussionslos eine Motion Tschopp (fdp, GE) zur
Erstellung von statistischen Indikatoren für künftige AHV-Revisionen an, auf deren Grundlage die Entwicklung der wichtigsten demographischen und wirtschaftlichen Parameter verfolgt werden kann
[19].
Nach einer relativ spannenden Abstimmungskampagne, in welcher sich sowohl Bundesrätin Dreifuss als auch die Basis der SP, die dazu erstmals seit 74 Jahren wieder in einer Urabstimmung befragt wurde, von den Gewerkschaften absetzten, wurde die 10. AHV-Revision
in der Volksabstimmung mit rund 60% der Stimmen deutlicher angenommen als erwartet. Allerdings lehnten vier Kantone der Romandie sowie das Tessin die Vorlage ab, am deutlichsten die Kantone Tessin und Jura mit über 60% Neinstimmen. Die stärkste Annahme wurde in den beiden Appenzell und im Kanton Zürich erreicht
[20]. Die Vox-Analyse der Abstimmung zeigte, dass die Heraufsetzung des Rentenalters die
Frauen nicht stärker gegen die Vorlage zu mobilisieren vermochte als die Männer. Offenbar wurden das neue Splitting-System und die zusätzlich eingeführten Leistungen für Frauen mit Erziehungs- und Betreuungspflichten höher gewertet als der für die Frauen anfallende Nachteil durch die Erhöhung des Pensionierungsalters
[21].
Referendumsabstimmung über die 10. AHV-Revision
Abstimmung vom 25. Juni 1995
Beteiligung: 40,4%
Ja: 1 110 053 (60,7%)
Nein: 718 349 (39,3%)
Parolen:
- Ja: FDP, CVP, SVP, SP (3*), GP (2*), LP, LdU, EVP, FP, SD, EDU; Vorort, SGV, SBV, Pensionskassenverbände, Bund Schweiz. Frauenorganisationen, Schweiz. Gemeinnütziger Frauenverein, Schweiz. Landfrauenbund, Caritas Schweiz
- Nein: Lega, PdA; SGB, CNG
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Zustimmung fiel einem Teil der Stimmberechtigten auch deshalb relativ leicht, weil sie sich erhoffen konnten, dass - unter Beibehaltung der Vorteile für die Frauen - die Frage des Rentenalters durch die von der SP und den Gewerkschaften lancierte
Volksinitiative "für die 10. AHV-Revision ohne Erhöhung des Rentenalters", welche kurz vor der Volksabstimmung mit 105 947 gültigen Unterschriften
zustande kam, noch einmal beurteilt werden kann
[22].
In der 11. AHV-Revision soll das
Rentenalter der Frauen und der Männer gleich hoch angesetzt werden. Der Nationalrat überwies ebenfalls eine entsprechende, im Vorjahr verabschiedete Motion der zuständigen Ständeratskommission. Bundesrätin Dreifuss erklärte sich im Namen des Bundesrates bereit, den Vorstoss in der verbindlichen Form entgegenzunehmen, da die finanziellen Aussichten dieses Sozialwerks tatsächlich nicht rosig seien und voraussichtlich bereits im Jahr 2000 das dafür vorgesehene zusätzliche Mehrwertsteuerprozent beansprucht werden müsse. Die grosse Kammer betonte, dass es nicht nur darum gehe, die Vorarbeiten für die 11. Revision ohne Verzug in Angriff zu nehmen, sondern dass der Bundesrat eigentlich verpflichtet werden müsste, die Vorlage in der neuen Legislatur parlamentsreif vorzulegen
[23].
Der Ständerat doppelte hier noch einmal nach und überwies in der Wintersession praktisch diskussionslos und mit grossem Mehr eine
Motion Schiesser (fdp, GL), welche verlangt, dass der Bundesrat dem Parlament seine
Vorlage zur 11. AHV-Revision spätestens auf die Sommersession 1998 vorlegt. Diese Revision soll ganz im Zeichen der
Finanzierungsfrage stehen und sicherstellen, dass die mittel- und langfristig sich abzeichnenden hohen Ausgabenüberschüsse der AHV möglichst früh aufgefangen werden können und der Ausgleichsfonds der AHV auch in Zukunft den gesetzlich vorgeschriebenen Betrag von einer Jahresausgabe erreicht. Bundesrätin Dreifuss machte vergebens geltend, dass sie die Besorgnis des Parlaments zwar teile, dass der vorgegebene Zeitplan aber unrealistisch sei für seriöse Vorarbeiten. Das Dossier sei derart komplex, dass der Bundesrat mindestens ein halbes oder ganzes Jahr mehr für einen konkreten Vorschlag brauche. Die dafür eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe (IDA FiSo) wolle ihren Bericht zur Finanzierung der gesamten Sozialversicherung im Frühjahr 1996 vorlegen, weshalb eine Beratung der 11. AHV-Revision erst in der neuen Legislatur (1999-2003) sinnvoll sei. Dreifuss versprach aber, die Mobilisierung des für die AHV-Finanzierung vorgesehenen Mehrwertsteuer-Prozents noch in der laufenden Legislatur vorzulegen. Mit ihrer Argumentation drang die Bundesrätin nicht durch. Unter dem Hinweis, dass auch das Parlament Zeit für eine vertiefte Behandlung brauche, weshalb von der Botschaft bis zur Verabschiedung und dem Inkrafttreten der Vorlage ohnehin noch mehrere Jahre verstreichen werden, hielt Schiesser an der Form der Motion fest, worauf diese mit 28 zu 7 Stimmen angenommen wurde
[24].
SGB und SP beschlossen, die
Volksinitiative "für eine Flexibilisierung der AHV - Gegen die Erhöhung des Rentenalters für Frauen" des Schweizerischen Kaufmännischen Vereins zu unterstützen, da diese Initiative ihrer Ansicht nach die Weichen für die 11. AHV-Revision in die richtige Richtung stellt. Weil sie andere Vorstellungen von Umwelt- und Energieabgaben haben, verzichteten sie hingegen auf eine Unterstützung der
Doppelinitiative der Grünen ("für ein flexibles Rentenalter ab 62 für Frau und Mann" und "für eine gesicherte AHV - Energie statt Arbeit besteuern")
[25].
Der Bundesrat gab im Sommer einen Vorentwurf zur dritten Revision des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (ELG) in die Vernehmlassung. Das federführende EDI wies bei dieser Gelegenheit darauf hin, dass die EL, ursprünglich zur vorübergehenden Sicherung des Existenzbedarfs konzipiert, heute als bedürfnisorientierte Massnahme nicht mehr aus dem Sozialversicherungsnetz wegzudenken sind. Da es nicht möglich sein wird, in absehbarer Zeit alle Renten der ersten Säule auf ein Niveau zu heben, das die Deckung des Existenzbedarfs sichert, wird in der Bundesverwaltung daran gedacht, mittelfristig eine definitive Verfassungsgrundlage für die EL zu schaffen (siehe oben, Finanzierungsfragen).
In dieser 3. ELG-Revision sollen vor allem die Rentenberechtigten mit eigenem Haushalt durch eine höhere Abgeltung der Wohnkosten sowie durch Verbesserungen bei der Vergütung ambulanter Krankheitskosten bessergestellt werden. Für die vorgesehenen Anpassungen rechnet der Bundesrat mit jährlichen Mehrkosten von rund 100 Mio Fr. Da die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, dass die EL vor allem im Pflegebereich zunehmend an Bedeutung gewinnen (ein Drittel aller EL-Bezüger lebt in einem Alters- oder Pflegeheim und verursacht zwei Drittel der Gesamtkosten), sollen in den kommenden Revisionsschritten die EL noch weiter an die Erfordernisse der Pflegebedürftigkeit angepasst werden.
Die Revision nimmt auch das Anliegen mehrerer parlamentarischer Vorstösse nach einer
automatischen Information über den Anspruch auf EL auf, da es erwiesenermassen vielen Bezugsberechtigten schwer fällt, die ihnen zustehenden EL einzufordern. Neu soll deshalb der Steuererklärung von Altersrentnern ein einfaches Berechnungsblatt zur Ermittlung der EL beigelegt werden, das gleichzeitig als Antrag für den Bezug von EL verwendet werden kann. Aufgrund dieser tieferen Hemmschwelle rechnet die Verwaltung mit zusätzlichen Bezügern und entsprechenden Mehrkosten von 30 Mio Fr. pro Jahr
[26].
Die Besserstellung bedürftiger Rentnerinnen und Rentner stiess in der
Vernehmlassung auf breite Zustimmung. Bei der Finanzierung forderten aber mehrere Kantone eine stärkere Beteiligung des Bundes. Während die SP generell zustimmte, verlangten die bürgerlichen Parteien eine bessere Abstimmung mit den Ergebnissen des Drei-Säulen- und des IDA FiSo-Berichts
[27].
Nationalrat Theubet (cvp, JU) machte in einem überwiesenen Postulat die Anregung, bei Personen, die von Familienangehörigen betreut werden und sowohl EL wie Hilflosenentschädigung beziehen, die
Hälfte der
Entschädigung pauschal an die pflegenden Familienmitglieder auszurichten, selbst wenn die Voraussetzung einer Erwerbseinbusse aufgrund der Betreuung nicht erfüllt ist
[28].
Invalidenversicherung
Im Rahmen der Sanierungsmassnahmen 1994 der Bundesfinanzen verweigerten beide Kammern gegen den Vorschlag ihrer jeweiligen Finanzkommissionen die Abschaffung der 1986 eingeführten
Viertelsrente. Wie bereits in der Eurolex-Debatte argumentierte der Bundesrat in seinem Kürzungsvorschlag, dass diese Minimalrente zahlenmässig kaum ins Gewicht falle, deren Aufhebung dem Bund mittelfristig aber Einsparungen von jährlich sieben Mio Fr. bringen würde. Im Parlament wurde demgegenüber darauf hingewiesen, dass gerade die Viertelsrente dem Grundsatz der IV, wonach
Wiedereingliederung vor Rente zu stellen sei, besonders entgegenkomme. Eine Aufhebung dieser Rentenform würde voraussichtlich nur zu einer Zunahme der halben Renten oder zu einer Auslagerung der Kosten auf die Ergänzungsleistungen führen. Hingegen wurden die Baubeiträge an Eingliederungswerkstätten und Wohnheime auf einen Drittel der anrechenbaren Kosten begrenzt, was zu Einsparungen von rund 15 Mio Fr. führt
[29].
Der Nationalrat überwies diskussionslos eine vom Bundesrat unterstützte Motion des Ständerates, welche verlangt, dass der Bund angesichts der enormen Probleme in der IV deren
finanzielle Konsolidierung anstreben, eine wesentlich bessere Abstimmung mit den übrigen Zweigen der Sozialversicherung gewährleisten und die stark divergierende Anwendung der IV in den Kantonen vereinheitlichen sowie den Vollzug straffen soll
[30].
Berufliche Vorsorge
Angesichts der grossen Zahl von Verordnungen zum BVG wollte die GPK des Ständerates überprüfen, ob Bundesrat und Verwaltung die politischen Zielsetzungen des Parlaments befolgt haben; sie gab deshalb eine
Studie in Auftrag, die einige unwesentliche Divergenzen feststellte. Insbesondere habe es der Bundesrat gegen den Willen des Gesetzgebers unterlassen, den
Mindestzinssatz der BVG-Altersguthaben der Marktentwicklung anzupassen, wodurch die Rentnerinnen und Rentner nun weniger Geld zugute hätten. Die GPK rügte auch die Praxis des Bundes bei der Beanspruchung des Sicherheitsfonds im Fall eines Konkurses einer Pensionskasse: Ohne gesetzliche Basis seien so seit 1988 über 55 Mio Fr. wegen Zahlungsunfähigkeit ausbezahlt worden
[31]. In seiner Stellungnahme zeigte sich der Bundesrat erfreut über die zentrale Aussage der Studie, wonach der politische Wille des Parlaments beim Vollzug des BVG insgesamt befolgt worden sei und versprach, den Anregungen der GPK bei der anstehenden BVG-Revision die nötige Aufmerksamkeit zu schenken
[32].
In Ausführung einer vor Jahresfrist angenommenen parlamentarischen Initiative Rechsteiner (sp, SG) zur
Verbesserung der Insolvenzdeckung in der beruflichen Vorsorge verabschiedete der Nationalrat einstimmig eine Änderung des BVG, mit welcher die Garantien des Sicherheitsfonds auch auf die überobligatorischen und vorobligatorischen Guthaben ausgedehnt werden. Damit soll vermieden werden, dass Arbeitnehmer zu Schaden kommen, wenn beim Konkurs eines Unternehmens die in den Betrieb investierten Pensionskassengelder nicht mehr sichergestellt werden können
[33].
Die grosse Kammer hiess auch zwei Postulate Rechsteiner (sp, SG) gut, die den Bundesrat ersuchen, einerseits die Anlagevorschriften der Pensionskassen im Bereich der derivativen Finanzinstrumente zu überprüfen und andererseits sicherzustellen, dass auch
nicht direkte Erben (beispielsweise Konkubinatspartner) beim Tod des Versicherten in den Genuss von BVG-Leistungen kommen
[34].
Diskussionslos genehmigte der Ständerat eine von 30 Abgeordneten aus allen Parteien mitunterzeichnete Motion Frick (cvp, SZ), welche den Bundesrat auffordert, dem Parlament eine Änderung des BVG vorzulegen, wonach unabhängig von der anstehenden Revision des BVG neben der Witwenrente auch der
Anspruch auf die Witwerrente gesetzlich verankert wird. Obgleich sie eine Überweisung des Vorstosses in Postulatsform vorgezogen hätte, anerkannte Bundesrätin Dreifuss die grundsätzliche Berechtigung dieses Anliegens
[35].
Auf den 1. Januar trat das Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsgesetz) ohne wesentliche materielle Übergangsfristen in Kraft
[36].
Für die Turbulenzen in der Pensionskasse des Bundes siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung). Zu den Auswirkungen der auf den 1.1.1995 in Kraft getretenen Möglichkeit, Kapitalien der 2. Säule zum Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum zu verwenden, siehe oben, Teil I, 6c (Wohnungsbau).
Krankenversicherung
Mit Ungeduld erwarteten die Krankenversicherer die Veröffentlichung der neuen
Leistungsverordnung, befürchteten sie doch gewaltige Mehrkosten durch den vorgesehenen Ausbau der Pflichtleistungen in der
Grundversicherung. Der vom EDI rund drei Monate vor Inkrafttreten des neuen KVG vorgelegte Katalog bemühte sich in erster Linie, bisherige Lücken zu schliessen. So wurden die Vorsorgeuntersuchungen bei Mutterschaft von vier auf acht angehoben, wobei allerdings die Ultraschall-Untersuchungen - ausser bei Risikoschwangerschaften - gestrichen wurden, da deren Wirksamkeit nicht erwiesen sei; die individuelle Prävention vor allem im Vorschulalter wurde verstärkt. Neu müssen in der
Spitex-Pflege sämtliche Kosten für Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen von den Krankenversicherungen übernommen werden. Das EDI kam den Versicherern aber insofern entgegen, als die Kosten für die Haushalthilfe nicht entschädigt werden. Mit rund 800 Mio Fr. macht der Spitex-Ausbau dennoch knapp die Hälfte der gesamten geschätzten Mehrkosten von 1,7 Mia Fr. aus
[37].
Ende Jahr stellte sich heraus, dass rund 450 Mio Fr. der für die
individuellen Prämienverbilligungen vorgesehenen knapp 1,9 Mia Fr. Bundesgelder
von den Kantonen für 1996
nicht beansprucht werden. Einzig die Westschweizer Kantone sowie Uri, Tessin, Thurgau, Appenzell Innerrhoden und Basel-Stadt zeigten sich bereit, durch eine Erhöhung der eigenen Prämienverbilligungsbeiträge die entsprechende volle Bundessubvention auszulösen. Der Kanton Bern beanspruchte 90%, Baselland 57%, alle anderen Kantone hingegen lediglich 50%. Insgesamt werden 1996 so rund 660 Mio Fr. bzw. 25% der Bundesbeiträge, die ursprünglich an die Krankenkassenprämien von Versicherten in bescheidenen finanziellen Verhältnissen hätten ausbezahlt werden sollen, von den Kantonen nicht umgesetzt. Dies veranlasste linke Abgeordnete beider Kammern (Jöri, sp, LU und Zisyadis, pda, VD im Nationalrat sowie Brunner, sp, GE im Ständerat), parlamentarische Vorstösse einzureichen, damit durch einen dringlichen Bundesbeschluss die nicht ausbezahlten Bundesbeiträge rückwirkend als zusätzliche Prämienverbilligung für
weniger begüterte Familien mit Kindern oder in Ausbildung stehenden Jugendlichen ausgerichtet werden können
[38].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Wick (cvp, BS), welches den Bundesrat einlädt, unverzüglich Massnahmen zu treffen, um gezielt die Sicherung der Qualität und den zweckmässigen Einsatz der obligatorisch versicherten Leistungen zu ermitteln und systematisch wissenschaftlich zu überprüfen
[39].
Unfallversicherung
In der Wintersession nahm der Nationalrat eine parlamentarische Initiative Suter (fdp, BE) an, welche verlangt, Art. 37 Abs. 2 des Unfallversicherungsgesetzes sei ersatzlos zu streichen. Damit soll die
Kürzung der Leistungen wegen grobfahrlässiger Herbeiführung eines Unfalls auch im Bereich der Nichtberufsunfälle wegfallen. Bei Berufsunfällen ist die Kürzung bereits heute aufgrund übergeordneten, internationalen Rechts unzulässig
[40].
Nach einem alarmierenden Bericht des BSV nahm der Bundesrat die SUVA-Rechnungen für 1992 und 1993 nur provisorisch ab. In den letzten sechs Jahren summierte sich das
Defizit der SUVA, der zwei Drittel aller Lohnbezüger in der Schweiz angeschlossen sind, im reinen Versicherungsgeschäft auf 634 Mio Fr.; 1994 fuhr die SUVA hingegen nur ein stark reduziertes Defizit von 6,1 Mio Fr. ein. Eine Privatisierung kommt für den Bundesrat nicht in Frage, da die Unfallversicherung nach UVG eine Sozialversicherung ist, bei der Solidaritätselemente zum Tragen kommen, die von einer rein privaten Versicherung nicht berücksichtigt werden müssten
[41].
Mutterschaftsversicherung
Die
Vernehmlassung zu den Vorschlägen für eine Mutterschaftsversicherung ergab relativ
kontroverse Ergebnisse. Von den insgesamt 122 Stellungnahmen sprachen sich 95 für die Errichtung einer Mutterschaftsversicherung und lediglich 18 dagegen aus, worunter aber starke Wirtschaftsverbände. 12 Kantone unterstützen den Vernehmlassungsentwurf, sieben votierten dagegen und weitere sieben brachten Vorbehalte an. Bei den politischen Parteien waren vier (SP, Grüne, LdU, EVP) für den ersten Vorschlag des Bundesrates, die anderen drei Bundesratsparteien lehnten ihn als zu weitgehend ab. 25 der eingegangenen Stellungnahmen verlangten eine Ausdehnung der Versicherungsleistungen auch auf nicht erwerbstätige Mütter. Die Direktiven des Bundesrates an das bei der Weiterbearbeitung der Vorlage federführende EDI trugen den Einwänden zum Teil Rechnung, indem das Departement Dreifuss beauftragt wurde, noch einmal die Möglichkeit zu prüfen, Leistungen nicht nur an erwerbstätige, sondern auch an nichterwerbstätige Mütter auszurichten resp. Familien in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen gezielt zu unterstützen
[42].
Dass die Mutterschaftsversicherung angesichts der wenig kompromissbereiten Haltung aller Beteiligten zur Totgeburt verkommen könnte, motivierte
Frauen aus den bürgerlichen Bundesratsparteien, ein
eigenes Modell auszuarbeiten. Demnach würden alle Mütter während vier Monaten eine Grundleistung von 1500 bis 2000 Fr. pro Monat erhalten, es sei denn, das steuerbare Haushaltseinkommen übersteige den für die Leistungen der Unfallversicherung massgebenden Maximalbetrag von 97 200 Fr. Den erwerbstätigen Frauen sollte der Arbeitgeber während des 16wöchigen Mutterschaftsurlaubs 80% des bisherigen Lohnes ausrichten, mindestens aber den Betrag der Grundleistung. Diese würde - analog der Militärversicherung - aus der Bundeskasse finanziert, wobei aber auch denkbar wäre, die Einnahmen aus den Spielkasinos dafür zu verwenden. Die Lohnfortzahlung über die Grundleistung hinaus sollte hingegen Sache der Arbeitgeber bleiben. Diese Lösung, so argumentierten die Frauen der drei bürgerlichen Parteien, würde den Mangel beseitigen, dass
Hausfrauen nicht berücksichtigt werden, käme die Arbeitgeber aber kaum teurer zu stehen als die heutige Lösung. Die SP-Frauen wurden in diese erste Diskussionsrunde nicht einbezogen. Obgleich sie sich neuen Modellen gegenüber nicht verschliessen wollten, kritisierten sie doch den ihrer Meinung nach zu geringen Lohnersatz von 80%, da die meisten Gesamtarbeitsverträge bereits heute 100% vorsehen, allerdings bei unterschiedlicher Dauer. Da dieses Modell Firmen mit hohem Männerbestand bevorteilen würde, befürchteten sie zudem negative Auswirkungen für die Frauen auf dem Arbeitsmarkt
[43].
Nach einem Treffen von Frauen der vier Bundesratsparteien mit Bundesrätin Ruth Dreifuss schloss sich namentlich die neue Genfer SP-Ständerätin und Gewerkschaftsvertreterin
Christiane Brunner ihren bürgerlichen Kolleginnen an. Gemeinsam konzipierten sie ein weiteres, ihrer Meinung nach noch
konsensfähigeres Modell für eine Mutterschaftsversicherung für alle Frauen. Um den Widerstand der Arbeitgeber zu überwinden, schlugen sie vor, von der Finanzierung über Lohnprozente abzusehen und stattdessen die
Mehrwertsteuer um geschätzte 0,4% zu erhöhen. Mit diesem Vorgehen würde die Wirtschaft, welche jährlich rund 330 Mio Fr. für den freiwillig gewährten oder gesamtarbeitsvertraglich geregelten Mutterschaftsurlaub ausgibt, gewaltig entlastet. Das neue Modell sieht eine Erwerbsausfallentschädigung von 100% während 16 Wochen
für alle Frauen vor, die neun Monate vor der Geburt erwerbstätig waren, auch wenn das Arbeitsverhältnis während der Schwangerschaft von der Arbeitnehmerin gekündigt wurde. Ebenfalls anspruchsberechtigt sollten Frauen sein, die gegen Lohn im Betrieb des Mannes mitarbeiten, beispielsweise die Bäuerinnen und die Frauen von Gewerbetreibenden. Nichterwerbstätigen Frauen möchten die Parteienvertreterinnen während vier Monaten die Minimalrente der AHV ausrichten. Um sich nicht dem Vorwurf des Gieskannenprinzips auszusetzen, regten sie an, den Plafond beim maximalen rentenbildenden AHV-Einkommen (gegenwärtig knapp 70 000 Fr.) anzusetzen und nicht, wie dies der Vorschlag des EDI vorsah, beim dem für die obligatorische Unfallversicherung massgebenden Höchstbetrag von 97 200 Fr.
[44].
Kurz darauf empfing Bundesrätin Dreifuss - wenige Tage vor dem
50. Jahrestag der Volksabstimmung, welche die Einführung einer Mutterschaftsversicherung in der Bundesverfassung verankerte - rund 100 Vertreterinnen von Parteien, Verbänden und Organisationen, um über das Vorhaben Bilanz zu ziehen. Dabei verteidigte sie ihr Modell der Finanzierung über Lohnprozente, welches die Arbeitgeber nur leicht belasten würde. Eine Finanzierung über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erachtete sie hingegen als riskant, da es dazu eine Verfassungsänderung und damit eine Volksabstimmung brauchen würde, bei der auch das Ständemehr erreicht werden müsste
[45].
Zum Vorschlag für ein Familienzulagengesetz, mit welchem gesamtschweizerisch einheitliche Familienzulagen eingeführt werden sollen, siehe unten, Teil I, 7d (Familienpolitik).
Arbeitslosenversicherung (ALV)
Dank der im Vorjahr vom Parlament im Rahmen der dringlichen Entlastungen im Voranschlag 1995 beschlossenen Erhöhung des Beitragssatzes für die Lohnsummen bis 97 200 Fr. von 2% auf 3% und aufgrund tieferer Arbeitslosenzahlen (siehe oben, Teil I, 7a, Arbeitslosigkeit) schrieb die ALV erstmals seit fünf Jahren wieder schwarze Zahlen und schloss mit einem
Überschuss von rund einer Viertelmilliarde Franken ab. Zusammen mit dem ab 1996 erhobenen Solidaritätsbeitrag von einem Prozent auf den Einkommen zwischen 97 200 und 243 000 Fr. dürfte damit Ende 1998 wie vorgesehen der aufgelaufene Fehlbetrag abgetragen sein. Mit der Neuausrichtung der ALV - insbesondere mit dem Wechsel von passivem Taggeldbezug zu aktiver Arbeitsmarktpolitik (siehe unten) - wird sich aber eine Neuverschuldung ergeben, die nicht abgesichert ist. Gemäss BIGA-Direktor Nordmann befasst sich deshalb eine Arbeitsgruppe mit neuen Möglichkeiten der ALV-Finanzierung. Die Arbeiten müssten mit den Neuberechnungen aller Sozialwerke im EDI koordiniert werden, namentlich mit Rücksicht auf einen mehrheitstauglichen Einnahmenmix aus Lohnabzügen und Steuererhöhungen
[46].
Bei der zweiten Lesung der Gesetzesrevision zollte der Ständerat den Vorarbeiten des Nationalrates volle Anerkennung. Der Systemwechsel von passiver Versicherung zu aktiver Wiedereingliederungs- und Erwerbsfähigkeit wurde ebenso begrüsst wie die Neuregelung des Taggeldanspruchs, die Einführung regionaler Arbeitsvermittlungszentren und die Neuordnung der Finanzierung. Von links bis rechts waren sich die Standesvertreter aber einig, dass sich das Weiterbildungs- und Beschäftigungsprogramm für Arbeitslose in dem vom Nationalrat beschlossenen Umfang nicht realisieren lasse. Der Aufbau einer Parallelwirtschaft mit über 60 000 Arbeitsplätzen, an denen die reale Wirtschaft offenbar kein Interesse habe, sei den Kantonen nicht zuzumuten, ebenso wenig wie die Auflage, sich bei ungenügendem Angebot an der Finanzierung der deswegen notwendig werdenden ALV-Mehraufwendungen zu beteiligen.
Der Rat
reduzierte deshalb
das arbeitsmarktliche Pflichtangebot auf junge Arbeitslose bis zum 25. Altersjahr, womit sich die den Kantonen abverlangten Stellen auf knapp
15 000 Plätze verringerten. Bei den A-fonds-perdu-Beiträgen entliess er die Kantone angesichts ihrer anderweitigen Belastung wieder aus der Pflicht, gleich wie der Bund 5% ans jährliche Defizit zu leisten. Die Ständevertreter verschärften hingegen die Arbeitsannahmepflicht, indem nach vier Monaten Erwerbslosigkeit auch Arbeiten als zumutbar gelten sollten, die auf die Fähigkeiten oder bisherigen Tätigkeiten des Arbeitslosen nicht angemessen Rücksicht nehmen. Sie wollten die Karenzfrist von fünf Tagen vor dem ersten Bezug von ALV-Leistungen zwar ebenfalls sozialverträglich gestalten, bezeichneten aber keinen fixen Grenzbetrag, unterhalb dessen die Wartefrist nicht gilt, sondern wollten es dem Bundesrat überlassen, die Härtefälle zu bezeichnen
[47].
Dies genügte nun der Kommission des Nationalrates wiederum nicht, weshalb sie erneut den Dialog mit den Sozialpartnern suchte, diesmal aber auch die Kantone und die Kommission des Ständerates als Gesprächspartner mit einbezog. Aus diesen Verhandlungen entstanden neue Vorschläge - in Anlehnung an den Tagungsort "Solothurner Kompromiss" genannt -, welche einen austarierten Mittelweg zwischen den ersten Entscheiden des Nationalrates und den Korrekturen des Ständerates darstellten.
Festgehalten wurde im Nationalrat an der möglichst raschen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Jeder Arbeitslose soll inskünftig gehalten sein, in einem arbeitsmarktlichen Programm tätig zu werden. Je nach Alter besteht ein unterschiedlicher Anspruch auf "freie" Taggelder: Erwerbslose unter 50 Jahren erhalten höchstens 150 ordentliche Taggelder, den Rest müssen sie mit dem Besuch von Beschäftigungsprogrammen, Kursen usw. "verdienen". Zwischen 50 und 60 Jahren werden 250 Taggelder ohne Vorbedingungen ausbezahlt, über 60jährige erhalten 400 Taggelder. Anders als im bisher geltenden Gesetz, wo durch die Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen und Weiterbildungsmassnahmen die Bezugsdauer von Taggeldern ständig neu ausgelöst werden konnte, wurde diese nun definitiv auf zwei Jahre beschränkt.
Um nicht nur die Jugendlichen in den Genuss von arbeitsmarktlichen Massnahmen kommen zu lassen, wurde das
Pflichtangebot der Kantone zur Bereitstellung von Beschäftigungs- und Weiterbildungsprogrammen wieder auf
25 000 Plätze erhöht, wobei Kantone, welche die vom Bundesrat festgesetzte Quote, die im Verhältnis zur Arbeitslosen- und Einwohnerzahl definierte werden sollte, nicht erfüllen, 40% der Taggelder jener Arbeitslosen übernehmen müssen, die in keinem Programm untergebracht werden können. Der Ständerat hatte hier nur 20% vorgesehen. Als Gegenleistung an die Kantone wurde auf deren A-fonds-perdu-Beiträge an den ALV-Fonds verzichtet. Diese sollten im Rahmen von 5% nur noch vom Bund geleistet werden. Hingegen wurden die Kantone nicht von der Verpflichtung enthoben, dem ALV-Fonds Darlehen mit einem gegenüber dem freien Markt niedrigeren Zinssatz zur Verfügung zu stellen
[48].
Bei allem Entgegenkommen schuf der Nationalrat aber doch wichtige Differenzen zum Ständerat. Die nach vier Monaten vorzunehmende Verschärfung bei der Zumutbarkeit einer Arbeit lehnte er mit 101:62 recht deutlich ab. Zu einer längeren Diskussion führte die Ausgestaltung der Karenzfrist vor dem ersten Bezug von Taggeldleistungen. Die Genfer SP-Vertreterin Brunner beantragte im Namen einer Minderheit, diese Massnahme durch besondere Überbrückungs-Taggelder in der Höhe von 50% der ordentlichen Taggelder abzufedern. Nationalrat Epiney (cvp, VS) bezeichnete die Karenzfrist als eigentlichen Schwachpunkt der Vorlage. Es genüge nicht, den Bundesrat zu Ausnahmeregelungen zu ermächtigen, er müsse dazu verpflichtet werden. Sein Genfer Parteikollege Maitre wollte zumindest all jene Versicherten von der Karenzfrist ausnehmen, deren Verdienst weniger als zwei Drittel des für die obligatorische Unfallversicherung massgebenden Höchstbetrags von rund 97 200 Fr. beträgt. Schliesslich wurde dem Antrag Epiney zugestimmt.
Mit 92:43 Stimmen hielt der Nationalrat an der - leicht restriktiver ausgestalteten -
Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung fest, obgleich quer durch die Parteien der Verdacht geäussert wurde, dass damit von Arbeitgeberseite sehr oft Missbrauch betrieben werde. Andererseits trat aber auch Brunner (sp, GE) für deren Beibehaltung ein, da mit dieser Lösung vielfach Entlassungen vermieden werden könnten, die sonst die Versicherung viel teurer zu stehen kämen
[49].
Nach längerer Diskussion verzichtete der
Ständerat mit 29:9 Stimmen auf seine ursprünglich beschlossene Verschärfung bei der Definition der zumutbaren Arbeit. Da auch Bundesrat Delamuraz bekräftigt hatte, ein rigoroses Festhalten an den vier Monaten dürfte einer befriedigenden Regelung im Einzelfall nicht gerecht werden, stimmte der Ständerat hier der gemässigteren Fassung des Nationalrates zu. Gewichtige
Differenzen wurden hingegen bei der
Art der Finanzierung beibehalten resp. neu geschaffen. Entgegen dem Nationalrat, der die Kantone neu mit 10% an den Kosten der Kurse und mit 20% an jenen der Beschäftigungsprogramme beteiligen wollte, schlug der Ständerat vor, für die Kantone einen Pauschalbeitrag von 2500 Fr. einzuführen. Die Bereitstellung von gesamthaft 25 000 Plätzen in arbeitsmarktlichen Massnahmen wurde bestätigt, doch wurden die Kriterien für deren Verteilung auf die Kantone anders definiert. Während der Nationalrat hier eine Mischrechnung zwischen Einwohner- und Arbeitslosenzahlen vorgeschlagen hatte, beantragte die Kommission der kleinen Kammer aus Solidarität mit der besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Romandie, dass jeder Kanton höchstens für 30% aller Arbeitslosen Programmplätze zur Verfügung zu stellen habe. Auf Antrag von Ständerat Schiesser (fdp, GL) wurde dieser Satz mit 30:7 Stimmen um weitere 10% auf 20% gesenkt
[50].
Da die Vorlage bereits zweimal in beiden Räten beraten worden war, wurde sie nun der
Einigungskonferenz zugewiesen. Diese schlug in der noch strittigen Frage der Mittelbeschaffung für arbeitsmarktliche Massnahmen vor, dass die
finanzielle Beteiligung der Kantone an den Weiterbildungs- und Beschäftigungsprogrammen tatsächlich
pauschalisiert werden soll, erhöhte den kantonalen Beitrag pro Jahresplatz jedoch auf 3000 Fr. In der Verteilung auf die Kantone setzte sich ebenfalls ein Kompromiss durch. So sollte bei der Festsetzung der kantonalen Quote die Zahl der Einwohner und der Versicherten, nicht aber mehr der real Arbeitslosen, berücksichtigt werden, wobei die Verpflichtung für die Mindestzahl der Plätze, die ein Kanton bereitzustellen hat, 25% aller Versicherten im Kanton nicht übersteigen darf. Auf diesen Kompromiss konnten beide Kammer einschwenken, worauf die Vorlage
in der Sommersession definitiv verabschiedet wurdeUnbestritten war seit Beginn der Beratungen, dass zu Lasten des ALV-Fonds regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eingerichtet werden, welche die Wiedereingliederung effizienter vornehmen sollen als die lokalen Arbeitsämter. Keine Opposition erwuchs auch der Einführung von Ausbildungszuschüssen, welche mindestens 30jährigen Versicherten erlaubt, eine Berufslehre nachzuholen, sowie den Massnahmen zur Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit
[51].
Das neue Gesetz wird
etappenweise eingeführt. Auf den 1. Januar 1996 werden vorab jene Bestimmungen in Kraft gesetzt, die kurzfristig realisiert werden können, wie z.B. die Anhebung des beitragspflichtigen Lohnes, die Neuregelung der zumutbaren Arbeit, die Wartefristen für Jugendliche nach Abschluss der Ausbildung sowie die Verschärfungen bei der Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung. Bereits ab 1996 wirksam ist auch die Gesetzesbestimmung, wonach Arbeitslose bei der SUVA gegen Nichtberufsunfälle versichert sind
[52].
Im Rahmen der
dringlichen Massnahmen zur Entlastung des Voranschlages 1996 des Bundes versuchte die Landesregierung auf den Entscheid des Parlaments zurückzukommen, wonach nur der Bund A-fonds-perdu-Beiträge zu leisten habe und beantragte, diese ganz zugunsten der Finanzierung über Darlehen fallenzulassen. Ausgehend von einer geschätzten Arbeitslosenzahl von durchschnittlich 130 000 Personen versprach er sich davon eine Einsparung von 220 Mio Fr. Das Parlament zeigte sich unangenehm berührt vom Ansinnens des Bundesrates, ein Gesetz noch vor dessen Inkrafttreten bereits wieder mit dringlichem Bundesrecht abzuändern; beide Kammern beschlossen recht deutlich Nichteintreten auf die Vorlage
[53].
Erwerbsersatzordnung (EO)
Der Entwurf für die
6. Revision des Bundesgesetzes über die Erwerbsersatzordnung (EO) wurde Ende Mai in die Vernehmlassung gegeben. Für Erwerbstätige möchte der Bundesrat einen einheitlichen Ansatz von 60% des vor der Dienstleistung erzielten Einkommens festschreiben. Rekruten sowie Armee- und Zivilschutzangehörige sollen künftig höhere Leistungen erhalten. Laut Vorschlag des Bundesrates würde die Tagesentschädigung der Rekruten (inklusive Langzeitentschädigung) auf 52 Fr. angehoben. Die Grundentschädigung soll im übrigen neu
zivilstandsunabhängig ausgerichtet werden. Wer im Militär "weitermacht" wird nach den Vorschlägen des Bundesrates zwischen 82 und 155 Fr. erhalten. Dienstleistenden mit
Kinderbetreuungspflichten sollen neben der Kinder- eine Erziehungszulage von 56 Fr. ausgerichtet werden. Die gesamten Mehrkosten der EO-Revision dürften sich auf jährlich knapp 140 Mio Fr. belaufen, wobei allein die Verbesserung der Kinder- und der Erziehungszulage über 60 Mio Fr. kosten würden. Die höheren Ansätze für die Rekruten und die Absolventen von Unteroffiziers- und Offiziersschulen wurden auf 42 Mio Fr. veranschlagt. Trotz der Mehrkosten müsste der vom Parlament erst im Vorjahr gesenkte EO-Beitragssatz nicht erhöht werden
[54].
Die Pläne des Bundesrates lösten in der
Vernehmlassung ein
positives Echo aus. Die vier Bundesratsparteien waren sich darüber einig, dass diese Revision den geänderten gesellschaftlichen Lebensbedingungen und dem Gleichstellungsgrundsatz Rechnung trage und damit den richtigen Weg beschreite. Dieser Ansicht war auch eine Mehrheit der Kantone sowie der Gewerkschaftsbund und der Gewerbeverband. Am meisten Kritik erntete die Höhe der Leistungen. Den einheitlichen Ansatz von 60% des vor der Dienstleistung erzielten Einkommens hielt die SVP für ungenügend, weshalb sie verlangte, dieser sei auf ein mit den anderen Sozialversicherungen vergleichbares Niveau (von ca. 80%) zu erhöhen. Diese Forderung erhob auch der Gewerbeverband, während die SP und der SGB mit 70% zufrieden wären
[55].
Diskussionslos gab der Nationalrat einer
parlamentarische Initiative Allenspach (fdp, ZH) Folge, welche verlangt dass das Bundesgesetz über die EO dahingehend geändert wird, dass die Entschädigungen an jeden Dienstleistenden mindestens jenem Betrag entsprechen, den er im Falle von Arbeitslosigkeit erhielte. Kommission und Plenum anerkannten zwar, dass die Arbeiten der Verwaltung zur 6. EO-Revision bereits weit fortgeschritten sind und in die von Allenspach anvisierte Richtung deuten, wollte sich aber mit der Annahme der parlamentarischen Initiative die Möglichkeit offenhalten, bei allfälligen Verzögerungen selber legislatorisch tätig werden zu können
[56].
Weiterführende Literatur
H. Allenspach, Soziale Sicherheit - was können wir uns noch leisten?, Flaach 1995.
P. Buomberger / A. Burgstaller, "Wohlfahrtsstaat am Ende? Leitlinien einer grundlegenden Reform unserer Sozialversicherung", in Schweizer Monatshefte, 75/1995, Heft 9, S. 13 ff.
Caritas Schweiz, Soziale Sicherheit in Gefahr - von der notwendigen Reform der Sozialpolitik, Luzern 1995.
, Bern (EDMZ) 1995.
J.-L. Duc, Les assurances sociales en Suisse, Lausanne 1995.
P. Gilliand / S. Rossi, Le budget social de la Suisse: conception théorique, méthode et chiffrage, Lausanne 1995.
M. Hohl, Armut und garantiertes Grundeinkommen, Luzern (Caritas) 1995.
G. Kirchgässner / M. Savioz, "Einheitsrente und Finanzierung über eine Energiesteuer: Mögliche Wege zur Reform der AHV", in Aussenwirtschaft, 50/1995, S. 519 ff.
D. de Pury / H. Hauser / B. Schmid et al. (Hg.), Mut zum Aufbruch. Eine wirtschaftspolitische Agenda für die Schweiz, Zürich 1995.
E. Rätzer, "Abbau oder Ausbau der Zweiten Säule", in CHSS, 1995, S. 31 ff.
S. Rossi, Budget social de la Suisse: nécessité et perspectives, Lausanne 1995 (Thèse sc. soc.).
H.-P. Tschudi, "Vereinfachung und Verbesserung des schweizerischen Sozialversicherungsrechts", in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 39/1995, S. 173 ff.
D. Wiedmer, Die Sozialversicherung in der Schweiz, Zürich 1995.
E. Zürcher, "Wege zur Bekämpfung der Armut. Die Sozialrechte in den Kantonsverfassungen", in CHSS, 1995, S. 93 ff.
E. Carigiet, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV: Darstellung, Charakterisierung und Wirkungsweise, Zürich 1995.
Ch. Luchsinger, Solidarität, Selbständigkeit, Bedürftigkeit. Der schwierige Weg zu einer Gleichberechtigung der Geschlechter in der AHV (1939-1980), Zürich (Diss.) 1995.
Schweiz. Arbeitsgruppe zehnte AHV-Revision, Dokumentation zur 10. AHV-Revision, Bern (BSV) 1995.
J. van Dam / H. Schmid, Insolvenzsicherung in der beruflichen Vorsorge, Beiträge zur sozialen Sicherheit, Nr. 1, Bern (BSV) 1995.
H. Schmid, Berufliche Vorsorge - Freizügigkeit und Wohneigentumsförderung, Bern (Haupt) 1995.
H.-P. Tschudi, "Der Schutz der Mütter durch das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht", in Arbeitsrecht, 1995, S. 9 ff.
P. Bucher, "Einführung regionaler Arbeitsvermittlungszentren", in Die Volkswirtschaft, 68/1995, Nr. 4, S. 42 ff.
T. Erb, "Aktive arbeitsmarktliche Massnahmen", in Die Volkswirtschaft, 69/1996, Nr. 1, S. 30 ff.
H. J. Pfitzmann, "Die Hauptelemente der Arbeitslosenversicherung (zweite Teilrevision des AVIG)", in Die Volkswirtschaft, 68/1995, Nr. 11, S. 14 ff.
H. Schmid / E. F. Rosenbaum, Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung aus ökonomischer Sicht, Bern (Haupt) 1995 (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Arbeit und Arbeitsrecht an der Hochschule St. Gallen, Bd. 12).
[1]
BZ, 12.1. und 6.3.95;
Bund, 7.2.95;
TA, 4.2. und 16.2.95;
WoZ, 3.3.95; Presse vom 13.3.95. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1033 und 1623 f.1
[2] Presse vom 13.5. und 18.11.95. Vgl.
SPJ 1993, S. 215. Die Sozialcharta wurde bislang von allen Staaten des Europarates ratifiziert, ausser von der Schweiz, den neu beigetretenen Staaten des ehemaligen Ostblocks sowie Andorra, Liechtenstein und San Marino.2
[3]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2176 ff. Für eine entsprechende Pilotstudie, welche die Gesamtkosten der sozialen Sicherheit auf rund 80 Mia Fr. pro Jahr ansetzt, siehe
Lit. Gilliand;
TdG, 19.6.95.3
[4]
BBl, 1995, III, S. 837 ff.;
CHSS, 1995, S. 177; Presse vom 7.7., 1.11. und 7.12.95. Vgl.
SPJ 1993, S. 215. Zur Diskussion in den Kantonen siehe
Lit. Zürcher. Für ein im Berichtsjahr im Kanton Genf angelaufenes Projekt, bei dem Ausgesteuerte als Gegenleistung für Arbeiten im öffentlichen Interesse ein garantiertes Mindesteinkommen erhalten, vgl.
NQ, 9.1.95;
TA, 14.1.95;
JdG, 25.1.95. Die Westschweizer Kantone NE, VD und VS machten sich ebenfalls Gedanken in diese Richtung (
NQ, 12.10., 23.11. und 19.12.95;
Hebdo, 16.11.95).4
[5] Presse vom 28.10.95. In seiner schriftlichen Begründung präzisierte das BG, dass das ungeschriebene Verfassungsrecht keinen Anspruch auf ein garantiertes Mindesteinkommen gibt. Es gehe darum, die elementarsten menschlichen Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Obdach zu sichern, was sowohl durch Geld- wie durch Naturalleistungen erreicht werden könne (
Bund, 11.4.1996). Im Kanton Bern mussten die Richter erstmals entscheiden, wie die neuen Sozialrechte der totalrevidierten Kantonsverfassung auszulegen sind (
Bund, 4.4.95).5
[6]
Lit. Caritas; Presse vom 24.5.95.6
[7]
Lit. de Pury; Presse vom 14.12. und 15.12.95;
Bund, 16.12.95;
SoZ, 17.12.95;
NZZ, 21.12.95;
Cash, 22.12.95. Als Mitherausgeber des "Weissbuchs" zeichneten unter anderem die Gebrüder Schmidheiny, die Konzernchefs Maucher (Nestlé), Ackermann (SKA), Studer (SBG) und Blum (SBV), die HSG-Professoren Hauser und Schmid sowie alt Nationalbank-Direktor Leutwyler. Vgl. auch oben, Teil I, 4a (Einleitung).7
[8]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1089 und 1242;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2457;
SoZ, 17.12.95; Presse vom 18.12. und 19.12.95;
Bund, 22.12.95. Für ein Positionspapier der FDP zur Sozialpolitik siehe unten, Teil IIIa (FDP).8
[9]
BBl, 1995, IV, S. 761 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1162 f.9
[11]
NZZ, 2.9. und 18.12.95;
Blick, 21.10., 27.10., 27.11. und 4.12.95; Presse vom 28.10., 7.12. und 14.12.95;
Hebdo, 2.11. und 9.11.95;
Bund, 8.11.95;
SoZ, 26.11. und 3.12.95;
TA, 4.12. und 9.12.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 217. Zu den finanziellen Perspektiven der AHV siehe auch unten, 11. AHV-Revision.11
[12]
Lit. Drei-Säulen-Bericht;
CHSS, 1995, S. 305; Presse vom 28.10.95. Ein Postulat Bortoluzzi (svp, ZH), mittelfristig nach neuen Finanzierungsmodellen für die Sozialversicherung zu suchen und beispielsweise die Einführung einer Energiesteuer anstelle der Lohnprozente zu prüfen, wurde im Rat bekämpft und die Diskussion deshalb verschoben (
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2703 f.).12
[13]
BBl, 1995, III, S. 1213 ff.; Presse vom 26.6.95; U. Serdült,
Analyse der eidg. Abstimmung vom 25. Juni 1995, VOX Nr. 57, Adliswil 1995. Siehe
SPJ 1994, S. 218. Für den Abstimmungskampf siehe Presse von April bis Juni 1995. Zum Gleichgewicht zwischen 1. und 2. Säule vgl. auch
Lit. Rätzer.13
[14]
BBl, 1995, I, S. 89 ff. (AHV/IV: S. 125 ff.).14
[15]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 39 ff., 586 und 1012 f.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 184 ff. und 440. Die Anhebung des Beitragssatzes für die Selbständigerwerbenden war - im Gegensatz zur Aufhebung des Mischindexes - von den Finanzkommissionen beider Räte klar befürwortet worden.15
[16]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1634 f.;
Baz, 23.2.95.16
[17]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 11 f. Siehe
SPJ 1990, S. 219.17
[18]
BBl, 1995, III, S. 493 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1934 ff. und 2291 f.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 963 f. und 1062;
BBl, 1995, IV, S. 556 f. und
BBl, 1996, I, S. 524 ff. (Aufruf an alle möglicherweise Betroffenen, sich bei den Bundesbehörden zu melden).18
[19]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1030 f. Siehe
SPJ 1994, S. 219.19
[20]
BBl, 1995, III, S. 1213 f.; Presse vom 26.6.95. Das von den Gewerkschaften gegen diese Revision lancierte Referendum war mit 141 879 gültigen Stimmen zustandegekommen (
BBl, 1995, I, S. 1192 f.; vgl.
SPJ 1994, S. 220). Abstimmungskampagne: Presse von April bis Juni 1995. Für die Haltung von BR Dreifuss siehe
CHSS, 1995, S. 60;
JdG, 27.3.95;
NZZ, 25.4.95;
NQ, 26.4.95. Haltung der SP:
Hebdo, 12.1.95;
BaZ, 28.1.95;
NZZ, 22.2.95;
TW, 17.3.95;
Bund, 27.3.95;
Cash, 14.4.95. Die Urabstimmung der SP ergab sogar noch einen höheren Ja-Anteil (65,9%) als die Zustimmung in der Volksabstimmung (Presse vom 10.4.95). Zu den Inhalten der 10. AHV-Revision vgl.
CHSS, 1995, S. 61 ff. und 77 ff. sowie
SPJ 1994, S. 219 f.20
[21] U. Serdült,
Analyse der eidg. Abstimmung vom 25. Juni 1995, VOX Nr. 57, Adliswil 1995. Das Inkrafttreten der 10. AHV-Revision mit den entsprechenden Verordnungen wurde vom BR auf den 1.1.1997 festgesetzt (
NZZ, 30.11.95).21
[22]
BBl, 1995, IV, S. 376 f. Bürgerliche Politiker warfen schon im Vorfeld des Zustandekommens die Frage auf, ob die Initiative überhaupt gültig sei (
TA, 15.4.95). Für die Meinung namhafter Politiker zu dieser Initiative siehe
NQ, 26.6.95.22
[23]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1991 ff. Vgl.
SPJ 1994, S. 218. Gemäss einem Grundsatzurteil des Eidg. Versicherungsgerichtes kann in der heutigen Rechtslage weder der Gleichheitsartikel der Bundesverfassung noch die Europäische Menschenrechtskonvention noch der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt I) herangezogen werden, um das ungleiche Rentenalter von Frauen und Männern für ungültig zu erklären. Unter Hinweis auf die angebliche Diskriminierung der Männer hatte ein 62jähriger Bürger verlangt, im gleichen Alter wie die weiblichen Versicherten die Altersrente beziehen zu können (
CHSS, 1996, S. 3).23
[24]
Amtl. Bull. StR, 1995, 1169 ff.24
[25] Presse vom 3.11. und 6.11.95.25
[26] Presse vom 24.8.95. 1995 wurden 2,16 Mia Fr. für EL ausbezahlt; die Ausgaben stiegen damit um 2,2% gegenüber dem Vorjahr; es handelte sich dabei um die geringste Zunahme seit 1980 (Presse vom 24.1.96). Zu den EL generell siehe
CHSS, 1995, S. 4 ff. und S. 29 f.26
[27] Presse vom 11.12.95.27
[28]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2201.28
[29]
BBl, 1995, I, S. 89 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 46 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 192 f. Siehe auch
SPJ 1992, S. 226.29
[30]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1979 f. Vgl.
SPJ 1994, S. 221. Zur Entwicklung in der IV siehe
CHSS, 1995, S. 321 ff.30
[31]
BBl, 1995, IV, S. 1239 ff.31
[32]
BBl, 1995, IV, S, 1288 ff.32
[33]
BBl, 1996, I, S. 564 (Berichte der Kommission und des BR);
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1883 ff. Siehe
SPJ 1994, S. 221. Zu Mängeln in der Pensionskassenaufsicht siehe die Ausführungen des BR in
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2752 f. Für die Verluste, die einzelne PK erlitten, vgl.
NQ, 13.1. und 17.7.95;
BaZ, 23.1.95;
BZ, 2.2.95;
TA, 1.3.95; Presse vom 18.7., 9.8., 9.10. und 20.10.95;
SoZ, 5.11.95.33
[34]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1603, 1886 und 2701 f.34
[35]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1031.35
[36]
NZZ, 27.7.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 221.36
[37]
AS, 1995, S. 4964 ff.;
CHSS, 1995, S. 236 ff.; Presse vom 9.8. und 30.9.95. Zur Hauptverordnung siehe
AS, 1995, S. 3867 ff.;
CHSS, 1995, S. 209 ff.; Presse vom 24.1.95;
NZZ, 11.4. und 28.6.95. Für die vom BSV rückwirkend auf den 1.1.1995 eingeführte Kürzung der Bundessubventionen an die Spitex-Organisationen vgl.
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1605 und 1667 f. Zum Debakel bei der "Artisana", welche seit Jahren vorwiegend "gute" Risiken zu konkurrenzlos tiefen Prämien versichert hatte, siehe
Facts, 1.6.95; Presse vom 1.7.-8.7.95;
Bund, 13.7. und 10.8.95;
BZ, 22.7.95; Presse vom 4.8.95. Die Artisana gliederte sich schliesslich der Helvetia an (
Bund, 21.11.95). Mit der Fusion von Grütli, KKB und Evidenzia zur "Visana" entstand ein neuer "Riese" unter den KK, welcher künftig 1,1 Mio Versicherte vertritt (
Bund, 30.6.95).37
[38]
BBl, 1995, III, S 320 (Übersicht über die maximalen Beiträge von Bund und Kantonen);
Verhandl. B.vers., 1995, V, Teil I, S. 27 sowie Teil II, S. 104 und 109. Siehe auch die Ausführungen des BR in
Amtl. Bull. NR, S. 2451 f. Mit einem Postulat möchte NR Jöri den BR zudem beauftragen, dem Parlament jährlich einen Bericht über die Entwicklung in den Kantonen vorzulegen (
Verhandl. B.vers., 1995, V, Teil II, S. 100);
Cash, 21.7.95;
NZZ, 27.11.95; Presse vom 22.12.95. Zu den Diskussionen um die Prämienerhöhungen für 1996, die oftmals in einem relativ "luftleeren" Raum stattfanden (und die deshalb hier nur ansatzweise wiedergegeben werden), siehe Presse vom 22.8. und 12.10.95;
NQ, 26.10., 6.12. und 11.12.95;
BZ, 20.12. und 23.12.95. Das BSV rechnete mit einem durchschnittlichen Wachstum von 25%, wobei der Zuwachs nicht allein dem neuen KVG angelastet werden kann; eine Dämpfung des Kostenanstiegs wird ab 1996 durch die individuellen Prämienverbilligungen sowie längerfristig durch den Wettbewerb unter den KK erwartet (
CHSS, 1995, S. 241;
SHZ, 24.8.95).38
[39]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1604.39
[40]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2678 ff. Vgl auch A. Rumo-Jungo, "Die Aufhebung der Leistungskürzung bei grobfahrlässig herbeigeführten Nichtbetriebsunfällen", in
Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 39/1995, S. 321 ff.40
[41]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2216;
NQ, 9.2.95;
NZZ, 22.6. und 10.7.95;
Ww, 13.7.95. Siehe auch D. Galliker, "Unfallversicherung in der Schweiz - Bedeutung und Ausblick", in
Die Volkswirtschaft, 68/1995, Nr. 7, S. 16 ff.41
[42]
Frauenfragen, 1995, Nr. 2-3 (Schwerpunktthema Mutterschaftsversicherung);
CHSS, 1995, S. 191 ff.;
TA, 14.2.95;
NQ, 29.3.95; Presse vom 13.6.95. Für die ursprünglichen Vorschläge des EDI siehe
SPJ 1994, S. 225 f. FDP und CVP schlugen die Ausrichtung von Mutterschaftsbeiträgen an alle Frauen vor, wobei die Finanzierung einerseits im Rahmen der Lohnfortzahlungspflicht durch die Arbeitgeber, andererseits über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer (FDP) oder über die Abschöpfung der Spielbankengewinne (CVP) erfolgen sollte.42
[43]
Ww, 23.3.95;
NQ, 29.3.95;
TA, 5.4.95;
WoZ, 14.4.95;
NZZ, 19.4.95;
LZ, 26.5.95.43
[44] Presse vom 17.11.95. Gewissermassen einen Abstecher ins Archiv unternahm die Berner FDP-StR Beerli. Sie holte das 1987 in der Volksabstimmung gescheiterte Modell für ein revidiertes Kranken- und Mutterschaftsgesetz (KMVG) hervor. Das KMVG hätte allen Frauen während 16 Wochen ein Mutterschaftstaggeld zugesprochen und die Zulage via Lohnprozente (je 0,15% für Arbeitgeber und Arbeitnehmer) finanziert. Vom ehemals umstrittenen Krankenversicherungsballast befreit und mit einem oberen Lohnplafond versehen, könnte sich diese Vorlage nach Ansicht Beerlis heute durchaus als mehrheitsfähig entpuppen (
SoZ, 7.1.96).44
[45] Presse vom 21.11.95;
SoZ, 26.11.95;
NQ, 27.11.95.45
[46]
AS, 1996, S. 811 ff.;
Bund, 12.12.95; Presse vom 31.5.96. Siehe
SPJ 1994, S. 227 f.46
[47]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 85 ff. und 105 ff. Vgl.
SPJ 1994, S. 228 ff.47
[48] Presse vom 25.4. und 26.4.95.48
[49]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1111 ff. und 1390 ff. Völlig überraschend versuchte NR Blocher (svp, ZH), dessen Partei an der Ausarbeitung des "Solothurner Kompromisses" beteiligt war, das zentrale Element der Vorlage, die arbeitsmarktlichen Massnahmen, wieder zu Fall zu bringen. Sein Antrag wurde mit 106:26 Stimmen verworfen. In der Schlussabstimmung votierten 17 Mitglieder der 25köpfigen SVP-Fraktion gegen das neue AVIG. In der Folge verlangte die SVP, das revidierte Gesetz sei auf Verordnungsebene weiter zu verschärfen; insbesondere sollte die Zumutbarkeit einer angebotenen Arbeit strenger gehandhabt werden (Presse vom 5.7.95). Für Ungereimtheiten bei der Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung siehe
CHSS, 1995, S. 98 ff.;
SoZ, 12.3.95; Presse vom 18.5.95.49
[50]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 620 ff.50
[51]
Amtl. Bull. NR, S. 1482 ff. und 1694;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 709 f. und 798: In der Schlussabstimmung wurde die Vorlage im StR mit 32:6 Stimmen und im NR mit 134:39 Stimmen (bei 10 Enthaltungen) angenommen:
AS, 1996, S. 193 ff.;
Lit. Bucher,
Lit. Erb und
Lit. Pfitzmann
; CHSS, 1995, S. 272 ff.; R. Gysin, "Umstrittene Nothilfe für Arbeitslose", in
Plädoyer, 1995, Nr. 5, S. 19 ff. Die Genfer Sektion der Gewerkschaft Druck und Papier sowie einzelne Westschweizer Arbeitslosenkomitees ergriffen gegen das Gesetz das Referendum (Presse vom 21.7.95), doch konnten sie die notwendigen Unterschriften nicht beibringen (
BBl, 1995, IV, S 850 f.; Presse vom 30.9.95). Die OECD erteilte der Revision gute Noten. Als geradezu revolutionär bezeichnete sie den Wechsel von passivem Taggeldbezug zur aktiven Vorbereitung auf die Wiedereingliederung. Begrüsst wurde auch die Einrichtung regionaler Arbeitsvermittlungszentren (Presse vom 12.10.95). Zu einem Pilotversuch mit den RAV im Kt. Solothurn siehe
Die Volkswirtschaft, 69/1996, Nr. 4, S. 41.51
[52] Presse vom 23.9.95;
Bund, 12.12.95. Unfallversicherung:
AS, 1996, S. 698 ff.52
[53]
BBl, 1995, IV, S. 1072 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1090 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2459 ff.53
[54] Presse vom 27.5.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 230.54
[55] Presse vom 17.10.95.55
[56]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1570 f.56