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Grundlagen der Staatsordnung
Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
Die Diskussionen um das Verhalten der Schweiz im 2. Weltkrieg beruhigten sich nach dem Abschluss eines Globalabkommens zwischen den beiden Grossbanken und den jüdischen Klägern im August. – Die SVP beschloss die Vorbereitung einer Volksinitiative zur Verhinderung des Solidaritätsfonds.  – Die künstlerische Leiterin der Expo.01, Pipilotti Rist, trat von ihrem Amt zurück.  – Das Parlament verabschiedete die Totalrevision der Bundesverfassung.
Grundsatzfragen
Die Schweiz feierte im Berichtsjahr zwei Jubiläen. Zum einen galt es dem 150. Geburtsjahr der Bundesverfassung von 1848 zu gedenken, welche nicht nur die Schweiz von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat machte, sondern auch die heute noch geltenden Grundlagen für den demokratischen Staatsaufbau (aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenes Parlament, vom Parlament gewählte und nach dem Departementalsystem organisierte Regierung, Volksabstimmung über Verfassungsrevisionen) schuf. Mit einer Wanderausstellung, Veranstaltungen mit Ansprachen von prominenten Politikern, mit wissenschaftlichen Kolloquien und mit Volksfesten wurde das Andenken an diese Staatsgründung gepflegt. Die Vereinigte Bundesversammlung feierte ihr 150jähriges Bestehen am 6. November mit einem Festakt im Bundeshaus. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten war im Sommer das Bundeshaus Schauplatz einer Ausstellung über die politischen Institutionen und ihr Funktionieren gewesen [1]. Ebenfalls begangen, wenn auch in kleinerem Rahmen, wurde 1998 das Gedenkjahr für die Helvetik (1798), welche – freilich auf Druck der revolutionären französischen Besetzungsmacht – einen kurzlebigen demokratischen Staat eingerichtet hatte [2].
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Die Diskussion um die Haltung der Schweiz und ihrer Wirtschaft während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg blieb auch im Berichtsjahr rege und spaltete Volk und Generationen. In der ersten Jahreshälfte sorgten Sanktionsdrohungen aus den USA, verbale Angriffe von Vertretern amerikanisch-jüdischer Organisationen auf die Schweiz und auf Mitglieder des Bundesrates [3] und sehr polemische Darstellungen von Aspekten der schweizerischen Vergangenheit (so etwa die vom Simon Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles herausgegebenen „Studien“ zur Behandlung der Flüchtlinge in der Schweiz bzw. zur angeblich dominierenden faschistischen Gesinnung der schweizerischen Bevölkerung [4]) weiter für Aufregung. Das Geschehen beruhigte sich merklich, nachdem im August eine sogenannte Globallösung zwischen den beiden schweizerischen Grossbanken und den Klägern und jüdischen Organisationen abgeschlossen wurde, in welcher sich die Banken zur Zahlung von rund 1,3 Mia US$ verpflichteten [5]. Exponenten schweizerischer jüdischer Organisationen protestierten mehrmals gegen die Diffamierungen der Schweiz und auch gegen die Boykottdrohungen US-amerikanischer Staaten und Kommunen gegen die schweizerische Wirtschaft und mussten dafür Kritik von Vertretern internationaler jüdischer Organisationen einstecken [6].
Der im Vorjahr von den Banken eingerichtete und von der übrigen Wirtschaft und der Nationalbank mitfinanzierte Holocaust-Fonds setzte die Auszahlungen an bedürftige Opfer des Naziterrors fort. Neben jüdischen Personen wurden auch Roma und Homosexuelle berücksichtigt. Schwerpunktregion blieb das ehemals kommunistische Ost- und Mitteleuropa. Nach langen, nicht von der Schweiz verursachten Verzögerungen war im Dezember der Verteilplan für die gut 80 Mio Fr. für die rund 60 000 Holocaust-Überlebenden in Israel erstellt. Gegen Jahresende konkretisierte sich auch die Überweisung einer ersten Tranche von 47 Mio Fr. zugunsten von in den USA wohnenden Opfern [7].
Für eine ausführliche Darstellung der den Finanzplatz betreffenden Aspekte siehe unten, Teil I, 4b (Banken) [8].
Der Ständerat befasste sich noch einmal mit dem vom Nationalrat im Vorjahr beschlossenen besonderen Schutz von Personen, welche vor der Historikerkommission aussagen. Er hielt gegen den Widerstand der Linken an seiner Meinung fest, dass Auskunftspersonen durch den Bundesbeschluss, welcher die Kommission mandatiert hatte, ausreichend geschützt seien, und lehnte es ab, auf die Vorlage der grossen Kammer einzutreten. Damit wurde das Geschäft aus der Traktandenliste gestrichen [9].
Ende Mai veröffentlichte die Kommission Bergier einen Zwischenbericht zum Goldhandel der Schweiz während des 2. Weltkriegs. Er bestätigte die wichtige Rolle der Schweizerischen Nationalbank bei den Goldverkäufen Deutschlands, enthielt aber keine aufsehenerregenden neuen Erkenntnisse. Eine Präzisierung brachte der Bericht in bezug auf den Umfang der von der Deutschen Reichsbank gekauften Goldbarren, die nachweislich, aber ohne dass die SNB dies damals erkennen konnte, von Opfern des Holocaust stammten. Deren Wert betrug 582 000 Fr. [10]. In den amerikanischen Medien löste dieser Bericht kaum ein Echo aus. Aber unter anderem mit Verweis auf diesen Bericht reichten amerikanische Anwälte beim Bundesbezirksgericht in Washington eine Sammelklage gegen die Schweizerische Nationalbank ein. Die Nationalbank ihrerseits stritt die im Bericht erwähnten Handlungen nicht ab, kritisierte jedoch die Bergier-Kommission, weil sie es unterlassen habe, neben der historischen und politischen Analyse auch eine ökonomische vorzunehmen. Diese hätte unter anderem berücksichtigen müssen, dass der Spielraum der damaligen SNB-Leitung auch durch die Blockierung ihrer Guthaben in den USA eingeengt worden sei [11].
Die SP nahm diesen Bericht zum Anlass, die Politik der damaligen Nationalbank als Hehlerei zu bezeichnen. In einer Interpellation forderte ihre Nationalratsfraktion den Bundesrat auf, ihr in dieser Interpretation zu folgen und sich dafür einzusetzen, dass die Nationalbank sämtliches damals von der Deutschen Reichsbank gekaufte Gold an die ursprünglichen Besitzer (das sind vor allem die Nationalbanken der von Deutschland besetzten Staaten) zurückerstattet. Der Bundesrat lehnte eine solche Interpretation ab und erklärte einmal mehr, dass alle Forderungen in diesem Zusammenhang mit dem Washingtoner Abkommen von 1946, bei dem die Alliierten volle Kenntnis über die Goldtransaktionen verfügt hätten, beglichen worden seien. Mit dem Argument, das Zustandekommen der Solidaritätsstiftung (siehe unten) nicht gefährden zu wollen, versorgte die SP ihre Forderung wieder in der Schublade [12].
Im Juni veröffentlichten die amerikanischen Behörden einen zweiten, nach dem Unterstaatssekretär Eizenstat benannten Bericht über die Politik der Neutralen während des 2. Weltkriegs. Im Gegensatz zu dem 1997 veröffentlichten ersten Bericht, war nun nicht mehr die Schweiz alleinige Angeklagte. Auch den anderen Staaten (Schweden, Portugal, Spanien, Argentinien und Türkei) wurde eine wichtige Rolle als Handelspartner Deutschlands nachgewiesen. In seinem Vorwort gelangte Eizenstat zu wesentlich differenzierteren Schlüssen als im ersten Bericht. So anerkannte er, dass die Schweiz (zusammen mit Schweden) effektiv von Deutschland militärisch bedroht und deshalb auch zu einem gewissen Mass von Kollaboration gezwungen gewesen sei. Als Goldhandelsplatz sei sie zentral gewesen, in bezug auf die Lieferung von kriegswichtigen Rohstoffen und Produkten wären jedoch die Beiträge der anderen europäischen Neutralen viel gewichtiger gewesen [13].
Anfangs Dezember fand in Washington eine internationale Konferenz über Kulturgüter statt, welche in der Zeit des 2. Weltkriegs jüdischen Opfern geraubt und auf den internationalen Kunstmärkten weiterverkauft worden waren (sogenannte Raubkunst). Obwohl auch schweizerische Kunsthändler in diesen Geschäften aktiv gewesen waren, stand vor allem Frankreich im Zentrum der Kritik und von der Schweiz war eher am Rande die Rede. Dabei war die Tonart der Referate im Vergleich zu früheren ähnlichen Veranstaltungen um die Goldgeschäfte sehr moderat. Nicht Forderungen in Milliardenhöhe und Polemiken standen im Mittelpunkt, sondern Wege und Mittel zur Auffindung von Kunstwerken und deren Restituierung. Die vom Bundesamt für Kultur in Auftrag gegebene Studie über Raubkunst in der Schweiz wurde gegen Jahresende präsentiert und bestätigte den bereits bekannten Sachverhalt, dass in der Zeit um den 2. Weltkrieg die Schweiz eine der Drehscheiben des Handels mit Raubkunst gewesen war. Sie vermochte jedoch die im Frühjahr in der Presse angestellten Spekulationen, dass sich heute mehrere Hundert Raubkunstwerke in der Schweiz befinden würden, nicht zu erhärten [14].
Der Neuenburger Maurice Bavaud hatte 1938 ein Attentat auf Hitler geplant, das er allerdings nicht durchführte. Kurz danach wurde er in Deutschland verhaftet und 1941, nachdem er seine Anschlagpläne gestanden hatte, hingerichtet. Im Parlament forderte nun der Sozialdemokrat Rechsteiner (SG) den Bundesrat auf, Bavaud nachträglich als Helden zu rehabilitieren und das Verhalten der Schweizer Behörden, die sich seiner Ansicht nach zuwenig für den Angeklagten eingesetzt hatten, zu kritisieren. Der Bundesrat kam dieser Aufforderung teilweise nach und stellte fest, dass sich die damaligen Behörden ungenügend für Bavaud eingesetzt hätten, und dass dieser für seinen „leider vergeblichen“ Versuch, Hitler umzubringen „Anerkennung und einen Platz in unserem Gedächtnis“ verdiene [15].
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Mitte Juni gab der Bundesrat sein Projekt für die Schaffung der im Vorjahr angekündigten Solidaritätsstiftung in die Vernehmlassung. Zum Stiftungszweck hielt er an den 1997 von ihm und der Konzeptgruppe ausgearbeiteten allgemeinen Grundsätzen fest. Im vorgelegten Gesetzesentwurf verzichtete er auf die detaillierte Angabe der einzelnen zu unterstützenden Projekte, da diese Konkretisierung eine Aufgabe des Stiftungsrats sein werde. Er betonte aber nochmals, dass dies kein Fonds zur Zahlung von Beiträgen an Holocaustopfer sein werde, da von diesem nur Projekte, nicht aber Einzelpersonen profitieren könnten. Die Finanzierung soll über die Bewirtschaftung eines Teils (500 der rund 1300 Tonnen) der für die Währungspolitik nicht mehr benötigten Goldreserven der Nationalbank geschehen. Dies würde beim aktuellen Goldpreis einem Stiftungskapital von rund 7 Mia Fr. entsprechen. Die SVP lehnte diese Pläne kategorisch ab und verlangte, das Geld zugunsten der AHV zu verwenden; diese Position wurde auch vom Schweizerischen Gewerbeverband geteilt. Gegen die Stiftung sprachen sich auch die Schweizer Demokraten, die Freiheitspartei und die EDU aus. Die FDP, die CVP und die LP stellten sich grundsätzlich hinter die Solidaritätsstiftung, verlangten aber wie auch der Gewerkschaftsbund und der Vorort eine Konkretisierung der Aufgaben im Gesetz. FDP und CVP vertraten die Ansicht, dass sich die Stiftung auf die Unterstützung von Projekten für Kinder und Jugendliche konzentrieren solle. Die SP, die Grünen und die Hilfswerke, welche die Stiftung ebenfalls guthiessen, begrüssten hingegen die Offenheit bei der Formulierung der möglichen Aufgaben [16].
Aus der Überlegung heraus, dass die geplante Solidaritätsstiftung die Hürde der Volksabstimmung nicht überspringen werde, wenn der Eindruck besteht, dass aus ihr weitere Zahlungen an jüdische Organisationen in den USA geleistet werden sollen, reichte Danioth (cvp, UR) im Ständerat eine Motion ein, welche Zweck, Organisation und Finanzierung dieser Stiftung definiert. Die meisten Punkte dieses Vorstosses deckten sich mit dem Vernehmlassungsentwurf und wurden als Postulat überwiesen. Gegen den Willen des Bundesrates wurde aber derjenige Teil in zwingender Motionsform überwiesen, welcher vorschreibt, dass die Fondsmittel nicht für Projekte im Zusammenhang mit dem Holocaust und seinen Opfern verwendet werden dürfen [17].
Anlässlich der Beratung des neuen Verfassungsartikels über die Nationalbank im Dezember fand im Nationalrat auch eine Debatte über die Verwendung der für die Währungspolitik nicht mehr benötigten Goldreserven statt, mit denen unter anderem auch die Solidaritätsstiftung finanziert werden soll. Bereits vor dieser Debatte hatte SVP-Nationalrat Blocher (ZH) verkündet, dass er dafür kämpfen werde, den Erlös der nicht mehr benötigten Goldreserven der Nationalbank (des „Volksvermögens“) für die AHV und nicht für die Solidaritätsstiftung oder andere Zwecke einzusetzen. Ein Sonderparteitag der SVP beschloss im Juni, eine entsprechende Volksinitiative vorzubereiten. In der Parlamentsdebatte im Dezember unterlag ein entsprechender Antrag Baumann (svp, TG). Durchgesetzt hat sich der Antrag der Kommissionsmehrheit, den Entscheid über die Frage der Verteilung der Erträge bzw. der Ausgliederung der nicht mehr benötigten Reserven offenzulassen und ihn der Gesetzgebung zuzuweisen [18].
Die von Nationalrat Blocher 1997 als Konkurrenz zur Solidaritätsstiftung initiierte eigene, aus privaten Mitteln von Vermögenden zu äufnende Stiftung kam nicht zustande. Anstelle der angestrebten 50 Mio Fr. wurden nur gerade 3,5 Mio (inkl. Blochers Startmillion) auf das Konto überwiesen [19].
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Nach Ansicht des Nationalrats soll die Koordinationskommission für die Präsenz der Schweiz im Ausland (Koko) mit einem Leistungsauftrag versehen werden, der ihr Schwerpunktaktionen in bestimmten Ländern erlaubt. Wenn nötig soll für solche Aktionen ihr Sekretariat finanziell und personell aufgestockt werden. Nachdem der Bundesrat erklärt hatte, dass eine Überprüfung der Aufgaben der Koko im Dezember 1997 in Gang gesetzt worden sei, überwies der Rat eine entsprechende Motion seiner Aussenpolitischen Kommission lediglich in Postulatsform [20]. Der Bundesrat gab zu Jahresbeginn in seiner Antwort auf eine Einfache Anfrage Ziegler (sp, GE) bekannt, dass er beschlossen habe, die Aufträge an zwei US-amerikanische PR- resp. Lobbying-Firmen, welche auf Ende 1997 resp. 15. Mai 1998 terminiert waren, für ein weiteres Jahr fortzuführen. Auf Ende April löste er den Vertrag mit der PR-Agentur allerdings mit sofortiger Wirkung auf, nachdem bekannt geworden war, dass diese die „Jewish Agency“ bei der Einreichung von weiteren Sammelklagen gegen Schweizer Banken unterstützen werde [21].
Eine vom Vorort in Auftrag gegebene Meinungsbefragung zeigte, dass das Image der Schweiz und vor allem ihrer Wirtschaftsführer in den USA zwar kaum beim Durchschnittsbürger, hingegen bei den Eliten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft in den letzten Jahren einigen Schaden davon getragen hat [22].
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Gemäss einer vom Meinungsforschungsinstitut GfS durchgeführten Umfrage blieb 1998 die Arbeitslosigkeit mit 74% Nennungen (Mehrfachnennungen waren erlaubt) die wichtigste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer. Dahinter folgten mit deutlichem Abstand Asylpolitik (47%), Gesundheitsfragen (46%) und die Altersvorsorge (45%). Am meisten, nämlich um 17 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr zugelegt hat dabei die Flüchtlingsfrage; an Bedeutung verloren haben Finanz-, Drogen- und Umweltpolitik. Nicht mehr unter den zwanzig meistgenannten Themen befand sich das Verhalten der Schweiz im 2. Weltkrieg [23].
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Im Verlaufe des Jahres präsentierten die Organisatorinnen der Expo mehrmals ihr Ausstellungskonzept. Von der Mehrheit der Medien wurde dieses als zwar künstlerisch interessant und vielversprechend, aber vor allem in bezug auf die Inhalte noch wenig konkret beurteilt [24]. Neben diesen Präsentationen machte die Expo im Berichtsjahr auch mit überraschenden personellen Wechseln von sich reden. Im Sommer drangen erstmals Nachrichten über eine Krise im Management und dabei insbesondere in bezug auf das Verhältnis zur künstlerischen Leiterin Pipilotti Rist an die Öffentlichkeit. Im Dezember gab Rist die sofortige Demission von ihrer Funktion bekannt. Sie begründete ihren Schritt mit dem von ihr nicht vorhergesehenen Umfang, den die Managementarbeit angenommen habe. Zudem seien die von ihr eingebrachten kreativen Elemente vor allem in der Konzeptphase wichtig gewesen; für die nun angesagte Realisierung gebe es geeignetere Personen als sie. Bereits im Oktober war der technische Leiter, Poalo Ugolini, von seinem Amt zurückgetreten [25].
Mit der zunehmenden Konkretisierung des Ausstellungskonzeptes wuchsen auch Befürchtungen von einzelnen Institutionen und Gesellschaftsgruppen, dass ihr bevorzugtes Thema an der Expo.01 ungenügend oder gar nicht zur Darstellung kommen werde [26]. So setzte sich Nationalrat Seiler (svp, BE) für eine Berücksichtigung der Volkskultur ein, und die Sicherheitspolitischen Kommissionen beider Parlamentskammern für eine umfassende Darstellung der schweizerischen Sicherheitspolitik, ihres Wandels und ihrer Institutionen. In beiden Fällen sicherte der Bundesrat zu, dass diese Themen zum Zuge kommen werden. In seiner Stellungnahme zuhanden des Ständerates führte der Bundesrat allerdings aus, dass die Ausstellungsleitung nicht im Sinn habe, die Armee selbst an der Expo zu präsentieren, da generell lediglich Themen und nicht Institutionen dargestellt würden. So werde die Armee nicht mit eigenen Manifestationen präsent sein, sondern im Rahmen des Themas „Sicherheit in der Offenheit“, eines der vier Projekte des Bundes. Offenbar damit nicht ganz befriedigt, begann das VBS mit der Ausarbeitung eines Projekts „Darstellung der Armee“ ausserhalb des Ausstellungsgeländes. Diese Sonderschau schien dem VBS umsomehr gerechtfertigt, als vorgesehen ist, der Expo Angehörige der Armee für Dienstleistungen (z.B. für die Verkehrsregelung oder die Besetzung von Sanitätsstellen) zur Verfügung zu stellen [27].
Die Umweltschutzorganisationen verstärkten ihre Bemühungen, die Expo-Leitung dazu zu bringen, auf den Einsatz der sogenannten Iris-Schnellbote, welche für letztere als Symbol der Verbindung zwischen den vier Ausstellungsplätzen gelten, zu verzichten. Sie begründeten ihre Forderung nicht nur mit umweltschutzpolitischen Argumenten, sondern gaben auch zu bedenken, dass die Boote nur einen kleinen Beitrag zum Transport der Besucher zwischen den verschiedenen Ausstellungsorten leisten könnten und diese hochsubventionierten Boote zudem die konventionelle Schiffahrt unfair konkurrenzieren würden. Im Nationalrat verlangte eine Motion Baumann (gp, BE) mit denselben Argumenten, diesen Booten die Konzession zu verweigern. Der Bundesrat erklärte sich bereit, die Einwände zu überprüfen und deshalb den Vorstoss in Postulatsform anzunehmen. Da er aber von Schmid (svp, BE) bekämpft wurde, schob das Parlament seinen Entscheid darüber auf. Die Demarchen blieben zuerst erfolglos. Ende Juli erteilte das Bundesamt für Verkehr mit gewissen Auflagen in bezug auf Umweltschutz und Sicherheit die Konzession für 15 Boote. Nachdem die Umweltschützer diesen Entscheid mit einer Beschwerde angefochten hatten, lenkte die Expo-Leitung ein. Sie beschloss, die grossen Iris-Boote nur noch auf dem Neuenburgersee, hingegen nicht mehr auf dem Bieler- und Murtensee zirkulieren zu lassen [28].
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Der Bundesrat beantragte dem Parlament einen Verpflichtungskredit von 18 Mio Fr., um die Teilnahme der Schweiz an der Weltausstellung in Hannover (D) im Jahr 2000 zu ermöglichen. Im Rahmen des breit gefächerten Ausstellungsthemas „Mensch – Natur – Technik“ will sich der vom Bündner Architekten Peter Zumthor entworfene schweizerische Pavillon vorab auf den Bereich Natur konzentrieren. Für die Regierung wäre es unverzeihlich, wenn die Schweiz auf diese Gelegenheit verzichten würde, sich einer breiten europäischen Öffentlichkeit (es werden rund 40 Mio Besucher erwartet) in Erinnerung zu rufen. Im Rahmen der allgemeinen Ausstellungsfläche wird für das Bundesamt für Verkehr zudem die Möglichkeit bestehen, das Konzept der schweizerischen Verkehrspolitik darzustellen. Der Antrag warf in der kleinen Kammer keine hohen Wellen; er wurde ohne Gegenstimme verabschiedet. Im Nationalrat bekämpfte eine aus Abgeordneten der FDP, der Liberalen, der FP und der CVP gebildete Kommissionsminderheit die Vorlage mit einem Nichteintretensantrag. Ihr Protest richtete sich nicht gegen die Beteiligung der Schweiz an sich und auch nicht gegen den Entwurf des Architekten, sondern gegen das Vorgehen der federführenden Kommission für die Präsenz der Schweiz im Ausland (Koko). Diese unterlasse es nach Ansicht der Kritiker regelmässig, die parlamentarischen Kommissionen frühzeitig über ihre Pläne und Konzepte zu orientieren und schaffe damit Sachzwänge, welche dem Parlament nur bedingungslose Zustimmung zu ihren Ideen oder aber den Verzicht auf eine Beteiligung an diesen Weltausstellungen erlaube. Mit Ausnahme der FP sprachen sich trotzdem alle Fraktionen für Eintreten aus, welches mit 105:15 Stimmen beschlossen wurde. Bei sechs Gegenstimmen und neun Enthaltungen wurde der Bundesbeschluss verabschiedet [29].
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Totalrevision der Bundesverfassung
Das Parlament begann die Beratung der Verfassungstotalrevision in einer einwöchigen Sondersession im Januar. Die Verhandlungen beschränkten sich auf den Teil A (Verfassungsnachführung) und wurden parallel geführt, wobei der Ständerat Erstrat für die Detailberatungen eines ersten Teils (bis Art. 126), und der Nationalrat für den zweiten Teil war. Die Differenzbereinigung zog sich dann bis in die Wintersession, wo die totalrevidierte Bundesverfassung mit der Schlussabstimmung am 18. Dezember verabschiedet wurde [30]. Die Behandlung der als Teile B und C ebenfalls zum Totalrevisionsprojekt gehörenden Vorlagen „Volksrechte“ und „Justizreform“ gerieten demgegenüber in zeitlichen Verzug. Die Justizreform steckte zu Jahresende noch in der Differenzbereinigung zwischen den beiden Räten. Die Plenumsberatungen zur Reform der Volksrechte konnten hingegen im Berichtsjahr noch nicht begonnen werden. In diesem Bericht wird die Entwicklung dieser beiden Reformpakete im jeweiligen Sachzusammenhang dargestellt (siehe unten, Teil I, 1c, Gerichte resp. Volksrechte).
Im Ganzen gesehen hielt sich das Parlament an das Konzept der Nachführung und verzichtete weitgehend auf materielle Neuerungen. Dies trug dazu bei, dass das öffentliche Interesse an den Parlamentsberatungen eher gering war. Obwohl dieses Konzept auch den Medienschaffenden bekannt war, konnten doch viele unter ihnen ihre Enttäuschung nicht verbergen, dass die Gelegenheit nicht benutzt wurde, um ihrer Ansicht nach notwendige Reformen zu beschliessen. Um eine breitere Öffentlichkeit auf die Verfassungsreform aufmerksam zu machen, lancierte Bundesrat Koller anfangs Juni eine rund eine halbe Million Fr. kostende Werbeaktion mit Plakaten [31].
Im Ständerat war Eintreten auf die nachgeführte Verfassung unbestritten. Der Kommissionssprecher Rhinow (fdp, BL) machte in seinem Eröffnungsvotum darauf aufmerksam, dass es darum gehe, zum ersten Mal seit 150 Jahren die Verfassung vollständig neu zu redigieren. Bei der Totalrevision von 1874 seien zwar wichtige materielle Neuerungen eingeführt, der Aufbau des Textes und dessen Formulierung aber aus der Fassung von 1848 weitgehend unverändert übernommen worden. In seinem Votum zur Eintretensdebatte rief Bundesrat Koller noch einmal den Parlamentsbeschluss von 1987 in Erinnerung, sich auf eine Nachführung der Verfassung zu beschränken. Es gehe nicht darum, „den Staat neu zu erfinden“, seine Fundamente (liberaler Rechtsstaat, direkte Demokratie, Föderalismus und soziale Marktwirtschaft) seien nach wie vor tragfähig. Allerdings gelte es, die Verfassung, welche seit 1874 nicht weniger als 140 mal teilrevidiert worden sei, wieder in eine klare Struktur und eine lesbare Sprache zu bringen [32]. Die Anpassung an den heutigen Sprachgebrauch erwies sich allerdings für die französisch- resp. italienischsprachige Version als nicht unproblematisch. Während der deutsche Text bewusst geschlechtsneutral gehalten war, sah man in den vorberatenden Kommissionen für die beiden anderen Sprachen davon ab, da dies nach Aussage des Redaktionskommissionsmitglieds Cavadini (lp, NE) mit den Gesetzen dieser Sprachen nicht vereinbar wäre oder zumindest zu als unschön empfundenen Wendungen und Wortkonstruktionen führen würde. Die Kommissionen schlugen vor, in diesen Sprachen mit einer Fussnote am Anfang darauf zu verweisen, dass bei den männlichen Formulierungen die Frauen immer mitgemeint sind. Auf Druck namentlich von französischsprachigen Parlamentarierinnen nahm die französischsprachige Redaktionskommission dann im Laufe der Plenumsberatungen entsprechende Änderungen vor und schuf mit Doppel- resp. Funktionsbezeichnungen (z.B. présidence anstelle von le président), aber ohne Rückgriff auf Wortschöpfungen, einen Text, der zur Zufriedenheit der Kritikerinnen ausfiel [33].
Im Nationalrat war bereits der Grundsatz der Verfassungsrevision umstritten. Die Fraktion der Freiheitspartei beantragte Nichteintreten, da die Revision überflüssig sei und zudem im Entwurf viel zuviel Gewicht auf staatliche Regulierung und Sozialrechte gelegt und das Prinzip der Selbstveranwortlichkeit und Wirtschaftsfreiheit vernachlässigt werde. Dieser auch von den Schweizer Demokraten – diese bemängelten zudem noch, dass dieses Projekt nichts anderes als eine Unterwerfung unter die Normen der EU sei – unterstützte Antrag unterlag mit 153:10 Stimmen. Genau das Gegenteil kritisierte ein Teil (rund ein Drittel) der SP-Fraktion am vorliegenden Entwurf. Rechsteiner (sp, SG) forderte die Rückweisung an die Kommission mit dem Auftrag, die Sozialrechte und die Interventionsmöglichkeiten des Staates in die Wirtschaftspolitik auszubauen und den Willen zur Integration der Schweiz in die EU und die UNO explizit in die Verfassung aufzunehmen. Ähnliches, wenn auch etwas abstrakter und zudem angereichert mit dem Vorschlag, den Föderalismus neu zu konzipieren (und dabei insbesondere auch die Zahl der Kantone zu verringern) forderte Rennwald (sp, JU) in seinem Rückweisungsantrag an den Bundesrat. Nachdem Rechsteiner seinen Antrag zugunsten desjenigen von Rennwald zurückgezogen hatte, unterlag auch dieser deutlich mit 140:14 Stimmen.
Der Ständerat übernahm die Präambel der Bundesratsversion. Der Nationalrat erweiterte diese Präambel auf Antrag seiner Kommission um zwei Punkte. Er fügte die Erwähnung der Verantwortung gegenüber dem Schöpfer hinzu und übernahm die aus der Version Muschg der gescheiterten Verfassungstotalrevision von 1977 stammende Deklaration, „dass nur frei ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“. Die von der Linken beantragte Streichung der Anrufung Gottes lehnte der Nationalrat jedoch mit 105:53 Stimmen ab. In der Differenzbereinigung sprach sich der Ständerat gegen diese beiden Ergänzungen aus, der Nationalrat hielt jedoch mit recht deutlicher Mehrheit gegen den Widerstand von Freisinnigen und SVP-Abgeordneten daran fest. Die Einigungskonferenz übernahm schliesslich die Version der grossen Kammer.
Beim Zweckartikel der Schweizerischen Eidgenossenschaft nahm der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission und gegen den Widerstand des Bundesrats sowie der SVP-Fraktion und eines Teils der Freisinnigen auch noch den Passus auf, dass der Bund für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern sorgt. Der Ständerat lehnte diese Ergänzung mit denselben Argumenten ab wie der Bundesrat: es handle sich dabei um einen unklaren Begriff, der nicht zu den Staatszwecken gehören solle. Nachdem beide Räte in der Differenzbereinigung auf ihren Entscheiden beharrt hatten, setzte sich an der Einigungskonferenz die Version des Nationalrats durch.
Über die Parteigrenzen hinweg war man sich im Nationalrat einig, dass im Sinne der Subsidiarität staatlichen Handelns in der Verfassung auch an die Selbstverantwortung der Individuen gegenüber sich selbst und der Gesellschaft appelliert werden müsse. Der Nationalrat nahm auf Antrag seiner Kommission bei den Allgemeinen Bestimmungen einen neuen Artikel auf, der fordert, dass jede Person für sich selbst Verantwortung wahrnimmt und nach Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Gesellschaft und Staat beiträgt. Der Ständerat stimmte diesem Passus in der Differenzbereinigung zu, strich aber die vom Nationalrat im gleichen Zusammenhang beschlossene Formel, dass sich jede Person gemäss ihren Fähigkeiten und Neigungen entwickeln können soll. Diese schlankere Version wurde zum definitiven Verfassungstext.
Bei den Grundrechten gaben namentlich das Diskriminierungsverbot und das Streikrecht zu reden. Bei ersterem ging die Auseinandersetzung nicht um das Verbot der Diskriminierung an sich, sondern um die Frage, ob die Gruppen, welche namentlich nicht diskriminiert werden dürfen, einzeln exemplarisch zu nennen seien, und wenn ja, welche dazugehören würden. Der Ständerat entschied sich gegen eine Aufzählung. Die CVP und die Linke setzten sich im Nationalrat hingegen erfolgreich für eine – nicht abschliessende – Aufzählung ein, da damit auch ein Signal an die Bevölkerung zugunsten dieser Gruppen ausgesendet werde. Der Ständerat fügte sich in der Differenzbereinigung diesem Entscheid. Das Recht auf Streik und Aussperrung (mit der Einschränkung, dass sie Arbeitsbeziehungen betreffen und keine vertraglichen Friedenspflichten verletzen dürfen) wurde vom Ständerat mit dem Argument gestrichen, dass dieses Recht zwar durch die Rechtsprechung gewährleistet sei, ihm aber kein Grundrechtscharakter zukomme. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Formel setzte sich im Nationalrat jedoch gegen einen namentlich von der SVP und einer Mehrheit der FDP getragenen Streichungsantrag mit 91:67 Stimmen durch. In der Differenzbereinigung gab der Ständerat insofern nach, als er zwar kein Grundrecht auf Streik anerkannte, aber diesen unter den erwähnten Bedingungen für zulässig erklärte [34].
Bei den Grundrechten wichen die Räte in zwei Punkten von ihrer Devise ab, keine materiellen Neuerungen gegenüber der bestehenden Verfassung und der Rechtspraxis einzuführen. Nachdem sich Redner aus allen Parteien dafür eingesetzt hatten, nahm der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission einen Artikel in die Verfassung auf, der den Bund verpflichtet, auf dem Gesetzesweg Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen von Behinderten zu treffen. Der Ständerat hatte einen entsprechenden Antrag Brändli (svp, GR) ursprünglich abgelehnt, lenkte dann aber ein. Der Nationalrat nahm zudem in erster Lesung einen von der SP geforderten speziellen Kinderartikel unter die Grundrechte auf. Danach sollen Kinder und Jugendliche Recht auf besonderen Schutz und Anspruch auf eine harmonische Entwicklung haben. Bundesrat Koller hatte vergeblich gegen den Anspruch auf harmonische Entwicklung argumentiert, dass damit ein einklagbares Grundrecht geschaffen werde, das gar nicht justiziabel sei. Der Ständerat reduzierte diesen Anspruch dann auf das Postulat der Förderung der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und konnte sich damit durchsetzen [35].
Die Sozialziele, welche bisher in der Verfassung und in internationalen Verträgen verstreute Elemente in einem übersichtlichen Katalog zusammenfassen (Art. 41), gaben im Ständerat kaum zu Diskussionen Anlass. Im Nationalrat unterlag die SP mit ihrer Forderung, diese Sozialziele in einklagbare Sozialrechte umzuwandeln. Aber auch der als Reaktion darauf eingereichte Antrag Föhn (svp, SZ), die Sozialziele aus der Verfassung zu streichen, wurde deutlich verworfen [36].
Zu anderen Elementen der Verfassungsrevision (z.B. Wirtschaftsverfassung, Parteienartikel), und zu Streitpunkten, bei denen es meist darum ging, ob eine allfällige neue Bestimmung über den Nachführungsauftrag hinausgehen würde (z.B. Kantonsklausel für die Bundesratswahl, Bistumsartikel), siehe die jeweiligen Sachkapitel dieses Berichts.
Nach Beendigung der Detailberatung erklärten sich im Nationalrat die Sozialdemokraten unzufrieden. Nachdem sie mit ihren zahlreichen materiellen Abänderungsanträgen praktisch durchwegs gescheitert waren (eine Ausnahme war die Aufnahme des neuen Kinderartikels, allerdings nicht in der von der SP vorgeschlagenen Formulierung) gaben sie bekannt, dass sie den Verfassungsentwurf in der vorliegenden Form ablehnen würden. Die Gesamtabstimmung fiel bei einer Annahme mit 49:40 Stimmen bei 47 Enthaltungen denn auch sehr mager aus. Neben den Sozialdemokraten hatten sich auch die meisten SVP-Vertreter der Stimme enthalten oder die Vorlage abgelehnt. Zurückgeführt wurde dieses eher konfuse Ergebnis auf eine taktische Stimmabgabe, mit der die Linke markieren wollte, dass für sie die vom Nationalrat beschlossene Version das absolute Minimum darstelle und sie vom Ständerat in der Differenzbereinigung ein weitgehendes Entgegenkommen erwarte. Im Ständerat erfolgte die Zustimmung in der Gesamtabstimmung oppositionslos [37].
Nachdem in der zweiten Runde der Differenzbereinigung noch rund ein Dutzend Streitpunkte übriggeblieben waren, präsentierte die aus beiden Ratskammern paritätisch zusammengesetzte Einigungskonferenz in der Dezembersession ihr Vorschläge, welche von beiden Räten akzeptiert wurden. Die SP-Vertreter machten einen letzten Versuch, ihre in der parlamentarischen Auseinandersetzung unterlegenen Vorschläge doch noch in die Verfassung einzubringen. Sie schlugen vor, zwei ihrer Forderungen (aktivere Wirtschaftspolitik des Staates und dabei Einsatz für eine „gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung“ bzw. zwingende Verwirklichung der Sozialziele) dem Volk als Alternativfragen vorzulegen. Beide Ratskammern lehnten es jedoch ab, dieses speziell für die Verfassungsrevision geschaffene Instrument der Alternativabstimmung anzuwenden [38].
Damit konnte die neue Verfassung wie geplant noch im Jubiläumsjahr zum 150jährigen Bestehen des Bundesstaates vom Parlament verabschiedet werden. In der Schlussabstimmung votierte der Nationalrat mit 134:14 Stimmen bei 31 Enthaltungen und der Ständerat einstimmig für die Reform. Die Opposition im Nationalrat kam sowohl von links als auch von rechts. Die 14 Neinstimmen stammten von drei (welschen) Sozialdemokraten, der Freiheitspartei, der Mehrheit der Schweizer Demokraten (ohne Ruf, BE) und vier Vertretern der SVP. Gut vertreten waren die SP und die SVP auch bei den Enthaltungen (14 resp. 11). Die CVP und die GP stellten sich einhellig hinter das Projekt, während beim Freisinn fünf und bei den Liberalen eine Enthaltung zu verzeichnen waren [39].
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Kantonale Verfassungsrevisionen
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Genehmigung der am 14. Dezember 1997 vom Volk angenommenen totalrevidierten Verfassung des Kantons Tessin, was der Ständerat noch im Berichtsjahr vollzog [40]. Die Bundesversammlung stimmte zudem den Verfassungsänderungen in den Kantonen Luzern, Obwalden, Schaffhausen, Waadt und Zug sowie den vom Bundesrat im Berichtsjahr neu vorgelegten teilrevidierten Verfassungen von Appenzell Ausserrhoden, Graubünden und Uri zu [41].
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Weiterführende Literatur
Altermatt, Urs e.a. (Hg.), Die Konstruktion einer Nation und Nationalisierung der Schweiz: 18.-20. Jahrhundert, Zürich 1998.
Bernhard, Roberto, 150 Jahre moderne Schweiz: Identität und Bruchlinien, Biel 1998.
Blondel, Jean, „Il modello svizzero: un futuro per l’Europa?“, in Rivista italiana di Scienza politica, 1998, Nr. 2, S. 203-227.
Eglin, Dieter, Demokratie und Minderheiten: unter besonderer Berücksichtigung der Demokratie als Lebensform, der materiellen Schranken von Verfassungsrecht und der Diskurstheorie, Bern (Diss. jur. Basel) 1998.
Ehrenzeller, Bernhard / Schmid, Carlo (Hg.), Für eine starke und solidarische Schweiz. Ausgewählte Reden und Standpunkte von Bundesrat Arnold Koller, Bern 1998.
Herausforderungen 1999-2003. Trendentwicklungen und mögliche Zukunftsthemen für die Bundespolitik. Bericht des Perspektivstabs der Bundesverwaltung, Neuenburg (BFS) 1998.
Kästli, Tobias, Die Schweiz – eine Republik in Europa. Geschichte des Nationalstaates seit 1798, Zürich 1998.
Knoepfel, Peter / Kissling-Näf, Ingrid, „Social learning in policy networks“, in Policy and Politics, 26/1998, Nr. 3, S. 343-367.
Knoepfel, Peter / Varone, Frédéric / Terribilini, Serge, „Changement social, politiques publiques et Etat. Institutionaliser le changement?“, Revue européenne des Sciences sociales, 36/1998, S. 151-169.
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Malinverni, Giorgio, „L'indépendance de la Suisse dans un monde interdépendant“, in Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 117/1998, II, S. 1-137.
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[1] NZZ und QJ, 8.1.98 (Wanderausstellung); Presse vom 5.6.98; TA, 7.9.98; Presse vom 12.9. und 14.9.98 (Volksfest) sowie vom 7.11.98 (Parlament). Vgl. auch AZ, 30.12.98 und TA, 31.12.98 sowie die Beilage zu NZZ, 2.1.98.1
[2] Presse vom 19.1.98. Zur Bedeutung der Helvetik aus heutiger Sicht siehe auch NZZ, 21.2. und 9.4.98.2
[3] So etwa die von einem Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses ausgesprochene Gleichsetzung BR Cottis mit dem früheren Wehrmachts-Offizier und österreichischen Bundespräsidenten Waldheim (Presse vom 3.1.98).3
[4] Flüchtlinge: Presse vom 7.1. und 15.1.98; SN, 14.1.98; BaZ, 24.1.98. Die „Studie“ behauptete, die Schweiz hätte die jüdischen Flüchtlinge als Zwangsarbeiter in Konzentrationslager eingesperrt. Es erstaunte nicht, dass auch in diesem Zusammenhang Entschädigungsforderungen erhoben wurden. Vgl. auch die Stellungnahme des BR in Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1147 ff. Faschistische Gesinnung: NZZ, 10.6.98; BaZ, 11.6.98.4
[5] Zu den Boykottdrohungen und der Globallösung siehe unten, Teil I, 4b (Banken).5
[6] NLZ, 3.8.98; BaZ, 15.8.98 und 24 Heures, 4.11.98 (Sigi Feigel); SGT, 15.8.98 (Michael Kohn).6
[7] SGT, 22.1.98 (Roma); NZZ, 18.8., 19.8. und 16.12.98 (USA) und 7.12.98 (Israel). Vgl. auch NZZ, 23.12.98 und SPJ 1997, S. 124 f.7
[8] Siehe auch dort für weitere Belege und Quellen.8
[9] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 192 f. Siehe SPJ 1997, S. 16.9
[10] Presse vom 26.5.98.10
[11] Echo: TA, 27.5.98. Klage: Presse vom 1.7.98. SNB: NZZ, 19.1.98; Bund, 31.7.98. Vgl. auch die ähnliche Kritik des Lausanner Wirtschaftsprofessors Lambelet in NZZ, 31.7. und 9.12.98 sowie die Replik in NZZ, 10.10.98. Siehe auch die Kritik des Historikers Michel Fior an der Optik der Kommission in TA, 30.5. und 10.6.98 (Replik). Siehe zur Kritik an der Arbeitsweise der Kommission auch Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1542 ff.11
[12] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2248 ff. sowie 2905 (Antwort auf eine Interpellation Baumann, svp, TG); Bund, 29.8. und 18.12.98. In gleichem Sinn wie der BR äusserte sich auch die Rechtskommission des NR bei der Behandlung einer Petition von Eduard Wahl (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2164 ff.).12
[13] Presse vom 3.6. und 4.6.98. Vgl. SPJ 1997, S. 20.13
[14] Konferenz: Presse vom 2.12. und 3.12.98; BaZ, 5.12.98. Untersuchung: Lit. Buomberger; Bund und NZZ, 12.12.98; vgl. auch unten, Teil I, 8b (Kulturpolitik).14
[15] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 985 f.; Presse vom 2.4.98; NZZ, 7.11. (Klaus Urner) und 9.11.98.15
[16] Presse vom 24.6. und 29.9.98; NZZ, 26.11.98. Vgl. SPJ 1997, S. 17 ff.16
[17] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 794 ff. Vgl. dort auch die ausführlichen Darlegungen zum Fonds von BR Villiger.17
[18] Währungsartikel: Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2721 ff.; Presse vom 17.12. und 18.12.98. Blocher und SVP: TA, 16.1.98; Presse vom 2.6.98.18
[19] NZZ, 7.2.98. Siehe SPJ 1997, S. 19.19
[20] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 726; BaZ, 27.5.98. Vgl. dazu auch Amtl. Bull. NR, 1998, S. 743 f. und SPJ 1997, S. 20 f.20
[21] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 834 und 2314 (Vertragsauflösung); 24 Heures, 1.5.98. Vgl. auch SPJ 1997, S. 21.21
[22] NZZ, 19.12.98.22
[23] Bund, 16.2.99.23
[24] Presse vom 14.1. und 16.7.98; 24 Heures, 24.1.98.24
[25] BaZ, 15.6. und 25.6.98; Bund, 16.6.98; Presse vom 19.12.98 (Demission). Vgl. zu den personellen Wechseln auch SoZ, 20.12.98; BaZ, 28.12.98. Zu Rists Anstellung siehe SPJ 1997, S. 22.25
[26] Vgl. dazu etwa NZZ, 15.10.98.26
[27] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2232 f. (Seiler) und 2280 f. (Sicherheitspolitik); Amtl. Bull. StR, 1998, S. 899 ff. (siehe dort auch die ausführliche Stellungnahme von BR Couchepin zur Konzeption und Organisation der Expo); NZZ, 16.6., 25.9. und 26.9.98 (Bundesprojekte); TA, 9.9.98. Speziell zum Verhältnis Armee/Expo siehe auch Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1832 f.; Express, 12.11.98.27
[28] BaZ, 28.2.98 (Umweltorganisationen); Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1520 f. (Motion); Express, 4.8. (Bewilligung) und 20.8.98 (Rekurs); LT, 17.11.98 und Bund, 18.11.98 (Einlenken). Die Beschwerde wurde nach dem Einlenken zurückgezogen (Lib., 21.11.98). Siehe auch NZZ, 18.12.98 zum Verkehrskonzept der Expo.28
[29] BBl, 1998, S. 4665 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1114 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2556 ff.; BBl, 1999, S. 218. Neben der FP und den SD hatte auch Baumann (svp, TG) im NR gegen die Vorlage gestimmt. Zum gestalterischen Konzept siehe auch NZZ, 14.12.98 und LT, 29.12.98.29
[30] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1 ff., 272 ff. und 503 ff. (Eintreten und 1. Lesung), 678 ff., 690 ff., 846 ff. und 863 ff. (Differenzbereinigung 1. Runde), 1099 ff., 1159 ff. und 1241 ff. (Differenzbereinigung 2. Runde), 1339 ff. (Anträge Einigungskonferenz), 1400 f. (Schlussabstimmung); Amtl. Bull. NR, 1998, S. 39 ff. (Eintreten und Beginn 1. Lesung), 618 ff., 640 ff., 697 ff., 848 ff., 970 ff., 995 ff. (1. Lesung), 1433 ff., 1751 ff. und 2025 ff. (Differenzbereinigung 1. Runde), 2358 ff., 2546 ff. (Differenzbereinigung 2. Runde), 2596 ff. (Anträge Einigungskonferenz), 2946 ff. (Schlussabstimmung). Zur Vorgeschichte siehe SPJ 1997, S. 22 ff.30
[31] Enttäuschung: vgl. dazu etwa TA, 19.1.98; Ww, 22.1.98; LT, 27.6.98. Kampagne: Bund und TA, 30.6.98.31
[32] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1 ff. (Rhinow) und 16 ff. (Koller; Zitat S. 17). Vgl. auch die Vorschauen auf die Debatte in der Presse vom 19.1.98. Zum Nachführungsbeschluss siehe SPJ 1987, S. 14 f.32
[33] Siehe dazu auch unten, Teil I, 7d (Frauen).33
[34] Zu den Details der Auseinandersetzung siehe unten, Teil I,. 7d (Einleitung) resp. 7a (Arbeitskonflikte).34
[35] Zu diesen Debatten und zur Ablehnung von weiter gehenden Forderungen siehe unten, Teil I, 7d (Einleitung resp. Kinder und Jugendliche).35
[36] Siehe dazu unten, Teil I, 7c (Grundsatzfragen).36
[37] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 520; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1025 f.37
[38] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1243 ff. (Varianten); Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2547 ff. (Varianten). Zur Möglichkeit von Variantenabstimmungen siehe SPJ 1997, S. 22 f.38
[39] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2946 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1400 f.; BBl, 1999, S. 166 ff.; Presse vom 19.12.98.39
[40] BBl, 1998, S. 5494 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1172 f. Vgl. SPJ 1997, S. 353.40
[41] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 167 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1192 f.; BBl, 1998, S. 3597 f. Vgl. SPJ 1997, S. 25 (LU, OW, SH, VD, ZG); BBl, 1998, S. 3945 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1037 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2443 f.; BBl, 1999, S. 219 (AR, GR und UR).41
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