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Grundlagen der Staatsordnung
Rechtsordnung
Das Parlament verabschiedete die neuen Rechtsgrundlagen für die eidgenössische Volkszählung. – Die Zahl der Einbürgerungen nahm weiter zu. – Volk und Stände lehnten die Volksinitiative „S.o.S – für eine Schweiz ohne Schnüffelpolizei“ deutlich ab. – Kurden und Kosovo-Albaner machten an einer Vielzahl von Grossdemonstrationen auf die Unterdrückung in ihren Heimatländern aufmerksam. – Der Bundesrat legte seine Botschaft zum Einsatz von verdeckten Ermittlern und zur Postüberwachung und Telefonabhörung vor. – Gemäss dem Vorschlag des Bundesrates zu einer Revision des Strafgesetzbuchs sollen rückfallgefährdete Gewalttäter nach Verbüssung ihrer Strafe verwahrt werden können. – Der Bundesrat beantragte dem Parlament einen Ausbau der Kompetenzen der Bundesanwaltschaft bei der Verfolgung des organisierten Verbrechens.
Grundrechte
Am 10. Dezember wurde der 50. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die UNO gefeiert. Die Schweiz beging diesen Anlass mit diversen Symposien, Leitartikeln in der Presse und Ansprachen – unter anderem durch Bundespräsident Cotti und Ständeratspräsident Rhinow (fdp, BL) vor der Vereinigten Bundesversammlung. Bei dieser Gelegenheit erschien auch eine CD-ROM mit dem Titel „Isle of Right“, welche primär einem jugendlichen Publikum auf spielerische Weise die Geschichte und die Bedeutung der Menschenrechte näherbringen will [1].
Die im Vorjahr eingeleitete Vernehmlassung über einen Beitritt der Schweiz zum internationalen Übereinkommen zum Verbot und zur Verhütung des Völkermordes (Genozid-Konvention) der UNO von 1948 ergab breite Zustimmung. Die SP und Amnesty International verlangten, dass bei der notwendigen Anpassung der Strafrechtsnormen der Begriff Genozid nicht nur ethnische, sondern auch soziale und politische Gruppen einschliessen soll [2].
Der Nationalrat überwies eine Motion Baumberger (cvp, ZH) für eine Ratifizierung des Zusatzprotokolls von 1952 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, welches die Schweiz 1976 unterzeichnet hat. Inhaltlich geht es bei diesem Protokoll um den Schutz vor willkürlicher Enteignung, um das Recht auf Bildung und um die Durchführung von geheimen und freien Wahlen. Der Bundesrat erklärte sich mit der Motion einverstanden, will aber zuerst noch eine Konsultation der interessierten Kreise und der Kantone durchführen [3].
Die Rechtsprechung war weiterhin mit der Suche nach einer einheitlichen Auslegung des Antirassimusgesetzes befasst. In Genf wurde die erstinstanzliche Verurteilung eines Buchhändlers bestätigt, der ein antisemitische Passagen enthaltendes Buch des französischen Philosophen Roger Garaudy verkauft hatte. Da der Buchhändler nicht aus antisemitischen Gründen gehandelt habe, reduzierte das Gericht die Busse. In einem analogen Fall hatte demgegenüber das Waadtländer Kantonsgericht einen erstinstanzlich verurteilten Buchhändler mit der Begründung freigesprochen, dass nur der Autor und der Herausgeber derartiger Publikationen bestraft werden können [4]. Das Bezirksgericht Baden (AG) sprach gegen zwei notorische Holocaust-Leugner, den Basler Publizisten Jürgen Graf und dessen Verleger, den im Aargau lebenden Deutschen Gerhard Förster, exemplarisch hohe Strafen aus. Sie wurden zu einem unbedingten Freiheitsentzug von 15 resp. 12 Monaten verurteilt [5].
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Datenschutz und Statistik
Bei den Beratungen der Totalrevision der Bundesverfassung nahm der Ständerat und nach ihm auch der Nationalrat einen neuen Artikel über die Statistik auf. Diese formelle zusätzliche Bundeskompetenz, die in der Praxis längst realisiert ist, sich aber in der Regel nur auf Gesetze (z.B. über die Konjunkturpolitik) abstützt, war unbestritten und auch in der Botschaft des Bundesrates, allerdings nicht im Verfassungsentwurf selbst enthalten gewesen. Neben der Kompetenzzuweisung zur Durchführung von statistischen Erhebungen ermächtigt der Artikel den Bund auch, Vorschriften über die einheitliche Führung von amtlichen Registern zu erlassen [6].
Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates war der Auffassung, dass es dem Parlament nicht möglich sei, die im September des Vorjahres vom Bundesrat vorgelegten gesetzlichen Grundlagen für die Führung resp. den Aufbau von bestimmten Personenregistern des Bundesamtes für Polizeiwesen so rasch zu behandeln, dass sie noch vor dem 1. Juni 1998 in Kraft gesetzt werden können. Da das Datenschutzgesetz diese Rechtsgrundlagen in seinen Übergangsbestimmungen für bereits bestehende Datensammlungen mit schützenswerten Personendaten oder Persönlichkeitsprofilen verlangt, könnten diese nicht mehr weitergeführt werden. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes hatte zudem die Kommission darauf aufmerksam gemacht, dass auch andere Bundesstellen bei der Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für ihre Datensammlungen in Verzug seien. Um einen gesetzlosen Zustand zu vermeiden, beantragte die Kommission deshalb mit einer parlamentarischen Initiative einen allgemeinverbindlichen Dringlichkeitsbeschluss für eine Verlängerung der Übergangsfrist im Datenschutzgesetz auf Ende 1999. Der Bundesrat begrüsste die Kommissionsinitiative und schlug sogar vor, die Frist noch um ein zusätzliches Jahr hinauszuschieben [7]. Das Parlament hiess die Fristverlängerung auf Ende 1999 gut. Im Nationalrat gab es eine Gegenstimme (Jaquet, sp, VD), in der kleinen Kammer keine [8].
In der Herbstsession behandelte der Ständerat dann die vier Gesetze über die Personenregister. Die vier Vorlagen passierten mit einigen Detailänderungen. Grundsätzlich umstritten war einzig das Gesetz über die Zusammenlegung der beiden bereits über gesetzliche Grundlagen verfügenden Datenbanken Isok (organisiertes Verbrechen) und Dosis (Drogen) der kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes (Vorlage C). Vertreter des SP begründeten ihre Ablehnung mit dem Argument, dass die vorgeschlagenen Bestimmungen viel zu wenig präzis seien und keine echte Kontrolle durch die politischen Behörden garantieren könnten [9].
Parallel zu der im Vorjahr beschlossenen Revision des Fernmeldegesetzes waren auch die strafrechtlichen Bestimmungen über die Aufzeichnung von Telefongesprächen revidiert worden. Gemäss der auf den 1. Januar 1998 in Kraft getretenen neuen Regelung dürfen diese ohne ausdrückliche Genehmigung des Gesprächspartners nur noch für Not-, Hilfe- und Sicherheitsdienste aufgezeichnet werden. Damit wurde die bisherige Praxis der automatischen Aufzeichnung von Gesprächen durch Journalisten oder im Geschäftsleben illegal. Mit einer parlamentarischen Initiative verlangte nun Ständerat Frick (cvp, SZ), diese Neuerung wieder rückgängig zu machen und die Aufzeichnung vorbehaltlos zu erlauben, wenn sie zur Vermeidung von Missverständnissen eingesetzt wird (z.B. bei Interviews durch Medienschaffende oder bei geschäftlichen Absprachen). Auf Antrag der vorberatenden Kommission beschloss der Rat, dieser Initiative Folge zu geben [10].
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Der Nationalrat befasste sich als Zweitrat mit der Teilrevision des Bundesgesetzes über die Volkszählung. Er lehnte mit 147:13 Stimmen einen Rückweisungsantrag Moser (fp, AG) / Ruf (sd, BE) ab; diese hatten verlangt, eine rein auf Registerdaten gestützte Erhebung durchzuführen. Die vom Ständerat vorgenommene Titeländerung in „Strukturerhebungsgesetz“ machte der Nationalrat wieder rückgängig, nachdem französisch- und italienischsprachige Abgeordnete darauf hingewiesen hatten, dass er sich nicht sinnvoll in ihre Sprachen übersetzen lasse. In den Detailbestimmungen wurde diese Bezeichnung, mit der man ausdrücken will, dass es um mehr als eine blosse Zählung von Personen geht, freilich beibehalten. In der kurzen Differenzbereinigung lenkte der Ständerat in der Titelfrage ein. Der Verpflichtungskredit von 108 Mio Fr. verteilt über die Periode 1998 bis 2005 für die Strukturerhebung 2000 fand in beiden Kammern Zustimmung. Dabei lehnte der Nationalrat einen Antrag Brunner (svp, SG) ab, diese Summe um 8 Mio Fr. zu kürzen. In der Schlussabstimmung hiess der Nationalrat die Vorlage mit 140:27, der Ständerat mit 38:3 Stimmen gut. Die Opposition stammte aus der FP, der SD und einem Teil der SVP-Fraktion [11].
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Bürgerrecht
Im Rahmen der Beratungen über die Totalrevision der Bundesverfassung beschloss das Parlament, das Recht auf eine erleichterte Einbürgerung für staatenlose Kinder in den Text aufzunehmen [12].
Die Zahl der Einbürgerungen nahm 1998 um 11,5% auf 21 705 zu. An der Rangliste der Herkunftsländer der Eingebürgerten änderte sich im Vergleich zum Vorjahr nichts. An der Spitze mit 5722 Personen stand weiterhin Italien, gefolgt vom ehemaligen Jugoslawien (3296), Türkei (2093) und Frankreich (1761) [13].
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Stimmrecht
Im Kanton Genf unternahm die Regierung einen neuen Anlauf in Richtung politische Gleichstellung der Ausländer und Ausländerinnen. Sie beantragte dem Parlament eine Verfassungsänderung, welche den Gemeinden erlauben würde, das kommunale Ausländerstimm- und -wahlrecht einzuführen. Im Kanton Jura, wo Ausländer sowohl auf kantonaler als auch kommunaler Ebene über das aktive Stimm- und Wahlrecht verfügen (mit Ausnahme von Abstimmungen über Verfassungsänderungen), beschloss das Parlament in erster Lesung, dass diese in Zukunft auch in die kommunalen Parlamente wählbar sein sollen [14].
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Staatsschutz
Am 7. Juni lehnten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Volksinitiative „S.o.S. – für eine Schweiz ohne Schnüffelpolizei“, welche die Abschaffung der Staatsschutzorgane verlangte, mit deutlicher Mehrheit ab. Die Kampagne warf kaum Wellen und stand total im Schatten der gleichzeitig zur Abstimmung gelangenden Genschutz-Initiative. Obwohl das befürwortende Komitee von zwei sozialdemokratischen Nationalräten angeführt wurde (de Dardel, GE und Rechsteiner, SG) engagierte sich auch die SP nur lauwarm für die Initiative. Neben ihr hatten auch die GP, die PdA und die Lega dei ticinesi die Ja-Parole ausgegeben; der Gewerkschaftsbund hatte hingegen auf eine Parole verzichtet. Das Hauptargument der Befürworter bestand darin, dass die präventiv wirkenden Staatsschutzorgane überflüssig seien, da bei einem Verdacht auf strafbare Handlungen ohnehin die gerichtspolizeilichen Instanzen zuständig seien [15].
Für die Gegner des Volksbegehrens war dieses einerseits überflüssig, weil das 1997 vom Parlament beschlossene neue Staatsschutzgesetz die politische Polizei im Sinne einer Gesinnungsschnüffelei ausdrücklich verbietet. Andererseits sei diese Initiative auch gefährlich, weil in den Bereichen des verbotenen Nachrichtendienstes sowie der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des politisch motivierten Terrorismus auf die Früherkennung durch eine präventive Ermittlung, aber auch auf den diesbezüglichen internationalen Informationsaustausch nicht verzichtet werden dürfe [16].
Volksinitiative „S.o.S. – für eine Schweiz ohne Schnüffelpolizei“
Abstimmung vom 7. Juni 1998

Beteiligung: 40,1%
Nein: 1 383 055 (75,4%) / 23 6/2 Stände
Ja: 451 089 (24,6%) / 0 Stände

Parolen:
– Ja: SP (1*), GP, Lega, PdA.
– Nein: FDP, CVP, SVP, FP, SD, LP, LdU, EVP, EDU; Vorort, SGV, SBV, Angestelltenverband.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Das Resultat fiel mit 75,4% ablehnenden Stimmen deutlich aus. Kein einziger Kanton wies eine Ja-Mehrheit auf; am besten schnitt die Initiative im Jura ab, wo sich knapp ein Drittel dafür aussprachen. Die Ablehnung war in ländlichen Gebieten etwas stärker als in den städtischen Agglomerationen, hingegen waren kaum Unterschiede in bezug auf Sprachregion auszumachen. Die Vox-Analyse ergab, dass das Interesse der Stimmberechtigten an diesem Thema nur gering war. Sie zeigte weiter auf, dass auch Personen mit linker politischer Grundhaltung die Initiative mehrheitlich ablehnten und nur etwa die Hälfte der Sympathisanten der SP die Parteiparole befolgt hatten [17]. Nach der Ablehnung der S.o.S.-Initiative stand der Inkraftsetzung des neuen Staatsschutzgesetzes nichts mehr im Wege; sie erfolgte auf den 1. Juli [18].
Der Bundesrat zeigte sich in seiner Stellungnahme eher skeptisch zu einem im Vorjahr von der Rechtskommission des Nationalrats vorgelegten Entwurf für einen Bundesbeschluss über die Erforschung der Beziehungen von Schweizer Personen und Firmen zum Staatssicherheitsdienst (Stasi) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Er sprach dem Anliegen zwar seine Berechtigung nicht ab, zweifelte aber daran, dass es sich dabei um eine vordringliche staatliche Aufgabe handle. Sofern diese Beziehungen unverjährte kriminelle Aktivitäten (z.B. Spionage oder Geldwäscherei) beträfen, sei deren Aufklärung Sache der Strafverfolgungsbehörden. Wenn es aber lediglich um historische Aufklärung gehe, dann sei seiner Meinung nach eher die Geschichtswissenschaft zuständig [19].
Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, aber auch der illegalen Einwanderung kommt der effizienten Grenzüberwachung eine zunehmende Bedeutung zu. Im Nationalrat und auch vom Bundesrat unbestritten war eine Motion Freund (svp, AR), der die sofortige Ausrüstung des Grenzwachtkorps mit neuen technischen Hilfsmitteln (optische Geräte für Hohlraumkontrollen in Fahrzeugen, Anschlüsse an Fingerabdruckdatenbanken etc.) forderte. Die kleine Kammer überwies das gleiche Anliegen in der Form einer Empfehlung [20].
Auf den 30. April hob der Bundesrat den Beschluss von 1948 über die Bewilligung von politischen Reden von Ausländern ohne Niederlassungsbewilligung auf. Dieser war in den letzten Jahrzehnten ohnehin kaum mehr angewendet worden [21]. Weiter in Kraft blieb vorerst der ebenfalls aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Propagandabeschluss. Dieser erlaubt der Bundesanwaltschaft, sogenannt staatsgefährdendes Material zu beschlagnahmen, d.h. Zeitschriften, Bücher und weitere Informationsmittel, welche beispielsweise die Unabhängigkeit der Schweiz, den Bestand ihrer demokratischen Institutionen oder die Beziehungen zu anderen Staaten gefährden. Dieser Beschluss hätte nach Ansicht eines Gutachtens des EJPD jedoch revidiert oder aufgehoben werden müssen, da er wegen fehlender verwaltungsrechtlicher Beschwerdemöglichkeit nicht EMRK-konform ist. Mit der Inkraftsetzung des neuen Staatsschutzgesetzes (siehe oben) hob ihn der Bundesrat dann im Sommer auf. Eine Beschlagnahmung wird in Zukunft nur noch möglich sein, wenn ein konkreter Straftatverdacht vorliegt [22].
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Politische Manifestationen
Die Zahl der Grossdemonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten nahm gegenüber dem Vorjahr von 21 auf 32 zu. Verantwortlich dafür war die grössere Zahl von Kundgebungen, bei denen in der Schweiz lebende Ausländer gegen die Unterdrückung in ihren Herkunftsstaaten protestierten. Insgesamt wurden davon zwölf (1997: 4) durchgeführt: neun von Kosovo-Albanern, zwei von Kurden aus der Türkei und eine von Tamilen. Zweithäufigstes Demonstrationsthema waren die Proteste von kantonalen Angestellten gegen eine Verschlechterung ihrer Anstellungsbedingungen im Zusammenhang mit Sparmassnahmen. Von den insgesamt sieben derartigen Kundgebungen, welche zum Teil auch von Streiks begleitet waren, fanden fünf in der französischsprachigen Schweiz statt. Dreimal gingen Schüler und Studierende in grosser Zahl auf die Strasse, um gegen Sparmassnahmen im Bildungsbereich zu manifestieren. Eher ungewöhnlich waren die beiden Grosskundgebungen von Personen aus der Wissenschaft, welche für eine Ablehnung der Genschutzinitiative warben. Die grösste Anzahl von Demonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten wurden in Bern und Genf durchgeführt (je 8); in Lausanne waren es vier und in Zürich drei. Die Albaner aus dem Kosovo waren verantwortlich für die beiden grössten Demonstrationen mit 20 000 resp. 15 000 Teilnehmenden; beide fanden in Bern statt. Die beiden nächstgrössten (je 12 000) wurden vom Staatspersonal des Kantons Waadt in Lausanne organisiert [23].
Zu schweren Ausschreitungen mit Sachschäden von rund fünf Mio Fr., 151 Verhaftungen und elf verletzten Polizisten kam es am 16. Mai in Genf im Zusammenhang mit dem dort durchgeführten Ministertreffen zum 50jährigen Bestehen der WTO- resp. GATT-Verträge. Im Anschluss an eine von rund 4000 aus ganz Europa angereisten Manifestanten durchgeführte Protestdemonstration gegen die Globalisierung der Wirtschaft randalierten einige Hundert Personen. Sie demolierten Autos, plünderten Läden und lieferten der Polizei Strassenkämpfe. Diese Unruhen setzten sich während mehrerer Nächte fort. In Zürich kam es im Anschluss an die 1. Mai-Feier der Linken zu den traditionellen Ausschreitungen der sogenannten „Autonomen“ und zu Schlägereien zwischen diesen und einer Gruppe von etwa 50 rechtsradikalen Skinheads. Mehr als die Hälfte der 22 von der Polizei verhafteten Randalierer gehörten zu dieser letzteren Gruppe [24].
Im Kanton Bern stimmte das Volk über eine 1994 eingereichte Volksinitiative für ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen ab. Obwohl sich Regierung und Parlament dagegen ausgesprochen hatten, wurde das von der SVP, der FDP, der FP, den SD und der EDU unterstützte Begehren mit einem Ja-Stimmenanteil von 52% angenommen [25].
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Strafrecht
Gestützt auf die Kriminalstatistik des Kantons Zürich konstatierte der Soziologe Manuel Eisner eine massive Zunahme der von Jugendlichen begangenen Gewaltdelikte (Delikte gegen Leib und Leben, Raub, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung), während die Zahl der wegen Eigentumsdelikten Registrierten nahezu stabil blieb. Der Anteil der ausländischen Jugendlichen an den wegen Gewaltdelikten Verdächtigten hat sich bis 1997 auf 71% erhöht, wobei die Zunahme fast ausschliesslich auf des Konto von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Albanien geht. Aus diesen beiden Ländern stammten 1997 33% aller wegen Gewaltdelikten registrierten Jugendlichen [26]. Der stark gestiegene Ausländeranteil in der Kriminalstatistik (1997 machten sie gesamtschweizerisch 51,5% der ermittelten Straftäter aus) führte zu Forderungen nach strengeren Massnahmen gegen kriminelle Asylbewerber und Ausländer ohne Aufenthaltsberechtigung. Die Angehörigen dieser beiden Gruppen sind massgeblich verantwortlich für den Anstieg des Ausländeranteils unter den Straftätern, können aber oft wegen fehlender Papiere oder wegen laufender Asylgesuche nicht ausgewiesen werden. Die schweizerische Vereinigung der Staatsanwälte und Untersuchungsrichter forderte an ihrer Delegiertenversammlung gesetzliche Grundlagen, um diese Personen bis zum Vollzug der Ausweisung zu internieren [27].
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Anfangs Juli stellte der Bundesrat seine Botschaft zu zwei Bundesgesetzen über die Post- und Telefonüberwachung resp. die Tätigkeit von verdeckten Ermittlern vor. Die Vorschläge für die Postüberwachung und Telefonabhörung entsprachen weitgehend dem Vernehmlassungsprojekt. Die Vergehen, bei deren Verfolgung oder Verhinderung eine Überwachung angeordnet werden kann, wurden jedoch präzisiert, indem sie in einem Katalog aufgezählt sind. Dieser ist allerdings keineswegs so restriktiv, wie er von der SP gefordert worden war. Die Bedingungen, unter denen eine richterliche Behörde im Rahmen einer Untersuchung eine Überwachung anordnen darf (die von einem übergeordneten Justizorgan zu genehmigen ist), wurden gegenüber den geltenden Bestimmungen und der bisherigen Praxis etwas verschärft. Anstelle eines blossen muss nun ein konkreter Tatverdacht vorliegen; wie bis anhin soll es dabei um eine gravierende strafbare Handlung gehen, die mit anderen Ermittlungsmethoden ungenügend hat aufgeklärt werden können.
Das neue Gesetz über verdeckte Ermittler gilt in erster Linie für den Einsatz bei der Bekämpfung des Drogenhandels durch den Bund und die Kantone; es kann zudem auch im Strafverfahren bei den der Bundesgerichtsbarkeit unterstehenden schweren Delikten angewendet werden. Bei den eingesetzten Ermittlern muss es sich in der Regel um ausgebildete Polizisten handeln. Der Einsatz von verdeckten Ermittlern ausserhalb des Drogenhandels durch die Kantone ist nicht ausgeschlossen, bedarf allerdings einer eigenen kantonalen Rechtsgrundlage. Mit richterlicher Genehmigung können diese Ermittler gemäss dem Projekt des Bundesrates mit einer anderen Identität und entsprechenden Papieren ausgestattet werden. Für ihren Einsatz gelten die gleichen Voraussetzungen wie beim Telefonüberwachungsgesetz (Schwere des Delikts, konkreter Tatverdacht und Erfolglosigkeit anderer Ermittlungsmethoden). In der Anwendung wird zwischen zwei Phasen unterschieden. In einer ersten, bei der es um die Infiltration einer Organisation oder Szene geht, wird der Einsatz von der Leitung einer kantonalen oder eidgenössischen Polizei angeordnet, in der zweiten Phase, im Rahmen eines Strafverfahrens, von den Untersuchungsbehörden (in den Kantonen meist Staatsanwalt oder Untersuchungsrichter). Erst in dieser zweiten Phase soll es den verdeckten Ermittlern erlaubt sein, den Händlern als Kunden entgegenzutreten und straflos Drogen abzukaufen. Bei anderen im Rahmen ihrer Tätigkeit möglichen Straftaten soll diese Straflosigkeit hingegen nicht bestehen, da eine Beteiligung von Polizeibeamten an Delikten wie Einbrüchen oder Raubüberfällen oder die Begehung der von kriminellen Organisationen von neuen Mitgliedern als Loyalitätsbeweis verlangten Gewalttaten rechtsstaatlich problematisch wäre. Das Gesetz enthält schliesslich auch Schutzbestimmungen für die Ermittler, welche namentlich dazu dienen, während des Gerichtsverfahrens deren Identität nicht preiszugeben [28].
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Die im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung im Paket Justizreform vom Bundesrat beantragte Kompetenz zur Vereinheitlichung der kantonalen Strafprozessordnungen wurde vom Parlament gutgeheissen. Widerstand gab es nur von den Liberalen Leuba (NE) und Sandoz (VD), welche das Projekt aus grundsätzlich föderalistischen Gründen bekämpften. Die Vorlage konnte allerdings im Berichtsjahr infolge von Differenzen zwischen den beiden Räten zu anderen Reformteilen noch nicht verabschiedet werden [29]. Die praktische Umsetzung dieser Vereinheitlichung wird freilich noch einige Zeit dauern. Der Fahrplan des EJPD sieht eine Vernehmlassung frühestens im Jahr 2000 und die Inkraftsetzung nicht vor 2005 vor. Eine Expertenkommission präsentierte zu Jahresbeginn einen ersten Grundlagenbericht für ein künftiges Strafprozessgesetz. Dabei fassten die Wissenschafter einige Grundsatzentscheide. So sprach sich eine Mehrheit dafür aus, die Strafuntersuchung nicht durch den Staatsanwalt, sondern durch einen unabhängigen Untersuchungsrichter leiten zu lassen. Diese Regelung gilt heute in allen Kantonen ausser Basel-Stadt und Tessin. Auf in einigen anderen Staaten praktizierte Neuerungen wie etwa das „plea bargaining“, d.h. das Aushandeln von Schuldanerkennung und Strafmass (USA), oder eine Kronzeugenregelung (Italien) soll nach Meinung der Experten verzichtet werden [30].
Der im Vorjahr in die Vernehmlassung gegebene Gesetzesvorentwurf für eine Vereinheitlichung der bisher kantonal geregelten Vorschriften über die Berufsausübung von Anwälten fand ein positives Echo. Einzig die LP hätte aus grundsätzlich föderalistischen Gründen eine Konkordatslösung vorgezogen [31].
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Als Zweitrat ratifizierte auch der Nationalrat einstimmig und diskussionslos das zwischen Frankreich und der Schweiz ausgehandelte Abkommen über Vereinfachungen beim Vollzug der gegenseitigen Rechtshilfe [32].
Der Bundesrat legte dem Parlament zwei im Vorjahr mit Ekuador und Peru abgeschlossene Verträge über die gegenseitige Rechtshilfe vor. Es handelt sich dabei um die ersten umfassenden Rechtshilfeabkommen mit lateinamerikanischen Staaten. Beide Parlamentskammern vollzogen die Ratifizierung diskussionslos und ohne Gegenstimmen [33].
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Im September publizierte der Bundesrat die Botschaft für eine Revision des Strafgesetzbuchs (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung). Während den rund zehnjährigen Vorarbeiten hatten sich – ausgelöst von Morden durch rückfällige Gewalttäter – einige Akzentverschiebungen ergeben. Der Entwurf verfolgt zwar immer noch das Ziel, kurze, d.h. nicht länger als sechs Monate dauernde Freiheitsstrafen durch Geldstrafen und gemeinnützige Arbeiten zu ersetzen. Er enthält aber auch Massnahmen zum Schutz vor gemeingefährlichen und nicht resozialisierbaren Gewalttätern. Diese sollen von den Richtern auf über die Freiheitsstrafe hinausgehende Zeit verwahrt werden können. Die Fortführung dieser Verwahrung würde jährlich von den Vollzugsbehörden und alle fünf Jahre durch ein Gericht überprüft. Eine bedingte vorzeitige Entlassung (nach Verbüssen von zwei Dritteln der Strafe) müsste bei gefährlichen Tätern neu von einer interdisziplinären Konsultativkommission beurteilt werden. Als weitere Neuerung schlägt der Gesetzesentwurf eine Verbesserung der strafrechtlichen Mittel für Fälle vor, bei denen es schwierig ist, Einzelpersonen verantwortlich zu machen (z.B. Umweltkatastrophen). Hier soll in Zukunft auch ein ganzes Unternehmen strafrechtlich verfolgt werden können.
Der StGB-Revisionsentwurf sieht im weiteren vor, ein spezielles Jugendstrafrecht zu schaffen. Dabei soll die Strafmündigkeitsgrenze von sieben auf zehn Jahre erhöht werden. Andererseits sollen Jugendliche über 16 Jahre für schwere Straftaten strenger bestraft werden können als bisher, indem für sie die Maximaldauer des Freiheitsentzugs von einem auf vier Jahre erhöht wird [34].
Noch strengere Massnahmen gegen rückfallgefährdete Gewalttäter verlangt eine im Oktober lancierte Volksinitiative mit dem Titel „für lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewalttäter“. Diese sieht nicht nur den Verzicht auf eine Freilassung nach Verbüssung der Zuchthausstrafe vor, sondern auch die Streichung von Hafturlauben. Falls das Gutachten, das eine Nichttherapierbarkeit konstatiert hat, durch eine spätere Beurteilung revidiert wird, könnten die Behörden die Verwahrung aufheben. Sollte der Verurteilte rückfällig werden, wären allerdings diese Behörden haftbar. Treibende Kraft hinter dieser Initiative sind Mütter von jugendlichen Opfern von brutalen Gewalt- und Sexualdelikten; dem Komitee gehören aber auch Mitglieder der Jungen SVP (Thomas Fuchs, BE) resp. der Freiheits-Partei (Jürg Scherrer, BE) an [35].
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Bei strafbaren Handlungen im Internet (z.B. Angebot von illegaler Pornographie und Verbreitung von gegen das Antirassismusgesetz verstossenden Aussagen) bestehen nicht nur Probleme bei der Verfolgung der Täter, da diese ja oft in Staaten tätig sind, wo ihre Aktionen nicht verboten sind (z.B. rassistische Aussagen in den USA). Unklarheit besteht auch in bezug auf die rechtliche Mitverantwortung der sogenannten Provider, die als Vermittler zwischen den Internetnutzern fungieren. Gemäss dem seit April 1998 geltenden neuen Medienstrafrecht können diese wegen Nichtverhinderung einer strafbaren Publikation zur Verantwortung gezogen werden, wenn es nicht möglich ist, die Autoren selbst in der Schweiz zu belangen. Der Bundesrat beantragte dem Nationalrat erfolgreich die Umwandlung einer Motion von Felten (gp, BS) für einen spezifischen Strafrechtsartikel, der die Verantwortlichkeit der Provider festhält, in ein Postulat. Er riet dabei, die weitere Entwicklung abzuwarten, da sich das Problem ohnehin nur auf internationaler Ebene lösen lasse und zudem auch die Provider selbst versuchten, Standards für eine Selbstregulierung zu entwickeln [36]. Im Juli hatte die Bundesanwaltschaft einige Provider ersucht, für ihre Abonnenten den Zugang zu Seiten mit in der Schweiz illegalen Inhalten zu sperren. Die Provider wiesen in ihrer Reaktion auf die technischen Probleme solcher Sperren hin, bei denen entweder Tausende von legalen Seiten gleichzeitig gesperrt würden, oder die nutzlos blieben, da die Autoren in kürzester Zeit unter neuen Adressen auftauchen würden [37].
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Nachdem im Vorjahr das Parlament der Verlängerung der Verjährungsfrist bei Sexualdelikten mit Kindern wieder auf zehn Jahre zugestimmt hatte, kam der Bundesrat nun auch dessen 1997 als Postulat überwiesener Forderung nach, die Verjährungsfrist bei diesen Tatbeständen erst ab dem 18. Altersjahr des Opfers laufen zu lassen. Im August gab er eine entsprechende Sexualstrafrechtsrevision in die Vernehmlassung. Gleichzeitig unterbreitete er auch eine Verschärfung der Vorschriften gegen die harte Pornographie und gegen extreme Gewaltdarstellungen. Hier soll zukünftig nicht nur die Herstellung und Verbreitung, sondern auch der Besitz strafbar werden. Beide Vorschläge wurden in der Vernehmlassung einhellig begrüsst [38]. Im Rahmen der StGB-Revision (s. oben) beantragte der Bundesrat, dass im Ausland begangener sexueller Missbrauch von Kindern auch dann in der Schweiz verfolgt wird, wenn die Tat im betreffenden Staat nicht strafbar ist [39].
Der Ständerat überwies in Postulatsform eine Motion Béguin (fdp, NE) für die Schaffung einer Zentralstelle des Bundes für die Bekämpfung der Pädophilie und einer Datenbank mit Bildern von Opfern und Tätern zwecks Verbesserung der Ermittlung bei Delikten. Zuvor hatte der Bundesrat zugesichert, dass die damit befasste Stelle beim Bundesamt für Polizeiwesen (Fachstelle Menschenhandel) ausgebaut und die Errichtung einer Datenbank abgeklärt wird [40].
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Ende Januar legte der Bundesrat dem Parlament die Botschaft für die Schaffung von zusätzlichen Bundeskompetenzen bei der Ermittlung gegen das organisierte Verbrechen und die Wirtschaftskriminalität vor. Er begründete diese Vorlage mit dem Umstand, dass diese Tatbestände oft sehr komplex sind und in der Regel auch die Kantons- und Landesgrenzen überschreiten. Es sei deshalb notwendig, die Ermittlungen in diesen Fällen effizienter zu koordinieren und namentlich die kleinen Kantone, deren Strafverfolgungsbehörden oft an Kapazitätsschranken stiessen, zu entlasten. Als wichtigste Neuerung schlug der Bundesrat vor, dass die Bundesanwaltschaft in den genannten Bereichen unter bestimmten Umständen (d.h. bei landes- oder kantonsüberschreitenden oder sehr komplexen Fällen) selbst ein Ermittlungsverfahren eröffnen kann. Mit dieser Eröffnung des Ermittlungsverfahrens ist nach dem neuen Art. 340bis StGB die Bundesgerichtsbarkeit begründet, und die Bundesbehörden führen auch die Untersuchung durch. Um diese neuen Aufgaben zu erfüllen, sollen in der Bundesanwaltschaft sukzessive 74 neue Stellen geschaffen werden. Nach abgeschlossenen Ermittlungen kann dann gemäss Vorschlag des Bundesrates die Beurteilung an das nach den üblichen Gerichtsstandbestimmungen zuständige kantonale Gericht delegiert werden. Die Anklage würde allerdings, wie dies anlässlich der Vernehmlassung von den Kantonen verlangt worden war, von der Bundesanwaltschaft vertreten.
Da die Bundesbehörden damit wesentlich weiter gehende Kompetenzen erhalten als heute, sollen nach Ansicht des Bundesrates auch die Rechte der Beschuldigten und ihrer Verteidiger in diesem Verfahren ausgebaut und an die Standards der Voruntersuchung nach Bundesstrafrecht und der kantonalen Prozessordnungen angeglichen werden. Gleichzeitig soll im Rahmen dieses Gesetzgebungspaketes auch die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft verbessert werden und ihre Trennung von der präventiven Polizei klarer zum Ausdruck kommen. Mit diesen Massnahmen könnten die unbestrittenen Elemente der 1993 heftig kritisierten Vorschläge des Bundesrates für eine Entflechtung der Bundespolizei und der Bundesanwaltschaft und die Ausgestaltung letzterer als völlig unabhängige Staatsanwaltschaft verwirklicht werden. Die Bundesanwältin soll zwar weiterhin vom Bundesrat gewählt werden und diesem administrativ unterstehen, und sie soll auch weiterhin den Vorsteher des EJPD über wichtige Ermittlungen informieren. Die Aufsicht würde aber in Anbetracht der zusätzlichen strafprozessualen Funktionen grundsätzlich von einer richterlichen Behörde (konkret von der Anklagekammer des Bundesgerichts) ausgeübt werden [41].
Der Ständerat nahm im Oktober die Beratung der Vorlage auf und schloss sie in der Dezembersession mit der Annahme des neuen Gesetzes ab. Auf Antrag seiner Kommission beschloss er ohne Gegenstimme Eintreten. In der Detailberatung verschärfte er die Bedingungen, unter welchen die Bundesanwaltschaft bei Fällen von organisiertem Verbrechen und schwerer Wirtschaftskriminalität ein Verfahren eröffnen kann. Dies soll nicht generell bei landes- resp. kantonsüberschreitenden Delikten der Fall sein, sondern nur dann, wenn die strafbaren Handlungen zu einem wesentlichen Teil im Ausland begangen wurden resp. sich keinem Kanton schwerpunktmässig zuordnen lassen. Als Neuerung gegenüber dem Regierungsprojekt kann die Bundesgerichtsbarkeit auch dann begründet werden, wenn eine an sich zuständige kantonale Behörde nicht über die Mittel verfügt, eine wirksame Strafverfolgung durchzuführen. Ein von Rhinow (fdp, BL) und Schiesser (fdp, GL) eingebrachter Antrag, die Strafverfolgung in diesen Fällen obligatorisch den Bundesbehörden zuzuweisen, unterlag allerdings mit 25:11 Stimmen. In der Gesamtabstimmung hiess der Rat die neuen Bestimmungen im Strafgesetzbuch über die zusätzlichen Bundeskompetenzen bei einer Gegenstimme, diejenigen über die Organisation der Bundesrechtspflege oppositionslos gut [42].
Namentlich bei der internationalen Verfolgung von Geldwäscherei- und Drogenhandelsdelikten kann der Staat oft beträchtliche Summen deliktisch erworbener Vermögen einziehen. Nicht geregelt ist die Verteilung dieser Gelder, wenn mehrere Behörden an der Strafermittlung beteiligt waren. So entstand beispielsweise ein Streit zwischen den Kantonen Waadt und Zürich einerseits und dem Bund andererseits bei der Verteilung des schweizerischen Anteils von rund 85 Mio US$ an den im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Drogenhändlerin Arana de Nasser beschlagnahmten Guthaben. Der Bundesrat setzte eine Expertenkommission ein, welche allgemeine Vorschriften für eine lastengerechte Verteilung dieser Gelder zwischen Bund und Kantonen vorschlagen soll. Der Ständerat unterstützte dieses Vorgehen mit der diskussionslosen Überweisung einer Motion seiner Rechtskommission [43].
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Im Juli gab der Bundesrat den Vorentwurf für eine Reform des Korruptionsstrafrechts in die Vernehmlassung. Das Projekt sieht vor, aktive Bestechung nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen zu ahnden, was eine Erhöhung des Strafmasses und eine Verlängerung der Verjährungsfrist bedeuten würde. Verboten werden soll zusätzlich auch das sogenannte Anfüttern, d. h. Geschenke und Zuwendungen an Amtsträger, die nicht direkt mit dem Vollzug einer Amtshandlung zusammenhängen, sondern eher ein „gutes Klima“ schaffen und das Terrain für spätere Bestechungsversuche vorbereiten sollen. In Übereinstimmung mit der diesbezüglichen OECD-Konvention soll neu auch die Bestechung ausländischer Amtsträger strafbar werden. Die aktive und passive Bestechung im nichtstaatlichen Bereich soll gemäss dem Entwurf von einem Antragsdelikt im Rahmen des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb zu einem strafrechtlichen Offizialdelikt werden [44].
In der Vernehmlassung stiess insbesondere die Aufwertung der Bestechung im Privatbereich zu einem Offizialdelikt auf breite Kritik. Alle vier Bundesratsparteien, aber auch der Vorort und die linke Vereinigung „Demokratische Juristinnen und Juristen“ lehnten diese Gleichbehandlung von staatlicher und privater Sphäre ab. Wenig Zustimmung fanden auch die neuen Vorschriften über das sogenannte Anfüttern. Dieser Tatbestand sei derart unklar, dass die Gefahr von willkürlicher Strafverfolgung bestehe. Mit der Strafbarkeit der Bestechung ausländischer Beamter erklärte sich der Vorort einverstanden, auch wenn er zu bedenken gab, dass damit die Bewerbung um Staatsaufträge in Ländern, wo derartige Zahlungen landesüblich seien, gravierend erschwert würde [45].
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Die vom Bundesrat in die Vernehmlassung gegebene Verordnung zum neuen Waffengesetz stiess auf massive Kritik: für einige Kantone und auch für die bürgerlichen Parteien war sie zu detailliert und ging über die gesetzlichen Vorgaben hinaus; für die SP andererseits war sie zu lasch ausgefallen. Der Bundesrat liess sich durch diese Reaktionen nicht beirren und setzte Gesetz und Verordnung auf den 1. Januar 1999 in Kraft [46].
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Zivilrecht
Der Bundesrat veröffentlichte seine Botschaft für ein Gesetz, das für die ganze Schweiz einheitlich regeln soll, welches Gericht örtlich für Zivilrechtsklagen verantwortlich ist [47].
Der Nationalrat überwies mit dem Einverständnis des Bundesrats eine Motion seiner Rechtskommission für eine Teilrevision des Bauhandwerkerpfandrechts  [48]. Der Freiburger Nationalrat Jutzet (sp) möchte nach amerikanischem Vorbild das Instrument der Sammelklage in Zivilrechtssachen einführen; er reichte dazu eine von Vertretern der Interessenorganisationen der Mieter, der Konsumenten und der Arbeitnehmer mitunterzeichnete Motion ein. Das im Tätigkeitsbereich dieser Verbände bestehende Verbandsklagerecht ist gemäss Jutzet ungenügend, da es nur eine gerichtliche Feststellung erreichen könne, für die gerichtliche Anerkennung von daraus entstehenden Ansprüchen jedoch Einzelklagen notwendig seien [49].
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Weiterführende Literatur
Kreis, Georg (Hg.), Antisemitismus in der Schweiz: ein Bericht zu historischen und aktuellen Erscheinungsformen mit Empfehlungen für Gegenmassnahmen, Bern 1998.
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Amy, Thierry, Entraide administrative internationale en matière bancaire, boursière et financière: en droit suisse, européen et international, Zurich 1998.
Bauhofer, Stefan (Hg.), Jugend im Strafrecht, Chur 1998.
Forster, Marc, „StGB-Revision: Ein gelungener Entwurf“, in Plädoyer, 1998, Nr. 6, S. 28-34.
Killias, Martin, Précis de droit pénal général, Berne 1998.
Koller, Arnold, „Die Bekämpfung der Korruption in der Schweiz“, in Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, 1998, S. 125-135.
Ruch, Alexander e.a. (Hg.), Das Recht in Raum und Zeit. Festschrift für Martin Lendi, Zürich 1998.
Schiller, Kaspar, „Ein Gesetz mit 125-jähriger Verspätung: Zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA)“, in Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 117/1998, I, S. 67-97.
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Geiser, Thomas, „Zivilprozessrecht vereinheitlichen“, in Plädoyer, 1998, Nr. 3, S. 28-35.
Sutter, Thomas, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, Zürich 1998.
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[1] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 3008 ff.; Presse vom 9.12. und 10.12.98; NZZ, 11.12.98 (CD-ROM).1
[2] NZZ, 20.1.98.2
[3] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2814 f.3
[4] GE: NZZ, 24.2.98. VD: LT, 5.9.98. Vgl. SPJ 1997, S. 27.4
[5] AT, 14.7.98. Siehe auch WoZ und Ww, 23.7.98 sowie Marcel Niggli, „Rassismus-Strafnorm: Kein Maulkorbgesetz“, in Plädoyer, 1998, Nr. 2, S. 27 ff. Zu Verstössen gegen das Antirassismusgesetz im Internet siehe unten (Strafrecht).5
[6] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 72; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 945 ff.6
[7] BBl, 1998, S. 1579 ff. und 1583 f. (BR). Siehe SPJ 1997, S. 28.7
[8] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 318 f., 788 (Dringlichkeit) und 838 (Schlussabstimmung); Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1296 f., 1366 f. (Dringlichkeit) und 1632 f. (Schlussabstimmung); BBl, 1998, S. 3593 und AS, 1998, S. 1586.8
[9] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1026 ff.9
[10] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 277 ff. Zur Revision des Fernmeldegesetzes siehe SPJ 1997, S. 199 f.10
[11] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1228 ff. und 1634 f.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 732 f. und 839; BBl, 1998, S. 3476 ff. (Gesetz) und 3595 (Kredit). Vgl. SPJ 1997, S. 28 f.11
[12] Siehe dazu unten, Teil I, 7d (Kinder).12
[13] NZZ, 6.3.99. Vgl. SPJ 1997, S. 29.13
[14] GE: TG, 2.10.98. JU: QJ, 17.11. und 19.11.98 (1996 hatte das Volk einen analogen Parlamentsbeschluss in einer Referendumsabstimmung abgelehnt; vgl. SPJ 1996, S. 23).14
[15] Bund, 1.4.98; NZZ, 7.5.98; WoZ, 14.5.98; Presse vom 20.5.-6.6.98. Siehe SPJ 1997, S. 28.15
[16] NZZ, 8.4.98 sowie Presse vom 20.5.-6.6.98.16
[17] BBl, 1998, S. 4363 ff.; Presse vom 8.6.98; Sybille Hardmeier / Daniel Scheiwiller, Vox. Analyse der eidg. Abstimmung vom 7. Juni 1998, Zürich 1998.17
[18] NZZ, 14.6.98. Vgl. dazu SPJ 1997, S. 29 f.18
[19] BBl, 1998, S. 3956 ff.; BaZ, 16.6.98. Vgl. SPJ 1997, S. 30 sowie BaZ, 17.6.98.19
[20] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2834; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1301 f.20
[21] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 816 (Einfache Anfrage Gross, sp, ZH); TA, 10.3.98.21
[22] TA, 12.5. (EMRK) und 19.6.98 (Aufhebung).22
[23] In der folgenden Zusammenstellung sind die Kundgebungen der Gewerkschaften zum 1. Mai, welche in den Grossstädten jeweils einige Tausend Beteiligte aufweisen, nicht erfasst. Belege für die Demonstrationen mit 1000 und mehr Teilnehmenden (in Klammer Anzahl und Thema): Bern: Bund, 12.1.98 (7000/Strassentransportgewerbe gegen LSVA); Bund und 24 Heures, 9.3. (20 000/Kosovo-Albaner); Bund, 16.3. (8000/Behinderte für Verfassungsartikel); Bund, 23.3. (15 000/Kosovo-Albaner); Bund, 30.3. (3000/Kosovo-Albaner); Bund, 10.8. (2000/Kosovo-Albaner); NZZ, 26.10. (1500/Kurden); Bund, 23.11. (2000/Kosovo-Albaner). Genf: NZZ, 3.3. (3000/Kosovo-Albaner); NZZ, 10.3. (5500/Kosovo-Albaner); TG, 29.4. (1500/Wissenschafter gegen Gen-Initiative); 24 Heures, 18.5. (4000/gegen WTO); TG, 20.5. (1000/gegen WTO); TG, 11.8. (4000/Tamilen); TG, 25.9. (2500/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen); TG, 23.10. (1500/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen). Lausanne: NLZ, 27.7. (3000/Kurden); 24 Heures, 25.9. (12 000/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen); LT, 7.10. (12 000/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen); 24 Heures, 20.11. (1200/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen). Zürich: TA, 7.3. (8000/Kosovo-Albaner); TA, 21.3. (2000/Gewerkschafter SMUV für Arbeitszeitverkürzung); NZZ und TA, 29.4. (2500/Wissenschafter gegen Gen-Initiative). Basel: BaZ, 19.1. (1000/Angestellte aus Mannheim/DE gegen Stellenabbau bei Roche); BaZ, 16.3. (3000/Kosovo-Albaner). Sion: 24 Heures, 19.5. (3000/Schüler gegen neues Schulgesetz); LT, 19.8. (2500/Bauern gegen WTO). Aarau: AZ, 24.6. (5000/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen). Bellinzona: CdT, 26.11. (1000/Staatsangestellte gegen Sparmasnahmen). Biel: Bund, 20.6. (3500/Gewerkschafter SMUV für GAV). Neuenburg: LT, 18.11. (2500/Studierende). Solothurn: SZ, 11.9. (1400/Mittelschüler gegen Einführung von Schulgeldern).23
[24] Genf: TG, 18.5., 20.5. und 22.5.98. Zürich: Blick und TA, 2.5.98. Zu den politischen Zielen der den „Autonomen“ nahestehenden Organisation Revolutionärer Aufbau Schweiz siehe NZZ, 14.11.98.24
[25] Bund, 29.5. und 8.6.98.Vgl. SPJ 1997, S. 31.25
[26] Manuel Eisner, „Warum die Jugendkriminalität stark zunimmt“, in NZZ, 7.3.98.26
[27] Statistik: Presse vom 28.3.98. Internierung: TA, 24.10.98.27
[28] BBl, 1998, S. 4241 ff.; Bund und NZZ, 27.6.98. Zu den Vernehmlassungsverfahren siehe SPJ 1995, S. 26 und 1996, S. 27 f. (Verdeckte Ermittler) sowie 1997, S. 32 (Post- und Telefonüberwachung).28
[29] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 253 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1446 ff. Die in den Vorjahren eingereichten und akzeptierten Standesinitiativen verschiedener Kantone für diese Vereinheitlichung konnten als erfüllt abgeschreiben werden (Amtl. Bull. StR, 1998, S. 269 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1481 ff. Vgl. SPJ 1997, S. 32). Zur Justizreform siehe unten, Teil I, 1c (Gerichte).29
[30] Presse vom 14.2.98. Vgl. auch Plädoyer, 1998, Nr. 5, S. 6 ff.30
[31] 24 Heures, 14.5.98. Vgl. SPJ 1997, S. 32 sowie Lit. Schiller.31
[32] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 506 ff. Vgl. SPJ 1997, S. 32 f. Zur Anwendung der internationalen Rechtshilfe bei Finanzdelikten siehe unten, Teil I, 4b (Banken).32
[33] BBl, 1998, S. 2977 ff.; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 572 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1803 ff.33
[34] BBl, 1999, S. 1779 ff.; Presse vom 22.9.98. Vgl. SPJ 1995, S. 25 und 1996, S. 27. Siehe auch Lit. Forster.34
[35] BBl, 1998, S. 4961 f.; Presse vom 5.11.98. Vgl. auch LT, 8.5.98. Siehe dazu auch SPJ 1997, S. 33 (Motion Aeppli).35
[36] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2842 f.36
[37] NZZ, 31.7., 8.8. und 14.8.98; AT, 4.8.98; BZ, 5.8.98.37
[38] BaZ und AZ, 27.8.98; 24 Heures, 7.12.98 (Ergebnis der Vernehmlassung). Vgl. auch SPJ 1997, S. 33 f.38
[39] BBl, 1998, S. 1779 ff.; Bund, 22.9.98.39
[40] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 168 ff.40
[41] BBl, 1998, S. 1529 ff.; Presse vom 29.1.98. Vgl. SPJ 1997, S. 34. Zur gescheiterten Entflechtungsvorlage von 1993 siehe SPJ 1993, S. 37.41
[42] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1111 ff. und 1173 ff.42
[43] Arana: Lib., 12.9.98; LT, 18.9.98; NZZ, 18.12.98. Expertenkommission und Motion: Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1184. Vgl. auch NZZ, 12.10.98.43
[44] NZZ und SGT, 2.7.98; TA, 13.7.98 (Interview mit dem Verfasser des Vorentwurfs, Mark Pieth); NZZ, 6.9.98. Vgl. SPJ 1997, S. 35. Siehe auch Lit. Koller.44
[45] TA, 12.10.98.45
[46] NZZ, 9.5. und 22.9.98; Plädoyer, 1998, Nr. 2, S. 34 ff. Vgl. SPJ 1997, S. 35 f.46
[47] BBl, 1999, S. 2829 ff.; NZZ, 19.11.98.47
[48] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2181. Zum Gesellschaftsrecht siehe unten, Teil I, 4a (Gesellschaftsrecht).48
[49] Verhandl. B.vers., 1998, VI, Teil II, S. 139.49
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