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Grundlagen der Staatsordnung
Föderativer Aufbau
Der Ständerat stimmte trotz einiger Skepsis dem neuen Gesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes zu. – Im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung wurde die Stellung der Gemeinden und dabei vor allem diejenige der Städte etwas aufgewertet. – Die Stimmberechtigten von Moutier (BE) lehnten in einer von den Gemeindebehörden angesetzten Konsultativabstimmung überraschend den Beitritt zum Kanton Jura ab.
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen
Der Ständerat befasste sich als Erstrat mit dem neuen Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes. Eine aus Abgeordneten aller vier Bundesratsparteien zusammengesetzte Kommissionsminderheit beantragte Nichteintreten. Ihre Opposition richtete sich nicht gegen den Inhalt des Gesetzes an sich, sondern sie erachteten es schlicht als überflüssig, da dessen Kerngehalt bereits in der neuen Bundesverfassung (Art. 55 der definitiven Fassung) enthalten sei. Die Kommissionsmehrheit hielt dem entgegen, dass die vom Gesetz vorgenommene detailliertere Regelung durchaus nützlich sei. Von besonderer Bedeutung sei dabei namentlich der im Gesetz, aber nicht in der Verfassung enthaltene Grundsatz, dass durch die Mitwirkung der Kantone die aussenpolitische Handlungsfähigkeit des Bundes nicht beeinträchtigt werden darf. Der Nichteintretensantrag wurde mit 26:11 Stimmen abgelehnt. In der Detailberatung wurde die Bedeutung dieses letzterwähnten Grundsatzes noch betont, indem er vom sechsten in den ersten Artikel verschoben wurde. Dem Misstrauen, das der Ständerat der Konferenz der Kantonsregierungen als allfälliges Sprachrohr der Kantone entgegenbringt, wurde insofern Rechnung getragen, als explizit festgehalten wurde, dass der Bundesrat nicht die Meinung „der Kantone“ an sich, sondern diejenige „aller“ Kantone einbeziehen muss. Trotz diesen Präzisierungen liessen sich nicht alle Mitglieder des Ständerats von der Notwendigkeit dieses neuen Gesetzes überzeugen. In der Gesamtabstimmung votierten 26 für und 9 gegen die Vorlage [1].
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Im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung kam es zu einer Aufwertung der Gemeinden und dabei insbesondere der städtischen Agglomerationen. Bei der Regelung des Verhältnisses zwischen Bund und Kantonen war die von den Kommissionen beider Räte eingebrachte Bestimmung, die den Bund verpflichtet, bei seiner Politik die Auswirkungen auf die Gemeinden im Auge zu behalten, unbestritten. Im Ständerat opponierte hingegen Uhlmann (svp, TG) dem Vorschlag, dass der Bund dabei namentlich die Interessen der Städte und der Agglomerationsgebiete sowie der Berggemeinden berücksichtigen solle, als Diskriminierung der anderen Gemeinden. Sein Streichungsantrag unterlag aber mit 31:8 Stimmen. Der Nationalrat beschloss in erster Lesung mit 86:63 Stimmen, lediglich die Städte und Agglomerationen aufzuführen, nicht aber die Berggebiete. Ein Streichungsantrag Schlüer (svp, ZH), der darin nur die Schaffung von neuen Subventionsansprüchen sah, wurde mit 95:51 Stimmen verworfen. In der Differenzbereinigung hielt der Ständerat an der Erwähnung auch der Berggebiete fest und konnte sich damit durchsetzen [2].
Im Rahmen der Beratung der Totalrevision der Bundesverfassung beantragte Ständerätin Spoerry (fdp, ZH) zudem, beim Finanzausgleich nicht nur die besonderen Lasten der Berggebiete sondern auch diejenigen der städtischen Agglomerationen zu berücksichtigen. Dieser Vorschlag wurde von Abgeordneten aus den Berggebieten bekämpft und unterlag mit 19:13 Stimmen. Im Nationalrat scheiterte ein entsprechender Antrag Gysin (sp, BS) ebenfalls, nachdem Bundesrat Koller zugesichert hatte, dass ein Entwurf zu einer Neuordnung des Finanzausgleichs, der unter anderem auch auf dieses Anliegen eingeht, noch vor Jahresende in die Vernehmlassung gegeben werde. Gysin vertrat seine Forderung auch mit einer Motion. Der Entscheid über diesen Vorstoss musste verschoben werden, nachdem Schlüer (svp, ZH) seine Opposition dagegen angemeldet hatte [3].
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Im Rahmen der Beratung der Totalrevision der Bundesverfassung beantragte Vallender (fdp, AR), dass kantonale Verträge mit dem Ausland nicht mehr der Genehmigungspflicht durch den Bund unterstellt sind. Dieser Vorschlag konnte sich im Nationalrat und anschliessend auch im Ständerat durchsetzen. In Zukunft müssen derartige Abkommen – welche den Interessen des Bundes sowie der anderen Kantone freilich nicht widersprechen dürfen – dem Bund nur noch zur Kenntnis gebracht werden [4].
Beide Parlamentskammern hiessen das Zusatzprotokoll vom 9. November 1995 zum Europäischen Rahmenabkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von regionalen und lokalen Gebietskörperschaften ohne Gegenstimme gut [5].
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Territorialfragen
Die im Vorjahr vom Grossen Rat von Basel-Stadt mit grosser Mehrheit zur Ablehnung empfohlene Volksinitiative für die Aufwertung zu einem Vollkanton ist von den Initianten zurückgezogen worden [6].
In der französischsprachigen Schweiz traten prominente Politiker, darunter die zwei ehemaligen Regierungsräte Pidoux (fdp, VD) und Bernard Ziegler (sp, GE), mit Vorschlägen für eine Fusion der Kantone Genf und Waadt an die Öffentlichkeit. Sie kündigten an, in beiden Kantonen zu diesem Zweck Volksinitiativen lancieren zu wollen, welche die Wahl eines paritätisch zusammengesetzten Verfassungsrats verlangen [7].
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Die Sezessionsbestrebungen der Behörden der Stadt Moutier (BE) erhielten einen herben Dämpfer. In dem von ihnen am 29. November organisierten Urnengang sprachen sich nach einer lebendigen, aber nicht gehässigen Kampagne bei einer Stimmbeteiligung von 81,3% 1891 Stimmberechtigte für und 1932 gegen einen Anschluss an den Kanton Jura aus. In der Interpretation war man sich einig, dass in Moutier nicht ein Stimmungsumschwung zugunsten eines Verbleibs bei Bern stattgefunden hatte, sondern dass sich ein Teil der Autonomisten gegen einen Alleingang des Bezirkshauptortes ausgesprochen hatte. Einige Autonomisten hatten sogar aktiv gegen den Kantonswechsel Propaganda gemacht und dabei namentlich wirtschaftliche Gründe (Steuererhöhungen, Arbeitsplatzverlust durch Schliessung des Regionalspitals) ins Feld geführt [8].
Im Berner Jura waren einige Bestrebungen festzustellen, den in der Kantonsverfassung garantierten Sonderstatus dieser Region zu konkretisieren. Die bernische Regierung erteilte dem Regionalrat den Auftrag, entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. Dabei gab sie dem Wunsch Ausdruck, dass auch die Gemeindepräsidenten in die Diskussion einbezogen werden sollen, von denen eher visionäre Ideen zu erwarten seien als von dem aus den Grossräten und den vier Regierungsstatthaltern zusammengesetzten Regionalrat. Die aus Personen verschiedener politischer Lager zusammengesetzte Gruppe „Avenir de notre région“ trat mit der Forderung an die Öffentlichkeit, ein in bestimmten Bereichen über Entscheidungskompetenzen verfügendes vom Volk gewähltes Parlament für den Berner Jura zu schaffen. Auch die regionale SVP formulierte im Sommer einen ähnlichen Vorschlag. Sie regte die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen für die Bildung einer neuen, von Vertretern aus Politik und Wirtschaft gebildeten Institution mit Entscheidungskompetenzen an [9].
Die Interjurassische Versammlung war im Sommer während einigen Monaten durch einen Boykott der Autonomisten gestört. Anlass war die Absicht der bernischen Regierung, ihr bisheriges Prinzip, die bernjurassische Delegation aus den Kantonsparlamentariern der Region zu bilden, aufzulockern und – unter Wahrung des bei den kantonalen Wahlen vom Frühjahr bestätigten Kräfteverhältnisses von drei zu eins zwischen Berntreuen und Autonomisten – rund die Hälfte der Sitze mit Nichtparlamentariern zu besetzen. Während die Berntreuen diesen Entscheid akzeptierten, lehnten die Autonomisten die Ernennung des Gemeindepräsidenten von Moutier, Maxime Zuber, anstelle eines autonomistischen Grossrats ab. Nach Zubers Verzicht beliess die Berner Regierung die autonomistische Delegation unverändert [10].
Der im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung vom Bundesrat beantragte Verzicht auf obligatorische Volksabstimmungen über Gebietsveränderungen zwischen Kantonen passierte im Ständerat diskussionslos. Im Nationalrat kam es hingegen zu einer kleinen jurapolitischen Kontroverse. Rennwald (sp, JU) hatte verlangt, dass das Erfordernis der Zustimmung durch die beteiligten Kantone und die betroffene Region gestrichen wird, und die Bundesversammlung die Prozedur für Gebietsveränderungen im Einzelfall festlegt. Sein Ansinnen wurde mit 80:55 Stimmen abgelehnt. Keinen Erfolg hatte aber auch der Bernjurassier Schmied (svp), der mit der Forderung nach einem zustimmenden absoluten Mehr der Stimmberechtigten in der betroffenen Region die Hürden für einen Kantonswechsel erhöhen wollte [11]
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Weiterführende Literatur
Dafflon, Hubert, La loi sur les agglomérations fribougeoises: une mise en oeuvre à quelles conditions?, Chavannes-près-Renens 1997.
Kägi-Diener, Regula, „Zweck und Aufgaben der Eidgenossenschaft aus bundesstaatlicher Sicht“, in Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 117/1998, II, S. 491-645.
Kux, Stefan (Hg.), Aufbruch der Kantone nach Europa, Basel 1998.
Ladner, Andreas, Gemeindereformen in den Schweizer Kantonen: konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse einer Kantonsbefragung, Bern (IOP-Uni Bern) 1998.
Schweizer, Rainer, Die Mitwirkung der Bundesländer an EU-Vorhaben in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich: ein Modell für die Mitwirkung der Kantone in der Aussenpolitik, Zürich 1998.
Sturny, Thiemo, Mitwirkungsrechte der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes, Freiburg (Diss. jur.) 1998.
Wehrli, Reto, Neue Formen föderalistischer Mitwirkung, Freiburg (Föderalismusinstitut; Diss. jur Basel) 1998.
Zoller Schepers, Regula, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein: Analyse der politischen Strukturen, Prozesse und Leistungen in grenzüberschreitenden Kooperationsorganen, s.l. (Diss. St. Gallen) 1998.
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Ganguillet, Gilbert, Le conflit jurassien. Genèse et trajectoire d'un conflit ethno-régional, Zurich (thèse) 1998.
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[1] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 1315 ff.; TA, 4.4.98. Vgl. SPJ 1997, S. 53.1
[2] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 61 ff., 68 f., 703 f. und 1107 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 907 ff. und 1887 ff. Vgl. SPJ 1997, S. 54.2
[3] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 249 ff.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1021 ff. (BV) und 2833 f. (Motion).3
[4] Amtl. Bull. NR, 1998, S. 920 ff.4
[5] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 216 f.; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 1032 f. Vgl. SPJ 1997, S. 54 f. Siehe allgemein auch F. Sager / A. Vatter, „Formen regionaler Zusammenarbeit in der Schweiz“, in NZZ, 21.12.98.5
[6] BaZ, 23.3.98. Vgl. SPJ 1997, S. 55.6
[7] LT und TG, 2.9.98; 24 Heures, 27.11.98.7
[8] Kampagne: QJ vom Oktober und November; Bund 13.11.98 (Opposition von Autonomisten). Resultat: Presse vom 30.11.98; NZZ, 1.12.98. Vgl. SPJ 1997, S. 55 f.8
[9] Regierung: Bund, 30.1.98; QJ, 28.8. und 18.9.98. Avenir: QJ, 7.2. und 4.12.98. SVP: Express, 30.6. und 1.7.98.9
[10] QJ, 19.6., 24.6., 2.7., 21.8., 27.8. und 5.9.98; Bund, 2.7.98. Vgl. SPJ 1997, S. 56.10
[11] Amtl. Bull. StR, 1998, S. 65; Amtl. Bull. NR, 1998, S. 910 ff. Mit dieser Verfassungsänderung konnte auch die 1996 gutgeheissene Standesinitiative des Kantons Jura abgeschrieben werden (Amtl. Bull. NR, 1998, S. 980; Amtl. Bull. StR, 1998, S. 521. Siehe SPJ 1996, S. 45 f. und 1997, S. 56).11
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