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Sozialpolitik
Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Der Bundesrat leitete dem Parlament seine Vorschläge für ein neues Heilmittelgesetz zu. – Der Verfassungsartikel über die Transplantationsmedizin wurde mit über 80% Ja-Stimmen angenommen. Ein dringlicher Bundesbeschluss regelt die Xenotransplantation bis zum Vorliegen eines eigentlichen Transplantationsgesetzes. – In einer Referendumsabstimmung wurde die medizinisch verordnete Heroinabgabe gutgeheissen. Erste Vorschläge für die Revision des Betäubungsmittelgesetzes gingen in die Vernehmlassung. – Der Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2006 ging nicht an Sion im Wallis, sondern an Turin in Oberitalien.
Gesundheitspolitik
Die Schweiz soll ein Gesundheitsobservatorium erhalten. Den Grundstein dazu legten Bundespräsidentin Dreifuss und die kantonalen Sanitätsdirektoren an einer Arbeitstagung im Mai. Hauptaufgabe der neuen Institution wird es sein, möglichst komplette Daten über die Gesundheit der Bevölkerung, deren Verhalten bei diesbezüglichen sowie über die Angebote der Leistungserbringer und deren Nutzung zu sammeln. Auf dieser Grundlage soll die Gesundheitspolitik von Bund und Kantonen künftig besser gesteuert werden können [1].
Nach 23 Jahren Abwesenheit fand die Schweiz wieder Eingang in den Exekutivrat der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das Mandat, welches vorläufig bis Mai 2002 dauert, übernahm der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), Thomas Zeltner [2]. Sein Wunsch, die Schweiz durch die Übernahme des Postens des Regionaldirektors für Europa noch enger in die WHO einzubinden, ging allerdings nicht in Erfüllung. Obgleich ihm auf Grund seiner gesundheitspolitischen Kompetenzen und seiner Doppelausbildung als Arzt und Jurist hohe Chancen eingeräumt wurden, ging der Posten schliesslich an eine Persönlichkeit aus dem EU-Raum [3].
Die 1997 eingesetzte Arbeitsgruppe ”Sterbehilfe” des EJPD unter alt Ständerätin Josi Meier (cvp, LU) lieferte im April ihren Bericht ab, welcher abklären sollte, inwieweit eine direkte aktive Sterbehilfe mit dem bestehenden Verbot der Fremdtötung einerseits und dem Respekt des Selbstbestimmungsrechts Todkranker andererseits vereinbar ist. Nach der Mehrheit der Kommission soll neu ein Richter die Kompetenz erhalten, in bestimmten Fällen der aktiven Sterbehilfe von einer Strafverfolgung abzusehen. Gemäss diesem nach dem Opportunitätsprinzip gestalteten Vorschlag soll das Tötungsverbot vom juristischen Standpunkt aus zwar bestehen bleiben; direkte aktive Sterbehilfe an einer unheilbar kranken, vor dem Tod stehenden Person, um sie von unerträglichen Leiden zu erlösen, müsste strafrechtlich aber nur mehr verfolgt werden, wenn selbstsüchtige Beweggründe vorliegen. Die passive Sterbehilfe (Verzicht auf lebenserhaltende Massnahmen) und die indirekte aktive Sterbehilfe (Verabreichung von Mitteln, deren Nebenwirkungen das Leben verkürzen können), die heute allgemein als zulässig erachtet werden, sollten neu gesetzlich geregelt werden [4].
Gegen den Willen des Bundesrates, der auf kantonale Prärogativen in diesem Bereich verwies und deshalb Umwandlung in ein Postulat beantragte, nahm der Nationalrat eine Motion Jaquet (sp, VD) an, welche verlangt, dass die Patientenrechte eidgenössisch vereinheitlicht werden sollen [5].
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Im Sommer stellte die SP ein neues Finanzierungsmodell für medizinische Behandlungen vor. Bei der Präsentation betonte Parteipräsidentin Koch, die SP strebe kein rein staatliches Gesundheitswesen an, sondern stehe für eine „Kombination der interessantesten Ansätze“ ein. Das neue Konzept geht allerdings über die im Krankenversicherungsgesetz (KVG) vorgesehene staatliche Planung (Möglichkeit zur Globalbudgetierung) im stationären Spital- und Pflegebereich hinaus und erfasst unter anderem Tageskliniken, Arztkonsultationen und Spitex-Leistungen. Nach dem neuen Modell würden Ärzte, Spitäler und andere Anbieter ihre Leistungen nach jenen Preisen abrechnen, welche sie mit den Krankenkassen vereinbart haben. Vom Rechnungsbetrag der KVG-pflichtigen Leistungen müsste die öffentliche Hand 22% und der Krankenversicherer 78% übernehmen, unabhängig davon, ob die Leistung ambulant, teilstationär oder stationär erbracht wird und ob der Patient sich in einem öffentlichen, einem öffentlich-subventionierten oder in einem Privatspital behandeln lässt. Gemäss SP sollte diese neue Art der Lastenverteilung mit einheitlichen Anteilen bei den Krankenkassen und der öffentlichen Hand einen Anreiz zu effektiver Kosteneinsparung bilden, da damit nicht einfach nur Aufwendungen verlagert würden [6].
Im Gegensatz zur SP, welche der Ansicht ist, die Grundversicherung sei so auszugestalten, dass niemand für seine optimale Gesundheitsversorgung zusätzliche Leistungen braucht, verlangte die FDP in einem Positionspapier, es sei in erster Linie der Grundsatz der Eigenverantwortung im Gesundheitswesen zu stärken. Der nach wie vor über Kopfprämien zu finanzierende Leistungskatalog der Grundversicherung – heute eine „Luxuslösung“, wie Nationalrätin Heberlein (ZH) meinte – habe nur das Notwendigste zu decken; alles, was zum „Wunschbedarf“ gehört (beispielsweise die Komplementärmedizin), sei zusätzlich privat zu versichern; ein gezielter Verzicht auf staatliche Eingriffe, Preiskontrollen und Tarife soll dazu beitragen, das Übermass an Leistungen (insbesondere auch im Spitex-Bereich) zu Lasten der Krankenversicherung einzudämmen. Gemäss FDP sollen die Spitalsubventionen abgeschafft und die freiwerdenden Gelder zur Prämienverbilligung oder zur direkten Beteiligung an den Behandlungskosten der Grundversicherung verwendet werden. Der Vertragszwang zwischen Versicherern und Leistungserbringern wäre aufzulösen [7].
Die Erwägung der Basler Sanitätsdirektion und der Ärzteschaft des Kantonsspitals, einem über 80jährigen Patienten ein extrem teures, aber möglicherweise lebensrettendes Medikament angesichts seines Alters allenfalls zu verweigern, sorgte für Aufruhr und entfachte vor allem in den Medien die Debatte um die Rationierung in der Medizin. Nationalrat Jost Gross (sp, TG), Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gesundheitspolitik (SGGP), schlug die Schaffung einer nationalen Ethikkommission vor, welche das Tabu-Thema umfassend ausleuchten soll. Aber auch die Ärzteschaft verlangte eine offene Auseinandersetzung mit der brisanten Frage, da die Rationierung in vielen Fällen notgedrungenerweise bereits stattfinde (beispielsweise bei überlasteten Intensivpflegestationen). Heute müsse die Entscheidung von den Ärzten am Krankenbett in Alleinverantwortung gefällt werden, was vor allem für die Spitalärzte zu einer unerträglichen menschlichen Belastung führe. Sie forderte deshalb die Erarbeitung klarer Kriterien, wann welche Behandlung sinnvoll und finanzierbar ist; diese sollen breit diskutiert und politisch abgestützt werden [8].
Im Spätherbst flackerte die Debatte erneut auf, als der Inhalt eines Grundlagenpapiers des Uni-Spitals Zürich zur Rationierung der allgemeinen Pflegeleistungen an die Öffentlichkeit drang. Erwogen wurde darin eine „Reduktion der Zuwendung aufs Nötigste“ sowie der Einsatz von Angehörigen zur Unterstützung der Pflege. Weiter wurde eine Kategorisierung der Patienten und Patientinnen ins Auge gefasst: Weniger gut gepflegt würden demnach Alkoholiker, Drogensüchtige und chronisch Kranke. Ausgenommen von der Rationierung blieben hingegen alle Privatpatienten [9].
Der Bundesrat war bereit, eine Motion Gross (sp, TG), die ihn verpflichten wollte, die Finanzierung der stationären und der ambulanten Pflege (Pflegeheime und Spitex) grundsätzlich vollkostendeckend sicherstellen, als Postulat entgegen zu nehmen. Der Vorstoss wurde aber von Bortoluzzi (svp, ZH) bekämpft und deshalb vorderhand der Diskussion entzogen [10].
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Mit finanziellem Engagement durch das BAG schuf die Schweizerische Patientenorganisation einen Röntgenpass, der dazu beitragen soll, übermässiges Röntgen zu vermeiden. Das BAG erfüllte mit seiner Unterstützung den Auftrag der Strahlenschutzverordnung, die Bevölkerung vor vermeidbarer Strahlenexposition zu schützen. Auf dem Pass können Patientinnen und Patienten Röntgenaufnahmen, die zu medizinischen und zahnmedizinischen Zwecken, bei Durchleuchtung, Computertomographie usw. gemacht werden, eintragen lassen. Unnötige Wiederholungen könne so vermieden und die Strahlenbestrahlung gering gehalten werden [11].
Eine Motion Vollmer (sp, BE), welche die nötigen gesetzlichen Grundlagen für den Schutz der Bevölkerung vor Lederwaren mit hochgefährlichen chemischen Rückständen verlangte, wurde auf Antrag des Bundesrates, welcher auf entsprechende Regelungen auf Verordnungsebene verwies, lediglich als Postulat überwiesen [12].
Ebenfalls in der Postulatsform wurde eine Motion Eymann (lp, BS) angenommen, welche den BR aufforderte, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, um den Schutz von Personen, welche Pilze für den Eigengebrauch gesammelt haben, durch staatliche Kontrolle zu gewährleisten [13].
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In der Frühjahrssession lehnte der Ständerat einstimmig eine Standesinitiative des Kantons Solothurn ab, welche verlangte, die direkte Spitalsubventionierung der Kantone sei abzuschaffen und durch eine volle Kostendeckung über die Versicherungspauschale zu ersetzen. Die kleine Kammer begründete ihre Ablehnung der Initiative, deren Stossrichtung durchaus als bedenkenswert erachtet wurde, mit der anlaufenden 2. Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (siehe unten), bei welcher die Spitalfinanzierung ohnehin zur Diskussion steht. Sie überwies aber ein Postulat ihrer Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK), welches den Bundesrat bittet, die Auswirkungen einer Aufhebung der kantonalen Spitalsubventionierung zu prüfen [14]. Der Nationalrat lehnte die Standesinitiative ebenfalls ab, nahm aber seinerseits ein analoges Postulat seiner SGK an [15].
Die Vorschläge zur Spitalfinanzierung, welche der Bundesrat anfangs März im Rahmen der zweiten Etappe der 1. Teilrevision des KVG in die Vernehmlassung gab, zeigten, dass seine Vorstellungen zumindest für den Moment nicht in Richtung Abschaffung der kantonalen Beteiligung an den Gesundheitskosten zielen, sondern vielmehr eine stärkere Einbindung der Kantone anpeilen. In konsequenter Weiterführung eines Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts von 1997 schlug er vor, dass die Kantone inskünftig auch innerkantonal mindestens die Hälfte der Hospitalisierungskosten in der Grundversicherung übernehmen müssen, selbst wenn der Patient oder die Patientin über eine Zusatzversicherung verfügt. Bisher schrieben die Kantone ihre diesbezüglich ausgerichteten Beiträge nur der allgemeinen Abteilung gut. Die neue Regelung gilt auch für die Behandlung in Privatkliniken, die auf der kantonalen Spitalliste aufgeführt sind. Damit werden die oft teuer produzierenden staatlichen Spitäler dem Konkurrenzdruck der privaten Anbieter ausgesetzt. Subventionsberechtigt sollen neu auch teilstationäre Aufenthalte (zwischen 2 und 24 Stunden) sein. Damit würden inskünftig nicht mehr die Institutionen (Spital bzw. Klinik) an sich finanziert, sondern die tatsächlich erbrachten Leistungen abgegolten, was zu mehr Kostentransparenz beitragen soll. Für die Kantone wird dies gemäss BSV zu einem Mehrbelastung zwischen jährlich 640 Mio und 1 Mia Franken führen. Den Krankenversicherern, die sich künftig an den Investitionskosten der Spitäler beteiligen müssten, stünden jährliche Mehraufwendungen zwischen 120 und 220 Mio Fr. ins Haus. Die Krankenkassenprämien in der Grundversicherung dürften sich dadurch um rund 2% erhöhen, wogegen bei den Zusatzversicherungen eine leichte Entspannung eintreten sollte [16].
Eine im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion Gysin (sp, BS), welche vom Bundesrat verlangte, die kantonalen und regionalen Spitalplanungen in einen gesamtschweizerischen Zusammenhang zu stellen und für die Spitzen- und Zentrumsmedizin einen eidgenössischen Zielkatalog zu erstellen, wurde von der kleinen Kammer, welche föderalistische Bedenken höher einstufte als mögliche Kostendämpfungsmassnahmen, lediglich als Postulat überwiesen [17].
Erstmals wurden in der Schweiz mehrere Spitäler wegen Überkapazitäten geschlossen. Den Anfang machte der Kanton Zürich, welcher Spitäler mit nur geringem Einzugsgebiet ganz abschaffte und die Akutabteilungen von sechs Regionalspitälern aufhob. Der Bundesrat hiess diese Konzentration gut, da mit der Schliessung ganzer Spitäler mehr Kosten gespart werden könnten als mit einem linearen Bettenabbau [18]. Zu Ende des Frühjahrs gab auch der Kanton Bern bekannt, mehrere Regionalspitäler schliessen zu wollen [19]. Einen ganz anderen Weg beschritt der Kanton Thurgau: ab 1.1.2000 sind die vier kantonalen Spitäler nicht mehr dem Gesundheitsdepartement unterstellt, sondern einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft; von dieser grösseren Autonomie und unternehmerischen Freiheit erhofft man sich eine kostenbewusstere Führung der Spitäler [20].
Als Richtungskampf innerhalb des Bundesrates wurde der Beschwerdeentscheid des EJPD interpretiert, der Privatspitälern in den Kantonen St. Gallen und Basel-Stadt ohne Bedarfsnachweis für Halbprivat- und Privatbetten Anrecht auf Spitallistenplätze und somit auf einen Sockelbeitrag aus der sozialen Krankenversicherung zugestand. Dieser Entscheid löste bei Fachleuten Kopfschütteln aus. Sie meinten, eine sinnvolle und kostendämpfende Spitalplanung sei unter Ausschluss der Halbprivat- und Privatabteilungen nicht machbar. Bei den Kantonen zeigte man sich insbesondere verärgert darüber, dass der gleiche Bundesrat, der jetzt mit der Rechtsprechung des EJPD die Planung der Kantone durchlöchere, im laufenden Projekt des EDI zur Revision des KVG eine umfassende Planung für alle Spitäler und Abteilungen verlange und vorsehe, dass die Kantone künftig öffentlichen und privaten Spitälern für alle Abteilungen gleiche Subventionen zu leisten haben. Informierte Quellen erklärten, es gebe im Bundesrat zwei widersprüchliche Tendenzen. Innenministerin Dreifuss verlange eine Gesamtplanung aller Spitäler, da nur so die Kosten in der sozialen Krankenversicherung kontrollierbar seien; demgegenüber wolle Bundesrätin Metzler – wie schon ihr Vorgänger Koller – mit der Beschwerdepraxis ihres Departements einen planungsfreien Privatspitalbereich schaffen [21].
Kategorisch und ohne direkten oder indirekten Gegenvorschlag lehnte der Bundesrat die Denner-Initiative „für tiefere Spitalkosten“ ab, welche die obligatorische Krankenversicherung auf Spitalaufenthalte beschränken möchte, für welche die Krankenversicherungen – unabhängig von den tatsächlichen Kosten – 250 Fr. pro Tag zu bezahlen hätten. Wer sich weiterhin für die ambulante oder teilstationäre Behandlung versichern möchte, müsste dafür eine freiwillige Zusatzversicherung abschliessen. Gemäss dem Bundesrat würde das Volksbegehren das soziale System der Krankenversicherung untergraben, ohne die Gesundheitskosten zu senken. Es fände eine Entsolidarisierung mit jenen (oft betagten) chronisch Kranken statt, die ständige ärztliche ambulante Betreuung brauchen. Zudem würden sich die Patientinnen und Patienten vermehrt im Spital behandeln lassen, was die Gesundheitskosten ungerechtfertigt anheben würde. Der Nationalrat folgte in der Wintersession mit seltener Einmütigkeit dem Bundesrat und verwarf die Initiative mit 154 zu 7 Stimmen deutlich [22].
Ebenfalls ohne Wenn und Aber beantragte der Bundesrat dem Parlament, die Volksinitiative „für eine freie Arzt- und Spitalwahl“ Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen, da damit ein wichtiges Steuerungsinstrument zur Dämpfung der Gesundheitskosten und Prämien wegfallen würde. Auch hier schloss sich der Nationalrat mit 151 zu 14 Stimmen ganz klar dem Bundesrat an. Die freie Wahl des Arztes sei zwar im Krankenversicherungsgesetz verankert und ein zutiefst liberales Anliegen, betonten vor allem freisinnige Parlamentarier. Auch die freie Spitalwahl über die Kantonsgrenzen hinweg sei wünschenswert, doch sei eine uneingeschränkte Zulassung von Leistungserbringern nicht bezahlbar, da im Gesundheitswesen der Wettbewerb nur bedingt spiele: nicht der Patient als Nachfrager, sondern der Arzt als Anbieter entscheide darüber, wie viele Leistungen erbracht werden. Der Mitbegründer der Initiative und frischgebackene Aargauer CVP-Nationalrat Zäch, Chef des Paraplegikerzentrums Nottwil (LU), wollte dem Rat zumindest einen indirekten Gegenvorschlag in Form einer gesamtschweizerischen Spitalplanung beliebt machen. Obgleich dieses Ansinnen in den Räten bereits mehrfach zur Diskussion gestanden hatte und durchaus auf Interesse gestossen war, wurde sein Antrag vom Nationalrat mit 95 gegen 72 Stimmen abgelehnt [23].
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Gemäss neuem KVG hätte die Gesamtrevision des Arzttarifs (GRAT), welche eine gesamtschweizerisch einheitliche Tarifstruktur (TarMed) bezweckt und die Kerntätigkeit der Ärzte (Diagnose, Therapieberatung etc.) gegenüber den technischen Leistungen aufwerten will, bereits 1998 in Kraft treten sollen. Von der neuen Berechnungsgrundlage versprechen sich alle Beteiligten eine bessere Kostentransparenz und eine vertiefte Kontrolle der ärztlichen Leistungen. Da eine kostenneutrale Reform angestrebt wurde, verliefen die Verhandlungen zwischen der Ärzteschaft, den Spitälern und den Krankenversicherern besonders zäh. Im Januar lag ein erstes Resultat vor, welches Bundespräsidentin Dreifuss unterbreitet wurde [24].
Nun regte sich aber zunehmender Widerstand in der Ärzteschaft, vor allem von seiten der invasis und operativ tätigen Spezialärzte verschiedener Fachgebiete, welche sich 1998 zu einer eigenen Vereinigung (Foederatio Medicorum Scrutantium, FMS) innerhalb der FMH zusammengeschlossen hatten. Die Delegierten der FMH stimmten der neuen Tarifstruktur zwar grundsätzlich zu, vertagten anfangs April jedoch den definitiven Entscheid. Hinter den Kulissen tobte der Kampf weiter. Schliesslich beschloss die FMH, die Spezialistenleistungen doch wieder um 20% höher zu bewerten, was ihr geharnischte Reaktionen seitens der Allgemeinpraktiker eintrug, die sogar von „Verrat“ sprachen. Eine Spaltung der FMH wurde nicht mehr ausgeschlossen [25].
Aber auch das EDI zeigte sich keineswegs erfreut über den ersten Vorschlag, vor allem nachdem der Preisüberwacher vorgerechnet hatte, dass die Lösung keinesfalls kostenneutral sei, sondern zu einem Schub bei den Arzthonoraren von mindestens 30% führen würde. Angesichts der hoffnungslos eingefrorenen Positionen – ein neues Konzept des BSV zur Kostenneutralität war von der FMH als „verkapptes Globalbudget“ in Bausch und Bogen verworfen worden – drohte Bundespräsidentin Dreifuss damit, den neuen Arzttarif allenfalls über den Kopf der Verhandlungspartner hinweg zu verordnen [26].
Im Februar legten die kantonalen Sanitätsdirektoren eine Neuregelung der Einkommen der Spezialärzte in öffentlichen und subventionierten Spitälern vor, welche bei den Betroffenen ebenfalls auf wenig Gegenliebe stiess. Demzufolge sollten die betreffenden Mediziner keine teuren Privatbehandlungen mehr durchführen, sondern neben einer Grundbesoldung nur mehr limitierte Zuschläge beziehen dürfen. Der Verein der leitenden Spitalärzte der Schweiz wehrte sich umgehend gegen den Vorschlag, der ohne ihre Mitarbeit entstanden sei [27].
Bei der Beratung der 1. Teilrevision des KVG (siehe auch unten, Teil I, 7c, Krankenversicherung) nahm der Nationalrat mit 151 zu 4 Stimmen einen Antrag Raggenbass (cvp, TG) an, der die Versicherer vom sogenannten Kontrahierungszwang befreien wollte. Heute sind die Krankenkassen verpflichtet, mit sämtlichen Leistungserbringern Verträge abzuschliessen. Mit der neuen Bestimmung könnten die Versicherer ihre Vereinbarungen an Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien der Leistungserbringer koppeln. Dies würde beispielsweise auch erlauben, älteren Ärzten – zum Beispiel den über 70-Jährigen – das Recht auf Krankenkassengelder abzusprechen und für Jungärzte mit wenig Erfahrung einen tieferen Tarif festzulegen. Bundespräsidentin Dreifuss zeigte sich wenig erfreut über dieses Vorpreschen der grossen Kammer. Sie meinte, man müsste zuerst prüfen, wie ein solcher Kriterienkatalog aussehen könnte, bevor man ihn grundsätzlich beschliesse [28]. Dieser Meinung war auch der Ständerat, weshalb er den Vorschlag mit 17 zu 14 Stimmen ablehnte. Genau so wenig Gnade fand vor seinen Augen ein Antrag seiner vorberatenden Kommission, welche – gerade auch im Hinblick auf die mit der Annahme der bilateralen Verträge mit der EU befürchtete „Überschwemmung“ mit ausländischen Ärzten – vorgeschlagen hatte, dem Bundesrat die Kompetenz zu erteilen, die Zulassung von Ärzten zur Grundversicherung für eine befristete Zeit einem Bedürfnisnachweis zu unterstellen. Damit könnte die Praxiseröffnung sowohl durch ausländische Ärzte als auch durch einheimische Jungärzte eingedämmt werden. Diesen Vorschlag lehnte das Plenum ebenfalls mit 21 zu 14 Stimmen ab [29].
Auf Antrag der SGK des Nationalrates, welche dem Anliegen mit 15 zu 2 Stimmen deutlich zugestimmt hatte, wurde eine parlamentarische Initiative Suter (fdp, BE), welche menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Assistenzärzte forderte, diskussionslos angenommen. Suter verlangte insbesondere, dass Assistenzärzte und -ärztinnen dem Arbeitsgesetz unterstellt werden, um so in den Genuss der gesetzlich vorgesehenen Arbeits- und Ruhezeitvorschriften zu gelangen [30]. Der im letzten Jahr voll ausgebrochene Streit zwischen der Zürcher Assistenzärztinnen und -ärzten und der kantonalen Gesundheitsdirektion fand ein Ende durch die Einführung des ersten schweizerischen Gesamtarbeitsvertrags in diesem Bereich, welcher den Jungärzten und -ärztinnen eine maximale wöchentliche Arbeitszeit von 55 Stunden zugesteht. Der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte erachtete das Übereinkommen zwar als ersten wichtigen Schritt, wich aber nicht von seiner Forderung ab, gesamtschweizerisch ihre Arbeitszeit auf maximal 50 Stunden zu reduzieren [31].
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Anfangs März leitete der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft zum neuen Heilmittelgesetz zu. Die Kontrolle von Arzneimitteln und Medizinprodukten soll künftig umfassend durch den Bund geregelt werden. Die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS), bisher für die Zulassung und Überwachung der meisten Arzneien zuständig, wird in ein bundeseigenes Heilmittelinstitut überführt. Bundespräsidentin Dreifuss betonte bei der Präsentation, der Gesetzesentwurf sei eurokompatibel ausgestaltet worden, weshalb der Standort Schweiz in diesem wirtschaftlich bedeutenden Bereich inskünftig über gleich lange Spiesse wie die ausländische Konkurrenz verfügen werde.
Ein Hauptanliegen des Bundesrates ist die Verbesserung des Wettbewerbs. So genannte Parallelimporte sollen erlaubt werden; selbst schweizerische Produkte, welche im Ausland meistens billiger verkauft werden als in der Schweiz, könnten so reimportiert und unter dem offiziellen Preis angeboten werden. Bis anhin untersagte die IKS diese Praxis, welche auch in den meisten anderen Staaten (mit Ausnahme der EU-internen Verkaufsströme) verboten ist. Der Bundesrat will Parallelimporte aber nur dann erlauben, wenn das Medikament sowohl in der Schweiz als auch im betreffenden Ausland zugelassen ist. Darin unterscheidet sich sein Gesetzesvorschlag von der Denner-Initiative (siehe unten), welche verlangt, dass alle Produkte, welche in einem Nachbarland anerkannt sind, automatisch auch in der Schweiz verkauft werden dürfen.
Keine grossen Änderungen sieht der Entwurf beim Versandhandel vor. Grundsätzlich soll er nach wie vor verboten bleiben, insbesondere um den unkontrollierten Vertrieb von Medikamenten per Internet zu verhindern. Der Bundesrat ist aber bereit, Ausnahmen zu bewilligen, wenn strenge Sicherheitsvorschriften eingehalten werden und die ärztliche Überwachung gewährleistet ist. Der Medikamentenversand durch Krankenkassen dürfte deshalb auch in Zukunft gestattet sein.
Der Gesetzesvorschlag enthält Bestimmungen, welche die missbräuchliche Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln generell einschränken soll. Darunter fallen auch Medikamente, die als Doping eingesetzt werden können. Spezifische Normen zur Dopingbekämpfung im Sport werden allerdings nicht in diesem Gesetz, sondern im Bundesgesetz über die Förderung von Turnen und Sport verankert (siehe unten, Sport) [32].
Im Gegenzug beantragte der Bundesrat dem Parlament, die vom Detailhandelgrossisten Denner lancierte Volksinitiative „für tiefere Arzneimittelpreise“ Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen, da sie zu radikal sei und zu einer Gefährdung der Volksgesundheit führen könnte. Die vorberatende Kommission des Nationalrates befand aber, ohne eine wirklich griffige Alternative könnte die Initiative durchaus Chancen in einer Volksabstimmung haben. Deshalb beschloss sie äusserst knapp (mit 9 zu 8 Stimmen bei einer Enthaltung) einen direkten Gegenvorschlag, der die Frage der Parallelimporte im Sinn des Bundesrates, aber auf Verfassungsstufe regelt. Damit soll der Druck aufrecht erhalten bleiben, bis das Heilmittelgesetz vom Parlament verabschiedet ist [33].
Einen vorläufigen Rückschlag mussten die Verfechter von Parallelimporten kurz vor Jahresende vom Bundesgericht hinnehmen. Dieses entschied, der 15 Jahre dauernde Patentschutz erlaube es, für diese Produkte Parallelimporte zu verbieten. Die Lausanner Richter liessen aber ein Fenster offen. Sie hielten nämlich fest, sie hätten nur eine Gesetzeslücke im bestehenden Patentrecht geschlossen. Wenn das Parlament die Sache anders regeln wolle, so sei ihm dies unbenommen. Preisüberwacher und Nationalrat Marty (sp, GL) sowie die beiden Abgeordneten David (cvp, SG) und Strahm (sp, BE) erklärten deshalb, sie würden zum neuen Heilmittelgesetz einen Anhang beantragen, welcher das Patentgesetz in den entsprechenden Dispositionen ändert, bzw. andere Möglichkeiten finden, um die Parallelimporte dennoch zu ermöglichen [34].
Mit der ersten Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) soll den kostengünstigeren Generika zum Durchbruch verholfen werden. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, den Apothekern die Möglichkeit zu geben, ein Originalprodukt durch ein billigeres, aber gleichwertiges Produkt zu ersetzen, wenn der Arzt nicht ausdrücklich mit seinem Rezept die Abgabe des Originals verlangt. Weil dieser Vorschlag ihrer Ansicht nach nur bedingt zum Umsteigen auf Generika führen würde, beschloss die vorberatende Kommission des Ständerates, analog zum Arzttarif eine Leistungsentschädigung für die Apotheker einzuführen, denn nur wenn ihr Einkommen nicht mehr von der Höhe der Medikamentenpreise abhänge, hätten die Apotheker ein Interesse am Generikaverkauf. Zudem sollen sie den Arzt erst nach der Abgabe des Medikaments über die Substitution informieren müssen [35].
Die Volksinitiative der Apotheker „für eine sichere und gesundheitsfördernde Arzneimittelversorgung“, welche im Vorjahr in Rekordgeschwindigkeit zustande gekommen war, wurde im April mit 265 804 gültigen Unterschriften eingereicht. Das Volksbegehren, welches verlangt, dass Medikamente nur unter Mitwirkung von Gesundheitsfachleuten abgegeben werden dürfen, richtet sich vordergründig gegen die neuen Vertriebsformen in Warenhäusern sowie im Versand- und Internethandel. Dahinter stehen aber die Ängste eines ganzen Berufsstandes, der durch die Liberalisierung der Medikamentenabgabe um seine Pfründen bangt. Den Apothekern ist vor allem die Selbstdispensation der Ärzteschaft ein Dorn im Auge, welche mit dem lukrativen Medikamentenverkauf – für den sie nicht selten von den Pharmafirmen bis zu 50% Rabatt erhalten – ihre Umsätze in den letzten Jahren stark steigern konnten [36].
Die Eidg. Arzneimittelkommission empfahl, das Potenzmittel Viagra und die Antifett-Pille Xenical für kassenpflichtig zu erklären. Dagegen protestierten umgehend mehrere Patienten-, Konsumenten- und Arbeitnehmerorganisationen, die im Einklang mit dem Konkordat der Krankenkassen diese beiden Medikamente als unnötige Lifestylemittel einstuften. Diese Meinung vertrat auch das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) zumindest teilweise und folgte damit erstmals nicht den Empfehlungen der Arzneimittelkommission: Viagra wurde wegen der enormen Missbrauchsgefahr nicht in die Liste der kassenpflichtigen Medikamente aufgenommen, Xenical nur für extrem Übergewichtige [37].
Arzneimittelverpackungen müssen ab dem 1.1.2000 auf gentechnisch veränderte Organismen (GVO) hinweisen. Diese neue Richtlinie wurde von der IKS verabschiedet. Gemäss dieser Kontrollstelle ist momentan kein Medikament mit GVO auf dem Markt, weshalb die Massnahme rein vorsorglich ist. Hingegen gibt es bereits rund 40 gentechnisch produzierte Medikamente, darunter Insulin und Interferon [38].
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Am 7. Februar fand die eidgenössische Abstimmung über den Verfassungsartikel zur Transplantationsmedizin statt, welcher erste nationale Leitplanken für dieses ethisch sensible Spezialgebiet der Medizinaltechnik setzt. Die mit fast 88% Ja-Stimmen überdeutlich angenommene neue Verfassungsbestimmung gibt dem Bund die gesetzgeberische Kompetenz, den Umgang mit Organen, Geweben und Zellen gegenüber den kantonalen Lösungen einheitlich zu reglementieren und dabei den Schutz der Menschenwürde sowie der Persönlichkeit und der Gesundheit zu gewährleisten; zudem erhält er die Aufgabe, Kriterien für eine gerechte Zuteilung der zur Verfügung stehenden Organe festzulegen. Als wichtige Schranke gegen einen allfälligen Missbrauch gilt die Unentgeltlichkeit der Spende sowie das Verbot des Handels mit menschlichen Bestandteilen. Konkrete Abgrenzungsfragen (Zustimmung des Spenders, Definition des Todeszeitpunkts und Xenotransplantation) sollen im Rahmen eines spezifischen Transplantationsgesetzes angegangen werden, für welches Bundespräsidentin Dreifuss eine Botschaft im Jahr 2000 in Aussicht stellte.
Die parlamentarische Debatte zu diesem Verfassungsartikel hatte bereits gezeigt, dass dieser nur vereinzelt bei den Grünen und den ihnen nahestehenden Kreisen auf Ablehnung stossen würde. Besonders die beiden Nationalrätinnen Gonseth (gp, BL) und von Felten (sp, BS) sowie gentechnologiekritische und tierschützerische Gruppierungen bekämpften präventiv die neuen Kompetenzen des Bundes im Bereich der Xenotransplantation, welche sie generell nicht zulassen oder zumindest einem längeren Moratorium unterstellen möchten. Die GP zeigte sich in der Frage übrigens gespalten: Während die Deutschschweizer Sektionen die Nein-Parole ausgaben, votierten die Sektionen in der Waadt und im Kanton Genf für ein Ja [39].
Die Zustimmung erfolgte am deutlichsten in Genf und den übrigen lateinischen Kantonen mit Ja-Stimmenanteilen nahe bei oder über 90%. Die geringste Unterstützung fand der Verfassungsartikel in Uri und den beiden Appenzell, wo er aber immer noch über 80% der Stimmen auf sich vereinigen konnte [40].
Verfassungsartikel über die Transplantationsmedizin (Art. 24decies)
Abstimmung vom 7. Februar 1999

Beteiligung: 38,0%
Ja: 1 501 925 (87,8%) / 20 6/2 Stände
Nein: 209 263 (12,2%) / 0 Stände

Parolen:
Ja: CVP, FDP, SP, SVP (1*), LPS, LdU, EVP, FP, SD (1*), PdA; Evang. Kirchenbund; Swisstransplant.
Nein: Grüne (4*); Schweiz. Arbeitsgruppe Gentechnologie
Stimmfreigabe: SGV

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Angesichts der hohen Zustimmung war es für die Autoren der Vox-Analyse zu diesem Urnengang schwierig, ein Profil jener zu erstellen, welche Nein gestimmt hatten. Tendenziell liess sich aber feststellen, dass es vor allem Personen waren, die neben der obligatorischen Schule keinen weiteren Abschluss gemacht haben. Jüngere und lateinischsprachige Stimmbürgerinnen stimmten der Vorlage deutlicher zu als ältere Personen und solche aus der Deutschschweiz [41] .
Um die besonders heikle Frage der Xenotransplantation (Übertragung tierischer Organe, Gewebe und Zellen auf den Menschen) vorläufig zu regeln, hatte der Bundesrat bereits im Vorjahr dem Parlament im Rahmen des Bundesbeschlusses über die Kontrolle von Blut, Blutprodukten und Transplantaten ein bis zum Vorliegen des eigentlichen Transplantationsgesetzes befristetes Verbot mit eng begrenzten Ausnahmemöglichkeiten beantragt. Nach dem bundesrätlichen Konzept sollten gezielte klinische Versuche bei konkreten Heilungschancen zulässig sein, nicht aber grössere wissenschaftliche Experimente. Eine weiter gehende medizinische Behandlung mittels Transplantaten von tierischen Zellen und Geweben (nicht aber von ganzen Organen) sollte nur erlaubt sein, wenn ein Infektionsrisiko für die Bevölkerung ausgeschlossen und der therapeutische Nutzen nachgewiesen werden kann. In beiden Fällen bedürfte der Eingriff einer Bewilligung des BAG [42].
Als Sprecherin der Kommissionsmehrheit begründete Dormann (cvp, LU) im Nationalrat das vorsichtige Vorgehen des Bundesrates mit dem Risiko, dass bei einer Xenotransplantation bisher unbekannte, dem Aids- und dem Ebola-Virus sowie der Creutzfeld-Jakob-Krankheit verwandte Erreger auf den Menschen überspringen und sich dann unkontrolliert verbreiten könnten. Zudem verwies sie auf den ethischen Einwand, wonach der Mensch die anderen Lebewesen nicht einfach zu Ersatzteillagern degradieren dürfe. Minderheitsvertreter Deiss (cvp, FR) meinte demgegenüber, ein Verbot mit Ausnahmen setze falsche Signale, es werde damit ein eigentliches Moratorium eingeführt, und dieses gefährde den Forschungsplatz Schweiz. Er beantragte, das relativierte Verbot durch eine Bewilligungspflicht zu ersetzen und fand dabei die Unterstützung von Egerszegi (fdp, AG), Hochreutener (cvp, BE) und Bortoluzzi (svp, ZH) als Sprecher ihrer Fraktionen.
Die Grüne Gonseth (BL) warf der Minderheit vor, mit ihrem Antrag gebe sie lediglich dem Druck der Pharmalobby nach. Noch härter ging Bundespräsidentin Dreifuss mit ihrem künftigen Amtskollegen Deiss ins Gericht. Sie befand, er habe am Rande der Fairness argumentiert, da der Bundesrat kein eigentliches Moratorium vorgeschlagen habe. Sein Antrag sei wohl entstanden, weil der Pharmaindustrie das Wort ”Verbot” im bundesrätlichen Konzept nicht gefalle; es sei eines Parlaments aber ”unwürdig”, sich durch die ”Arroganz eine Branche” die Wortwahl diktieren zu lassen. Die Transplantation von Tierorganen werde in der vorgesehen Übergangsfrist medizintechnisch gar nicht möglich sein; sie zu propagieren wecke falsche Hoffnungen bei schwer kranken Personen.
Ihr Appell zeigte Wirkung. Neben den geschlossenen Fraktionen von SP, GP, LdU/EVP und SD stimmten auch 10 CVP-, 5 FDP- und 2 SVP-Abgeordnete gegen die Parole ihrer Fraktionen. Dem Bundesrat wurde mit 88 zu 75 Stimmen Folge geleistet. Kaum Unterstützung fanden hingegen weitergehende Anträge aus der SP: Für einen Antrag Goll (ZH), klinische Versuche mit Tierorganen vorläufig ausnahmslos zu verbieten, sprachen sich nur gerade 49 von 157 anwesenden Abgeordneten aus. Ein Antrag von Felten (BS), die Xenotransplantation generell zu verbieten, scheiterte mit 118 zu 38 Stimmen [43].
Im Ständerat setzten sich die bürgerlichen Vertreter gegen Bundes- und Nationalrat durch. Die Mehrheit des Rates sah den (durchaus nicht geleugneten) Risiken mit einer streng kontrollierten Bewilligungspflicht genügend Rechnung getragen und brachte vor, die Forschung würde durch ein Verbot zu sehr behindert und abgeschreckt. Es sei besser, die Forschungsaktivität unter selber definierten Bedingungen steuern zu können und im eigenen Lande zu behalten, als mit rigorosen Vorschriften eine Auslagerung zu provozieren, sagte etwa Schiesser (fdp, GL). Für Simmen (cvp, SO) machte es zudem keinen Sinn, zwischen Organen einerseits und Zellen und Geweben andererseits Hierarchien zu schaffen, da in allen Fällen ein Abstossungs- und Infektionsrikio bestehe.
Den freisinnigen Argumenten widersprach Bundespräsidentin Dreifuss: Die Schweiz sei das erste Land, welches eine Gesetzgebung für die Xenotransplantation einführe, weshalb sie Signalfunktion habe und ihre Verantwortung wahrnehmen müsse. Der Bundesrat bewege sich mit seiner Variante auf der gleichen Linie wie die WHO und die OECD. Zudem werde die Forschung keineswegs verhindert, da der bundes- und nationalrätliche Vorschlag klinische Versuche selbst mit Organen ja zulasse. Eine grundsätzliche Bewilligung sei aber angesichts der Gefahr der Übertragung von Krankheitserregern im jetzigen Zeitpunkt nicht zu verantworten. Diese Erklärung fand aber genau so wenig Gehör wie jene des Basler SP-Standesvertreters Plattner, der argumentierte, die Xenotransplantation sei noch weit davon entfernt, zum Routineeingriff zu werden. Zurzeit bestehe ein faktisches Moratorium, welches aus der Vernunft der Forscher und der Bevölkerung geboren sei. Deshalb verstehe er nicht, warum ein massvolles Verbot nicht vorläufig in den Beschluss aufgenommen werden könne. Zudem würde eine bedingte Zulassung den Empfehlungen des Europarates widersprechen.
Der Rat beschloss mit 26 zu 7 Stimmen die von der Pharmaindustrie klar favorisierte „Ja, aber“-Version und sprach sich mit 27 zu 8 Stimmen auch für die Organübertragung als allgemeine therapeutische Massnahme aus. Nach dem Willen der kleinen Kammer sollen alle Arten von Xenotransplantation grundsätzlich erlaubt sein, jedoch einer strengen Bewilligungspflicht unterstellt werden. Die Transplantation von tierischen Zellen, Geweben und ganzen Organen soll sowohl in klinischen Versuchen als auch als Standardbehandlung zugelassen werden. Für den klinischen Versuch besteht die Auflage, dass ein Infektionsrisiko für die Bevölkerung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eintreten kann. Für die Standardbehandlung muss dieses Risiko nach Stand von Wissenschaft und Technik ganz ausgeschlossen sein. Zudem muss ein therapeutischer Nutzen erwartet (klinische Versuche) oder nachgewiesen sein (Standardbehandlung) [44].
Nach dem deutlichen Votum in der kleinen Kammer zeichnete sich im Nationalrat ein Stimmungswandel ab. Vergeblich wehrten sich die Zürcher SP-Nationalrätin Goll und die grüne Baselbieter Ärztin Gonseth für einen Vermittlungsvorschlag ihrer Luzerner CVP-Kollegin Dormann. Diese wollte am Verbotskonzept des Bundesrates festhalten, für Ausnahmebewilligungen aber die Kriterien des Ständerates übernehmen – allerdings mit der gewichtigen Einschränkung, dass routinemässig bloss tierische Zellen und Gewebe auf den Menschen übertragen werden dürfen; die Verpflanzung ganzer Tierorgane sollte im Rahmen von Standardbehandlungen nach wie vor ausnahmslos untersagt bleiben. Für diesen Kompromiss setzte sich auch Bundespräsidentin Dreifuss ein, vermochte aber gegen das Hauptargument der Bürgerlichen, ein Verbot würde den Forschungsstandort Schweiz in unzulässiger Weise beeinträchtigen, nichts mehr auszurichten. Neben der nach wie vor geschlossenen Opposition der Fraktionen der SP und der Grünen fand der Kompromissvorschlag nur noch die Unterstützung von 5 CVP-Vertretern, 5 LdU/EVP-Nationalräten und 2 Schweizer Demokraten. Mit 77 zu 72 Stimmen lehnte die grosse Kammer den Vermittlungsvorschlag Dormann ab und folgte damit auf der ganzen Linie den Beschlüssen des Ständerates [45].
Noch vor dem Abschluss dieser Beratungen gab der Bundesrat seinen Entwurf für ein eigentliches Transplantationsgesetz in die Vernehmlassung. Es betrifft Bereiche, die bisher von Kanton zu Kanton verschieden oder gar nicht geregelt waren. Bei der Xenotransplantation, der Erfordernis der Zustimmung einer Bundesstelle für die Transplantation embryonaler oder fötaler menschlicher Gewebe oder Zellen sowie die im Detail geregelte Frage der „gerechten“ Zuteilung der Organe betritt die Vorlage im internationalen Vergleich Neuland.
Für die Organspende von Verstorbenen stellte der Bundesrat drei Modelle der Zustimmung bzw. Verweigerung zur Diskussion: die enge oder erweiterte Zustimmungslösung, die enge oder erweiterte Widerspruchslösung sowie die Informationslösung. Beim ersten Modell dürfen einer verstorbenen Person Organe, Gewebe oder Zellen entnommen werden, wenn diese zu Lebzeiten eine entsprechende Erklärung abgegeben hat (enge Zustimmungslösung). Eine Organentnahme ist zudem zulässig, wenn die Angehörigen ihr zustimmen (erweiterte Zustimmungslösung). Sind keine Angehörigen vorhanden oder erreichbar, ist die Entnahme untersagt. Beim zweiten, bereits in der Mehrheit der Kantone geltenden Modell dürfen einem Verstorbenen Organe entnommen werden, wenn er einer Entnahme zu Lebzeiten nicht widersprochen hat (enge Widerspruchslösung) und wenn sie auch die Angehörigen nicht ablehnen (erweiterte Widerspruchslösung). Das Fehlen einer Erklärung zur Spende wird in diesem Modell als Zustimmung gewertet. Bei der Informationslösung würden, falls weder eine Zustimmung noch ein Widerspruch der verstorbenen Person vorliegt, die Angehörigen über die Möglichkeiten einer Organentnahme informiert; falls sie sich nicht innerhalb einer gewissen Frist dagegen verwahren, darf diese vorgenommen werden.
Zur Bestimmung des Todeszeitpunktes stellt der Entwurf auf das Kriterium des Hirntodes ab. Bei den Lebendspenden verlangt er keine besondere (familiäre) Beziehung zwischen spendender und empfangender Person, doch muss die Bewilligung durch ein unabhängiges Gremium erfolgen, um Missbräuche (beispielsweise finanzielle Anreize) zu verhindern. Bei urteilsunfähigen Personen soll eine Lebendspende grundsätzlich verboten sein. Bewilligungspflichtig ist zudem die Xenotransplantation gemäss den vom Parlament bereits beschlossenen Bedingungen (siehe oben).
Aufgrund des Organmangels kommt der Zuteilung der Transplantate besondere Bedeutung zu. Der Gesetzesentwurf versucht, diese Frage nach ethischen Prinzipien zu regeln. Nicht Herkunft, Geschlecht oder wirtschaftliche Verhältnisse dürfen massgebend sein, sondern allein die medizinische Dringlichkeit, die Gewebeverträglichkeit, die medizinische Prognose und die Wartezeit. Die Zuteilung soll nicht mehr durch die einzelnen Transplantationszentren, sondern immer zentral und patientenspezifisch durch die nationale Zuteilungsstelle erfolgen. Eine vom Bund einzusetzende Transplantationskommission soll die Einhaltung der Vorschriften über die Aufnahme in die Wartelisten und die Zuteilung von Organen kontrollieren.
Schliesslich sieht der Gesetzesentwurf eine bundesrätliche Bewilligung für den Betrieb von Transplantationszentren vor. In der Schweiz werden heute in Basel, Bern, Genf, Lausanne, St. Gallen und Zürich Organverpflanzungen durchgeführt. Gemäss dem erläuternden Bericht des Bundesrates wäre aus Kosten- und Qualitätsgründen eine Beschränkung auf ein bis drei Zentren von Vorteil. Auch die Konzentration von Herz-, Lungen- und Lebertransplantationen auf je einen Standort wäre denkbar [46].
Der Bundesrat war bereit, ein Postulat Ostermann (gp, VD) entgegenzunehmen, welches ihn zu prüfen bat, ob im Sinn der Förderung von Organspenden auf amtlichen Dokumenten wie Führerausweis, Pass oder Identitätskarte der Vermerk „Organspender“ angebracht werden könnte. Obgleich der Vorstoss von mehreren SP-Abgeordneten mitunterzeichnet worden war, wurde er vom Luzerner SP-Vertreter Widmer bekämpft und somit vorderhand der Diskussion entzogen [47].
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Mit Einverständnis des Bundesrates überwies der Ständerat in der Frühjahrssession eine Motion Plattner (sp, BS), welche die Landesregierung beauftragt, bis Ende 2001 ein eigentliches Bundesgesetz über die medizinische Forschung am Menschen in die Vernehmlassung zu geben. In diesem Gesetz sollen die ethischen und rechtlichen Grundsätze und Schranken festgeschrieben werden, die in diesem Gebiet befolgt werden müssen, damit einerseits der Schutz der Menschenrechte in möglichst hohem Masse gewährleistet ist und andererseits eine sinnvolle medizinische Forschung am Menschen nicht verhindert wird [48].
Der Bundesrat nahm Ende Jahr Kenntnis von den Ergebnissen der Vernehmlassung zu einem Genomanalysengesetz. Allgemein bestand Einigkeit, dass es Arbeitgebern und Versicherern nicht gestattet sein soll, präsymptomatische Genanalysen zu verlangen, welche darüber Auskunft geben, ob eine Person in ihrem Leben allenfalls einmal an einer bestimmten Krankheit leiden wird. Kontrovers beurteilt wurde die Frage, ob Versicherer Anrecht auf Auskunft über bereits vorgenommene Genanalysen haben und ob Arbeitgeber diese zur Abklärung allfälliger Berufskrankheiten verlangen dürfen [49].
Im Vorjahr war eine Motion von Felten (sp, BS), welche Gentests vor Abschluss eines Versicherungsvertrags praktisch ausschliessen wollte, von Hochreutener (cvp, BE) bekämpft worden. Nachdem dieser seinen Widerstand aufgegeben hatte, wurde der Vorstoss im Einvernehmen mit der Motionärin als Postulat überwiesen [50].
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Suchtmittel
Alle vier Jahr wird in einem internationalen Vergleich das Gesundheitsverhalten von Schulkindern erhoben. In diesem Rahmen wurden 1998 in der Schweiz 8700 11-15-Jährige befragt. 17% der 14-Jährigen und 27% der 15-Jährigen gaben an, bereits mindestens einmal Haschisch konsumiert zu haben. Von den 13-Jährigen rauchen heute 7%, bei den 15-Jährigen 25%, wovon 90% täglich. Gegenüber 1986 (dem Beginn der Erhebung) erhöhte sich der Prozentsatz der Jugendlichen, die wöchentlich Alkohol trinken von 8,5 auf 17,4%. Gemäss der Fachstelle für Alkohol und andere Drogenprobleme (SFA) sind vor allem Veränderungen im Konsumverhalten bedenklich: dort, wo es früher um Gelegenheitskonsum ging, könne heute von einem regelmässigen Griff zur Zigarette, zum Glas oder zum Joint gesprochen werden [51].
Der vom Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) in seiner Subventionspraxis übernommene Entscheid des eidgenössischen Versicherungsgerichts, wonach die IV nur dort für Suchttherapien belangt werden kann, wo tatsächlich eine Invalidität erzeugende Krankheit besteht, brachte viele private und halbprivate Therapiestationen in finanzielle Nöte, weshalb sie beim BSV vorstellig wurden, um weitere Überbrückungsgelder zu verlangen. Die im Drogenbereich angesiedelten Institutionen verlangten insbesondere die Verwendung beschlagnahmter Drogengelder für die Sicherstellung ihrer Tätigkeit [52]. Diese Problematik fand auch im Nationalrat ihren Niederschlag. Während die vorberatende Kommission eine Petition des „Vereins für umfassende Suchttherapie“ gegen die Leistungskürzungen im Bereich der Suchttherapie lediglich dem Bundesrat zur Kenntnisnahme übermitteln wollte, erreichte Borel (sp, NE), dass dies in Form einer Motion geschah [53]. In einer als Postulat überwiesenen Motion verlangte Nationalrat Heim (cvp, SO), beschlagnahmte Vermögenswerte aus dem Drogenhandel sollten vom Bund, wie bereits von einigen Kantonen zur Drogenprävention und –rehabilitation verwendet werden [54]. In der Wintersession hiess der Rat eine entsprechende parlamentarische Initiative Gross (sp, TG) einstimmig gut [55].
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Im März lancierte das BAG zusammen mit weiteren interessierten Kreisen unter dem Titel „Alles im Griff?“ eine Kampagne gegen den übermässigen Alkoholkonsum. Mit 3,9 Mio Fr. für 1999 ist es die bisher grösste Werbeaktion des Bundes für einen verantwortungsvollen Umgang mit der legalen Droge Alkohol [56].
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Das Referendum der EDU gegen den im Vorjahr gefällten „Heroinbeschluss“ des Parlaments (befristeter dringlicher Bundesbeschluss zur Verabreichung von Heroin an Schwerstsüchtige bis zum Vorliegen des revidierten Betäubungsmittelgesetzes) kam mit 55 440 gültigen Unterschriften zustande  [57].
Rund einen Monat vor der Abstimmung erhielt die ärztlich überwachte Heroin-Verschreibung Sukkurs durch einen Bericht der WHO, welche international anerkannte Experten beauftragt hatte, die schweizerische Praxis kritisch zu durchleuchten und zu würdigen. Das Expertenteam zog eine durchwegs positive Bilanz der zwischen 1994 und 1996 durchgeführten Versuche. Es habe sich gezeigt, dass die Verschreibung von Heroin in einem streng kontrollierten Rahmen machbar sei und in einer für das Gemeinwesen akzeptierbaren Weise durchgeführt werden könne. Als Erfolg wurde ferner bewertet, dass sich der Gesundheitszustand und die soziale Situation der Betroffenen klar verbessert habe, und dass sowohl die Beschaffungskriminalität als auch der Konsum von illegalem Heroin deutlich zurück gegangen seien. Als Schwachstelle des schweizerischen Forschungsprojekts wurde das Fehlen einer über einen längeren Zeitrahmen erfassten Kontrollgruppe (beispielsweise von Methadon-Patienten) geortet, weshalb weitere wissenschaftliche Erhebungen notwendig seien, um ein definitives Urteil fällen zu können [58].
Die Abstimmungskampagne verlief sehr ruhig, was auch damit zu tun hatte, dass dieses Referendum im Schatten von brisanten Vorlagen stand, welche am 13. Juni ebenfalls zur Abstimmung gelangten (Mutterschaftsversicherung, Revision und dringliche Bundesbeschlüsse der Asylgesetzgebung, 1. Teil der IV-Revision mit der geplanten Abschaffung der Viertelsrente). Zudem wurde allgemein angenommen, dass angesichts der Geschlossenheit der drei grossen Bundesratsparteien CVP, FDP und SP die Argumente jener Splittergruppe, welche das Referendum lanciert hatte (EDU) und jener rechtsbürgerlicher Kreise, welche es unterstützten (SVP, LP, SD und FP) kaum Gehör finden würden. Im Verlauf der Wochen warnten Beobachter aber zunehmend davor, den Angriff der Rechtskonservativen zu unterschätzen; im Verborgenen seien hier die gleichen Kräfte am Werk, die im März gewissermassen in letzter Minute die scheinbar „sichere“ Totalrevision der Bundesverfassung fast noch zu Fall gebracht hätten [59].
Die Ergebnisse dieser Volksabstimmung lagen mit 54,4 Prozent Ja tatsächlich weit unter jenen zur Volksinitiative „Jugend ohne Drogen“, welche ein analoges Ziel verfolgt hatte und 1997 mit über 70% Nein-Stimmen an der Urne gescheitert war. Während damals aber kein einziger Kanton das restriktive Volksbegehren angenommen hatte, sprachen sich nun immerhin 10 Kantone gegen die Weiterführung der Heroinabgabe aus. Der Bundesrat erklärte dies damit, dass es hier nicht um die 4-Säulen-Politik als Ganzes gegangen sei, sondern um einen Teilaspekt – und zwar um den umstrittensten der gesamten Drogenpolitik. Die in der Drogenpolitik traditionell restriktive Westschweiz wurde ihrem Ruf gerecht: mit Ausnahme von Genf stimmte sie geschlossen gegen die Heroinabgabe. Am stärksten war der Widerstand im Wallis (64,6% Nein), dahinter folgten Neuenburg (58%) und die Waadt (57,2%). In der Deutschschweiz lagen die fünf Kantone mit Nein-Mehrheiten in der Inner- und Ostschweiz (SZ, GL, AR, AI, TG), angeführt von Appenzell Innerrhoden mit 54,5% Nein. An der Spitze der Befürworter lagen Basel-Stadt (69,2% Ja), Baselland (64,9%), Zug und Zürich (62,7 resp. 62,5%) sowie Genf (58,9%). Basel, Zürich und Genf kennen die Heroinabgabe aus eigener Erfahrung. Im Kanton Bern, wo in den Städten Bern und Thun ebenfalls Heroinprogramme laufen, lag die Zustimmung mit 53,3% unter dem Schweizer Durchschnitt. Als Erklärung für diesen Umstand wurde angeführt, dass der Kanton Bern mehrheitlich ländlich sowie eigentliches Stammland der EDU ist und in weiten Teilen in Hand der SVP liegt, die ebenfalls gegen die Heroinabgabe angetreten war; in den städtischen Gebieten war die Annahme überdurchschnittlich [60].
Dringlicher Bundesbeschluss über die ärztliche Verschreibung von Heroin
Abstimmung vom 13. Juni 1999

Beteiligung: 45,74%
Ja: 1 128 393 (54,4%)
Nein: 944 919 (45,6%)

Parolen:
Ja: CVP (*1), FDP (*3), SP (*1), Grüne, EVP, (2*), LdU, PdA; SGB, CNG, Jugendverbände, Städteverband.
Nein: SVP (3*), LPS (*1), FP, EDU.
Stimmfreigabe: SGV

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Vox-Analyse dieser Abstimmung bestätigte einen gewissen Antagonismus zwischen der deutschen und der welschen Schweiz in Drogenfragen (59% Befürworter in der Deutschschweiz gegen 51% in der Romandie). Die Schulbildung schien ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle zu spielen, indem Hochschulabsolventen mit 73% Ja-Stimmen überdeutlich zustimmten, während Personen mit reiner Volksschulausbildung zu 61% ein Nein in die Urne legten. Im Gegensatz zu den beiden Initiativen 1997 und 1998 spielten Alter und Kirchenbindung keine Rolle. Abstimmungsentscheidend war einmal mehr die politische Positionierung: die Anhänger und Anhängerinnen der Linken (SP und Grüne) nahmen die Vorlage fast einstimmig an, während sich die Sympathisanten und Sympathisantinnen der SVP nur zu 30% dafür aussprachen [61].
Das Bundesgerichtes befasste sich in zwei Leitentscheiden mit der Modedroge Ecstasy. Gleich wie 1991 bei Cannabis entschied es, für die Bestrafung des Handels mit Ecstasy könne keine mengenmässige Definition vorgenommen werden. Ecstasy sei zwar ”keinesfalls eine harmlose Substanz”, doch sei es nicht geeignet, die körperliche oder seelische Gesundheit vieler Menschen in eine naheliegende und ernsthafte Gefahr zu bringen. Das Gefahrenpotential von Ecstasy liege unter jenem der ”harten” Drogen wie Heroin und Kokain, allerdings aber auch über jenem von Cannabis. Der banden- oder gewerbsmässige Handel mit Ecstasy könne allerdings durchaus als schweres Vergehen betrachtet werden [62].
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Eine der zentralen Fragen der anstehenden Gesetzesrevision, nämlich der Umgang mit Cannabis (Konsum und Produktion) wurde in der Frühjahrssession des Nationalrates von ganz unterschiedlicher Warte aus in die Diskussion gebracht. Mit einer Motion wollte die grüne Fraktion erreichen, dass die gesetzlichen Grundlagen geschaffen bzw. geändert werden, damit Cannabisprodukte aus der Liste der verbotenen Betäubungsmittel gestrichen werden können. Sie verwies dabei auf verschiedene Standesinitiativen, welche dieses Ansinnen ebenfalls gestellt hatten, angefangen bei jener des Kantons Bern (1988). Fraktionssprecher Baumann (BE) bezeichnete das Konsumverbot als „unbeschreibliche Heuchelei“, da volksgesundheitlich bedeutend schädlichere Genuss- resp. Suchtmittel wie Tabak und Alkohol frei zugänglich seien und zudem ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung (rund 500 000 Personen) zugegebenermassen Haschisch konsumiere, wenn meistens auch nur gelegentlich. Unter Hinweis auf internationale UNO-Übereinkommen und die anstehende Revision des Betäubungsmittelgesetzes erklärte Bundespräsidentin Dreifuss, eine umgehende Legalisierung des Cannabis-Konsums scheine der Landesregierung nicht angezeigt, weshalb sie Ablehnung der Motion beantragte. Sie verhehlte aber auch nicht, dass die Diskussion in diesem Bereich weiter gehen werde und allenfalls später zu einem anderen Ergebnis führen könne. Der Vorstoss wurde mit 65 zu 50 Stimmen abgewiesen [63].
Ebenfalls mit einer Motion verlangte Nationalrat Bortoluzzi (svp, ZH), der Bundesrat solle den Hanfanbau in der Schweiz einer generellen Bewilligungspflicht unterstellen und nur jene Sorten zuzulassen, deren THC-Gehalt unter 0,3% liegt. Der Bundesrat war bereit, den Vorstoss als Postulat anzunehmen, doch wurde er von Ratsmitgliedern aus dem links-grünen Lager bekämpft und vorderhand der Diskussion entzogen [64].
Rückendeckung erhielt die Position der Grünen vom Bericht der eidgenössischen Kommission für Drogenfragen (EKDF) über die Legalisierung von Cannabisprodukten – jedenfalls in dessen Grundaussage, wonach im revidierten Gesetz zwischen „weichen“ und „harten“ Drogen unterschieden werden sollte. Ohne die Gefährlichkeit von Haschisch und Marihuana bagatellisieren zu wollen, kam die Kommission zum Schluss, dass Cannabisprodukte seit einigen Jahren im Gegensatz zu anderen Drogen gesellschaftlich breit akzeptiert sind. Die Verbotspolitik habe dies nicht verhindern können. Mit der Diskrepanz zwischen Gesetz und Wirklichkeit verliere die staatliche Drogenpolitik aber zunehmend ihre Glaubwürdigkeit. Die EKDF möchte deshalb den Konsum von Cannabis und die Vorbereitungshandlungen zum Konsum, etwa den Besitz oder den Anbau der Droge, für Erwachsene freigeben.
Beim Handel schlug die Kommission zwei Modelle vor. Im ersten – dem sie einstimmig den Vorzug gab – sollte der Handel zwar legal, aber nicht völlig unkontrolliert sein. Sie empfahl, den Handel an eine Lizenz zu knüpfen. Mit einer Reihe von Regulierungen könnten sodann Konsumenten- und Jugendschutz verwirklicht werden. Diese Variante wäre allerdings mit dem – von der Schweiz noch nicht ratifizierten – Drogenabkommen der UNO von 1988 nicht vereinbar. Als „zweitbeste Lösung“ stellte die EKDF ein Modell vor, das den Rahmen der zurzeit bestehenden internationalen Abkommen voll ausschöpft, um einer Freigabe möglichst nahe zu kommen. Der Handel bliebe zwar weiterhin strafbar, durch eine Einführung des Opportunitätsprinzips könnten Polizei und Gerichte aber fallweise von Verfolgung und Bestrafung absehen. Da die Schweiz aber keine einheitlichen Grundsätze der Strafverfolgung kennt, müsste der Bund diese Praxis auf dem Verordnungsweg präzisieren, um eine rechtsungleiche Situation in den Kantonen zu verhindern.
Gleichzeitig mit dem Auftrag an die EKDF hatte das BAG von vier Experten Studien zur möglichen Straffreiheit des Konsums auch von harten Drogen bestellt. Hier fielen die Meinungen und Empfehlungen nicht einheitlich aus. Generell wurde jedoch festgehalten, dass der Konsum aller heute verbotenen Drogen von Strafe befreit werden könnte, ohne dass die Schweiz eines der bisher ratifizierten internationalen Abkommen aufkünden müsste, da diese in erster Linie den Handel betreffen. Unbestritten war auch die Aussage, dass diese Liberalisierung Kosteneinsparungen in Höhe von mindestens 40 Mio Fr. jährlich brächten, da die Konsumenten nicht mehr verfolgt werden müssten. Uneins waren sich die Fachleute bei den Auswirkungen auf den Drogenhandel: Während ein Experte befürchtete, eine Liberalisierung des Konsums würde die Bildung offener Drogenszenen begünstigen und das Vorgehen gegen die Dealer erschweren, wies eine Expertin darauf hin, dass in Ländern mit straflosem Drogenkonsum (Deutschland und Italien) dieser nicht höher ist als in der Schweiz und eher mehr Händler verhaftet werden als in Staaten mit Konsumverbot [65].
Da sich die Stellungnahme des Bundesrates zur Revision der Betäubungsmittelgesetzgebung gegenüber früher gemachten Zusagen verzögerte, beschloss die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK) im Frühjahr mit grosser Mehrheit, das Heft selber in die Hand zu nehmen. Zur Revision des BetmG schlug sie drei ausformulierte Varianten vor, wobei sie einer völligen Entkriminalisierung von Besitz und Konsum aller Drogen sowie einer Freigabe der Herstellung von Cannabis den Vorzug gab. Ein zweites Modell sieht vor, die Straffreiheit auf den Konsum von Cannabis zu beschränken, ein drittes begnügt sich mit dem Opportunitätsprinzip, bei dem die Behörden in Bagatellfällen oder zur Unterstützung einer Therapie auf Strafverfolgung verzichten können. Nach dem Wunsch der Kommission sollten diese Vorschläge zusammen mit jenen des Bundesrates in die Vernehmlassung gegeben werden; würde der Bundesrat mit seiner Vorlage jedoch scheitern oder die Revision weiter aufgeschoben, so nahm sich die Kommission vor, über eine parlamentarische Initiative selber gesetzgeberisch tätig zu werden [66].
Diese Willensbezeugung wichtiger Parlamentarier, die vorliegenden Expertenberichte und die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 13. Juni führten – gemeinsam mit Vorarbeiten der Verwaltung – dazu, dass der Bundesrat Ende August fünf Varianten zur Entkriminalisierung des Drogenkonsums in die Vernehmlassung gab, wobei die Modelle 3-5 die Vorstellungen der SGK des Nationalrates übernahmen. Als Variante 1 schlug der Bundesrat vor, den Konsum, Erwerb und Besitz aller heute illegalen Drogen ab 18 Jahren zuzulassen; für Anbau, Fabrikation und Handel mit Cannabis sollte das Opportunitätsprinzip gelten. Variante 2 des Bundesrates sieht vor, zwischen weichen und harten Drogen zu unterscheiden; der Konsum von Cannabis würde straffrei, für alle anderen Drogen sollte das Opportunitätsprinzip gelten. Fabrikation und Handel mit Cannabis würden nach wie vor verboten, doch sollte bei geringfügigen Mengen Straffreiheit gelten. Nach diesem Modell würde es für den Hanfanbau zum Drogenkonsum einer allgemeinen Bewilligung bedürfen, während jener für den Industriegebrauch der Meldepflicht unterstellt würde [67].
Die Entschiedenheit des Nationalrates, bei der Entkriminalisierung des Betäubungsmittelkonsums vorwärts zu machen, schlug sich auch in der Behandlung von drei Standesinitiativen nieder. Eine Initiative des Kantons Solothurn, welche eine völlige Strafbefreiung des Konsums illegaler Drogen verlangt, war 1996 vom Ständerat abgelehnt worden, da auf anstehende Lösungsvorschläge des Bundesrates hingewiesen werden konnte. Da diese auf sich warten liessen und die Initiative der privilegierten Stossrichtung der nationalrätlichen SGK entspricht (siehe oben), beantragte diese dem Plenum Annahme des Vorstosses. Zwei vom Ständerat noch nicht behandelte Standesinitiativen der Kantone Basel-Land und Zürich möchten die ersatzlose Streichung der Cannabisprodukte aus dem Betäubungsmittelgesetz erreichen; diese Vorschläge nehmen das „mittlere“ Modell der SGK des Nationalrates auf, weshalb diese auch hier sinngemäss Zustimmung beantragte. In einer gemeinsamen Abstimmung wurden die drei Standesinitiativen mit dem sehr knappen Mehr von 67 zu 66 Stimmen gutgeheissen [68].
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Sozialhilfe
Die OECD veröffentlichte eine Studie über die Wirksamkeit der Sozialhilfe in der Schweiz und in Kanada. Als Stärke des schweizerischen Systems bezeichnete sie das relativ hohe Leistungsniveau, welches eine generelle Verarmung weitgehend verhindere. Kritik übte sie aber an der mangelnden Integration eigentlich arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger in den Arbeitsmarkt. Paradoxerweise seien die positiven Effekte eng mit den negativen verknüpft. Durch die lange Ausrichtung von Arbeitslosenunterstützung und die bedarfsgerechte Ausgestaltung der Leistungen der Sozialhilfe könne eine schlechter bezahlte Arbeit unattraktiv werden. Ungünstig sei auch, dass ein durch Arbeit erzielter Verdienst vollumfänglich von der Sozialhilfe abgezogen werde; auch dies ermutige nicht zur Aufnahme einer Arbeit. Das kanadische System, in dem ein Sozialhilfebezüger durch Arbeit seine Situation verbessern kann, biete einen stärkeren Anreiz für die Integration in den Arbeitsmarkt [69].
Eine Analyse der Schweizerischen Konferenz für öffentliche Sozialhilfe (SKOS) kam nach einer Befragung in 2082 Gemeinden zum Schluss, dass sich zumindest in der Deutschschweiz die Zahl der Sozialhilfebezüger allein in der ersten Hälfte der 90er Jahre mehr als verdoppelt hat. Gemäss SKOS haben die wirtschaftlichen und familiären Veränderungen zu einer massiven Verschärfung der sozialen Belastungen geführt. Es sei deshalb nicht länger tragbar, dass die Sozialhilfe praktisch allein die Folgen des Strukturwandels tragen müsse; das würde praktisch einer Kantonalisierung und Kommunalisierung der Armut und der Folgen der wirtschaftlichen Rezession gleichkommen. Die SKOS verlangte deshalb dringlich eine Koordination der kantonal geregelten Sozialhilfe mit den Sozialversicherungen des Bundes. Um Rechtsgleichheit sowie einen verbesserten Lastenausgleich zu erreichen, wäre laut SKOS ein Rahmengesetz des Bundes für die soziale Sicherheit nötig, das sowohl die Sozialversicherungen wie die Sozialhilfe mit einbezieht und den neuen sozialen Risiken (Unterbrüche in der Erwerbsarbeit und veränderte Familienformen) Rechnung trägt [70].
Mit zwei Motionen wollten die Nationalräte Epiney (cvp, VS) und Jutzet (sp, FR) erreichen, dass bei Betreibungen insbesondere von Familien mit Kindern ein Existenzminimum garantiert wird, welches ungefähr jenem der neuen SKOS-Richtlinien entspricht. Der Bundesrat verwies darauf, dass mit der Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG), welche 1997 in Kraft trat, alle Fürsorgeleistungen absolut unpfändbar sind. Zudem sei bereits mit dem eigentlichen SchGK den Vollstreckungsbehörden ein grosser Ermessensspielraum eingeräumt worden. Aus diesen Gründen erachte die Landesregierung es als nicht dringend, zentrale Fragen der Lohnpfändung erneut zu regeln, doch zeigte sie sich bereit, das Anliegen zu prüfen, weshalb sie in beiden Fällen Umwandlung in ein Postulat beantrage. Beide Vorstösse wurden jedoch von Stamm (fdp, AG), jener von Jutzet zudem von Bortoluzzi (svp, ZH) bekämpft und somit vorderhand der Diskussion entzogen [71].
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Im Januar legte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) eine Studie zur Situation der „Working poor“ vor, also jener Menschen, die trotz regelmässiger Erwerbsarbeit von Armut betroffen sind. Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigten jene früherer Berichte. Gemäss SGB leben 3% bis 5% der Vollzeitbeschäftigten unterhalb der Armutsgrenze, d.h. sie erzielen ein Einkommen von weniger als 50% des Medianlohnes. Als einzigen Lichtblick wertete der SGB den Umstand, dass die Zahl der betroffenen Personen in den letzten Jahren nicht weiter zugenommen hat. Tief- und Tiefstlöhne werden vor allem in der Landwirtschaft, im Detailhandel, in der Hotellerie, im Gastgewerbe sowie bei den persönlichen und häuslichen Dienstleistungen ausgerichtet. Deutlich stärker trifft es zudem Selbstständigerwerbende, unter 25jährige und über 60jährige Erwerbstätige. Der höchste Anteil an Tieflohnbezügern verzeichnet der Kanton Tessin. Ausgehend von diesen Feststellungen verlangte der SGB einen garantierten monatlichen Mindestlohn von 3000 Fr. [72].
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Wegen der Kostenexplosion bei den Genugtuungszahlen, dem organisatorischen Wirrwar bei der Unterstützung der Opfer des Luxor-Attentats von 1997 sowie weiterer Unzulänglichkeiten des Gesetzes beschloss das Bundesamt für Justiz, das Opferhilfegesetz einer ersten Revision zu unterziehen. Zur Debatte steht dabei auch der Abbau von Leistungen, so etwa die Streichung der Opferhilfe für Verkehrsunfälle und die Reduktion oder gar Abschaffung von Genugtuungszahlungen. Im Berichtsjahr wurden zusammen mit den kantonalen Opferhilfestellen die Revisionsanliegen aufgelistet; im Jahr 2000 soll dann eine Expertenkommission das Gesetz grundlegend überarbeiten [73].
Gleichzeitig gab das EJPD eine Teilrevision des OHG in die Vernehmlassung, welche minderjährige Opfer (unter 16 Jahren) im Strafverfahren besser schützen will. Insbesondere sollen sich Opfer von sexuellen Übergriffen und Beschuldigte möglichst nicht begegnen und die Befragung der Opfer auf das Notwendigste beschränkt werden [74].
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Sport
Nachdem Sion (VS) von der Evaluationskommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) für seine Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2006 nur die allerbesten Noten erhalten hatte, durfte sich die Schweiz reelle Chancen für die Durchführung dieses sportlichen Grossanlasses ausrechnen, um so mehr als das IOK die Korruptionsvorwürfe seines Schweizer Mitglieds Hodler ernst zu nehmen schien und für die weitere Vergabe von Austragungsorten „saubere“ Verhältnisse in Aussicht stellte [75].
Um so grösser war die Enttäuschung, als das IOK mit 53 zu 36 Stimmen den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2006 der norditalienischen Stadt Turin erteilte, obgleich die Evaluationskommision diese Kandidatur wegen der langen Transportwege eher negativ beurteilt hatte. Als Hauptgrund für die Vergabe an Italien wurde in den Schweizer Medien die Finanzkraft des Turiner Fiat-Moguls Agnelli sowie dessen persönliche enge Beziehungen zu IOC-Präsident Samaranch genannt, aber auch der Umstand, dass die Bewerbung Roms für den Olympischen Sommerspielen 2004 trotz eines exzellenten Dossiers das Nachsehen gegenüber Athen hatte. Hinter vorgehaltener Hand wurden aber auch Schweizer Sündenböcke ausgemacht: Marc Hodler, der den IOC-Skandal aufgedeckt hatte, die Debatte über die von Ogi stark favorisierten Mehrwertsteuergeschenke an das IOC sowie die internationale Isolation der Schweiz [76].
Im Berichtsjahr setzte Bundesrat Ogi mehrere Akzente zur Zukunft der schweizerischen Sportpolitik. An der ersten „Landsgemeinde des Sports“, die anfangs Mai im Magglingen stattfand und an der über 400 Persönlichkeiten aus Sport, Politik, Armee, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft teilnahmen, kündigte er an, noch vor Ende Jahr dem Bundesrat ein generelles sportpolitisches Konzept vorlegen zu wollen. Er sprach sich dafür aus, Spitzensport als eigentlichen Beruf zu anerkennen und meldete seinen Widerstand gegen die im Rahmen des neuen Finanzausgleichs geplante Kantonalisierung von „Jugend und Sport“ an [77].
Ebenfalls in Magglingen gab Ogi im November vor rund hundert Spitzensporttrainerinnen und -trainern seinem Unmut über die Stellung der Schweiz im internationalen Hochleistungssport Ausdruck. Verglichen mit anderen europäischen Ländern mit ähnlicher Grösse und Bevölkerungszahl und vergleichbaren ökonomischen Möglichkeiten sei die Schweiz fast schon sportpolitisches Entwicklungsland. Ogi ortete fünf Felder, in denen Verbesserungen möglich sein müssten: Schliessen der Lücken in der Förderungskette (von Klub bis Verband) junger Spitzensportler, Durchlässigkeit zwischen Schule und Intensivtraining, Anerkennung des Spitzensports als Berufslehre, Förderung von Nachwuchsprojekten und Schaffung eines lokalen Sportnetzes [78].
Kurz vor Weihnachten lagen dann erste Eckpfeiler des künftigen sportpolitischen Gesamtkonzepts vor. Unter dem Motto „miteinander anstatt gegeneinander“ sollen partnerschaftliche Lösungen zwischen Staat und Privaten ausgearbeitet werden, wobei der Bundesrat die politischen Schwerpunkte zu setzen beabsichtigt. Zwei Ziele stehen dabei im Zentrum der Diskussionen, nämlich „Gesundheit durch Sport“ und „Bildung durch Sport“, d.h. auf der einen Seite die Förderung von Gesundheit, Lebensqualität und Leistungsbereitschaft und auf der anderen Seite die Erziehung zu Fairness und sozialer Integration. Dies soll der Schweiz – gemäss Bundesrat Ogi eine sportliche Nation aber keine „Sportnation“ – verhelfen, künftig einen „Spirit of sport“ zu atmen. Auch in diesem Rahmen wurde der Nachwuchsförderung besondere Bedeutung zugemessen, ebenso der Dopingbekämpfung und der engeren Vernetzung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden einerseits und den privaten Sportverbänden andererseits [79].
Gegen den Willen des Bundesrates, der Umwandlung in ein Postulat beantragte, hiess der Ständerat ganz knapp eine Motion des Obwaldners Hess (fdp) zur Unterstützung von Sportmittelschulen durch den Bund gut. Die Landesregierung begründete ihre Zurückhaltung mit dem Umstand, dass in der Motion primär der Skirennsport angesprochen sei, erklärte sich aber bereit, ein Gesamtkonzept der Spitzensportförderung ausarbeiten zu lassen und dazu den Dialog mit interessierten Institutionen und Organisationen aufzunehmen [80].
Einen kleinen Sturm im Wasserglas entfachte der Vorentwurf zu einer Teilrevision der Verordnung über die Förderung von Turnen und Sport, mit welcher der Bund eine Flexibilisierung (nach unten) der drei obligatorischen Turnstunden in den Volks- und Mittelschulen ermöglichen will. Insbesondere im Nationalrat kam es dazu zu mehreren Interventionen, bei deren Beantwortung der Bundesrat betonte, dass er grundsätzlich an drei Stunden pro Woche festhalten möchte, dass er aber nicht umhin könne, den kantonalen Erziehungsdirektoren einen gewissen Handlungsspielraum zuzugestehen [81].
Der Bundesrat entschied sich, dem Parlament nicht ein eigenständiges Doping-Gesetz vorzulegen, wie das im Anschluss an mehrere Doping-Skandale, in die auch Schweizer Athleten involviert waren, gefordert worden war, da die Ausarbeitung einer derartigen Vorlage zu zeitintensiv wäre. Das Dopingproblem soll einerseits im neuen Heilmittelgesetz (siehe oben) angegangen werden, welches die missbräuchliche Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln generell verhindern will. Andererseits soll im bereits bestehenden Bundesgesetz über die Förderung von Turnen und Sport ein Doping-Verbot verankert werden. Im wesentlichen sollen dort folgende Sachverhalte einfliessen: Die Doping-Prävention wird durch den Bund festgelegt; die Herstellung, Einfuhr, Vermittlung, Verschreibung und Abgabe von Mitteln zu Dopingzwecken wird verboten; auch nichtmedikamentöse Dopingmethoden werden untersagt; die Unterstützungsleistungen an den Schweizerischen Olympischen Verband bezüglich Dopingkontrollen werden definiert, ebenso die Mindestanforderungen an diese Kontrollen. Sowohl im neuen Heilmittelgesetz wie im Sportförderungsgesetz sollen Strafbestimmungen gegen den Dopingmissbrauch verankert werden [82]. Angesichts dieser Aktivitäten des Bundesrates lehnten beide Kammern je eine parlamentarische Initiative – Bütiker (fdp, SO) im Ständerat und Günter (sp, BE) im Nationalrat – ab, welche die Ausarbeitung einer Strafnorm für Dopingvergehen durch das Parlament verlangten. Keine Folge wurde auch einer weiteren parlamentarischen Initiative Grobet (sp, GE) für ein eigenständiges Dopinggesetz gegeben [83].
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Weiterführende Literatur
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Bonfadelli, Heinz (Hg.), Gentechnologie im Spannungsfeld von Politik, Medien und Öffentlichkeit, Zürich 1999.
CHSS, 1999, Nr. 4 (Schwerpunktthema Spitalfinanzierung).
Hotz, Martin, Benchmarking in der Deutschschweizer Offizin-Apotheke, Kilchberg 1999.
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Fluder, Robert, Armut bekämpfen: Armutsberichterstattung aus der Sicht der Statistik, Neuenburg (BfS) 1999.
Fluder, Robert / Stremlow, Jürgen, Armut und Bedürftigkeit: Herausforderungen für das kommunale Sozialwesen, Bern (Haupt) 1999.
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[1] NZZ, 17.5.99. Den Aufbau eines derartigen Observatoriums verlangte auch NR Borel (sp, NE) in einer als Postulat überwiesenen Motion (Amtl Bull. NR, 1999, S. 476 f.).1
[2] Siehe SPJ 1998, S. 235.2
[3] Ww, 22.4.99; TA, 25.5.99; BZ, 7.6. und 15.9.99; Presse vom 16.9.99.3
[4] Ww, 15.4.99; Presse vom 30.4.99. Damit gingen die Vorschläge der Kommission weniger weit als die Forderungen einer Motion Ruffy (sp, VD), welche die Legalisierung der aktiven Euthanasie unter bestimmten Bedingungen verlangt hatte (SPJ 1996, S. 236). Die Querelen innerhalb der Sterbehilfe-Vereinigung ”Exit”, welche viel Beachtung in den Medien fanden, werden hier nicht behandelt, da es sich um einen privaten Verein ohne politisches Mandat handelt.4
[5] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1268 f.5
[6] Presse vom 24.8.99; TA, 15.9.99. Heute übernimmt der Kanton die Hälfte der Kosten einer stationären Behandlung in einem öffentlichen Spital, wogegen er an die Kosten der teilstationären und ambulanten Leistung nichts beiträgt. Das führt dazu, dass die Krankenkassen kaum Interesse an diesen kostengünstigeren Behandlungsform haben. Zu einer ersten gesamtschweizerischen Erhebung über die Spitex-Leistungen siehe CHSS, 1999, S. 149-150.6
[7] Presse vom 17.7.99; SoZ, 18.7.99; NZZ, 31.8.99. Zu den neuesten Zahlen (1997) über die Entwicklung der Gesundheitskosten in der Schweiz und den restlichen OECD-Ländern siehe LT, 8.4.99.7
[8] Presse vom 13.1.99; Bund, 14.1.99; SGT, 19.1., 1.2. , 9.2., 1.3., 15.3., 6.4. und 27.4.99; Ww, 21.1. und 4.2.99; BZ, 1.2., 26.2. und 27.3.99; WoZ, 4.2. und 25.3.99; LT, 11.2. und 29.11.99; NZZ, 6.3., 20.3. und 18.9.99; NLZ, 27.3.99; BaZ, 13.4.99; TA, 30.8.99. Später wurde bekannt, dass es sich bei dem Patienten, der schliesslich auch ohne das Medikament überlebte, um alt Bundesrat Hans Peter Tschudi gehandelt hatte (Presse vom 18.1.99).8
[9] Presse vom 17.10.99. Zur Besorgnis des Pflegepersonals über sinkende Pflegestandards siehe NZZ, 12.6.99; Presse vom 5.8.99.9
[10] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2670.10
[11] CHSS, 1999, S. 227.11
[12] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2152 f. Zu gesundheitlichen Beinträchtigungen durch Mobilfunk-Antennen siehe oben, Teil I, 6d (Qualité de l’air).12
[13] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2150 f.13
[14] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 174 ff. Der StR diskutierte zudem eine Interpellation Marty (fdp, TI) zu fehlenden Richtlinien über die Buchführung und die Statistiken der Spitäler sowie die Rolle des Preisüberwachers in diesem Zusammenhang (ibid., S. 176 ff.).14
[15] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 807 f.15
[16] BBl, 1999, S. 2477 (Einleitung des Vernehmlassungsverfahrens); Presse vom 9.3.99. Siehe SPJ 1998, S. 236. Die Kantone protestierten umgehend gegen diese Pläne des BR (LT, 11.3. und 3.4.99; SHZ, 28.4.99). Die Resultate der Vernehmlassung fielen je nach Standpunkt sehr kontrovers aus. Der BR zeigte sich über die starke Opposition erstaunt, weil Krankenversicherer, Kantone, Ärzte und Spitäler in der vorbereitenden Arbeitsgruppe vertreten gewesen waren (Presse vom 5.5. und 15.6.99). Die Botschaft, die für den Herbst des Berichtsjahres angekündigt war, verzögerte sich deshalb über das Jahresende hinaus (SHZ, 1.12.99).16
[17] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 568 f. Siehe SPJ 1998, S. 236.17
[18] TA, 20.2.99.18
[19] BZ, 5.6.99.19
[20] Bund, 4.10.99.20
[21] Presse vom 3.7.99; NZZ, 14.12.99; Klaus Müller, „Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesrates zur Spitalliste“, in CHSS, 1999, S. 317-321. Besonders der Basler Regierungsrat kritisierte den Entscheid des EJPD in ungewöhnlich scharfer Weise und forderte den BR auf, darauf zurückzukommen (BaZ, 9.9.99).21
[22] BBl, 1999, S. 9679 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2432 ff. und 2484 ff.22
[23] BBl, 1999, S. 8809 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2432 ff. und 2484 ff.23
[24] TA, 7.1.99; Presse vom 29.1.99.24
[25] Bund, 8.4. und 24.11.99; Presse vom 9.4. und 30.7.99; NZZ, 10.4. und 3.12.99; TA, 6.8. und 3.12.99; TG, 30.11.99.25
[26] TA, 16.4.99; Bund, 24.4. und 24.11.99; BZ, 21.7.99; SHZ, 8.9.99; NZZ, 17.12.99. Zur Kritik des Preisüberwachers siehe NZZ, 17.4.99. Bereits in der Frühjahrssession erklärte der BR in seiner Antwort auf eine als Postulat überwiesene Motion Berberat (sp, NE), falls keine Einigung unter den Tarifpartnern zustande komme, werde er allenfalls von seiner Kompetenz gemäss Art. 43 Abs. 5 KVG Gebrauch machen und selber einheitliche Tarife festlegen (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 473). Zu Vorstössen bezüglich der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Ärzte siehe unten, Teil I, 8a (Hochschulen). Für die Mehrwertsteuerdiskussion im Medizinalbereich vgl. oben, Teil I, 5 (Indirekte Steuern).26
[27] Presse vom 23.2.99; NZZ, 22.3.99. Zum Umstand, dass gewisse Ärzte von ihren Patienten Zusatzhonorare für Leistungen aus der Grundversicherung verlangen, siehe die Beurteilung des BR in Beantwortung einer Interpellation Hafner (sp, SH) in Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1337 f.27
[28] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 755 ff. Das Konkordat der Krankenkassen sprach sich ebenfalls für eine geringere Entlöhnung der frei praktizierenden Jungärzte aus (Presse vom 24.3.99).28
[29] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 791 ff. Zur Zuwanderung von Ärzten aus dem EU-Raum, welche mit der in den bilateralen Verträgen stipulierten gegenseitigen Anerkennung der Diplome möglich wird, siehe auch eine Interpellation Eymann (lp, BS) (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1371) sowie die Ausführungen der Kommissionssprecher bei der Beratung des bilateralen Abkommens über den freien Personenverkehr (Amtl. Bull. StR, 1999, S. 645 f.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1580 ff.). Die Zulassung von Ärzten aus dem EU-Raum wird auch zu Änderungen im Ausbildungscursus der Schweizer Mediziner führen; siehe unten, Teil I, 8a (Hochschulen).29
[30] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1981 ff. Siehe SPJ 1998, S. 237 f.30
[31] LT, 12.11.99; Presse vom 13.11., 24.11. und 26.11.99.31
[32] BBl, 1999, S. 3453 ff. Die Helsana erreichte einen für ihren Medikamentenversandhandel bedeutenden Sieg vor Bundesgericht, welches den Kanton Waadt anwies, diese Form des Verkaufs zuzulassen (Presse vom 2.10.99. Vgl. SPJ 1998, S. 239).32
[33] BBl, 1999, S. 7541 ff.; CHSS, 1999, S. 154 f.; Presse vom 14.5.99. Kommission: NZZ, 30.11.99. Siehe SPJ 1998, S. 238. Die Pharmaindustrie und die Medikamentenimporteure setzten sich vehement gegen die Parallelimporte zur Wehr (NZZ, 20.2. und 3.3.99; LT, 24.2.99; BZ, 7.8.99), nicht aber die Apotheker (NZZ, 6.4.99). Zur Haltung von Wettbewerbskommission und Preisüberwacher zu den Parallelimporten siehe SHZ, 20.1. und 2.6.99.33
[34] TA, 2.3. und 9.12.99. In seiner Antwort zu einem überwiesenen Postulat Grendelmeier (ldu, ZH) erklärte der BR, eine Verkürzung der Patentdauer für Medikamente könne nicht in Frage kommen, da die Schweiz beim Patentrecht an internationale Abkommen gebunden sei (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 121 f.).34
[35] Presse vom 3.2.99; BaZ, 26.4.99; SHZ, 28.4.99. Gerade noch rechtzeitig auf Ende Jahr einigten sich die Apotheker und Krankenkassen auf einen neuen Vertrag, der die Apotheker verpflichtet, auf einen Teil ihrer Margen zu verzichten. Im Gegenzug wurde ein neues Abgeltungsmodell beschlossen, welches fachliche Beratungsleistungen der Apotheker in Rechnung stellt, damit diese nicht mehr den Anreiz haben, möglichst teure Medikamente abzugeben. (LT, 30.11.99; Presse vom 22.12.99). Siehe SPJ 1998, S. 238 f.35
[36] BBl, 1999, S. 4355 ff.; SHZ, 10.3.99. Das KVG bestimmt, dass Ärzte und Ärztinnen nur dort selbst dispensieren dürfen, wo für die Patientinnen und Patienten der Zugang zu einer Apotheke erschwert ist, beispielsweise also in sehr ländlichen Gebieten. Dies zu definieren, ist aber Sache der Kantone; im Kanton Zürich wurde – gegen den Geist des KVG – in den Städten Zürich und Winterthur die Selbstdispensation wieder zugelassen (NZZ, 18.1.99).36
[37] Presse vom 19.3. und 23.6.99; Bund, 24.3.99; NZZ, 21.5.99; TA, 30.6.99. Der Beschluss des BSV bezüglich der teilweisen Kassenzulassung von Xenical konnte nicht, wie gewünscht auf den 1.10.99 in Kraft treten. Einem Rekurs des Krankenkassenkonkordats wurde aufschiebende Wirkung zuerkannt (NZZ, 2.7. und 9.10.99).37
[38] NZZ, 30.11.99.38
[39] Presse vom 6.1. bis 6.2.99; LT, 9.2.99 (Genf und Waadt). Siehe SPJ 1998, S. 240 f.39
[40] BBl, 1999, S. 2912 ff.40
[41] Bisang, Kurt, Analyse der eidg. Abstimmungen vom 7. Februar 1999, Vox Nr. 66, Zürich 1999.41
[42] SPJ 1998, S. 241. Zu den Risiken der Xenotransplantation siehe Bund, 9.4.99.42
[43] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 123 ff. Goll und von Felten beriefen sich auf eine Stellungnahme des Europarats, welche dem Ministerkomitee fast einmütig ein Moratorium für den klinischen Einsatz der Xenotransplantation empfohlen hat. Er stufte das Verfahren als gesundheitlich noch viel zu risikoreich und ethisch zu wenig ausdiskutiert ein (TA, 30.1.99). Angesichts der Abstimmungsergebnisse zog Goll eine 1997 eingereichte Motion für ein Moratorium für Xenotransplantation zurück (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 151).43
[44] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 514 ff.44
[45] Bull. NR, 1999, S. 1714 ff. und 2310; Amtl. Bull. StR, 1999, S. 994. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des NR nahm die Frage auf, wer bei einer „Panne“ in der Anwendung der Xenotransplantation haftbar wäre. In einem überwiesenen Postulat bat sie den BR, mit einem Rechtsgutachten die verschiedenen Fragen der Verantwortlichkeit klären zu lassen (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 142).45
[46] Presse vom 2.12.99. Dieses forsche gesetzgeberische Tempo war nicht nach dem Geschmack aller Transplantations-Fachleute. Das Gesetz tangiert nämlich ein Forschungsprogramm des Nationalfonds („Implantate und Transplantate“), das erst im Anlaufen ist, und in welchem ethische, rechtliche und soziale Fragen untersucht werden sollen, welche das Gesetz nun bereits beantworten will (TA, 24.11.99).46
[47] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2196.47
[48] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 181. Eine gleichzeitig behandelte Motion Plattner zu einer einheitlichen Organisation aller Schweizer Ethikkommission wurde auf Antrag des BR hingegen nur als Postulat überwiesen (ibid. S. 181 ff.).48
[49] TA, 21.4.99; LT, 7.12.99. Zur genetischen Erfassung von Kriminellen und der Einführung einer diesbezüglichen Datenbank siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).49
[50] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 119. Vgl. SPJ 1998, S. 243.50
[51] Presse vom 4.2.99. Vgl. SPJ 1995, S. 231.51
[52] LT, 9.6.99; NZZ, 15.10.99. Siehe dazu oben, Teil I, 1b (Strafrecht) sowie SPJ 1998, S. 248.52
[53] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1292 ff. Siehe dazu auch eine Interpellation Rochat (lp, VD) in Amtl. Bull. StR, 1999, S. 802 f. Vgl. SPJ 1998, S. 248. Gegen den Willen des BR wurde eine Motion Schmied (svp, BE), welche die Einrichtung eines permanenten Telefondienstes für Drogenabhängige verlangte, als Postulat überwiesen. Der BR argumentierte, als Anlaufstelle für Sucht- und andere persönlichen Probleme gebe es genügend private Institutionen (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 154 ff.).53
[54] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1306 f. Vorreiter sind hier die Kantone GE, VD und FR, welche seit 1995 über 78 Mio Fr. aus dem Drogenhandel in einen Fonds für den Kampf gegen die Drogensucht eingespiesen haben (TA, 1.6.99). Zur Verwendung der Drogengelder siehe die Antwort des BR auf eine Einfache Anfrage Fehr Lisbeth (svp, ZH) (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1414 ff.).54
[55] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2580.55
[56] Presse vom 24.3.99. Vgl. dazu die Ausführungen des BR zu einer Interpellation Tschopp (fdp, GE) sowie zu einer Frage Zwygart (evp, BE) im NR (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 512 f. und 1952). Diese Kampagne stand auch im Zusammenhang mit der auf den 1. Juli gültig werdenden Senkung der Bundessteuer um rund 15% auf importierten Spirituosen; siehe dazu oben, Teil I, 4c (Produits alimentaires).56
[57] BBl, 1999, S. 1930 f. Siehe SPJ 1997, S. 253 ff. und 1998, S. 246 ff. Während noch vor wenigen Jahren das Schweizer Heroin-Modell im internationalen Umfeld im Abseits stand, zeigte sich an einem im März in Bern durchgeführten internationalen Symposium, dass immer mehr Länder mit Interesse die hiesige Entwicklung verfolgen. Holland unternahm bereits 1998 erste Versuche mit der kontrollierten Heroinabgabe; in Deutschland, Spanien, Dänemark, Australien, Kanada und Frankreich steht sie zur Diskussion (Presse vom 11.3.99; NZZ, 18.3.99). Komplimente erhielt die Schweiz auch vom Direktor des UNO-Programms zur Bekämpfung von Aids (TG, 22.3.99).57
[58] Presse vom 17.4.99. Die Verfechter des Referendums behaupteten wiederholt, die WHO habe zu ihrem Bericht noch einen Kommentar abgegeben, der wesentlich kritischer sei als die Expertise selber; das kolportierte Papier war jedoch weder datiert noch signiert, und die WHO dementierte stets die Existenz einer derartigen Stellungnahme (NZZ, 23.4.99; LT, 27.5.99).58
[59] Presse vom 17.4.-11.6.99.59
[60] BBl, 1999, S. 7293 ff.60
[61] Kriesi, Hanspeter u.a., Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 13. Juni 1999, Vox Nr. 68, Genf 1999. Vgl. SPJ 1997, S. 255 und 1998, S. 248.61
[62] Presse vom 16.6.99. Siehe SPJ 1991, S. 219.62
[63] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 151 ff.63
[64] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 477. Das BA für Polizei schätzte, dass der Hanfanbau 1999 rund 200 Tonnen betragen dürfte; zwei Drittel des Umsatzes von 600 Mio Fr. gehen dabei auf das Konto von genussfähigem Hanf (24h, 13.10.99).64
[65] Presse vom 24.4.99; LT, 23.6.99. Die Straffreiheit in Deutschland muss allerdings dadurch relativiert werden, dass der Besitz von Drogen nach wie vor strafbar ist. Zu früheren Berichten der EKDF, die bereits ähnliche Massnahmen vorgeschlagen hatte, siehe SPJ 1989, S. 197 f. und 1996, S. 245 f.65
[66] BZ, 1.2.99; Presse vom 3.5.99.66
[67] BBl, 1999, S. 7306 ff.; Presse vom 26.8.99. Nach den Worten des BR verfolgt die Revision das Ziel, die Gesetzgebung an die Realität im Drogenbereich anzupassen, sowie Lückenhaftigkeit, Inkohärenzen und Widersprüchlichkeiten des bestehenden Gesetzes zu verbessern. Für den Anbau und den Vertrieb von Hanfprodukten sind Verordnungsänderungen vorgesehen.67
[68] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2010 ff. Siehe SPJ 1996, S. 245. Dafür stimmte das geschlossene links-grüne Lager, sowie einzelne bürgerliche Abgeordnete aus der CVP, FDP und SVP.68
[69] L’aide sociale au Canada et en Suisse, Paris (OCDE) 1999; Presse vom 30.10.99. Es war dies der dritte Ländervergleich, den die OECD zum Thema der Sozialhilfe ausarbeiten liess; Kanada und die Schweiz wurden gewählt, weil sie ähnliche föderalistische Strukturen haben.69
[70] Lit. Fluder / Stremlow; Presse vom 24.4. und 29.6.99 (Vergleich der Soziallasten von acht Schweizer Städten); NZZ, 28.6.99 (Interview mit dem neuen SKOS-Präsidenten); TA, 5.7.99. Gemäss SKOS liegt die Unterstützungsquote in Zentrumsgemeinden drei- bis viermal über dem gesamtschweizerischen Durchschnitt; die höchsten Zuwachsraten weisen Gemeinden mittlerer Grösse auf, v.a. Agglomerationsgemeinden, während es auf dem Land besonders viele Haushalte mit Einkommen unter der Armutsgrenze gibt, die keine Sozialhilfe beziehen.70
[71] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 482 ff. Heute beträgt das betreibungsrechtliche Existenzminimum einer alleinstehenden Person 1010 Fr., das eines Ehepaares mit 2 Kindern 2100 Fr. (LT, 10.3.99). Das Existenzminimum gemäss SKOS-Richtlinien ist um einige hundert Franken höher angesetzt. Siehe dazu auch die Ergebnisse einer von der Schweizerischen Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten in Auftrag gegebenen Studie (BaZ, 24.3.99). Als Ursache für Verschuldung und Betreibung wird von Sozialfachleuten häufig der allzu leichte Zugang zu Konsumkrediten genannt; zur Revision des Konsumkreditgesetzes siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerb).71
[72] Presse vom 7.1.99. Siehe SPJ 1998, S. 250. Der Medianlohn wird als jenes Einkommen definiert, das die Bevölkerung in zwei gleich grosse Lager aufteilt, die Mehr- und die Wenigerverdienenden. 1997 betrug er 52 920 Fr. Er ist tendenziell tiefer als der Durchschnittslohn, bei dem sehr hohe Saläre die Statistik eher verfälschen. International hat es sich etabliert, die Armutsgrenze bei 50% des Medianlohnes anzusetzen. Zur Forderung des SGB nach Mindestlöhnen siehe oben, Teil I, 7a (Löhne).72
[73] NZZ, 9.3.99; TA, 28.6.99. Siehe SPJ 1998, S. 250 f. Unter Federführung des EJPD einigten sich die Vertreter der Opfer des Attentats von Luxor und die Reiseveranstalter auf eine einvernehmliche Schadenregelung. Der Bund entrichtete den Kantonen, die bis Ende Juli Opferhilfe-Zahlungen in der Höhe von 2 455 924 Fr. leisteten, eine zusätzliche Finanzhilfe von 818 641 Fr.; für das Jahr 2000 ist eine weitere Finanzhilfe von einem Drittel der kantonalen Aufwendungen vorgesehen (NZZ, 30.4., 23.9., 17.11. und 13.12.99).73
[74] SZ, 13.3.99; BZ, 22.7.99.74
[75] Presse vom 25.1. und 18.3.99. Siehe SPJ 1998, S. 252.75
[76] Presse vom 25.5. bis 22.6.99. Zu einem Bericht, welcher die Gründe für das Scheitern der Walliser Kandidatur auflistete, siehe LT, 19.8.99. Tourismusvertreter aus Graubünden begannen, eine neue Olympiakandidatur der Schweiz zu erwägen (Presse vom 12.8.99; BüZ, 21.8.99). Bis Ende Jahr gesellten sich das Berner Oberland sowie die Region Montreux (VD) zu ihnen (LT, 30.12.99). Für allfällige MWSt-Geschenke ans IOC und die nationalen Sportverbände siehe oben, Teil I, 5 (Indirekte Steuern).76
[77] Presse vom 5.5.99. Als erster Kanton gab sich BS ein Sportkonzept, das auch den Spitzensport einschliesst (BaZ, 21.5.99). Zum neuen Finanzausgleich siehe oben, Teil I, 5 (Bundesfinanzordnung).77
[78] Presse vom 12.11.99. Zur Berufslehre als Spitzensportler siehe auch Bund, 25.10.99. Der Schweizerische Olympische Verband distanzierte sich von Ogis Rundumschlag: der BR habe offenbar übersehen, dass die Schweiz seit Jahren in gewissen Sportarten zur Elite gehöre (Rudern, Radfahren, Bob, Orientierungslauf usw.) (TG, 13.11.99).78
[79] Presse vom 21.12.99.79
[80] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 459 ff.80
[81] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1954, 2470 und 2564; NZZ, 6.10.99; TA, 14.10. und 16.10.99. Gegen Bundesrecht verstossen würde die Absicht des Kantons Bern, das Lehrlingsturnen abzuschaffen (BZ, 7.9.99).81
[82] TA, 3.2.99; Presse vom 5.2. (Internationale Anti-Doping-Konferenz in Lausanne) und 2.3.99. Auch der Schweizerische Olympische Verband bezeugte seinen Willen, energischer gegen Doping vorzugehen (Presse vom 24.3.99). Die neu geschaffene internationale Agentur gegen Doping eröffnete für zwei Jahre einen provisorischen Sitz in Lausanne; für den definitiven Standort steht Lausanne in Konkurrenz mit verschiedenen anderen europäischen Städten (LT, 10.11.99).82
[83] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 1054 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2586 ff.83
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