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Grundlagen der Staatsordnung
Rechtsordnung
Der Chef des EJPD, Christoph Blocher, stellte eine Revision der Antirassismus-Strafnorm in Aussicht. – Das Parlament beschloss die Schaffung einer neuen, einheitlichen Sozialversicherungsnummer, welche auch zu statistischen Zwecken benutzt werden kann. – Die Volkszählung wird in Zukunft nicht mehr mittels einer Vollerhebung mit Fragebogen, sondern auf der Grundlage der Einwohnerregister der Gemeinden und Repräsentativbefragungen durchgeführt werden. – Der Bundesrat möchte den Staatsschutzorganen zusätzliche Möglichkeiten für die präventive Überwachung geben. – Der Bundesrat sprach sich gegen die im Vorjahr von der SVP eingereichte Volksinitiative zur Einbürgerungspolitik aus. – Der Ständerat hiess die Vereinheitlichung des Strafprozessrechts gut. – Die Gruppe „Marche blanche“ reichte ihre Volksinitiative „für die Unverjährbarkeit von pornografischen Straftaten an Kindern“ ein. – Das Parlament konnte sich über die rechtliche Umsetzung der Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ nicht einigen. – Das Parlament verabschiedete die neuen gesetzlichen Grundlagen für die Bekämpfung von Gewalt im Umfeld von Sportveranstaltungen; ein von Fans diverser Fussball- und Eishockeyclubs lanciertes Referendum kam nicht zustande. – Der Bundesrat legte seinen Entwurf für eine neue, einheitliche Zivilprozessordnung vor; diese soll die 26 kantonalen Regelungen ersetzen.
Grundrechte
Der neu geschaffene Menschenrechtsrat der UNO, der seinen Sitz in Genf hat, traf sich im Juni zu seiner ersten Sitzung [1].
Der Bundesrat beantragte der Bundesversammlung die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen der UNO gegen Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Dieses hatte die UNO-Generalversammlung im Jahr 2002 gutgeheissen und die Schweiz 2004 unterzeichnet. In der Vernehmlassung hatten sich mit Ausnahme der SVP praktisch alle für die Ratifizierung und Umsetzung ausgesprochen. Als Umsetzungsinstrument ist die Schaffung einer Kommission zur Verhütung von Folter vorgesehen [2].
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Einmal mehr sprach sich das Parlament gegen die Revision der Anti-Rassismus-Norm im Strafgesetz aus. Die von Hess (sd, BE) im Jahr 2004 eingereichte Motion für eine ersatzlose Streichung fand im Nationalrat keine Gnade. Er schrieb sie wegen Ablauf der Behandlungsfrist diskussionslos ab. Der Bundesrat hatte zuvor ihre Ablehnung beantragt [3].
Grosses Aufsehen erregte EJPD-Vorsteher Blocher, als er sich auf einer Pressekonferenz in Ankara (Türkei) über die Antirassismus-Strafnorm beklagte und ohne Absprache mit seinen Regierungskollegen eine Revision in Aussicht stellte. Im Zentrum von Blochers Kritik stand die Strafbarkeit der Leugnung von Völkermord und die damit verbundene Problematik, wer darüber entscheidet, welche historischen Ereignisse als Völkermord zu taxieren sind. Eine vom EJPD geschaffene und mit externen Spezialisten ergänzte Arbeitsgruppe zur Überprüfung der umstrittenen Gesetzesbestimmungen nahm noch vor Jahresende ihre Tätigkeit auf. Die SVP, die sich in der Volksabstimmung von 1994 noch hinter die Anti-Rassismus-Strafnorm gestellt hatte, bekräftigte an einer Medienkonferenz im November ihre Forderung nach deren Abschaffung. Ihre im Vorjahr eingereichte diesbezügliche Motion hat das Parlament noch nicht behandelt; der Bundesrat hatte die Ablehnung beantragt [4].
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Datenschutz und Statistik
Bei der Teilrevision des Datenschutzgesetzes räumten zu Jahresbeginn die Parlamentskammern die wenigen verbliebenen Differenzen aus [5].
Das ursprüngliche Projekt einer neuen einheitlichen Personenidentifikationsnummer (PIN), die sich in verschiedenen Bereichen der Verwaltung einsetzen lässt und unter Umständen auch Verknüpfungen erlaubt, und welche auch statistische Auswertungen erleichtern würde, hatte der Bundesrat Ende 2005 fallen gelassen. An deren Stelle hatte er eine Neukonzeption der AHV-Nummer und ihre Umwandlung in eine umfassende Sozialversicherungsnummer vorgeschlagen. Trotz der Einwände des eidgenössischen Beauftragten für Datenschutz, Hanspeter Thür, akzeptierte der Ständerat diese neue AHV-Nummer einstimmig. Im Nationalrat forderte die SVP-Fraktion Rückweisung an den Bundesrat mit der Auflage, den Verwendungsbereich dieser neuen Nummer strikte auf den AHV-Bereich zu beschränken. Nachdem dieser Antrag abgelehnt worden war, verlangten die Grünen in der Detailberatung erfolglos Ähnliches. Auf Antrag der Kommission fügte der Rat allerdings die Bestimmung ein, dass für die systematische Verwendung dieser Nummer in anderen Bereichen als der Sozialversicherung eine Gesetzesgrundlage notwendig sei. Einzelne Bereiche, in denen kantonales Recht vollzogen wird (z.B. Krankenkassenprämienverbilligungen, Bildungsinstitutionen) wurden zur systematischen Verwendung der neuen Nummer ermächtigt. In der Schlussabstimmung im Nationalrat sprachen sich die SVP und die GP mehrheitlich gegen die neue Versichertennummer aus [6].
Das Parlament verabschiedete ebenfalls das neue Bundesgesetz über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz, RHG). Auch hier kam die Opposition in erster Linie von der SVP, welche im Nationalrat erfolglos Nichteintreten beantragte. Die Harmonisierung der Register an sich akzeptierte sie zwar, die Verwendung von Registerdaten zu statistischen Zwecken und vor allem ihre mögliche Verknüpfung lehnte sie aber ab. Die Bundesversammlung bewilligte zur Umsetzung dieses Beschlusses auch die erforderlichen Geldmittel von knapp 16 Mio Fr. für die Dauer von fünf Jahren [7].
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Die beiden neuen Gesetze über die Sozialversicherungsnummer und die Registerharmonisierung schufen die technischen Voraussetzungen für die angestrebte Reform der Volkszählung. Gegen Jahresende beantragte der Bundesrat dem Parlament eine Totalrevision des Bundesgesetzes über die Volkszählung. Wie bereits im Vorjahr vom Bundesamt für Statistik angekündigt, soll die Volkszählung in Zukunft nicht mehr mittels einer Vollerhebung mit Fragebogen, sondern auf der Grundlage der bei den Behörden (vor allem den kommunalen Einwohnermeldeämtern) vorliegenden Registerdaten durchgeführt werden. Als Ergänzung dazu kommen Repräsentativbefragungen zur Erfassung von Strukturdaten, welche in den Registern nicht enthalten sind (z.B. Sprache, Bildung, Verkehrsverhalten). Die Stichproben in diesen jährlichen Repräsentativbefragungen sollen derart umfangreich sein, dass ihre über einige Jahre kumulierten Ergebnisse auch Aussagen zu kleinräumigen Gebieten ermöglichen. Das würde den im Vorjahr vorgebrachten Haupteinwand gegen das neue System entkräften. Die neue Methode bringt nicht nur grosse Kosteneinsparungen. Die Volkszählungsdaten werden dank den im Jahresrhythmus gewonnenen Informationen aus den Registern und den Repräsentativbefragungen auch wesentlich aktueller sein als diejenigen der bisherigen, alle zehn Jahre durchgeführten Erhebung. Für die nach diesem neuen System durchzuführende nächste Volkszählung beantragte der Bundesrat einen Kredit von 69 Mio Fr. Das ist nur etwa halb soviel wie die in der Botschaft als Alternative ebenfalls präsentierte Variante der Kantone, welche die Registerdaten nicht mit Repräsentativbefragungen, sondern mit Vollerhebungen zu Strukturdaten kombinieren wollten [8].
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Im März verabschiedete der Bundesrat die Rechtsgrundlagen für ein Pilotprojekt zur Ausstellung eines neuen Passes mit elektronisch gespeicherten biometrischen Daten. Zu Reden gaben weniger die datenschutzspezifischen Aspekte als vielmehr der als viel zu hoch kritisierte Abgabepreis des neuen Dokuments [9].
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Staatsschutz
Der Bundesrat beantragte dem Parlament im Mai ein neues Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes. Mit diesem Gesetz will er die rechtlichen Grundlagen für die bestehenden Datenbanken wie z.B. RIPOL oder IPAS vereinheitlichen und aktualisieren. Zudem würden damit die Voraussetzungen für die Aufnahme des zusätzlichen Informationsflusses infolge der Integration der Schweiz in den Schengener Raum und in Europol geschaffen. Schliesslich möchte der Bundesrat mit dem neuen Gesetz auch noch die rechtliche Basis für eine neue Datenbank schaffen. In dieses Polizeiindex genannte Instrument sollen die Namen der Personen eingetragen werden, die in mehreren polizeilichen Informationssystemen erfasst sind. Der Index würde die Behörden automatisch darüber informieren, ob bei einer anderen nationalen oder kantonalen Polizeibehörde Erkenntnisse zu einer Person vorliegen. In der Vernehmlassung waren diese Vorschläge grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Einige Kantone fürchteten allerdings die finanziellen Konsequenzen der für die Schaffung dieses Polizeiindexes erforderlichen Vereinheitlichung ihrer eigenen Datenbanken. Gestützt auf einen Passus im revidierten Datenschutzgesetz (siehe dazu oben), welcher es ermöglicht, Datenbanken versuchsweise noch vor dem Vorliegen einer gesetzlichen Basis in Betrieb zu nehmen, startete der Bundesrat am 15. Dezember einen Pilotversuch mit diesem neuen Polizeiindex [10].
Im Sommer gab das EJPD den Vorentwurf für eine Revision des Staatsschutzgesetzes (Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit) in die Vernehmlassung. Hauptziel dieses Projekts ist es, angesichts der stark angestiegenen Gefahr des internationalen Terrorismus die Prävention zu verbessern. Zu diesem Zweck sollen die Behörden – bei Verdacht auf Terrorismus, internationalen Waffenhandel oder Spionage – auch ohne konkreten Tatverdacht Post- und Fernmeldeverkehr überwachen, Privaträume abhören und Computer durchsuchen dürfen. Die Staatsschützer erhalten allerdings nicht freie Hand beim Einsatz dieser ausserordentlichen präventiven Mittel. Das Bundesamt für Polizei muss deren Anordnung zuerst dem Bundesverwaltungsgericht zur Stellungnahme vorlegen. Dann müssen die Vorsteher des EJPD und des VBS den Einsatz bewilligen. Fällt die Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts negativ aus, müsste der Gesamtbundesrat die Überwachung beschliessen. Die Überwachung soll in der Regel nicht länger als sechs Monate dauern und, wenn kein Strafverfahren eingeleitet wird, den Betroffenen mitgeteilt werden. Trotz diesen Einschränkungen kritisierten die Datenschutzbeauftragten die mangelhafte Kontrolle der Staatsschützer und insbesondere die Möglichkeit, auch Personen zu überwachen, bei denen kein konkreter Verdacht auf strafbares Handeln besteht. Auch die übrigen Reaktionen fielen vorwiegend kritisch aus. Nicht nur die Linke, sondern auch die SVP bezweifelten grundsätzlich die Notwendigkeit der neuen Aufklärungsmittel der Nachrichtendienste [11].
In Ausführung eines Postulats der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats aus dem Vorjahr legte der Bundesrat einen Bericht über die „effizientere Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen“ vor [12].
Der Bundesrat erliess im Juli Weisungen über die Organisation der sicherheitspolitischen Führung des Bundes. Ziel dieses Entscheides war die Stärkung der Führungsfähigkeit der Regierung. In Zukunft ist ein aus den Chefs des VBS und des EJPD gebildeter Sicherheitsausschuss des Bundes verantwortlich für die Vorbereitung der sicherheitspolitischen Entscheide des Bundesrates. Als vorberatendes Gremium dient diesem Sicherheitsausschuss eine Lenkungsgruppe Sicherheit. Sie setzt sich zusammen aus Chefbeamten von Bundesstellen, die sich mit sicherheitsrelevanten Fragen befassen  [13].
Der Einsatz von unbemannten Flugzeugen (so genannte Drohnen) zur Überwachung der Landesgrenzen und zur Entlastung des Grenzwachtkorps war nicht unbestritten. In seiner Antwort auf eine Interpellation Banga (sp, SO) über ihren versuchsmässigen Einsatz gestand der Bundesrat zu, dass diese Überflüge mit ihren Film- und Fotoaufnahmen einen Eingriff in die Privatsphäre darstellen können. Der auf die Grenzüberwachung beschränkte Einsatz dieser Drohnen sei aber als verhältnismässig zu beurteilen. Ursprünglich hatte der Bundesrat beabsichtigt, Einzelheiten beim definitiven Einsatz für die nichtmilitärische Überwachung wie etwa die Aufbewahrungsdauer der Aufnahmen und die Einsatzgebiete in einer Verordnung festzuhalten. Später sprach er sich dann für eine gesetzliche Regelung aus. Entsprechende Vorschläge für diese Bestimmungen gab er im Rahmen des Projekts Revision 09 der Armeegesetzgebung Ende Sommer in die Vernehmlassung [14].
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Bürgerrecht und Stimmrecht
Der Bundesrat beantragte dem Parlament im Oktober, die im Vorjahr von der SVP eingereichte Volksinitiative zur Einbürgerungspolitik zur Ablehnung zu empfehlen. Falls die Bundesversammlung der von der parlamentarischen Initiative Pfisterer (fdp, AG) verlangten Gesetzesänderung zustimmen würde, fände diese als indirekter Gegenvorschlag auch die Unterstützung des Bundesrates. Seine Opposition zur Volksinitiative begründete der Bundesrat vorwiegend mit zwei Argumenten: Zum einen sei der neuen Rechtsauslegung des Bundesgerichts Rechnung zu tragen, dass ein Einbürgerungsentscheid kein rein politischer Akt sei, sondern auch rechtsstaatlichen Ansprüchen wie einem Diskriminierungsverbot genügen müsse. Zum andern greife die von der Initiative geforderte absolute Autonomie der Gemeinden bei der Festlegung des kommunalen Einbürgerungsverfahrens in die Kompetenzen der Kantone ein [15].
Auch in den Kantonen und Gemeinden blieb die Regelung der Einbürgerung ein beliebtes Aktionsfeld der SVP. Im Kanton Solothurn reichte sie das Referendum gegen eine Gesetzesrevision ein, weil diese den Entscheid über die zuständige Einbürgerungsinstanz (Kommission, Exekutive oder Gemeindeversammlung) den Gemeinden überlassen wollte. Die Neuerung wurde in der Volksabstimmung gutgeheissen [16]. Ebenfalls erfolglos bekämpfte die SVP in Obwalden das revidierte Einbürgerungsgesetz, welches unter anderem eine Anpassung an die Bundesgerichtsentscheide (Begründungspflicht für eine Ablehnung) vornahm [17].
Bei Einbürgerungen kann es vorkommen, dass die Informationen der Gemeinde- und Kantonalbehörden über Tatsachen, welche zur Ablehnung eines Gesuchs führen könnten, nicht auf dem aktuellen Stand sind. SVP-Nationalrat Freysinger (VS) hatte deshalb mit einer Motion verlangt, dass diese Instanzen auch auf Datenbanken über laufende Strafuntersuchungen und gelöschte Verurteilungen sowie über die Urteilsbegründungen Zugriff erhalten. Trotz der Unterstützung dieses Vorstosses durch den Bundesrat schrieb ihn der Nationalrat wegen Fristüberschreitung ab. Freysinger doppelte gleich nach und wurde auch diesmal vom Bundesrat unterstützt. Der Nationalrat verschob die Behandlung der Motion, nachdem sie von Vertretern der SP und der GP bekämpft worden war [18].
Die Zahl der Einbürgerungen lag mit 47 607 deutlich über dem Vorjahreswert (39 753). Die grösste Gruppe von Eingebürgerten stellte Serbien mit 11 701 Personen, gefolgt von Italien (4591) und der Türkei (3457) [19].
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Im Kanton Glarus machte sich die Regierung das Anliegen der Jungsozialisten zu eigen, das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre zu senken. Bisherige Vorstösse auf kantonaler und nationaler Ebene hatten keinen Erfolg gehabt [20].
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In Neuenburg empfahl die Kantonsregierung eine 2003 eingereichte Volksinitiative für die Erweiterung des Ausländerstimm- und -wahlrechts auf die Wählbarkeit in Kantonsbehörden zur Ablehnung [21].
In Luzern lehnte das Kantonsparlament den Vorschlag der Regierung ab, die Einführung des Ausländerstimmrechts im Rahmen der Volksabstimmung über die neue Kantonsverfassung wenigstens als Variante zu präsentieren [22]. Im Kanton Zürich beantragte die Regierung dem Parlament die Einführung des fakultativen Ausländerstimmrechts auf Gemeindeebene [23].
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Politische Manifestationen
Zu Grossdemonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten kam es im Berichtsjahr praktisch nur in Bern. Nicht weniger als 13 der insgesamt 17 Veranstaltungen fanden in der Bundesstadt statt. Daneben fanden nur noch in Basel, Lausanne, Zürich sowie im bernjurassischen Dorf Reconvilier je eine Massenkundgebung statt. Die grösste Manifestation wurde von Gewerkschaftern in Bern durchgeführt; rund 25 000 Personen protestierten für mehr Lohn. Die zweitgrösste Demonstration fand vor dem Bundeshaus in Bern statt und richtete sich im Vorfeld der Volksabstimmung gegen die Verschärfung des Asylrechts. Aussergewöhnlich war die Manifestation von rund 10 000 Ärztinnen und Ärzten ebenfalls vor dem Bundeshaus, die Mehrzahl in weissen Arztkitteln. Das Hauptkontingent stellten die Hausärzte, welche bessere Arbeitsbedingungen und eine praxisnahe Aus- und Weiterbildung forderten. Nachdem sie während einigen Jahren kaum mehr grössere Protestkundgebungen gegen die Verhältnisse in ihren Heimatländern durchgeführt hatten, wurden nun auch die Flüchtlinge wieder aktiver: Kurden und Tamilen (zweimal) führten in Bern grosse Demonstrationen durch. In mehr oder weniger engem Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt standen vier weitere Grossdemonstrationen auf dem Bundesplatz. Je einmal protestierten rund 3000 Personen für resp. gegen Israel und seine Politik, zweimal gaben Muslime ihrer Empörung über Mohamed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung Ausdruck [24].
Zu ernsthaften Ausschreitungen im Umfeld von politischen Manifestationen kam es einzig bei den seit Jahren fast immer von Unruhen und Strassenkämpfen begleiteten 1. Mai-Feiern der Linken in Zürich [25].
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Strafrecht
Nach der grossen Kammer hiess auch der Ständerat die Änderung des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus gut. Er tat dies einstimmig und diskussionslos [26].
Nach den Terroranschlägen in den USA vom 11.9.2001 hatte der Bundesrat mit den USA eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung vereinbart (so genanntes Operative Working Arrangement, OWA). Am 12. Juli des Berichtsjahres schloss die Schweiz mit den USA ein Abkommen über die polizeiliche Zusammenarbeit in diesem Bereich ab, und der Bundesrat beantragte dem Parlament dessen Genehmigung. Dieses ersetzt das OWA und ergänzt den Staatsvertrag über die gegenseitige Rechtshilfe aus dem Jahre 1973 [27].
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Der Bundesrat beantragte dem Parlament eine formelle Regelung der Entschädigungszahlungen des Bundes an die Kantone für polizeiliche Unterstützungsleistungen (z.B. Stellung von Interventionseinheiten bei Hausdurchsuchungen oder Verhaftungen) zugunsten der Bundeskriminalpolizei. Im Ständerat gaben diese Vorschläge zu keinen grossen Diskussionen Anlass; sie wurden in der Herbstsession einstimmig verabschiedet [28].
Noch vor sechs Jahren hatten sich die kantonalen Polizei- und Justizdirektoren gegen das Begehren der Polizeikorps nach Zulassung von so genannter Deformationsmunition im ordentlichen Polizeidienst (bei besonderen Einsatzeinheiten ist sie bereits im Einsatz) gewandt. Im Berichtsjahr änderten sie nun ihre Meinung und unterstützten dieses Anliegen; sie machten ihren positiven Entscheid aber davon abhängig, dass der Bundesrat diese Munition als völkerrechtskonform beurteilt. Diese Munition sei ihrer Ansicht nach effektiv geeignet, in Notfällen bewaffnete Personen rasch und wirksam ausser Gefecht zu setzen und damit weitere Opfer zu vermeiden. Auch der Chef des Grenzwachtkorps hoffte, vom Bundesrat die Erlaubnis zum Einsatz von Deformationsmunition zu erhalten. Der Bundesrat empfahl eine entsprechende Motion Perrin (svp, NE) zur Annahme und beantwortete damit implizit die Frage nach der Völkerrechtsverträglichkeit positiv. Die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren gaben daraufhin die schrittweise Einführung dieser Munition bekannt. Die Motion selbst wurde von Günter (sp, BE) bekämpft und deshalb vom Nationalrat noch nicht behandelt [29].
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In der Wintersession begann der Ständerat die Beratung der Vorlage über die Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, welche sich über drei Tage erstrecken sollte. Grund für die lange Verhandlungsdauer war nicht die Umstrittenheit der Vorlage an sich, sondern die Vielzahl der von der Rechtskommission vorgeschlagenen Änderungen von prozesstechnischen Details. Diese wurden in der Regel auch vom Bundesrat als Verbesserungen eingestuft und deshalb unterstützt. Nichteintretensanträge gab es keine, und auch Anträge von Kommissionsminderheiten waren selten. Eine der materiell bedeutenderen Änderungen betraf das neue Institut der Mediation im Strafrecht (Art. 316 und 317). Der Vorschlag des Bundesrates, eine solche aussergerichtliche Vermittlung zwischen Opfer und Täter einzuführen, wurde bei Antragsdelikten beibehalten. Bei Offizialdelikten, wo sich der Staat und der Täter gegenüberstehen, setzte sich hingegen ein Kompromissvorschlag durch, welcher den Kantonen erlaubt, sie aber nicht dazu verpflichtet, eine solche Mediationsstelle einzuführen [30].
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Zur Vereinheitlichung der Regeln der Zwangsanwendung bei der Ausschaffung von Ausländern siehe unten, Teil I, 7d (Flüchtlinge).
Beide Parlamentskammern genehmigten ohne Gegenstimmen das UNO-Abkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität sowie die Zusatzprotokolle zur Verhinderung und Bestrafung des Menschenhandels und der Schlepperei [31].
Als Zweitrat befasste sich der Nationalrat mit den Korrekturen bestimmter Bestimmungen der Ende 2002 vom Parlament verabschiedeten, aber vom Bundesrat noch nicht in Kraft gesetzten umfassenden Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs. Bei der Verwahrung bekämpfte die Linke vergeblich die beiden beantragten Verschärfungen. Wie bereits in der kleinen Kammer stiessen sowohl die ausgeweitete Definition der Straftaten, bei welchen eine Verwahrung angeordnet werden kann (solche, die mit minimal fünf statt, wie ursprünglich beschlossen, zehn Jahren Gefängnis bestraft werden), als auch die Möglichkeit der nachträglichen, also nach der Verkündung eines Gerichtsurteils verhängten Verwahrung auf Zustimmung. Nachdem sich der Ständerat bei den wenigen noch verbliebenen Differenzen den Beschlüssen der grossen Kammer angeschlossen hatte, verabschiedete das Parlament die Zusätze in der Frühjahrssession. Der Bundesrat setzte die neuen Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs auf Anfang 2007 in Kraft [32].
Der Bundesrat verzichtete darauf, den elektronisch überwachten Hausarrest für die Verbüssung kürzerer Haftstrafen in die Verordnung zum auf den 1.1.2007 in Kraft gesetzten revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs aufzunehmen und ihn damit definitiv einzuführen. Als Grund gab er an, dass eine Mehrheit der Kantone diesen ablehnten, und dass zudem mit den neuen Strafbestimmungen die kurzen Freiheitsstrafen ohnehin an Bedeutung verlören. Denjenigen Kantonen, welche diese Art des Haftvollzugs ausserhalb von Vollzugsanstalten seit mehreren Jahren praktizieren (BE, BL, BS, GE, SO, TI und VD), erlaubte er, dies weiterhin zu tun [33].
Die Gruppe „Marche blanche“ reichte ihre 2004 lancierte Volksinitiative „für die Unverjährbarkeit von pornografischen Straftaten an Kindern“ im März ein. In einer ersten Stellungnahme empfahl der Bundesrat das Begehren zur Ablehnung. Vor allem auch aus der Sicht der Opfer wäre es seiner Ansicht nach problematisch, wenn bei Prozessen, die sehr lange Zeit nach der Tat stattfinden, die Beweiserbringung derart erschwert wäre, dass sie mit einem Freispruch enden müssten. Die Regierung beauftragte das EJPD, einen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Dieser könnte zum Beispiel den Beginn des Laufens der Verjährungsfrist auf das Mündigkeitsalter ansetzen. Diese Kritik des Bundesrates an der Initiative teilten auch Fachleute. Sie wiesen neben den Schwierigkeiten der Prozessführung auch auf die Unverhältnismässigkeit der Forderung hin, gilt doch das Prinzip der Unverjährbarkeit bisher allein bei Völkermord [34].
Der Ständerat befasste sich als Erstrat mit den Vorschlägen des Bundesrats für die Umsetzung der 2004 angenommenen Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“. In der Eintretensdebatte wurde die Option erwähnt, auf den Erlass von ausführenden Gesetzesbestimmungen zu diesem unklaren und überdies kaum menschenrechtskonformen Verfassungsartikel zu verzichten und die Auslegung den Richtern zu überlassen. Ein entsprechender Nichteintretensantrag unterblieb aber. EJPD-Vorsteher Blocher verteidigte den Erlass einer Ausführungsgesetzgebung auch mit dem Argument, dass diese eine einheitliche Rechtsanwendung ermögliche. Blocher räumte zudem ein, dass diese Bestimmungen wohl nur in ganz seltenen Einzelfällen zur Anwendung kommen würden. Den mit dem Entwurf unzufriedenen Initiantinnen gab er zu bedenken, dass auch dank ihrem Vorstoss bereits heute ein wesentlich strengeres Regime für die Verwahrungen und den Strafvollzug von gefährlichen Straftätern gelte als früher. Der Ständerat folgte, abgesehen von einigen redaktionellen Änderungen, den Anträgen des Bundesrates und hiess die StGB-Revision in der Gesamtabstimmung bei zwei Enthaltungen gut.
Eine klare Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrats fand hingegen, dass sich dieser Verfassungsartikel nicht menschenrechtskonform umsetzen lasse. Seine Anwendung solle deshalb den Richtern, die sich gewohnt sind, zwischen verschiedenen Rechtsgütern abzuwägen, überlassen werden. Mit 16 zu 4 Stimmen beschloss die Kommission, dem Plenum Nichteintreten zu beantragen. Die Initiantinnen lancierten eine Petition, in der sie gegen diesen Nichteintretensantrag, aber auch gegen die vom Ständerat beschlossene Version protestieren. Sie verlangten, dass der in die Verfassung aufgenommene Initiativtext vollständig und ohne irgendwelche Einschränkungen umgesetzt wird [35].
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Die vom Nationalrat im Vorjahr beschlossenen zivilrechtlichen Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie und in eheähnlichen Partnerschaften fanden auch im Ständerat Zustimmung. Er lehnte es aus föderalistischen Gründen aber ab, den Kantonen vorzuschreiben, dass sie Beratungsstellen einrichten müssen. Der Nationalrat übernahm in der Differenzbereinigung diese Streichung [36].
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Nachdem im Vorjahr ein Vorentwurf für eine Verschärfung der strafrechtlichen Mittel zur Bekämpfung der Geldwäscherei an der heftigen Kritik im Vernehmlassungsverfahren gescheitert war, skizzierte Bundesrat Merz im September die Grundzüge einer neuen, massiv abgespeckten Vorlage. Den Einbezug von Vortaten zur Geldwäscherei wie gewerbsmässiger Schmuggel, Produktepiraterie oder Börsenkursmanipulationen behielt er bei. Neu soll auch für nicht zustande gekommene Geschäfte mit Verdacht auf Geldwäscherei eine Meldepflicht bestehen. Bei unbedeutenden Transaktionen sollen die Finanzintermediäre hingegen von den Sorgfaltspflichten entbunden werden [37].
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Als Zweitrat stimmte auch der Ständerat den Vorschlägen der Regierung zur Schaffung von neuen gesetzlichen Grundlagen für die Bekämpfung von Gewalt bei und im Umfeld von Sportveranstaltungen zu. Ähnlich wie der Bundesrat hegte er jedoch Zweifel, ob der Bund überhaupt berechtigt sei, derartige an sich in den kantonalen Kompetenzbereich gehörende polizeiliche Massnahmen (etwa Rayonverbote oder die Beschlagnahmung von Propagandamaterial ohne Abstützung auf ein Strafurteil) zu erlassen. Er lehnte zuerst mit 33 zu 10 Stimmen einen Antrag Pfisterer (fdp, AG) ab, die Vorlage an die Kommission zurückzuweisen mit der Auflage, nur eindeutig verfassungskonforme Massnahmen vorzuschlagen. Er beschloss dann aber, das Gesetz zu befristen, wie dies im Nationalrat der Bundesrat vergeblich beantragt hatte. Dabei verlängerte er die Geltungsdauer gegenüber dem Entwurf des Bundesrates um ein Jahr auf Ende 2009, damit die neuen Bestimmungen auch noch während der in der Schweiz stattfindenden Eishockey-Weltmeisterschaft vom Frühjahr 2009 anwendbar sind. Der Nationalrat sprach sich in der Differenzbereinigung ebenfalls für die Befristung aus. In der Schlussabstimmung wurden die neuen Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalt im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen deutlich angenommen. Dagegen stimmten im Nationalrat die geschlossenen Grünen und eine klare Mehrheit der SP. Im Anschluss an ihre Beratungen verabschiedeten beide Kammern eine Motion der Rechtskommission des Ständerates, mit welcher sie den Bundesrat beauftragten, für die eben beschlossenen befristeten Massnahmen eine dauerhafte Lösung zu finden. Dies könne gemäss Motionstext durch die Schaffung von entsprechenden, in der Verfassung festgelegten Bundeskompetenzen im Polizeibereich geschehen, oder aber durch den Abschluss eines Konkordates unter den Kantonen [38].
Gegen die neuen Bestimmungen ergriffen organisierte Fans diverser Fussball- und Eishockeyclubs das Referendum. Sie warnten vor Willkürentscheiden und vor einer Kriminalisierung jugendlicher Fans. Obwohl SP und Grüne das Gesetz im Parlament bekämpft hatten, unterstützten sie die Unterschriftensammlung nicht, da es sich nicht um ein prioritäres Anliegen ihrer Parteien handle. Nach massiven Ausschreitungen im Anschluss an ein Fussballspiel in Basel erlahmte die Unterschriftensammlung, die schon vorher nicht allzu erfolgreich verlaufen war, und das Referendum kam nicht zustande. Der Bundesrat beschloss, das neue Gesetz auf Anfang 2007 in Kraft zu setzen [39].
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Mit der Überweisung einer Motion Schweiger (fdp, ZG) sprach sich der Ständerat für die Verschärfung der strafgesetzlichen Bestimmungen im Kampf gegen verbotene pornografische Darstellungen im Internet (v.a. Kinderpornografie) aus. Der Vorstoss fordert insbesondere, dass nicht nur der Besitz derartiger Filme und Bilder verboten ist, sondern bereits der absichtliche Konsum. Um die Strafverfolgung zu erleichtern, soll zudem die Aufbewahrungspflicht für die Logbuchdateien der Internetanbieter von sechs auf zwölf Monate verlängert werden. Der Nationalrat behandelte diese Motion noch nicht, stimmte aber einer Motion Hochreutener (cvp, BE) zu, welche verlangt, dass dieselben Mittel auch im Kampf gegen extreme Gewaltdarstellungen zur Anwendung kommen [40].
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Der Ständerat überwies eine vom Nationalrat 2005 gutgeheissene Motion Gysin (sp, BS), welche Personen, die über eventuelle Straftaten wie Korruption an ihrem Arbeitsplatz informieren (so genannte Whistleblower) vor Entlassung schützen will. Da der Ständerat auf Antrag seiner Rechtskommission einige Präzisierungen am Motionstext vornahm, muss der abgeänderte Vorstoss noch einmal vor die grosse Kammer. Die wichtigste Präzisierung betraf die Feststellung, dass dieser Schutz vor Entlassung oder anderen arbeitsrechtlichen Sanktionen nur dann gelten soll, wenn der Whistleblower zuerst firmenintern, dann die Strafbehörden und erst am Schluss, sozusagen als Ultima Ratio, die Öffentlichkeit über die verdächtigen Vorgänge informiert hat [41].
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Im Januar legte der Bundesrat seine Botschaft für eine Teilrevision des Waffengesetzes vor. Dabei geht es um die Ausmerzung von Unzulänglichkeiten beim Vollzug des 1999 teilrevidierten Gesetzes durch die Kantone. Wie von mehreren parlamentarischen Vorstössen verlangt, schlug die Regierung zudem vor, dass auch Soft-air-guns und Imitationen dem Waffengesetz unterstellt werden sollen. Genau definiert wird ferner, wann Messer und Dolche als Waffe im Sinne des Waffengesetzes zu betrachten sind. Um die Begehung von Gewalttaten zu verhindern, sollen zudem die Polizei oder die Zollbehörden bei Verdachtfällen auch auf dem Körper getragene potentielle Waffen wie Baseball-Schläger, Fahrradketten oder Metallrohre einziehen können. Im Bereich der Kontrolle beantragte der Bundesrat rechtliche Grundlagen für eine Datenbank über den Entzug und die Verweigerung von Waffentrag- und -erwerbsbewilligungen sowie für den Datenaustausch zwischen dem Bundesamt für Polizei und dem VBS über Personen, denen die Armeewaffe überlassen worden ist. Auf das in der Vernehmlassung heftig kritisierte nationale Waffenregister soll hingegen verzichtet werden. Nicht in der Botschaft enthalten sind Neuerungen, die bereits mit der Zustimmung zum Schengen-Abkommen mit der EU eingeführt worden sind. Diese Teilrevision des Waffengesetzes war integrierender Teil des Bundesbeschlusses über die Umsetzung des Beitritts zum Schengen-Abkommen gewesen und damit in der Volksabstimmung vom 5. Juni 2005 angenommen worden. Es war dabei insbesondere darum gegangen, dass nicht nur beim Kauf in einem Waffengeschäft, sondern auch beim Erwerb einer Waffe von einer Privatperson ein Waffenerwerbsschein erforderlich ist. Ausgenommen von dieser Regelung blieben Sport- und Jagdwaffen, bei denen neuerdings aber die Kopie eines schriftlichen Kaufvertrags an die kantonale Meldestelle geschickt werden muss [42].
Bereits in der Sommersession kam das Geschäft in den Ständerat und wurde gutgeheissen. Grundsätzliche Opposition war keine auszumachen, und die Abweichungen zur Bundesratsvorlage waren von untergeordneter Bedeutung. In der Herbstsession begann der Nationalrat mit seinen Verhandlungen, die er allerdings im Berichtsjahr noch nicht abschliessen konnte. Nachdem Eintreten unbestritten war, lehnte er Vorstösse der Linken für strengere Regeln und insbesondere für die Einführung eines Bedarfsnachweises für Personen, die nicht Sportschützen oder Jäger sind, ab [43].
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Zivilrecht
Im Juni legte der Bundesrat seinen Entwurf für eine neue, einheitliche Zivilprozessordnung vor. Diese soll die 26 kantonalen Verfahrensordnungen ersetzen. Die Organisation der Gerichte bleibt Sache der Kantone, und sie behalten auch die Kompetenz, Fachgerichte – wie z.B. Handels-, Miet- oder Arbeitsgerichte – einzurichten resp. beizubehalten. Im Zentrum der Reform steht neben der Vereinheitlichung eine verbesserte Transparenz. Für Fälle von geringerem Streitwert sollen vereinfachte Verfahren zum Zuge kommen, und obligatorische Mediationsverfahren sollen vermehrt zu einer aussergerichtlichen Erledigung eines Streites führen [44].
Die Rechtskommission des Nationalrats präsentierte ihre Vorschläge zur Konkretisierung der 2003 vom Ratsplenum gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Frey (fdp, NE) zur Zuständigkeitsordnung bei internationalen zivilrechtlichen Streitigkeiten. Sie beantragte, das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht um eine Bestimmung zu ergänzen. Diese sieht vor, dass ein angerufenes Schiedsgericht unabhängig von einer an einem anderen Gerichtsstandort in derselben Sache eingereichten Klage über seine Zuständigkeit beschliesst. Damit soll vermieden werden, dass die Schiedstätigkeit durch eine zusätzliche Klageeinreichung blockiert werden kann. Der Bundesrat stellte sich hinter diesen Antrag, und beide Parlamentskammern hiessen ihn gut [45].
Zur Revision des Vormundschaftsrechts siehe unten, Teil I, 7d (Familienpolitik).
Zu den diversen Revisionen des OR bezüglich den Bestimmungen über Aktiengesellschaften, Trusts und andere Unternehmensformen siehe unten, Teil I, 4a (Gesellschaftsrecht).
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Weiterführende Literatur
Ehrensperger, Elisabeth, Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Modellfall der Deliberation, Baden-Baden (Diss. Bern) 2006.
Schefer, Markus, Die Beeinträchtigung von Grundrechten: Zur Dogmatik von Art. 36 BV, Bern 2006.
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Dongois, Nathalie / Killias, Martin (Hg.), L’américanisation des droits suisse et continentaux, Genève 2006.
Juchli, Philipp e.a. (Hg.), Auswirkungen des Terrorismus auf Recht, Wirtschaft und Gesellschaft, Bern 2006.
Schindler, Benjamin e.a. (Hg.), Aus der Werkstatt des Rechts: Festschrift zum 65. Geburtstag von Heinrich Koller, Basel 2006.
Sobotich, Viviane, „Demonstrationsbewilligung und Mediation?“, in Schweizer Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht, 2006, S. 173-92.
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Berger, Bernhard / Kellerhals, Franz, Internationale und interne Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, Bern 2006.
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[1] Siehe dazu unten, Teil I, 2 (ONU) sowie Presse vom 19.6. und 20.6.06.
[2] BBl, 2007, S. 265 ff.; TA, 4.1.06 (Vernehmlassung).
[3] AB NR, 2006, S. 1594. Vgl. SPJ 2005, S. 18.
[4] Türkei: Presse vom 5.10. und 6.10.06. Siehe dazu auch unten, Teil I, 2 (Relations bilatérales). Die Beziehungen zwischen der Türkei und der Schweiz waren wegen der Verurteilung von Türken durch Schweizer Gerichte getrübt. Die Angeklagten hatten in der Schweiz öffentlich den Völkermord an den Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgestritten. Arbeitsgruppe: LT, 10.10.06; SoZ, 12.11.06; SGT, 19.10.06; BaZ, 20.10.06; Blick, 23.11.06. SVP: Presse vom 17.11.06; Mo. 05.3013.
[5] AB NR, 2006, S. 135 ff. und 512; AB SR, 2006, S. 251 und 300; BBl, 2006, S. 3547 ff. und 3649 f. (Beitritt der Schweiz zum Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über den Datenschutz beim grenzüberschreitenden Datenaustausch). Siehe auch SPJ 2005, S. 18 f.
[6] BBl, 2006, S. 501 ff.; AB SR, 2006, S. 242 ff., 245, 405 und 618; AB NR, 2006, S. 722 ff., 731 ff. und 1147; BBl, 2006, S. 5777 ff.; Bund, 7.6.05; Einwände: Hanspeter Thür, „Der Pferdefuss der neuen AHV-Nummer“, in NZZ, 27.5.06. Siehe SPJ 2005, S. 19.
[7] AB SR, 2006, S. 242 ff., 245 ff., 405 und 619; AB NR, 2006, S. 722 ff., 734 ff. und 1148; BBl, 2006, S. 5789 ff. sowie 8659 (Kreditbeschluss). Siehe SPJ 2005, S. 19.
[8] BBl, 2007, S. 53 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 19 f. Siehe auch die Interpellation Bieri (cvp, ZG) in AB SR, 2006, S. 249 ff. und I, Beilagen, S. 57 ff. Die Präsentation eines Alternativvorschlags hatte NR Gutzwiller (fdp, ZH) mit einer im Berichtsjahr noch nicht behandelten Motion verlangt (SPJ 2005, S. 20).
[9] AB NR, 2006, III, Beilagen, S. 528 f. und 538 f.
[10] BBl, 2006, S. 5061 ff. (Botschaft); LT, 23.11.06 (Pilotversuch).
[11] BBl, 2006, S. 6304; Presse vom 6.7.06. Datenschützer: BaZ, 9.9.06; NZZ, 10.10.06. Parteien: NZZ, 14.10.06.
[12] BBl, 2006, S. 5693 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 20.
[13] BBl, 2006, S. 6641 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 20.
[14] Versuche: AB NR, 2005, III, Beilagen, S. 362. Siehe dazu auch SN, 9.2.06; TA, 10.2.06. Vernehmlassung: TG, 28.8.06. Siehe auch die Antwort von BR Merz auf zwei vom NR abgelehnte Motionen Schlüer und Fehr (beide svp, ZH) für eine Aufstockung des Grenzwachtkorps (AB NR, 2005, S. 600 ff.).
[15] BBl, 2006, S. 8955 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 21.
[16] SZ, 25.9.06.
[17] SGT, 11.5.06; AZ, 22.5.06.
[18] AB NR, 2006, S. 1592 und 2027 (BR in Beilagen, IV, S. 159 f. und V, S. 344 f.).
[19] Mitteilung des BA für Migration.
[20] TA, 11.8.06. Für den letzten Versuch auf Bundesebene siehe SPJ 2000, S. 24.
[21] LT, 5.10.06. Vgl. SPJ 2003, S. 21.
[22] NLZ, 14.9.06. Vgl. SPJ 2005, S. 23.
[23] NZZ und TA, 2.6.06.
[24] Kundgebungen mit mindestens 1000 Beteiligten (ohne 1. Mai-Demonstrationen): Bern: BZ, 11.2. (1000/Muslime gegen Karikaturen); BZ, 13.2. (1000/Muslime gegen Karikaturen); Bund, 20.3. (1500/Kurden); Bund, 3.4. (1000/gegen Faschismus); Bund, 3.4. (10 000/Ärzte); BZ, 10.4. (2500/Unterstützung des Streiks in Reconvilier); Bund, 30.5. (2000/Tamilen); Bund, 19.6. (11 000/gegen Asylgesetzrevision); Lib., 19.6. (1500/gegen Erhöhung der Schwerverkehrsabgabe); Bund, 31.7. (3000/gegen Israel); Bund, 22.8. (1500/Tamilen); Bund, 25.9. (25 000/Gewerkschafter für mehr Lohn); Bund, 2.10. (3000/Christen pro Israel). Basel: BaZ, 30.1. (1500/gegen WEF). Lausanne: Lib., 6.10. (1000/Staatspersonal). Reconvilier (BE): QJ, 13.2. (10 000/Unterstützung für Streik). Zürich: NZZ, 28.11. (2000/Staatspersonal).
[25] NZZ und TA, 2.5.06.
[26] AB SR, 2006, S. 254 ff. und 301; AB NR, 2006, S. 514; BBl, 2006, S. 3647 f. Vgl. SPJ 2005, S. 24.
[27] BBl, 2006, S. 7781 ff.; NZZ und TA, 4.5.06; NZZ, 13.7. und 7.9.06. Zum OWA siehe SPJ 2002, S. 73. Siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Schlüer (svp, ZH) zu den Themen Gefährdungsanalyse und Stand der Vorbereitung der Behörden auf die Bewältigung von Terrorschäden (AB NR, 2006, I, Beilagen, S. 511 f.).
[28] BBl, 2006, S. 4225 ff.; AB SR, 2006, S. 795 ff.
[29] Bund, 24.1.06; BZ, 31.3.06; TA, 7.4.06 (Polizeidirektoren und Grenzwachtkorps). Motion Perrin: AB NR, 2006, S. 1112 und III, Beilagen, S. 654 f.; LT, 14.6.06; NZZ, 26.6.06.
[30] AB SR, 2006, S. 982 ff.; Presse vom 7.12.06. Vgl. SPJ 2005, S. 25.
[31] AB SR, 2006, S. 253 f. und 618; AB NR, 2006, S. 882 f. und 1146; BBl, 2006, S. 5883 f. Vgl. SPJ 2005, S. 25.
[32] AB NR, 2006, S. 144 ff., 214 ff. und 515 f.; AB SR, 2006, S. 251 ff. und 302; BBl, 2006, S. 3557 ff. Siehe SPJ 2005, S. 25 f. Für eine Kritik am Hinauszögern der Inkraftsetzung durch den BR siehe AB NR, 2006, IV, Beilagen, S. 308 f. und 344 ff. Zu den Hauptelementen des neuen Strafrechts siehe Bund, 19.12.06; LT, 27.12.06; NZZ, 29.12.06. Zum gleichzeitig in Kraft gesetzten neuen Jugendstrafgesetz siehe NZZ, 28.12.06.
[33] BBl, 2007, S. 375 f.; NZZ, 30.9.06; BaZ, 4.10.06; Bund, 15.11. und 22.12.06. Siehe SPJ 2005, S. 27.
[34] BBl, 2006, S. 3657 f.; BaZ, Express und 24h, 2.3.06; BaZ, 3.3.06 (Fachleute); NZZ und TA, 2.11.06 (BR). Siehe SPJ 2004, S. 25.
[35] AB SR, 2006, S. 45 ff.; TA, 21.6.06; Bund und NZZ, 25.11.06 (Rechtskommission NR). Initiantinnen: Blick, 4.12.06; NZZ, 13.12.06. Siehe auch Daniel Jositsch, „Hürdenreiche Umsetzung“, in NZZ, 20.2.06. Vgl. SPJ 2005, S. 26.
[36] AB SR, 2006, S. 257 ff. und 616; AB NR, 2006, S. 898 ff. und 1144; BBl, 2006, S. 5745 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 27 f.
[37] Bund und NZZ, 30.9.06. Vgl. SPJ 2005, S. 27. Zur Revision des Gesetzes gegen Insidergeschäfte siehe unten, Teil I, 4b (Banken, Börsen und Versicherungen).
[38] AB SR, 2006, S. 15 ff. und 303 sowie 25 (Motion); AB NR, 2006, S. 139 ff. und 516 sowie 144 (Motion); BBl, 2006, S. 3559 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 28. Zu den Überlegungen des BR über die zukünftige föderalistische Aufgabenteilung im Polizeiwesen siehe auch AB NR, 2006, V, Beilagen, S. 197 ff. Zur Kritik am Gesetz aus Sicht des Datenschutzes siehe NZZ, 12.6.06.
[39] TA, 18.4., 20.4., 4.5. (SP, GP) und 28.6.06; BaZ, 19.4. und 10.7.06; BZ, 19.4. und 11.7.06; Presse vom 15.5.06 (Ausschreitungen in Basel). In der Region Basel unterstützten die SP-BL und die Gruppierung BastA das Referendum (BaZ, 10.7.06).
[40] Motion Schweiger: AB SR, 2006, S. 397 ff.; 24h, 4.4.06. Motion Hochreutener: AB NR, 2006, S. 2027. Siehe auch TG, 10.6.06; BZ, 14.6.06.
[41] AB SR, 2006, S. 264 f. Siehe SPJ 2005, S. 27.
[42] BBl, 2006, S. 2713 ff.; Presse vom 12.1.06. Vgl. SPJ 2004, S. 26 (schengeninduzierte Änderungen) und 2005, S. 26. Zum Waffengesetz von 1999 siehe SPJ 1997, S. 35 f.
[43] AB SR, 2006, S. 361 ff.; AB NR, 2006, S. 1351 ff.; Presse vom 9.6. und 28.9.06. Zur wieder intensiver gewordenen Diskussion über die Aufbewahrung der Militärordonanzwaffe im Privathaushalt siehe unten, Teil I, 3 (Organisation militaire).
[44] BBl, 2006, S. 7221 ff.; Presse vom 30.6.06. Vgl. SPJ 2004, S. 26.
[45] BBl, 2006, S. 4677 ff. und 4691 ff. (BR); AB NR, 2006, S. 911 f. und 1600; AB SR, 2006, S. 800 f. und 922; BBl, 2006, S. 8311. Vgl. SPJ 2005, S. 29.
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