APS-Jahresrückblick 2021
Von Marc Bühlmann, Anja Heidelberger und Marlène Gerber
Was wird vom vergangenen Jahr im kollektiven Gedächtnis bleiben? Die Lektüre der Überblicke aller Themenbereiche von Année Politique Suisse (APS) fördert drei sich in vielen Themenbereichen wiederfindende Hauptpunkte zu Tage: die Covid-19-Pandemie, Diskussionen um Gräben in der Gesellschaft und die Auswirkungen der direkten Demokratie.
Covid-19 trieb Politik, Gesellschaft und Medien vor sich her. Stundenlange Beratungen im Parlament, lautstarke Kritik an den Massnahmen, zwei Referenden und eine den Ansteckungswellen folgende Flut von Artikeln in den Medien – kein Thema hat im vergangenen Jahr über so lange Zeit so sehr bewegt wie die Pandemie. Der Streit um die Massnahmen gegen das Virus wurde denn auch vielfach als Indiz für eine zunehmende Spaltung in der Gesellschaft betrachtet. Wie in anderen Jahren auch manifestierten sich Gräben insbesondere auch aufgrund der direkten Demokratie, die nicht nur Anlass für emotionale Kampagnen bot, sondern auch unterschiedliche Einstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zutage förderte. Insgesamt wurden sich die medialen Kommentatorinnen und Kommentatoren deshalb nicht einig, ob die direkte Demokratie zu einer Verstärkung der Gräben führt oder ob sie nicht vielmehr bestehende Gräben offenlegt und dabei gar zu deren Abschwächung beitragen kann.
Covid 19
Auch 2021 setzte sich das Parlament mit der Covid-19-Pandemie auseinander – konkret mit den dem Pandemieverlauf geschuldeten Revisionen des Covid-19-Gesetzes. Insgesamt dreimal widmete es sich der Aufdatierung der Massnahmen, wobei es jeweils zu heftigen Diskussionen um die Frage kam, wie der Pandemie am besten begegnet werden könne. Insbesondere die – nach der im Dezember 2020 verabschiedeten ersten Revision – bereits im Frühjahr angegangene zweite Revision des Covid-19-Gesetzes war sehr umstritten, zumal sie in die Höhephase der Diskussionen um die Öffnungsschritte nach der zweiten Covid-19-Welle fiel. In der dritten (Sommersession) und insbesondere in der vierten Revision (Wintersession) verlängerte das Parlament der epidemiologischen Realität folgend Teile der bisherigen Massnahmen – auch über die ursprüngliche Gültigkeit des Covid-19-Gesetzes bis Ende 2021 hinaus.
Wie sehr das Parlament eben ein Spiegel der Gesellschaft ist, zeigte sich in den zahlreichen teilweise heftig geführten öffentlichen Auseinandersetzungen zum Thema Covid-19. Gleich zweimal wurde gegen das Covid-19-Gesetz bzw. dessen Revision das Referendum ergriffen. Der Verein «Freunde der Verfassung», einer von zahlreichen neuen politischen Covid-19-Protestbewegungen, die in den letzten Monaten gegründet wurden, war dabei bei beiden Unterschriftensammlungen federführend. Es kam damit zur paradoxen Situation, dass im Juni und im November über ein Gesetz abgestimmt wurde, das in der Zwischenzeit jeweils bereits wieder revidiert worden war. In beiden Fällen hiess die Stimmbevölkerung das Gesetz mit über 60 Prozent Ja-Stimmen gut. Im teilweise sehr emotional geführten Abstimmungskampf, der überdies von zahlreichen, durch Massnahmenskeptikerinnen und -skeptiker organisierte Demonstrationen begleitet wurde, zeigte sich die schiere Unmöglichkeit, der Krise in einer Form zu begegnen, die alle Beteiligten zufrieden stellen würde. Als hauptsächlicher Zankapfel entpuppte sich dabei vor allem das Thema «Impfung»: War man zu Beginn der Pandemie noch davon ausgegangen, die Krise durch einen breiten Einsatz verschiedener Vakzine rasch beenden zu können, zeigte sich bald, dass sich die schon früh in Umfragen ermittelte relativ breite Impfskepsis nicht vollständig legen oder gar beseitigen lassen würde. Ende 2021 war knapp ein Drittel der Schweizer Bevölkerung nicht gegen Covid-19 geimpft, ein Rekordwert in Europa.
Die von zahlreichen Interessenorganisationen beeinflussten Debatten im Rahmen von Covid-19 drehten sich jedoch nicht nur um die Impfung. Regelmässig wurde auch über den Föderalismus bzw. über die Frage, welche Kompetenzen die Kantone in der Pandemie haben sollen, gestritten: Dürfen Kantone auch in einer Krise als Labor für neue, innovative Ideen gelten oder sollte während einer Krise besser zentralistisch entschieden werden? Viel Anlass für Streit gab Covid-19 auch im Rahmen der Wirtschaftspolitik, die zwar im Parlament weniger zu tun gab als im Vorjahr (vgl. Abbildung 2 zu den behandelten Parlamentsgeschäften im Anhang), bei der es aber fast epische Auseinandersetzungen um die Frage gab, wann Terrassen von Restaurants geöffnet werden dürfen oder wie der Ausstieg aus dem Lockdown geregelt werden soll, auch um den Tourismus nicht weiter als nötig einzuschränken. Heftig waren auch die Diskussionen zwischen Befürwortenden und der Gegnerschaft von Maskentragepflicht und Teststrategien in den Schulen oder die Debatten um die Unterstützungsmassnahmen für Kulturschaffende.
Aber auch in weiteren Themenbereichen kam es zu Pandemie-bedingten Auswirkungen. Dank der Erhöhung der Härtefallgelder wurde der Streit um die Geschäftsmieten im Jahr 2021 jedoch deutlich weniger hitzig geführt als noch im Vorjahr. Für einige Belustigung sorgte die Rekrutenschule im Frühjahr, die über eine kurze Zeit in Form von Home-Schooling durchgeführt wurde. Einen eigentlichen Schub bedeutete die Pandemie schliesslich für die Förderung von Homeoffice und allgemein für die Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt, bei der auch der Bund mit gutem Beispiel vorangehen möchte.
Ob all diesen politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen vermag es kaum zu verwundern, dass kein anderes Thema in den Printmedien mit Abstand so viel Aufmerksamkeit erhielt wie die Pandemie und die damit verbundenen Ereignisse (vgl. Abbildung 1 zur Medienentwicklung im Anhang). Zwar ging der Anteil Artikel zu diesem Thema im Vergleich zum Vorjahr ein wenig zurück, noch immer aber war fast jeder fünfte Zeitungsartikel in der APS-Mediendokumentation 2021 Covid-19 gewidmet. Interessant ist dabei, dass die Konjunktur der Berichterstattung fast parallel zur Entwicklung der Fallzahlen (Abbildung 4 im Anhang) verläuft.
In den Medien kaum zu reden gab hingegen die finanzielle Unterstützung des öffentlichen Verkehrs, der von der Covid-19-Krise aufgrund des Passagierrückgangs stark betroffen war. Überhaupt weckte die Finanzierung der Krisenfolgen, für die das Parlament für das Jahr 2021 fast CHF 25 Mrd. bewilligte – der Grossteil davon für Ausgaben für Kurzarbeits- und Erwerbsausfallentschädigungen –, kaum öffentliche Debatten. Mediale Diskussionen flammten höchstens kurz auf, als Begehrlichkeiten auf die zusätzlichen Nationalbankgewinne wach wurden, mit denen die Pandemiefolgen abgefedert werden könnten.
Verschärfte Konflikte
Im Vergleich zu früheren Jahren besonders virulent waren 2021 auch die Diskussionen über eine Verschärfung verschiedener Konflikte und gar über eine allfällige Spaltung der Gesellschaft. Sehr viel Druckerschwärze wurde etwa für die Berichterstattung über die zahlreichen Demonstrationen der Covid-Massnahmen-Gegnerinnen und -Gegner verwendet. Nachdem es in mehreren Städten zu Manifestationen und vor allem in Bern zu Ausschreitungen und Demonstrationsverboten gekommen war, befürchteten die Medien eine zunehmende Radikalisierung der Massnahmengegnerinnen und -gegner. Aber auch diese befürchteten eine Spaltung der Gesellschaft, zumal sie sich aufgrund der eingeführten Zertifikatspflicht von der Teilhabe am öffentlichen Leben ausgeschlossen fühlten.
Im Frühjahr publizierte Zahlen des Fedpol aus dem Jahr 2020 zeigten, dass Bedrohungen gegen Bundesbehörden und Politikerinnen und Politiker mit Ausbruch und Fortschritt der Pandemie zugenommen hatten. Aber auch während des Abstimmungskampfes zu den Agrarinitiativen im Juni 2021 kam es zu Bedrohungen gegen Befürwortende der Initiative.
Ob der lauten und hitzig geführten Diskussionen rund um die Covid-19-Gesetzesrevisionen muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass die Schweiz das einzige Land ist, in dem die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über einen Teil der Pandemiemassnahmen abstimmen konnten. Wurde der direkten Demokratie diesbezüglich jüngst teilweise unterstellt, dass sie neue Gräben schaffe, besteht durchaus auch die Möglichkeit, dass sie stattdessen eine verstärkte gesellschaftliche Debatte und womöglich gar eine Versachlichung der Politik erlaubt. In dem Sinne könnte sich die Möglichkeit der Abstimmung über die Corona-Politik zumindest mittel- bis längerfristig vielmehr als Ventil für aufgestauten politischen Druck erweisen.
Nicht nur an geeigneten Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie spalteten sich 2021 die Meinungen. Wie bereits bei anderen Abstimmungen in den letzten Jahren manifestierte sich auch in diesem Jahr bei einigen Abstimmungen ein Graben zwischen Stadt und Land. Neben der Pestizid- und Trinkwasserinitiative offenbarte sich dieser auch beim überraschend abgelehnten CO2-Gesetz. Politisiert wurde der Stadt-Land-Graben im Nachgang zu diesen Abstimmungen von der SVP, die im Rahmen von 1.-August-Reden einen Bruch zwischen Stadt und Land ausmachte und dies dem «Schmarotzertum» der Städte und der städtischen Arroganz von «Luxus-Sozialisten und Bevormunder-Grünen» zuschrieb.
Die meisten Gräben, über die im Jahr 2021 diskutiert wurden, waren jedoch alles andere als neu. Gerade der Graben in der Klimapolitik hatte in früheren Jahren, insbesondere im Jahr 2019, zu deutlich stärkeren innenpolitischen Auseinandersetzungen geführt als im Berichtsjahr, wie sowohl die Anzahl Demonstrationen zu diesem Thema als auch der Anteil Zeitungsberichte (vgl. Abbildung 1 im Anhang) oder eingereichter Vorstösse im Parlament (vgl. Abbildung 3 im Anhang) verdeutlichten. Unklar blieb nun diesbezüglich, wie die Klimastrategie des Bundes nach dem Nein zum CO2-Gesetz umgesetzt werden soll. Die klare Ablehnung entsprechender Vorstösse im Parlament verdeutlichte, dass Anliegen zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Finanzwirtschaft noch immer einen schweren Stand haben. Insgesamt scheint die Klimapolitik im Vergleich zu früheren Jahren etwas an Virulenz verloren zu haben. Ausnahme war die starke mediale Beachtung von Umweltschutzfragen im Rahmen der erwähnten Vorlagen des Urnengangs im Juni (vgl. Abbildung 5 im Anhang).
Ein neues Kapitel wurde zu einem seit langer Zeit virulenten Graben der Schweiz geschrieben: zur Frage der Beziehung zur EU. Wohl auch weil innenpolitisch keine Einigkeit über das weitere Vorgehen herrschte, wurden die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU beendet. Freilich bleibt auch nach dem Abbruch höchst umstritten, wie es in den Beziehungen zur EU weitergehen soll. Insbesondere für die Energiepolitik wäre aber eine funktionierende Beziehung zur supranationalen Organisation von grosser Wichtigkeit, um die 2021 in Politik und Medien breit diskutierte mögliche Stromknappheit zu bekämpfen. Mit Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen rückte auch eine Assoziierung der Schweiz an das Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe 2021-2027 wieder weiter in die Ferne.
Und wie gross ist der Graben nach wie vor in der Gleichstellungspolitik? Auch 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts ist die tatsächliche Gleichberechtigung noch nicht verwirklicht, was zuletzt im Rahmen der Frauensession oder anlässlich der offiziellen Feier zum Stimmrechts-«Jubiläum» betont wurde. Inwiefern die vom Bundesrat im April erstmals präsentierte nationale Gleichstellungsstrategie zur Verbesserung der Situation beitragen wird, blieb dabei umstritten. Nicht zuletzt verbleibt auch auf kantonaler und kommunaler Ebene Handlungsbedarf hinsichtlich der politischen Repräsentation von Frauen: Zwar kam es 2021 in Neuenburg zu einer Premiere – erstmals sitzen in einem kantonalen Parlament mehr Frauen als Männer –, im Kanton Wallis wurde im selben Jahr aber ein reines Männergremium in die Regierung bestellt – wie es ebenso in sechs weiteren Kantonen (AG, AR, GR, LU, TI, UR) aktuell besteht.
Einige Beispiele aus dem Jahr 2021 verdeutlichen nun aber, dass Auseinandersetzungen letztlich auch den Treibstoff von Politik darstellen und Gräben zumindest nicht für alle Zeit unüberbrückbar bleiben. So stiessen etwa einige Bestrebungen für einen Ausbau erneuerbarer Energien im Parlament im Unterschied zu früher neuerdings kaum mehr auf Widerstand. Auch die Verbesserung der sozialen Absicherung von Bäuerinnen scheint letztendlich mehrheitsfähig zu werden: Trotz der Sistierung der Agrarpolitik 22+ wurden mehrere parlamentarische Vorstösse zur Verbesserung der Situation von Bäuerinnen mit grosser Mehrheit angenommen. Wie Gräben langfristig zugeschüttet werden, zeigte auch das Beispiel «Moutier»: Die Bernjurassische Stadt entschied im März 2021, vom Kanton Bern in den Kanton Jura zu wechseln, was auch national für grosses Medieninteresse sorgte, weil damit der jahrzehntelange institutionalisierte Prozess zur sogenannten «Jura-Frage» endete. Eine hochemotionale Frage konnte so letztlich friedlich geregelt werden. Auch dass im Jahr 2021 die Ehe für alle – lange Zeit ein durchaus emotionales und umstrittenes Thema – von beinahe zwei Dritteln der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger angenommen wurde, verdeutlicht, dass sich Gräben im Laufe der Zeit auch schliessen können. Schliesslich gab es 2021 auch mindestens zwei sportliche Ereignisse, die ein Gefühl nationaler Einigkeit zu evozieren vermochten: die Erfolge der Schweizer Sportlerinnen und Sportler bei den olympischen Sommerspielen und bei der Fussball-EM.
Direkte Demokratie
Auch 2021 wurden viele politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mithilfe der direkten Demokratie ausgetragen. Dies zeigt sich etwa in der APS-Zeitungsanalyse (Abbildung 5 im Anhang), welche für die meisten Abstimmungsthemen jeweils in den Wochen vor dem entsprechenden Urnengang eine überdurchschnittliche hohe mediale Aufmerksamkeit ausweist. Dass die Medien auch künftig einer politisch interessierten Öffentlichkeit als umfassende Informationsbasis dienen können, bedingt freilich, dass sie zur Qualität der jeweiligen Diskurse in Abstimmungskampagnen beitragen, was aufgrund der abnehmenden Werbeeinnahmen und der weiterhin zunehmenden Konzentration in der Medienlandschaft im Berichtjahr teilweise in Frage gestellt wurde.
2021 standen in vier Urnengängen insgesamt dreizehn Vorlagen zur Abstimmung, die verschiedene Besonderheiten aufwiesen (vgl. dazu auch unsere Abstimmungsplattform www.swissvotes.ch). Nach 2014 erst zum zweiten Mal in der Geschichte der direkten Demokratie wurden im gleichen Jahr zwei Volksinitiativen angenommen, die Volksinitiative für ein «Ja zum Verhüllungsverbot» und die «Pflegeinitiative». Erstere lieferte ein weiteres Beispiel dafür, dass sich das Initiativrecht auch als Problem für Minderheiten erweisen kann: Als Gründe für die knappe Annahme der Initiative machte die Nachabstimmungsbefragung Argwohn gegen Islamismus, aber auch sicherheitspolitische und feministische Argumente aus. Zum ersten Mal überhaupt gelang mit der «Pflegeinitiative» zudem einem Begehren aus Gewerkschaftskreisen die Annahme an der Urne. Der knapp über 60 Prozent zu liegen kommende Ja-Stimmenanteil dürfte wohl auch der sehr schwierigen Situation des Pflegepersonals während der Covid-19-Pandemie geschuldet sein. An der Urne abgelehnt wurden neben den beiden Agrarinitiativen auch die Justiz-Initiative und die 99-Prozent-Initiative.
Neben den beiden oben erwähnten Referenden zum Covid-19-Gesetz konnten sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zu fünf weiteren vom Parlament beschlossenen Gesetzesrevisionen äussern. In der Mehrheit der Fälle (5) folgte die Stimmbevölkerung Regierung und Parlament, so neben den Covid-Gesetzesrevisionen auch bezüglich des Gesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, des Freihandelsabkommens mit Indonesien und der «Ehe für alle». Neben dem CO2-Gesetz erlitt aber auch das Gesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID) an der Urne eine Niederlage. Damit entschied sich die Stimmbevölkerung insgesamt bei neun von 13 Vorlagen entsprechend den Empfehlungen von Parlament und Bundesrat (69%) – ein eher unterdurchschnittlicher Unterstützungsgrad, wenn er mit dem jährlichen Mittelwert von 79 Prozent seit 1970 verglichen wird. 2021 war hingegen ein Rekordjahr bezüglich Abstimmungsbeteiligung: Im Schnitt beteiligten sich 57.9 Prozent der Stimmberechtigten an den vier Urnengängen. Noch nie seit 1971 war die durchschnittliche Beteiligung pro Jahr somit höher als 2021.
Auch für das kommende Jahr kündigten sich 2021 bereits mehrere Referenden an, so stehen die Abstimmungen zum Medienpaket und gegen die Abschaffung der Stempelsteuer bereits für Februar 2022 auf dem Plan. Ebenfalls in Aussicht gestellt wurde Ende Jahr ein Referendum zur AHV 21, welche der SGB unter anderem wegen der Erhöhung des Frauenrentenalters an der Urne bekämpfen will.
Voraussichtlich keinen Urnengang – ausser es wird noch ein Referendum ergriffen – wird es zu vier zustande gekommenen Initiativen geben, denen Regierung und Parlament im Jahr 2021 einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellten. So zeigten sich die Initiantinnen und Initianten der Transparenzinitiative, der Korrektur-Initiative, der Organspende-Initiative und der Fair-Preis-Initiative insofern mit der Umsetzung der Teilforderungen ihrer Vorstösse einverstanden, dass sie ihre Volksbegehren in der Folge zurückzogen. Dass gleich vier Begehren im gleichen Jahr zurückgezogen wurden, ist ziemlich selten.
Schliesslich kamen im vergangenen Jahr zahlreiche neue Initiativen zustande oder wurden neu lanciert. Somit wird es auch in den kommenden Jahren eine breite Palette an politischen Auseinandersetzungen geben. Natürlich wird auch das Parlament mit seiner Arbeit diese Auseinandersetzungen weiterhin befeuern. So zeigt unsere Auswertung zu den 2021 eingereichten Vorstössen, dass National- und Ständerat in den kommenden Jahren vor allem bei den Themen Frauen- und Gleichstellungspolitik, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Aussen- und Agrarpolitik ein grösseres Diskussionsbedürfnis zu haben scheinen als in früheren Jahren. Aber auch in der Sicherheits- und Bildungspolitik wartet im kommenden Jahr wohl einige Arbeit auf das Parlament. Deutlich weniger Vorstösse als noch im Vorjahr wurden hingegen in der Wirtschafts- und Umweltschutzpolitik eingereicht (vgl. Abbildung 3 zu den neuen Parlamentsgeschäften im Anhang).
Wie stark 2022 auch Covid-19 noch Thema sein wird und wie sehr die anstehenden Debatten Misstrauen mobilisieren, Gräben ausheben und Spaltungen sichtbar machen – oder aber Vertrauen schaffen, Integration fördern und langfristig befriedend wirken, wird sich weisen. Ein Blick in die Vergangenheit wie auch zurück ins 2021 legt den Schluss nahe, dass wohl von allem immer etwas dabei sein wird.